9 – Aufklärung
„Das wollt ihr mir doch nicht ernsthaft weiß machen oder?", fragte Harry grinsend.
Hermine hatte ihm soeben, mit Unterstützung von Justus, vorsichtig versucht beizubringen, was sie bisher wussten.
Als keiner auf seine Frage antwortete, stand Harry vom Tisch auf, stemmte seine Hände in die Hüfte und begann im Hotelzimmer auf und ab zu schreiten. Das Grinsen war inzwischen wieder aus seinem Gesicht gewichen.
„Woher wisst ihr, dass dieser Kerl hier", er zeigte auf Boris, „nicht einfach ein daher gelaufener Spinner ist, der versucht die Blocksbergs in den Dreck zu ziehen?"
„Am besten wäre es wohl, wenn Boris euch erstmal seine Geschichte zu Ende erzählt", meinte Justus.
„Das wird ihn auch nicht davon überzeugen, dass ich nicht lüge", erwiderte Boris, der, was Hermine erstaunt beobachtete, keineswegs gekränkt von Harrys Reaktion zu sein schien.
„Er hat recht, Justus, er hat keine Beweise für seine Behauptungen", sagte Bob.
„Erzähl bitte, Boris", entgegnete Justus nur.
Boris nickte und überlegte einen Moment, wo er stehen geblieben war.
„Wie schon gesagt, platzte mir dann eines Abends der Kragen und meine Familie erfuhr, dass ich doch ein Zauberer bin. Ich hatte all ihre Erzählungen über Voldemort gehört und verabscheute ihn und seine Gefolgsleute, also auch meine Mutter und meine Schwester. Damals dachte ich noch, dass die beiden übertrieben, wenn sie sagten, dass er der mächtigste Mann der Welt werden könne. Doch seit ich andere Zauberer und Hexen kennen gelernt habe, weiß ich, dass dies wahr sein könnte".
Er stoppte einen Moment und schaute zu Harry, der mit ineinander verschränkten Armen vom anderen Ende des Zimmers zu ihm rüberstierte.
„Ich wusste aus Erzählungen, was sie dir … dir und deiner Familie angetan haben und hatte mein Leben lang davon geträumt dich kennen zu lernen. Ich hoffte, du würdest trotz deiner Verluste ein gutes Leben haben und nie wieder solche schrecklichen Dinge erleben müssen. Als meine Mutter an dem besagten Abend zum wiederholten Male mit meiner Schwester Pläne schmiedete, wie man Voldemort wieder finden könnte, hielt ich es nicht mehr aus. Ich hatte heimlich Zaubersprüche geübt, die ich bei meiner Mutter und Bibi gehört hatte und plötzlich sprach ich am Tisch einen von eben diesen aus. Es war ein Zauber, der meine Mutter zum Schweigen brachte."
Er stoppte erneut mit seinem Bericht und fuhr sich seufzend durch die Haare.
„Ich habe nichts in meinem Leben so sehr bereut wie diese Tat, das kann ich euch sagen. Es würde zu lange dauern euch alles, was danach geschah im Detail zu erzählen. Sie fragten mich jedenfalls ein paar Tage später, ob ich auf der Seite Voldemorts sei, was ich hätte bejahen müssen, aber ich konnte es einfach nicht. Daraufhin beschlossen sie wohl, dass es das Beste wäre mich loszuwerden. Ich habe erst durch die Nachforschungen von Bob erfahren, was sie der Schule, den Nachbarn und allen anderen erzählt hatten. Ich sei wegen einer schlimmen Krankheit aufs Land gezogen, erzählten sie. Statt auf einem Bauernhof, verbrachte ich jedoch meine nächsten Jahre in eine Art Kerker bei einer Freundin meiner Mutter. Erst vor etwa einem Jahr entkam ich ihr dann endlich."
„Was hast du seitdem unternommen?", fragte Hermine, die während Boris Erzählung immer blasser geworden war.
„Ich habe es irgendwie geschafft das Land zu verlassen und landete, wie ihr ja bereits wisst, in Amerika. Die Anfangszeit war recht hart, aber ich habe mich über Wasser halten können. Bald entdeckte ich, dass ich nicht der einzige Zauberer in Los Angeles war und seitdem ging es wieder bergauf mit mir."
„Hast du jemandem dort deine Geschichte erzählt?", fragte Hermine.
„Nein, ich erzählte allen, dass ich Muggel-Eltern hätte, die mit meiner Zauberkraft nichts anfangen können und mich deswegen abgeschoben haben. Die Familie bei der ich eine zeitlang unter gekommen bin, hatte deswegen Mitleid mit mir. Es tat mir leid diesen netten Leuten ständig diese Lügengeschichten auftischen zu müssen, aber ich konnte einfach nicht die Wahrheit sagen."
Einen Augenblick starrte er nur vor sich hin.
„Ich habe viel bei ihnen gelernt; mehr als in meinem gesamten Leben davor".
„Eines Tages landete er dann zufällig in Rocky Beach und traf auf uns", schloss Justus.
„Glaubst du ihm?", fragte Hermine nach einem Augenblick an Harry gewand.
Harry hatte den Blick noch immer fest auf Boris geheftet, der ihn seinerseits durchdringend ansah.
„Ich möchte ihm nicht glauben, aber ich fürchte ich tue es", antwortete Harry endlich.
„Es tut mir leid", sagte Boris niedergeschlagen.
„Mir auch", entgegnete Harry.
„Na ja, so lange kanntest du sie ja noch nicht. So schlimm kann es doch nicht sein, oder?", fragte Hermine.
„Nein, nicht sehr schlimm", antwortete Harry in einem recht mechanisch klingenden Tonfall.
„Und was tun wir jetzt?", fragte Peter nach scheinbar endlosen Minuten des Schweigens.
„Wir sollten uns erst einmal Gedanken darüber machen, was das Ziel der Blocksbergs sein könnte", meinte Justus.
„Ihr Ziel?", fragte Harry schmunzelnd, „was soll schon ihr Ziel sein? Voldemort an die Macht helfen natürlich".
„Das ist ihr Primärziel, aber ich spreche davon, was sie zur Zeit planen", entgegnete Justus.
„Ich denke da brauchen wir nicht lange überlegen", warf Hermine finster ein.
„Sie wollen Harry", erwiderte Boris.
„Du meinst sie wollen mich ihm ausliefern?", fragte Harry ohne eine Gefühlsregung.
„Entweder das oder, woran ich eher glaube, sie wollen Informationen aus dir rauspressen", sagte Justus.
„Natürlich, das muss es sein. Sie versuchen alles über die nächsten Schritte von Dumbledore und dem Orden herauszufinden", entgegnete Hermine begeistert.
„Es scheint dich ja in richtig gute Stimmung zu versetzen, dass man mich so ausnutzen möchte", erwiderte Harry genervt.
„Verstehst du denn nicht?", fragte Hermine, noch immer vollends begeistert von den Schlussfolgerungen, die sie soeben gezogen hatten.
„Ich glaube, ich weiß woran du denkst", sagte Justus, dessen Miene sich ebenfalls langsam aufhellte.
„Nun sag schon Chef, was meint ihr denn?", fragte Peter ungeduldig.
„Harry wird weiterhin gute Miene zum bösen Spiel machen und sie mit Informationen füttern. Natürlich nur mit gefakten Informationen, die sie in die Irre führen werden", antwortete Justus.
„Natürlich nur, wenn er dazu bereits ist", ergänzte Hermine vorsichtig.
„Ihr solltet aber auf jeden Fall trotzdem diesen Orden informieren", meinte Bob.
„Schon passiert", antwortete Hermine kleinlaut.
„Wie bitte?", fragte Harry, der hellhörig geworden war.
„Ich hatte so ein komisches Gefühl, was Herrn Tierlieb betraf, weißt du? Ich musste Dumbledore einfach bescheid geben", erklärte Hermine mit ängstlicher Stimme.
„Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen", erboste sich Harry.
„Das haben wir ja gesehen", meinte Peter schmunzelnd.
„Was soll denn das schon wieder heißen?", fragte Harry wütend.
„Ich habe es nicht nur wegen dir getan. Wir anderen wollen auch leben", sagte Hermine, die nun ebenfalls vor Wut schäumte.
