Nichts - das ist alles

Die Leiche von Jack Hollison lag auf dem Autopsietisch in dem kühl wirkendem Refugium von Doc Robbinson. Die Schnitte, die seinen gesamten Körper bedeckten, wurden nur von einem weißen Tuch verhüllt.

„Was haben wir?", fragte Grissom, der soeben durch die Tür gekommen war. Robbins sah von seinem Bericht auf und erhob sich.

„Tod durch einen gezielten Schuss in die tödliche Zone", Robbins zeigte auf das Einschussloch zwischen den Augenbrauen. „Er hat nichts gemerkt."

„Todeszeitpunkt?"

„Die Totenflecken sind voll ausgebildet und lassen sich teilweise wegdrücken – ich würde sagen, er ist vor circa zwanzig Stunden gestorben."

„Und die ganzen Schnittverletzungen?"

„Post mortem. Wie Catherine meinte, wahrscheinlich mit Glasscherben zugefügt. Ganz schön viel Arbeit, wo er doch schon tot war." Grissom sagte nichts dazu, sondern betrachtete weiter den toten Körper, als könne er allein ihm die Lösung dieses mysteriösen Falles verraten. „Haben Sie Glasscherben gefunden?"

„Ein paar. Greg untersucht gerade das Blut daran. Wenn wir Glück haben, dann hat sich der Täter selbst verletzt." Robbins zog seine rechte Augenbraue hoch und schmunzelte leicht.

„Seit wann glauben Sie an Glück?"

„Tue ich nicht. Aber manchmal ist Glück gelungene Arbeit – für uns", und mit diesen Worten verschwand er.

Auf dem Flur zum DNA-Labor begrüßte ihn laute Musik, die aus dem CD-Player von Greg stammte.

„Greg?" Er hörte ihn nicht und da er mit dem Rücken zu Grissom stand, sah er auch nicht die drohende Gefahr.

„Greg!", sagte Gil nun mit mehr Nachdruck, wurde aber immer noch von Pink und Greg, der mit ihr sangübertönt. Gil rollte mit den Augen und schaltete die Musik aus.

„ ... I said I'll do it again, I'm just missundaztood … ", Gregs Stimme verlor sich und er drehte sich mit einer geschmeidigen Bewegung um. „Hallo, Boss", er schien ihn erwartet zu haben.

„Die Ergebnisse von den Scherben, Greg." Greg nickte beflissen und suchte sich durch einen ganzen Stapel Papiere. „Da haben wir ihn ja", er gab Grissom, mit einer der für ihn so typischen theatralischen Gesten, den Ausdruck. „Nichts. Jedenfalls nichts, was uns weiter helfen würde. Nur das Blut von unserem armen College-Studenten."

„Mhhm", Gil studierte die Ergebnisse, „ ... danke."

Adell Sevilla schrieb gerade einen Bericht, als Horatio eintrat. Sie zog ihre Augenbrauen zusammen, er hatte diesen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Als wäre er sich selbst noch nicht sicher, was er von einer Sache halten sollte.

„Was ist los?"

„Ich brauche eine Fangschaltung." Sie lehnte sich nach vorne und stützte ihre Ellenbogen auf die Tischplatte. Die Sonne über Miami schickte ihre warmen Strahlen durch das Fenster und traf genau auf ihre Arme.

„Okay ... für welchen Anschluss?"

„Mein Handy." Plötzlich war die Sonne doch nicht mehr so wärmend. „Ich glaube, dass der Mörder von Jenna Kenson mich angerufen hat – und dass er es wieder tun wird."

„Wann hat er dich angerufen?" Auf ihrem Gesicht zeigte sich Besorgnis. Wenn der Mörder Horatios Telefonnummer kannte und ihn sogar anrief, was tat er dann als nächstes?

„Als ich in Los Angeles war. Also, geht das mit der Fangschaltung klar?"

„Wird sofort erledigt", sagte sie und er war schon wieder auf dem Weg nach draußen, als sie ihn aufhielt.

„Horatio?" Er drehte sich zu ihr um und legte seinen Kopf schief. „Sei vorsichtig, ja?" Er lächelte nur.


„Auf seiner Treppe", murmelte Speed vor sich hin, als er sich das Video zum bestimmt zehnten Mal ansah. Sie hatten immer noch keinen Hinweis, wo der Ort der Aufzeichnung war. Alles was man sehen konnte, waren graue Mauern und immer wieder die Leiche von Jenna Kenson. Schließlich hielt er das Band an und drehte sich zu Eric um. „Auf seiner Treppe", wiederholte er ungläubig. „Wie kam es verdammt noch mal da hin?"

„Keine Ahnung." Eric zuckte mit seinen Schultern. „Das muss geplant gewesen sein, gut geplant."

Horatio hatte ihren Wortwechsel mitangehört und beschlossen, ihnen erst einmal nichts von dem Anruf zu erzählen. Sie waren so schon angespannt genug und er wusste ja nicht einmal, ob er wirklich den Mörder am anderen Ende der Leitung gehabt hatte.

„Etwas gefunden?", machte er sich nun bemerkbar und sie wandten sich ihm zu.

„Nichts ... scheint das passende Wort für diesen Fall zu werden", antwortete Speed und seufzte resignierend. Horatio wollte gerade eine Antwort geben, als sein Handy klingelte.

„Horatio", meldete er sich.

„1268 Coast Lane. Bestellen Sie der Mutter schöne Grüße von mir", dann wurde aufgelegt. Speed und Eric sahen ihn fragend an und er schloss für einen Moment die Augen.

„Wir haben wahrscheinlich die Leiche. Holt eure Ausrüstung." Er drehte sich um und ließ die beiden ratlos zurück.


„Was ist los? Woher wissen wir plötzlich, wo Jennas Leiche ist?", fragte Calleigh Speed, als sie aus dem Hummer stieg. Sie standen inmitten einer Brachlandschaft, die einmal ein florierender Autohandel gewesen war. Jetzt legte sich der Staub über ihre Kleidung und nur noch ein verrostetes Schild erinnerte an die blühenden Zeiten.

„Frag H", meinte Speed nur und die beiden gesellten sich zu den anderen, die inzwischen vor einem kleinen Schuppen mit dem Welldach standen. Die grüne Farbe der Tür war zum Teil schon abgeblättert und verstärkte den trostlosen Eindruck dieses Ortes. Mit einem Quietschen gab die Tür nach und Horatio leuchtete mit einer Taschenlampe in den dunklen Raum. Das Licht wanderte hin und her, streifte graue Wände und blieb schließlich bei der Leiche von Jenna Kenson stehen.