Liebe Leonel! Bereits im nächsten Kapitel wird Denethor wieder zu wanken beginnen. Vielen Dank für dein Review und viel Spaß mit einem säuerlichen Truchseß im nächsten Kapitel!

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Kapitel 9: Faramirs Rückkehr

Die kleine Reisegruppe kam rasch voran. Der Weg westlich des Anduins war längst nicht so beschwerlich, wie der auf der anderen Seite des Flusses. Alatariel war eine kluge Kriegerin. Immer wieder schickte sie Kundschafter voraus, die die Reiseroute inspizieren sollten. So war es ihnen gelungen, bereits mehrer Ork-Lager zu umgehen. Faramir bewunderte die Elbin immer mehr. Doch Alatariel hielt weiter Abstand zu ihm.

Eines Abends erreichten sie das Dorf Tan-Anneth, das nördlich der Entwassermündungen lag. Dort gab es ein gemütliches Gasthaus mit Übernachtungsmöglichkeit. Die Menschen im Dorf begegneten der elbischen Reisegesellschaft mit gemischten Gefühlen.

„Ich fühle mich hier nicht wohl", murmelte Alatariel vor sich hin.

Faramir hatte sie gehört.

„Wir müssen hier nicht übernachten", schlug er der Elbin vor. „Die Menschen in dieser Gegend fühlen sich im Stich gelassen, nicht nur von den Elben – auch von Gondor. Sie werden oft von herumstreunenden Ork-Banden heimgesucht."

„Und warum hilft Gondor ihnen nicht?" fragte Alatariel kühl.

Faramir seufzte tief.

„Mein Vater hält es für wichtiger, die Stellungen im Osten und im Süden zu sichern. Was in Anórien geschieht, ist ihm gleich."

„Warum hört Euer Vater nicht auf Euch?" wollte die Kriegerin jetzt wissen.

„Das ist eine ziemlich lange Geschichte", entgegnete der junge Mann bedrückt. „Mein Vater verachtet mich seit jeher."

Alatariel sah ihn ungläubig an.

„Ich würde gerne in diesem Gasthaus übernachten", unterbrach jetzt Heru das Gespräch. „Ich bin schrecklich müde und auch hungrig."

„Gut, dann bleiben wir hier", entschied Alatariel.

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Der Gastwirt Charond empfing die Elben mehr oder weniger mit offenen Armen. Elben zahlten gut und waren ehrliche Gäste. In Gedanken spielte er bereits mit einer Preiserhöhung für Kost und Logis. Dann erblickte er Faramir. Ein Hauptmann Gondors bei den Elben? Was hatte das denn zu bedeuten? Schnell verwarf er wieder die Idee mit der Preiserhöhung.

„Gebt den Elben die besten Zimmer, die Ihr habt", wies Faramir Charond an.

Der Wirt nickte untertänig.

„Wenn es dunkel ist, werde ich das Nachtmahl auftragen lassen", sagte Charond demütig. „Ist es den Elben so recht?"

Heru trat neben Faramir hin.

„Das geht vollkommen in Ordnung", erklärte der alte Elb lächelnd.

Zum Nachtmahl erschien Alatariel in einem wundervollen, blauen Elbenkleid. Faramir hielt den Atem an. Diese Farbe bot einen reizvollen Kontrast zu ihrem hellen Haar. Doch nicht nur der junge Heermeister hatte ein Auge auf die Elbin geworfen: einige Männer in der Gaststube steckten die Köpfe zusammen und tuschelten.

„Ich würde mit dieser Elbenmaid mal gerne etwas Verbotenes tun", flüsterte der Eine mit einen dreckigen Grinsen.

„Nicht nur du", fügte ein anderer Mann mit struppigem, braunen Haar hinzu.

Nach dem Essen wollte sich Alatariel die Beine draußen vertreten. Faramir bot an, sie zu begleiten.

„Ich möchte lieber alleine sein", sagte die Elbin stolz.

Faramir nickte bedrückt.

„Wenn dies Euer Wunsch ist, dann werde ich ihn respektieren".

Als Alatariel das Gasthaus verlassen hatte, ging Faramir zum Tresen und holte sich noch einen Krug Bier.

Heru winkte ihn plötzlich zu sich.

„Faramir, es wäre mir sehr recht, wenn du nach Alatariel sehen würdest. Ich glaube, sie benötigt deine Hilfe".

Der junge Mann sah ihn erstaunt an, aber er tat, was der alte Elb ihm geheißen hatte. Alatariels Krieger hatten sich längst zur Nachtruhe begeben. Sie hielten sich nicht gerne unter den lauten Menschen auf.

§

Alatariel war hinab zum Fluß geschlendert. Sie genoß die kühle Abendluft. Lächelnd setzte sie sich an das Ufer und summte eine uralte Elbenweise.

Plötzlich wurde sie von vier Männern umringt. Sie grinsten unverschämt.

„Was wünscht Ihr, meine Herren?" fragte Alatariel höflich.

„Kannst du dir das nicht denken?"

Feixend trat der Eine mit dem struppigen Haar näher.

Die Elbin sprang rasch auf die Beine.

„Ich möchte, dass Ihr Euch auf der Stelle entfernt!"

Die Männer lachten nur dreckig.

Alatariel wurde am Ärmel ihres Kleides gepackt.

„Nun zier dich nicht so, Elbendirne!"

„Wie könnt Ihr es wagen!" rief die Kriegerin empört und zog einen Dolch aus ihrem Gürtel. Doch gegen vier Männer hatte sie keine Chance.

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Faramir lief mit klopfendem Herzen durch das Dorf. Er hatte keine Ahnung, wo Alatariel hingelaufen war. Doch dann hörte er ihre Stimme und Männergelächter. Er ahnte Schlimmes. Rasch zog er sein Schwert und eilte hinunter zum Fluß.

Er sah, wie die Männer an Alatariel herumzerrten und wie sie sich wehrte. Ihr kostbares Kleid war schon teilweise zerrissen.

„Hört sofort auf, ihr Schurken!" schrie er wütend und eilte mit erhobenem Schwert auf die Männer zu.

Die Vier sahen das Gondor-Wappen auf seiner Brust und liefen in alle Himmelsrichtungen davon.

„Danke", murmelte Alatariel leise. „Das war Rettung in höchster Not. Diese Kerle wollten mir Gewalt antun".

Faramir half ihr galant auf die Beine und bot ihr seinen Mantel an, damit man das zerrissene Kleid nicht sah.

„Woher habt Ihr gewusst, dass..", begann sie zögernd zu fragen.

„Heru machte mich darauf aufmerksam", unterbrach Faramir sie lächelnd.

„Ich danke Euch trotzdem, dass Ihr gekommen seid", sagte Alatariel verlegen.

Plötzlich brach sie in Tränen aus. Faramir nahm sie tröstend in seine Arme.

„Warum sind die Menschen so schlecht?" fragte sie schluchzend. „Ich dachte immer, Orks seien die schlimmsten Kreaturen."

„Ich schäme mich schrecklich für mein Volk", gestand Faramir erschüttert.

Alatariel sah zu ihm unter Tränen lächelnd hoch.

„Ihr seid nicht so wie die anderen Menschen, das fühle ich."

Der junge Mann strich der Elbin behutsam eine Strähne aus dem Gesicht.

„Ich bemühe mich, nicht so zu sein", sagte er leise.

Vorsichtig nahm er ihre Hand in die seinige.

„Laßt uns jetzt zurückgehen in das Gasthaus, bevor Heru sich Sorgen macht", meinte Alatariel, die sich allmählich wieder in der Fassung hatte.

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Eine Woche später:

Ein Bote meldete Denethor, dass sich eine elbische Reisegruppe der Stadt näherte. Der Truchseß saß gerade bei einer Konferenz mit seinen Beratern im Thronsaal und wirkte etwas verärgert über die Störung. Boromir, der auch an der Beratung teilnahm, sah erstaunt hoch.

„Was gehen mich diese Elben an?" fragte Denethor mürrisch. „Ab und zu kommt es tatsächlich vor, dass Elben nach Gondor kommen. Ich habe niemanden eingeladen".

„Herr Denethor, Euer Sohn befindet sich auch bei dieser Gruppe", ergänzte jetzt der Bote.

„Faramir!" rief Boromir freudig und sprang von seinem Stuhl hoch.

Selbst die Berater lächelten sich erleichtert an. Viele Menschen in Minas Tirith hatten sich um Faramirs Rückkehr gesorgt.

Doch Denethor blieb ernst. Er war innerlich hin- und hergerissen. Einerseits fiel ihm ein Stein vom Herzen, weil Faramir wieder zurück war, andererseits mochte er es nicht, wenn sein jüngster Sohn seine eigenen Pläne verfolgte. Denethor war kein Elbenfreund und das wusste Faramir eigentlich.

„Warum bringt er Elben mit? Das war nicht abgesprochen", sagte er grimmig.

Boromir blickte ihn fassungslos an.

„Ich dachte, du freust dich auch, dass Faramir wieder zurückkehrt", sagte er mit gedämpfter Stimme zu seinem Vater, damit die Berater es nicht hörten. „Aber scheinbar suchst du schon wieder einen Grund, mit ihm zu streiten".

„Wie kannst du es wagen!" zischte der Truchseß böse seinem Sohn zu.

„Ich gehe jetzt hinaus, um meinen Bruder zu empfangen", sagte Boromir finster und verließ den Saal.

§

Faramir wurde von den Bürgern Minas Tiriths herzlich empfangen, als er mit den Elben durch die Festungsringe nach oben ritten. Alatariel freute sich im Stillen darüber, dass er so beliebt war.

Er muß tatsächlich ein besonderer Mensch sein, wenn sich die Leute so über seine Rückkehr freuen, dachte sie lächelnd.

Boromir wartete bereits im Hof der Zitadelle auf seinen Bruder. Als Faramir durch das Tor kam, rannte er ihm jubelnd entgegen. Stürmisch umarmten sich die Brüder.

Faramir sah erstaunt, dass Boromir Tränen in den Augen hatte.

„Ich hatte Angst, dich nicht mehr lebend wiederzusehen", gestand er schließlich.

„Hast du...?"

„Ja, ich habe das Testament gelesen", sagte Boromir verlegen. „Wir müssen unbedingt darüber reden".

„Jetzt nicht", erwiderte Faramir und wandte sich zu den Elben um, die ihn begleitet hatten.

Staunend betraten sie den Innenhof der Zitadelle.

Alatariel betrachtete fasziniert den bewachten toten Baum.

„Was hat es mit diesem Baum auf sich?"fragte sie Heru leise.

„Als es noch Könige in Gondor gab, stand dieser Baum in voller Blüte und gedieh prächtig", erklärte Heru mit gedämpfter Stimme. „Aber dann wurde die Linie der Könige durchbrochen und die Truchsesse kamen an die Macht. Und seitdem stirbt dieser Baum allmählich. Erst wenn der König zurückkehrt, wird er wieder blühen".

„Das ist eine schöne Legende", murmelte Alatariel träumerisch.