Kapitel 5 – Aussichten
Er wusste, dass es keine gute Idee war sich vor seinen Gefolgsleuten zu verstecken und doch konnte er nicht anders.
Wurmschwanz würde ihnen erzählen, dass er auf Erkundung geschickt wurden war und seinen Bericht noch nicht hatte abliefern dürfen, aber es gab wichtigeres.
Es machte keinen Sinn einfach so zu tun, als wäre nichts geschehen und weiter zu machen wie immer.
Die Zeit war gekommen sich Gedanken zu machen; Gedanken über alles.
Nun saß er in seinem Sessel und dachte; tat nichts weiter als zu denken.
Die Tür hatte er mit einem unbrechbaren Zauber geschützt, obwohl er wusste, dass seine Todesser nicht einzudringen versuchen würden. Sicher war sicher.
Auch hatte er mit dem Gedanken gespielt, dass so der letzte Geist keinen Einlass finden würde, doch er war sich im Klaren darüber, dass dies nur reines Wunschdenken war.
Hatte er sein ganzes Leben auf eine Lüge aufgebaut?
Waren alle seine Grundsätze falsch gewesen?
Gab es einen Grund Menschen zu verehren und vor allem gab es einen Grund Muggel und Schlammblüter zu achten?
Alles in ihm wehrte sich gegen diese Gedanken, aber er zwang sich dazu, über sie nachzudenken.
Wofür eigentlich tat er dies alles?
Warum quälte er Zauberer und Hexen?
Wozu versuchte er die Macht über alles und jeden zu bekommen?
Keine seiner Antworten schien ihm plausibel.
Aber irgendwann einmal hatte er hiermit begonnen. Irgendwann hatte er angefangen dies alles zu planen.
Warum?
Hass, beantwortete die vor zwei Tagen wach gewordene Stimme in ihm seine eigene Frage. Unergründlicher Hass; unnützer Hass?
„Ich weiß es nicht", rief er und presste die Hände aufs Gesicht.
Alles zu hinterfragen an das er geglaubt hatte, was er aufgebaut hatte, bereitete ihm Schmerzen; es bereitete ihm körperliche Schmerzen.
„Tommy", hauchte jemand in sein Ohr.
Voldemort schreckte hoch – er war tatsächlich eingeschlafen.
„Überraschung", sagte der Geist säuselnd.
Diese Erscheinung gab ihm beinahe den Rest.
„Hättest nicht gedacht mich so bald wieder zu sehen, oder?", fragte der Geist von Sibyll Trelawney.
„Nein", entgegnete Voldemort.
„Lust auf ein paar kleine Zukunftsaussichten?", fragte Sibyll.
„Dann darf ich wohl annehmen, dass du der Geist der zukünftigen Weihnacht bist", sagte Voldemort. „Wie passend."
„Freut mich zu sehen, dass du deinen Humor noch nicht ganz verloren hast, Tommy", erwiderte Sibyll.
Voldemort kam nicht dazu etwas zu erwidern, denn schon wurde er wieder von dem seltsamen Gefühl übermannt und kurz darauf fand er sich an einem anderen Ort wieder.
„Ein Friedhof", flüsterte Voldemort.
„Schau", sagte Sibyll und deutete auf ein Grab einige Meter von ihnen entfernt an dem einige Leute versammelt standen.
Voldemort näherte sich widerstrebend dem Grab und erst als er kurz hinter der kleinen Menschenansammlung stand, konnte er die Inschrift auf dem großen Grabstein lesen.
Hier ruht Harry James Potter, stand in großen verschnörkelten Buchstaben auf dem grauen Stein.
Voldemort kam nicht dazu die folgende Inschrift zu lesen, denn der Geist Sibyll Trelawneys lenkte ihn ab.
„Schau wie traurig sie alle aussehen", sagte sie.
Voldemort betrachtete eingehend die Trauergäste von denen er die meisten erkannte.
„Was soll mir das jetzt sagen?", fragte er, denn er wollte dies auf keinen Fall an sich heran lassen.
Dieses Bild, welches sich ihm hier bot, hätte ihn glücklich machen sollen, doch er war sich sehr sicher, dass es das nicht tun würde, wenn er zuließ, dass er darüber nachdachte.
„Möchtest du wissen was passiert ist, Tommy?", fragte Sibyll.
Das war eine gute Frage.
Wollte er es wissen? Er war sich nicht sicher, trotzdem antwortete er mit einem knappen „Ja".
„Harry Potter hat dich besiegt, Tommy. Es ist ihm gelungen dich nieder zu strecken, doch leider wollte das Schicksal, dass auch er den Tod findet. Deine treue Bellatrix hat ihn erledigt, kurz nachdem er das gleiche mit dir getan hatte", erklärte Sibyll vergnügt.
Voldemort betrachtete ein Mädchen mit buschigem Haar, dass gerade eine rote Rose auf den Sarg Potters warf.
Es gelang Voldemort nicht ihre Gefühle aus dem Gesicht abzulesen.
Einerseits schien sie nur aus Trauer zu bestehen, was einige wenige Tränen, die ihr über die Wangen glitten unterstrichen. Doch in ihren Augen sah er Hass, puren Hass.
„Wie gefällt dir das, Tommy? Harry Potter ist tot", sagte Sibyll.
„Sei still", entgegnete er ruppig.
„Ist der kleine Tommy traurig, weil er auch gestorben ist, ja?", fragte Sibyll gackernd.
„Sei still", sagte Voldemort erneut, diesmal jedoch erstaunlich beherrscht klingend.
Er wollte diese Worte von ihr nicht hören.
In ihren Worten steckte Wahrheit, aber nicht genug Wahrheit.
Die Aussicht darauf, dass er sterben würde, wenn er seine Ziele weiterhin auf die Art, wie er es bisher getan hatte, weiterverfolgen würde, war nicht das Schlimme.
Was ihm zuschaffen machte, war noch immer, dass er plötzliche Gefühle spürte, die er niemals zuvor gespürt hatte.
Dieses Mädchen und auch alle anderem an diesem Grab mit ihrer Trauer und ihrer Wut taten ihm unendlich leid.
Er verspürte den Drang alles ungeschehen zu machen. Sie alle sollten nicht dieser Pein ausgesetzt sein nur wegen ihm.
„Du kannst es noch verhindern, Tommy", sagte Sibyll.
Ich könnte es noch verhindern, wiederholte er ihre Worte im Gedanken.
„Nein", schrie Voldemort.
