Auf der Spur 2

Sie durchstreiften einen dichten Wald nahe den Bergen. Es war früher Vormittag und die Sonne stand noch nicht sehr hoch. Kagome betrachtete sich den Morgenhimmel, der in einem zarten Rosa erstrahlte. Es war wunderschön in dieser Ära. Die Natur war hier noch unberührt und unbeschadet von irgendwelchen Abgasen. Kagome atmete tief ein, um die frische Luft zu genießen.

Inuyasha dagegen atmete flach. Ein Gestank hing ihm in der Nase, wie er ihn nun mehr seit einigen Monaten nicht mehr wahrgenommen hatte. Es roch nach Wölfen.

Er wandte den Blick hinüber zu den weit entfernten Bergen, wo Kougas Revier war. Bewusst hielt er viel Abstand von dieser Gegend, denn diesem aufgeblasenen Wolfsdämon zu begegnen war eines der Dinge, auf die er nicht sehr scharf war. Er mochte Kouga nicht, ganz zu schweigen davon, dass er Kagome lieber in sicherer Entfernung zu ihm wissen wollte.

„Spürst du irgendetwas?"fragte Miroku die junge Schülerin irgendwann.

Aber Kagome schüttelte den Kopf.

„Nein, keine Juwelensplitter in der Nähe."

Tatsächlich spürte sie nichts, gar nichts. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit gen die Berge, doch selbst dort konnte sie nichts ausmachen.

Ob Kouga wohl gerade nicht in seinem Revier ist? überlegte sie.

Schließlich hatte er gleich zwei Splitter, aber sie war nicht im Stande, ihn aufzuspüren. Sie konnte seine Präsenz normalerweise schon Kilometer entfernt spüren. Ob Naraku ihm einen Besuch abgestattet hatte? Irgendwie machte sie sich Sorgen um den Dämon, obwohl er sie damals einfach so und ohne ihre Erlaubnis hatte zur Frau nehmen wollen. Inuyasha würde es nicht gut heißen, dass sie sich sorgte, es würde ihn wütend machen. Also beschloss sie, ihre Gedanken vorerst einmal bei sich zu behalten.

Inuyasha blieb stehen und hielt seine Nase in den Wind.

„Witterst du etwas?"fragte Sango, die zu ihm aufgeschlossen hatte.

Inuyashas Augen verengten sich und wurden zu zwei goldenen Schlitzen.

„Ja."

Er fletschte die Zähne und ging in Angriffsstellung.

„Da sind Wölfe. Nicht weit von uns entfernt."

Sango schritt sofort vor Inuyasha, der ziemlich angespannt war und leise knurrte. Die Dämonenjägerin wollte nicht riskieren, dass der Halbdämon auf die Wölfe losging, die vielleicht gar keinen Streit suchten. Seit diesem merkwürdigen Vorfall vor drei Wochen mit diesen Schlaftabletten, wie Kagome sie nannte, war er völlig in sich gegangen und ziemlich nervös. Er mied das Dorf zunehmend und sprach sehr wenig. Nur in Kagomes Gesellschaft war er etwas offener und zugänglicher, wodurch vor allem Shippou ihre Gesellschaft suchte, denn der kleine Fuchs musste ziemlich oft unter seiner schlechten Laune leiden.

„Hey! Ihr Wölfe!"rief Sango in den Wald, um einem plötzlichen Auftauchen von ihnen zuvor zu kommen. „Wir wissen, dass ihr da seid! Zeigt euch, wenn ihr friedlich seid!"

Inuyasha tat einen Schritt nach vorne und Sango wusste, sie kamen näher. Schnell hob sie ihren Arm und hielt Inuyasha damit zurück.

„Reiß dich zusammen,"fuhr sie ihn an und schickte ihm einen bösen Blick.

Sie spürte, wie Inuyasha sich etwas zurückzog, aber dennoch nicht bereit war, ganz nachzugeben. Er würde hier an ihrer Seite bleiben.

„Seid ihr es? Chefin?"kam eine Stimme aus dem Wald, sie klang gehetzt und außer Atem.

„Ja, wir sind es! Wo seid ihr?"antwortete Kagome sofort und ging auf die Anrede ein, die Inuyasha ein weiteres Knurren entlockte.

Nach wenigen Sekunden durchbrachen zwei Wölfe das untere Dickicht des Waldes und stürzten Hals über Kopf auf die kleine Gruppe zu. Sie sahen mitgenommen aus und stolperten über Steine und Wurzeln, schleppten sich aber weiter.

Sango erkannte sofort, dass da etwas nicht stimmte. Sie rannte den beiden Männern entgegen und als sie sie erreichte ließen sie sich erschöpft auf die Knie fallen, und schnauften hart.

„Was ist denn los? Warum seid ihr so abgehetzt?"

Einer der beiden sah auf, er zitterte am ganzen Leib und stotterte entsetzlich beim Sprechen.

„So ein Glück, dass wir euch gefunden haben! Kouga ist weg! Er ist einfach verschwunden!"

Kagomes Augen weiteten sich vor Schreck. Sie hatte ihn nicht spüren können.

„Seine Juwelensplitter, er ist nicht mehr da,"hauchte sie und Miroku sah sie durchdringend an.

„Das heißt, er ist nicht mehr in der Nähe."

„Wir haben die Berge durchsucht. Keine Spur! Das letzte Mal als wir ihn sahen, hat er gesagt, er wolle sich um einen Eindringling kümmern. Er kehrte nicht zurück!"

Der andere brachte jetzt auch ein Wort heraus.

„Wir wussten uns nicht besser zu helfen, als die Chefin zu suchen, die ja schließlich die Splitter ausfindig machen kann. Wenn sie sie findet, findet sie auch unseren Boss!"

„Hört endlich auf, sie so zu nennen!"schrie Inuyasha plötzlich und kam bedrohlich auf sie zu. „Sie ist weder eure Chefin, noch wird sie euch helfen, diesen Blödmann zu finden. Seine Schuld, wenn er nicht auf sich aufpassen kann!"

„Inuyasha!" kam eine wütende Stimme aus dem Hintergrund und der Halbdämon zuckte zusammen angesichts dieses Tones. „Natürlich werde ich ihnen helfen! Und wenn du nicht mitkommst, dann geh ich eben allein!"

„Du musst nicht allein gehen,"sagte Miroku und auch Sango und Shippou nickten.

Inuyasha sah ganz und gar nicht glücklich aus. Er biss die Zähne zusammen, was man als ein Fletschen hätte interpretieren können und knurrte in sich hinein. Was sollte er tun? Er konnte Kagome doch nicht allein gehen lassen? Was, wenn Kouga in ernsten Schwierigkeiten war und Kagome blind mit hinein lief? Was, wenn er es nicht war und sie sich wieder unter den Nagel riss?

„Wo habt ihr ihn zuletzt gesehen?"fragte er schließlich und Kagomes Mine hellte sich auf, als sie erkannte, dass er ihnen helfen würde.

„Im Unterschlupf. Aber er wollte an den Rand des Gebirges in diesen Wald."

„Geht zurück, wir können euch hier nicht gebrauchen,"befahl Inuyasha.

Aber die beiden Wölfe schienen damit nicht zufrieden.

„Kouga ist unser Leitwolf. Wir werden nicht untätig bleiben."

„Lass sie doch,"sagte Sango beschwichtigend, aber fest in ihrer Meinung. „Wenn sie mitkommen wollen, so sei es. Du bist nicht verpflichtet, ihnen zu helfen. Also kann es dir doch egal sein."

Und das war es Inuyasha auch. Wenn ihnen etwas zustoßen sollte, er würde ihnen nicht helfen. Seine Rolle in dieser Sache war es, Kagome und seine Freunde zu schützen. Nicht mehr.

Plötzlich drehte sich der Wind. Es war nur einen Augenblick, aber für eine Sekunde, hatte Inuyasha etwas wahrgenommen. Er streckte die Nase in die Luft, doch konnte es nicht noch einmal ausmachen. Aber der Geruch musste mit dem Wind gekommen sein.

„Kagome," Inuyasha zeigte in die entsprechende Richtung. „Kannst du dort etwas spüren?"

Kagome sah in den Wald hinein, entspannte sich und suchte in ihrem Inneren nach dem Gefühl, dass ihr immer sagte, wenn ein Juwelensplitter in der Nähe war. Aber sie suchte vergeblich.

„Da ist nichts."

„Vielleicht ist er zu weit weg?"überlegte der Halbdämon, schließlich konnte er ihn ja auch nicht wittern.

„Kannst du ihn riechen?"fragte Miroku.

„Für einen Augenblick hab ich das gedacht. Aber ich bin mir nicht sicher. Vielleicht war es nur eine Sinnestäuschung."

„Aber es ist der einzige Anhaltpunkt,"stellte Sango fest und ging vor. „Also versuchen wir es."

Die Wölfe sahen sich nach ihren Bergen um, von denen sie sich nun weiter entfernen sollten.

„Macht euch keine Sorgen. Wir werden ihn auch allein finden, wenn ihr nicht mitkommen wollt,"sagte Kagome.

Aber die beiden schüttelten den Kopf.

„Wir kommen mit."

„Inuyasha!" schrie Sango plötzlich und alle anderen drehten sich zu ihr um.

„Was ist denn?"wollte Miroku gerade fragen, als er sich nach dem Hundedämon umschaute und ihn nirgends sah.

Ohne ein Wort rannte Sango los, Inuyasha hinterher. Warum musste dieser Idiot nur immer so impulsiv handeln? Konnte er nicht einmal nachdenken, bevor er einfach so davon stürzte? Diese Sache damals mit Miroku hatte ihn ganz schön aus der Fassung gebracht und bis jetzt hatte er seine Unruhe nicht ablegen können. Kirara, ihre Feuerkatze fauchte, als sie zu ihr aufgeschlossen hatte und gab ihr somit die Anweisung, aufzuspringen. Sango spannte ihre Beine an und mit einer kräftigen Bewegung, schwang sie sich auf Kiraras Rücken.

„Ich weiß auch nicht, was los ist! Aber beeil dich, er ist sehr schnell!"

Weit hinter sich hörte Sango die Rufe der anderen leiser und leiser werden. Sie bereute, dass sie nicht daran gedacht hatte, Kagome und Miroku mit sich zu nehmen, aber sie musste sich beeilen, bevor sie Inuyasha verlor. Er war sehr schnell unterwegs.

.-.-.-.

Diese erbärmlichen Wölfe, dachte Inuyasha bei sich und beschloss sie nicht weiter zu beachten.

Doch gerade als er losgehen wollte streifte etwas seine Sinne. Ein Geruch lag süß und schwer in der Luft. Ein Geruch, wie er ihn nur in Kagomes Zeit einst wahrgenommen hatte. Und begleitet war er von etwas herb riechendem. Und etwas metallischem.

Blut!

Ohne zu überlegen und nur von seinem Gefühl getrieben, sprang er los. Mit einem Satz legte er etwa fünfundzwanzig Meter zurück, aber im Moment war ihm egal, dass er zu schnell für die anderen war. Er kannte diesen Geruch! Er wusste nur zu gut, wie Blut roch!

Die Bäume und Lichtungen rauschten an Inuyasha vorbei. Adrenalin flutete seinen Körper und der Halbdämon genoss das Gefühl der Wärme, die in ihm hochstieg, von den schnellen Bewegungen herrührend.

Dieser süße Geruch, den er eigentlich mochte, wurde immer stärker, immer aufdringlicher. Das ging nicht mit rechten Dingen zu! Er nahm den Gestank eines Dämons wahr, ganz schwach und fast in dem Duft untergehend. Aber als Inuyasha nach diesem witterte, musste er hart keuchen. Schnell hielt er sich die Hand vor die empfindliche Nase, um sie zu schützen.

„Ah! Was ist das für ein intensiver und penetranter Geruch! Er setzt meine Nase außer Gefecht!"

Das war schlecht. Sein bester Sinn war nun nicht mehr zu gebrauchen. Und im Wald war weder etwas zu sehen, noch etwas zu hören. Jetzt war seine beste Waffe sein Instinkt und dieser sagte ihm, dem Ursprung des Windes zu folgen, von wo der Geruch gekommen war.