Lady : Im nächsten Kapitel wird es jedenfalls erstmal romantisch. Aber dann kommt es knüppeldick...
May20: Danke erstmal für dein Review! Es freut mich, dass dich die Story anspricht. Es wird auf jeden Fall noch eine Menge passieren, das kann ich versprechen!
Leonel: Ja, so ist Denethor, wie er leibt und lebt. Für seine Traumdeutung sind ihm die Elben plötzlich recht. Und dass er Faramir lieber tot sehen will als Boromir, ist sowieso typisch für ihn. Im nächsten Kapitel wird Denethor durch den Palantír auf eine teuflische Idee gebracht. Die Ereignisse werden sich dann überschlagen...
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Kapitel 12: Faramir und Alatariel
Nach dem Essen bat Faramir Alatariel zu einem Spaziergang in die Gärten, die sich hinter der Zitadelle befanden. Schon lange hatte er sich danach gesehnt, mit der Elbin ein wenig Zeit alleine verbringen zu dürfen. Sie durchschritten den langen Korridor und Faramir öffnete dann die kleine Holztür, die in die Gärten führte. Dort gab es wundervolle Blumen und Obstbäume, ein Anblick, der normalerweise Elben das Herz aufgehen ließ. Doch Alatariel war recht schweigsam an diesem Abend. Kaum, dass sie die wundervollen Blumen betrachtete. Ihr Gesicht wirkte recht ernst und verschlossen. Faramir gelang es nicht, sie mit fröhlichen Geschichten aufzuheitern.
„Was habt Ihr auf dem Herzen?" fragte der junge Mann schließlich. „Bin ich Euch zu geschwätzig?"
Alatariel lächelte jetzt.
„Nein, Faramir. Seid ich Euch kenne, hat sich meine Meinung über die Menschen sehr verbessert. Wenn alle Menschen so wie Ihr wären, dann gäbe es keinen schöneren Ort als Minas Tirith. Doch ich weiß, dass es auch andere Menschen gibt, die ungerecht und hartherzig sind, was mein Herz betrübt."
Sie ging zur Mauerbrüstung vor und ihr Blick fiel jetzt auf die Totenhäuser, die am Rath Dinen lagen.
„Was sind das für Gebäude?" fragte sie Faramir neugierig.
„Das befinden sich die Grüfte der toten Könige und Truchsesse", erklärte der junge Mann nachdenklich.
„Diese Totenstadt sieht fast noch prächtiger aus als die Häuser der Lebenden", bemerkte Alatariel erstaunt.
„Da habt Ihr recht", seufzte Faramir bedrückt. „Lange Zeit wurden hier in der Stadt, die Numénors Erbe ist, die Toten mehr verehrt als die Lebenden. Alte, kinderlose Herrscher saßen in ihren Palästen und grübelten über Stern- und Traumdeutung nach, statt sich um ihr Volk zu kümmern."
„Euer Vater scheint sich auch mehr für seine Träume zu interessieren als für Euch", erwiderte die Elbin kopfschüttelnd.
„Mein Vater ist ein verbitterter alter Mann", sagte Faramir mit einem traurigen Lächeln. „Nach nur 12 Jahren Ehe verlor er seine geliebte Gemahlin, Finduilas von Dol Amroth, die meine Mutter war. Seit ich zurückdenken kann, versucht er die Grenzen Gondors vor Mordor zu schützen. Er hat viel mitgemacht in seinem Leben."
„Man merkt, dass Ihr Eueren Vater liebt, Faramir", sagte Alatariel sanft.
Sie ging einen Schritt auf ihn zu. Er ergriff jetzt ihre Hände. Behutsam streichelte er sie.
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Boromir blickte zum Fenster seines Schlafgemaches hinaus und sah das Paar im Mondlicht händchenhaltend stehen. Er lächelte kurz in sich hinein. Die ungeheuere Wirkung, die sein Bruder auf Frauen hatte, war ihm nicht entgangen. Aber er selbst brauchte sich auch nicht über mangelnde Verehrerinnen zu beklagen. Doch beide Brüder hatten stets den Anstand bewahrt und sich keine Frau erwählt. Die ständigen Feldzüge ließen einfach keine Zeit, um einer Dame gebührend den Hof zu machen. Aber Faramir hatte sich jetzt anscheinend diese Zeit genommen. Boromir wusste, dass Ärger mit Denethor vorprogrammiert war. Der Truchseß würde eine Liebschaft mit dieser Elbenkriegerin keineswegs dulden. Boromir hoffte, dass sein Vater nichts von dem turtelnden Paar unten im Hof mitbekam.
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Denethor hatte ganz andere Sorgen: nervös schlich er in seiner Amtsstube herum. Ein Berg Papiere wartete darauf, von ihm bearbeitet zu werden. Aber der Truchseß hatte heute keinen Geist dazu. Herus Traumdeutung hatte ihn völlig durcheinander gebracht: einer seiner Söhne würde sterben. Natürlich wollte er keinen von beiden verlieren. Aber er musste sich eingestehen, dass er am ehesten Faramir entbehren konnte. Boromir war einfach zu wichtig. Sein Herz verkrampfte sich bei dem Gedanken, dass seinem Erstgeborenen etwas zustoßen könnte. In seiner Not stieg Denethor hinauf in den Weißen Turm. Dort oben im Turmzimmer befand sich der Palantír. Vielleicht sah er ja darin die Zukunft. Manchmal lichteten sich tatsächlich die Nebel, welche zukünftige Ereignisse verhüllten, und er konnte dann erblicken, was sich ereignen würde.
Denethor holte tief Luft und nahm das Tuch weg, das den Palantír bedeckte. Dann umfasste er mit beiden Händen die Kugel und blickte hinein. Er hoffte, dass es diesmal nicht der Dunkle Herrscher sein würde. Sauron saugte seine Lebenskraft aus ihm heraus und benebelte seinen Verstand. Und nach jedem Kräftemessen mit ihm wurde es schlimmer. Manchmal stand der Truchseß tagelang neben sich nach so einer Begegnung mit Sauron. In den letzten Jahren war er spürbar deswegen gealtert, was sehr ungewöhnlich für einen war , in dessen Adern fast rein das Blut von Númenor floß.
Denethor starrte auf die Kugel: langsam wich der Nebel und er konnte eine wunderschöne, weiße Gestalt sehen. Die Gestalt näherte sich und der Truchseß sah in ein engelsgleiches Gesicht.
„Ich bin Annatar", sagte eine einschmeichelnde, sanfte Stimme zu ihm.
Denethor stutzte: irgendwo hatte er diesen Namen schon einmal gehört. Doch er konnte ihn nicht einordnen. Verzückt blickte er auf dieses wunderschöne, elbenhafte Wesen.
„Ich kenne deinen Träume", fuhr Annatar lächelnd fort. „Du wirst einen Sohn verlieren."
„Hilf du mir, du anmutiges Wesen!" flehte der Truchseß verzweifelt die weiße Gestalt an.
„Warum hilfst du dem Schicksal nicht nach und tötest den Sohn, der dir weniger wert ist?" flötete Annatar.
„Wie soll ich das tun, ohne dass es jemand bemerkt?"fragte Denethor gehetzt.
„Reite in den Druadan-Wald", fuhr Annatar lächelnd fort. „Unterhalb des Schwarzen Berges wohnt eine Hexe, die tödliche Gifte herstellt. Mische das Gift in den Weinkelch deines Sohnes. Er wird auf der Stelle sterben."
„Gift bekomme ich auch in Minas Tirith her", murmelte der Truchseß kopfschüttelnd.
„Aber kein Gift, das sofort tötet und das Ganze wie ein Herzversagen aussehen läßt", erklärte das weißgekleidete Wesen freundlich. „ Auf dich wird kein Verdacht fallen."
Denethor lauschte der wunderschönen Stimme atemlos. Was Annatar ihm vorschlug, klang so überzeugend. Er musste einfach so handeln. Die Stimme spendete ihm Trost, lullte ihn ein und erzeugte eine fatale Geborgenheit.
„Ich danke dir, Annatar", sagte der Truchseß fast glücklich. „Du hast mir wirklich weitergeholfen."
Annatar lächelte entwaffnend und entfernte sich langsam. Der Palantír wurde wieder von Nebel verhüllt.
Mit einem irren Grinsen im Gesicht verließ der Truchseß das Turmzimmer. Er wusste jetzt, was er zu tun hatte. Einige Diener, die ihn in die Zitadelle zurückkehren sahen, erschraken vor seinem Anblick: nie zuvor hatte der Wahnsinn so deutlich in Denethors Augen geflackert.
§
Faramir stand immer noch mit Alatariel im Garten. Ihre Hände umschlossen sich immer noch. Es war an der Zeit, ihr seine Liebe zu gestehen.
„Alatariel, darf ich Euch etwas sagen?" fragte er vorsichtig und hielt fast den Atem an, als sie schließlich nickte.
„Ich liebe dich", sagte er leise und zog sie langsam an sich.
Ihre Köpfe neigten sich zueinander und sie begannen sich scheu zu küssen. Zuerst berührten sich minutenlang nur ihre Lippen. Doch dann verschmolzen sie zu einem innigen, leidenschaftlichen Kuss.
Als Boromir erneut aus dem Fenster blickte, sah er dies.
Mein Bruder hat tatsächlich das Herz dieser Kriegerin erobert, dachte er lächelnd bei sich.
Nach einem schier endlosen Kuss lösten sich die Beiden schweratmend wieder voneinander. Sie sahen sich an: und jeder erblickte in den Augen des anderen die tiefe Liebe, die sie füreinander empfanden. Sich an den Händen haltend gingen sie langsam in das Gebäude zurück. Höflich begleitete Faramir die Elbin bis zur Tür ihres Gemaches. Der Anstand gebot ihm, sich zurückzuhalten. Er gab Alatariel noch einen Kuss und wünschte ihr eine gute Nacht. Mit glänzenden Augen blickte sie Faramir nach.
