Altersbeschränkung : Ab 12
Disclaimer : Alle hier enthaltenden Figuren und Orte (mit Ausnahme derer, die ich erfunden habe) gehören Joanne K. Rowling und Warner Bros., eine Copyright-Verletzung ist nicht beabsichtigt.
Betaleser : Meine liebe Tia...
Anmerkung: Endlich Kapitel 9...die Chara-Quälerei geht weiter :-) Ein großes Dankeschön nochmal an all die fleißgigen Reviewschreiber!
Can you save me from this world of mine
Before I get myself arrested with this expectation
You are the one
Look what you've done
What have you done?
This is not some kind of joke
You're just a kid
You weren't ready for what you did
(c) Train, 'Ordinary'
Irgendwann musste Harry eingeschlafen sein, denn er wurde dadurch geweckt, dass die Tür zum Verlies geräuschvoll geöffnet wurde. Durch den entstandenen Spalt fiel helles Licht ein und reflexartig hob der junge Mann die Hände vors Gesicht, um nicht geblendet zu werden. Er hatte so lange in der Dunkelheit des Verlieses gesessen, dass ihm der Lichtschein unerträglich grell erschein, fast schmerzte.
‚Potter.' sagte eine Stimme, die definitiv nicht Ginny gehörte, aber genauso kalt und tot klang. ‚Verabschiede dich von deinem Freund.'
Harry nahm die Hände runter und blinzelte dem Licht entgegen, im Türspalt konnte er zwei vermummte Gestalten erkennen, beide in den Roben der Todesser gehüllt, die Kapuzen weit ins Gesicht gezogen. Als seine Augen, von der Helligkeit geblendet, zu tränen anfingen wandte er den Blick ab und bemerkte, dass Ron neben ihm immer noch schlief. Jetzt da er nicht mehr allein in der Dunkelheit war und Harry an seiner Seite wusste, ging sein Atem ruhig, sein Gesicht war entspannt und friedlich. Harry schluckte.
Er hörte Schritte auf sich zukommen und dann wurde er unsanft am Arm gepackt und auf die Beine gezogen.
‚Na komm schon, Potter.'
Es war ein Mann, das stand jetzt fest, zumindest die Stimme klang sehr nach einem Kerl. Harry versuchte seinem Gegenüber ins Gesicht zu sehen, doch das war wegen der Kapuze und den schummrigen Lichtverhältnissen unmöglich. Und das machte Harry halb verrückt, er wollte den Todessern, diesen Monstern wenigstens in die Augen sehen, wenn sie ihn folterten und quälten.
‚Traust du dich nicht, mir dein Gesicht zu zeigen, du Feigling?' knurrte der junge Mann. Es war pure Provokation, aber das machte ihm nichts. Es gab nicht mehr viel, das ihm überhaupt noch etwas ausmachte. Der Todesser packte fester zu, so feste, dass Harry fast vor Schmerzen aufgeschrieen hätte.
‚Wenn mein Herr es nicht verboten hätte, dann würde ich dich jetzt langsam aufschlitzen und ausbluten lassen, Potter…' zischte der Mann als Antwort. Er begann Harry zur Tür zu zerren, und Harry, der keine Kraft mehr hatte um sich zu wehren, ließ es geschehen. Er warf einen letzten Blick auf Ron, der immer noch friedlich schlief und sein Herz zog sich zusammen. Er würde denken, alles sei nur ein Traum gewesen, wie so viele Male zuvor. Für Harry gab es keine Möglichkeit, dies zu verhindern. Ron hatte also Recht gehabt…es ging hier um das Machtprinzip, zu strafen und gestraft zu werden.
In diesem Augenblick wurde Harry klar, dass er hier sterben würde. Nicht unbedingt heute oder morgen, aber der Tag würde kommen. Alles, was er Ron versprochen hatte, würde nie geschehen. Das war also Voldemorts Absicht gewesen, darum hatte man ihn in dasselbe Verlies wie Ron geworfen. Weil er in dem Wissen sterben sollte, versagt zu haben.
Jetzt griff die andere Gestalt nach ihm, packte ihm am anderen Arm und zerrte ihn in den Gang. Hinter ihm wurde die Tür lautstark ins Schloss geworfen, dann war es still. Harry blinzelte. Der Gang war im Wesentlichen nicht mehr als ein Tunnel und schien zu einer Art Katakombe zu gehören, er war niedrig und feucht und grob in den Stein gehauen worden. In regelmäßigen Abständen erleuchteten Fackeln das Dunkel, doch davon abgesehen sah es hier nicht viel anders als unten in dem Verlies. In der stickigen, seltsam feuchten Luft fiel das Atmen schwer und hier und da könnte Harry in der Ferne das Tropfen von Wasser auf Stein hören, hohl und erschreckend laut hallte es in dem höhlenartigen Gang wieder. Harry fragte sich, wie tief sie sich wohl unter der Erde befanden.
Doch er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Die beiden beschleunigten ihre Schritte zu und zerrten Harry in einem Tempo mit sich mit, dem er kaum folgen konnte. Durch zahllose Gänge marschierten sie, rauf, runter, rechts und links; so dass Harry schon nach wenigen Minuten die Orientierung komplett verloren hatte. Nach einiger Zeit, die wie eine halbe Ewigkeit schien, machten die beiden Männer plötzlich halt.
Harry schnappte keuchend nach Luft, die wie ein Schwert seine Lunge zu zerschneiden schien. Dieser Ort musste wesentlich tiefer liegen als das andere Verlies, denn die Luft hier unten war nicht mehr schwül und stickig, sondern eiskalt und klar; so klar, dass es beim Atmen wehtat. Seine Sachen, die durch das lange schnelle Laufen verschwitzt waren und ihm am Leibe klebten, wurden starr und die Schweißperlen auf seiner Stirn schienen zu kleinen Eiskristallen zu gefrieren.
‚Hier ist dein neues Heim, für die nächste Zeit.' Sagte der Mann, der Harry aus der Zelle gezerrt hatte, zumindest meinte er ihn wieder zu erkennen… durch die langen Umhänge und die Kapuzen waren die beiden Todesser von einander nicht zu unterscheiden. Erst jetzt sah Harry den Grund ihres Halts, in der rechten Wand des Tunnels war eine große, schwere Holztür eingelassen. Einer der Gefolgsleute Voldemorts öffnete sie, das Holz ächzte und die Scharniere quietschen bedrohlich, und dann wurde Harry grob in den Raum dahinter gestoßen.
Er fiel haltlos, denn die anschließende Kammer lag etwas unterhalb und in der Dunkelheit konnte er die Stufen nicht sehen, und landete unsanft auf allen Vieren im Wasser. Eiskaltem, knöcheltiefen Wasser. Er gab einen kurzen Schrei des Entsetzens von sich und hörte das schadenfrohe, zufriedene Lachen der Todesser, dann wurde die Tür geschlossen und alles was dunkel.
Zitternd vor Kälte erhob sich Harry und tastete sich vorwärts, Schritt um Schritt, mit ausgestreckten Armen, bis seine Hände schließlich eine Wand ertasteten. Der Stein war glatt gehauen und feucht, ebenso kalt wie das Wasser, in dem Harry stand und wölbte sich nicht viel über ihm als Decke. Jetzt hatten sie ihn also in eine überschwemmte, kaum zwei Meter hohe und stockfinstere Höhle geworfen. Er fühlte sich, als hätte man ihn lebendig begraben und zum ersten Mal in seinem Leben schien ihm der Tod als denkbare Alternative. Als Erlösung. Als guter Freund. Aber er wusste, dass er nicht sterben würde. Noch nicht. Nicht hier, wo es keiner sehen würde. Das wäre zu einfach.
Es dauerte nicht lang und seine Füße fühlten sich an, als seien sie abgestorben, seine Zähne klapperten unkontrolliert, und wenn ihm das vorherige Verlies wie eisig kalt vorgekommen war, er hätte lieben gerne wieder getauscht. Die Kälte kroch in ihm hoch, unbarmherzig, umklammerte ihn wie eine eiserne Faust.
Er schloss die Augen und versuchte, nicht daran zu denken. Vor seinem inneren Auge tauchte Hermione auf; so wie sie im fünften oder sechsten Schuljahr ausgesehen hatte, sie drehte sich um und lächelte ihn an. Fred und George, laut lachend, mit vom Wind zerzausten Haaren. Ginny mit Pferdeschwanz, über einem Buch sitzen, sie sah auf und zwinkerte ihm zu. Ron mit Philomena auf dem Arm, wie er seiner Tochter zärtlich über die Wange strich und ihr Haar küsste. Remus Lupin, matt (wahrscheinlich war grade wieder ein Vollmond vergangen) aber glücklich. Es war schön, die alten Gesichter wieder zu sehen, hier, wo es weder Licht noch Schatten gab.
Harry wurde müde, sehr müde. Es war die Kälte, das wusste er, das eisige Wasser und die nasse Kleidung, die ihm am Leib klebte und ihn langsam erfrieren ließ.
Der junge Mann hatte keine Kraft mehr, um zu kämpfen … in den letzten Tagen hatte man ihn gefoltert, draußen im Regen ausharren lassen, noch mehr gefoltert, in ein schummriges Verlies gesteckt wo er seinen besten Freund zum Tier degradiert hatte sehen müssen, und jetzt hatte man ihn hierher gebracht. Er konnte einfach nicht mehr. Was immer auch passieren würde, es war ihm egal.
Und so kam es, dass er die Ohmacht dieses Mal nicht als solche erkannte, sie schlich sich in Gestalt von Müdigkeit und Schlaf an und überfiel ihn, und Harry fiel bewusstlos in das knöcheltiefe Wasser.
Sirius starrte erst zu Hermione, dann zu Draco und schließlich wieder zu Hermione. Eine ganze Weile hatte keiner von ihnen etwas gesagt weil es nichts zu geben schien, das gesagt hätte werden müssen. Hermione hatte gedankenverloren aus dem Fenster gesehen und Draco - immer noch stehend - intensiv seine Schuhe begutachtet. Der Animagus seufzte.
‚Draco? Setz dich endlich…' Der Angesprochene zuckte zusammen, als hätte Sirius ihn bei etwas Verbotenem erwischt und murmelte etwas das wie ‚Ich stehe gerne' klang.
‚Draco um Himmels Willen, setz dich einfach … du machst mich wahnsinnig wenn du dastehst als würdest du in der nächsten Sekunde fluchtartig abhauen!' knurrte Sirius drohend, und seltsamerweise tat es ihm in der nächsten Sekunde fast leid. Es hatte schärfer geklungen als beabsichtigt. Sirius, du wirst senil… Malfoy verdient alles, aber kein Mitleid.
Draco jedoch tat wie ihm geheißen, ließ sich in dem Sessel, der zur Rechten Sirius stand, nieder. Eine Weile sagte keiner etwas.
‚Und was machen wir jetzt?' Es war Hermione, die endlich die Frage stellte, die allen im Kopf rumspukte.
‚Na … wir holen Harry da raus…' sagte Sirius, aber es klang nicht wirklich überzeugend.
‚Und wie wollen wir das machen? Einfach anklopfen und fragen?' erwiderte Hermione.
Draco schaute Hermione für einen kurzen Moment nachdenklich an. ‚Eigentlich ist das gar keine so dumme Idee.'
Sirius schüttelte den Kopf und vergrub das Gesicht in den Händen. ‚Jetzt hat er endgültig den Verstand verloren…'
Weder Draco noch Hermione reagierten auf Sirius' Anflug von Sarkasmus.
‚Wie meinst du das, Draco?'
‚Es könnte funktionieren Hermione… es könnte funktionieren…'
‚Draco bist du verrückt? Die lassen uns NIEMALS rein…'
‚Doch', erwiderte der junge Mann leise, fast zerbrechlich, ‚mich schon.' Mit diesen Worten schlug er den linken Ärmel seines Pullovers zurück, und auf seinem Unterarm kam schwarz und verbrannt das Dunkle Mal zum Vorschein. Hermione zuckte reflexartig zurück, als könne das Ding ihr etwas antun; und selbst Sirius schwieg, während er halb entsetzt, halb fasziniert auf das Symbol Voldemorts starrte.
‚Ein Andenken an meine Todesserzeit.' Sagte Draco bitter.
Eine unbehagliche Stille entstand, dann erhob sich Hermione und setzte sich neben Draco, hob zögernd, unsicher ihre Hand und legte sie schließlich behutsam auf Dracos Arm, auf das Dunkle Mal. Der junge Mann zuckte zusammen, nicht vor Schmerz, sondern weil es ein so ungewohntes Gefühl war. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann ihn das letzte Mal ein Mensch auf diese Art berührt hatte, sanft, vorsichtig.
‚Tut es weh?' fragte Hermione, die Dracos Reaktion missverstanden hatte. Er schüttelte den Kopf.
‚Nein.'
Dann wurde die junge Frau blass.
‚Es ist eingebrannt … keine Tätowierung…'
‚Voldemort hat alle seinen Anhängern ein Brandzeichen geschenkt… damit man uns überall wieder erkennt.' Draco klang jetzt noch bitterer, falls das überhaupt möglich war. Sirius beobachtete die Szene mit wachsendem Unmut… das war nicht richtig. Daran stimmt etwas nicht. Sie hätten Draco an einen Stuhl fesseln und dann laute Volksmusik in Hermiones Radio einstellen sollen. Sie hätten ihn im Keller einsperren können. Sie hätten ihn zwingen müssen, Mädchenkleidung anzulegen. Und stattdessen …
‚Hat es nicht weh getan?' fragte Hermione ungläubig. Draco lachte kurz auf.
‚Höllisch. Es hat höllisch wehgetan.'
‚Warum hast du es dann gemacht?'
‚Hermione, da gibt es anscheinend etwas, was dir nicht ganz klar ist: unter Voldemorts Anhängern gibt es keinen eigenen Willen, und keine eigenen Entscheidungen. Du befolgst seine Befehle, er entscheidet. Voldemort denkt für alle seine Anhänger…. Und wer sich quer stellt, der wird eliminiert. So einfach ist das.'
Er bemerkte, wie die junge Frau den Atem anhielt, warum, war ihm nicht ganz klar. Dann jedoch nickte sie, rutschte ein Stück zur Seite, deutete auf das Dunkle Mal und sagte:
‚Aber wie soll uns das weiterhelfen?'
‚Weil es unsere Eintrittskarte ist.'
‚Was denn? Du zeigst es vor und wirst rein gelassen oder was?' warf Sirius mit einem spöttischen Unterton ein. Draco fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
‚Eigentlich … ja, so ist es.' Er holte einmal tief Luft. ‚Dieses Mal bekommen nicht alle, wissen Sie. Nur ein paar Hundert des engsten Krise Voldemorts, die Elite sozusagen. Sie alle bekommen durch dieses Zeichen Eintritt zu Morgosta - das ist der Name von Voldemorts unterirdischer Residenz. ‚
‚Das klingt ja gut und schön Malfoy, aber wie soll uns das weiterhelfen?'
‚Weil ich Zutritt bekommen würde, da bin ich mir fast sicher. Und wenn ich euch als Gefangene mit mir führen würde…'
‚Okay Malfoy, das war's …' knurrte Sirius hörbar verärgert. ‚Ich bin doch nicht dumm. Schöner Versuch, aber ich lass mich von dir bestimmt nicht als Gefangener nach Mor-dingsda bringen…'
‚Sirius um Himmels Willen, lass Draco doch EINMAL ausreden!' Hermiones Lippen waren schmal geworden, ihre Stirn hatte sich in kleine Falten gekräuselt‚ und ihr Blick war starr auf den Animagus gerichtet. Sirius kannte diesen Ausdruck. Es bedeutete, dass sie kurz davor war, die Geduld mit ihm zu verlieren. ‚Immerhin hat er uns das Buch besorgt, oder? Lass uns doch erstmal hören, was er zu sagen hat!' fügte sie hinzu, und ihre Stimme klang ungewöhnlich scharf. Sirius nickte resignierend.
‚Okay. Mach weiter, Malfoy.'
Draco - der die Szene mit Überraschung beobachtet hatte - sagte zunächst nichts. Der Animagus und die junge Frau stritten miteinander, aber keiner von ihnen schien wirklich derjenige zu sein, der entschied. Sie waren gleichberechtigt, keiner bestimmte über den Anderen. Das war so anders, als alles, was er kannte. In seinem Leben hatte es bisher nur Unterwerfung und Macht, Ergebenheit oder Herrschaft gegeben. Entweder man befehligte, oder man gehorchte. Dazwischen gab es nichts. Er schob den Gedanken hastig zur Seite und holte noch einmal tief Luft.
‚Ich würde euch nicht wirklich fesseln, nur so weit das keiner was merkt. Die Wächter von Morgosta sind zahlreich, und das ist ihre Schwäche. Sie fühlen sich unangreifbar und können sich nicht im Entferntesten vorstellen, dass jemand versuchen sollte einzudringen. Höchsten auszubrechen. Das ist unser Vorteil. Wenn wir uns nur ein bisschen verkleiden bin ich mir ziemlich sicher, dass sie uns durchlassen werden.'
‚Wird es nicht sehr auffällig sein? Ich meine … du hast zwar das Dunkle Mal aber du gehst da nicht grade ein und aus oder? Wird niemand Fragen stellen?' Hermione sah ihn vorsichtig und prüfend an. Draco schüttelte den Kopf.
‚Nein. Die Todesser kennen untereinander nicht, oder nur flüchtig. Und es sind Hunderte, da verliert man den Überblick schnell. Freundschaften zu schließen gilt als Schande, als Zeichen von Schwäche. Sie kümmern sich nicht umeinander und sie haben keine Ahnung, wer zu ihnen gehört und wer nicht. Voldemorts Lakaien bekommen zwar eingeschärft, nach wem gesucht wird; aber wie gesagt, wenn wir uns ein wenig verkleiden sollte es an sich funktionieren.'
‚Und von was für einer Verkleidung sprichst du?' fragte Sirius, und zum ersten Mal klang er ernsthaft interessiert. Draco konnte seine Überraschung nicht verbergen und starrte den Animagus für einen kurzen Augenblick wortlos an, bevor er sagte:
‚Waren sie schon mal blond?'
Das erste was er hörte, waren Stimmen; erst als einheitliches dumpfes Geräusch um ihn herum, doch je mehr er aus der Bewusstlosigkeit erwachte, desto deutlicher wurde es und desto mehr konnte er verschiedene Stimmen ausmachen, die miteinander sprachen. Eine von erkannte er als Ginny, ihre eiskalte Schärfe war unverwechselbar.
‚NICHT töten sagte ich!' hörte Harry sie sagen und ihr Tonfall verriet ihm, das sie ernsthaft verärgert war.
‚Herrin, das war nie unsere Absicht, ich versichere es ihnen…' antwortete ein Mann, der Todesser, der Harry aus seiner Zelle weggeholt und in das überschwemmte Verlies gesperrt hatte.
‚Und was war dann deine Absicht? Sprich!'
‚Wir wollten uns nur unserm Spaß mit ihm machen, wie sie es uns befohlen hatten…'
‚Ich hatte ausdrücklich gesagt, dass Potter nicht sterben darf…'
‚Herrin, er ist einfach umgefallen, zusammen geklappt! Damit war doch nicht zu rechnen…!'
‚Ja Herrin…wir haben das doch schon oft gemacht und nie ist etwas Ernsthaftes passiert, außer ein paar Frostbeulen oder einer Lungenentzündung oder so…bewusstlos geworden ist noch nie jemand…jedenfalls nicht nach so kurzer Zeit…' schaltete sich jetzt eine andere unterwürfige Stimme ein, wahrscheinlich der zweite Todesser, der Harry in das Verlies gesperrt hatte.
‚Das interessiert mich nicht…' gab Virginia kühl zurück. ‚Hättet ihr auf Potter besser aufgepasst, so wie es euch befohlen war, dann hätte er nicht noch minutenlang im eiskalten Wasser gelegen und wäre fast ertrunken.'
Eine unbehagliche Stille entstand, bedrohlich und fürchterlich, die stickige Luft geladen mit Angst und Furcht und Erwartung. Harry regte sich nicht, es war besser Ginny in dem Glauben zu lassen, er sei noch bewusstlos. Vielleicht würde es ihm ein paar Minuten ohne Schikane verschaffen, ohne Demütigung und zusätzlichen Qualen. Jede Faser seines Körpers schmerzte, in seinem Kopf hämmerte es, und dennoch musste er zu seiner Überraschung feststellen, dass seine Kleidung, sogar sein Haar vollkommen trocken war. Wie lange hatte er hier wohl schon gelegen, ohne Bewusstsein? Oder hatte Ginny ihre Hände im Spiel gehabt? So recht vorstellen konnte er es sich nicht. Mittlerweile glaubte er wirklich, was sie ihm erzählt hatte - das sie nicht mehr das Mädchen war, das er einst kannte und schätzte… und das alles Gute, jeder noch so kleine Funke Mitgefühls vollkommen und unwiderruflich aus ihr gewichen war.
‚Ihr wisst, dass ihr für dieses Ungehorsam büßen müsst?'
Da war ihre Stimme wieder, tot und kalt, schrecklich ruhig und fast amüsiert. Die anderen Todesser antworten nicht, aber Harry stellte sich vor, wie sie mit schuldbewusster Mine zu Boden starrten, wohl wissend, was ihnen nun drohte - sogar Harry hatte begriffen, dass Ginny mehr als verärgert war und mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit die beiden Todesser, die ihn - Harry - fast hätten ertrinken und erfrieren lassen, hart bestrafen würde. Er seufzte innerlich.
‚Ja, Herrin…' erwiderten die beiden Männer gleichzeitig. Sie klangen noch sehr jung, es war Harry nicht aufgefallen, als sie ihn von Ron weggezerrt hatten, aber sie schienen kaum älter als 20 zu sein.
Ron.
Ein heißer Schauer durchfuhr ihn, als die Erinnerung an die Stunden mit seinem besten Freund zurückkehrte. Ob es Ron gut ging? Ob die Todesser ihm etwas angetan hatten, nachdem sie ihn, Harry, in das andere Verlies geworfen hatten? Ob sie ihn noch mehr gefoltert hatten? Tränen der Wut stiegen in ihm hoch, aber er schluckte sie runter; besser so zu tun, als ob man noch ohnmächtig war. Dann kam ihm ein neuer Gedanke: wusste Ginny, dass Ron nicht tot war? Hatte sie Harry angelogen oder glaubte sie wirklich, ihr Bruder sei nicht mehr am Leben? Harry konnte es sich nicht erklären, aber unwillkürlich tippte er auf Letzteres. Irgendetwas sagte ihm, dass Ginny nicht zu dem geworden wäre was sie jetzt war, hätte sie von dem gefolterten jungen Mann unten in den Kerkern gewusst.
Sollte Harry es ihr sagen? Würde es Ginny verändern, vielleicht sogar Voldemort's Macht entreißen? Würde es Ron's Tod bedeuten wenn Ginny davon erfuhr? Vielleicht Beides…er hatte das dumpfe Gefühl, dass Voldemort Ginny absichtlich über ihren Bruder belogen hatte… nicht das Lügen etwas Ungewöhnliches bei dem Dunklen Lord war…, vielleicht wusste Voldemort was auch Harry wusste, oder ahnte. Wenn Ginny davon erfuhr, dann würde sie möglicherweise versuchen ihrem Bruder zu helfen, ganz gleich wie abgestumpft und kalt sie geworden war. Und Voldemort würde seine treueste Dienerin verlieren.
Aber wenn Harry es ihr jetzt sagte, würde sie ihm überhaupt glauben? Und was, wenn sie es tat? Es wäre Rons Todesurteil. Der Dunkle Lord würde Ronald vorher aus dem Weg schaffen, verschwinden lassen, bevor Ginny Fragen stellen oder nach ihrem Bruder würde suchen können. Die Wände hier hatten Ohren, und Harry befürchtete, dass alles, was er hier sagte, unweigerlich zu Voldemort durchdringen würde.
Nein, er konnte es Ginny nicht sagen.
‚Was ihr getan habt muss bestraft werden, und nicht ich werde dafür verantwortlich sein. Ich werde den Dunklen Lord über den Vorfall informieren. Ihr dürft gehen.'
Er hörte die beiden Männer etwas murmeln, das sich wie ‚Ja, Herrin.' Anhörte, dann wurde eine Tür quietschend geöffnet und fiel kurz darauf schwerfällig ins Schloss. Erst jetzt bemerkte er das Knistern eines Feuers in der Nähe, offenbar befand sich in dem Raum ein offener Karmin. Da waren Schritte, starke, schnelle, gezielte Schritte die er unwillkürlich Ginny zuordnete, sie kamen näher und blieben neben ihm stehen, dann war für einen kurzen Moment alles ruhig bevor ihn plötzlich eine Stiefelspitze in die Rippen stieß. Nicht wirklich trat, aber kräftig genug um ihn zusammenzucken zu lassen.
‚Komm schon, Potter… ich weiß, dass du nicht schläfst. Mir machst du nichts vor.'
Harry öffnete seine Augen und sah Ginny über sich, ihre Augen waren fast schwarz und fixierten ihn mit einer Mischung aus Hass und Interesse, er konnte es nicht ganz genau deuten. Aber er wusste, dass es ihm Angst einjagte.
‚Setz dich hin…' sagte sie tonlos. Als Harry jedoch keine Anstalten machte, sich zu bewegen wurde ihre Stimme wieder schärfer, der Ton schriller.
‚Setz dich hin hab ich gesagt, Potter.'
Mühsam setzte Harry sich auf, so langsam das er fast befürchtete, Ginny würde ungeduldig werden und ihre Wut an ihm abreagieren. Doch erstaunlicherweise blieb sie ruhig und beobachtete mit offensichtlichem Vergnügen, wie Harry um jeden Zentimeter kämpfte der ihn einer Sitzposition näher brachte. Als er es schließlich geschafft hatte, standen ihm Schweißperlen auf der Stirn und er keuchte schwer.
‚Und was nun?' fragte er atemlos aber mit einem Hauch von Trotz in der Stimme. Sein Lebenswillen begann zurückzukehren, begleitet von seinem Stolz. Voldemort hatte ihn nicht untergekriegt oder gebrochen. Jedenfalls noch nicht.
‚Ah, wie ich sehe geht es dir schon wieder gut genug, um dich wieder ins Verlies zu werfen, was?' erwiderte Ginny spitz und dann lächelte sie, und die Grausamkeit darin entstellte ihr Gesicht bis zur Unkenntlichkeit. Harry antwortete nicht. Der bloße Gedanke an das dunkle, nasse Gefängnis in dem er zuletzt gewesen war lähmte ihn. Ginny nickte.
‚Dachte ich es mir doch.'
Sie kehrte ihm den Rücken zu, wohl wissend, dass der junge Mann ihr weit unterlegen und hilflos war, und keine Gefahr für sie bedeutete. Und Harry wusste es auch. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so schutzlos gefühlt. Selbst die Male, wo er dem dunklen Lord gegenüber gestanden hatte, war er zumindest bewaffnet gewesen. Doch jetzt war alles anders, und der Vorteil lag ganz klar auf ihrer Seite. Er war irgendwo unter der Erde in einer Katakombenanlage, aus der er alleine nie herausfinden würde. Alles schmerzte ihm, und er wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, seit er zuletzt etwas gegessen hatte. Harry war Ginny ausgeliefert, und sie war sich dessen bewusst und genoss es. Er konnte es spüren. In der Art wie sie sich ihm gegenüber bewegte, in der Nachlässigkeit darin, ihn zu bewachen oder bewachen zu lassen. Es war ihr Territorium und ihre Spielregeln.
Als sie sich wieder zu ihm umdrehte hatte sie einen schwarzen Becher in der Hand, den sie Harry wortlos reichte. Er nahm ihn verblüfft in die Hände was nicht so einfach war da seine Finger zitterten wie verrückt, und bemerkte, dass der Becher mit einer Flüssigkeit gefüllt war. Misstrauisch roch er daran, konnte aber nichts Merkwürdiges feststellen. Dann sah er Ginny fragend an.
‚Was ist das?'
‚Potter DAS ist der Grund, warum du es nicht nach Ravenclaw geschafft hast. Es ist ein Becher mit Wasser.'
Harry starrte sie an, unschlüssig was er tun sollte. Was hatte das zu bedeuten?
‚Potter, trink schon du verdammter Idiot. Und schau mich nicht so an, es ist bloß Wasser. Glaubst du etwa, ich würde dich vergiften? Du bist so was von dumm, Potter. Ich würde dich nicht töten, es sei denn du gibst mir einen Grund oder zwingst mich dazu. Das überlasse ich Lord Voldemort. Glaub mir, er wird es dir so schmerzvoll machen, das du dir wünschen wirst du lägest wieder gefoltert im Keller. Also trink jetzt oder ich werde dich zum Trinken bringen.'
Zögernd setzte Harry daraufhin den Becher an seine Lippen, schloss die Augen und nahm einen kleinen Schluck, halb in der Erwartung, das etwas Schlimmes passieren würde. Doch nichts geschah. Ginny hatte ihm wirklich nur Wasser gegeben, und so trank er den Rest gierig, bis auf den letzten Tropfen. Er war kurz davor sich bei Ginny zu bedanken, konnte sich aber im letzten Augenblick zurückhalten. Schweigend gab er ihr den Becher zurück. Als Ginny das Gefäß entgegennahm berührten sich ihre Hände kurz und Harry zuckte instinktiv zurück. Ihre Hände waren eiskalt, wie die einer Toten.
‚Na siehst du Potter, alles halb so schlimm.' Sagte sie. Dann stützte sie die Hände in die Hüften und betrachtete Harry für einen kurzen Augenblick, bevor sie hinzufügte:
‚Du bleibst heute hier. Ich werde es nicht riskieren, dass du mir noch mal wegen dem Unvermögen meiner Lakaien vorzeitig wegstirbst. Auch wenn du eigentlich nichts Besseres als das dunkelste, hinterste Verlies verdient hättest. Tja, Hochmut kommt vor dem Fall, was? Der Boden wird wohl gut genug für dich sein. Jedenfalls, bis mein Herr sich deiner annimmt.'
‚Und wann wird das sein?' brachte Harry hervor.
‚Oh, bald Potter. Schon sehr bald.'
Sie trat näher an Harry heran, der noch immer mit vor Qual verhärtetem Gesicht auf dem Boden saß und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihm noch immer alles schmerzte. Vergeblich, wie er wusste, aber er hatte nicht vor sich kampflos aufzugeben. Der Trotz in ihm wuchs.
Ginny blieb etwa einen Meter vor ihm stehen und zückte in aller Ruhe ihren Zauberstab, er schimmerte leicht im fahlen Licht des Kaminfeuers. Sie betrachtete ihn eingehend, das schwarze glänzende Holz, fast liebevoll. Und das war vielleicht das Gruseligste an der ganzen Geschichte, dass so etwas Kaltes und Unbarmherziges wie Ginny etwas tatsächlich mit Zuneigung bedachte.
‚Ich denke zwar nicht, dass du mir weglaufen kannst…' sagte sie mit einem Hauch von Erregung in ihrer Stimme. ‚Aber sicher ist sicher. Catena Apparere!'
Bevor Harry reagieren konnte waren aus der Wand hinter ihm zwei Ketten geschossen und hatten sich um seine Handgelenke gelegt. Dann verkürzten sich die Ketten plötzlich und zogen ihn ruckartig nach hinten, so dass er mit voller Wucht gegen das Mauerwerk knallte. Ein lauter Schmerzensschrei entfuhr ihm, ungewollt.
‚Oh, das war wohl etwas zu heftig, was?' sagte Ginny höhnisch lächelnd. ‚Nun ja, Potter, ich wünsche dir eine Gute Nacht… oder was davon übrig ist. Morgen wirst Voldemort vorgeführt werden, und dieses Mal wird er dir ein für alle Mal ein Ende machen. Schlaf gut.'
Sirius stand vor dem Spiegel und betrachtete sein Gegenüber mit einer Mischung aus Verzweiflung und blankem Entsetzen.
‚Draco, das kann nicht dein Ernst sein.'
Er wandte sich hilfesuchend um, doch weder Hermione noch Draco erwiderten etwas. Hermione war viel zu besorgt um Harry, um sich um Sirius' plötzlichen Anfall von Eitelkeit zu scheren, und Draco traute sich schlicht und einfach nicht, in Lachen auszubrechen. Besonders, da er selber wahrscheinlich nicht weniger dämlich aussah, mit seinem kurzen, braunen und den dazu gefärbten Augenbrauen. Hermione hingegen hatte sich die Haare knallrot gezaubert und geglättet, so dass sie sich selber kaum noch glich, jedenfalls wenn man nur flüchtig hinsah. Sirius aber gab einfach nur ein Bild für die Götter ab.
Sein einst schwarzes Haar war jetzt blond, fast weiß, und stand strohig in alle Richtungen ab. Seine Augenbrauen waren kaum mehr zu sehen. Er fand selber, dass er auf erschreckende Art und Weise wie eine ältere Version von Draco wirkte, mit dem weißblonden Schopf und dem bleichen Gesicht ohne Augenbrauen. Es sah wirklich komisch aus, Sirius wusste es, und Draco wusste dass Sirius es wusste. Dennoch konnte er sich grade so davon abhalten, in lautes Gelächter auszubrechen.
‚So lauf ich doch nicht draußen rum…' beschwerte sich Sirius erneut, was jedoch nur dazu führte, dass Hermione endgültig die Geduld verlor.
‚Herrgott noch mal Sirius Black…vergiss doch bitte einmal kurz, das du möglicherweise für ein paar Stunden nicht der Schönste im ganzen Land bist und konzentrier dich lieber darauf, deinen Patensohn aus den Händen Voldemorts zu befreien…können wir uns darauf einigen?'
‚Wo sie recht hat, hat sie recht.' Fügte Draco hinzu.
Sirius seufzte.
‚Na schön… aber wenn die anderen Todesser mich auslachen, dann gibt's Ärger.'
‚Du tust grade so, als ob das hier ein Spiel wäre…könntest du dir vielleicht ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit abzwingen?' Hermione klang jetzt wirklich genervt. Sirius spürte, dass es keinen Sinn machte, die Stimmung etwas zu lockern zu versuchen. Er wusste, wie Hermione sich fühlte. Gott, er dachte ja selber jede Minute an Harry. Und offensichtlich war es wohl zwecklos, sie abzulenken zu versuchen wenn es ihm ja selber nicht gelang.
‚Ich werd's versuchen…' erwiderte er. ‚Mir passt die ganze Geschichte immer noch nicht. Das klappt niemals.'
‚Das werden wir ja sehen…' Draco verschränkte die Arme vor der Brust und hob das Kinn etwas. Sirius warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. In einem Punkt musste er Draco recht geben - es war unwahrscheinlich, höchst unwahrscheinlich sogar, dass ihn jemand erkannte.
‚Also gut… dann mal los.'
Es war dunkel, und Harry vermutete stark, das es Absicht war. Ginny war gegangen und hatte den Raum abgedunkelt, doch er vermutete, dass er trotzdem unter schärfster Beobachtung stand. Die Wände schienen hier Augen und Ohren zu haben, ein Fluchtversuch war unmöglich. Nicht nur, weil Harry ohne seinen Zauberstab machtlos und zudem noch gefesselt war. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass jede seiner Bewegungen beobachtet und registriert wurde, und das Ginny vielleicht nur darauf wartete, dass er ihr einen Grund gab ihn zu töten. Aber den Gefallen würde er ihr nicht tun.
Harry schloss die Augen und lehnte seinen Kopf gegen das kühle Gemäuer hinter ihm. Er fragte sich, wie spät es wohl war, oder welcher Tag. Wie viel Zeit war vergangen, seit er Hermione und Sirius gesehen hatte? Zum ersten Mal wünschte er sich, wieder in seine alte Welt zurückkehren zu können. Ja, Sirius war dort tot aber… alles andere war besser. Ron und Hermione waren glücklich und hatten ein Kind, Remus lebte noch…und Ginny, Ginny war zwar gestorben aber als Heldin, hatte sich nicht in das Monster verwandelt, das Harry hier begegnet war.
Er seufzte. Die Handgelenke taten ihm weh, dafür hatte der Schmerz im Rest seines Körpers etwas nachgelassen und wenn Harry sich konzentrierte, dann konnte er ihn ignorieren. Wie lange er wohl noch hatte, bevor Ginny ihn zu Voldemort bringen würde? Er hatte keine Angst vor dem Tod, nur vor dem Sterben. Vor all den Dingen, die ungesagt oder ungetan bleiben würden. Und darauf vorbereiten, das konnte man nicht. Er hatte solche Angst, dass er noch nicht einmal vor Verzweiflung weinen konnte. Und so wartete Harry. Wartete auf den Morgen und alles, was er mit sich bringen würde.
Der Himmel begann sich rosa zu färben, als Draco, Sirius und Hermione aus dem Wald hinaustraten. Es war frisch, und Hermione fröstelte. Abgesehen vom Rauschen des Windes in den Bäumen war es vollkommen still, unnatürlich still. Anscheinend hatten alle Lebewesen in der Umgebung das Weite gesucht, den Ort für immer verlassen. In kurzer Entfernung konnten sie die Umrisse einer alten, halb verfallenen Kirche ausmachen.
‚Und nun?' fragte Hermione stirnrunzelnd. Das hier war so gar nicht wie das, was sie erwartet hatte.
‚Dort drüben ist es.' Erwiderte Draco leise und deutete mit dem Zeigefinger auf die Ruine, die sich schwarz und unheimlich gegen das zarte rosa der Morgenröte abhob.
‚Aber…das ist eine Kirche…' sagte Hermione verblüfft.
‚Draco wenn das ein Trick ist, dann reiß ich dir den Kopf ab und steck ihn dir in den Hintern, das schwöre ich…' knurrte Sirius.
‚Voldemort's Sitz ist unterirdisch, und die alte Kirche hier ist der Zugang. Der Gute ist etwas paranoid, deswegen liegt es so abgelegen und versteckt.' Antwortete Draco ruhig ohne auf Sirius' Kommentar einzugehen. ‚Ich muss euch jetzt die Fesseln anlegen, wir sind hier auf seinem Land und es können jederzeit Todesser auftauchen.' Er bemerkte Sirius' Blick und fügte schnell hinzu: ‚Nur zum Schein, ihr könnt euch jederzeit befreien…'
Hermione nickte und streckte ihm ihre Arme entgegen, die Draco mit einem Stück Seil zusammenband. Nur so weit, dass es echt aussah, sie sich aber im Notfall selber den Fesseln entledigen konnte. Die Nervosität in ihr wuchs, jetzt gab es kein zurück mehr. Sie sah, wie Draco einem sich heftig widerstrebenden und leise fluchenden Sirius die Hände fesselte, und schluckte. Wenn der Plan in die Hose ging, aus irgendeinem Grund, dann war nicht nur Harry's Schicksal besiegelt sondern ihr aller. Sie fragte sich ob sie die ganze Geschichte würde durchziehen können.
‚Also…' begann Draco, als ob er ihre Gedanken erraten hatte. ‚…das Wichtigste ist, dass ihr die Nerven behaltet. Egal was passiert, ihr antwortet gar nicht oder nur mit ‚ja' oder ‚Nein' wenn ihr direkt angesprochen werdet. Provoziert sie nicht und versucht wie Gefangene auszusehen, nicht als ob ihr was im Schilde führt. Es geht uns nur darum, reinzukommen…also verhaltet euch ruhig und überlasst mir das Reden. Ansonsten können wir die ganze Aktion auch abblasen…'
Hermione atmete tief durch, und nickte. ‚Verstanden. Ich bin soweit. Und du?'
Sie warf einen Blick hinüber zu Sirius, dessen Gesicht angespannt und blass war. Er war ebenso nervös und er hatte Angst, Hermione wusste das. Angst um Harry. Angst vor dem, was sie ihm vielleicht antun würden oder vielleicht schon angetan hatten. Kein noch so witziger Spruch konnte das verstecken.
‚Von mir aus kann's losgehen.' antwortete Sirius, es klang mechanisch.
‚Dann los.' Sagte Draco. ‚Am besten ihr geht vor mir damit es so aussieht, als würde ich euch bedrohen…einfach auf die Kirche zu…'
Langsam setzten sich die Drei in Bewegung, der Boden unter ihnen war matschig und holperig, und Hermione und Sirius hatten einiges damit zu tun, wegen den gefesselten Händen nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten und zu fallen. Ein paar Mal stolperte Hermione, doch sie konnte sich jedes Mal noch gerade fangen. Als sie schließlich in die Kirche eintraten, schlug ihr das Herz bis zum Hals und sie hatte das Gefühl, sich jeden Moment übergeben zu müssen. Sie spürte wie Sirius neben ihr leicht zitterte.
Das Dach der Kirche fehlte, nur die Wände waren noch erhalten geblieben. Nichts desto trotz befanden sich noch ein paar Holzbänke darin, und zur rechten Seite war tatsächlich noch ein Beichtstuhl erhalten geblieben.
‚Los, rein da!' zischte Draco, laut und deutlich hörbar. Hermione zuckte unwillkürlich zusammen, als sie seine Stimme hörte. Der Tonfall hatte sich vollkommen geändert, Draco klang jetzt kalt, befehlend und arrogant. Sie konnte ihn praktisch höhnisch auf sie herablächeln sehen, obwohl Draco ein gutes Stückchen kleiner war als Sirius. Und dann wurde ihr klar, dass sie wahrscheinlich nicht die geringste Vorstellung davon hatte, wie Draco zu seiner Todesserzeit gewesen war.
Sie betrat den Beichtstuhl nach Sirius, gefolgt von Draco, und fand sich plötzlich in einer Art schmalem Tunnel wieder, der von ein paar Fackeln hier und da fahl erleuchtet wurde. Die Decke war leicht gewölbt, aus rotem Backstein, und so niedrig, dass Sirius sich ducken musste. Unschlüssig blieb Hermione stehen, doch Draco stieß sie von hinten an und befahl ‚Beweg dich!' Sie brauchten nicht lange zu gehen, bis sie schließlich an eine eiserne Tür kamen, die zu beiden Seiten von Todessern bewacht wurde.
Die beiden Männer (zumindest vermutete Hermione, dass es sich um Männer handelte) hatten ihre Gesichter verhüllt, und trugen blutrote Roben. Der Rechte hatte bereits seinen Zauberstock gezückt, als er ‚Markierung?' fragte. Draco stieß Sirius barsch zur Seite, trat hervor und rollte seinen Ärmel hoch, so dass Voldemorts Zeichen deutlich zu sehen war. Aus den Augenwinkeln konnte Hermione erkennen, dass Draco kleine Schweißperlen auf der Stirn klebten, die die Wachen allerdings nicht zu bemerken schienen.
‚Er ist sauber.' Stellte der Todesser, der das Dunkle Mal begutachtet hatte, fest. Dann wandte er sich wieder an den jungen Mann. ‚Wen bringst du da? Gefangene?'
Draco nickte.
‚Ja. Zwei Aufständische. Das Mädchen ist ein Schlammblut. Hab sie bei einem Gespräch belauscht, in dem sie den Dunklen Herrn diffamiert und beleidigt haben, und daraufhin gefangen genommen. Sie sollen Voldemort's Rat vorgeführt werden, darum habe ich sie hergebracht.'
Der Todesser, der Draco angesprochen hatte, machte einen Schritt auf Hermione und Sirius zu und starrte sie prüfend an. Obwohl Hermione sein Gesicht nicht sehen konnte, fühlte sie seine Augen auf ihr ruhen. Ihr wurde warm, und sie verspürte den übermächtigen Drang, einfach davonzulaufen. Das hier KONNTE gar nicht gut gehen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Instinktiv senkte sie ihr Haupt ein wenig, als ob in Demut, und starrte auf ihre Schuhe. Ihre Hände zitterten wie verrückt, aber wenn der Todesser sie fragen sollte konnte sie das wenigstens auf ihre Angst schieben.
‚Und wer bist du?' Die Wache hatte sich von ihr abgewandt und Sirius angesprochen. Sie hörte den höhnischen Tonfall des Mannes, seine Stimme hohl und hell, aber ohne Leben. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Todesser Sirius seinen Zauberstab unters Kinn drückte und auch wie Sirius' Augen blitzten. ‚Bitte Sirius, bitte lass dich nicht provozieren…' flehte sie im Geist. ‚Bitte, bitte, es geht um Harry…bitte mach jetzt nichts Dummes…'
‚Er hat wohl das Reden verlernt…' warf Draco scherzhaft ein, doch Hermione konnte an der Nervosität in seiner Stimme hören das er dasselbe befürchtete wie sie selber und die Situation retten wollte. ‚Kann ich die zwei jetzt reinbringen, hier ist es saukalt…' fügte er dann hinzu. Einen kurzen Moment lang fürchtete Hermione, dass ihre Tarnung aufgeflogen war, doch dann nickte der Todesser, murmelte eine Beschwörung und trat zur Seite, als die eiserne Tür sich langsam öffnete. Die Drei gingen hindurch - Draco machte noch immer abfällige Bemerkungen über seine Gefangenen - und dann fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Hermione und Sirius sahen Draco ungläubig an - sie hatten es tatsächlich in Voldemorts Versteck geschafft.
‚Los, Potter, aufstehen!'
Das war Ginny's Stimme, unverkennbar. Verwirrt öffnete er die Augen und starrte in gleißendes Licht. Der Raum war jetzt ungleich der vorigen Nacht in helles, aber kaltes Licht getaucht, und Harry zuckte kurz zusammen, als der Schein seine Augen traf, die sich zuvor an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Sein Kopf dröhnte, er konnte sich nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein. Er hörte Ginny näher kommen und öffnete die Augen erneut. Da war sie, über ihm, ihre weißen Zähne blizten vor Schadenfreude.
‚Mein Herr will sich deiner annehmen.' Sagt sie.
‚Ich kann's kaum erwarten…' gab Harry mit zusammen gepressten Zähnen zurück. Ginny lächelte.
‚Und noch immer voller Stolz, was? Na, der Dunkle Lord wird dir das noch austreiben. Ich freue mich schon darauf dabei zuzusehen, weißt du. Das ist etwas ganz Besonderes. So mach ein Todesser in diesen Gemäuern würde sonst was dafür geben. Aber da ich dich zu ihm gebracht habe, wird mir auch die Ehre zuteil bei der Zeremonie beizuwohnen…'
‚Zeremonie?'
‚Ach du weißt schon, das Übliche. Ein wenig Folter, jede Menge Entwürdigung und noch ein bisschen mehr Folter bevor er dich endgültig tötet. Ich hoffe, ich habe genug Proviant dabei, es könnte nämlich etwas länger dauern. Und jetzt, komm schon...'
Erst jetzt bemerkte Harry, dass die Ketten verschwunden waren und er sich frei bewegen konnte. Mühsam erhob er sich, bis er schließlich aufrecht, wenn auch auf wackeligen Beinen, vor ihr stand. Er war ein wenig größer als sie und konnte auf sie herabblicken und das schien sie zu ärgern. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen und ihr Mund wurde zu einer schmalen Linie. Halb erwartete Harry wieder von ihr geschlagen oder anderweitig Schmerzen zugefügt zu bekommen, doch Ginny tat nichts dergleichen sondern schubste ihn nur unsanft Richtung Tür.
‚Los, jetzt.'
Harry trat hinaus in den dunklen, niedrigen Gang. Die Säulen und Pfähle waren kunstvoll mit Schnitzereien verziert, den Großteil bildeten sich wiederholende Schlangenmotive, die im Dämmerlicht der Fackeln zu leben zu erweckt schienen. Überall waren Wachen postiert, Todesser in blutroten Umhängen die sich nicht rührten noch mit ihm oder untereinander sprachen und wie Statuen wirkten. Er spürte einen Stoß von hinten, offenbar ging es Ginny nicht schnell genug, und so setzte er sich wieder in Bewegung, so schnell er konnte aber nicht schnell genug, denn in regelmäßigen Abständen ließ Ginny ihren Zauberstab auf seinen Rücken knallen, als ob sie auf einem Kutschbock säße und ihre Pferde antrieb.
Und dann standen sie plötzlich in der großen Halle, in der Harry schon zuvor Voldemort vorgeführt worden war. Am gegenüberliegenden Ende konnte er den Dunklen Lord auf seinem Thron sitzen sehen und auch die Todesser waren wieder da, allerdings hatten sie sich nicht im Kreis aufgestellt wie letztes Mal sondern an beiden Längsseiten postiert wo sie unbeweglich verharrten, ähnlich wie die Wachen in den Gängen. Wieder stieß Ginny ihn an und er stolperte ein paar Meter auf Voldemort zu, bis er sich erneut in der Mitte des Raumes befand. Harry fröstelte, ihm war kalt. Seine Knie schienen wie aus Gummi, vor Schmerz und Schwäche und auch, weil er schreckliche Angst hatte. Er wusste, dass Voldemort nicht zu spaßen pflegte und weder Barmherzigkeit noch Gnade kannte. Er würde Harry töten, das stand fast, am Ende dieses Tages würde er, Harry, nicht mehr am Leben sein. Und dieses Mal gab es kein Entkommen, weder Glück noch Freunde würden ihm zur Hilfe kommen. Es war zwecklos.
‚Nun Potter, ich hoffe du bist bereit zu sterben?' fragte Voldemort.
Draco trieb Sirius und Hermione immer noch vor sich her, nur, um sicherzugehen. In regelmäßigen Abständen kamen sie an Wachen vorbei, die sie aber kaum wahrzunehmen schienen. Schließlich hatte das Trio ja die Wachen am Haupteingang passiert, also ging von ihnen keine Gefahr aus. Sie gingen schnell aber nicht hektisch, dennoch hatten sie alle das untrügliche Gefühl, dass jetzt jede Sekunde zählte. Eine seltsame Erregung lag in der Luft, wie vor einem wichtigen Quidditch-spiel nur viel, viel stärker, und sie alle wussten, dass es mit Harry zu tun haben mussten.
‚Was tun wir jetzt?' flüsterte Hermione mit gepresster Stimme, als für eine kurze Zeit keine Todesser in Sicht waren.
‚Wir suchen Harry, was sonst?'
‚Aber wo fangen wir an?'
‚In den Verliesen…' gab Draco mit gedämpfter Stimme zurück. ‚Dort werden alle wichtigen Gefangenen eingesperrt bis zu ihrer Verurteilung. Oder Exekution. Meistens läuft es aufs selbe hinaus…'
‚Und was machen wir, wenn wir ihn gefunden haben?' Hermione spürte wie sich etwas in ihrem Magen zusammenzog. ‚Wie befreien wir ihn? Und wie kommen wir hier wieder raus?'
‚Das überlegen wir uns, wenn es soweit ist.'
‚Ich hoffe auch nur, dir fällt dann was ein…' knurrte Sirius leise. In Wirklichkeit machte er sich vor Angst fast in die Hosen. Nicht wegen sich selber sondern wegen dem, was man Harry und auch Hermione antun würde, sollten sie geschnappt werden. Und das war sehr wahrscheinlich.
‚Das hoffe ich auch…' erwiderte Draco.
Sie marschierten weiter, durch endlose Gänge und Tunnel, und drangen immer tiefer in Voldemorts Reich ein. Mal war die Luft warm und stickig, mal kalt und klar, aber immer trug sie den Geruch von Tod und Verwesung mit sich. Hemione hatte die Hände zu Fäusten geballt, die Knöchel waren weiß. Sirius hatte sich vor Anspannung und Furcht die Unterlippe blutig gebissen, aber er bemerkte es nicht einmal.
‚Gleich sind wir da….' Sagte Draco.
‚Und was glaubst du, wo du hin willst, Draco?' hörten sie plötzlich eine kalte, schrille Stimme hinter sich. Sirius und Hermione blieben wie angewurzelt stehen, Hermione's Nackenhaare stellten sich automatisch auf. Sie waren erwischt worden. Gott, es war vorbei. Sie drehte sich langsam um und ein Schreckensschrei entfuhr ihr, als sie Ginny erkannte, sie hatte ihren Zauberstab auf die drei gerichtet. Ausgerechnet Ginny.
‚Expelliarmus! Accio!' sagte Ginny kühl und Sirius', Hermione's und Draco's Zauberstabe wirbelten durch die Luft in ihre Hände. Draco erwiderte nichts. Hermione spürte, wie Sirius schützend seinen Arm um sie legte. Sie wusse, was er dachte. Ginny war allein und sie zu dritt, aber sie war eine mächtige Hexe, weitaus mächtiger als sie alle zusammen. Ein Überwältigungsversuch machte keinen Sinn. Außerdem würde Ginny dann sowieso sofort Alarm schlagen, und so alles in Aufruhr versetzen.
‚Fein, wenn du nicht reden möchtest…' sagte Ginny und zog eine Schnute. Dann wandte sie sich an Sirius und Hermione. ‚Und ihr Zwei…schön euch wieder zu sehen, ich hatte euch schon vermisst. Sehr mutig, was ihr hier vorhattet. Zwar dumm, aber sehr mutig.'
‚Vielen Dank für deine Anerkennung.' antwortete Sirius. Hermione hielt die Luft an. Man durfte Ginny nicht provozieren, niemals… aber sie schien heute in guter Laune zu sein, weil sie Sirius' Kommentar einfach ignorierte und stattdessen sagte:
‚Ihr hattet doch nicht ernsthaft geglaubt, dass mich solch eine billige Verkleidung würde täuschen können, oder?'
‚Ehrlich gesagt hatten wir gehofft, dir gar nicht erst über den Weg zu laufen…' gab Draco knurrend zurück. Ginny's Augen wurden klein und schmal vor Zorn, als sie ihren Zauberstab langsam auf Draco richtete. Unwillkürlich griff Hermione nach Sirius Arm, und klammerte sich an ihn, sie wusste zu was Ginny fähig war. Für einen kurzen Moment der eine Ewigkeit zu dauern schien war alles still, dann sagte Ginny:
‚Na das nennt man dann wohl Pech. Und jetzt kommt. Es gibt da etwas, was ihr euch unbedingt ansehen solltet.'
