Der Flügelschlag des Bösen
„Was haben wir?", fragte Horatio als er sich zu Alexx hinunter beugte und versuchte, in dem Regen etwas zu erkennen.
Der Wind riss Alexx die Worte von ihren Lippen und trug sie mit sich, ohne dass sie jemand hören konnte, doch Horatio sah den traurigen Ausdruck in ihren Augen und wusste, was sie gesagt hatte. Sie hatten Amy Stuart gefunden, aber sie waren zu spät gekommen. Wieder einmal. Ein weiteres Leben beendet und sie wussten nicht warum. Irgendjemand mordete wahllos und wollte, dass sie an seinem perfiden Spiel teilnnahmen. Horatio stand auf und sah in die Gesichter seiner Kollegen und Freunde. So gut es ging trotzten sie dem Wetter und versuchten, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie der Anblick von Amys Leiche mitnahm. Er konnte es trotzdem so deutlich in ihren Gesichtern lesen, als hätten sie es laut ausgesprochen. Sie fühlten sich hilflos und zornig, genauso wie er. Aber er war der Leiter des Teams und musste verhindern, dass sie in Passivität und Hoffnungslosigkeit abglitten.
„Speed und Eric, ihr sucht die Gegend nach Spuren ab!", übertönte seine Stimme den Wind. „Calleigh, du gehst mit Alexx und siehst dir die Kugel an." Er dachte an das Einschussloch, dass Amys hübsches Gesicht entstellt hatte. „Ich muss mit jemandem sprechen."
Titia hatte ihren Stuhl in dem kleinen Büro zum Fenster gewandt und starrte hinaus auf den dunklen Himmel, während sie ihrer eigenen Stimme zuhörte.
„Keine Fenster, nur eine Tür, graue Wände. Nichts, was heraussticht. Ein Ort zum Vergessen, keiner Erinnerung würdig." Sie hörte dem Klang ihrer Schritte zu. „Kaum Blut. Keine unnötigen Gewalttaten. Ein Schuss und das war's. Alles ist gezielt darauf ausgerichtet ... er muss das lange geplant haben. Keine Scherben zu sehen. Hat er sie mitgenommen? Als Souvenir? Oder hat er sie einfach irgendwo weggeschmissen? Welche Bedeutung haben sie?" Die Aufnahme endete, doch Titia achtete nicht wirklich darauf. Ihr Kopf war voller Informationen und sie versuchte, sie in sinnvolle Zusammenhänge zu bringen.
„Klopf, klopf."
„Kommen Sie herein, Lt Caine", sagte sie, währen sie sich umdrehte.
„Nennen Sie mich Horatio", bat er sie, während er sich setzte. „Sie wollten mit mir reden?"
„Ja. Ich wollte es nicht vor den anderen besprechen, aber", sie sah ihn jetzt direkt an und versuchte etwas aus seinen Augen herauszulesen. „es gibt da ein Wort, dass bei den mysteriösen Anrufen gefallen ist, dass mir Sorgen macht." Seine Augen verrieten nichts von seinen Gedanken.
„Nur ein Wort?"
„Worte sind mächtiger als das Schwert", bemerkte sie mit einem Lächeln, doch es verschwand schnell wieder. „Als Sie ihn gefragt haben wer er ist, meinte er, das wäre egal ... noch. Noch", sie betonte das Wort, „das ist der Schlüssel."
„Könnte es nicht sein, dass er das nur einfach so gesagt hat?", fragte er.
„Nein", war ihre klare Antwort. „Er hat das geplant und sehr gut vorbereitet. Er hat ein Ziel, welches, weiß ich noch nicht. Aber ich werde es herausfinden." Horatio sah, wie wütend ihre braunen Augen funkelten und er glaubte ihr. „Das war's, ich will sie nicht weiter von ihrer Arbeit abhalten. Sagen Sie mir Bescheid, wenn wieder eine Besprechung ist? Ich würde mich gerne auch dem Rest vorstellen und vielleicht kann ich ein paar nützliche Hinweise geben."
„Das hoffe ich doch."
Bis vor wenigen Minuten hatte sich Greg Sanders nichts sehnlicher gewünscht, als der drückenden Stimmung im Labor zu entkommen, doch als er nun auf dem Rückweg vom Café war, mit einem Becher frisch gebrühten, wirklich gut schmeckenden Kaffee in der Hand, zog er plötzlich die Klimaanlage in seinem Refugium vor. Außerdem fragte er sich, wie er auf die dumme Idee gekommen war, seine Pause damit zu vebringen, an einem heißen Tag einen noch heißeres Getränk zu kaufen.
„Oh, das riecht gut", riss ihn eine wohklingende Stimme aus seinen Gedanken. Verdutzt sah er die gut aussehende Frau neben sich an. „Was? Noch nie eine Touristin auf der Suche nach Kaffee gesehen?" Ihre grünen Augen starrten in seine.
„Ich ... äh." Die Hitze musste ihm eindeutig zu Kopf gestiegen sein. Wieso kam er kein vernünftiges Wort heraus? Er wurde mitten auf einer leeren Straße von einer tollen Frau angesprochen und er stammelte herum.
„Wollen Sie mir vielleicht das Café zeigen?" Die Frau lachte und fuhr sich durch ihre schwarzen Haare. Greg hätte beinahe den Becher fallen gelassen. Er wollte gerade zusagen, als sein Pager klingelte.
„Ach verdammt." Er sah zerknirscht zu ihr herüber. „Tut mir leid, aber mein Boss ruft." Er zögerte einen Moment. „Hier, haben Sie meinen Kaffee. Äh ... geben Sie mir vielleicht ihre Telefonnummer?" Die Frau wirkte plötzlich verschlossener.
„Nein, aber vielen Dank für den Kaffee", und mit diesen Worten ließ Sophie Lear Greg Sanders stehen.
