Kein Ende in Sicht

Sophie war enttäuscht. Der Junge mit dem Kaffee wäre ein ideales Opfer gewesen.

„Du bist dran", hatte Samuel gesagt. „Und keine Fehler mehr."
Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Dieser Mord musste perfekt sein.
„Wähle Dein Opfer unbedingt zufällig aus. Sie dürfen auf keinen Fall eine Verbindung zwischen den Opfern und Dir herstellen können." Das war leichter gesagt, als getan. Als sie die Passanten musterte ertappte sie sich unwillkürlich dabei, dass sie dachte, jener hier wäre gut, der dort nicht so gut. Eigentlich kam es ja nur darauf an, dass sie das Opfer nicht kannte. Ein zunächst spontaner Gedanke erschien ihr inzwischen als einzig logische Möglichkeit, vor allem auch um Samuel zu beeindrucken. Ja, es musste ein Mitarbeiter des CSI sein. Das würde Samuel gefallen. Sie würde Samuel gefallen! Sie würde ihn nicht noch einmal enttäuschen. Auf gar keinen Fall!

Der hochgewachsene Mann, der gerade das Gebäude verließ, war nach Sophies Meinung ebenso gut wie jeder andere. Er war nicht eben attraktiv: Pferdegebiss, beginnende Glatze und einen leichten Bauchansatz.
Es war schon recht spät, vielleicht könnte sie ihn mit dem „mein Auto ist liegengeblieben"-Trick in die Falle locken.

„Entschuldigen Sie bitte..." Eckley drehte sich um. Vor ihm stand eine ausgesprochen attraktive Frau. Das schwarze Haar war kinnlang und schimmerte im Licht der untergehenden Sonne. „Mein Wagen hat einen Platten und der Akku von meinem Handy ist leer - könnten Sie bitte für mich einen Abschleppdienst verständigen? Ich zahle auch für das Gespräch." Eckley starrte sie an und hoffte nur, dass er nicht mit offenem Mund da stand.

„Kein Problem, Ma'am, wenn Sie mir zeigen, wo ihr Auto steht, bin ich Ihnen gerne behilflich."Sophie hatte recht gehabt. Er war scharf auf sie. Seine Stimme war arrogant und sie fand ihn unsympathisch. Diesmal würde ihr der Mord leichter fallen.


Grissom hatte stundenlang über diesen ominösen Zahlen gebrütet und sich dann entschlossen, nach Hause zu gehen, er brauchte dringend etwas Schlaf. Er wollte gerade die Tür zu seinem Büro schließen, als Brass um die Ecke bog. Grissom kannte den Captain lange genug, um zu wissen, dass er nicht nach Hause gehen würde.

„Gil, wir haben ein neues Opfer. Ein Pärchen hat ihn gefunden, als sie auf der Suche nach einem verschwiegenen Örtchen waren. In einer dunklen Seitenstraße", er stockte für einen Moment und Grissom fragte sich, was um Himmels Willen passiert war. „Gil, es ist Eckley!"

Grissom schaute ihn ungläubig an.
„Habe ich das eben richtig verstanden? Conrad Eckley - Leiter der Tagschicht?" Seine Stimme war ruhig wie immer, nur seine Augen verrieten für einen Moment, wie sehr ihn diese Nachricht schockierte.

„Was ist mit Eckley?" Nick kam gerade um die Ecke, ebenfalls auf dem Weg nach Hause. Im grellen Licht der Neonbeleuchtung sah er fahl aus. Sie hatten alle kaum geschlafen und sahen vermutlich alle wie Geister aus.

„Er ist tot." Grissoms Antwort fiel wie immer knapp aus. Nicks Kinnlade fiel herunter.
„Ich gehe die anderen suchen ...", sagte er schließlich tonlos.

„Tu das Nick, und ... Catherine soll sich um einen Babysitter kümmern, wir werden erst wieder nach Hause gehen, wenn der Fall gelöst ist. Das war kein Zufall. Irgendetwas geht hier vor und wir werden herausfinden was."

„Alles klar." Nick fühlte sich wie betäubt. Er hatte mit seiner Meinung über Eckley nie hinter dem Berg gehalten und fühlte sich nun, als hätte er schlecht über einen Toten geredet.

Am Tatort verlief alles in bleierner Routine. Fotos, Fasern, Blutspuren und die Scherben. Diese verdammten Scherben mit den Zahlen, aus denen keiner schlau wurde. Nicht einmal Grissom, der doch die Rätsel für Hochbegabte löste - obwohl er seinen Mitarbeitern gegenüber immer nur die „für Fortgeschrittene" zugab.

„Grissom!" Nick war ganz aufgeregt. „Ich hab' hier was. Eckley hat Dreck unter den Fingernägeln."

„Ja, aber ansonsten gibt es nichts Neues", bemerkte Warrick frustriert. „Der Tatort wurde genauso hergerichtet, wie die anderen inklusive der blöden Glasscherben. Was will er uns nur mit diesen dämlichen Zahlen sagen?"

Grissoms Augen leuchteten, als ihm endlich eine Idee kam.
„Ich fahre zurück zum Labor, ihr macht hier alleine weiter." Grissoms Team blickte ihn ungläubig und beinahe entsetzt an.

„Du willst JETZT weg?" Catherine konnte es offensichtlich nicht fassen. Grissom war schon fast beim Wagen.

„Ja", rief er über die Schulter zurück. „Ich muss sofort was überprüfen. Haltet mich auf dem Laufenden." Die letzte Bemerkung war eigentlich überflüssig und das wusste Grissom auch.

Im Labor angekommen, sah er sich die Zahlenkolonnen an, die sie auf den Spiegelscherben gefunden hatten. Er ordnete sie der Größe nach: 14930352 / 24157817 / 39088169 / 63245986 ... er hatte Recht gehabt. Es war ein Teil der Fibonacci-Folge und sie lief rückwärts. Die letzte Ziffernfolge auf dem Papier vor ihm, 63245968, war die 40. Stelle der Folge und gleichzeitig die, die bei der ersten Leiche gefunden wurde. Grissom hoffte nur, dass der Mörder nicht vorhatte, die Folge bis zum Ende bzw. ihrem Anfang laufen zu lassen, denn dann würden sie es noch mit über 30 Leichen zu tun haben. Er wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als Sara mit den anderen im Schlepptau in sein Büro stürmte.

„Grissom, was soll das?", blaffte sie ihn an. „Wieso rennst Du einfach von einem Tatort weg?" Er sah sie mit diesem milden Grissom-Lächeln an.

„Ich weiß, was es mit den Zahlen auf sich hat." Sie sahen ihn fragend an - und er genoss diesen Moment trotz allem. „Es ist ein Teil der Fibonacci-Folge".

„Der Fibo-was?" Warrick blickte ungläubig und verwirrt. Nick grinste.

„Die Fibonacci-Folge", sagte er, so als wüsste er, um was es ging. Der Kleinkrieg in dieser Hinsicht zwischen ihm, Warrick und Sara war fast schon legendär.

„Möchtest Du es den anderen erklären", fragte Grissom schmunzelnd.

„Nein, nein", antwortete Nick leicht verlegen. Ihm war klar, dass er sich gerade etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. „Rätsel sind eher Dein Metier."

Warrick sah seinen Freund ärgerlich an als wollte er sagen: Ich weiß, dass Du es auch nicht wusstest...

„Also schön", sagte Grissom. „Die Fibonacci-Folge ist eine Zahlenfolge, die ein Mathematiker namens Fibonacci im Jahre..."

„Grissom, komm' zur Sache". Sara wurde wie immer ungeduldig.

„Na schön, die Kurzform. Sie beginnt mit 0 / 1 /1 / 2 / 3 / 5 / 8... das nächste Glied wird durch die Summe der beiden vorangegangenen gebildet. Sie beginnt in unserem Fall mit der 40. Stelle und läuft rückwärts."

„Und was bedeutet das?" wollte Catherine wissen.

„Ich weiß nur, was die Zahlen sind, nicht, was sie bedeuten."

„Hey Grissom." Greg stürmte rein und unterbrach so alle Unmutsäußerungen, die vielleicht noch gefolgt wären.
„Der Dreck unter Eckleys Fingernägeln..." er machte es wie immer unerträglich spannend.

„Ja Greg?" Grissom ließ sich auch diesmal nicht ködern.

„Straßendreck, Gummiabrieb und Maschinenöl. Ich würde sagen, er hat einen Reifen gewechselt." Greg strahlte über's ganze Gesicht. „Und er hatte Epithelzellen unter seinen Fingernägeln - schön eingebettet im Dreck."

„Wir haben eine DNS-Probe?" Grissoms Augen leuchteten. Eckley war eben doch durch und durch Tatort-Ermittler. „War sie in der Datenbank?"

„Nein, der CODIS-Abgleich war negativ."

„Greg, so wie Sie Grinsen kommt da noch ein ‚aber' ... also raus mit der Sprache." Grissom wurde langsam ungeduldig, was Greg aber nicht wirklich beeindruckte. Das hier war seine Show.

„XX-Chromosom. Die DNS ist weiblich ... "