2 – Wunschhelden

Harry seufzte auf.

Was würde ihn noch erwarten?

War es nicht langsam genug?

Sollten mittlerweile nicht alle begriffen haben, dass er nicht der Held war zu dem ihn alle machen wollten?

Bei den meisten war dies der Fall – das wusste Harry nur zu gut. Die Hassbriefe und Morddrohungen, die täglich in sein Zimmer flatterten waren Beweis genug.

Nur hatten die, bei dem es ihm wirklich wichtig war, dass sie erkannten wer und was er wirklich war, es noch nicht begriffen.

Er senkte seinen Blick auf den Brief in seiner Hand und zwang sich ihn ein zweites Mal zu lesen.

Harry,

wie geht es Dir mein Lieber?

Den Erzählungen von Ron und Ginny nach zu schließen bist du wohl immer noch nicht ganz auf dem Dampfer.

Das tut mir auch schrecklich leid für dich, Harry, aber dein Trübsal blasen muss nun ein für alle mal ein Ende haben.

Ich gehe davon, dass du die heutige Ausgabe des Tagespropheten bereits gelesen hast und möchte hoffen, dass die Nachrichten dich endlich aufrütteln.

Es ist Zeit etwas zu unternehmen.

Albus Dumbledore und du müsst handeln! Das ist mein voller Ernst.

Du weißt, dass ich nicht mehr die jüngste bin und wirst sicher verstehen können, dass es nicht einfach für Arthur und mich ist unter diesen Umständen noch zwei Kinder großzuziehen.

Denke bitte über meine Worte nach!

Richte Ron viele liebe Grüße aus und gebe Ginny einen Kuss von mir!

Molly Weasley

Harry seufzte erneut auf.

Er konnte Mrs. Weasley verstehen, aber dennoch sah er nicht ein, warum sie der Meinung war, dass gerade er etwas unternehmen sollte.

„Lasst mich einfach alle in Ruhe", sagte er nach einer Weile laut, machte sich wieder in seinem Bett lang und schloss die Augen.

Kaum fünf Minuten später wurde er jedoch bereits wieder aus seiner Entspannung gerissen.

„Das nenne ich mal ein promptes Auftauchen", sagte Albus Dumbledore schmunzelnd.

„Wenn Sie Fawkes schicken, so dachte ich mir, kann es nur etwas sehr dringendes sein", sagte Harry, verschwieg dabei allerdings, dass er gewisse Vorahnungen hatte, dass Dumbledore das gleiche Thema anschlagen würde wie Hermine und Mrs. Weasley.

„Nicht wirklich dringend", erwiderte Dumbledore etwas geistesabwesend wirkend.

In dem Falle hielt Harry es für angebracht noch ein bisschen Small-Talk zu betreiben. Allerdings fiel ihm nichts wirklich Gescheites ein und so gratulierte er Dumbledore zu seiner gelungenen Wohnungseinrichtung, die ihm in Wahrheit jedoch alles andere als gelungen vorkam. Sauberkeit war zumindest ein Wort, das einem in dieser Umgebung nicht einfallen wollte. Und die Möbel schienen eher willkürlich zusammen geworfen, als wirklich mit System aufgestellt.

Dieser Meinung schien auch Dumbledore zu sein, denn er überging Harrys Flunkerei und kam direkt zum Thema.

„Was bilden die Leute sich eigentlich ein?", fragte er aufbrausend.

Harry zog nur fragend die Augenbrauen hoch.

„Seit dem Erscheinen des heutigen Tagespropheten flattern haufenweise Briefe bei mir herein", sagte Dumbledore und wie aufs Stichwort klackerte etwas von außen gegen die dreckige Fensterscheibe seines Wohnzimmers. „Da, schon wieder", keuchte er und zeigte auf die etwas zerzaust wirkende Schleiereule am Fenster.

„Jetzt verstehe ich", nuschelte Harry.

„Dumbledore, tun sie doch etwas … Dumbledore machen sie dies … Dumbledore machen sie das", zeterte Dumbledore vor sich hin während er die Eule von dem Umschlag an ihrem Bein befreite.

Er riss den Umschlag auf, überflog die Zeilen, murmelte etwas Düsteres vor sich hin und hielt den Brief dann aufgebracht in die Höhe.

„Von Poppy", meckerte er. „Zumindest von ihr hätte ich mehr erwartet".

„Mrs. Weasley schrieb mir", sagte Harry, der angesichts von Dumbledores Gebären etwas zurückhaltend wurde.

„MIR auch", entgegnete Dumbledore wütend. Er ging zu einer kleinen Kommode, öffnete eine ihrer Schubladen, kramte einen roten Umschlag hervor und wedelte Harry damit unwirsch vor dem Gesicht herum.

Dieser erkannte sofort was Dumbledore dort in den Händen hielt.

„Sie hat Ihnen einen Heuler geschickt", fragte Harry und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

„Und was für einen", antwortete Dumbledore.

„Was wollte Sie?", fragte Harry.

Dumbledore begann laut zu sprechen und imitierte dabei Molly Weasleys Stimme auf überraschend talentierte Weise.

„Du kommst jetzt gefälligst aus deiner Besenkammer heraus und stellst dich wieder der Welt. Deinen Posten in Hogwarts konntest du vielleicht einfach so aufgeben, aber du wirst nicht weiter tatenlos zu sehen wie Voldemort alles zerstört, was uns Zauberern und Hexen wichtig ist.

Es ist kein Wunder, dass Harry sich benimmt wie ein Einsiedler, wenn du ihm das doch so schön vorlebst."

„Einsiedler?", unterbrach Harry ihn. „Einsiedler? Was fällt der eigentlich ein; das ist ja wohl nicht mehr zu glauben. Ob sie wohl noch auf die Straße gehen würde nachdem sie die Welt in so ein Elend gestoßen hat?"

„Das ist wirklich die bodenloseste Frechheit, die ich je erlebst habe", stimmte Dumbledore wütend zu.

„Warum kümmert sie sich denn nicht selbst darum Voldemort zu stürzen, wenn sie sowieso alles besser weiß?", fragte Harry in dem die Wut so schnell hoch kochte, dass große blaue pulsierende Adern auf seiner Stirn auftauchten, die kurz vor dem platzen zu sein schienen.

„Genau, wer neun Kinder in die Welt setzen kann, sollte doch wohl in der Lage sein mit so einer Kleinigkeit fertig zu werden; biestige Gebährmaschine", erboste sich Dumbledore, dessen Kopf von Minute zu Minute röter wurde.

Harry dagegen hielt einen Moment inne. Seine Wut schwächte sich etwas ab, als er daran dachte, wie schlimm es für Molly sein musste, gleich um so viele Kinder auf einmal zu bangen.

Aber er schüttelte den Gedanken ab.

„Und Hermine ist auch wieder mal der Meinung, dass das Ganze wie immer nur unser Problem ist", meckerte er weiter.

„Du hättest erstmal Professor Snapes Worte hören sollen.", sagte Dumbledore, „Der ist sogar höchstpersönlich vorbei kommen, um seine ach so intelligente Meinung loszuwerden."

Rita Kimmkorn saß mit überkreuzten Beinen auf ihrem Bürostuhl und überlegte angestrengt.

Keine Zauberei mehr?

Wie sollte sie ohne ihre flotte Schreibefeder weiterhin so erfolgreich sein?

Und worüber sollte man berichten, wenn niemand mehr zauberte?

Die Muggel-Welt war doch die Langeweile pur; da gab es keine Sensationen, keine missglückten Zaubertränke, die jemanden in ein krähendes Schwein verwandelten wie es letzte Woche in Cornwall der Fall gewesen war.

Das konnte sie einfach nicht zulassen – das war klar.

„Nur, was tun, murmelte sie.

„Und wieder eine", krächzte Harry.

Seit einigen Minuten hatten weder Dumbledore noch er ein Wort gesagt, doch bis dahin hatten sie fast zwei Stunden am Stück geschimpft, getobt und sich selbst bemitleidet was das Zeug hält, so dass er jetzt heiser zu werden begann.

„Rate", sagte Dumbledore während er auch dieser Eule ihre kleine Last abnahm.

„Susan Bones", erwiderte Harry.

„Die hatte ich bereits vor deiner Ankunft", antwortete Dumbledore.

„Einer von Hagrids knallrümpfigen Krötern?", fragte Harry.

„Nein", antworte Dumbledore. „Ich denke, der gute Hagrid wird es bei den Briefen von sich selbst, von Fang und von dem Kraken belassen".

„Voldemort?", schlug Harry vor.

Dumbledore lachte kurz auf.

„Viel besser, er ist von Rita Kimmkorn".

„Die gute alte Rita", sagte Harry lächelnd. „Die wird ganz sicher nicht das wollen, was die anderen wollen. Ein Interview mit uns würde ihr bestimmt sehr gut gefallen".

Dumbledore starrte auf den Brief und schüttelte den Kopf.

Harry beobachtete ihn und stellte fest, dass sein Gesicht erneut rot anzulaufen begann.

„Wochenlang bringt sie die miesesten Gesichten über uns zu Papier und dann wagt sie es noch uns um Hilfe zu bitten?"

„Nicht wahr, oder?", fragte Harry entgeistert.

„Und ob", antwortete Dumbledore.

„Fiese alte Schrulle", sagte Harry, wobei das Wort Schrulle durch seine Heiserkeit unterging.

„Aber du hast mich auf eine sehr gute Idee gebracht", sagte Dumbledore plötzlich mit einem hinterlistigen Lächeln, das ganz und gar nicht zu dem Dumbledore passte, den Harry bisher gekannt hatte.