11.Dunkler Engel

Hermine zog den Mantel enger um sich. Sie fror, obwohl die Sonne die Fensterbank beschien auf der sie saß. Wie hatte das passieren können? Wie hatte es nur so weit kommen können? Diese Leere, die Stille war einem Schrei in ihrem Innern gewichen.

Als sich die Tür öffnete, zuckte sie zusammen. Da war ER. Er kam zurück, einfach so, als wäre nie etwas geschehen. Sie starrte ihn an. Fassungslos.

Sie wusste, dass sie sich fürchten sollte, doch sie tat es nicht. Warum nicht? Warum nicht?

Er betrat langsam den Raum, öffnete die schwere Schranktür und nahm achtlos ein Kleid aus dem Schrank. „Zieh das an", sagte er kühl. Er schämte sich nicht, nicht ein bisschen. Seine Augen trafen die ihren, eiskalt wie immer.

Wenn du mich anfasst… wenn du mich anfasst, bringe ich dich um. Sie wusste, dass es wahr war, er würde sie nicht noch einmal anfassen. Sie würde ihn umbringen und wenn sie selbst dabei starb. Das war ihr egal. Vollkommen gleichgültig. Doch er hatte kein Recht. Rühr mich nicht an, dachte sie, rühr mich nie wieder an.

Doch als er näher kam, sah sie etwas anderes in seinen Augen. Langeweile! Es langweilte ihn, dass sie litt.

Die Erkenntnis schmerzte, schmerzte mehr, als all die Erniedrigung. Er hatte seine Bedürfnisse gestillt und nun war sie ihm egal.

„Worauf wartest du, zieh das an." Er schmiss ihr das Kleid zu.

Fassungslos starrte sie erst auf ihn, dann auf das Kleid.

„Nun stell dich nicht so an… als ob ich dich nicht schon so gesehen hätte… nackt."

Wie er das letzte Wort aussprach: Nackt. So verächtlich, so kalt. Es war, als bildete sich eine frostige Schicht auf ihrer Haut. Plötzlich schien es Hermine, als läge sie wieder vor ihm, hilflos, weinend und ohne Kraft. Der Schmerz in ihrem Magen erweiterte sich zu einem Reißen, das ihr fast den Verstand raubte.

Langsam nahm sie das Kleid, presste es an sich, wie zum Schutz und drängte sich an ihm vorbei ins Badezimmer. Heftig warf sie die Tür ins Schloss und drehte den Schlüssel herum. Sein Lachen drang durch die Wände zu ihr.

Es war ein feines Kleid aus einem silbrigen Gewebe, gemacht für ein Fest, einen Ball. Was wollte er feiern? Den Triumph? Den Sieg über sie?

Wie sie ihn verachtete, wie sie sich selbst verachtete.

Sie entkleidete sich und streifte sich dann den weichen, kühlen Stoff über, er schmiegte sich an ihren Körper wie eine zweite Haut.

Warum tat sie das? Warum gehorchte sie ihm?

Schweigend betrachtete sie sich im Spiegel. Sah man es ihr an? Sah man den Schmutz, der an ihr klebte?

Ihre Haut war blass und weich wie immer. Die Wunde an ihrer Schulter und die blauen Flecke wurden durch das Kleid verborgen.

Nichts deutete mehr auf das hin, was geschehen war. Nichts, außer der trostlose Blick in ihren Augen. Sie hatten ihren alten Glanz verloren. Stumpf und reglos erschienen sie ihr.

Hermine band sich mit einem Band das Haar zusammen. Betrachtete sich erneut, schnitt sich selbst eine Fratze. Das Kleid war wunderschön. Bis zu den Hüften hauteng, dann weit ausladend mit einer kurzen Schleppe. Am Hals ein Stehkragen mit feiner Blütenstickerei, der ihren zarten Hals noch mehr betonte.

Umso mehr sie sich betrachtete, desto mehr hasste sie sich. Hasste die Person, die sich so bereitwillig in dieses Kostüm stecken ließ.

„Komm raus."

Seine Stimme durchschnitt die Stille, wie die Klinge eines Dolches, ein Dolch der durch weiches Fleisch glitt. Ihr Fleich.

Wie von Geisterhand drehte sich der Schlüssel im Schloss und bevor Hermine reagieren konnte öffnete sich die Tür.

Und da war er, erneut er.

„Komm", sagte er kühl, „wir haben Besuch."

Er stand mit dem Rücken zur Tür, als sie eintraten. Doch er brauchte sich nicht umdrehen. Sie kannte ihn, kannte ihn so, wie keinen anderen Menschen. Liebte ihn, wie keinen anderen Menschen. Er war hier. Er war gekommen.

Tränen brannten in ihren Augen. Sie öffnete die Lippen, um etwas zu sagen. Schloss sie jedoch wieder, als sie den Druck von Lucius Hand auf ihrer Schulter spürte.

Er war hier. Er war gekommen.

„Willkommen, Severus", sagte Lucius Malfoy.

Langsam drehte er sich um. Und dann trafen Severus Snapes Augen die ihren. Schwarze traurige Augen. Augen, die sie voll Verwunderung anstarrten.

Da stand sie. Als wäre nie etwas geschehen. Nein, nicht ganz so. Sie war schöner, noch viel schöner, als er sie in Erinnerung hatte. In ihrem Kleid, das aus reinem Licht zu bestehen schien. Das Haar zurück gebunden und einzelnen Strähnen, die in ihrem Gesicht tanzten, wie Fäden aus Gold. Tanzten wie Herbstlaub im Wind.

„Hermine", ganz leise sprach er ihren Namen aus.

„Severus, es freut mich dich zu sehen. Meine neue Partnerin Hermine Granger brauche ich dir sicherlich nicht vorzustellen…" Lucius Malfoys Hand glitt durch ihr Haar, öffnete das Band das es zusammen hielt und ließ dem Spiel aus Gold freien Lauf.

Er sagte nichts, suchte nur den Blick ihrer Augen. Trostlos, leer.

Hatte sich nichts geändert? War sie noch immer so, wie sie ihn verlassen hatte?

Lucius lächelte, als er Hermine weiter in den Raum schob.

Sie stand direkt neben ihm, sein rechter Arm war um ihre Hüfte gelegt.

Wie konnte er? Wie konnte dieser Bastard es wagen?

Snape funkelte Lucius Malfoy wütend an. „Lass sie los." Seine Stimme war bedrohlich leise.

Doch Lucius Malfoy grinste nur hämisch. „So sentimental, mein lieber Severus?" Dann zog er Hermine noch enger an sich heran.

Severus Snape starrte Lucius an, dann sah er zu Hermine hinüber. Wie gerne hätte er in ihren Augen die Wahrheit gelesen, doch ihre Augen waren noch immer eisig und kalt. Lucius Malfoy strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, küsste ihre Wange und hauchte ihr etwas ins Ohr das er nicht verstand.

„Wage es nicht Hoffnung zu haben, meine Kleine. Er ist verloren… so wie du. Er wird dieses Haus nicht mehr lebend verlassen. So wie du immer hier bleiben wirst. Du gehörst mir."

Sie wollte sich zu ihm umdrehen, wollte ihm ins Gesicht spucken, doch wieder gehorchte ihr Körper nicht ihrem Geist.

Hilflos blickte sie zum dem Mann, den sie so sehr liebte. Wie gerne wollte sie es ihm sagen, wie gerne wollte sie zu ihm gehen, ihm in die Arme fallen… wie gern…

Sie konnte nicht, sie… Lucius Hände brannten auf ihrer Haut. Sie fühlte sich so nackt, so entblößt.

Ich bring dich um, ich…

Was würde sie für einen Stab geben, was dafür ihn mit Flüchen zu überhäufen. Warum hatte sie es nicht getan, als er ihr die Möglichkeit dazu gegeben hatte. Jetzt war es zu spät. Keine Kraft, keine Kraft mehr.

Sie versuchte Severus nicht anzusehen, ihr Blick glitt durch den Raum immer auf der Suche nach etwas an dem sie sich festhalten konnte. Bücher. Regale voll von Büchern. Früher wäre sie begeistert gewesen, hätte sich mit Neugier auf all das gestürzt. Bunt schimmerten die Bände in den dunklen Holregalen, glänzten in dem Licht, das durch das einzige Fenster im Raum herein fiel. Manche Einbände waren neu und noch fast unberührt, doch die meisten waren vergilbt und ausgeblichen. Der Geruch alten Papiers hing in der Luft. Früher hätte sie tief eingeatmet und ihn in sich aufgesogen. Früher glaubte sie, dass das Leben in diesen Büchern verborgen lag. In alten Büchern, die all das Wissen der Menschheit in sich gespeichert hatten. Doch jetzt? Nirgends hatte gestanden, wie das Leben wirklich ist. Niemand hatte ihr die Grausamkeit erklärt. Niemand hatte sie auf das vorbereitet, was in ihrem Leben geschehen war. Sie fühlte sich noch einsamer zwischen all den Büchern. Zwischen zwei Männern, die um sie kämpften. Der eine, den sie hasste und der andere, den sie mehr liebte, als ihr eigenes Leben.

Als Severus Snape seinen Stab zog, hoffte sie es sei vorbei.

Lucius Malfoy lachte. „Was soll das werden, Severus? Sie gehört jetzt mir. Finde dich damit ab."

Severus Snape spürte wie sich ihm der Magen umdrehte, als Lucius seine Hand Hermines Körper hinab wandern ließ, zärtlich ihren Busen streichelte. Warum wehrte sie sich nicht, warum…? Hilflos sah er sie an. Hatte sie ihn verraten? Zog sie Lucius Malfoy vor? Verzweifelt und wütend zugleich starrte er sie an. Oder hatte sich einfach nichts geändert und alles war ihr gleichgültig

Am liebsten hätte sie geweint und geschrieen. Sie ertrug es nicht, ertrug nicht diese Erniedrigung. Alles wäre zu ertragen gewesen, aber nicht, dass Lucius Malfoy seine Spiele vor Severus Augen spielte. Sie wollte sich wehren, aber es würde alles nur noch schlimmer machen. Lucius würde seine Macht über sie demonstrieren und dann würde Severus alles erfahren. Das durfte nicht geschehen, niemals.

Ich habe dich betrogen, Severus, ich habe dich betrogen, als ich mich nicht gegen ihn auflehnte. Ich habe unsere Liebe betrogen. Ich jetzt wünschte ich mir, ich sei tot. TOT.

Sie konnte nicht weinen. Sie konnte nicht schreien. Konnte ihn nur anstarren in der Hoffnung, dass er begriff und ihr half. In der Hoffnung, dass er sie erkannte. Doch wie sollte er, waren ihre Augen doch so glanzlos und leer, wie schon viel zu lange. Sie hatte es selbst gesehen, als sie in den Spiegel blickte. Severus starrte in eine regungslose Maske. Er würde sie nicht sehen.

„Wenn du sie noch einmal anrührst, bringe ich dich um."

Lucius lachte auf. „Dann tu es doch."

Snape ging auf ihn zu, riss den Stab auf. Wut, es war nur noch Wut, die er in sich spürte. Die alte längst besiegt geglaubte Wut kehrte zurück. Der alte Dämon in ihm erwachte. Er würde ihn töten. TÖTEN. Er würde das lachen für immer aus seiner hässlichen Fratze verbannen.

„Oh, Severus, jetzt haben meine Süße und ich aber Angst vor dir."

Sein Hohn ließ Severus erbeben. Er würde es lernen, er würde…

„CRUCIO!" Severus Snape war sich nicht bewusst diesen Spruch ausgesprochen zu haben. Plötzlich hing er im Raum und konnte nicht mehr zurück genommen werden. Er hatte ihn gesprochen, einen der Unverzeihlichen. Snape glaubte Lucius würde unter Schreien zusammen brechen, so viel Kraft wie er in diesen Spruch investiert hatte. Doch nichts dergleichen geschah. Nur das Lachen voller Hohn und Spott und seine Hand auf Hermines Körper.

„Von dir hätte ich mehr erwartet, Severus. Du solltest es eigentlich wissen. Dieses Haus ist geschützt, mein Lieber. Nur ein Familienmitglied oder derjenigen, dem ich es erlaube ist in der Lage hier zu zaubern. Und dir erlaube ich es nicht…", er sah Snape an, seine grauen Augen verdunkelten sich durch den Schatten, der auf Lucius Seele lag, „du hättest dich nicht gegen mich wenden sollen. Hier bist du machtlos."

Fassungslos ließ Snape den Stab sinken. „Ich…"

„Du wirst Hermine niemals mit dir nehmen… du bist machtlos in meinem Haus. Due kannst hier nicht Zaubern, alter Freund."

Für einen Moment versank der Raum in eisiger Stille, nicht einmal ein Atemzug war zu hören.

„Er nicht Lucius… aber ich… STUPEFY!"

Der Schrecken des Augenblicks blieb in Lucius Malfoys Gesicht zurück, als er reglos zu Boden fiel. Der Schreck und das Entsetzen, dass seine eigene Ehefrau ihm ins Gesicht gezeichnet hatte.

„Verzeih", sagte Narzissa leise zu Lucius reglosen Körper gewandt und dann lächelte sie Snape und Hermine zu.