Leonel : Im nächsten Kapitel wird sich Denethor mit Heru unterhalten. Faramir ist ein bisschen enttäuscht von Boromir, weil diese so neugierig war und sein Testament gelesen hat.
Lady: Nein, Denethor ist ziemlich schnell wieder in sein altes Muster zurückgefallen. Wie gesagt, der Mann kann nicht aus seiner Haut heraus..
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Kapitel 11: Herus Prophezeihung
Denethor starrte die beiden Elben neugierig an, als sie seinen Thronsaal betraten. Die junge Elbin mit der Kriegerkleidung war ihm sofort ein Dorn im Auge. Es ziemte sich nicht für Frauen, Krieg zu führen. Aber diese Elben mussten ja immer eigene Wege gehen.
Heru betrachtete den Truchseß furchtlos: er erkannte sofort, dass dieser Mann geisteskrank war. Die Krankheit flackerte sichtlich in den grüngrauen Augen des ergrauten Herrschers auf. Der alte Elb bekam Mitleid, als er das bemerkte. Doch der Truchseß ließ ihm keine Zeit, weiter nachzudenken.
„Seid Ihr dieser Elb, der versucht hat, meinen Traum zu deuten?" fragte Denethor ungestüm. „Warum war Frau Galadriel dazu nicht in der Lage?"
„Die Herrin des Goldenen Waldes entbietet Euch ihren Gruß", sagte Heru demütig. „Frau Galadriel weiß sehr viel, doch sie ist nicht allwissend. In der Kunst der Traumdeutung ist sie nicht so bewandert wie ich."
„Dann möchte ich gerne wissen, was Ihr herausgefunden habt", meinte Denethor ungeduldig.
Er deutete auf Alatariel:
„Ist es nötig, dass sie unbedingt anwesend ist? Ich werde Euch schon nichts tun."
Alatariel war empört über den dreisten Tonfall, den sich der hochmütige Mensch anmaßte. Kein Wunder, dass Faramir mit seinem Vater nicht zurechtkam.
„Geh, meine Tochter", sagte Heru liebevoll zu ihr.
Sie nickte nur und verneigte sich kurz vor Denethor. Mit zusammengepressten Lippen verließ sie den Thronsaal.
Kaum war Alatariel weg, wandte sich der Truchseß wieder dem alten Elben zu.
„So, nun sprecht!"
„Euer Traum war eine Vision", begann Heru zu berichten. „Ihr habt eine große Schlacht um Minas Tirith vorausgesehen. Ebenso wie Euer Sohn. Und Ihr seid dem Fürst der Nazgûl in Euerem Traum begegnet."
„Das hätte ich mir auch selbst zusammenreimen können", meinte Denethor ungeduldig. „Faramir träumt oft ähnliche Dinge wie ich. Ich wünschte, ich hätte ihm etwas mehr Stärke und Mut vererben können, stattdessen musste er diese lästige Gabe erben."
„Euer jüngster Sohn ist stark und mutig", sagte Heru ruhig. „Leider verschließt Ihr Euere Augen davor."
„Wir sind nicht hier, um über Faramir zu reden", entgegnete Denethor ärgerlich. „Ich möchte wissen, was Ihr so wichtiges herausgefunden habt, dass Ihr extra nach Gondor mitgereist seid".
Heru holte tief Luft, bevor er fortfuhr. Es war hart, was er dem Truchseß zu sagen hatte.
„Ihr habt noch einen Scheiterhaufen in Eueren Träumen gesehen. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Doch eines kann ich Euch mit Sicherheit sagen: einer Euerer beiden Söhne wird in naher Zukunft sterben."
„Wer von den beiden?" fragte Denethor tonlos, dessen Gesicht plötzlich grau geworden war.
„Das weiß ich nicht", erwiderte Heru. „Ein Nebel hat mir das Gesicht des jungen Mannes verhüllt, der davon betroffen war."
„Kann man das nicht irgendwie verhindern?" wollte der Truchseß wissen und fuhr sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn.
„Nein, das kann niemand verhindern", erklärte Heru jetzt ein wenig ungehalten. „Der Weg dieses jungen Mannes ist vorherbestimmt und man kann nicht eingreifen."
„Bestimmt ist es Faramir, ja?" sagte Denethor mit gehetzter Stimme. „Seinen Tod könnte ich eher verschmerzen als den von Boromir. Mein ältester Sohn kann gar nicht sterben: er ist so stark und mutig. Kein Feind könnte ihm etwas anhaben."
„Ich kann Euch nicht mehr sagen", erwiderte Heru gelassen.
„Und deswegen seid Ihr mit einer ganzen Elben-Eskorte nach Minas Tirith gekommen, um mir so eine nebulöse Andeutung zu machen?"
Denethor spuckte die letzten Worten fast aus in seinem grenzenlosen Zorn.
„Es wird eintreffen, auf jeden Fall", versicherte der Elb mit fester Stimme. „Denkt an meine Worte, wenn der Tag kommt. Ich wollte Euch eigentlich schonend darauf vorbereiten, aber Ihr konntet es ja nicht erwarten zu erfahren, was ich Euch zu sagen hatte."
Der Truchseß sprang wütend von seinem schwarzen Thron auf.
„Das ist alles nur dummes Elben-Geschwätz! Faramir hätte mir das genauso mitteilen können."
„Euere Söhne sollten das besser nicht erfahren", mahnte Heru erschrocken. „Ihr werdet ihnen doch hoffentlich nichts sagen."
Denethor verzog sein Gesicht zu einer wütenden Fratze. Am liebsten hätte er den Elben noch mehr beschimpft, aber er musste vorsichtig sein: Heru war ein geachteter Elb aus Lothlórien. Noch ein paar böse Worte mehr, und die Elben würden empört abreisen. Der Truchseß wusste, dass es unklug wäre, mit Lothlórien auf Konfrontationskurs zu gehen.
„Ich würde es begrüßen, wenn Ihr und Euere Begleiter für einige Tage meine Gäste sein würdet. Es soll Euch an nichts fehle".
Nur mühsam hatte sich Denethor zu dieser Einladung durchringen können. Diplomatie gehörte nicht zu seinen Stärken. Aber es musste sein.
Heru verneigte sich leicht.
„Ich danke Euch für Euere Einladung, Truchseß. Ich habe noch eine beschwerliche Reise zu den Grauen Anfurten vor mir. Einige Tage Rast in Gondor werden mir gut tun."
§
Einige Stunden später saßen alle beim Nachtmahl: Denethor, seine Söhne, Heru und Alatariel. Ein köstliches Essen war aufgetragen worden: verschiedene Braten, Gemüse, Obst und weißes Brot. Dazu gab es edle Weine aus Süd-Gondor. Doch Heru lehnte Wein ab: ihm genügte ein Kelch mit frischem Quellwasser.
„Ihr wollt also Mittelerde verlassen, Herr Elb?" fragte der Truchseß spöttisch grinsend, während er sich ein Stück Braten auf den Teller legte. „Ist es Euch etwa hier zu unruhig geworden?"
„Die Zeit der Elben in Mittelerde ist bald vorüber", erklärte Heru mit einem heiteren Lächeln. „Bald wird ein neues Zeitalter anbrechen."
Denethor lachte kopfschüttelnd auf.
„Ein neues Zeitalter? Wenn das so weitergeht, wird bald das Zeitalter der Orks und all der finsteren Kreaturen Mordors anbrechen. Das meint Ihr doch hoffentlich nicht."
„Vielleicht wird es einen König der Menschen geben, wie in alten Zeiten", fuhr der Elb unbeirrt fort.
„Aber nicht hier in Gondor!" widersprach plötzlich Boromir leidenschaftlich. „Hier hat es seit 1000 Jahren keinen König mehr gegeben und es wird auch so schnell keiner mehr auftauchen. Isildurs Linie ist längst erloschen."
Heru erwiderte dazu nichts: er wusste es besser als Boromir und sein Vater. Natürlich gab es einen Erben Isildurs, aber er würde das diesen beiden starrsinnigen Menschen nicht preisgeben. Er sah zu Faramir hinüber. Dieser junge Mann war anders als sein Bruder und sein Vater. Er war weitsichtig und klug. Er würde einen gütigen, edlen Truchseß abgeben, doch leider war er nur der Zweitgeborene. Dieser Mann würde auch Isildurs Erben anerkennen.
Alatariel saß schweigend an der Tafel: sie trug an diesem Abend ein wunderschönes, güldenes Kleid. Faramir sah sie immer wieder an. Er konnte kaum den Blick von ihr wenden. Ihm war längst klar geworden, dass er sich in die Elbin verliebt hatte.
Boromir war das nicht entgangen: er kannte diesen verträumten Blick seines Bruders und er hoffte stark, dass sein Vater dies nicht bemerkte. Doch zum Glück war der Truchseß viel zu sehr damit beschäftigt, den Elben auszufragen.
