Lady: Denethors Plan ist wirklich danebengegangen. Noch ahnt er nicht, was wirklich geschehen ist...

Leonel: Boromir zeigt in dieser Story, wie leicht verführbar er im Grunde doch ist. Für Gondor würde er alles tun.

Meleth: Huhu! Hoffentlich hast du den Schock verdaut. Faramir fast vergiftet und Boromir als Mitwisser. Im nächsten Kapitel kommt dann auch die Reaktion von Heru.

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Kapitel 16: Hoffnung

Denethor saß in seinem privaten Kaminzimmer und wartete. Er thronte in seinem großen Sessel und starrte in das flackernde Kaminfeuer. Bald würde es überstanden sein. Faramir würde nicht leiden müssen. Die Hexe hatte versichert, dass es schnell und schmerzlos gehen würde. Dann hörte er Boromirs markerschütternden Schrei. Der Truchseß fluchte vor sich hin. Die Dienerschaft und die Wachen sollten nichts von dem Mord mitbekommen. Es sollte so aussehen, als ob Faramir an Herzversagen gestorben sei. Denethor würde dem Volk irgendetwas von einer geheimnisvollen erblichen Herzschwäche erzählen. Rasch verließ er seine Räume und ging den Korridor entlang. Boromir kam ihm totenbleich und tränenüberströmt entgegen.

„Sieh, was du angerichtet hast, Vater!"

Er packte den Truchseß unsanft am Unterarm und führte ihn in Faramirs Schlafgemach. Als Denethor Faramir leblos auf dem Teppich liegen sah, fing er an zu zittern. Er hätte nicht gedacht, dass es ihm so nahe gehen würde. Dann fiel ihm die tote Elbin auf.

„Oh nein", wimmerte er kläglich.

„Sie haben beide von dem Wein getrunken", sagte Boromir mit heiserer Stimme.

„Was sollen wir jetzt machen?" fragte Denethor durcheinander. „Was sollen wir Heru sagen?"

„Du sagtest doch selbst, dass das Gift nach gewisser Zeit nicht mehr nachweisbar ist", erwiderte sein Sohn.

„Wir werden das Ganze als ein Attentat auf die Truchseß-Familie hinstellen", überlegte Denethor laut.

Er lächelte listig.

„Ja, genau so werden wir es machen."

Der Truchseß schickte einen Diener, der Heru wecken sollte. Rasch lief der Kammerjunker durch die dunklen Korridore der Zitadelle, die nur von vereinzelten Fackeln erhellt wurden. Dann erreichte er die Kammer, in welcher der Elb schlief.

„Wacht auf, mein Herr!" rief er mit gedämpfter Stimme durch die Tür.

Wie alle Elben hatte Heru nur einen leichten Schlaf und war ziemlich schnell wach.

„Ihr müsst schnell mitkommen", bat der Diener. „Der Truchseß schickt mich: es ist etwas Schreckliches passiert."

Rasch zog sich Heru an und folgte dem Diener zu den Gemächern von Faramir. Dort standen Denethor und Boromir. Beide machten bestürzte Mienen.

„Ich hörte ein Poltern und Klirren, als ich draußen vorbeiging", erzählte Boromir mit Grabesstimme. „Dann bin ich schnell in Faramirs Zimmer und sah die Beiden hier so liegen."

Denethor hielt den Kelch hoch.

„Jemand hat die Beiden vergiftet", murmelte er betreten. „Es müssen die Haradrim-Spione gewesen sein, die seit einiger Zeit ihr Unwesen in der Stadt treiben."

Heru starrte entsetzt erst zu Alatariel, dann zu Faramir. Er hatte schon viel in seinem langen Leben mitgemacht, aber so eine furchtbare Tragödie hatte er noch nie erlebt."

„Das Attentat galt bestimmt der Truchseß-Familie", sagte Denethor heiser. „In Zukunft muß Jemand unsere Speisen und Getränke vorkosten."

Boromir sagte nichts dazu. Ihm liefen die Tränen über die Wangen. Er konnte es nicht fassen, dass sein Vater noch in der Lage war, so eine ausgeklügelte Lügengeschichte zu erzählen. Er kniete neben Faramir und strich ihm über das Haar. Heru beugte sich mit versteinerter Miene über Alatariel.

„Ich möchte, dass Alatariel in ihre Gemächer gebracht wird, damit ich sie für die Beisetzung vorbereiten kann", sagte Heru schließlich mit brüchiger Stimme.

Während er nach den Elbenkriegern, die sie begleitet hatten, schicken ließ, ließ Denethor die Einbalsamierer herbeirufen, damit sie Faramir mitnahmen.

„Was wird jetzt geschehen?" stieß Boromir mühsam hervor.

„Faramir wird nach seiner Einbalsamierung drei Tage aufgebahrt, damit das Volk Gondors von ihm Abschied nehmen kann", erklärte der Truchseß gefasst. „Dann werden wir ihn in Rath Dinen beisetzen."

Einige Soldaten kamen jetzt mit einer Bahre: sie legten Faramir darauf und brachten ihn weg. Boromir brach schluchzend auf dem Boden zusammen. Denethor legte bedrückt seine Hände auf Boromirs Schultern.

„Wir hatten keine andere Wahl", betonte er. „Sein Leben für deines. Es war eine gute Wahl."

Die Kaltblütigkeit seines Vaters ließ etwas in Boromir zusammenbrechen. Er begann plötzlich seinen Vater zu hassen wie noch nie.

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Ancir, der Einbalsamierer, hatte schon viele Tote vorbereitet für die Beisetzung. Als er jedoch Faramir erblickte, runzelte er die Stirn.

„Wann soll er denn gestorben sein?" fragte er die Soldaten, die ihn hergebracht hatten.

„Vor einigen Stunden", meinte Einer von ihnen achselzuckend.

Ancir befühlte Faramirs Haut: sie war noch warm. Das konnte nicht sein! Er legte seinen Kopf auf Faramirs Brust und hörte seinen Herzschlag.

„Er lebt!" stieß er schließlich überrascht hervor. „Bringt ihn zu den Heilern und sagt dem Truchseß Bescheid."

Denethor und Boromir saßen schweigend in der großen Halle, als einer der Soldaten hereingestürzt kam.

„Was gibt es?" fragte der Truchseß leise.

„Ihr hohen Herren!" platzte der Soldat aufgeregt heraus. „Ein Wunder ist geschehen: Faramir lebt."

Freudig sprang Boromir auf.

„Ich muß sofort zu ihm! Wo habt ihr ihn hingebracht?"

„Er ist in den Häusern der Heilung", sagte der Soldat lächelnd.

Boromir drehte sich zu seinem Vater um und sein Lachen erstarrte. Denethor saß mit düsterer Miene da und ballte die Fäuste. Rasch schickte der junge Mann den Soldaten weg.

„Warum ist er nicht tot?" presste der Truchseß mühsam hervor.

„Ich werde nicht zulassen, dass du Faramir noch einmal etwas antust", erklärte Boromir fassungslos. „Diese ganze Aktion hat gezeigt, dass man den Valar nicht ins Handwerk pfuschen darf. Alatariels Tod war die grausame Strafe dafür."

Er wandte sich ab und verließ die Halle. Er sah nicht, wie sein Vater lautlos schluchzend zusammensank.

§

Als Boromir die Häuser der Heilung betrat, kam ihm sofort Ioreth entgegen. Ihre Miene war sehr ernst.

„Ist Faramir wieder wach?" fragte der junge Mann als erstes.

Die alte Heilerin schüttelte den Kopf.

„Er hat einen schweren Schock erlitten. Seine Bewusstlosigkeit ist sehr tief. Er atmet kaum und sein Herzschlag ist sehr schwach. Diesen Zustand wird er nicht lange überleben. Ich gebe ihm höchstens noch zwei Tage, wenn er nicht bald aufwacht."

Boromirs Euphorie war mit einem Schlag gedämpft: sollte Faramir etwa doch noch sterben müssen? Er suchte die Kammer auf, in die man seinen Bruder gebracht hatte. Zwei Helfer von Ioreth hatten ihn ausgezogen und wuschen gerade seinen Körper mit lauwarmen Wasser ab.

„Vielleicht bringt das seinen Kreislauf wieder in Schwung", hoffte die Heilerin.

„Darf ich hier bleiben?" fragte Boromir bittend.

„Gut", entschied Ioreth nach kurzer Überlegung. „Weil Ihr sein Bruder seid."

Boromir legte seinen Umhang ab und holte sich einen Stuhl. Er wartete, bis Faramir gewaschen war und man ihm ein weißes Leinenhemd angezogen hatte. Dann setzte er sich an das Bett. Er nahm Faramirs Hand in die Seine.

„Bitte, Faramir, wach auf!", sagte er leise.

§

Gandalf trieb Macar unermüdlich voran. Endlich tauchten die Zinnen der Weißen Stadt vor ihm auf. Der Zauberer klopfte den Hals seines Pferdes.

„Mal sehen, ob ich in Minas Tirith nicht ein paar besondere Leckerbissen für dich auftreibe, mein Freund", meinte er zu Macar.

Der graue Hengst schnaubte freudig auf, als hätte er seinen Herrn verstanden. Als der Zauberer das Stadttor passierte, merkte er bereits, dass etwas anders war als sonst. Die Bürger standen in Gruppen zusammen und diskutierten. Kaum jemand ging konzentriert seinem Tagesgeschäft nach. Gandalf parierte den Hengst und hielt an.

„Was ist geschehen?" fragte er Anborn, einen Hauptmann der Stadtwache.

„Auf die Truchseß-Familie wurde ein schreckliches Attentat verübt", erzählte der Soldat aufgeregt. „Eine Elbenkriegerin, die Gast des Truchsessen war, ist an vergifteten Wein gestorben. Und Faramir hat offensichtlich auch von dem Wein getrunken. Man munkelt, dass er im Sterben liege."

Der Zauberer wurde schneeweiß im Gesicht. Er ritt sofort weiter. Rasch durchquerte er Zirkel für Zirkel. Die Leute, die auf den Straßen liefen, sprangen überrascht zur Seite, als er herangesprengt kam.

Im sechsten Zirkel lagen die Häuser der Heilung. Gandalf ahnte, dass sich dort Faramir befand.

Er gab sein Pferd einem Jungen.

„Bring Macar zu den Stallungen und reib ihn gut ab. Er ist sehr verschwitzt. Und dann gib ihm ein paar Karotten und große, schöne Äpfel!" befahl der Zauberer.

Er drückte dem Jungen noch eine Münze in die Hand und eilte in die Häuser der Heilung.

Ioreth atmete auf, als sie Gandalf erblickte.

„Mithrandir, Ihr kommt zur rechten Zeit", sagte sie erleichtert. „Vielleicht könnt Ihr Faramir helfen."

Der Zauberer antwortete nicht, sondern ließ sich von ihr in das Gemach führen, wo sich der junge Mann befand. Boromir befand sich noch immer am Bett seinen Bruders. Unter seinen Augen lagen tiefe Ringe und sein Gesicht war totenbleich. Er war vollkommen übermüdet.

„Er liegt schon seit fast zwei Tagen so da", erklärte Boromir leise.

Gandalf beugte sich über Faramir und untersuchte ihn. Er fuhr mit der Hand über sein Gesicht und konzentrierte sich angestrengt.

„Sein Lebenswille ist fast erloschen", murmelte er fassungslos. „In seinem Körper befindet sich kein Gift. Er muß etwas Schreckliches erlebt haben. Sein Zustand ist eine Art Selbstschutz für seine gebrochene Seele."

Boromir schwieg betroffen und senkte den Kopf.

„Wenn wir Faramir retten wollen, dann musst du mir sagen, was genau passiert ist", drängte der Zauberer.

Der junge Mann biß sich auf die Unterlippe. Gandalf sah ihn fast flehend an.

„Also gut", murmelte Boromir schließlich.

Leise und mit brüchiger Stimme erzählte er dem Zauberer alles, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte. Er ließ selbst Annatar und den Palantír nicht aus. Als Gandalf Annatars Namen hörte, erschrak er zutiefst.

„Du und dein Vater, ihr habt eine abscheuliche Tat begangen", sagte der Zauberer fassungslos. „Ihr beide tragt Schuld am Tode von Alatariel, auch wenn ihr es nicht wolltet. Wißt ihr denn nicht, wer Annatar ist?"

Boromir schüttelte den Kopf.

„Ich dachte, er sei ein Valar."

„Das ist er nicht", murmelte Gandalf und kratzte sich am Bart. „Er wäre gerne einer, so wie Morgoth, sein Herr. Annatar ist niemand anders als Sauron selbst."

Boromir schlug entsetzt die Hände vor den Mund.

„Schon seit vielen Jahrhunderten hat sich Sauron nicht mehr in der Gestalt des Annatar gezeigt", fuhr der Zauberer bitter lächelnd fort. „Er muß wieder sehr stark geworden sein. Womöglich hat er deinen Vater diesen Traum gesendet, um die Herrscherfamilie Gondors zu zerstören und um das letzte freie Königreich der Menschen an sich zu reißen. So, und jetzt werde ich versuchen, deinen Bruder wieder ins Leben zurückzuholen."

Er legte seinen Spitzhut ab und beugte sich über Faramir. Dabei murmelte er Worte in der Sprache der Maiar. Dann fuhr er mit der Spitze seines Stabes über Faramirs Gesicht. Boromir sah zweifelnd dabei zu. Plötzlich bemerkte er, wie Faramir aufseufzte und tief Luft holte. Dann schlug der junge Mann die Augen auf und blickte Gandalf überrascht an.

„Was ist geschehen?" fragte er hilflos.

Boromir fiel ihm weinend um den Hals.

„Ich bin so froh, dass du wieder erwacht bist, kleiner Bruder."

Faramir setzte sich vorsichtig auf und Boromir merkte, wie allmählich die Erinnerung in ihn zurückkehrte.

„Alatariel ist tot", murmelte der junge Mann bedrückt. „Boromir, warum habt ihr das getan?"

„Sauron hat den Verstand deines Vaters vergiftet", erklärte Gandalf an der Stelle Boromirs.

„Auch dein Bruder hat in den Palantír geblickt und Sauron in seiner elbischen Gestalt gesehen."

„Faramir, du musst mir verzeihen", schluchzte Boromir auf und kniete neben dem Bett seines Bruders nieder.

„Alatariel ist tot", wiederholte dieser fassungslos. „Ich möchte, dass du mich jetzt alleine lässt, Bruder."

Boromir blickte Gandalf fragend an. Doch dieser bedeutete ihm nur zu gehen. Schweren Herzens verließ der junge Mann die Häuser der Heilung.

Als Boromir fort war, wandte sich Faramir an Gandalf.

„Warum habt Ihr mich zurückgeholt, Mithrandir?" fragte er mühsam und Tränen bildeten sich in seinen Augen.

„Die Frau, die ich liebe, ist tot, und meine Familie würde es lieber sehen, wenn ich auch tot wäre."

Gandalf legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter.

„Dein Vater und Boromir wurden von Sauron geblendet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Traum, den dein Vater hatte, auch vom dunklen Herrscher selbst geschickt wurde."

„Ihr seid Euch ziemlich sicher, aber Ihr wisst es nicht genau", seufzte Faramir und blickte unglücklich zur Seite.

„Faramir, komm' mit mir!" bot der Zauberer an. „Verlaß Gondor. Dein Vater hat nicht mehr das Recht, dich hier zubehalten. Schließe dich den Waldläufern des Nordens an. Angeführt werden sie von Aragorn, dem berühmtesten und tapfersten Krieger dieses Zeitalters. Er ist ein guter Freund von mir. Ich weiß, dass er dich gut behandeln wird."

„Aragorn, Arathorns Sohn", murmelte Faramir nachdenklich. „Man munkelt, er sei Isildurs Erbe. Ist das wahr?"

Gandalf nickte feierlich.

„Fürwahr, das ist er. Doch Aragorn zieht es vor, im Exil zu leben. Vielleicht kommt irgendwann einmal die Zeit, wo Gondor einen König braucht. Dann wird er zurückkehren nach Minas Anor."

Faramir blickte den Zauberer skeptisch an, sagte aber nichts.

„Schlafe jetzt, mein Freund", sagte Gandalf sanft. „Morgen früh wirst du dich schon kräftiger fühlen."

§

Zur gleichen Zeit verließ Heru mit der Eskorte von Elbenkriegern die Stadt. Sie führten eine Karre mit sich, auf der sich Alatariels Sarg befand. Unten am Fluß war ein Scheiterhaufen errichtet worden, auf den Alatariels Leiche verbrannt werden sollte. Heru wollte die Asche des Mädchens ins Meer schütten, wenn er nach Valinor segelte.

Gandalf stellte sich zu Heru und den Galadhrim, während der Scheiterhaufen brannte.

„Wie geht es Faramir?" fragte der alte Elb bedächtig.

„Er wird am Leben bleiben", erklärte Gandalf bedrückt. „Doch er wird Gondor verlassen. Der Verstand seines Vaters wird sich bald vollkommen in Wahnsinn verwandeln. Und dann ist Gondor wohl verloren. Auch Boromir wird das Land nicht retten können. Er ist nur ein Handlanger seines Vaters, der ebenfalls bald der Macht des Palantírs erliegen wird."

„Die Wiederkehr des Königs wird nicht mehr lange auf sich warten lassen", murmelte Heru und lächelte wehmütig.

Einige Stunden später war der Scheiterhaufen abgebrannt und die Elben füllten Alatariels Asche in ein bronzenes Gefäß, während sie Klagelieder sangen.

Heru wandte sich noch einmal an den Zauberer.

„Ich werde Mittelerde verlassen, Mithrandir. Die Welt ist bereits im Wandel. Ich spüre es. Ein neues Zeitalter naht. Ich kann nicht sagen, ob es ein helles oder dunkles Zeitalter wird. Doch die Veränderung kommt. Sag' Faramir, dass ich ihm nicht zürne. Auch die Herrin von Laurélindorenan zürnt ihm nicht. Alatariels Schicksal war von den Valar so vorbestimmt. Ich fühle, dass Faramir den richtigen Weg gehen wird."

Er setzte sich auf sein Pferd und die Krieger taten es ihm gleich. Dann winkte er Gandalf noch einmal zu.

Das war das vorletzte Kapitel