10.Verrat

Severus Snape stütze sich auf seinem Schreibtisch ab. Es fiel ihm wie so oft in den letzten Tagen schwer die Fassung zu bewahren. Gerade war Ronals Weasley gegangen. Ronald Weasley… unter normalen Umständen hätte Snape ihn sofort wieder zur Tür hinaus befördert. Aber dies waren keine normalen Umstände. Und Snape konnte es dem jüngsten der männlichen Weasley- Sprösse nicht absprechen, dass auch er sich um Hermine sorgte. Eine tiefe und beängstigende Sorge.

Seine Suche war erfolglos geblieben. Niemand hatte Hermine gesehen. Und der einzige, der noch übrig war, der einzige mit dem er nicht gesprochen hatte, der blieb ihm verschlossen. Lucius Malfoy. Man hatte ihm ein Verbot erteilt sich dem Haus der Malfoys ohne Erlaubnis zu nähern. Warum auch immer. Fudge war ein Idiot, ein Narr, der nach all den Jahren des Krieges noch immer nichts begriffen hatte. Ein Narr mit den falschen Freunden.

Unter anderen Umstände hätte Snape sich niemals an das Verbot gehalten, doch er war nun nicht mehr für sich alleine verantwortlich, da war noch jemand, für den er da sein musste: Hermine. Und Fudge hatte klar zum Ausdruck gebracht wohin es führen würde, sollte er sich dem Verbot widersetzen: nach Azkaban. Dumbledore hatte ihn gebeten sich an die Auflagen zu halten, die Stellung der Ordensmitglieder war noch immer nicht gefestigt und noch immer drohten zu viele Gefahren, als dass man den Verlust auch nur eines der Mitglieder riskieren konnte. Dumbledore hatte Zaubereranwälte ausgesandt, sogar Rita Skeeter war auf die Sache angesetzt und hatte Hermines Verschwinden publiziert und bekannt gemacht, dass die Untersuchungen von höchster Stelle boykottiert wurden. Sie hatte dafür ein rührendes Interview von Harry Potter erhalten, Rita Skeeter liebte noch immer Geschichten über Harry Potter.

Weasley. Lange hatte Snape nichts von ihm gehört, dann stand er an diesem Abend plötzlich vor Snapes Tür. Scheinbar hatte er ganz England nach Hermine angesucht, war sogar in die Mugglewelt gegangen in der Hoffnung sie dort zu finden. Doch erreicht hatte er nichts. Snape mochte Ronald Weasley nicht, nein, er verabscheute ihn dafür, dass er versucht hatte ihm das Liebste zu nehmen, was er hatte: Hermine. Doch an diesem Abend war es anders gewesen, zum ersten Mal hatten sie etwas Gemeinsames erfahren, diesen Schmerz, den nur die Männer empfinden konnten, die Hermine wirklich liebten. Es war alles anderes gewesen.

Nervös griff Snape zu einigen Zetteln die auf seinem Schreibtisch lagen, es waren Hausaufgaben der Fünftklässler, die bis zum nächsten Mittag korrigiert werden mussten. Es musste sein, auch wenn Snape nicht glaubte, sich auch nur einen Moment auf das Geschriebene konzentrieren zu können.

Gedankenverloren ließ er seinen Blick über das erste Blatt wandern.

Poch Poch Poch!

Erschrocken zuckte er zusammen. Wer klopfte um diese späte Zeit noch an seine Tür? Sicherlich hatte Filch wieder einen der Schüler im Flur entdeckt und wollte nun, dass ausgerechnet er, Severus Snape, den Missetäter bestrafte.

„Ja?"

Die Tür öffnete sich langsamer als gewöhnlich. Ärgerlich zog Snape eine Augenbraue hoch. Konnte es tatsächlich sein, dass ein Schüler es wagte ihn um diese Zeit in seiner Ruhe zu stören?

Die Gestalt, die sein Büro betrat, trug einen langen dunkelblauen Umhang dessen Kapuze sie ins Gesicht gezogen hatte. Leise schloss die Person die Bürotür.

„Was wollen Sie?"

Die Gestalt sah nicht zu ihm hoch.

Verärgert stand Snape auf. „Wer sind Sie?"

Langsam zog sie ihre Kapuze zurück.

„Narzissa?"

Wie lange hatte Snape Narzissa Malfoy nicht mehr gesehen? Es war vor dem Auftauchen von Cathrin gewesen, bevor Hermine… Hermine…

„Kann ich dich sprechen?" Ihre Stimme war kühl wie immer, undurchsichtig und einsam.

„Sicher", er deutet auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand, doch Narzissa schüttelte den Kopf.

„Ich habe nicht viel Zeit." Mit einer seidigen Handbewegung schob sie die Kapuze zurück und ihr langes Haar fiel herab. Es glänzte auf dem dunkelblauen Stoff, wie Sterne in der Nacht. Sie war schön, noch immer. Snape erinnerte sich noch genau an die Zeit, als er sei zum ersten Mal gesehen hatte, er war so alt gewesen, wie Hermine jetzt. Sie hatte ihn bezirzt, vermutlich nur, um nicht Lucius heiraten zu müssen. Sie war schwächer gewesen als heute, ein dummes kleines Mädchen, das nichts mehr gefürchtet hatte, als Lucius zu heiraten. Sie hatte ihn geküsst, einmal, doch er hatte ihren Kuss nicht erwidert, zu sehr hing er einer anderen Liebe nach, die er zu dem Zeitpunkt noch zu gewinnen dachte. Er war jung. Und es war bevor er Cathrin begegnete. Er hatte sie gemocht, aber nicht so sehr… Sie hatte Lucius geheiratet, mit Tränen im Gesicht und einer Anklage in ihrer Stimme. Er hatte nicht auf ihren Hilferuf gehört. Lange hatte sei kaum miteinander gesprochen. Doch mit der Zeit lebte sie sich in Malfoy Manor ein, Lucius war charmant und sanft. Er behütet sie wie einen Schatz. Und schließlich war Narzissa bereit gewesen auch ihm, Severus, zu verzeihen, dass er sie einst abgewiesen hatte.

„Was kann ich für dich tun?" Seine Stimme war sanfter, als er es beabsichtigt hatte. War Narzissa doch Lucius Frau… Lucius…

„Severus…" Ihre Stimme stockte. Sie wandte den Blick von ihm ab.

Snape sah sie an. Verwirrt. Welch Schwäche sie zeigte. Und dann sah er die kleinen Tränen, die ihre Wange herab perlten.

Langsam ging er auf sie zu und legte eine Hand auf ihre Schulter.

„Was ist mit dir?"

Sie schüttelte leicht den Kopf. Sie erschien ihm plötzlich so kraftlos, so als hätte sie einen langen Kampf ausgefochten, mit sich selbst.

Dann sah sie ihm plötzlich in die Augen, Augen wie Nebelschwaden im Morgengrauen gefüllt mit Regentropfen.

„Du musst ihr helfen", sagte sie leise.

„Wem?"

Sie schwieg.

„Narzissa, wovon sprichst du?" Seine Stimme wurde rau, als die Ahnung von ihm Besitz ergriff.

„Du weißt von wem ich spreche, du suchst sie und er hat sie… Severus… Lucius wird sie noch umbringen."

Seine Hand glitt von ihrer Schulter, finster starrte er sie an.

„ER? UND DAS SAGST DU… SAGST DU JETZT!" Er riss seinen Zauberstab aus der Tasche und wollte an ihr vorbei stürmen.

„Warte…"

„WARTEN? WORAUF?"

„Du wirst dort nicht zaubern können, Severus, er hat einen Bann über unser Haus gelegt. Du wirst ihr nicht helfen können… nicht allein."

Er drehte sich zu ihr um. Ihr Blick war trübe, ihre Hände zitterten.

„Es ist Verrat", sagte sie leise.

„DU willst mir helfen?"

Eine weitere Träne lief ihre Wange hinab. Dann nickte sie. „Er wird sie umbringen… oder Schlimmeres…"

Konnte es sein? Was hatte Lucius getan? Narzissa war nicht zimperlich, sie hatte getötet, sie hatte sterben sehen. Was hatte Lucius getan? Das kalte Grausen packte Snape. Was hatte Lucius seiner Geliebten angetan?

Heftig riss er Narzissa an ihren Schultern zu sich heran. „WAS HAT ER GETAN?" Fast verlor Snape die Kontrolle über sich, fast kam das alte Monster wieder hervor, dass er so tief begraben hatte.

Sie wandte den Blick ab von ihm. „Frage mich das nicht, Severus."

„WAS?"

Plötzlich sah sie ihn wieder an, Blitze schienen aus ihren Augen zu sprühen. „DU tust mir weh", fauchte sie.

Erschrocken ließ Snape sie los. „Was hat er getan, Narzissa, was?"

„Ich sagte dir, dass du mich nicht fragen sollst… es… sie wird es dir sagen, wenn sie es für richtig hält… sie nicht ich." Ein Zittern ging durch Narzissas Körper.

Doch sie brauchte nichts mehr zu sagen. In ihren Augen sah er das Leid und den Schmerz, den sie erblickt hatte, so heftig, dass selbst sie es nicht ertragen hatte.

NEEEIIIIIIIIINNNNNN! Alles in seinem Körper schrie.

NNNNNNNNEEEEEEIIIIIIIINNNNN!

„Ich werde jetzt gehen, Severus. Folge mir in einer halben Stunde. Er darf keinen Verdacht schöpfen, wenn du kommst…" Sie wollte an ihm vorbei zur Tür gehen, doch er hielt sie zurück.

„Und was ist mit dir?" Er wusste, was Lucius Malfoy mit Verrätern tat, er hatte es oft genug gesehen. Und Snape war sich nicht sicher, ob er es nicht auch mit seiner eigenen Ehefrau tun würde. Schmerz und Leid, Lucius Malfoy hatte schon zu viel davon in die Welt gebracht.

„Denk nicht an mich… er wird mir nichts tun. Auch ein Lucius Malfoy erträgt es nicht, ganz allein zu sein." Narzissa lächelte Snape verkrampft an. Ein Maske, die ihre Gefühle so oft verborgen hatte. Eine Maske, die nun Kratzer bekommen hatte.

„Das ist Verrat, Narzissa."

„Ich weiß."

Snape sah sie an. Hatte er sie so falsch eingeschätzt? Es schien ihm plötzlich, als kannte er sie nicht. Diese kühle, herzlose Frau, die sie gewesen war, sie war einfach verschwunden. Narzissa, die ihren Sohn in einer Gefühlskälte hatte aufwachsen lassen, um ihn dann mit all ihrer Liebe vor jeder Widrigkeit zu schützen. Der Widerspruch war immer in ihr gewesen. Doch nie so stark, wie in diesem Augenblick.

„Warum tust du das?"

„Weil ich ihn einmal geliebt habe."