Weltherscherchen: Ja, über Denethor braucht man echt nix mehr zu sagen. Er ist einfach ein Rabenvater. Im nächsten Kapitel jedoch scheint er sich ein wenig zu besinnen....
Lady: Als ich die Stelle mit dem Testament schrieb, war ich selbst ein wenig gerührt.
Leonel: Gandalf hat lange genug Denethors Demütigungen über sich ergehen lassen. Das alles tat er nur für Faramir, seinen Freund. Und durch Radagasts Botschaft wusste er ja, dass Faramir sicher in Lórien angekommen war. Er hatte also keinen Grund, länger in Gondor zu bleiben. Es war sicher befreiend für ihn, endlich Minas Tirith verlassen zu können. Boromir trug die ganze Zeit das Testament mit sich herum. Es quälte ihn. Er musste unbedingt wissen, was darin stand, auch wenn er jetzt wusste, dass Faramir eventuell wieder heil zurückkehrt.
§§§§
Kapitel 8: Denethors Gewissen
Denethor wanderte in seiner Amtsstube unruhig auf und ab. Er haderte mit sich selbst: beinahe wäre Faramir auf seiner Reise umgekommen und selbst jetzt war es noch ungewiß, ob er gesund zurückkehren würde. Und er hatte nichts als Verachtung für seinen jüngsten Sohn übrig. Die Tränen stiegen dem alten Mann in die Augen. Warum brachte ihn Faramirs Anblick nur immer zur Weißglut? Er wusste, dass der Junge stets versuchte, es ihm recht zu machen. Trotzdem machte Faramir ständig Fehler. Ein Heerführer Gondors durfte keine Unsicherheit zeigen, wie es der junge Mann immer wieder tat.
Denethor holte tief Luft: er wollte doch nur das Beste für Faramir. Mit seiner harten Schule wollte er Faramir stärken. Doch anscheinend erreichte er stets damit das Gegenteil. Am meisten schmerzte ihn, dass sich sein jüngster Sohn Gandalf zugewandt hatte, ihn fast als Ersatzvater betrachtete. Wenn Denethor ganz ehrlich zu sich war, musste er zugeben, dass Faramir recht damit hatte. Was konnte der Junge schon von ihm, seinem leiblichen Vater, erwarten, außer Haß und Ablehnung?
Zum Glück gab es noch Boromir. Denethors Miene hellten sich auf bei dem Gedanken an seinen Erstgeborenen auf. Er erinnerte sich daran, wie sich Boromir vorhin bei seiner Ankunft beleidigt zurückgezogen hatte: zu Recht beleidigt.
Denethor wusste, dass er sich bei seinem Sohn zu entschuldigen hatte.
Er verließ seine Amtsstube und ging durch die düsteren, schmucklosen Korridore des Palastes in Richtung des Flügels, der die Privaträume der Truchsessfamilie beherbergte.
Schließlich stand er vor Boromirs Schlafgemach. Es war sehr still. Denethor drückte leise die Klinke herunter. Er hatte geahnt, dass Boromir schlafen würde.
Langsam schlich sich der Truchseß zum Bett seines Sohnes und betrachtete ihn liebevoll. Doch Boromirs Antlitz wirkte selbst im Schlaf bekümmert. Jetzt entdeckte Denethor das auseinandergefaltete Papier, das auf der Bettdecke lag. Neugierig ergriff er es und warf einen Blick darauf: sofort erkannte er Faramirs Handschrift.
Rasch las er das Geschriebene durch: es war tatsächlich ein Testament! Die Tränen traten ihm in die Augen. War es also schon soweit gekommen?
Er hatte Gandalfs Worte noch im Ohr, dass er Faramir absichtlich in den Tod schicken würde. War er diesmal wirklich zu weit mit Faramir gegangen? Ein kaum hörbares Schluchzen durchschüttelte seinen Körper. Er legte das Testament sacht zurück auf die Bettdecke und verließ das Zimmer wieder auf leisen Sohlen.
Einsam wanderte der Truchseß durch die finsteren Korridore, die nur ab und an von einer Fackel erhellt wurden. Schließlich kam er an einem riesigen Fenster vorbei. Dort blieb er stehen und sah auf den sternübersähten Nachthimmel. Er starrte auf die Sterne, in der Hoffnung, sie würden ihm Trost schenken. Plötzlich falteten sich seine Hände wie von selbst zum Gebet. Zum ersten Mal seit vielen Jahren betete er wieder zu den Valar. Zuletzt hatte er zu ihnen gebetet, als seine geliebte Finduilas im Sterben lag.
„Bitte helft mir, oh Ihr gütigen Valar", sprach Denethor leise. „Bitte bringt mir Faramir wieder heil zurück. Ich will ihm in Zukunft auch ein besserer Vater sein."
Er stutzte plötzlich: konnte er das wirklich? War er tatsächlich in der Lage, sich zu ändern?
„Ich will es wenigstens versuchen", flüsterte er kaum hörbar.
§
Denethor saß am nächsten Morgen längst beim Frühstück, als Boromir auftauchte. Auch an diesem Morgen wirkte der junge Mann sehr förmlich und sagte nichts außer einem kurzen Gruß.
„Es tut mir leid wegen gestern", sagte der Truchseß plötzlich.
Boromir stutzte: so lange er zurückdenken konnte, hatte sich sein Vater noch nie für etwas entschuldigt.
„Ich hätte das mit Faramir nicht sagen dürfen", fuhr Denethor rasch fort. „Es war natürlich eine gute Sache, dass Mithrandirs Vetter ihm geholfen hat. Es ist alles meine Schuld: ich hätte Faramir nicht fortschicken dürfen. Dieser Auftrag war zu riskant. Wer weiß, ob mein Traum überhaupt eine richtige Vision war. Vielleicht war es einfach nur dummes Zeug."
„Vater, du hast die Gabe zu prophetischen Träumen", erinnerte Boromir ihn. „Es war bestimmt keine schlechte Idee, Rat zu erholen. Doch du hättest Faramir Verstärkung mitgeben müssen, dann hätte er den Weg an den Entwassern vorbei einschlagen können."
Denethor sah seinen ältesten Sohn bedrückt an:
„Ich bin ein schlechter Vater. Ich habe Faramir einer unnötigen Gefahr ausgesetzt. Ob er mir wohl jemals verzeihen kann?"
„Das wird er, Vater", versicherte Boromir ihm lächelnd. „Weil er dich liebt."
Jetzt huschte endlich auch ein scheues Lächeln über Denethors Gesicht.
Boromir hoffte inständig, dass es sein Vater diesmal auch ehrlich meinte. Wie oft schon hatte der Truchseß Reue gezeigt, wenn er allzu hart mit seinem jüngsten Sohn ins Gericht gegangen war. Und wie schnell hatte er dann immer seine guten Vorsätze über den Haufen geworfen, wenn Faramir nur den geringsten Fehler machte.
