Prolog

Der Ventilator summte leise in dem großen Wohnzimmer mit den sorgfältig ausgesuchten Möbeln und dem Ledersofa, doch die schwüle Luft Miamis ließ sich nicht vertreiben. Wie eine unsichtbare Mauer schloss sie sich um den Mann, der auf dem Sofa saß und den kleinen Spiegel auf dem Couchtisch anstarrte. Doch mit einem Mal ballte er seine rechte Hand zu einer Faust und der Spiegel ging zu Bruch. Scherben flogen herum und verwandelten die dunkle Holzoberfläche des Tisches in ein Mosaik aus reflektiertem Licht. Den Mann schien das Blut an seinen Fingern nicht zu stören. Er nahm eine der größeren Scherben und drehte sie hin und her. Ein kleines Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht.

„Scherben bringen Glück, nicht wahr?", fragte er in den Raum hinein und wusste doch, dass ihm hunderte Kilometer entfernt, in einer blühenden Oase inmitten der Wüste, jemand zustimmen würde. „Ja, sicher tun sie das, fragt sich nur wem", und mit diesen Worten schloss er die Wohnungstür ab und machte sich auf dem Weg zu seinem ersten Opfer.


Alte Bekannte, neue Fälle

Horatio Caine verließ gerade einen der Konferenzräume im Marriot Hotel in Los Angeles, als ihn Peter James, der Leiter des Kriminallabors der Stadt und Organisator des diesjährigen Treffens der CSI-Chefs abfing. Horatio und Peter kannten sich aus ihren gemeinsamen Tagen an der Universität in Miami und hatten lange zusammen gearbeitet, bevor Peter nach Los Angeles ging um dort für CSI tätig zu sein.

„Horatio, wie war der Vortrag über Mitochondrial-DNS?" Peter James war ungefähr zehn Zentimeter kleiner als Horatio und wog fünf Kilo zu viel. Er hatte schütteres braunes Haar und kleine, blaue Augen mit einem unangenehm durchdringenden Blick. Vom Aussehen und vom Charakter her war er das genaue Gegenteil von Horatio und die beiden als Freunde zu bezeichnen, wäre eine maßlose Übertreibung gewesen.

„Sehr interessant Peter. Ich hoffe diesen Prozess so bald wie möglich auch in Miami einsetzen zu können" In Wahrheit hatte Horatio für diese Art von Kongressen nicht allzu viel übrig. Er vertrat die Auffassung, dass man Informationen genauso gut aus Zeitschriften oder Büchern beziehen konnte und nahm eigentlich nur aus Höflichkeit teil. Er musste sich jedoch eingestehen, dass er die Gespräche mit einigen seiner Kollegen durchaus schätzte und diese Treffen boten eine gute Möglichkeit mit ihnen über Fälle zu diskutieren, oder Ratschläge auszutauschen. Peter James gehörte allerdings nicht dazu.

„Während du heute morgen bei den Vorträgen warst, hat dein Stellvertreter angerufen. Tim Speedle, wenn ich mich nicht irre. Du sollst ihn so bald wie möglich zurückrufen. Das war ungefähr um zehn." Horatio sah auf die Uhr. Es war vier Uhr nachmittags, also sieben Uhr abends in Miami. Leise verfluchte er die Unzulänglichkeit der Hotelrezeption.

„Hat er gesagt worum es geht", fragte Horatio. Speed war durchaus in der Lage das Kriminallabor auch ohne seine Hilfe zu leiten. Weshalb sollte er ihn jetzt sprechen wollen?

„Nein, nur das du ihn anrufen sollst. Du scheinst ja unersetzlich zu sein. Hör zu, wir sollten uns später auf einen Kaffee treffen und uns über alte Zeiten unterhalten. Die Zeit vergeht so schnell und ich weiß, dass du eine Einladung zu einem Kaffee nie ausschlägst", entgegnete Peter grinsend.

„Sicher Peter. Würdest du mich entschuldigen? Ich möchte Tim gerne so schnell wie möglich zurückrufen", sagte Horatio, höflich wie immer, obwohl er mit seinen Gedanken bereits bei dem Telefonat mit Speed war. Seine Intuition sagte ihm, dass in Miami etwas ganz und gar nicht in Ordnung war und er wollte so schnell wie möglich wissen warum.

„Kein Problem H. Man sieht sich", sagte Peter, aber Horatio war bereits verschwunden.

Auf dem Weg zu seinem Hotelzimmer begann Horatio sich Gedanken zu machen, was Speed dazu veranlasst haben könnte, so nachdrücklich auf seinen Anruf zu bestehen. Es gab nicht viele mögliche Erklärungen und die, die in Frage kamen, verhießen nichts gutes.

Er ließ die Tür seines Zimmers hinter sich zu fallen. Der Raum war modern und effizient eingerichtet und Horatio hatte seit seiner Ankunft nicht viel verändert. Auf dem Schreibtisch unter dem Fenster, durch das die Nachmittagssonne ins Zimmer fiel, standen Horatios Laptop, ein Telefon und ein Faxgerät. Er war fast wie sein Büro und er wusste zu schätzen, dass er in Los Angeles seine Arbeit nicht vernachlässigte. Horatio setzte sich an seinen Schreibtisch und wählte Speeds Nummer in Miami. Nicht zu wissen was in Miami vorging, lastete wie Blei auf ihm. Nach dem dritten Klingeln wurde abgehoben.

„Duquesne". Schlagartig wusste Horatio, dass in Miami tatsächlich etwas nicht stimmte. Seine Intuition hatte ihn nicht getrogen. Er hatte erwartet, dass Tim unter Umständen nach sieben noch in seinem Büro wäre um Papierkram zu erledigen, aber Calleighs Schicht endete um fünf. Sie hätte längst zu Hause sein müssen. Weshalb war sie zu dieser Zeit noch im CSI-Gebäude?

„Calleigh! Wo ist Tim? Er hat heute morgen hier angerufen und wollte mich sprechen. Was geht bei euch vor?" Horatios Stimme klang trotz seiner Unruhe gefasst, aber Calleigh hörte den drängenden Unterton dennoch heraus und beschloss ihm zu sagen worum es ging. Obwohl er momentan nicht in Miami war, sondern 3000 Meilen weit weg, würde er es wissen wollen. Und sie konnten seine Hilfe auch gebrauchen.

„Horatio. Tim ist im Vernehmungsraum. Ich halte hier für ihn die Stellung, bis er wieder zurück ist. Es ist einiges geschehen, seit du am Montag nach Los Angeles geflogen bist."

Calleigh sammelte sich und begann zu erzählen was in Horatios Abwesenheit passiert war. Er hörte zu und wünschte sich plötzlich, nie nach Los Angeles geflogen zu sein.

„Erinnerst du dich noch an die junge Studentin, die vor einer Woche spurlos verschwunden ist? Jenna Kenson. Eric und Tim haben den Fall bearbeitet, aber dort wo sie zuletzt gesehen wurde, sind keine Spuren gefunden worden. Der Fall wurde zu den Akten gelegt. Nun, vorgestern erhielt ihre Mutter ein Päckchen. Es enthielt einen zerbrochenen Spiegel mit Blutspuren und eine Notiz mit einem blutigen Fingerabdruck des Mädchens. Auf dem Zettel stand: ‚Was zerbrochen ist, kann nicht wieder zusammengefügt werden'. Das Blut ist das des Mädchens." Calleigh machte eine kurze Pause, bevor sie weiter sprach. „Horatio, die Mutter ist vollkommen am Ende. Sie hat die ganze Zeit über geweint und macht sich Vorwürfe nicht für ihre Tochter da gewesen zu sein und es gibt nichts was wir im Moment für sie tun könnten."

Horatio wusste nur zu gut, wie sich das CSI-Team fühlen musste. Es war das Schlimmste für einen Ermittler den Angehörigen nicht sagen zu können, was mit ihren Kindern oder Ehepartnern passiert oder wer für ihr Leid verantwortlich ist.

„Was habt ihr unternommen?" Horatio war in Gedanken bereits vollkommen mit dem Fall beschäftigt. Hatten sie etwas übersehen? Einen Zusammenhang nicht erkannt?

„Wir haben das Paket sowie den Spiegel und die Notiz auf Fingerabdrücke und DNS untersucht, aber außer dem Blut des Mädchens nichts gefunden. Nur auf dem Spiegel sind Zahlen und Buchstaben zu erkennen, die aber augenscheinlich keinen Sinn ergeben, auch wenn man die Teile wieder zusammensetzt.", antwortete Calleigh. Ihre Stimme mit dem leichten Südstaatenakzent war immer leiser geworden und sie klang, als ob sie seit Tagen keinen Schlaf bekommen hätte.

„Das hat sie bei einem solchen Fall vermutlich auch nicht", dachte Horatio. Er konnte sich die Situation im CSI-Labor nur allzu gut vorstellen. Jeder verfügbare Mitarbeiter wurde bei einem Fall, bei dem ein Menschenleben auf dem Spiel stand zum Dienst berufen. Geregelte Arbeitszeiten gab es nicht mehr. In solchen Situationen lebte das CSI-Team praktisch nur noch von Kaffee.

Calleigh sprach weiter. „Und seit gestern abend wird eine weitere Studentin vermisst. An ihrem Auto wurde heute morgen ein Zettel mit dem Satz ‚Sie sind so zerbrechlich, nicht wahr?' entdeckt. Es ist das selbe Papier wie bei Jenna Kenson und auch die gleiche Handschrift, aber wieder keine Spuren außer weiteren Zahlenkolonnen.", schloss sie.

Horatio versuchte die Emotionen, die ein solcher Fall auslöste für einen Moment zu unterdrücken und sagte beruhigend: „Calleigh, sorg dafür, dass ihr alle etwas Schlaf bekommt. Ich will, dass ihr mir alles was ihr bisher an Informationen habt faxt. Ich kann hier erst morgen weg. So spät bekomme ich keinen Flug mehr."

„Wird erledigt. Ich sage Tim Bescheid. Bis morgen Horatio." Calleigh klang erleichtert als sie ihm antwortete. Horatio bewahrte selbst in solchen Situationen einen klaren Kopf. Sie wusste, dass sich das Team voll und ganz auf ihn verlassen konnte. Er würde alles tun um die Mädchen zu finden, selbst wenn er dafür Himmel und Hölle in Bewegung setzten musste. Horatio beendete das Gespräch und machte sich auf den Weg um mit Peter zu sprechen. Das Kaffeetrinken würde leider ausfallen müssen und morgen würde er nach Miami zurückfliegen.