Nachtschwärmer
Nick Stokes hatte aufgehört zu zählen, wie viele Tassen Kaffee er heute schon getrunken hatte. Er war seit über 24 Stunden wach, denn seit dem grausamen Mord an Jack Hollison galt im CSI-Labor sowie im Morddezernat absoluter Ausnahmezustand. Der Killer hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass dies nur der Anfang einer Serie sein würde. In der Jackentasche des Opfers war ein Zettel gefunden worden auf dem stand: „Wie viel muss noch zerbrechen, damit es die Menschen kümmert?". Nun wurde alles daran gesetzt den Täter zu fassen, bevor er ein weiteres Opfer fand. Alle Mitarbeiter waren zu Doppelschichten eingeteilt und mittlerweile war es fast Mitternacht. Nick trank einen Schluck von seinem Kaffee und dreht sich um, um ins Büro zu gehen und den nächsten Punkt auf seiner Liste mit Aufgaben anzugehen. Dabei stieß er beinahe mit Gil zusammen.
„Habt ihr etwas neues?", fragte Grissom. Er klang kein bisschen müde, obwohl er schon genauso lange arbeitet wie alle anderen auch. Manchmal schien es, als sei Grissoms Job sein einziger Lebensinhalt, aber er war einer der besten CSIs des Landes, vollkommen loyal seinen Mitarbeitern gegenüber und ließ nichts unversucht um einen Fall aufzuklären, selbst wenn andere schon längst aufgegeben hätten.
„Noch nichts konkretes", antwortete Nick. „Warrick untersucht gerade das Auto des Opfers und hat einige Fasern und Haare gefunden. Greg wird sie später analysieren. Sara hat den Zettel untersucht, aber nichts gefunden. Es ist Standardpapier mit einem Drucker bedruckt, von dem allein hier in Las Vegas im letzten Jahr 5000 Stück verkauft wurden. Keine Fingerabdrücke. Und bei dir und Catherine?"
„An der Kleidung von Jack Hollison haben wir nichts gefunden. Catherine analysiert gerade die Erde von seinen Schuhsolen und vielleicht gibt uns das Aufschluss über den Ort an dem er den Killer getroffen hat. Woran arbeitest du gerade?"
„Ich habe Brass versprochen, die Daten über den Fall ins VICAP-System einzugeben. Im Morddezernat ist die Hölle los. Erst der Mord an Hollison und dann die Gang-Schießerei heute morgen. Brass dachte, dass wir in der Datenbank etwas finden würden, da der MO dieses Täters ja nicht gerade Standard ist."
Nick hoffte inständig, dass Brass recht behalten würde. Ein paar Hinweise würden ihnen helfen ein wenig Licht auf den Mord zu werfen, vor allem da sie im Moment so gut wie nichts hatten, um ein Motiv, geschweige denn den Mörder zu finden.
„Bring mir die Ergebnisse, solltest du etwas finden. Ich werde mir noch mal die Glasscherben ansehen", sagte Gil und ging zu seinem Büro.
Nick ging die andere Richtung den Gang hinunter und betrat eine kleinen Eckraum in dem allerlei technisches Equipment, sowie ein Computer mit VICAP-Zugang stand. Durch ein schmales Fenster konnte man auf die Stadt sehen. Die Lichter von Las Vegas leuchteten gegen den dunklen Nachthimmel und die Schwärze der Wüste, die nur von den zahllosen Sternen und einem schmalen Neumond erhellt wurden. Der morgige Tag versprach klar und sonnig zu werden. In der Stadt würde das Leben seinen gewohnten Gang gehen, doch irgendwo in den Straßen lief ein Mörder frei herum und zerstörte Leben. Die CSIs hofften dem bald ein Ende zu setzen.
Nick rief das VICAP-Interface auf und begann die bekannten Daten über den Fall einzugeben. Modus Operandi, Todesursache, Tatwaffe, sonstige Gegenstände am Tatort und das Profil des Opfers würden mit einer landesweiten Datenbank verglichen werden. Er klickte auf „Send", trank seinen Kaffee leer und sah aus dem Fenster auf die Stadt hinaus. Selbst nachdem er nun schon einige Jahre hier lebte, faszinierte ihn dieser Ort immer noch. Nach einiger Zeit wandte er seinen Blick wieder dem Bildschirm zu. Es würde eine Weile dauern bis der Computer die Ergebnisse anzeigen würde. Genug Zeit um noch eine Tasse Kaffee zu trinken.
CSI wirkte selbst zu dieser Stunde noch wie am helllichten Tag. Überall waren Ermittler, Techniker du Assistenten damit beschäftigt, Beweise zu untersuchen und zu analysieren. Drucker summten und man hörte Stimmengeflüster aus den verschiedenen Büros und Laboren. Es war fast wie in einem Bienenstock; ein ständiges Kommen und Gehen und ein konstanter Austausch von Informationen.
Als Nick den Raum wieder betrat, blinkte auf dem Computer die Nachricht, dass 25 relevante Ergebnisse gefunden wurden. Sie waren chronologisch geordnet und Nick fing an die Akten durchzugehen, wobei er beim ältesten Fall begann. In Chicago hatte ein Mann seine Frau geschlagen und ihren Kopf dabei gegen einen Spiegel geschmettert, so heftig, dass sie an ihren Verletzungen starb. Der Mann wurde nach Hinweisen von Nachbarn und Kollegen nach zwei Wochen verhaftet und saß nun lebenslang im Gefängnis. Der zweite Fall war der Mord an einer Prostituierten aus Boston, der mit den Scherben einer Glasflasche die Halsschlagader durchtrennt worden war. Dieser Täter hatte noch eine weitere Frau getötet, bevor er gefasst werden konnte. Die nächste Akte war ein Mordfall aus Los Angeles. Ein Unternehmer war von seiner Frau mit einer Bleikristallvase erschlagen worden, die dann auf den Marmorfliesen neben ihm zerschellt war. Die Frau befand sich zur Zeit in einer geschlossenen, psychiatrischen Anstalt. Zwanzig weitere Fälle waren ebenso irrelevant wie die ersten vier, denn entweder war der Täter bereits gefunden oder der MO stimmte nicht überein.
Nick öffnete den letzten Eintrag und war plötzlich hellwach. Die Müdigkeit war auf einmal von ihm abgefallen und er las den Bericht mehrere Male, bevor er sich vollkommen sicher war, dass dieser Fall mit ihrem zusammenhängen musste. Der Eintrag war vom Miami Dade Police Department und CSI und erst zwei Tage alt.
Nick klickte auf „Print" und der Drucker begann zu arbeiten. Es kam ihm so vor, als hätte es noch nie so lange gedauert eine Akte auszudrucken. Als der Drucker endlich die 30 Seiten ausgespuckt hatte, hastete Nick zu Grissom's Büro. Die Mitarbeiter die ihm auf dem Gang begegneten tauschten verwunderte Blicke aus, aber er kümmerte sich nicht darum. Grissom saß an seinem Schreibtisch und inspizierte die Glasscherben unter seinem Mikroskop. Er hörte Nick hereinkommen und sah von seiner Arbeit auf.
„Wir haben einen Treffer. Der Fall ist ein Spiegelbild des Mordes an Jack Hollison."
„Wo und wann wurde die Tat begangen?", fragte Grissom, sichtlich erleichtert darüber, das sie endlich eine konkrete Spur hatten.
„Die Akte stammt aus Miami und der Eintrag ist erst wenige Tage alt. Horatio Caine führt die Ermittlungen", antwortete Nick.
Grissoms Gesichtsausdruck
änderte sich nur unmerklich, aber die Überraschung war ihm
und Nick dennoch anzumerken. Wie konnten zwei nahezu identische, so
grausame, detaillierte Morde im Abstand von nur so wenigen Tagen in
zwei Städten begangen werden, die 2600 Meilen auseinander
lagen?
Unterdessen hatten weder Nick noch Grissom bemerkt, dass
Catherine in der Zwischenzeit das Büro betreten hatte. Sie hatte
das Gespräch verfolgt und war ebenso überrascht wie ihre
beiden Kollegen. Nach einer kurzen Pause sagte sie:
„Ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Vielleicht können uns Horatio und sein Team ja einige Fragen beantworten. Wir sollten anrufen."
