13. Flucht
„Komm Hermine, wir müssen uns beeilen, wir dürfen nicht anhalten, bis wir die Ländereien der Malfoys verlassen haben. Wir können nicht apperieren, hörst du? Wir müssen Laufen. Und zwar schnell, bevor Lucius erwacht, oder Narzissa es sich anders überlegt." Er hielt sie an der Hand und zog sie hinter sich her. Seine Schritte waren so schnell, dass Hermine ein paar Male stolperte. Doch er fing sie jedes Mal wieder auf.
Regen prasselte auf sie hernieder, während sie über die Wiesen rannten. Das Grau der Wolken, hatte auch dem Gras und den Bäumen ihre Farbe geraubt. Sie waren blass und trist.
Hermine hatte etwas zu ihm sagen wollen, als er sie aus der Bibliothek, heraus aus dem Haus geschoben hatte, aber er hatte ihr keine Zeit gelassen, hatte sie mit sich fort gezogen in den Regen hinaus. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt sich einen Mantel über zu ziehen. Jetzt klebte der Stoff ihres dünnen Kleides nass an ihrem Körper. Ihr war so kalt, dass sie am ganzen Körper zitterte. Doch das Schlimmste war, dass sie sich noch nackter fühlte als zuvor.
„Komm Hermine, nur noch ein winziges Stück. Siehst du den Baum da vorne, siehst du, er markiert die Grenze zu Malfoys Ländereien. Wir haben es fast geschafft."
Er sprach mit ihr, wie mit einem kleinen Kind. Glaubte er sie verstünde ihn nicht? Sie hatte mehr Grund hier fort zu wollen, als er. Sie hatte Angst!
Er schleifte sie weiter mit sich und sie hätte am Liebsten geweint. Immer wieder glaubte sie Schritte zu hören, glaubte sein Lachen hinter sich zu vernehmen und jedes Mal wieder versetzte es ihr einen Schlag in den Unterleib. Sie war erschöpft und müde. Hatte sie doch die Nacht zuvor nicht geschlafen und die Nacht davor. Zwei Tage? Waren erst zwei Tage vergangen seit er? Übelkeit würgte sie. Kaum vermochte sie mit Severus Schritt zu halten. Ihr Bauch schmerzte und ihr Atem schien jeden Augenblick aussetzen zu wollen. Sie konnte nicht mehr.
Plötzlich hielt er an. „Wir haben es geschafft", sagte er und deutete zu dem Baum hinüber, den sie schon von weitem gesehen hatten. Es war eine Trauerweide mit hängenden Zweigen an denen sich das Regenwasser perlte. Es war als wüchsen Tränen an seinen Ästen.
Hermine sah nur kurz zu dem Baum hinüber, senkte dann wieder den Blick. Er sollte nicht sehen, dass auch sie begonnen hatte zu weinen, so wie dieser Baum.
Er berührte sie sanft an der Schulter. „Lass uns hier einen Moment Pause machen, bevor wir nach London apperieren, ja, Hermine?" Er berührte sie sanft an der Wange.
Hermine zuckte zusammen, fast hätte sie aufgeschrieen. So hatte es begonnen. So hatte es an diesem Tag auch angefangen. Ganz sanft und mit einem Gedanken an Severus. Und dann…
Sie löste sich mit einer heftigen Bewegung von ihm und wich zurück. Noch immer sah sie ihn nicht an. Langsam ging sie zu dem Baum hinüber, kroch unter seine Zweige, setzte sich auf den feuchten Boden und lehnte sich gegen den harten Stamm des Baumes. Das Holz stach durch ich dünnes Kleid hindurch und bohrte sich in ihre Haut. Doch es schmerzte nicht mehr, als die anderen Wunden an ihrem Körper.
Langsam kam er ihr nach. „Du bist ganz nass", sagte er leise, „du wirst noch krank." Er zog seinen Stab und sprach einen Trockenzauber auf sie. Dann zog er seine Robe aus, so dass er nur noch in dem dünneren Anzug da stand, den er immer darunter trug. Seine Robe legt er ihr wie einen Mantel um die Schulter. Hermine beobachtete ihn dabei. Er war zärtlich und sanft. Doch warum fürchtete sie sich so? Warum fürchtete sie die Berührung seiner Hände. Er war Severus, nicht Lucius… er würde sie nicht verletzen. Der Duft der Robe stieg in ihre Nase, sein Duft, seine Wärme. Wie hatte sie es genossen. Doch jetzt? Jetzt war alles hinter einem düsteren Schleier der Angst verschwunden.
Er sah sie an ohne ein Wort zu sagen. Er wusste nicht, was er denken sollte. Erst hatte er geglaubt, sie hätte sich nicht verändert und es sei die Kälte ihres Herzens, die sie so sein ließ, doch jetzt konnte er nicht mehr so Recht daran glauben. Er sah etwas anderes in ihren Augen. Schmerz und Angst. Angst vor ihm. Angst vor seinen Berührungen. Und eine dunkle Ahnung stieg in ihm auf, was Lucius Malfoy ihr angetan hatte.
Er kniete sich vor sie und nahm ihre Hand. Wieder zuckte sie zusammen. „Hermine…", für einen Moment versagte ihm die Stimme, „Hermine… es… du… du brauchst keine Angst zu haben. Nicht vor mir. Du… du wirst bald zu Hause sein… und…"
Er spürte, wie sich ihre Hand fester ums eine schloss. Snape sah ihr in ihre dunklen Augen, sah die Tränen, die aus ihnen hervor quollen. Er wollte sie fort wischen, doch fürchtete er, dass sei wieder vor ihm fliehen würde.
„Ich bring dich heim", sagte er leise.
Dann trat er dicht an sie heran und zog sie hoch. Als er seinen Arm um ihre Hüfte legte, spürte er, wie sie sich verkrampfte und dann zu zittern begann. Liebes, Armes… ich wünschte ich könnte dir helfen… ich wünschte du würdest mit mir reden.
„Schhht…", flüsterte er, „schhhht…"
Sie wünschte sich ihm vertrauen zu könne, nicht zittern zu müssen, nicht fürchten zu müssen. Hermines Beine brachen weg, doch er hielt sie.
„Hermine, hör mir zu… ich werde dich tragen, wenn wir apperieren… hab keine Angst, bitte", seine Stimme klang so verzweifelt.
Ich habe keine Angst vor dir, ich… es ist nur… Immer wieder tauchte Lucius Bild vor ihrem inneren Auge auf und immer wieder…
Er nahm sie hoch, presste sie ganz fest an sich. „Keine Angst", flüsterte er. Seine Wärme und seine Zärtlichkeit umfingen sie, betteten sie sanft. Und für einen Augenblick glaubte sie der Angst entflohen zu sein.
