Ich sehe was, was du nicht siehst ...

In dem Apartment am Rande von Las Vegas herrschte Totenstille. Das Licht der Abendsonne warf gespenstische Schatten auf die weiß gestrichenen Wände. Ein Stapel Notizen lag auf dem sorgfältig aufgeräumten Schreibtisch. Alles war sauber und ordentlich.
Mit einem Mal wurde die Stille vom Klingeln eines Telefons unterbrochen. Es klingelte fünf mal, aber niemand war da, der den Hörer hätte abnehmen können. Schließlich schaltete sich der Anrufbeantworter ein.

„Hier ist Sophie Lear, leider bin ich gerade nicht zu Hause. Wenn Sie mir eine Nachricht hinterlassen, rufe ich Sie zurück."

Die Person am anderen Ende sprach nur wenige Worte.

„Der erste Spiegel ist zerbrochen ... ", dann wurde aufgelegt.


Horatio beschäftigte sich gerade mit den Zahlenkolonnen auf der Spiegelscherbe, als Alexx sein Büro betrat.

„Hey Horatio. Schon was gefunden?"

Er sah auf. Sie konnte ihm ansehen, dass er in der letzten Nacht höchstens zwei Stunden geschlafen hatte, wenn überhaupt.

„Keine Spur."

Alexx rümpfte die Nase. „Du bist ja vollkommen durchgeschwitzt. Am Besten, du fährst nach Hause und ziehst dir etwas anderes an. Du wirst uns wohl keine große Hilfe sein, wenn du mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus liegst."

„Was war das, eine ärztliche Anweisung?"

„Ein freundschaftlicher Rat."

Er lächelte. „Ich werde ihn mir zu Herzen nehmen."


Seit Horatio das CSI-Labor verlassen hatte, wurde er das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Aber jedes Mal, wenn er sich umsah, war niemand in der Nähe, also versuchte er, das Gefühl zu ignorieren.

Er stellte den Hummer vor die Garage und betrat nach einem letzten kontrollierenden Blick das Haus. Es hatte sich nichts verändert seit er nach Los Angeles abgereist war. Er schüttelte den Kopf. Vielleicht wurde er wirklich langsam paranoid.

Das kühle Duschwasser jagte angenehme Schauer seinen Rücken hinunter. Seine verkrampften Muskeln lösten sich und er spürte, wie die Energie wieder frei durch seinen Körper schoss. Es kam ihm so vor, als wären alle seine Sinne geschärft. Er schnappte sich ein Handtuch und stieg aus der Dusche.

Nachdem er sich angezogen hatte, wollte er das Haus verlassen, stoppte aber noch auf der Türschwelle. Auf der Treppe lag unübersehbar eine Videokassette und er war sich sicher, dass diese dort ganz und gar nicht hingehörte. Ohne große Überlegungen nahm er sein Handy und wählte die Nummer des CSI-Labors. Es wurde sofort abgehoben.

„Duquesne."

„Calleigh, hier ist Horatio."

„Was gibt es?", fragte sie irritiert.

„Ich habe hier möglicherweise eine Spur. Innerhalb der letzten 20 Minuten hat jemand eine Videokassette vor meiner Haustür abgelegt. Ich werde mir mal die Umgebung genauer ansehen, es wird also noch etwas dauern bis ich zurück bin."

„In Ordnung, ich sage den anderen Bescheid."

„Danke, Calleigh. Bis nachher."

Nachdem Horatio aufgelegt hatte, holte er eine Papiertüte aus dem Auto und steckte die Kassette hinein. Dann begann er nach Spuren desjenigen zu suchen, der sie dort hingelegt hatte. Nach einiger Zeit musste er es eingestehen, dass es keine gab. Keine Haare, kein Fingerabdruck, kein Fußabdruck. Es war, als wäre nie jemand dort gewesen. Er stand auf und strich sein dunkelblaues Hemd glatt. Dann setzte er seine Sonnenbrille auf, stieg ins Auto und fuhr zurück zum Labor.


Im Labor angekommen stürzte sich Tim sofort auf das Video, doch das Ergebnis war dasselbe wie bei den Scherben und dem Zettel. Nichts. Dann sahen sie sich das Video an. Es war nicht sehr lang und es gab wenig, was darauf schließen ließ, wo es gedreht worden war. Nach ein paar Sekunden schwenkte die Kamera nach unten und gab den Blick auf eine junge Frau frei, die bewegungslos am Boden lag. Ihr Gesicht war durch unzählige Schnittwunden entstellt, aber das Team erkannte sie trotzem.

Jenna Kenson, die vermisste Studentin.

Die Kamera zoomte auf ihr Gesicht und eine verzerrte Stimme sagte: „Sie war schön, nicht wahr? Zu schade, dass sie ihre Schönheit hinter einem Spiegel verbarg." Dann war das Video zu Ende.

„Wo, sagtest du nochmal, hast du das Video gefunden?" Speeds Augen starrten immer noch auf den schwarzen Bildschirm.

„Vor meiner Haustür", sagte Horatio ruhig.