Liebe Leonel: Denethor ist tatsächlich völlig durchgedreht. Im nächsten Kapitel unternimmt er einen folgenschweren Ausflug... Vielen Dank fürs Reviewen!
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Kapitel 13: Denethors Ausflug
Mit einem selbstgefälligen Lächeln kam der Truchseß am nächsten Morgen zum Frühstück in die große Halle. Die Anderen saßen alle schon da und warteten sittsam auf ihn. Denethor entging es, dass Faramir und Alatariel ständig Blicke austauschten und sich verliebt anlächelten. Boromir dagegen saß wie auf Kohlen. Er betete im Stillen zu den Valar, dass sein Vater nichts von dem verliebten Paar bemerken möge.
„Ich werde heute kurz ausreiten", bemerkte Denethor beiläufig zu seinen Söhnen.
„Du reitest aus?" fragte Boromir erstaunt.
Sein Vater verließ höchst selten die Stadt. Und dann auch nur zu offiziellen Anlässen. Aber so wie es heute schien, wollte er einen Vergnügungsausflug unternehmen. Boromir konnte sich nicht daran erinnern, dass sein Vater jemals aus Spaß an der Freude einen Ausritt unternommen hatte.
„Du wirst doch deine Leibwache mitnehmen, oder?" wollte Boromir wissen.
Denethor sah ihn ungehalten an.
„Ich möchte einmal im Leben ungestört irgendwohin reiten können. Ist das zuviel verlangt?"
„Ich meinte ja nur", murmelte Boromir und senkte den Blick.
Heru, der das alles mitgehört hatte, runzelte die Stirn. Aber noch mehr Sorgen machte ihm Alatariel. Er hatte ihre Verliebtheit längst bemerkt. Ausgerechnet in einen Sterblichen musste sie sich verlieben. Er musste unbedingt mit ihr reden.
Nach dem Frühstück nahm er sie kurz beiseite. Noch einmal drehte sie sich zu Faramir um und lächelte ihm zu. Heute Nachmittag wollten sie sich wieder im Garten treffen. Schon jetzt sehnte Alatariel diesen Augenblick herbei.
„Ich habe bemerkt, dass du diesen Menschen begehrst, meine Tochter", begann Heru vorsichtig. „Du weißt, dass Menschen und Elben keine Verbindung eingehen dürfen."
„Ich liebe Faramir", beteuerte Alatariel leidenschaftlich. „Ich möchte für ihn meine Unsterblichkeit aufgeben, damit wir unser Leben gemeinsam verbringen können."
„Du weißt nicht, was du da sagst", seufzte Heru kopfschüttelnd. „Die Menschen haben nur eine kurze Lebensspanne. Schon bald wird Faramir altern und dann für immer die Augen schließen. Und du wirst alleine zurückbleiben und noch viele Jahre dahinvegetieren. Ist es das, was du willst? Besser, du nimmst jetzt Abschied von ihm und und behältst ihn so in Erinnerung, wie er nun aussieht. Jung, stark und schön."
„Aber Beren und Lúthien waren auch zusammen glücklich", beharrte Alatariel den Tränen nahe. „Oder denke an Estel und Arwen Undómiel."
„Estel ist Isildurs Erbe", erwiderte Heru wehmütig lächelnd. „Er ist von edlem Geblüt und hat mehr elbisches Blut als Faramir in sich. Nur einer wie er ist einer Elbin würdig. Und selbst Arwen wird ihren Mann überleben, da Estel auch irgendwann altern und sterben wird. Es ist nun mal das Los der Sterblichen. Ich will dich nur vor Kummer und Leid bewahren."
„Heru, du weißt, dass wir Elben nur ein einziges Mal in unserem Leben die wahre Liebe erleben", sagte Alatariel jetzt bedächtig. „Und diese Liebe ist Faramir für mich. Ich werde dieses Los ertragen, wenn ich auch nur diese kurze Spanne mit ihm zusammensein darf."
Mit diesen Worten ließ sie Heru stehen, der ihr traurig nachsah.
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Derweil machte sich Denethor fertig zum Ausritt. Er hatte sich Reitkleidung angelegt. Eine Tunika mit einem Wams darüber und Reithosen mit Stiefeln dazu. Zum Schluß legte er noch einen Mantel mit Kapuze um. Sobald er Minas Tirith verlassen hatte, wollte er die Kapuze aufsetzen, um nicht erkannt zu werden.
Boromir beobachtete, wie sein Vater zu den Ställen ging. Überrascht stellte er fest, dass der Truchseß nicht eines von seinen eigenen Pferden benutzte, sondern Faramirs Hengst Flammenmähne. Wahrscheinlich hatte er Faramir nicht einmal um Erlaubnis gefragt. Die Sache kam Boromir immer merkwürdiger vor und er beschloß schließlich seinem Vater heimlich zu folgen. Er ging in seine Gemächer und zog ein grobes Gewand an, worin man ihn nicht so einfach erkannte. Außerdem legte er sich ebenfalls einen Kapuzenmantel um.
Denethor wiegte sich in Sicherheit. Als er die Stadt verlassen hatte, setzte er sich die Kapuze auf und ritt Richtung Druadan-Wald. Niemand würde ihn verfolgen. Das war er sich sicher. Er hatte allen ausdrücklich befohlen, ihn alleine zu lassen. Dem Befehl des Truchsessen würde sich niemand widersetzen. Böse lächelnd schlug er den Weg ein, den ihm Annatar beschrieben hatte.
Gegen Mittag kam der Schwarze Berg in Sicht. Dort befand sich eine kleine Ansiedlung, in der ärmliche Menschen hausten, die ihren Unterhalt als Köhler verdienten. Als sie den unbekannten Reiter sahen, hielten sie erstaunt inne und musterten ihn. Denethor zog seine Kapuze noch tiefer ins Gesicht: er wollte um keinen Preis erkannt werden. Er ahnte nicht, dass Boromir dicht hinter ihm war und sich einstweilen in sicherer Entfernung versteckt hielt.
Boromir beobachtete von seinem Versteck aus, wie sich sein Vater bei den Einwohnern der Siedlung nach jemanden erkundigte. Schließlich ritt Denethor langsam weiter, noch näher zum Berg hin. Vorsichtig nahm Boromir wieder die Verfolgung auf.
Der Weg führte Denethor durch einen finsteren Fichtenwald. Plötzlich wurde dem Truchseß irgendwie unheimlich zumute. Die dichten Nadelbäume ließen kaum einen Sonnenstrahl durch und Denethor kam sich fast vor wie im Düsterwaldüber welchen man gruselige Schauergeschichten erzählte. Endlich erblickte er die schäbige Holzhütte, in welcher diese Hexe angeblich hauste. Eine junge, wunderschöne Frau mit hüftlangem schwarzen Haar verließ die Hütte, um Wasser vom Brunnen zu schöpfen. Denethor hielt verblüfft inne: war das diese Hexe, die von den Einheimischen Norna genannt wurde?
Die junge Frau strich sich das lange schwarze Haar zurück, als sie den Reiter mit dem Kapuzenmantel erblickte. Sie stellte den Eimer hin und verschränkte die Arme.
„Seid gegrüßt", sagte Denethor so höflich, wie er konnte. „Ich suche hier eine Frau namens Norna."
„Ihr meint die Hexe Norna", entgegnete die unbekannte Schöne lächelnd. „Das bin ich."
Denethor verschlug es jetzt erst einmal die Sprache. Er war überzeugt gewesen, ein uraltes Kräuterweiblein vorzufinden. Stattdessen hatte er es mit einer elbengleichen Schönheit zu tun. Das irritierte ihn mächtig. Schließlich war er auch nur ein Mann. Norna trug ein Kleid mit einem tiefen Ausschnitt und Denethor musste sich mächtig beherrschen, um nicht ständig auf den entblößten Brustansatz der Frau zu starren.
Norna jedoch interessierte sich für Flammenmähne. Sie streichelte dem edlen Rotfuchs über die Nüstern.
„Ihr habt ein wunderschönes Pferd, Fremder. Es gefällt mir."
„Es gehört nicht mir", entgegnete Denethor etwas unwirsch. „Ich habe es mir nur geliehen."
Vorsichtig pirschte sich Boromir an die Hütte der Hexe heran. Sein Pferd hatte er vor dem Fichtenwald zurückgelassen. Was wollte sein Vater von dieser jungen Frau? War das eventuell sogar eine Geliebte? Boromirs Phantasie schlug Purzelbäume. Nein, das passte irgendwie nicht zu seinem Vater. Seit dem Tod von Finduilas hatte Denethor sich für keine Frau mehr interessiert. Wenn ihm dannach war, dann suchte er ein gewisses Haus im zweiten Festungsring von Minas Tirith auf, um sich von Damen einer bestimmten Zunft verwöhnen zu lassen. Vorsichtig schlich er sich jetzt an die Hütte heran. Er wollte wissen, was sein Vater von dieser Frau wollte. Das Fenster stand einen Spalt offen.
„Ich brauche ein tödliches Gift, Frau Norna", sagte Denethor mit leicht zitternder Stimme zu der Hexe.
„Und deswegen seid Ihr von Minas Tirith bis hierher gekommen?" gurrte Norna und beugte sich zu Denethor hinunter, der auf einem Stuhl saß.
„Woher wisst Ihr, dass...", begann der Truchseß zu stammeln und begann erneut auf ihren Ausschnitt zu starren.
Schließlich sah er verlegen weg.
„Ich lebe hier zwar recht einsam, aber ich kann immer noch einen Stadtmenschen von einem Landbewohner unterscheiden", erwiderte Norna lächelnd. „Ihr tragt edel verarbeitete Kleidung, auch wenn sie auf dem ersten Blick einfach wirkt. Euer Pferd ist ein Rassehengst. Ich wette, Ihr seid eine hochgestellte Persönlichkeit in Minas Tirith, wenn nicht sogar der Truchseß selbst."
Sie zog rasch Denethors Kapuze zurück.
„Wie könnt Ihr es wagen!" entgegnete er empört.
„Ja, Ihr seid es: Denethor höchstpersönlich", meinte Norna belustigt.
Boromir wurde es inzwischen peinlich, diese Unterhaltung zu belauschen, denn er merkte, dass sein Vater diesem raffinierten Weibe nicht gewachsen war.
Warum steht er nicht einfach auf und geht fort? Dachte er verzweifelt. Und warum braucht er Gift?
„Ihr habt meine Frage immer noch nicht beantwortet, Truchseß", sagte Norna gurrend und verschränkte wieder die Arme.
„Man hat mir gesagt, Ihr hättet ein hochwirksames Gift, das auf der Stelle tötet und das Ergebnis wie eine natürliche Todesursache aussehen läßt", fuhr Denethor nervös fort.
Boromir war entsetzt, als er diese Worte seines Vaters hörte: wen wollte der Truchseß vergiften? Sein erster Gedanke galt den Elben, die momentan zu Besuch waren. Heru, oder gar Alatariel?
Der kalte Schweiß brach auf seiner Stirn aus.
„Ich nehme an, dass Ihr einen Euch nahe stehenden Menschen vergiften wollt, mein Herr?" fragte Norna böse lächelnd.
„Es geht Euch nichts an, was ich mit dem Gift vorhabe", blaffte Denethor zurück, der sich immer unbehaglicher fühlte. „Ich werde Euch immerhin reich entlohnen und Ihr braucht nicht mehr länger in dieser jämmerlichen Hütte zu hausen."
„Mir gefällt es hier ganz gut", erwiderte Norna gelassen. „Ich brauche Euer Gold nicht. Überlasst mir den schönen Hengst, der dort außen steht."
Boromir hielt den Atem an: würde sein Vater es wagen, Faramirs Hengst, der ein Geschenk von Fürst Imrahil war, einfach wegzugeben.
„Ich sagte Euch schon, dass dieses Pferd nicht mir gehört!" sagte Denethor ungehalten.
Auf seiner Stirn standen Schweißperlen.
„Der Besitzer wird sein Pferd bald nicht mehr benötigen", meinte Norna mit einem liebenswürdigen Lächeln.
„Woher wisst Ihr...?" ächzte Denethor und griff sich an den Hals.
Boromir brach in lautloses Schluchzen aus, als er das hörte. So grausam konnte sein Vater doch nicht sein! Er konnte doch nicht einfach seinen eigenen Sohn töten.
„Ich bin eine Hexe und beherrsche allerhand Zauberkünste", erwiderte Norna jetzt finster. „Seid froh, dass ich weiter nichts von Euch verlange als dieses Tier. Euch wird schon eine Ausrede einfallen. Ansonsten ist Euch doch Euer zweitgeborener Sohn auch egal."
Boromir hatte genug gehört. Mit tränenüberströmten Gesicht schlich er sich von der Hütte weg. Er beschloß auf schnellstem Wege nach Minas Tirith zurückzureiten. Er musste dort jemanden warnen.
