12 – Lebenslügen und Lebensgefahren
Vor ein paar Minuten waren Justus, Harry und Hermine bei Otto angekommen und saßen nun im gemütlichen Wohnzimmer der Familie.
„Worum genau geht es denn?", fragte Ottos Mutter Anny.
„Am besten wir reden nicht lange um den heißen Brei herum. Sind sie eine Hexe?", sagte Justus.
Anny schien wie vom Blitz getroffen – von einem Moment auf den anderen, saß sie stocksteif in ihrem Sessel und schien den Atem angehalten zu haben.
„Wir möchten ihnen nicht zu nahe treten, aber es ist wirklich ungeheuer wichtig für uns", sagte Hermine entschuldigend.
Endlich holte Anny wieder Luft, schien jedoch noch immer furchtbar angespannt.
„Ich habe dies bereits zu Otto gesagt und werde es gern noch einmal wiederholen. Ich bin und war niemals eine Hexe", sagte sie.
„Folglich sind sie ein Squib", entgegnete Hermine nachhakend.
„Nein, ich bin eine ganz normale Hausfrau, wie jede andere auch", antwortete Anny und schien nun äußerst aufgeregt.
„Aber ihre Eltern …", begann Harry, unterbrach jedoch, als Anny unvermittelt die Hände vors Gesicht schlug und bitterlich zu schluchzen begann.
„Mama, was ist denn?", fragte Otto besorgt, eilte zu ihr und legte den Arm über ihre Schultern.
„Ich … ich möchte doch nur nicht, dass dein Vater es erfährt", schluchzte sie hinter ihren Händen hervor.
„Was denn erfährt, Mama? Bist du doch eine Hexe?", fragte Otto vorsichtig.
„J… Jaaa", schluchzte sie.
Es fiel Otto augenscheinlich sehr schwer nicht vor Freude in die Luft zu springen.
„Aber warum hast du uns das nie gesagt?", fragte er.
Endlich nahm sie die Hände von ihrem Gesicht und schaute ihrem Sohn mit den geröteten Augen ins Gesicht.
„Es war zu spät … es war einfach zu spät", sagte sie und nahm mit einem dankendem Nicken das Taschentuch entgegen, dass ihr Justus gereicht hatte.
„Am Anfang konnte ich es ihm einfach nicht erzählen, weißt du? Ich war so sehr verliebt in ihn und dachte er würde es nicht verstehen. Ich dachte er würde mich deswegen abweisen. Heute weiß ich, dass er ein so toleranter Mensch ist, dass es ihn nicht gestört hätte. Aber irgendwann war es einfach zu spät mit der Sprache rauszurücken", erklärte sie unter stetig weniger werdenden Tränen.
„Ich verstehe", sagte Hermine aufmunternd.
Harry fing Hermines Blick auf und deutete unmissverständlich auf seine Uhr.
Die Worte wären Hermine beinah aus dem Mund gesprudelt, doch sie hielt sich zurück, da sie nicht wollte, dass Ottos Mutter Harrys Frechheit mitbekam. Sie hatte nie geglaubt, dass Harry so rücksichtslos sein konnte.
„Sie sollten es ihm wirklich sagen. Er wird es sicher verstehen und wenn er sie liebt, wird er damit umgehen können. Es ist ja nicht so, dass das für ihn Nachteile bringt. Ganz im Gegenteil, oder?", sagte Hermine.
„Du hast vielleicht recht", antwortete Anny.
„Er wird es dir ganz sicher verzeihen", stimmte Otto begeistert zu.
„Aber warum wolltet ihr denn eigentlich wissen, ob ich eine Hexe bin?", fragte Anny.
„Nun, es ist so, dass wir dringend eine Nachricht verschicken müssen, wir jedoch nicht an eine Eule heran komme", antwortete Justus.
Harry starrte ihn finster an, denn er hatte gerade den Mund geöffnet um zu antworten, als Justus jedoch schon zu sprechen begonnen hatte.
„Wie kann ich euch da helfen?", fragte Anny verwirrt.
„Eine Eule haben sie wohl nicht zufällig?", fragte Hermine und verzog das Gesicht.
„Nein", antwortet Anny lachend, „Ich denke das hätte meinen Mann doch leicht misstrauisch gemacht".
„Können sie apperieren?", fragte Harry und betrachtete belustigt Justus verwirrtes Gesicht.
„Ich habe es damals in der Schule gelernt, aber es ist schon so viele Jahre her, dass ich es getan habe, dass ich nicht sicher bin, ob es mir noch gelingt", antwortete Anny, doch ihr Gesicht zeigte freudige Erregung bei dem Gedanken wieder einmal zu zaubern.
„Ich würde gern einen kurzen Moment allein mit Harry und Justus reden", sagte Hermine vorsichtig.
„Otto und ich werden mal kurz verschwinden, ist schon okay", erwiderte Anny freundlich und verließ zusammen mir ihrem Sohn das Zimmer.
„Es mag paranoid klingen, aber ich habe ein schlechtes Gefühl dabei sie nach Hogwarts zu schicken. Wir wissen schon lange nicht mehr wem wir vertrauen können", erklärte Hermine.
„Ich verstehe was du meinst; wir sollten wirklich vorsichtig sein", entgegnete Justus nachdenklich.
„Dann schicken wir sie irgendwohin, wo sie uns eine Eule besorgen kann", schlug Harry vor.
„Einverstanden", sagte Hermine.
„Was ist denn das?", fragte Ron kichernd.
Hermine, Harry und Justus hatten gerade das Hotelzimmer betreten, zusammen mit einer winzigen Eule, die aufgeregt versuchte sich aus Harrys Händen zu befreien.
„Ich habe das Gefühl, dass sie mit deiner Pig verwandt ist", antwortete Harry genervt und setzte sich auf das Bett, noch immer mit der kämpfenden Eule beschäftigt.
„Ganz sicher nicht. So klein und widerspenstig ist nicht mal Pig", antwortete Ron.
„Besser als gar keine ist sie jedenfalls", meinte Hermine.
„Dann machen wir uns am besten gleich daran den Brief zu schreiben, denn lange kann ich dieses Vieh nicht mehr halten", sagte Harry und verzog das Gesicht, als die Eule ihren Schnabel zum wiederholten Male in seinem Zeigefinger versenkte.
„Wir sollten den Brief auf jeden Fall verschlüsselt schreiben, wo wir jetzt wissen, dass ich mit meinen Vermutungen nicht falsch lag", sagte Hermine und griff nach Zettel und Stift, die schon bereit auf dem Tisch lagen.
Nur zwei Minuten später legte Hermine den Stift erneut nieder und stellte ein triumphierendes Grinsen zur Schau.
„Ich möchte ungern eingebildet klingen", begann sie, bedachte Ron kurz mit einem missachtenden Blick, da er überrascht aufgeschnaubt hatte und sprach weiter.
„Aber ich denke ich habe den perfekten Brief zu Papier gebracht".
„Lass hören", sagte Harry ungeduldig.
„Lieber Professor Dumbledore, wir würden uns über ihren Besuch sehr freuen. Liebe Grüße, ihre Schüler", las Hermine vor.
„Wow, das ist wirklich perfekt", sagte Justus, „ein Außenstehender wird damit absolut nicht das geringste anfangen können und euer Direktor wird diese kurze Mitteilung so stutzig machen, dass er schnurstracks zu uns kommt".
„Genau so habe ich mir das gedacht", antwortete Hermine freudig.
Sie faltete den Brief zusammen und ging auf Harry zu, der nun versuchte das Bein der widerspenstigen Eule ruhig zu halten.
Fast zehn Minuten vergingen, bis die beiden es mit vereinten Kräften geschafft hatten den Brief zu befestigen.
Harry stand auf, ging zum bereits geöffneten Fenster und sagte an die Eule gerichtet:
„Ich hoffe wir können uns auf dich verlassen; du musst auf dem schnellsten Weg zu Professor Dumbledore nach Hogwarts".
„Sie wird es schon schaffen", meinte Ron zuversichtlich.
„Dann flieg wie der Wind", rief Harry und gab die Eule frei.
Doch die Eule war derart überrascht von ihrer wiedererlangten Freiheit, dass sie einen Moment zu unaufmerksam war und wie ein Sack Steine gen Boden taumelte.
„Gott sei dank, war der Laubhaufen da", sagte Peter, der ebenso wie alle anderen gebannt aus dem Fenster sah.
„Ihr scheint es gut zu gehen", erwiderte Hermine erleichtert und beobachtete, wie die Eule langsam wieder auf die Beine kam.
Doch kaum stand sie wieder sicher auf ihren Beinen, musste sie einen erneuten Schrecken ertragen.
„Timmy, nein", rief jemand laut über das aufgeregte Hundegebell hinweg.
„Oh Gott, die Töle wird das arme Ding zerfetzen", keuchte Ron aufgebracht.
„George, pass doch auf Timmy auf", rief ein Junge von der anderen Straßenseite.
Doch der Hund blieb vor der erstarrten Eule stehen, schnüffelte nur kurz an ihr und rannte dann weiter.
Kurz darauf kam ein Junge … oder war es ein Mädchen? Harry konnte sich nicht recht entscheiden.
Sie oder er blieb vor der kleinen, vor Angst zitternden Eule stehen, betrachtete sie einen Moment und schaute dann hinauf zum Hotelfenster.
„Ist das eure?", fragte sie/er und nun festigte sich in Harry die Ansicht, dass es ein Mädchen sein musste.
„Ja", antwortete Harry.
„Ob du ihr wohl kurz Starthilfe geben könntest?", fragte Hermine.
„Klar doch", sagte das vermeintliche Mädchen, bückte sich zu der Eule hinunter, nahm sie in die Hand und warf sie in die Luft.
Nun flog das Tier tatsächlich wie eine richtige Eule davon.
„Danke", riefen alle gleichzeitig erleichtert vom Fenster hinunter.
„Kein Problem", antwortete das Mädchen und ging wieder ihres Weges.
