Kapitel 3 – Einsamkeit

Es war eine Schande; nein nicht nur eine Schande, es war ein wahrer Rückschlag.

Jahrelang, Jahrzehnte lang hatte er sich den Respekt, ja die Furcht, seiner Anhänger erkämpft. Es hatte am Anfang Mühe gekostet sie erzittern zu lassen, wenn er auch nur ein Wort sagte.

Selbstverständlich hatten sich diese anfänglichen Mühen ausgezahlt und er hatte lange nicht mehr daran arbeiten müssen, dass sie es kaum wagten den Mund aufzumachen, wenn er bei ihnen war.

Doch es hatte sich nicht einfach von allein ergeben, dass er der mächtigste Zauberer der Welt war. Er war nicht ohne Grund der, dessen Name nicht genannt werden durfte.

Und nun saß er hier und wusste nicht was zu tun war.

Seine Gefolgsleute würden nicht allzu schnell ihren Respekt vor ihm verlieren, aber würde er so weiter machen, würde es früher oder später dazu kommen.

Und es durfte nicht so weit kommen.

„Nein", schrie Voldemort zum wiederholten Male seit dem gestrigen Abend.

Ein Geist, ein Toter, durfte ihm nicht alles kaputt machen, was er so schwer erkämpft hatte.

Er musste diese Warnungen einfach vergessen; sie waren nicht von Bedeutung.

Das hatte er sich jedoch nun schon mehr als oft gesagt und trotzdem konnte er sich nicht darauf konzentrieren, was als nächstes zu tun war.

Die Todesser, die ihm noch geblieben waren, hatten sich sehr verwirrt gezeigt, als er am Morgen keine Anweisungen für sie hatte.

Man konnte es ihnen nicht verdenken, denn dies hatten sie wahrlich noch nie erlebt.

„Auf einen Tag kommt es auch nicht an, Nagini. Sie haben sich eine kleine Pause verdient und morgen wird sie dann wieder ein Haufen Herausforderungen erwarten", sagte er zu seiner Schlange, die jedoch nicht auf ihn reagierte.

Ganz offenbar war die Beute, die sie entdeckt hatte interessanter als er.

So weit ist es also schon gekommen, dachte er. Einer Ratte wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt als mir, dem dunklen Lord.

Konnte ein Tag an dem er sich anders verhielt als sonst alles kaputt machen? Konnte dieser eine Tag die Mauer einreißen lassen?

„Wurmschwanz", rief er.

Zumindest eine Sache war noch am Laufen und wenigsten darum sollte er sich heute kümmern, überlegte er.

„Gibt es schon Nachricht von der Befreiungs-Front?", fragte er seinen Diener.

„Noch keine Nachricht, Herr", antwortete Wurmschwanz, der nun ehrfürchtig mit gebeugtem Haupt vor ihm stand.

Es war nicht schwer diesem Nichtsnutz das Fürchten zu lehren und doch war es eine Genugtuung für Voldemort zu sehen, dass er zumindest bei Wurmschwanz noch nichts von seinem Respekt eingebüßt hatte.

„Du wirst mir doch sicher gern Meldung machen, nicht wahr, Wurmschwanz?", fragte er.

„Meldung machen, mein Lord?", entgegnete Wurmschwanz verängstigt.

„Du wirst herausfinden, was es Neues gibt und mir davon berichten", erklärte Voldemort.

Es war ein sehr unnützer Auftrag, den er ihm hier erteilte, aber es bereitete ihm ein gutes Gefühl irgendetwas zu tun und nicht einfach tatenlos rum zu sitzen.

„Ja, mein Herr", antwortete Wurmschwanz, unternahm jedoch nichts.

„Los jetzt, worauf wartest du noch?", fragte Voldemort in einem Tonfall, der Wurmschwanz zusammen zucken ließ.

„Ja, mein Herr", sagte er erneut und verschwand mit dem typischen lauten Knall.

„Es ist alles auf dem Weg, Nagini", sagte er mit einer Genugtuung in der Stimme, die er so nicht ganz empfand.

Was versuchte er hier eigentlich? Warum wollte er einer dümmlichen Schlange etwas vormachen?

„Das sind Anzeichen von Einsamkeit, Tom", sagte eine Stimme.

Nicht schon wieder, schoss es Voldemort durch den Kopf.

„Wo bist du?", fragte er und versuchte nicht auf die Unsicherheit in seiner Stimme zu achten.

„Hier mein Freund", antwortete die Stimme und schon stand eine schimmernde Gestalt vor Voldemort, der soeben aus seinem Sessel aufgesprungen war.

„Potter", sagte Voldemort, dessen Stimme nun von Abscheu gezeichnet war.

„Ganz genau", entgegnete der Geist lächelnd.

„Dein Sohn ist dir wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten. Du musst wissen, dass ich erst vor kurzem mal wieder das Vergnügen hatte dies festzustellen", sagte Voldemort lächelnd.

Dieser Geist würde ihn nicht in solche Überlegungen stürzen, wie der von Grindelwald. Er hatte durch seine Hand den Tod gefunden und würde ihm auch als Geist kein ebenbürtiger Gegner sein, da war er sich sicher.

„Es geht hier heute nicht um meinen Sohn", erwiderte James Potters Geist und Voldemort stellte fest, dass auch er lächelte.

„Dein Junge interessiert dich nicht mehr, wie?", fragte Voldemort geringschätzig.

„Ich bin hier, um dir zu helfen, Tom", antwortete James Potter ohne auf die Worte Voldemorts einzugehen.

„Ich weiß es zu schätzen, aber du solltest wissen, dass ich, Lord Voldemort, nicht auf die Hilfe von Toten angewiesen bin", entgegnete Voldemort amüsiert.

„Komm mit mir", sagte James Potter, wieder ohne auf die Worte seines Gegenübers zu achten.

„Ganz ruhig, Kleiner, ich bleibe wo ich bin", antwortete Voldemort mit einem krächzenden Lachen.

Doch er musste feststellen, dass er keine Chance hatte sich dem Willen des Geistes zu verwehren.

Es erfasste ihn ein Gefühl, dass in gewisser Weise Ähnlichkeit mit dem Reisen durch Kamine mithilfe von Flohpulver hatte, was er selbstverständlich vor einer Ewigkeit das letzte Mal gemacht hatte.

Nur ein paar Sekunden später fand er sich in einer winterlichen Landschaft wieder.

Er stand auf einem Feld, dass über und über mit Schnee bedeckt war und das einzige, was sonst zu sehen war, war ein Haus, dass einige hundert Meter entfernt von ihm stand.

„Wo sind wir?", fragte er den Geist James Potters, der neben ihm stand und ihn beobachtete.

„Erinnerst du dich nicht, Tom?", fragte James Potter.

Voldemort starrte zu dem Haus, aus dessen Kamin dunkler Rauch empor stieg.

Irgendetwas regte sich bei ihm durch den Anblick des Gebäudes, aber er konnte es nicht zuordnen.

„Gehen wir", sagte James, als ihm klar wurde, dass er keine Antwort zu erwarten hatte.

Voldemort ging langsam hinter dem davon schwebenden Geist her.

„Warte", sagte er nach ein paar Metern.

Nun wusste er wo sie waren.

„Tom?", fragte James.

„Ich will dort nicht hin", sagte Voldemort.

Es war sehr kalt, doch das Zittern, das ihn ergriffen hatte, war nicht durch diese Kälte entstanden.

„Du wirst mit mir kommen, Tom", entgegnete James leise.

„Nein, ich will nicht", antwortete Voldemort laut und achtete nicht darauf, dass seine Stimme sich nicht wie seine eigene anhörte.

„Folge mir", sagte James.

Alles in Voldemort wehrte sich dagegen ihm zu folgen, doch seine Beine schienen ein Eigenleben entwickelt zu haben.

Langsam aber stetig kamen sie dem großen Gebäude näher und näher.

„Ich will nicht", stammelte Voldemort immer wieder vor sich hin, doch seine Beine brachten ihn Schritt um Schritt vorwärts bis sie so dicht dran waren, dass sie Stimmen aus dem Haus hören konnten.

„Sie singen", stellte James vergnügt fest.

Nach ein paar weiteren Schritten stand Voldemort neben dem Geist James Potters an einem der Fenster und blickte in das Gebäude.

Er wollte seine Augen verschließen; er wollte nichts von dem sehen, was dort drin geschah, doch er konnte sich dem nicht entziehen.

Eine fremde Macht, die stärker als die seine war, zwang ihn die Augen offen zu halten.

Eine Scharr Kinder saß im Inneren vor einem großen, bunt geschmückten Weihnachtsbaum und sang fröhlich „Jingle Bells".

Die meisten von ihnen hatten noch ihre Pyjamas an und deuteten während des Singens aufgeregt zu einigen hübsch verpackten Paketen, die am Fuße des Weihnachtsbaums lagen.

Ganz am Ende des Raumes standen einige Erwachsene und beobachten die Kinder mit glücklichen Gesichtern.

„Erinnerst du dich wieder?", fragte James.

„Ja", antwortete Voldemort zögernd.

Viele der Kinder erkannte er und auch die Erwachsenen waren ihm nicht fremd.

„Wo bist du?", fragte James und blickte suchend durch das Fenster.

„In meinem Zimmer", antwortete Voldemort stockend.

„Aber warum bist du nicht bei den anderen?", fragte James erstaunt.

Endlich konnte Voldemort den Blick vom Fenster abwenden.

„Wer zum Teufel bist du und was willst du von mir?", fragte er fast kreischend.

„Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht, Tom", entgegnete James achselzuckend.

„Was soll das ganze?", erwiderte Voldemort wütend.

„Ich will nur, dass du dich erinnerst, Tom", antwortete James ruhig.

Doch dies war das letzte an das sich Voldemort erinnern wollte.

„Bring mich fort von hier", befahl er, doch der Geist James Potters war keiner seiner Gefolgsleute. Er würde keine Befehle von ihm befolgen und er würde ihn erst dann in Ruhe lassen, wenn er vollendet hatte, was er begonnen hatte, dies war Voldemort klar.

Wieder erfasste ihn dieses seltsame Gefühl und kurz darauf fand er sich an anderer Stelle wieder.

Er erkannte das Zimmer sofort. Viele Jahre hatte er in diesem Haus verbracht und die meiste Zeit davon allein in diesem Raum.

„Was tust du da?", fragte James und deutete auf einen Jungen, der sich gemeinsam mit ihnen im Raum befand, sie aber nicht zu bemerken schien.

Es dauerte einen Moment bis Voldemort klar wurde, dass dieser Junge er selbst war. Er selbst vor vielen vielen Jahren.

„Ich warte", antwortete Voldemort.

„Worauf?", fragte James verwundert.

„Ich weiß es nicht", entgegnete Voldemort aufrichtig.

Der Junge, der einst er gewesen war, saß auf einem Bett und starrte vor sich hin. Er machte keine Bewegung; er saß einfach da.

Sein Gesicht war nicht von der Freude gezeichnet, wie es die kleinen Gesichter der Kinder im unteren Stockwerk gewesen waren.

Er war allein; völlig allein.