Vorbereitungen
Dumbledore hatte sein Versprechen eingelöst und kam nur wenige Tage nach dem Vorfall zu Cassy. Das heißt, er erschien einfach mit einem leisen Plopp und Cassy wurde vor Schreck fast ohnmächtig, als er plötzlich im Wohnzimmer vor ihrem Fernsehapparat auftauchte. Als Zugabe zu "Eine schrecklich nette Familie" sozusagen.
Cassy hatte einen solchen Schrecken bekommen, dass sie ihn anbrüllte: "Können Sie nicht einfach wie ein normaler Mensch an der Tür klingeln? Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen!"
Dumbledore lachte schallend. "Bitte entschuldigen Sie", sagte er, nahm seine Brille ab und wischte sich die Augen. Als sie sich einigermaßen erholt hatte, sah sie Dumbledore verlegen an. Es war ihr unangenehm, dass sie ihn so angebrüllt hatte.
"Möchten Sie nicht Ihren Mantel ausziehen?" Er zog die Robe aus und gab sie ihr. Darunter hatte er einen tadellosen dunkelblauen Maßanzug an, ein weißes Hemd mit Krawatte und eine passende Weste. Wenn nicht die langen Haare und der noch längere Bart gewesen wären, hätte man ihn für einen vornehmen alten Lord halten können. Jetzt konnte man ihn für einen vornehmen alten Lord mit einem Spleen halten. Wegen der Haare. Und dem Bart.
Cassy sah überrascht aus. "Ich hatte hier in London bei einem sogenannten Mittelsmann zu tun. Er ist das Tor zwischen den Muggeln und den Magiern. Es gibt nicht viele dieser Verbindungsleute, wie Sie sich vorstellen können. Aber wir brauchen uns gegenseitig, um in Fällen Schadensbegrenzung zu betreiben, bei denen auch wir mit Magie nicht mehr weiter kommen. Daher der Aufzug", schloss er erklärend.
Cassy wollte gar nicht wissen, was er mit Schadensbegrenzung meinte, aber er sprach weiter.
"Heute hatten wir ein Treffen, was mit dem Haus Ihrer Freunde passiert. Wir können zwar den Menschen die Erinnerung nehmen, aber dokumentierende Papiere können wir nicht ändern. Dazu brauchen wir diese Mittelsmänner."
"Ich will nicht wissen, was mit dem Haus passiert und ich will auch nichts über ihre Mittelsmänner wissen", sagte Cassy leise und wich seinem Blick aus.
Dann fing sie sich und wechselte das Thema. "Wie wäre es mit einem Tee?" Der alte Schulleiter nickte und Cassy lud ihn in die Küche ein. Dort konnte man gut sitzen und beim Tee alles Weitere besprechen.
"Wie geht es Mr. Snape?" fragte sie in der Küche, als der alte Mann Platz genommen und sie das Teewasser aufgesetzt hatte. 'Er wird langsam wieder biestig', wollte Dumbledore gerade sagen, um ihr zu verstehen zu geben, dass es ihm besser ging, aber im letzten Moment fiel ihm ein, dass Cassy ihn nur schlafend kannte.
"Er ist auf dem Weg der Besserung. Unsere Heilerin hat mir bestätigt, dass Sie durch Ihren Einsatz wirklich sein Leben gerettet haben. Eigentlich durch einen ungewöhnlichen Umstand."
Cassy schaute ihn fragend an. "Dadurch, dass Sie ihn in ihrer Angst so fest an sich gedrückt haben, wie Sie mir erzählten, haben Sie die Blutung wie mit einem - wie nennen Sie das doch gleich -", er dachte nach, "Druckverband! verlangsamt und ihn gleichzeitig warm gehalten."
Cassy erinnerte sich ungern an die Situation. "Ich weiß bis heute nicht, warum ich das überhaupt getan habe. Im Nachhinein habe ich mir oft überlegt, dass er genauso gut hätte tot sein können. Ich wusste gar nicht, ob er noch lebte, als ich ihn die Treppe heruntergezogen habe. Es war einfach ein Reflex. Dass er am Leben war, wusste ich erst sicher, als er stöhnte, weil ich ziemlich grob mit ihm umgegangen bin. Ich hätte genauso gut mit einem Toten dort unter der Treppe sitzen können und hätte es erst gemerkt, als Sie kamen." Sie schüttelte sich bei dem Gedanken. Dann fuhr sie leise fort: "Er hatte nicht vor, meine Freunde zu töten. Mehrmals wollte er sie alles vergessen lassen und wieder gehen. Es war der andere - Lucius hieß er, glaube ich - der ihn dazu gezwungen hat. Ich habe Snape's Gesichtsausdruck gesehen, als er Ellen umbringen musste. Ich wusste, dass er kein Mörder ist. Vielleicht war das alles zusammen der Auslöser."
Dumbledore sah sie aufmerksam an. Er hatte schon im Keller ihr feines Einfühlungsvermögen und die ausgeprägte Aufmerksamkeit gespürt. Aber es war mehr als das. Es war wie eine Aura um sie herum, die Kraft ausstrahlte. Nur bei näherem Hinsehen merkte man ihre wirkliche Verletzlichkeit.
"Sie spüren, was Menschen in Ihrer Umgebung denken oder fühlen, nicht wahr?"
Cassy nickte. "Ihre Gedanken spüre ich nicht." Sie lächelte. "Ich bin kein Telepath und ich habe keinerlei besondere Fähigkeiten. Aber ihre Gefühle spüre ich. Es ist, als würde sich das, was sie gerade fühlen, auf mich übertragen. Es ist so ... so ... belastend. Es ist mir schon oft passiert, dass ich in einen Raum zu Menschen gekommen bin und in dem Moment, wo ich die Tür aufmachte, wusste ich, dass es Ärger gab oder etwas Unangenehmes passiert war, noch bevor irgend einer der Anwesenden mich überhaupt angesprochen oder angesehen hatte. Es ist, als ... als ... würde das Gefühl greifbar in der Luft hängen und sich auf mich stürzen, sobald ich mich nähere. Klingt sehr metaphorisch, nicht wahr?"
Sie verstummte einen Augenblick und zuckte dann mit den Schultern. Es war eine Sache, über die sie selten sprach und die sie gerne als Unsinn oder Hirngespinste abtat, aber sie hatte in der Zwischenzeit, dass es eine Eigenschaft war, die sie nun mal hatte - ob sie sie wollte oder nicht. So machte sie eine abwertende Handbewegung, mit der sie das Gesagte entkräften und unwichtig machen wollte. "Ach. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Diese Stimmungen sind einfach da und ich spüre sie. Ich sehe sie an den Gesten der Menschen. An den kleinen, unbedeutenden. Das könnte jeder, wenn er nur ein bisschen genauer hinschauen würde."
In diesem Moment pfiff der Teekessel. "Was möchten Sie? Darjeeling, Broken Pekoe, Earl Grey oder Rooibusch?" Dumbledore entschied sich für den Rooibusch. Den kannte er noch nicht. Cassy erklärte ihm, dass dies eine besondere Sorte war, die sie aus Südafrika aus dem Urlaub mitgebracht hatte und der jetzt auch in England immer mehr Freunde gewann. Es war ein Tee ohne Koffein, den man in unzähligen aromatisierten Sorten kaufen konnte. Cassy entschied sich aus ihren zig Sorten für einen, der ein wenig nach Zitrone roch und einen erfrischenden Geschmack hatte.
"Das ist eine wundervolle Gabe, wissen Sie das?", nahm Dumbledore das Gespräch erneut auf.
"Nein, ist es nicht", gab Cassy etwas schroffer zurück, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. "Es ist belastend, bedrückend und niederschmetternd. Denn ich spüre nur die negativen Gefühle. Wenn sich jemand wohl fühlt in meiner Umgebung, sehe ich das zwar auch, aber es überträgt sich nicht so intensiv auf mich, wie wenn er verzweifelt wäre. Die Leute, mit denen ich fast täglich zusammen bin, schauen mich öfter an, als wüsste ich etwas, was sie nicht wissen. Dabei beobachte ich nur einfach genauer. Ich habe mir sehr oft gewünscht, dass ich mit Nerven in der Dicke von Drahtseilen gesegnet bin und einfach nichts mitbekomme. Ich beneide Menschen, die diese Eigenschaft haben."
Dumbledore merkte, dass dieses Thema Cassy zu schaffen machte. Sie wollte ihre Fähigkeit nicht akzeptieren. Sie hielt sie für eine Behinderung ihres Alltags. "Bewahren Sie sich Ihre Sensibilität", meinte er abschließend. "Und dass Sie sich mit dieser besonderen Begabung ab und zu wie ein Paradiesvogel fühlen, kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung durchaus nachfühlen, glauben Sie mir", schloss er das Gespräch mit einem schalkhaften Lächeln.
Cassy lächelte zurück. Ja. Das konnte Sie sich lebhaft vorstellen. Langer weißer Bart, lange weiße Haare, ein würdevolles Gesicht und das alles z. B. in der Eingangshalle vom traditionsreichen und stilbesessenen Savoy Hotel hier in London. Durch seinen Anzug würde er dorthin passen, aber er würde nicht dorthin gehören.
"Besprechen wir jetzt Ihren Aufenthalt bei uns?"
Cassy schüttelte den Kopf. "Ich muss Sie noch etwas fragen, was mir seit diesem Tag Kopfzerbrechen bereitet." Dumbledore lehnte sich zurück.
"Wieso sind Sie zurückgekommen?"
Er schaute sie an. "Das liegt doch wohl auf der Hand, oder? Ich wollte Snape holen."
"Nein." Cassy schüttelte den Kopf. "Sie sind in das Haus gekommen und haben gerufen: 'Hallo, wo sind Sie.' Ich bin mir sicher, dass Sie längst wussten, dass ich da war. Sonst hätten Sie nach Snape gerufen. Außerdem hätte er mit seinen schweren Verletzungen niemals die Treppe runterkommen können. Nicht einmal fallend. Auch das wussten Sie. Sie haben Ihre - wie hießen die noch - Auroren zurückgepfiffen, als einer die Puppe umdrehen wollte. Sie wussten, dass ich da war. Woher?
Dumbledore schaute sie lange über die Ränder seiner Halbmondbrille an. Sie dachte logisch und war intelligent. Auch das hatte er schon in dem Keller festgestellt.
"Es ist wirklich ganz einfach. Ich musste aufpassen, dass keiner der anderen Auroren ihn endgültig umbrachte, als er verletzt dort lag. Sie waren alle sehr aufgebracht. Daher stellte ich mich dicht zu ihm, um im Zweifelsfall sofort eingreifen zu können."
Dann grinste er. "Ich habe Ihre Arme gesehen, als sie Snape am Kragen genommen hatten. An der Kleidung konnte ich sehen, dass Sie weder zu uns, noch zu den Todessern gehörten. Ich habe also mit meiner Robe den Kellerabgang weitgehend verdeckt, dass niemand Sie sehen konnte. Dann musste ich mich auf mein Gefühl verlassen, dass Sie ihm nicht schaden würden. Als ich die Treppe heruntergekommen bin, wusste ich nicht sofort, dass diese Gestalt zwischen dem Kellergerümpel eine Puppe war. Ich habe einen ziemlichen Schreck bekommen, als ich seinen Umhang dort liegen sah. Das war brillant."
Cassy schaute ihn an. "Ich hätte schwören können, dass niemand mich in dem Durcheinander bemerkt hatte." Sie schüttelte den Kopf. Dann schenkte sie dem Schulleiter Tee nach.
"So. Jetzt reden wir über Hogwarts", begann Dumbledore erneut. "Was machen Sie eigentlich im Moment?" Cassy brauchte einen Moment, um auch gedanklich das Thema zu wechseln.
"Ich bilde Erwachsene aus. Allerdings in kleinen Gruppen mit maximal fünf Personen." Sie sah Dumbledores fragendes Gesicht. "Ich bilde sie am Computer aus. Internet. Arbeitsablaufpläne für Büros und so weiter. Lauter langweiliges Zeug - mittlerweile. Es gab mal eine Zeit, da fand ich diese Tätigkeit sehr spannend. Schulung und Ausbildung finde ich immer noch sehr aufregend. Aber die Inhalte sind eben langweilig."
Dumbledore hatte kein Wort verstanden. Was ein Computer war, wusste er wohl. Aber Arbeitsablaufpläne?
Daher begann er vorsichtig. "Es ist schon ein Unterschied, ob man fünf Erwachsene oder fünfundzwanzig Kinder ausbildet. Dessen sind Sie sich doch bewusst?"
Cassy nickte. Wollte er jetzt etwa einen Rückzieher machen?
"Ich habe bereits darüber nachgedacht. Mein Unterricht soll authentisch sein. Daher werden die Schüler bei mir genau wie in einer richtigen Muggelschule unterrichtet. Mit allem notwendigen Arbeitsmaterial und von mir erstellten Unterlagen."
Dumbledore nickte. So hatte er sich das vorgestellt. Für eine Stunde am Tag sind alle Muggel.
"Welche Themen muss ich ausarbeiten?", fragte Cassy ihn.
"Zu Ihrem Lehrplan gehört für dieses Jahr: Telefonieren, Geldautomaten, Besuch von öffentlichen Veranstaltungen, Benutzung von Küchengeräten, Versendung von Post, Elektrizität, Fußball, Nähen. Das sind alles Dinge, die wir mit Magie handhaben oder einfach nicht wissen, wie man es anders machen kann. Hier habe ich eine Liste, was Sie für Hogwarts alles brauchen. Vor allen Dingen sind es Roben - das ist unsere Schulkleidung -, Pergament, Federkiele, Tintenfässer und eine Eule."
"Eine was?" Cassy schaute ihn verblüfft an.
"Unsere Post funktioniert etwas anders als Ihre", grinste Dumbledore
Sie besprachen noch einige Stunden den Unterricht und Dumbledore freute sich, dass Cassy so bei der Sache war. Sie nahm ihre Aufgabe sehr ernst. Zwischendurch gingen sie in eine kleine gemütliche Kneipe um die Ecke und aßen zu Abend. Die anwesenden Gäste beachteten Dumbledore jedoch gar nicht weiter. Cassy war erstaunt. "Wieso sehen die Sie nicht an? Wieso sehen die Ihren ungewöhnlichen Aufzug nicht?"
Dumbledore lächelte. "Sie sind alle so mit sich selbst beschäftigt, dass sie in mir keinen außergewöhnlichen Menschen sehen." Dann zeigte er Cassy verstohlen den Zauberstab unter der Robe. Cassy lachte. So funktionierte das also.
"Wie sehen die Leute sie?", fragte sie neugierig.
"Wie soll ich das erklären? Sie sehen mich, aber wenn sie sich umdrehen haben sie mich schon wieder vergessen, verstehen Sie?" Nein. Cassy verstand nichts, aber sie sagte sich, dass sie nicht alle Geheimnisse der Magierwelt heute Abend vor dem Essen begreifen müsse.
"Was ist mit ihrer jetzigen Arbeit? Sie haben doch Kündigungsfristen", nahm Dumbledore während des Essens das Gespräch wieder auf.
"Wissen Sie", begann Cassy, "meine jetzige Tätigkeit hängt mir so zum Hals heraus, dass eine Veränderung für mich sowieso anstand. Dass ich die ausgerechnet durch Sie erfahren würde, hätte ich im Traum nicht erwartet. Ich kann innerhalb von vierzehn Tagen gehen und Resturlaub habe ich auch noch."
"Haben Sie Familie?"
"Ja", nickte Cassy. "Meine Mutter lebt nicht weit von hier."
"Was haben Sie vor, Ihrer Familie zu sagen?"
Cassy überlegte einen Augenblick. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. "Ich denke, ich werde ihr die Wahrheit sagen." In Dumbledores Gesicht zuckte es und Cassy fuhr fort: "Aber nicht die Ganze", schloss sie grinsend.
Dann machte sie mit Dumbledore aus, dass er sie vier Tage vor Schulbeginn abholen solle. Sie würden wieder mit einem Portschlüssel reisen. Für den Hogwarts Express fehlte Dumbledore die Zeit vier Tage vor Schulanfang und so war das die beste Lösung.
Sie verabschiedeten sich herzlich und beide freuten sich auf das Wiedersehen in Hogwarts. Dumbledore hatte das sichere Gefühl, dass das ein richtig gutes Jahr werden würde.
***
"Wann wird der neue Lehrer denn eintreffen, Albus?" fragte Professor McGonagall beim Frühstück.
"Ich werde ihn abholen müssen, da er in Hogwarts nicht ohne magische Hilfe anreisen kann, Minerva. Wir haben vereinbart, dass er vier Tage vor den Schülern hier eintrifft, damit er sich noch eingewöhnen kann. Das heißt, er kommt in knapp zwei Wochen." Er seufzte. "Bis dahin müssen wir noch eine Unterkunft mit Büro für ihn herrichten und überlegen, wie wir ihm den Aufenthalt hier vereinfachen können, da er ohne die ganzen Muggelsachen wie Elektrizität, Telefon und ähnliches zurechtkommen muss."
Er schaute in die Runde seiner Kollegen. In den Sommerferien waren so gut wie keine Schüler in Hogwarts. So wurden die Tische für die Mahlzeiten so zusammengestellt, dass sich die Lehrkräfte beim Essen sehen konnten. In dieser Anordnung entfachten sich dann auch regelmäßig lustige bis hitzige Debatten über alle möglichen Themen. "Ich bin für jede Idee dankbar und erwarte Ihre Vorschläge in den nächsten fünf Tagen."
Severus Snape lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schaute Dumbledore direkt in die Augen. Seine äußerlichen Verletzungen waren zwar verheilt, aber er hatte sich noch nicht völlig von dem hohen Blutverlust erholt. Er wurde noch immer schnell müde und schlief meist nach dem Mittagessen bis zum nächsten Tag durch.
Snape zog die Augenbrauen zusammen und meinte: "Albus, was zum Teufel, soll ein Muggel hier? Wäre es nicht einfacher gewesen, einen Magier zu holen, der in der Muggelwelt lebt? Dann hätten wir den ganzen zusätzlichen Aufwand nicht." Dumbledore beugte sich ein wenig vor und verlor sein Lächeln nicht, als er antwortete. "Meine Entscheidung ist gefallen. Muggelkunde wird in diesem Jahr von einem Muggel unterrichtet. Und ehe ich es vergesse, liebe Kollegen, es handelt sich um eine Dame."
Er wandte sich direkt an Snape: "Sie, lieber Severus, haben hierbei übrigens eine besondere Aufgabe. Sie werden sich um die Dame zu kümmern. Sie werden ihr das Gelände zeigen, etwas über die magischen Geschöpfe erzählen, ihr die Dinge zeigen, die es nur in unserer Welt gibt. Wenn sie Fragen hat, werden Sie ihr zur Verfügung stehen und sie ihr bestmöglich beantworten."
Während dieser Ausführungen hatte man den Eindruck, dass Professor Snape buchstäblich das Frühstück im Hals stecken blieb. Er wurde erst blass (soweit das bei ihm noch möglich war) und dann langsam immer röter. Er sprang schließlich von seinem Stuhl auf, der einen halben Meter nach hinten sauste, gefährlich kippte, aber dann auf seine vier Füße zurückfiel und sagte leise und ärgerlich: "Ich werde mit Sicherheit kein Muggel- Kindermädchen sein." Wobei er das Wort 'Muggel-Kindermädchen' regelrecht ausspie. Dann knallte er seine Gabel auf sein halb gegessenes Frühstück, dass das Ei einen halben Meter über den Tisch flog und verließ zornbebend und mit wehendem Umhang den Frühstückssaal. Der Appetit war ihm gründlich vergangen. Er ging auf geradem Weg in sein Büro in die Kerker.
Nicht, dass jemand eine andere Reaktion von ihm erwartet hätte, aber es war eine gewisse Ironie dabei. Snape mochte Muggel eigentlich gar nicht - höflich ausgedrückt. Er war der Meinung dass jedes Lebewesen auf der Welt ein Recht zu leben hätte - bis auf Voldemort - aber Muggel waren bei ihm in der Kategorie Geschöpfe, nicht Menschen. Sie hatten irgendeinen, ihm nicht bekannten Zweck zu erfüllen. Das hatte Zuchtvieh auch. Die Kollegen schauten ihm leicht belustigt hinterher. In manchen Gesichtern sah man Genugtuung oder Schadenfreude über Dumbledores Entscheidung. Und auch Erleichterung, dass diese Zusatzaufgabe an ihnen vorbeigegangen war. Das Schuljahr würde arbeitsreich genug werden.
***
Cassy war sehr aufgeregt. Noch eine Woche, bis Albus Dumbledore sie abholen wollte. Sie hatte Einiges von dem gekauft, was der Schulleiter ihr für den Aufenthalt in Hogwarts empfohlen hatte. Es fehlten ihr aber noch eine Eule, Pergament und einige andere Sachen. Sie fragte sich allerdings, ob sie wirklich eine Eule bräuchte. Dumbledore hatte ihr zwar die Verwendung der Eule erklärt, als sie beim Aufzählen der benötigten Dinge fragend daran hängen geblieben war. Aber sie war sich sicher, dass ihre Mutter sich wundern würde, wenn statt des Briefträgers an der Haustür auf einmal ein mindestens fünfzig Zentimeter großer Vogel auf der Fensterbank saß mit einem Brief im Schnabel oder wie auch immer das funktionieren sollte.
'Gott, nimm dich zusammen', sagte sie zu sich, als sie wieder kurz vor einem Panikattacke stand. Diese kamen seit dem Besuch von Professor Dumbledore regelmäßig in immer kürzeren Abständen auf, je näher der Abreisetermin rückte, und zwar immer dann, wenn sie sich genau versuchte vorzustellen, wie ihr Tagesablauf in der neuen Schule aussehen sollte. Sie kam jedoch nie zu einem Ergebnis. Zum hundertsten Mal kontrollierte sie ihren ausgearbeiteten Unterrichtsstoff. Sie fügte noch etwas hinzu, nahm wieder etwas weg und drückte sich in der Stadtbibliothek herum, um noch mehr Material zu bekommen und die Unterlagen zu perfektionieren.
"Du wirst ja wohl mit deinen vierunddreißig Jahren in der Lage sein, ein paar Kindern das beizubringen, was du jeden Tag benutzt!" sagte sie zu sich selbst. Aber es war nicht alltäglich, als nichtmagische Lehrkraft an einer Zauberschule zu unterrichten. Sie wusste nicht, wie die Kinder waren. Sie machte sich Sorgen, wie ihre neuen Kollegen sie aufnehmen würden.
Aber andererseits war da dieser große, schlanke Mann mit den rabenschwarzen Haaren und dem schmalen, asketischen Gesicht. Selbst in seiner Bewusstlosigkeit hatte er Unnahbarkeit und Respekt ausgestrahlt. Cassy ging abends mit seinem Gesicht im Gedächtnis ins Bett und es war auch das Erste, was sie morgens sah wenn sie aufwachte. Es begleitete sie den ganzen Tag. Sie konnte es nicht abschütteln oder verdrängen. Es war immer präsent.
***
Snape rauschte in seinen Keller. Er stieß die Tür zu seinem Büro mit solcher Wucht auf, dass sie an das dahinter stehende Regal knallte und einige leere Flaschen auf die Erde fielen und zum Teil zerbrachen, bevor die Tür mit einem solchen Schwung zurückkam, dass er sie festhalten musste.
Das konnte doch nicht wahr sein. Er sollte eine Muggel betreuen. Diesmal war Dumbledore entschieden zu weit gegangen. Snapes Loyalität ihm gegenüber war nicht unendlich. Es war schon schlimm genug, dass er sich mit den ganzen Schlammblütern im Unterricht abgeben musste. Aber eine Muggel betreuen? Andererseits wusste Snape, dass die Entscheidungen von Dumbledore immer einen Grund hatten. Nur wollte er ihn diesmal überhaupt nicht wissen. Er lief mehrere Male in seinem Appartement im Kreis herum und überlegte, was er tun sollte.
Dann machte er sich auf den Weg in das Büro des Schulleiters. Diese Aufgabe musste jemand anderes übernehmen. Sein Ruf stand auf dem Spiel. Wenn sich herumsprach, dass er Muggelfremdenführer war, konnte er sich auf Einiges gefasst machen. Wie dachte Dumbledore sich das eigentlich in Vereinbarung mit seinem Auftrag in Bezug auf Voldemort. Es konnte ihn in Teufels Küche bringen, wenn der herausbekam, dass Snape eine Muggel betreuen musste. Als er zum Wasserspeier kam, zischte er das Passwort "Kirschdrops". Der Wasserspeier schwang augenblicklich zur Seite und er rannte die Treppe - zwei Stufen auf einmal nehmend - hinauf. Oben musste er allerdings kurz stehen bleiben, um wieder zu Atem zu kommen. Gerade wollte er die Hand zum Klopfen erheben, als er Stimmen aus dem Büro hörte. Unwillkürlich hielt er in der Bewegung inne.
"Albus, was soll eine Muggel hier? Ich frage dich das schon seit mehreren Wochen. Es will mir nicht in den Kopf, was du dir dabei gedacht hast. Außerdem wäre ich dir dankbar gewesen, wenn du deine Entscheidung mit mir abgesprochen hättest. Ich bin immer noch deine Stellvertreterin. Wir haben doch bisher alle Entscheidungen gemeinsam getroffen." Professor McGonagalls Stimme klang ärgerlich.
"Es ist ein - nun ja - Experiment. Wir sollten die Muggel besser kennen lernen. Glaub' mir, Minerva, in den jetzigen schlimmen Zeiten ist es einfach wichtig, auch ungewöhnliche Wege zu gehen, um einen Vorteil dem Feind gegenüber zu bekommen."
"Wer ist wir? Und was glaubst du, können Muggel uns helfen? Sie sind eine Belastung. Wir schützen sie. Ohne uns sind sie verloren." McGonagall schüttelte den Kopf, was Snape natürlich nicht sehen konnte.
"Meinst du wirklich, wir können irgendwann mal auf ihre Hilfe zählen? Dann bist du einfältiger als ich dachte. Sie verleugnen unser Dasein. Sie begreifen es mit dem beschränkten Fassungsvermögen ihrer kleinen Muggelhirne nicht, dass es uns gibt. Und wenn du vielleicht doch den einen oder anderen findest, der bereit ist an uns zu glauben, ist er so damit beschäftigt diese Erkenntnis zu verarbeiten, dass er für uns nicht zu gebrauchen ist. Sie werden mit Sicherheit nicht ihr Leben für uns riskieren, so wie wir es für sie tun. - Wach' auf, Albus. Wir müssen da alleine durch."
Snape nickte unmerklich. Er musste Professor McGonagall recht geben.
"Das mag sein, Minerva," erwiderte Dumbledore geduldig. "Aber hast du dir schon mal überlegt, was Muggel haben, was wir nicht haben und wie wir diese Dinge einsetzen könnten. Nicht alles von den Muggeln lässt sich mit irgendwelchen Zaubern unbrauchbar machen. Du weißt, was ich meine. Hier sind wir auch auf ihre Hilfe angewiesen und vielleicht ergibt sich ein weiterer Vorteil für unseren Kampf gegen Voldemort, den wir bisher außer Acht gelassen hatten."
"Na, was gibt es so Interessantes? Mach' mal ein bisschen Platz. Ich kann nicht alles hören, was da drinnen gesprochen wird," sagte eine Stimme hinter Snape. Der sprang wie von einer Tarantel gestochen zur Seite und blickte in Remus Lupins lachendes Gesicht.
"Freut mich, dich als ersten hier zu begrüßen, Sev'. Das erspart mir den langen Weg in die Kerker," Lupin hielt ihm freundschaftlich die Hand hin. Snape hatte sich schnell von seinem Schrecken erholt und sah Remus finster an. Die Hand übersah er einfach.
"Schleich' dich nie wieder an mich heran," knurrte er drohend.
Remus lachte noch immer und sagte mit einer Handbewegung auf die Tür: "Wollen wir reingehen oder noch ein bisschen zuhören?" Ohne eine Antwort von Snape abzuwarten klopfte er und trat ein.
"Remus!" rief Dumbledore erfreut und lief ihm mit ausgestreckten Armen entgegen. Auch Professor McGonagall begrüßte den alten Freund herzlich. Nach dem Vorfall mit Snape war Remus für ein paar Tage nach London gereist. Er hatte dort einiges zu erledigen.
"Ich habe noch jemanden mitgebracht," grinste Lupin und trat zur Seite, damit Snape hereinkommen konnte.
Dumbledore sah Snape kurz an und wusste genau, warum er gekommen war. Im Grunde genommen hatte er ihn schon erwartet. Er wusste, dass Snape diese Aufgabe nicht einfach hinnehmen würde.
Severus holte gerade tief Luft, als Dumbledore sagte: "Sparen Sie sich den Atem. Sie werden die Dame betreuen. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Fangen Sie am besten gleich damit an, einen Plan zu machen, was Sie mit ihr alles unternehmen wollen. Ich will diesen Plan dann sehen. Und ich bitte um Vorschläge, die sie auch überleben kann."
Der Zaubertränkemeister atmete die angehaltene Luft geräuschvoll aus, blitzte Dumbledore wütend an und verließ wütend das Büro. Dabei warf er die Tür so fest ins Schloss, dass ein Bild von der Wand fiel und furchtbar schimpfte.
Remus hob das Bild auf und versuchte den aufgebrachten Ritter darin zu beruhigen. Der hatte sich aber gerade in Fahrt geredet und sah überhaupt nicht ein, warum er den Mund halten sollte. Remus stellte ihn daraufhin kopfschüttelnd auf die Anrichte hinter der Tür mit dem Gesicht zur Wand, damit er endlich Ruhe gab.
Er schaute Dumbledore und McGonagall lachend an: "Möchte mir jemand erklären, was das gerade war?", fragte er mit einer Kopfbewegung zur Tür, aus der Severus gerade verschwunden war.
Minerva und Albus blickten sich an. "Du solltest mit der Frage nach dem Werwolfbanntrank noch ein paar Stunden warten, wenn du bei Severus nicht selbst im Kessel enden willst", grinste Dumbledore. "Ich habe ihm eine Sonderaufgabe gegeben. Er darf sich um unseren neuen Lehrer für Muggelkunde kümmern."
Remus grinste ebenfalls. Er kannte die Geschichte bereits, aber ganz offensichtlich wusste McGonagall immer noch nicht, warum eine Muggel nach Hogwarts kam. So stellte er sich dumm, um Dumbledore zu unterstützen und meinte: "Wieso eine Muggel?" Professor McGonagall verabschiedete sich in diesem Moment. Sie hatte keine Lust, die Diskussion noch einmal mit Albus anzufangen.
Als sie weg war, lümmelte sich Remus in den Stuhl vor Dumbledores Schreibtisch und sagte: "Er hat es wohl nicht so gut aufgenommen mit der Betreuung, nicht wahr?"
"Remus, stell' dich bitte nicht blöde. Du hast seine Reaktion gerade gesehen. Hattest Du etwas anderes erwartet?" Remus schüttelte grinsend den Kopf. Nö. Hatte er eigentlich nicht. Dann fuhr Dumbledore fort: "Ich würde mich freuen, wenn du ein Auge auf Cassiopeia Parker haben könntest. Ihr Aufenthalt hier soll kein Alptraum für sie werden. Sie passt zu uns, obwohl sie eine Muggel ist. Du wirst selbst schnell herausfinden, was ich meine."
Lupin nickte. "Jetzt werde ich mal schauen, was von Severus' Büro noch übrig ist. Allerdings habe ich ihm eine Flasche alten schottischen Whiskey mitgebracht. Er wird sich zweimal überlegen, ob er mich wegjagt."
Dumbledore lachte und winkte Remus, der sich auf den Weg in die Kerker machte.
***
"Wie stellt Albus sich das vor?" Severus lief mit schnellen Schritten in seinem Appartement hin und her und warf die Arme in die Luft. Remus ließ ihn toben und schenkte sich in aller Gemütsruhe noch einmal einen Whiskey ein. "Eine Muggel! Und auch noch eine Frau! Ich bin immer heilfroh, wenn ich einen möglichst großen Abstand zwischen Muggel und mich bringen kann!" In diesem Moment sah er kurz so aus, als ob er ernsthaft in Erwägung ziehen würde, sein Bündel zu schnüren und zu gehen.
Dann schaute er Remus an, der an seinem Whiskey nippte, als hätte Severus ihm gerade etwas über das Wetter erzählt.
"Wie geht es dir eigentlich?", wollte Lupin wissen. Diese Frage entbehrte im Moment eigentlich jeder Grundlage, da es Snape offensichtlich hervorragend ging, wenn man bedachte, mit welcher Urgewalt er in seinem Appartement umherwütete. So schaute er Remus auch irritiert an.
"Hast du eigentlich mitbekommen, was ich gesagt habe?", schnauzte er ihn an.
"Severus, du bist nicht zu überhören, glaub' mir. Aber was soll ich dazu sagen? Albus wird seine Gründe haben. Außerdem solltest du erst einmal abwarten. Vielleicht ist sie ja ganz in Ordnung. Oder hübsch. Oder beides", meinte Remus gedehnt mit einem Unterton in der Stimme, der Severus gnadenlos mitteilte, dass er sich über ihn lustig machte. Snape schaute Remus in diesem Moment an, als hätte er nicht übel Lust, ihn einfach ein bisschen mit seinem Zauberstab an die Wand zu klatschen und wieder runterzulassen. Dranklatschen, Runterlassen.
"Ich bin hergekommen, weil ich dich um den Werwolfbanntrank bitten wollte", fuhr Remus fort. Damit schaute er ihm direkt in die Augen. "Würdest du ihn mir wieder brauen?"
Severus beruhigte sich langsam. Das völlig teilnahmslose Gebaren von Lupin machte ihm klar, dass er sich im Moment wie ein Berserker aufführte und nicht wie der nach außen beherrschte, überlegene Professor Snape. Außerdem hatte sich Remus gerade den dritten Whiskey eingeschenkt. Und zwar von dem Whiskey, den er eigentlich ihm mitgebracht hatte. Er unterdrückte jedoch den Impuls, die Flasche vom Tisch zu nehmen. Dann setzte er sich neben Remus an den Tisch und goss sich selbst ein Glas ein.
"Du hast recht. Ich warte einfach ab. Wann brauchst du den Trank?"
"Vollmond ist in vierzehn Tagen." Dann stand Lupin auf und stürzte den letzten Whiskey runter. "Halt die Ohren steif, Sev'. Du machst das schon." Severus wusste nicht so genau, ob er den Trank oder die Muggel meinte.
Als Remus ging, hörte er im Büro von Snape noch etwas gegen die Wand krachen und zersplittern. Er grinste, schüttelte den Kopf und machte sich auf den Weg in sein eigenes Appartement. Noch vierzehn Tage Ferien und die wollte er nutzen zum Ausruhen, Lesen und Faulenzen.
***
Dumbledore kam dann doch noch einmal vor dem verabredeten Termin. Er hatte eine Eule vorausgeschickt, die Cassy sein Kommen ankündigte. Der mittelgroße Vogel saß gestern Mittag auf ihrer Fensterbank und hackte mit dem Schnabel an die Scheibe. Cassy schaute misstrauisch heraus und öffnete vorsichtig das Fenster. Die Eule streckte ihr ein Bein hin und Cassy begriff, dass sie das Pergament losbinden sollte. Dann schloss sie das Fenster. Wieder hackte das Tier an die Scheibe. Cassy öffnete erneut das Fenster. Die Eule schuhuhte ärgerlich, hüpfte in die Küche und sah sie auffordernd an. Jetzt begriff Cassy. "Natürlich bekommst du etwas zu fressen. Weißt du, du bist mein erster Eulenbesuch. Ich muss noch üben. Allerdings kann ich nicht mit toten Mäusen oder etwas Ähnlichem dienen." Sie schüttelte sich bei dem Gedanken und schnitt der Eule ein paar Apfelstücke klein. Sicherheitshalber stellte sie ihr auch auf einem Unterteller etwas Wasser hin. Soweit sie wusste, brauchten Eulen kein Wasser. Aber sie wusste es eben nicht genau und sicher war sicher. Die Eule machte es sich, nachdem sie tatsächlich ein wenig von den Äpfeln gefressen hatte, in der Küche auf der Anrichte gemütlich. Sie schloss ihre großen runden Augen und schlief sofort ein.
Cassy öffnete den Brief mit dem Siegel von Hogwarts und las Dumbledores geschwungene Handschrift. Er kündigte sein Kommen für morgen Mittag gegen zwei Uhr an.
Spät Abends schuhuhte die Eule in der Küche und flog anschließend durch Cassy's Wohnung ins Wohnzimmer. Diesmal war Cassy nicht so begriffsstutzig und öffnete dem Vogel sofort das Fenster.
***
Es klingelte an der Tür. Cassy schaute auf die Uhr. Es war erst halb zwei. Sie öffnete die Tür und sprang vor Schreck ein Stück zurück. "Was machen Sie hier vor der Tür?"
"Kann man es Ihnen eigentlich mal recht machen?", fragte der Schulleiter belustigt.
Cassy lachte und bat ihn herein.
"Mir ist vor ein paar Tagen eingefallen, dass Sie gar nicht alles von den Sachen besorgen können, die ich Ihnen aufgezählt hatte."
Cassy schaute ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. "Das habe ich bereits bemerkt. Wissen Sie eigentlich, dass der Besitzer der Tierhandlung die Polizei holen wollte, als ich hereinkam und nach einer Eule oder einem Waldkauz fragte?"
Sie sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. "Diese Tiere stehen unter Naturschutz und dürfen nicht in Gefangenschaft gehalten werden. Ich musste mit aller Überzeugungskraft auf den Mann einreden, dass ich nicht vorhabe, ihn anzustiften, das Artenschutzabkommen zu verletzen."
"Haben Sie heute Zeit?" fragte Dumbledore und ging außer mit einem breiten Grinsen nicht weiter auf Cassy's Ausführungen ein. Sie nickte. Sie hatte längst gekündigt und ihre Unterlagen für die Schule hatte sie auch weitgehendst fertig.
"Dann werden wir die Winkelgasse besuchen. Da bekommen wir alles, was wir für Sie noch benötigen."
"Winkelgasse?", fragte sie erstaunt. Sie wohnte schon lange hier, aber eine Winkelgasse war ihr nicht bekannt. Andererseits musste sie auch nicht jeden Pfad in London kennen, der gerade groß genug war, dass man ihm noch ein Namensschild zugestand.
Dumbledore lächelte. Er holte wieder den alten Socken aus der Tasche, den Cassy schon einmal gesehen hatte. "Das ist ein Portschlüssel. Damit reisen wir von einem Ort zum anderen, wenn es schnell gehen soll. Sobald Sie fertig sind, fassen Sie ihn an einer Stelle an und die Reise kann beginnen."
Cassy hatte schon wieder diesen Ausdruck im Gesicht, der sagte: 'Na klaaar, wir fassen einen alten Socken an und schon sind wir verreist. Aber sicher.'
Dumbledore grinste immer noch. Er hatte keine andere Reaktion erwartet. In der Zwischenzeit hatte Cassy es sich wohl überlegt und sagte: "Ich ziehe mich nur schnell um. Dann können wir ihren alten Socken testen. Bitte nehmen Sie so lange noch Platz." Dumbledore schüttelte amüsiert den Kopf. Sie war wirklich experimentierfreudig.
Gut gelaunt kam Cassy nach ein paar Minuten aus dem Schlafzimmer und sah Dumbledore mit erwartungsvollem Blick an. "Meinetwegen können wir."
Dumbledore hielt ihr den Socken hin und erklärte ihr, dass sie ihn jetzt berühren müsste, damit es funktioniert. Cassy sah sich den alten, abgetragenen Socken an und machte ein leicht angewidertes Gesicht. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie kurz daran geschnüffelt hätte. "Meinen Sie, den bekomme ich von den Fingern noch mal ab, wenn ich den angefasst habe?" fragte sie Albus mit einem schelmischen Grinsen. Der nickte auffordernd und sie berührte den Socken.
Es war, als würde etwas sie mit titanischer Wucht nach vorne ziehen. Die Welt flog an ihr vorbei, wie in einem Zeitraffer. Bevor sie sich wundern konnte stand sie in einer Seitenstraße in einem Viertel von London, das sie noch nie gesehen hatte. Albus hielt sie fest, denn sie schwankte ein wenig von der ungewohnten Art zu reisen. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Leicht blass sah sie ihn an und fragte: "Das war alles?" Dumbledore nickte. Gott sei Dank, dachte Cassy. Ihr wurde immer schlecht, wenn sie auf einem Karussell saß oder etwas ähnliches machte. Der Schulleiter kramte in seinem Umhang und gab Cassy ein Stück zusammengefalteten Stoff. "Bitte ziehen Sie das an. Damit fallen Sie weniger auf." Cassy faltete den Stoff auf und sah, dass es eine dunkelblaue Robe war, wie Dumbledore sie auch trug. Er lächelte, als Cassy unbeholfen versuchte, sich die Robe überzuziehen. "Warten Sie. Ich helfe Ihnen", sagte er und hielt ihr das Kleidungsstück wie einen Mantel hin. Sie schlüpfte hinein. Dann hatte sie die Robe zugeknöpft und sah an sich herunter. "Gibt's die eigentlich nur in einer Konfektionsgröße?", fragte sie den Schulleiter, weil die Robe ihr weit über die Füße hing und die Ärmel viel zu lang waren. Sie sah aus, als hätte sie versucht, sich ein Zwei-Mann-Zelt um die Schultern zu hängen. Der Schulleiter grinste und sagte: "Ich habe sie von einer Kollegin geliehen, die etwas mehr auf den Rippen hat, als Sie. Ich bitte um Nachsicht." Dann drehte er sich um und ging voraus in eine Kaschemme - anders konnte man diese Kneipe wirklich nicht bezeichnen - die den Namen "Tropfender Kessel" hatte. Cassy versuchte im Kampf mit den Stoffmassen hinter ihm Schritt zu halten. Bei Dumbledore sah das so einfach aus, wie er sich damit bewegte. Seine Robe wehte luftig leicht um ihn herum beim Gehen und bauschte sich auf, als würde sie den Weg für ihren Träger freimachen. Cassy's Robe wehte nicht. Sie hing wie ein Kettenhemd an ihr herunter und war ständig im Weg. Cassy trat mehrere Male auf den Saum und wäre fast gestürzt, wenn Dumbledore sie nicht im letzten Moment aufgefangen hätte. "Sie müssen sie ein wenig anheben beim Gehen." Cassy versuchte das und stellte zum Schluss fest, dass sie die Robe immer irgendwie an den falschen Stellen hochhielt. Sie war einfach viel zu groß. Aber sie würde sich mit dem hinderlichen Kleidungsstück schon arrangieren, dachte sie leicht wütend und hob den Stoff erneut an einer anderen Stelle an, damit sie gehen konnte und jetzt hatte sie den richtigen Punkt gefunden.
***
Es war Cassy's erster direkter Kontakt mit der Magierwelt. Dementsprechend staunend, aufmerksam und schreckhaft folgte sie Dumbledore. In der Kneipe saßen Leute in den unmöglichsten Aufzügen. Aber Cassy fiel auf, dass sie alle Roben oder lange Gewänder trugen. Eine alte Hexe mit verfilzten Haaren, einem unglaublich faltigen Gesicht und langen Fingernägeln stand auf und trat auf Dumbledore zu. "Albus! Wie schön, dich zu sehen." Cassy sah, wie Dumbledore einen Schritt zurückging und eine Hand in seiner Robe verschwand. "Rumee! Dass es dich noch gibt?", gab Dumbledore freundlich zurück und holte die Hand aus dem Umhang. Er gab der Frau ein paar Münzen und sie setzte sich mit einem dankbaren Nicken wieder. "Du warst lange nicht mehr hier!", rief der Wirt. Es war ein dicker, grobschlächtiger Mann mit einer großen, fleischigen, roten Nase. Er hatte keine Haare und keinen Hals. Dumbledore grüßte auch ihn freundlich. Der Wirt winkte einladend, aber Dumbledore gab ihm zu verstehen, dass er heute keine Zeit hätte und vielleicht auf dem Rückweg noch etwas trinken würde. Cassy fiel auf, dass fast alle anwesenden Gäste Dumbledore mit großem Respekt grüßten. Von ihr nahm niemand weiter Notiz und sie war sehr froh darüber. Dann waren sie auf der Rückseite des "Tropfenden Kessels" in einem dunklen, kleinen Hof angekommen und standen vor einer roten, verwitterten und vermoosten Backsteinmauer. Dumbledore zog seinen Zauberstab und Cassy trat instinktiv einen Schritt zurück. Der Schulleiter zählte die Backsteine ab und berührte einen bestimmten mit seinem Zauberstab. Die Steine begannen sich zu bewegen. Sie schoben sich mit einem scharrenden, schleifenden Geräusch ineinander, drehten sich, setzten sich um und gaben nach und nach einen Durchgang frei. Cassy schaute mit offenem Mund dem Schauspiel zu. Dann war der Durchgang frei und Cassy eröffnete sich eine Welt, die sie bisher allenfalls aus dem Fernsehen kannte.
Es herrschte ein reges, buntes Treiben auf der mit Blaubasalt gepflasterten Straße. Menschen gingen lachend und scherzend über die Straßen und schauten sich die Auslagen der Geschäfte an. Manche eilten mit ernsten Mienen vorbei, andere bummelten und hatten es nicht eilig. Manche trugen große Pakete in ihren Händen, andere feilschten mit Straßenhändlern um angebotene Waren. Es war eine lebendige, aufregende Welt, die sie mit Dumbledore durch die Mauer betrat. Langsam trat Cassy in die Winkelgasse ein. Die Mauer schloss sich wieder hinter ihr. Aber das bekam sie schon gar nicht mehr mit. Hätte Dumbledore nicht noch schnell zugegriffen, hätte Cassy's erster Besuch in der Winkelgasse damit geendet, dass ihre Robe in der Mauer steckengeblieben wäre. Mit großen Augen schaute sie dem Treiben zu. Dumbledore musste wieder innerlich lächeln, weil sie aussah wie ein Kind, das zum ersten Mal einen Jahrmarkt sieht. Aber er ließ ihr die Zeit, um sich umzuschauen. Die Häuser waren allesamt irgendwie windschief. Sie hatten keine richtige geometrische Form. Egal, wie man den Kopf legte oder den Blickwinkel änderte, es kam einfach keine Symmetrie, kein Gleichgewicht in der Perspektive zustande. Kein normaler Statiker hätte ein solches Haus sicher machen können, geschweige denn, die Statik für ein solches Haus überhaupt übernommen. Kein normaler Architekt wäre auf die Idee gekommen, diese kleinen Erker an den Hausecken, die schiefen Fenster und das großzügige Fachwerk so anzulegen. Der Großteil der Häuser war in weiß mit dunkelbraun gestrichenem Fachwerk. Aber es gab auch Häuser, die blau angestrichen waren, und das Fachwerk war Orange. Die Farbe der Wand wechselte sich mit dem Fachwerk ständig ineinander übergehend ab. Es war anstrengend, diesem Farbenspiel länger zuzuschauen. Und doch machte alles zusammen einen malerischen, freundlichen Eindruck.
"Können wir weitergehen?", fragte Dumbledore leise. Cassy sah ihn an und nickte. Er hatte seinen Arm unter ihren geschoben und drückte sie sanft weiter.
"Wir werden jetzt zuerst zu Gringott's gehen. Das ist unsere Bank. Sie können hier nicht mit Muggelgeld bezahlen. Wir haben unsere eigene Währung." Damit schob er die staunende und stille Cassy durch die Winkelgasse. Hin und wieder grüßte er jemanden mit einer höflichen Verbeugung. Cassy kam erst wieder so richtig zu sich, als sie vor der Bank standen. "Das Beste ist, wenn Sie mich das machen lassen. Dies ist die bestbewachte Bank der Welt. Sie wird von Kobolden geführt. Schauen Sie mir zu und lernen Sie, wie man mit Kobolden umgeht. Das wird dann gleich ihre erste Lektion sein." Cassy wühlte in den Stoffmassen des Umhanges und suchte ihre Geldbörse. Dann gab sie sie Dumbledore. Der lächelte und sagte: "Lassen Sie ihr Geld stecken. Sie bekommen von mir einen Vorschuss auf ihr erstes Gehalt." In Wirklichkeit hatte er vor, die benötigten Sachen für Cassy aus dem Schulbudget zu zahlen, da sie bereits selbst einige Ausgaben getätigt hatte mit der Erstellung des Unterrichtsmaterials. Sie hatte nie gefragt, wer dafür aufkommen würde und hatte es aus eigener Tasche gezahlt. Das war ihr der Aufenthalt in Hogwarts allemal wert. Dumbledore wusste, dass ihr eher bescheidenes Gehalt für die geforderte Kleidung nicht reichen würde. Sie gingen die ausladende Treppe hinauf und betraten die marmorne Halle der Bank. 'Irgendwie sind Banken alle gleich', dachte Cassy, als sie sich den Prunk der Eingangshalle ansah. Dann kam ein Kobold auf sie zu und bat sie mitzukommen. Gott, was waren das für hässliche, kleine Kreaturen, dachte Cassy und schüttelte sich leicht. Sie hatten spitze Ohren, unbotmäßig lange Finger und kleine gedrungene Körper. Ihre Gesichter sahen steinalt aus. Aber alle waren tadellos gekleidet und strahlten Würde aus.
Dumbledore ging überaus höflich mit den Kobolden um und hatte keine Probleme, seine Wünsche erfüllt zu bekommen. Er zeigte Cassy die Münzen und erklärte ihr die Wertigkeit. Galleonen, Sickel und Knuts. In dieser Reihenfolge waren sie zu bemessen.
Mit dem neuen Geld gingen sie los, um die restlichen Sachen zu kaufen.
***
Als sie die Bank gerade verlassen hatten und noch auf der Treppe standen, riefen drei Jungendliche Albus Dumbledore und winkten. Der winkte freundlich zurück und zog Cassy mit sich zu den dreien. "Unser magisches Trio", witzelte er, während sie sich näherten. "Aber das hören die drei nicht gerne".
"Hallo Professor Dumbledore!", grüßte das junge Mädchen freundlich. Sie hatte dichte braune gelockte Haare und ein paar Sommersprossen auf der Nase.
"Hallo Hermine", gab der Schulleiter zurück und drückte dem Mädchen die Hand. Dann kamen noch zwei Jungs nachgetrottet und grüßten ebenfalls. Dumbledore drehte sich um und winkte Cassy heran, die in einem respektvollen Abstand stehen geblieben war.
"Das ist schön, dass ich euch hier treffe. Hattet ihr schöne Ferien?" Die drei nickten. Einer der Jungs nickte nicht ganz so überzeugt, wie der andere. "Jetzt kann ich euch gleich eure neue Lehrerin für Muggelkunde vorstellen. Miss Cassiopeia Parker." Er trat ein Stück zur Seite. "Miss Parker, das sind Miss Hermine Granger, Mr. Harry Potter und Mr. Ron Weasly. Sie werden sie im Unterricht haben." Cassy gab allen dreien die Hand und versicherte, dass sie sich freute, sie kennen zulernen. Die drei sahen Cassy seltsam an, als würden sie etwas erwarten. Cassy wurde unsicher und fragte deshalb direkt: "Habe ich etwas falsch gemacht?" Die drei schüttelten den Kopf und Hermine meinte freundlich. "Wir sind es nur nicht gewöhnt, dass jemand nicht gleich in Aah- und Ooh-Rufe ausbricht, wenn Harry's Name genannt wird." Jetzt kam Cassy richtig in die Bredouille. Müsste sie Mr. Potter kennen?
An dieser Stelle griff Dumbledore ein und sagte ganz ehrlich: "Miss Parker kennt die Gegebenheiten unserer Welt nicht. Sie ist keine Hexe. Daher kennt sie auch Harry's Geschichte nicht." Die drei sahen Cassy an. Dann echote Hermine enttäuscht: "Keine Hexe?" Cassy musste lachen. "Nein, Mrs. Granger. Sie werden sich mit einer Muggel in Hogwarts auseinandersetzen müssen." Hermine sah sie an und lächelte zurück. "Das kann aber auch ganz lustig werden." Damit verabschiedeten sich die drei und gingen weiter. Im Weggehen hörten Cassy und Dumbledore Ron: "Oh, Mann, das sind ja wieder richtig coole Neuigkeiten. Mal sehen, was die Anderen dazu sagen."
"Wenn Sie ein Gerücht verbreiten wollen, dann erzählen Sie es hier, in der Winkelgasse", kommentierte er das Gehörte lächelnd. "Wo starten wir jetzt unsere Einkäufe?", fragte er Cassy dann. Sie überlegte kurz und meinte: "Lassen Sie uns die Sache mit den Roben hinter uns bringen." Dumbledore nickte und amüsierte sich. Diese Kleidungsstücke würden nicht zu Cassy's Lieblingssachen in der magischen Welt gehören. Dann ging er zielstrebig auf ein Geschäft zu, dass der Bank gegenüber lag. 'Madam Malkins Anzüge für alle Gelegenheiten' stand auf einem Schild über dem Eingang.
***
Als sie eintraten, kam ihnen eine ältere Frau mit freundlichem Lächeln entgegen. "Was kann ich für Sie tun?"
"Ich bitte Sie, die junge Dame hier mit einer Sommer- und einer Wintergarderobe auszustatten. Ich werde mich dort drüben in das Gartencafé setzen und auf sie warten." Die Hexe sah Cassy's Robe an und meinte leise für sich: "Das wird aber auch Zeit." Dumbledore grinste und bevor Cassy noch etwas sagen konnte, war er aus dem Geschäft. In der Tür drehte er sich allerdings noch einmal um und sagte: "Wir brauchen auch einen Festumhang." Mit diesen Worten verschwand er und Cassy war der Verkaufswut der Hexe ausgeliefert. Es gab Roben in allen Farben. Es gab sie mit Streifen, Punkten, Blumen oder Schottenkaro, kurz oder lang, einfach oder verspielt. Als die Hexe Cassy den Umhang mit einem eindeutigen Gesichtsausdruck und zwei spitzen Fingern abgenommen hatte, strahlte sie. "Endlich mal jemand, der auch meine schmalen Roben anziehen kann", sagte sie begeistert.
Dann begann die Tortur für Cassy. Robe an, Robe aus. Lieber Lila? Nein. Passte nicht so gut zu ihren Augen. Ooh. Diese dunkelblaue. Was meinen Sie? Ja. Das passt besonders gut. Vielleicht auch die gelbe? Oh, wie dumm von mir. Natürlich steht Ihnen gelb nicht so gut.
Cassy schwirrte der Kopf von dem ununterbrochenen Geschnatter. Was hatte die Frau gesagt. Sie könne die schmalen Roben anziehen? Cassy konnte keinen Unterschied darin erkennen, ob die Ärmel einer Robe ihr zehn oder zwanzig Zentimeter über die Finger hingen und ob der Saum zwanzig oder fünfzig Zentimeter hinter ihr herschleifte. Die Ärmel waren zu lang und der Saum war im Weg. Nach endlosen zweieinhalb Stunden hatte sie endlich, was sie brauchte. Sommer-, Winter- und Festumhang. Die Winterumhänge für draußen waren dick gefüttert und hatten Kapuzen. Die Sommerumhänge waren leicht und luftig und wehten sogar, wenn Cassy lief. Der Festumhang war ein verschwenderisch mit Falten ausgestattetes Kleidungsstück, das allerdings aus einem sehr fließenden Material gefertigt war, das sich ganz schmal an den Körper anlegte. Dieser Umhang gefiel Cassy am besten. Ihr fehlten nur noch Krone, Zepter und Reichsapfel, dachte sie grimmig. Die Hexe gab ihr die viel zu große Robe zurück. Aber Cassy lehnte dankend ab und zog direkt eine von den neuen Sommerroben an. Sie packte ihre Einkäufe und ging. Dumbledore saß auf der anderen Straßenseite in der Sonne vor einem Tee. Dem Vierten mittlerweile.
Sie ließ sich erschöpft neben ihn fallen und sagte: "Das war die schlimmste Kleiderfolter in meinem Leben. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich einfach jeweils fünf in der gleichen Farbe genommen und wäre in einer halben Stunde fertig gewesen. Das fand die Verkäuferin aber nicht so klasse." Cassy lächelte bei ihrer Übertreibung und dann bestellte sie sich auch einen Tee und ruhte sich erst einmal aus. Cassy ging nicht gerne Kleider einkaufen. Wenn ihr nicht sofort die ersten beiden Sachen passten, ging sie meist wieder nach Hause und versuchte es ein anderes Mal. Die endlose Geduld, wie sie viele ihrer Geschlechtsgenossinnen hatten und sich bis zu fünfunddreißig Mal umzogen, fehlte ihr gänzlich. Dumbledore grinste und meinte: "Der Rest wird jetzt einfacher."
***
Sie besorgten noch die Federkiele, Pergament und ein paar andere Kleinigkeiten. Zwischendurch liefen sie Hermine, Harry und Ron noch einmal über den Weg, die vollgepackt mit Einkäufen aus einer Buchhandlung kamen.
Dann fehlte nur noch die Eule. Der Schulleiter dirigierte sie zu einem besonderen Geschäft. 'Eeylops Eulenkaufhaus'. Der Name sagte schon, womit dieser Laden hauptsächlich sein Geld verdiente. Allerdings gab es hier auch allerlei andere Haustiere zu kaufen. Katzen und Ratten genauso wie Molche, Kröten und Salamander. Sie betraten das Geschäft und Cassy schaute sich wieder mit großen Augen um. Kurz flammte noch einmal die Erinnerung an den Streit im Zoogeschäft auf und sie musste lachen. Wenn der Besitzer das hier gesehen hätte, wäre er wahrscheinlich ohnmächtig geworden.
Als Cassy's Blick noch einmal langsam durch den Laden schweifte, blieb ihr Blick an dieser großen, dunklen Eule hängen. Das blauschwarze Gefieder war von dunkelbraunen bis rehbraunen Flecken durchbrochen, als würden winzig kleine Flammen an dem Eulenkörper entlang züngeln. Sie hatte große gelbe Augen, die von einem rehbraunen, für Eulen so typischen, Federkranz eingefasst waren. Cassy stutzte. Sie sah sich die Eule genauer an. Die Eule musterte sie. Ganz eindeutig! Sie ging näher heran. Aus einem Impuls heraus streckte sie vorsichtig die Hand aus, völlig gefangen von diesem bewussten, aufmerksamen Blick. Die Eule blieb stolz und aufrecht auf ihrer Stange sitzen, während sich Cassy's Hand ihr unendlich langsam näherte, immer darauf bedacht, einer möglichen Schnabelattacke schnell zu entgehen. Aber die Eule dachte überhaupt nicht daran, Cassy zu verletzen. Im Gegenteil. Als Cassy sie vorsichtig und respektvoll streichelte, schuhuhte sie leise und kam ihr auf der Stange ein kleines Stück entgegen.
"Diese Eule ist für Sie perfekt," ölte der Verkäufer. "Sie müssen sie nehmen. Das Tier geht mir ohne Sie hier ein." Verkäufer sind anscheinend überall gleich, dachte Cassy leicht angewidert.
"Wie heißt sie?" fragte Cassy den Verkäufer, ohne den Blick von der Eule zu nehmen.
"Aratos."
"Was meinen Sie?" fragte sie zu Dumbledore gewandt. Eine Eule kaufte man ja nun nicht alle Tage. Jedenfalls bei den Muggeln nicht. Und doch wartete sie Dumbledores Antwort gar nicht erst ab. "Ich möchte Aratos haben," sagte sie. Dabei streichelte sie die Eule ständig weiter.
Dumbledore nickte und lächelte. "Ich glaube, die Eule hat gerade Sie ausgesucht."
"Eine gute Wahl," wieselte der Verkäufer. "Brauchen Sie noch einen Käfig?"
Sie kauften Käfig, Eulenkekse, eine Armmanschette und was man sonst noch so zur Pflege brauchte.
Dann brachte Dumbledore sie zurück nach Hause.
***
Ein wenig mulmig war ihr schon, als sie bei ihrer Mutter vor der Tür stand. Dumbledore hatte es ihr überlassen, was sie ihrer Mutter erzählen würde. Er hätte vollstes Vertrauen zu ihr sagte er, bevor er wieder mit einem Plopp aus ihrer Wohnung verschwunden war.
Dann hatte sie ihre Mutter angerufen und ihr gesagt, dass sie einen neuen Job hätte. Und dass sie weg müsse. Aber alles andere wollte sie ihr lieber persönlich sagen.
Jetzt stand sie vor der Tür ihres Elternhauses und hatte Herzklopfen, wie schon lange nicht mehr.
Ihre Mutter öffnete. "Hallo Schatz, komm' rein. Ich muss gleich wieder in die Küche." Sie küsste Cassy kurz auf die Wange und verschwand um die Ecke. Es roch gut. "Was kochst du, Mume?"
"Spitzkohl-Käse-Suppe!", trällerte ihre Mutter aus der Küche. Cassy hängte ihre Jacke an die Garderobe und ging zu ihrer Mutter in die Küche.
Seit sie zu Hause ausgezogen war, hatte sich das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Mutter ständig gebessert. Ihr Vater war vor zwei Jahren gestorben. Er war Professor für griechische Geschichte und Mythologien. Ihm hatte Cassy auch ihren Namen zu verdanken.
Cassy hatte nie begriffen, warum ihr Vater ausgerechnet diesen Namen gewählt hatte. Ihre Mutter meinte einmal, dass er ihm einfach nur gut gefallen hätte. Es gäbe gar keinen tieferen Sinn. Cassy hatte sich zum Glück entgegen ihrer großen Namensverwandten entwickelt. Sie war nicht eingebildet oder überheblich, eher pragmatisch, zupackend, mitfühlend und treu. Und was die Schönheit anging? Nun. Das musste jeder für sich entscheiden, was er für Schönheit hielt. Den diversen Einladungen vom männlichen Geschlecht nach zu urteilen, konnte sie allerdings nicht ganz hässlich sein. Aber schön? Das war - wie eigentlich alles im Leben - Ansichtssache.
Durch ihren Vater war sie also mit Göttern, Geschichten und Sternbildern aufgewachsen. Das alles hatte sie nie bereut. Ihr Name rief zwar hin und wieder ein Stirnrunzeln hervor, vor allen Dingen, wenn er geschrieben werden sollte, aber da sie sich meist sowieso mit der Kurzform vorstellte, gab es nur in den seltensten Fällen Rückfragen und Erklärungsbedarf.
Nachdem er gestorben war, wurde die Wohnung zu eng für Cassy und ihre Mutter. Nicht im räumlichen Sinne. Sie gingen sich auf die Nerven und irgendwann hatten sie sich Dinge gesagt, die man nicht mehr rückgängig machen konnte und Cassy zog aus. Der Vater fehlte als der ruhende Pol der Familie. Auch in dieser Zeit hatten Ellen und Robert geholfen. Es gelang ihnen in sorgfältiger Kleinarbeit, das Verhältnis wieder zu kitten. Cassy's Familie war für die beiden zu einer Ersatzfamilie geworden, nachdem die eigenen Eltern viel zu weit entfernt wohnten, um sie regelmäßig besuchen zu können. Cassy und ihre Mutter konnten das Gesagte aus der Welt schaffen. Letzten Endes war es für beide gut, dass dieser große Krach passiert war. Ihre Zuneigung zueinander hatte sich vertieft und sie gingen wesentlich aufmerksamer miteinander um. Es war wie die berühmte Suppenschüssel, die zerbricht. Wenn sie gekittet werden kann, trägt man sie hinterher um so vorsichtiger.
Neben Ellen und Robert hatte sie keine anderen Menschen, die sie wirklich als Freunde bezeichnet hätte. Als einzige echte Vertraute hatte sie nur noch ihre Mutter.
Spitzkohl-Käse-Suppe. Cassy liebte diese Suppe. "Ich habe dir schon Tee gekocht. Dort steht er", sagte die Mutter, während sie am Herd herumhantierte.
Cassy setzte sich an den Tisch und sah der kleinen, untersetzten, grauhaarigen Frau mit dem glänzenden, rotwangigen Gesicht eine Weile zu. Sie hatte die gleichen blaugrauen Augen wie ihre Tochter.
"Deck' doch bitte drinnen schon mal den Tisch. Ich bin gleich fertig."
Cassy holte Teller, Löffel, Servietten und eine Kerze. Es sollte ein gemütliches Essen werden.
Dann kam ihre Mutter mit dem Topf und sie begannen mit dem Abendessen. Dabei unterhielten sie sich über allerlei Belangloses. Die Nachbarin nebenan hatte schon wieder ein neues Auto samt neuem Freund. Die Freunde wurden immer jünger und die Autos immer größer. Die Nachbarn gegenüber hatten einen Hund und ließen ihn immer bei Cassy's Mutter vor dem Grundstückstor ihr Geschäft verrichten. Darauf hin hatte ihre Mutter den Haufen in ein Papier gewickelt und ihn gegenüber in den Briefkasten geworfen. Allerdings erst, nachdem sie wiederholt darum gebeten hatte, dass die Exkremente entfernt werden und man ihr sagte, dass sie eine alte Querulantin sei und sich nicht so anstellen solle. Jetzt blieb der Eingang frei aber die Nachbarn grüßten nicht mehr.
Dann war das Essen beendet und ihre Mutter schaute Cassy erwartungsvoll an. "Schieß' los."
Cassy hatte lange überlegt, wie sie es ihrer Mutter sagen sollte. Vor allen Dingen was sie ihrer Mutter sagen sollte. Also begann sie:
"Es ist eine Schule an mich herangetreten. Dort soll ich Kinder unterrichten im Umgang mit alltäglichen Dingen, wie Telefon, Post usw."
"Haben die keine Eltern, die ihnen das beibringen können?", warf ihre Mutter dazwischen.
"Doch schon", Cassy wusste in diesem Moment, dass sie das Gespräch sehr ungeschickt begonnen hatte. Ihre Mutter würde löchern und fragen. Und irgendwann wäre sie in der Situation, dass sie sich verheddern würde. Belügen wollte sie ihre Mutter allerdings auch nicht. Sie wollte nur ein bisschen was auslassen.
Das Einfachste war, ihrer Mutter gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen.
"Mume", begann Cassy. "Es ist keine normale Schule, wie du sie dir vorstellst. Es ist auch für mich schwierig, dir zu erklären, wo ich hingehe. Es handelt sich um ein besonderes Projekt, das von Seiten der Regierung durchgeführt wird." Saublöde Erklärung dachte Cassy.
"Cass", ihre Mutter schaute sie mit leicht nach vorn geneigtem Kopf von unten an, so, wie man es mit kleinen Kindern macht, wenn man genau weiß, dass sie lügen. "Tu' mir einfach den Gefallen und sag' mir was los ist und erzähl' mir nicht so einen Unfug."
Lügen war noch nie Cassy's Stärke gewesen. Sie wurde immer erwischt. "Es fällt mir so schwer, Mume. Ich kann dir nicht alles über die Schule erzählen. Glaube mir. Es ist nichts Illegales, aber ich habe versprochen, dass ich dir nur das Nötigste sage. Bitte vertrau' mir."
Die Mutter nickte. "Ich weiß, dass du nichts Illegales tun würdest."
Cassy seufzte erleichtert. "Ich werde für ein Jahr weg sein. Mindestens. Ich weiß nicht, wo die Schule liegt, aber sie ist hier in England. Du kannst mich auch nicht erreichen." Jetzt kam der zweite Teil. Sie musste ihrer Mutter von Aratos erzählen. Hoffentlich hatte wenigstens ihre Idee funktioniert.
"Wie bekomme ich dann Kontakt zu dir?", fragte die Mutter natürlich prompt.
Cassy stand auf und sagte: "Auf diesem Weg." Sie machte die Balkontür auf. Aratos saß, Gott sei Dank, bereits draußen auf dem Geländer mit dem kleinen Brief an sein Bein gebunden.
"Was ist das?" kreischte Cassy's Mutter und wurde ganz blass. Sie war aufgesprungen.
"Das", sagte Cassy und streichelte den großen Vogel, bevor sie ihm ihren Arm hinhielt, "ist meine Eule." Die Eule setzte sich behutsam auf Cassy's Arm, wobei sie mit ihren riesigen Flügeln versuchte ihr Gleichgewicht auszubalancieren. Sie schuhuhte ein wenig und rieb ihren Kopf an Cassy's Schulter. "Das hast du gut gemacht, Aratos. Du kriegst gleich etwas. Einen Moment noch", flüsterte Cassy der Eule zu und streichelte das weiche Gefieder.
Ihre Mutter stürzte zum Schrank, holte ein mittleres Glas hervor, goss sich erst einmal einen dreifachen Waldhimbeergeist ein und stürzte ihn in einem Zug herunter. Dann drehte sie sich um, besah sich Aratos und schüttete anschließend noch einmal einen Dreifachen hinterher.
"So", meinte sie. "Jetzt geht es mir etwas besser." Cassy hatte allerdings einen anderen Eindruck. Ihre Mutter atmete immer noch sehr schnell und hatte immer noch eine ungesunde Gesichtsfarbe.
"Mume, setz dich bitte." Die Mutter setzte sich und Cassy fuhr fort: "Das ist Aratos. Er ist ganz zahm und versteht, was du sagst." Vorsichtig ging sie mit der großen Eule um den Tisch herum. Aratos schien zu merken, dass er Cassy's Mutter einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte. Er saß ganz still und schuhuhte nicht einmal mehr. Als sie bei ihrer Mutter ankam und in respektvollem Abstand stehen blieb, streckte Aratos sein Bein aus und hielt ihrer Mutter den Brief hin.
"Du musst den Brief abmachen", forderte Cassy ihre Mutter auf. Die Himbeergeist begannen wohl zu wirken, denn ihre Mutter begann mutig, den Brief von Aratos Bein zu lösen. Dabei sah sie die Eule die ganze Zeit misstrauisch an. Zu Hause hatte Cassy lange überlegt, wie sie ihrer Mutter alles beibringen sollte. Dann war für sie die einfachste Lösung gewesen, einen Brief zu schreiben, ihn Aratos ans Bein zu binden - so wie Dumbledore ihr es erklärt hatte - und die Eule loszuschicken. So hatte die Mutter gleich praktischen Anschauungsunterricht.
"Woher hast du die Eule?" Cassy holte gerade Luft, als ihre Mutter die Hände abwehrend hob und sagte: "Ich will es gar nicht wissen." Dann faltete sie das Papier auseinander und las die Zeilen, die Cassy geschrieben hatte, bevor sie hier her kam.
Cassy kam sich langsam immer blöder vor. Ihre Mutter musste spätestens jetzt denken, dass ihr irgendetwas Schweres auf den Kopf gefallen war und ihr das normale Denken herausgehämmert hatte. Eine Schule, von der sie nicht wusste, wo sie lag. Kinder, die nicht wissen, wie man ein Telefon bedient und wenn sie ihrer Tochter Post schicken wollte, dann musste sie diese an einer Eule festbinden.
Ihre Mutter hatte den Brief fertig gelesen und schaute sie etwas ratlos an. "Ich weiß nicht, wie man sich um Eulen kümmert."
"Streck' Deinen Arm aus", forderte sie ihre Mutter leicht lächelnd auf. Sie hatte einen langärmeligen Pullover an. Daher konnte Cassy auf die Eulenmanschette verzichten. Aratos hatte äußerst scharfe Krallen, aber der Pullover war dick genug.
Die Mutter streckte ihren Arm wie geheißen aus, allerdings war ihr Gesichtsausdruck alles andere als entspannt und Aratos begann vorsichtig umzusteigen. Als er auf dem Arm ihrer völlig steif dasitzenden Mutter saß, ging Cassy zur Garderobe und holte einen Eulenkeks aus ihrer Jackentasche, um ihn endlich zu belohnen. Sie fand die kleinen Kekse nicht gleich und es dauerte eine Weile, bis sie ihre Jacke durchforstet hatte, das kleine Loch im Jackenfutter entdeckte und die Kekse irgendwo aus dem Inneren herausgepult hatte.
Zurück im Wohnzimmer bot sich ihr ein unglaubliches Bild: Aratos hatte sich auf den Schoß ihrer Mutter gearbeitet. Dort hatte er sich zusammengekuschelt und schuhuhte leise vor sich hin, während ihre Mutter mit einem leicht glasigen Blick den Vogel zurückhaltend streichelte.
"Oh, Cassy! Er ist so schön!", rief sie ihr schon in der Tür zu. Cassy lachte, schüttelte den Kopf und gab ihrer Mutter den Keks für Aratos, den er vornehm und langsam aus ihrer Hand fraß.
"Ich werde Ende der Woche geholt, Mume. Wir werden uns einen Tag vorher noch sehen, aber ich möchte nicht, dass du dabei bist, wenn ich geholt werde." Cassy dachte daran, in welchem Zustand ihre Mutter wäre, wenn sie mit diesem Portschlüssel verschwand.
Ihre Mutter nickte. Aratos hatte seine Augen geschlossen und döste zufrieden. Dann unterhielten sie sich noch eine Weile. Über die Schule fragte Cassy's Mutter allerdings nichts mehr. Sie musste die Eule und alles andere erst einmal verkraften. Zumindest hatte sich Aratos anscheinend unsterblich in ihre Mutter verliebt, denn so anschmiegsam war er nicht einmal bei Cassy gewesen.
***
Cassy hatte die restliche Zeit noch damit verbracht, zu packen und bei ihrer Mutter ein Gestänge einzurichten, wenn sie Aratos mit Post schicken würde, damit er bleiben und versorgt werden konnte.
Der Abschied verlief ganz unspektakulär, als würde Cassy mal eben für vierzehn Tage in den Urlaub fahren.
Dann kam Dumbledore und holte sie ab. Sie hielt ihm das Agulhas-Foto unter die Nase und bat ihn, ihre Freunde wieder sichtbar zu machen. Dumbledore lehnte das mit der Begründung ab, dass die Gefahr zu groß sei, dass Professor Snape Ellen und Robert wiedererkannte. Dann würde er auch wissen, wie Cassy nach Hogwarts gekommen war. Traurig ließ sie das Foto zu Hause in der Schublade verschwinden.
Wieder kam der alte Socken zum Einsatz.
Dumbledore hatte sein Versprechen eingelöst und kam nur wenige Tage nach dem Vorfall zu Cassy. Das heißt, er erschien einfach mit einem leisen Plopp und Cassy wurde vor Schreck fast ohnmächtig, als er plötzlich im Wohnzimmer vor ihrem Fernsehapparat auftauchte. Als Zugabe zu "Eine schrecklich nette Familie" sozusagen.
Cassy hatte einen solchen Schrecken bekommen, dass sie ihn anbrüllte: "Können Sie nicht einfach wie ein normaler Mensch an der Tür klingeln? Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen!"
Dumbledore lachte schallend. "Bitte entschuldigen Sie", sagte er, nahm seine Brille ab und wischte sich die Augen. Als sie sich einigermaßen erholt hatte, sah sie Dumbledore verlegen an. Es war ihr unangenehm, dass sie ihn so angebrüllt hatte.
"Möchten Sie nicht Ihren Mantel ausziehen?" Er zog die Robe aus und gab sie ihr. Darunter hatte er einen tadellosen dunkelblauen Maßanzug an, ein weißes Hemd mit Krawatte und eine passende Weste. Wenn nicht die langen Haare und der noch längere Bart gewesen wären, hätte man ihn für einen vornehmen alten Lord halten können. Jetzt konnte man ihn für einen vornehmen alten Lord mit einem Spleen halten. Wegen der Haare. Und dem Bart.
Cassy sah überrascht aus. "Ich hatte hier in London bei einem sogenannten Mittelsmann zu tun. Er ist das Tor zwischen den Muggeln und den Magiern. Es gibt nicht viele dieser Verbindungsleute, wie Sie sich vorstellen können. Aber wir brauchen uns gegenseitig, um in Fällen Schadensbegrenzung zu betreiben, bei denen auch wir mit Magie nicht mehr weiter kommen. Daher der Aufzug", schloss er erklärend.
Cassy wollte gar nicht wissen, was er mit Schadensbegrenzung meinte, aber er sprach weiter.
"Heute hatten wir ein Treffen, was mit dem Haus Ihrer Freunde passiert. Wir können zwar den Menschen die Erinnerung nehmen, aber dokumentierende Papiere können wir nicht ändern. Dazu brauchen wir diese Mittelsmänner."
"Ich will nicht wissen, was mit dem Haus passiert und ich will auch nichts über ihre Mittelsmänner wissen", sagte Cassy leise und wich seinem Blick aus.
Dann fing sie sich und wechselte das Thema. "Wie wäre es mit einem Tee?" Der alte Schulleiter nickte und Cassy lud ihn in die Küche ein. Dort konnte man gut sitzen und beim Tee alles Weitere besprechen.
"Wie geht es Mr. Snape?" fragte sie in der Küche, als der alte Mann Platz genommen und sie das Teewasser aufgesetzt hatte. 'Er wird langsam wieder biestig', wollte Dumbledore gerade sagen, um ihr zu verstehen zu geben, dass es ihm besser ging, aber im letzten Moment fiel ihm ein, dass Cassy ihn nur schlafend kannte.
"Er ist auf dem Weg der Besserung. Unsere Heilerin hat mir bestätigt, dass Sie durch Ihren Einsatz wirklich sein Leben gerettet haben. Eigentlich durch einen ungewöhnlichen Umstand."
Cassy schaute ihn fragend an. "Dadurch, dass Sie ihn in ihrer Angst so fest an sich gedrückt haben, wie Sie mir erzählten, haben Sie die Blutung wie mit einem - wie nennen Sie das doch gleich -", er dachte nach, "Druckverband! verlangsamt und ihn gleichzeitig warm gehalten."
Cassy erinnerte sich ungern an die Situation. "Ich weiß bis heute nicht, warum ich das überhaupt getan habe. Im Nachhinein habe ich mir oft überlegt, dass er genauso gut hätte tot sein können. Ich wusste gar nicht, ob er noch lebte, als ich ihn die Treppe heruntergezogen habe. Es war einfach ein Reflex. Dass er am Leben war, wusste ich erst sicher, als er stöhnte, weil ich ziemlich grob mit ihm umgegangen bin. Ich hätte genauso gut mit einem Toten dort unter der Treppe sitzen können und hätte es erst gemerkt, als Sie kamen." Sie schüttelte sich bei dem Gedanken. Dann fuhr sie leise fort: "Er hatte nicht vor, meine Freunde zu töten. Mehrmals wollte er sie alles vergessen lassen und wieder gehen. Es war der andere - Lucius hieß er, glaube ich - der ihn dazu gezwungen hat. Ich habe Snape's Gesichtsausdruck gesehen, als er Ellen umbringen musste. Ich wusste, dass er kein Mörder ist. Vielleicht war das alles zusammen der Auslöser."
Dumbledore sah sie aufmerksam an. Er hatte schon im Keller ihr feines Einfühlungsvermögen und die ausgeprägte Aufmerksamkeit gespürt. Aber es war mehr als das. Es war wie eine Aura um sie herum, die Kraft ausstrahlte. Nur bei näherem Hinsehen merkte man ihre wirkliche Verletzlichkeit.
"Sie spüren, was Menschen in Ihrer Umgebung denken oder fühlen, nicht wahr?"
Cassy nickte. "Ihre Gedanken spüre ich nicht." Sie lächelte. "Ich bin kein Telepath und ich habe keinerlei besondere Fähigkeiten. Aber ihre Gefühle spüre ich. Es ist, als würde sich das, was sie gerade fühlen, auf mich übertragen. Es ist so ... so ... belastend. Es ist mir schon oft passiert, dass ich in einen Raum zu Menschen gekommen bin und in dem Moment, wo ich die Tür aufmachte, wusste ich, dass es Ärger gab oder etwas Unangenehmes passiert war, noch bevor irgend einer der Anwesenden mich überhaupt angesprochen oder angesehen hatte. Es ist, als ... als ... würde das Gefühl greifbar in der Luft hängen und sich auf mich stürzen, sobald ich mich nähere. Klingt sehr metaphorisch, nicht wahr?"
Sie verstummte einen Augenblick und zuckte dann mit den Schultern. Es war eine Sache, über die sie selten sprach und die sie gerne als Unsinn oder Hirngespinste abtat, aber sie hatte in der Zwischenzeit, dass es eine Eigenschaft war, die sie nun mal hatte - ob sie sie wollte oder nicht. So machte sie eine abwertende Handbewegung, mit der sie das Gesagte entkräften und unwichtig machen wollte. "Ach. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Diese Stimmungen sind einfach da und ich spüre sie. Ich sehe sie an den Gesten der Menschen. An den kleinen, unbedeutenden. Das könnte jeder, wenn er nur ein bisschen genauer hinschauen würde."
In diesem Moment pfiff der Teekessel. "Was möchten Sie? Darjeeling, Broken Pekoe, Earl Grey oder Rooibusch?" Dumbledore entschied sich für den Rooibusch. Den kannte er noch nicht. Cassy erklärte ihm, dass dies eine besondere Sorte war, die sie aus Südafrika aus dem Urlaub mitgebracht hatte und der jetzt auch in England immer mehr Freunde gewann. Es war ein Tee ohne Koffein, den man in unzähligen aromatisierten Sorten kaufen konnte. Cassy entschied sich aus ihren zig Sorten für einen, der ein wenig nach Zitrone roch und einen erfrischenden Geschmack hatte.
"Das ist eine wundervolle Gabe, wissen Sie das?", nahm Dumbledore das Gespräch erneut auf.
"Nein, ist es nicht", gab Cassy etwas schroffer zurück, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. "Es ist belastend, bedrückend und niederschmetternd. Denn ich spüre nur die negativen Gefühle. Wenn sich jemand wohl fühlt in meiner Umgebung, sehe ich das zwar auch, aber es überträgt sich nicht so intensiv auf mich, wie wenn er verzweifelt wäre. Die Leute, mit denen ich fast täglich zusammen bin, schauen mich öfter an, als wüsste ich etwas, was sie nicht wissen. Dabei beobachte ich nur einfach genauer. Ich habe mir sehr oft gewünscht, dass ich mit Nerven in der Dicke von Drahtseilen gesegnet bin und einfach nichts mitbekomme. Ich beneide Menschen, die diese Eigenschaft haben."
Dumbledore merkte, dass dieses Thema Cassy zu schaffen machte. Sie wollte ihre Fähigkeit nicht akzeptieren. Sie hielt sie für eine Behinderung ihres Alltags. "Bewahren Sie sich Ihre Sensibilität", meinte er abschließend. "Und dass Sie sich mit dieser besonderen Begabung ab und zu wie ein Paradiesvogel fühlen, kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung durchaus nachfühlen, glauben Sie mir", schloss er das Gespräch mit einem schalkhaften Lächeln.
Cassy lächelte zurück. Ja. Das konnte Sie sich lebhaft vorstellen. Langer weißer Bart, lange weiße Haare, ein würdevolles Gesicht und das alles z. B. in der Eingangshalle vom traditionsreichen und stilbesessenen Savoy Hotel hier in London. Durch seinen Anzug würde er dorthin passen, aber er würde nicht dorthin gehören.
"Besprechen wir jetzt Ihren Aufenthalt bei uns?"
Cassy schüttelte den Kopf. "Ich muss Sie noch etwas fragen, was mir seit diesem Tag Kopfzerbrechen bereitet." Dumbledore lehnte sich zurück.
"Wieso sind Sie zurückgekommen?"
Er schaute sie an. "Das liegt doch wohl auf der Hand, oder? Ich wollte Snape holen."
"Nein." Cassy schüttelte den Kopf. "Sie sind in das Haus gekommen und haben gerufen: 'Hallo, wo sind Sie.' Ich bin mir sicher, dass Sie längst wussten, dass ich da war. Sonst hätten Sie nach Snape gerufen. Außerdem hätte er mit seinen schweren Verletzungen niemals die Treppe runterkommen können. Nicht einmal fallend. Auch das wussten Sie. Sie haben Ihre - wie hießen die noch - Auroren zurückgepfiffen, als einer die Puppe umdrehen wollte. Sie wussten, dass ich da war. Woher?
Dumbledore schaute sie lange über die Ränder seiner Halbmondbrille an. Sie dachte logisch und war intelligent. Auch das hatte er schon in dem Keller festgestellt.
"Es ist wirklich ganz einfach. Ich musste aufpassen, dass keiner der anderen Auroren ihn endgültig umbrachte, als er verletzt dort lag. Sie waren alle sehr aufgebracht. Daher stellte ich mich dicht zu ihm, um im Zweifelsfall sofort eingreifen zu können."
Dann grinste er. "Ich habe Ihre Arme gesehen, als sie Snape am Kragen genommen hatten. An der Kleidung konnte ich sehen, dass Sie weder zu uns, noch zu den Todessern gehörten. Ich habe also mit meiner Robe den Kellerabgang weitgehend verdeckt, dass niemand Sie sehen konnte. Dann musste ich mich auf mein Gefühl verlassen, dass Sie ihm nicht schaden würden. Als ich die Treppe heruntergekommen bin, wusste ich nicht sofort, dass diese Gestalt zwischen dem Kellergerümpel eine Puppe war. Ich habe einen ziemlichen Schreck bekommen, als ich seinen Umhang dort liegen sah. Das war brillant."
Cassy schaute ihn an. "Ich hätte schwören können, dass niemand mich in dem Durcheinander bemerkt hatte." Sie schüttelte den Kopf. Dann schenkte sie dem Schulleiter Tee nach.
"So. Jetzt reden wir über Hogwarts", begann Dumbledore erneut. "Was machen Sie eigentlich im Moment?" Cassy brauchte einen Moment, um auch gedanklich das Thema zu wechseln.
"Ich bilde Erwachsene aus. Allerdings in kleinen Gruppen mit maximal fünf Personen." Sie sah Dumbledores fragendes Gesicht. "Ich bilde sie am Computer aus. Internet. Arbeitsablaufpläne für Büros und so weiter. Lauter langweiliges Zeug - mittlerweile. Es gab mal eine Zeit, da fand ich diese Tätigkeit sehr spannend. Schulung und Ausbildung finde ich immer noch sehr aufregend. Aber die Inhalte sind eben langweilig."
Dumbledore hatte kein Wort verstanden. Was ein Computer war, wusste er wohl. Aber Arbeitsablaufpläne?
Daher begann er vorsichtig. "Es ist schon ein Unterschied, ob man fünf Erwachsene oder fünfundzwanzig Kinder ausbildet. Dessen sind Sie sich doch bewusst?"
Cassy nickte. Wollte er jetzt etwa einen Rückzieher machen?
"Ich habe bereits darüber nachgedacht. Mein Unterricht soll authentisch sein. Daher werden die Schüler bei mir genau wie in einer richtigen Muggelschule unterrichtet. Mit allem notwendigen Arbeitsmaterial und von mir erstellten Unterlagen."
Dumbledore nickte. So hatte er sich das vorgestellt. Für eine Stunde am Tag sind alle Muggel.
"Welche Themen muss ich ausarbeiten?", fragte Cassy ihn.
"Zu Ihrem Lehrplan gehört für dieses Jahr: Telefonieren, Geldautomaten, Besuch von öffentlichen Veranstaltungen, Benutzung von Küchengeräten, Versendung von Post, Elektrizität, Fußball, Nähen. Das sind alles Dinge, die wir mit Magie handhaben oder einfach nicht wissen, wie man es anders machen kann. Hier habe ich eine Liste, was Sie für Hogwarts alles brauchen. Vor allen Dingen sind es Roben - das ist unsere Schulkleidung -, Pergament, Federkiele, Tintenfässer und eine Eule."
"Eine was?" Cassy schaute ihn verblüfft an.
"Unsere Post funktioniert etwas anders als Ihre", grinste Dumbledore
Sie besprachen noch einige Stunden den Unterricht und Dumbledore freute sich, dass Cassy so bei der Sache war. Sie nahm ihre Aufgabe sehr ernst. Zwischendurch gingen sie in eine kleine gemütliche Kneipe um die Ecke und aßen zu Abend. Die anwesenden Gäste beachteten Dumbledore jedoch gar nicht weiter. Cassy war erstaunt. "Wieso sehen die Sie nicht an? Wieso sehen die Ihren ungewöhnlichen Aufzug nicht?"
Dumbledore lächelte. "Sie sind alle so mit sich selbst beschäftigt, dass sie in mir keinen außergewöhnlichen Menschen sehen." Dann zeigte er Cassy verstohlen den Zauberstab unter der Robe. Cassy lachte. So funktionierte das also.
"Wie sehen die Leute sie?", fragte sie neugierig.
"Wie soll ich das erklären? Sie sehen mich, aber wenn sie sich umdrehen haben sie mich schon wieder vergessen, verstehen Sie?" Nein. Cassy verstand nichts, aber sie sagte sich, dass sie nicht alle Geheimnisse der Magierwelt heute Abend vor dem Essen begreifen müsse.
"Was ist mit ihrer jetzigen Arbeit? Sie haben doch Kündigungsfristen", nahm Dumbledore während des Essens das Gespräch wieder auf.
"Wissen Sie", begann Cassy, "meine jetzige Tätigkeit hängt mir so zum Hals heraus, dass eine Veränderung für mich sowieso anstand. Dass ich die ausgerechnet durch Sie erfahren würde, hätte ich im Traum nicht erwartet. Ich kann innerhalb von vierzehn Tagen gehen und Resturlaub habe ich auch noch."
"Haben Sie Familie?"
"Ja", nickte Cassy. "Meine Mutter lebt nicht weit von hier."
"Was haben Sie vor, Ihrer Familie zu sagen?"
Cassy überlegte einen Augenblick. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. "Ich denke, ich werde ihr die Wahrheit sagen." In Dumbledores Gesicht zuckte es und Cassy fuhr fort: "Aber nicht die Ganze", schloss sie grinsend.
Dann machte sie mit Dumbledore aus, dass er sie vier Tage vor Schulbeginn abholen solle. Sie würden wieder mit einem Portschlüssel reisen. Für den Hogwarts Express fehlte Dumbledore die Zeit vier Tage vor Schulanfang und so war das die beste Lösung.
Sie verabschiedeten sich herzlich und beide freuten sich auf das Wiedersehen in Hogwarts. Dumbledore hatte das sichere Gefühl, dass das ein richtig gutes Jahr werden würde.
***
"Wann wird der neue Lehrer denn eintreffen, Albus?" fragte Professor McGonagall beim Frühstück.
"Ich werde ihn abholen müssen, da er in Hogwarts nicht ohne magische Hilfe anreisen kann, Minerva. Wir haben vereinbart, dass er vier Tage vor den Schülern hier eintrifft, damit er sich noch eingewöhnen kann. Das heißt, er kommt in knapp zwei Wochen." Er seufzte. "Bis dahin müssen wir noch eine Unterkunft mit Büro für ihn herrichten und überlegen, wie wir ihm den Aufenthalt hier vereinfachen können, da er ohne die ganzen Muggelsachen wie Elektrizität, Telefon und ähnliches zurechtkommen muss."
Er schaute in die Runde seiner Kollegen. In den Sommerferien waren so gut wie keine Schüler in Hogwarts. So wurden die Tische für die Mahlzeiten so zusammengestellt, dass sich die Lehrkräfte beim Essen sehen konnten. In dieser Anordnung entfachten sich dann auch regelmäßig lustige bis hitzige Debatten über alle möglichen Themen. "Ich bin für jede Idee dankbar und erwarte Ihre Vorschläge in den nächsten fünf Tagen."
Severus Snape lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schaute Dumbledore direkt in die Augen. Seine äußerlichen Verletzungen waren zwar verheilt, aber er hatte sich noch nicht völlig von dem hohen Blutverlust erholt. Er wurde noch immer schnell müde und schlief meist nach dem Mittagessen bis zum nächsten Tag durch.
Snape zog die Augenbrauen zusammen und meinte: "Albus, was zum Teufel, soll ein Muggel hier? Wäre es nicht einfacher gewesen, einen Magier zu holen, der in der Muggelwelt lebt? Dann hätten wir den ganzen zusätzlichen Aufwand nicht." Dumbledore beugte sich ein wenig vor und verlor sein Lächeln nicht, als er antwortete. "Meine Entscheidung ist gefallen. Muggelkunde wird in diesem Jahr von einem Muggel unterrichtet. Und ehe ich es vergesse, liebe Kollegen, es handelt sich um eine Dame."
Er wandte sich direkt an Snape: "Sie, lieber Severus, haben hierbei übrigens eine besondere Aufgabe. Sie werden sich um die Dame zu kümmern. Sie werden ihr das Gelände zeigen, etwas über die magischen Geschöpfe erzählen, ihr die Dinge zeigen, die es nur in unserer Welt gibt. Wenn sie Fragen hat, werden Sie ihr zur Verfügung stehen und sie ihr bestmöglich beantworten."
Während dieser Ausführungen hatte man den Eindruck, dass Professor Snape buchstäblich das Frühstück im Hals stecken blieb. Er wurde erst blass (soweit das bei ihm noch möglich war) und dann langsam immer röter. Er sprang schließlich von seinem Stuhl auf, der einen halben Meter nach hinten sauste, gefährlich kippte, aber dann auf seine vier Füße zurückfiel und sagte leise und ärgerlich: "Ich werde mit Sicherheit kein Muggel- Kindermädchen sein." Wobei er das Wort 'Muggel-Kindermädchen' regelrecht ausspie. Dann knallte er seine Gabel auf sein halb gegessenes Frühstück, dass das Ei einen halben Meter über den Tisch flog und verließ zornbebend und mit wehendem Umhang den Frühstückssaal. Der Appetit war ihm gründlich vergangen. Er ging auf geradem Weg in sein Büro in die Kerker.
Nicht, dass jemand eine andere Reaktion von ihm erwartet hätte, aber es war eine gewisse Ironie dabei. Snape mochte Muggel eigentlich gar nicht - höflich ausgedrückt. Er war der Meinung dass jedes Lebewesen auf der Welt ein Recht zu leben hätte - bis auf Voldemort - aber Muggel waren bei ihm in der Kategorie Geschöpfe, nicht Menschen. Sie hatten irgendeinen, ihm nicht bekannten Zweck zu erfüllen. Das hatte Zuchtvieh auch. Die Kollegen schauten ihm leicht belustigt hinterher. In manchen Gesichtern sah man Genugtuung oder Schadenfreude über Dumbledores Entscheidung. Und auch Erleichterung, dass diese Zusatzaufgabe an ihnen vorbeigegangen war. Das Schuljahr würde arbeitsreich genug werden.
***
Cassy war sehr aufgeregt. Noch eine Woche, bis Albus Dumbledore sie abholen wollte. Sie hatte Einiges von dem gekauft, was der Schulleiter ihr für den Aufenthalt in Hogwarts empfohlen hatte. Es fehlten ihr aber noch eine Eule, Pergament und einige andere Sachen. Sie fragte sich allerdings, ob sie wirklich eine Eule bräuchte. Dumbledore hatte ihr zwar die Verwendung der Eule erklärt, als sie beim Aufzählen der benötigten Dinge fragend daran hängen geblieben war. Aber sie war sich sicher, dass ihre Mutter sich wundern würde, wenn statt des Briefträgers an der Haustür auf einmal ein mindestens fünfzig Zentimeter großer Vogel auf der Fensterbank saß mit einem Brief im Schnabel oder wie auch immer das funktionieren sollte.
'Gott, nimm dich zusammen', sagte sie zu sich, als sie wieder kurz vor einem Panikattacke stand. Diese kamen seit dem Besuch von Professor Dumbledore regelmäßig in immer kürzeren Abständen auf, je näher der Abreisetermin rückte, und zwar immer dann, wenn sie sich genau versuchte vorzustellen, wie ihr Tagesablauf in der neuen Schule aussehen sollte. Sie kam jedoch nie zu einem Ergebnis. Zum hundertsten Mal kontrollierte sie ihren ausgearbeiteten Unterrichtsstoff. Sie fügte noch etwas hinzu, nahm wieder etwas weg und drückte sich in der Stadtbibliothek herum, um noch mehr Material zu bekommen und die Unterlagen zu perfektionieren.
"Du wirst ja wohl mit deinen vierunddreißig Jahren in der Lage sein, ein paar Kindern das beizubringen, was du jeden Tag benutzt!" sagte sie zu sich selbst. Aber es war nicht alltäglich, als nichtmagische Lehrkraft an einer Zauberschule zu unterrichten. Sie wusste nicht, wie die Kinder waren. Sie machte sich Sorgen, wie ihre neuen Kollegen sie aufnehmen würden.
Aber andererseits war da dieser große, schlanke Mann mit den rabenschwarzen Haaren und dem schmalen, asketischen Gesicht. Selbst in seiner Bewusstlosigkeit hatte er Unnahbarkeit und Respekt ausgestrahlt. Cassy ging abends mit seinem Gesicht im Gedächtnis ins Bett und es war auch das Erste, was sie morgens sah wenn sie aufwachte. Es begleitete sie den ganzen Tag. Sie konnte es nicht abschütteln oder verdrängen. Es war immer präsent.
***
Snape rauschte in seinen Keller. Er stieß die Tür zu seinem Büro mit solcher Wucht auf, dass sie an das dahinter stehende Regal knallte und einige leere Flaschen auf die Erde fielen und zum Teil zerbrachen, bevor die Tür mit einem solchen Schwung zurückkam, dass er sie festhalten musste.
Das konnte doch nicht wahr sein. Er sollte eine Muggel betreuen. Diesmal war Dumbledore entschieden zu weit gegangen. Snapes Loyalität ihm gegenüber war nicht unendlich. Es war schon schlimm genug, dass er sich mit den ganzen Schlammblütern im Unterricht abgeben musste. Aber eine Muggel betreuen? Andererseits wusste Snape, dass die Entscheidungen von Dumbledore immer einen Grund hatten. Nur wollte er ihn diesmal überhaupt nicht wissen. Er lief mehrere Male in seinem Appartement im Kreis herum und überlegte, was er tun sollte.
Dann machte er sich auf den Weg in das Büro des Schulleiters. Diese Aufgabe musste jemand anderes übernehmen. Sein Ruf stand auf dem Spiel. Wenn sich herumsprach, dass er Muggelfremdenführer war, konnte er sich auf Einiges gefasst machen. Wie dachte Dumbledore sich das eigentlich in Vereinbarung mit seinem Auftrag in Bezug auf Voldemort. Es konnte ihn in Teufels Küche bringen, wenn der herausbekam, dass Snape eine Muggel betreuen musste. Als er zum Wasserspeier kam, zischte er das Passwort "Kirschdrops". Der Wasserspeier schwang augenblicklich zur Seite und er rannte die Treppe - zwei Stufen auf einmal nehmend - hinauf. Oben musste er allerdings kurz stehen bleiben, um wieder zu Atem zu kommen. Gerade wollte er die Hand zum Klopfen erheben, als er Stimmen aus dem Büro hörte. Unwillkürlich hielt er in der Bewegung inne.
"Albus, was soll eine Muggel hier? Ich frage dich das schon seit mehreren Wochen. Es will mir nicht in den Kopf, was du dir dabei gedacht hast. Außerdem wäre ich dir dankbar gewesen, wenn du deine Entscheidung mit mir abgesprochen hättest. Ich bin immer noch deine Stellvertreterin. Wir haben doch bisher alle Entscheidungen gemeinsam getroffen." Professor McGonagalls Stimme klang ärgerlich.
"Es ist ein - nun ja - Experiment. Wir sollten die Muggel besser kennen lernen. Glaub' mir, Minerva, in den jetzigen schlimmen Zeiten ist es einfach wichtig, auch ungewöhnliche Wege zu gehen, um einen Vorteil dem Feind gegenüber zu bekommen."
"Wer ist wir? Und was glaubst du, können Muggel uns helfen? Sie sind eine Belastung. Wir schützen sie. Ohne uns sind sie verloren." McGonagall schüttelte den Kopf, was Snape natürlich nicht sehen konnte.
"Meinst du wirklich, wir können irgendwann mal auf ihre Hilfe zählen? Dann bist du einfältiger als ich dachte. Sie verleugnen unser Dasein. Sie begreifen es mit dem beschränkten Fassungsvermögen ihrer kleinen Muggelhirne nicht, dass es uns gibt. Und wenn du vielleicht doch den einen oder anderen findest, der bereit ist an uns zu glauben, ist er so damit beschäftigt diese Erkenntnis zu verarbeiten, dass er für uns nicht zu gebrauchen ist. Sie werden mit Sicherheit nicht ihr Leben für uns riskieren, so wie wir es für sie tun. - Wach' auf, Albus. Wir müssen da alleine durch."
Snape nickte unmerklich. Er musste Professor McGonagall recht geben.
"Das mag sein, Minerva," erwiderte Dumbledore geduldig. "Aber hast du dir schon mal überlegt, was Muggel haben, was wir nicht haben und wie wir diese Dinge einsetzen könnten. Nicht alles von den Muggeln lässt sich mit irgendwelchen Zaubern unbrauchbar machen. Du weißt, was ich meine. Hier sind wir auch auf ihre Hilfe angewiesen und vielleicht ergibt sich ein weiterer Vorteil für unseren Kampf gegen Voldemort, den wir bisher außer Acht gelassen hatten."
"Na, was gibt es so Interessantes? Mach' mal ein bisschen Platz. Ich kann nicht alles hören, was da drinnen gesprochen wird," sagte eine Stimme hinter Snape. Der sprang wie von einer Tarantel gestochen zur Seite und blickte in Remus Lupins lachendes Gesicht.
"Freut mich, dich als ersten hier zu begrüßen, Sev'. Das erspart mir den langen Weg in die Kerker," Lupin hielt ihm freundschaftlich die Hand hin. Snape hatte sich schnell von seinem Schrecken erholt und sah Remus finster an. Die Hand übersah er einfach.
"Schleich' dich nie wieder an mich heran," knurrte er drohend.
Remus lachte noch immer und sagte mit einer Handbewegung auf die Tür: "Wollen wir reingehen oder noch ein bisschen zuhören?" Ohne eine Antwort von Snape abzuwarten klopfte er und trat ein.
"Remus!" rief Dumbledore erfreut und lief ihm mit ausgestreckten Armen entgegen. Auch Professor McGonagall begrüßte den alten Freund herzlich. Nach dem Vorfall mit Snape war Remus für ein paar Tage nach London gereist. Er hatte dort einiges zu erledigen.
"Ich habe noch jemanden mitgebracht," grinste Lupin und trat zur Seite, damit Snape hereinkommen konnte.
Dumbledore sah Snape kurz an und wusste genau, warum er gekommen war. Im Grunde genommen hatte er ihn schon erwartet. Er wusste, dass Snape diese Aufgabe nicht einfach hinnehmen würde.
Severus holte gerade tief Luft, als Dumbledore sagte: "Sparen Sie sich den Atem. Sie werden die Dame betreuen. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Fangen Sie am besten gleich damit an, einen Plan zu machen, was Sie mit ihr alles unternehmen wollen. Ich will diesen Plan dann sehen. Und ich bitte um Vorschläge, die sie auch überleben kann."
Der Zaubertränkemeister atmete die angehaltene Luft geräuschvoll aus, blitzte Dumbledore wütend an und verließ wütend das Büro. Dabei warf er die Tür so fest ins Schloss, dass ein Bild von der Wand fiel und furchtbar schimpfte.
Remus hob das Bild auf und versuchte den aufgebrachten Ritter darin zu beruhigen. Der hatte sich aber gerade in Fahrt geredet und sah überhaupt nicht ein, warum er den Mund halten sollte. Remus stellte ihn daraufhin kopfschüttelnd auf die Anrichte hinter der Tür mit dem Gesicht zur Wand, damit er endlich Ruhe gab.
Er schaute Dumbledore und McGonagall lachend an: "Möchte mir jemand erklären, was das gerade war?", fragte er mit einer Kopfbewegung zur Tür, aus der Severus gerade verschwunden war.
Minerva und Albus blickten sich an. "Du solltest mit der Frage nach dem Werwolfbanntrank noch ein paar Stunden warten, wenn du bei Severus nicht selbst im Kessel enden willst", grinste Dumbledore. "Ich habe ihm eine Sonderaufgabe gegeben. Er darf sich um unseren neuen Lehrer für Muggelkunde kümmern."
Remus grinste ebenfalls. Er kannte die Geschichte bereits, aber ganz offensichtlich wusste McGonagall immer noch nicht, warum eine Muggel nach Hogwarts kam. So stellte er sich dumm, um Dumbledore zu unterstützen und meinte: "Wieso eine Muggel?" Professor McGonagall verabschiedete sich in diesem Moment. Sie hatte keine Lust, die Diskussion noch einmal mit Albus anzufangen.
Als sie weg war, lümmelte sich Remus in den Stuhl vor Dumbledores Schreibtisch und sagte: "Er hat es wohl nicht so gut aufgenommen mit der Betreuung, nicht wahr?"
"Remus, stell' dich bitte nicht blöde. Du hast seine Reaktion gerade gesehen. Hattest Du etwas anderes erwartet?" Remus schüttelte grinsend den Kopf. Nö. Hatte er eigentlich nicht. Dann fuhr Dumbledore fort: "Ich würde mich freuen, wenn du ein Auge auf Cassiopeia Parker haben könntest. Ihr Aufenthalt hier soll kein Alptraum für sie werden. Sie passt zu uns, obwohl sie eine Muggel ist. Du wirst selbst schnell herausfinden, was ich meine."
Lupin nickte. "Jetzt werde ich mal schauen, was von Severus' Büro noch übrig ist. Allerdings habe ich ihm eine Flasche alten schottischen Whiskey mitgebracht. Er wird sich zweimal überlegen, ob er mich wegjagt."
Dumbledore lachte und winkte Remus, der sich auf den Weg in die Kerker machte.
***
"Wie stellt Albus sich das vor?" Severus lief mit schnellen Schritten in seinem Appartement hin und her und warf die Arme in die Luft. Remus ließ ihn toben und schenkte sich in aller Gemütsruhe noch einmal einen Whiskey ein. "Eine Muggel! Und auch noch eine Frau! Ich bin immer heilfroh, wenn ich einen möglichst großen Abstand zwischen Muggel und mich bringen kann!" In diesem Moment sah er kurz so aus, als ob er ernsthaft in Erwägung ziehen würde, sein Bündel zu schnüren und zu gehen.
Dann schaute er Remus an, der an seinem Whiskey nippte, als hätte Severus ihm gerade etwas über das Wetter erzählt.
"Wie geht es dir eigentlich?", wollte Lupin wissen. Diese Frage entbehrte im Moment eigentlich jeder Grundlage, da es Snape offensichtlich hervorragend ging, wenn man bedachte, mit welcher Urgewalt er in seinem Appartement umherwütete. So schaute er Remus auch irritiert an.
"Hast du eigentlich mitbekommen, was ich gesagt habe?", schnauzte er ihn an.
"Severus, du bist nicht zu überhören, glaub' mir. Aber was soll ich dazu sagen? Albus wird seine Gründe haben. Außerdem solltest du erst einmal abwarten. Vielleicht ist sie ja ganz in Ordnung. Oder hübsch. Oder beides", meinte Remus gedehnt mit einem Unterton in der Stimme, der Severus gnadenlos mitteilte, dass er sich über ihn lustig machte. Snape schaute Remus in diesem Moment an, als hätte er nicht übel Lust, ihn einfach ein bisschen mit seinem Zauberstab an die Wand zu klatschen und wieder runterzulassen. Dranklatschen, Runterlassen.
"Ich bin hergekommen, weil ich dich um den Werwolfbanntrank bitten wollte", fuhr Remus fort. Damit schaute er ihm direkt in die Augen. "Würdest du ihn mir wieder brauen?"
Severus beruhigte sich langsam. Das völlig teilnahmslose Gebaren von Lupin machte ihm klar, dass er sich im Moment wie ein Berserker aufführte und nicht wie der nach außen beherrschte, überlegene Professor Snape. Außerdem hatte sich Remus gerade den dritten Whiskey eingeschenkt. Und zwar von dem Whiskey, den er eigentlich ihm mitgebracht hatte. Er unterdrückte jedoch den Impuls, die Flasche vom Tisch zu nehmen. Dann setzte er sich neben Remus an den Tisch und goss sich selbst ein Glas ein.
"Du hast recht. Ich warte einfach ab. Wann brauchst du den Trank?"
"Vollmond ist in vierzehn Tagen." Dann stand Lupin auf und stürzte den letzten Whiskey runter. "Halt die Ohren steif, Sev'. Du machst das schon." Severus wusste nicht so genau, ob er den Trank oder die Muggel meinte.
Als Remus ging, hörte er im Büro von Snape noch etwas gegen die Wand krachen und zersplittern. Er grinste, schüttelte den Kopf und machte sich auf den Weg in sein eigenes Appartement. Noch vierzehn Tage Ferien und die wollte er nutzen zum Ausruhen, Lesen und Faulenzen.
***
Dumbledore kam dann doch noch einmal vor dem verabredeten Termin. Er hatte eine Eule vorausgeschickt, die Cassy sein Kommen ankündigte. Der mittelgroße Vogel saß gestern Mittag auf ihrer Fensterbank und hackte mit dem Schnabel an die Scheibe. Cassy schaute misstrauisch heraus und öffnete vorsichtig das Fenster. Die Eule streckte ihr ein Bein hin und Cassy begriff, dass sie das Pergament losbinden sollte. Dann schloss sie das Fenster. Wieder hackte das Tier an die Scheibe. Cassy öffnete erneut das Fenster. Die Eule schuhuhte ärgerlich, hüpfte in die Küche und sah sie auffordernd an. Jetzt begriff Cassy. "Natürlich bekommst du etwas zu fressen. Weißt du, du bist mein erster Eulenbesuch. Ich muss noch üben. Allerdings kann ich nicht mit toten Mäusen oder etwas Ähnlichem dienen." Sie schüttelte sich bei dem Gedanken und schnitt der Eule ein paar Apfelstücke klein. Sicherheitshalber stellte sie ihr auch auf einem Unterteller etwas Wasser hin. Soweit sie wusste, brauchten Eulen kein Wasser. Aber sie wusste es eben nicht genau und sicher war sicher. Die Eule machte es sich, nachdem sie tatsächlich ein wenig von den Äpfeln gefressen hatte, in der Küche auf der Anrichte gemütlich. Sie schloss ihre großen runden Augen und schlief sofort ein.
Cassy öffnete den Brief mit dem Siegel von Hogwarts und las Dumbledores geschwungene Handschrift. Er kündigte sein Kommen für morgen Mittag gegen zwei Uhr an.
Spät Abends schuhuhte die Eule in der Küche und flog anschließend durch Cassy's Wohnung ins Wohnzimmer. Diesmal war Cassy nicht so begriffsstutzig und öffnete dem Vogel sofort das Fenster.
***
Es klingelte an der Tür. Cassy schaute auf die Uhr. Es war erst halb zwei. Sie öffnete die Tür und sprang vor Schreck ein Stück zurück. "Was machen Sie hier vor der Tür?"
"Kann man es Ihnen eigentlich mal recht machen?", fragte der Schulleiter belustigt.
Cassy lachte und bat ihn herein.
"Mir ist vor ein paar Tagen eingefallen, dass Sie gar nicht alles von den Sachen besorgen können, die ich Ihnen aufgezählt hatte."
Cassy schaute ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. "Das habe ich bereits bemerkt. Wissen Sie eigentlich, dass der Besitzer der Tierhandlung die Polizei holen wollte, als ich hereinkam und nach einer Eule oder einem Waldkauz fragte?"
Sie sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. "Diese Tiere stehen unter Naturschutz und dürfen nicht in Gefangenschaft gehalten werden. Ich musste mit aller Überzeugungskraft auf den Mann einreden, dass ich nicht vorhabe, ihn anzustiften, das Artenschutzabkommen zu verletzen."
"Haben Sie heute Zeit?" fragte Dumbledore und ging außer mit einem breiten Grinsen nicht weiter auf Cassy's Ausführungen ein. Sie nickte. Sie hatte längst gekündigt und ihre Unterlagen für die Schule hatte sie auch weitgehendst fertig.
"Dann werden wir die Winkelgasse besuchen. Da bekommen wir alles, was wir für Sie noch benötigen."
"Winkelgasse?", fragte sie erstaunt. Sie wohnte schon lange hier, aber eine Winkelgasse war ihr nicht bekannt. Andererseits musste sie auch nicht jeden Pfad in London kennen, der gerade groß genug war, dass man ihm noch ein Namensschild zugestand.
Dumbledore lächelte. Er holte wieder den alten Socken aus der Tasche, den Cassy schon einmal gesehen hatte. "Das ist ein Portschlüssel. Damit reisen wir von einem Ort zum anderen, wenn es schnell gehen soll. Sobald Sie fertig sind, fassen Sie ihn an einer Stelle an und die Reise kann beginnen."
Cassy hatte schon wieder diesen Ausdruck im Gesicht, der sagte: 'Na klaaar, wir fassen einen alten Socken an und schon sind wir verreist. Aber sicher.'
Dumbledore grinste immer noch. Er hatte keine andere Reaktion erwartet. In der Zwischenzeit hatte Cassy es sich wohl überlegt und sagte: "Ich ziehe mich nur schnell um. Dann können wir ihren alten Socken testen. Bitte nehmen Sie so lange noch Platz." Dumbledore schüttelte amüsiert den Kopf. Sie war wirklich experimentierfreudig.
Gut gelaunt kam Cassy nach ein paar Minuten aus dem Schlafzimmer und sah Dumbledore mit erwartungsvollem Blick an. "Meinetwegen können wir."
Dumbledore hielt ihr den Socken hin und erklärte ihr, dass sie ihn jetzt berühren müsste, damit es funktioniert. Cassy sah sich den alten, abgetragenen Socken an und machte ein leicht angewidertes Gesicht. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie kurz daran geschnüffelt hätte. "Meinen Sie, den bekomme ich von den Fingern noch mal ab, wenn ich den angefasst habe?" fragte sie Albus mit einem schelmischen Grinsen. Der nickte auffordernd und sie berührte den Socken.
Es war, als würde etwas sie mit titanischer Wucht nach vorne ziehen. Die Welt flog an ihr vorbei, wie in einem Zeitraffer. Bevor sie sich wundern konnte stand sie in einer Seitenstraße in einem Viertel von London, das sie noch nie gesehen hatte. Albus hielt sie fest, denn sie schwankte ein wenig von der ungewohnten Art zu reisen. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Leicht blass sah sie ihn an und fragte: "Das war alles?" Dumbledore nickte. Gott sei Dank, dachte Cassy. Ihr wurde immer schlecht, wenn sie auf einem Karussell saß oder etwas ähnliches machte. Der Schulleiter kramte in seinem Umhang und gab Cassy ein Stück zusammengefalteten Stoff. "Bitte ziehen Sie das an. Damit fallen Sie weniger auf." Cassy faltete den Stoff auf und sah, dass es eine dunkelblaue Robe war, wie Dumbledore sie auch trug. Er lächelte, als Cassy unbeholfen versuchte, sich die Robe überzuziehen. "Warten Sie. Ich helfe Ihnen", sagte er und hielt ihr das Kleidungsstück wie einen Mantel hin. Sie schlüpfte hinein. Dann hatte sie die Robe zugeknöpft und sah an sich herunter. "Gibt's die eigentlich nur in einer Konfektionsgröße?", fragte sie den Schulleiter, weil die Robe ihr weit über die Füße hing und die Ärmel viel zu lang waren. Sie sah aus, als hätte sie versucht, sich ein Zwei-Mann-Zelt um die Schultern zu hängen. Der Schulleiter grinste und sagte: "Ich habe sie von einer Kollegin geliehen, die etwas mehr auf den Rippen hat, als Sie. Ich bitte um Nachsicht." Dann drehte er sich um und ging voraus in eine Kaschemme - anders konnte man diese Kneipe wirklich nicht bezeichnen - die den Namen "Tropfender Kessel" hatte. Cassy versuchte im Kampf mit den Stoffmassen hinter ihm Schritt zu halten. Bei Dumbledore sah das so einfach aus, wie er sich damit bewegte. Seine Robe wehte luftig leicht um ihn herum beim Gehen und bauschte sich auf, als würde sie den Weg für ihren Träger freimachen. Cassy's Robe wehte nicht. Sie hing wie ein Kettenhemd an ihr herunter und war ständig im Weg. Cassy trat mehrere Male auf den Saum und wäre fast gestürzt, wenn Dumbledore sie nicht im letzten Moment aufgefangen hätte. "Sie müssen sie ein wenig anheben beim Gehen." Cassy versuchte das und stellte zum Schluss fest, dass sie die Robe immer irgendwie an den falschen Stellen hochhielt. Sie war einfach viel zu groß. Aber sie würde sich mit dem hinderlichen Kleidungsstück schon arrangieren, dachte sie leicht wütend und hob den Stoff erneut an einer anderen Stelle an, damit sie gehen konnte und jetzt hatte sie den richtigen Punkt gefunden.
***
Es war Cassy's erster direkter Kontakt mit der Magierwelt. Dementsprechend staunend, aufmerksam und schreckhaft folgte sie Dumbledore. In der Kneipe saßen Leute in den unmöglichsten Aufzügen. Aber Cassy fiel auf, dass sie alle Roben oder lange Gewänder trugen. Eine alte Hexe mit verfilzten Haaren, einem unglaublich faltigen Gesicht und langen Fingernägeln stand auf und trat auf Dumbledore zu. "Albus! Wie schön, dich zu sehen." Cassy sah, wie Dumbledore einen Schritt zurückging und eine Hand in seiner Robe verschwand. "Rumee! Dass es dich noch gibt?", gab Dumbledore freundlich zurück und holte die Hand aus dem Umhang. Er gab der Frau ein paar Münzen und sie setzte sich mit einem dankbaren Nicken wieder. "Du warst lange nicht mehr hier!", rief der Wirt. Es war ein dicker, grobschlächtiger Mann mit einer großen, fleischigen, roten Nase. Er hatte keine Haare und keinen Hals. Dumbledore grüßte auch ihn freundlich. Der Wirt winkte einladend, aber Dumbledore gab ihm zu verstehen, dass er heute keine Zeit hätte und vielleicht auf dem Rückweg noch etwas trinken würde. Cassy fiel auf, dass fast alle anwesenden Gäste Dumbledore mit großem Respekt grüßten. Von ihr nahm niemand weiter Notiz und sie war sehr froh darüber. Dann waren sie auf der Rückseite des "Tropfenden Kessels" in einem dunklen, kleinen Hof angekommen und standen vor einer roten, verwitterten und vermoosten Backsteinmauer. Dumbledore zog seinen Zauberstab und Cassy trat instinktiv einen Schritt zurück. Der Schulleiter zählte die Backsteine ab und berührte einen bestimmten mit seinem Zauberstab. Die Steine begannen sich zu bewegen. Sie schoben sich mit einem scharrenden, schleifenden Geräusch ineinander, drehten sich, setzten sich um und gaben nach und nach einen Durchgang frei. Cassy schaute mit offenem Mund dem Schauspiel zu. Dann war der Durchgang frei und Cassy eröffnete sich eine Welt, die sie bisher allenfalls aus dem Fernsehen kannte.
Es herrschte ein reges, buntes Treiben auf der mit Blaubasalt gepflasterten Straße. Menschen gingen lachend und scherzend über die Straßen und schauten sich die Auslagen der Geschäfte an. Manche eilten mit ernsten Mienen vorbei, andere bummelten und hatten es nicht eilig. Manche trugen große Pakete in ihren Händen, andere feilschten mit Straßenhändlern um angebotene Waren. Es war eine lebendige, aufregende Welt, die sie mit Dumbledore durch die Mauer betrat. Langsam trat Cassy in die Winkelgasse ein. Die Mauer schloss sich wieder hinter ihr. Aber das bekam sie schon gar nicht mehr mit. Hätte Dumbledore nicht noch schnell zugegriffen, hätte Cassy's erster Besuch in der Winkelgasse damit geendet, dass ihre Robe in der Mauer steckengeblieben wäre. Mit großen Augen schaute sie dem Treiben zu. Dumbledore musste wieder innerlich lächeln, weil sie aussah wie ein Kind, das zum ersten Mal einen Jahrmarkt sieht. Aber er ließ ihr die Zeit, um sich umzuschauen. Die Häuser waren allesamt irgendwie windschief. Sie hatten keine richtige geometrische Form. Egal, wie man den Kopf legte oder den Blickwinkel änderte, es kam einfach keine Symmetrie, kein Gleichgewicht in der Perspektive zustande. Kein normaler Statiker hätte ein solches Haus sicher machen können, geschweige denn, die Statik für ein solches Haus überhaupt übernommen. Kein normaler Architekt wäre auf die Idee gekommen, diese kleinen Erker an den Hausecken, die schiefen Fenster und das großzügige Fachwerk so anzulegen. Der Großteil der Häuser war in weiß mit dunkelbraun gestrichenem Fachwerk. Aber es gab auch Häuser, die blau angestrichen waren, und das Fachwerk war Orange. Die Farbe der Wand wechselte sich mit dem Fachwerk ständig ineinander übergehend ab. Es war anstrengend, diesem Farbenspiel länger zuzuschauen. Und doch machte alles zusammen einen malerischen, freundlichen Eindruck.
"Können wir weitergehen?", fragte Dumbledore leise. Cassy sah ihn an und nickte. Er hatte seinen Arm unter ihren geschoben und drückte sie sanft weiter.
"Wir werden jetzt zuerst zu Gringott's gehen. Das ist unsere Bank. Sie können hier nicht mit Muggelgeld bezahlen. Wir haben unsere eigene Währung." Damit schob er die staunende und stille Cassy durch die Winkelgasse. Hin und wieder grüßte er jemanden mit einer höflichen Verbeugung. Cassy kam erst wieder so richtig zu sich, als sie vor der Bank standen. "Das Beste ist, wenn Sie mich das machen lassen. Dies ist die bestbewachte Bank der Welt. Sie wird von Kobolden geführt. Schauen Sie mir zu und lernen Sie, wie man mit Kobolden umgeht. Das wird dann gleich ihre erste Lektion sein." Cassy wühlte in den Stoffmassen des Umhanges und suchte ihre Geldbörse. Dann gab sie sie Dumbledore. Der lächelte und sagte: "Lassen Sie ihr Geld stecken. Sie bekommen von mir einen Vorschuss auf ihr erstes Gehalt." In Wirklichkeit hatte er vor, die benötigten Sachen für Cassy aus dem Schulbudget zu zahlen, da sie bereits selbst einige Ausgaben getätigt hatte mit der Erstellung des Unterrichtsmaterials. Sie hatte nie gefragt, wer dafür aufkommen würde und hatte es aus eigener Tasche gezahlt. Das war ihr der Aufenthalt in Hogwarts allemal wert. Dumbledore wusste, dass ihr eher bescheidenes Gehalt für die geforderte Kleidung nicht reichen würde. Sie gingen die ausladende Treppe hinauf und betraten die marmorne Halle der Bank. 'Irgendwie sind Banken alle gleich', dachte Cassy, als sie sich den Prunk der Eingangshalle ansah. Dann kam ein Kobold auf sie zu und bat sie mitzukommen. Gott, was waren das für hässliche, kleine Kreaturen, dachte Cassy und schüttelte sich leicht. Sie hatten spitze Ohren, unbotmäßig lange Finger und kleine gedrungene Körper. Ihre Gesichter sahen steinalt aus. Aber alle waren tadellos gekleidet und strahlten Würde aus.
Dumbledore ging überaus höflich mit den Kobolden um und hatte keine Probleme, seine Wünsche erfüllt zu bekommen. Er zeigte Cassy die Münzen und erklärte ihr die Wertigkeit. Galleonen, Sickel und Knuts. In dieser Reihenfolge waren sie zu bemessen.
Mit dem neuen Geld gingen sie los, um die restlichen Sachen zu kaufen.
***
Als sie die Bank gerade verlassen hatten und noch auf der Treppe standen, riefen drei Jungendliche Albus Dumbledore und winkten. Der winkte freundlich zurück und zog Cassy mit sich zu den dreien. "Unser magisches Trio", witzelte er, während sie sich näherten. "Aber das hören die drei nicht gerne".
"Hallo Professor Dumbledore!", grüßte das junge Mädchen freundlich. Sie hatte dichte braune gelockte Haare und ein paar Sommersprossen auf der Nase.
"Hallo Hermine", gab der Schulleiter zurück und drückte dem Mädchen die Hand. Dann kamen noch zwei Jungs nachgetrottet und grüßten ebenfalls. Dumbledore drehte sich um und winkte Cassy heran, die in einem respektvollen Abstand stehen geblieben war.
"Das ist schön, dass ich euch hier treffe. Hattet ihr schöne Ferien?" Die drei nickten. Einer der Jungs nickte nicht ganz so überzeugt, wie der andere. "Jetzt kann ich euch gleich eure neue Lehrerin für Muggelkunde vorstellen. Miss Cassiopeia Parker." Er trat ein Stück zur Seite. "Miss Parker, das sind Miss Hermine Granger, Mr. Harry Potter und Mr. Ron Weasly. Sie werden sie im Unterricht haben." Cassy gab allen dreien die Hand und versicherte, dass sie sich freute, sie kennen zulernen. Die drei sahen Cassy seltsam an, als würden sie etwas erwarten. Cassy wurde unsicher und fragte deshalb direkt: "Habe ich etwas falsch gemacht?" Die drei schüttelten den Kopf und Hermine meinte freundlich. "Wir sind es nur nicht gewöhnt, dass jemand nicht gleich in Aah- und Ooh-Rufe ausbricht, wenn Harry's Name genannt wird." Jetzt kam Cassy richtig in die Bredouille. Müsste sie Mr. Potter kennen?
An dieser Stelle griff Dumbledore ein und sagte ganz ehrlich: "Miss Parker kennt die Gegebenheiten unserer Welt nicht. Sie ist keine Hexe. Daher kennt sie auch Harry's Geschichte nicht." Die drei sahen Cassy an. Dann echote Hermine enttäuscht: "Keine Hexe?" Cassy musste lachen. "Nein, Mrs. Granger. Sie werden sich mit einer Muggel in Hogwarts auseinandersetzen müssen." Hermine sah sie an und lächelte zurück. "Das kann aber auch ganz lustig werden." Damit verabschiedeten sich die drei und gingen weiter. Im Weggehen hörten Cassy und Dumbledore Ron: "Oh, Mann, das sind ja wieder richtig coole Neuigkeiten. Mal sehen, was die Anderen dazu sagen."
"Wenn Sie ein Gerücht verbreiten wollen, dann erzählen Sie es hier, in der Winkelgasse", kommentierte er das Gehörte lächelnd. "Wo starten wir jetzt unsere Einkäufe?", fragte er Cassy dann. Sie überlegte kurz und meinte: "Lassen Sie uns die Sache mit den Roben hinter uns bringen." Dumbledore nickte und amüsierte sich. Diese Kleidungsstücke würden nicht zu Cassy's Lieblingssachen in der magischen Welt gehören. Dann ging er zielstrebig auf ein Geschäft zu, dass der Bank gegenüber lag. 'Madam Malkins Anzüge für alle Gelegenheiten' stand auf einem Schild über dem Eingang.
***
Als sie eintraten, kam ihnen eine ältere Frau mit freundlichem Lächeln entgegen. "Was kann ich für Sie tun?"
"Ich bitte Sie, die junge Dame hier mit einer Sommer- und einer Wintergarderobe auszustatten. Ich werde mich dort drüben in das Gartencafé setzen und auf sie warten." Die Hexe sah Cassy's Robe an und meinte leise für sich: "Das wird aber auch Zeit." Dumbledore grinste und bevor Cassy noch etwas sagen konnte, war er aus dem Geschäft. In der Tür drehte er sich allerdings noch einmal um und sagte: "Wir brauchen auch einen Festumhang." Mit diesen Worten verschwand er und Cassy war der Verkaufswut der Hexe ausgeliefert. Es gab Roben in allen Farben. Es gab sie mit Streifen, Punkten, Blumen oder Schottenkaro, kurz oder lang, einfach oder verspielt. Als die Hexe Cassy den Umhang mit einem eindeutigen Gesichtsausdruck und zwei spitzen Fingern abgenommen hatte, strahlte sie. "Endlich mal jemand, der auch meine schmalen Roben anziehen kann", sagte sie begeistert.
Dann begann die Tortur für Cassy. Robe an, Robe aus. Lieber Lila? Nein. Passte nicht so gut zu ihren Augen. Ooh. Diese dunkelblaue. Was meinen Sie? Ja. Das passt besonders gut. Vielleicht auch die gelbe? Oh, wie dumm von mir. Natürlich steht Ihnen gelb nicht so gut.
Cassy schwirrte der Kopf von dem ununterbrochenen Geschnatter. Was hatte die Frau gesagt. Sie könne die schmalen Roben anziehen? Cassy konnte keinen Unterschied darin erkennen, ob die Ärmel einer Robe ihr zehn oder zwanzig Zentimeter über die Finger hingen und ob der Saum zwanzig oder fünfzig Zentimeter hinter ihr herschleifte. Die Ärmel waren zu lang und der Saum war im Weg. Nach endlosen zweieinhalb Stunden hatte sie endlich, was sie brauchte. Sommer-, Winter- und Festumhang. Die Winterumhänge für draußen waren dick gefüttert und hatten Kapuzen. Die Sommerumhänge waren leicht und luftig und wehten sogar, wenn Cassy lief. Der Festumhang war ein verschwenderisch mit Falten ausgestattetes Kleidungsstück, das allerdings aus einem sehr fließenden Material gefertigt war, das sich ganz schmal an den Körper anlegte. Dieser Umhang gefiel Cassy am besten. Ihr fehlten nur noch Krone, Zepter und Reichsapfel, dachte sie grimmig. Die Hexe gab ihr die viel zu große Robe zurück. Aber Cassy lehnte dankend ab und zog direkt eine von den neuen Sommerroben an. Sie packte ihre Einkäufe und ging. Dumbledore saß auf der anderen Straßenseite in der Sonne vor einem Tee. Dem Vierten mittlerweile.
Sie ließ sich erschöpft neben ihn fallen und sagte: "Das war die schlimmste Kleiderfolter in meinem Leben. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich einfach jeweils fünf in der gleichen Farbe genommen und wäre in einer halben Stunde fertig gewesen. Das fand die Verkäuferin aber nicht so klasse." Cassy lächelte bei ihrer Übertreibung und dann bestellte sie sich auch einen Tee und ruhte sich erst einmal aus. Cassy ging nicht gerne Kleider einkaufen. Wenn ihr nicht sofort die ersten beiden Sachen passten, ging sie meist wieder nach Hause und versuchte es ein anderes Mal. Die endlose Geduld, wie sie viele ihrer Geschlechtsgenossinnen hatten und sich bis zu fünfunddreißig Mal umzogen, fehlte ihr gänzlich. Dumbledore grinste und meinte: "Der Rest wird jetzt einfacher."
***
Sie besorgten noch die Federkiele, Pergament und ein paar andere Kleinigkeiten. Zwischendurch liefen sie Hermine, Harry und Ron noch einmal über den Weg, die vollgepackt mit Einkäufen aus einer Buchhandlung kamen.
Dann fehlte nur noch die Eule. Der Schulleiter dirigierte sie zu einem besonderen Geschäft. 'Eeylops Eulenkaufhaus'. Der Name sagte schon, womit dieser Laden hauptsächlich sein Geld verdiente. Allerdings gab es hier auch allerlei andere Haustiere zu kaufen. Katzen und Ratten genauso wie Molche, Kröten und Salamander. Sie betraten das Geschäft und Cassy schaute sich wieder mit großen Augen um. Kurz flammte noch einmal die Erinnerung an den Streit im Zoogeschäft auf und sie musste lachen. Wenn der Besitzer das hier gesehen hätte, wäre er wahrscheinlich ohnmächtig geworden.
Als Cassy's Blick noch einmal langsam durch den Laden schweifte, blieb ihr Blick an dieser großen, dunklen Eule hängen. Das blauschwarze Gefieder war von dunkelbraunen bis rehbraunen Flecken durchbrochen, als würden winzig kleine Flammen an dem Eulenkörper entlang züngeln. Sie hatte große gelbe Augen, die von einem rehbraunen, für Eulen so typischen, Federkranz eingefasst waren. Cassy stutzte. Sie sah sich die Eule genauer an. Die Eule musterte sie. Ganz eindeutig! Sie ging näher heran. Aus einem Impuls heraus streckte sie vorsichtig die Hand aus, völlig gefangen von diesem bewussten, aufmerksamen Blick. Die Eule blieb stolz und aufrecht auf ihrer Stange sitzen, während sich Cassy's Hand ihr unendlich langsam näherte, immer darauf bedacht, einer möglichen Schnabelattacke schnell zu entgehen. Aber die Eule dachte überhaupt nicht daran, Cassy zu verletzen. Im Gegenteil. Als Cassy sie vorsichtig und respektvoll streichelte, schuhuhte sie leise und kam ihr auf der Stange ein kleines Stück entgegen.
"Diese Eule ist für Sie perfekt," ölte der Verkäufer. "Sie müssen sie nehmen. Das Tier geht mir ohne Sie hier ein." Verkäufer sind anscheinend überall gleich, dachte Cassy leicht angewidert.
"Wie heißt sie?" fragte Cassy den Verkäufer, ohne den Blick von der Eule zu nehmen.
"Aratos."
"Was meinen Sie?" fragte sie zu Dumbledore gewandt. Eine Eule kaufte man ja nun nicht alle Tage. Jedenfalls bei den Muggeln nicht. Und doch wartete sie Dumbledores Antwort gar nicht erst ab. "Ich möchte Aratos haben," sagte sie. Dabei streichelte sie die Eule ständig weiter.
Dumbledore nickte und lächelte. "Ich glaube, die Eule hat gerade Sie ausgesucht."
"Eine gute Wahl," wieselte der Verkäufer. "Brauchen Sie noch einen Käfig?"
Sie kauften Käfig, Eulenkekse, eine Armmanschette und was man sonst noch so zur Pflege brauchte.
Dann brachte Dumbledore sie zurück nach Hause.
***
Ein wenig mulmig war ihr schon, als sie bei ihrer Mutter vor der Tür stand. Dumbledore hatte es ihr überlassen, was sie ihrer Mutter erzählen würde. Er hätte vollstes Vertrauen zu ihr sagte er, bevor er wieder mit einem Plopp aus ihrer Wohnung verschwunden war.
Dann hatte sie ihre Mutter angerufen und ihr gesagt, dass sie einen neuen Job hätte. Und dass sie weg müsse. Aber alles andere wollte sie ihr lieber persönlich sagen.
Jetzt stand sie vor der Tür ihres Elternhauses und hatte Herzklopfen, wie schon lange nicht mehr.
Ihre Mutter öffnete. "Hallo Schatz, komm' rein. Ich muss gleich wieder in die Küche." Sie küsste Cassy kurz auf die Wange und verschwand um die Ecke. Es roch gut. "Was kochst du, Mume?"
"Spitzkohl-Käse-Suppe!", trällerte ihre Mutter aus der Küche. Cassy hängte ihre Jacke an die Garderobe und ging zu ihrer Mutter in die Küche.
Seit sie zu Hause ausgezogen war, hatte sich das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Mutter ständig gebessert. Ihr Vater war vor zwei Jahren gestorben. Er war Professor für griechische Geschichte und Mythologien. Ihm hatte Cassy auch ihren Namen zu verdanken.
Cassy hatte nie begriffen, warum ihr Vater ausgerechnet diesen Namen gewählt hatte. Ihre Mutter meinte einmal, dass er ihm einfach nur gut gefallen hätte. Es gäbe gar keinen tieferen Sinn. Cassy hatte sich zum Glück entgegen ihrer großen Namensverwandten entwickelt. Sie war nicht eingebildet oder überheblich, eher pragmatisch, zupackend, mitfühlend und treu. Und was die Schönheit anging? Nun. Das musste jeder für sich entscheiden, was er für Schönheit hielt. Den diversen Einladungen vom männlichen Geschlecht nach zu urteilen, konnte sie allerdings nicht ganz hässlich sein. Aber schön? Das war - wie eigentlich alles im Leben - Ansichtssache.
Durch ihren Vater war sie also mit Göttern, Geschichten und Sternbildern aufgewachsen. Das alles hatte sie nie bereut. Ihr Name rief zwar hin und wieder ein Stirnrunzeln hervor, vor allen Dingen, wenn er geschrieben werden sollte, aber da sie sich meist sowieso mit der Kurzform vorstellte, gab es nur in den seltensten Fällen Rückfragen und Erklärungsbedarf.
Nachdem er gestorben war, wurde die Wohnung zu eng für Cassy und ihre Mutter. Nicht im räumlichen Sinne. Sie gingen sich auf die Nerven und irgendwann hatten sie sich Dinge gesagt, die man nicht mehr rückgängig machen konnte und Cassy zog aus. Der Vater fehlte als der ruhende Pol der Familie. Auch in dieser Zeit hatten Ellen und Robert geholfen. Es gelang ihnen in sorgfältiger Kleinarbeit, das Verhältnis wieder zu kitten. Cassy's Familie war für die beiden zu einer Ersatzfamilie geworden, nachdem die eigenen Eltern viel zu weit entfernt wohnten, um sie regelmäßig besuchen zu können. Cassy und ihre Mutter konnten das Gesagte aus der Welt schaffen. Letzten Endes war es für beide gut, dass dieser große Krach passiert war. Ihre Zuneigung zueinander hatte sich vertieft und sie gingen wesentlich aufmerksamer miteinander um. Es war wie die berühmte Suppenschüssel, die zerbricht. Wenn sie gekittet werden kann, trägt man sie hinterher um so vorsichtiger.
Neben Ellen und Robert hatte sie keine anderen Menschen, die sie wirklich als Freunde bezeichnet hätte. Als einzige echte Vertraute hatte sie nur noch ihre Mutter.
Spitzkohl-Käse-Suppe. Cassy liebte diese Suppe. "Ich habe dir schon Tee gekocht. Dort steht er", sagte die Mutter, während sie am Herd herumhantierte.
Cassy setzte sich an den Tisch und sah der kleinen, untersetzten, grauhaarigen Frau mit dem glänzenden, rotwangigen Gesicht eine Weile zu. Sie hatte die gleichen blaugrauen Augen wie ihre Tochter.
"Deck' doch bitte drinnen schon mal den Tisch. Ich bin gleich fertig."
Cassy holte Teller, Löffel, Servietten und eine Kerze. Es sollte ein gemütliches Essen werden.
Dann kam ihre Mutter mit dem Topf und sie begannen mit dem Abendessen. Dabei unterhielten sie sich über allerlei Belangloses. Die Nachbarin nebenan hatte schon wieder ein neues Auto samt neuem Freund. Die Freunde wurden immer jünger und die Autos immer größer. Die Nachbarn gegenüber hatten einen Hund und ließen ihn immer bei Cassy's Mutter vor dem Grundstückstor ihr Geschäft verrichten. Darauf hin hatte ihre Mutter den Haufen in ein Papier gewickelt und ihn gegenüber in den Briefkasten geworfen. Allerdings erst, nachdem sie wiederholt darum gebeten hatte, dass die Exkremente entfernt werden und man ihr sagte, dass sie eine alte Querulantin sei und sich nicht so anstellen solle. Jetzt blieb der Eingang frei aber die Nachbarn grüßten nicht mehr.
Dann war das Essen beendet und ihre Mutter schaute Cassy erwartungsvoll an. "Schieß' los."
Cassy hatte lange überlegt, wie sie es ihrer Mutter sagen sollte. Vor allen Dingen was sie ihrer Mutter sagen sollte. Also begann sie:
"Es ist eine Schule an mich herangetreten. Dort soll ich Kinder unterrichten im Umgang mit alltäglichen Dingen, wie Telefon, Post usw."
"Haben die keine Eltern, die ihnen das beibringen können?", warf ihre Mutter dazwischen.
"Doch schon", Cassy wusste in diesem Moment, dass sie das Gespräch sehr ungeschickt begonnen hatte. Ihre Mutter würde löchern und fragen. Und irgendwann wäre sie in der Situation, dass sie sich verheddern würde. Belügen wollte sie ihre Mutter allerdings auch nicht. Sie wollte nur ein bisschen was auslassen.
Das Einfachste war, ihrer Mutter gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen.
"Mume", begann Cassy. "Es ist keine normale Schule, wie du sie dir vorstellst. Es ist auch für mich schwierig, dir zu erklären, wo ich hingehe. Es handelt sich um ein besonderes Projekt, das von Seiten der Regierung durchgeführt wird." Saublöde Erklärung dachte Cassy.
"Cass", ihre Mutter schaute sie mit leicht nach vorn geneigtem Kopf von unten an, so, wie man es mit kleinen Kindern macht, wenn man genau weiß, dass sie lügen. "Tu' mir einfach den Gefallen und sag' mir was los ist und erzähl' mir nicht so einen Unfug."
Lügen war noch nie Cassy's Stärke gewesen. Sie wurde immer erwischt. "Es fällt mir so schwer, Mume. Ich kann dir nicht alles über die Schule erzählen. Glaube mir. Es ist nichts Illegales, aber ich habe versprochen, dass ich dir nur das Nötigste sage. Bitte vertrau' mir."
Die Mutter nickte. "Ich weiß, dass du nichts Illegales tun würdest."
Cassy seufzte erleichtert. "Ich werde für ein Jahr weg sein. Mindestens. Ich weiß nicht, wo die Schule liegt, aber sie ist hier in England. Du kannst mich auch nicht erreichen." Jetzt kam der zweite Teil. Sie musste ihrer Mutter von Aratos erzählen. Hoffentlich hatte wenigstens ihre Idee funktioniert.
"Wie bekomme ich dann Kontakt zu dir?", fragte die Mutter natürlich prompt.
Cassy stand auf und sagte: "Auf diesem Weg." Sie machte die Balkontür auf. Aratos saß, Gott sei Dank, bereits draußen auf dem Geländer mit dem kleinen Brief an sein Bein gebunden.
"Was ist das?" kreischte Cassy's Mutter und wurde ganz blass. Sie war aufgesprungen.
"Das", sagte Cassy und streichelte den großen Vogel, bevor sie ihm ihren Arm hinhielt, "ist meine Eule." Die Eule setzte sich behutsam auf Cassy's Arm, wobei sie mit ihren riesigen Flügeln versuchte ihr Gleichgewicht auszubalancieren. Sie schuhuhte ein wenig und rieb ihren Kopf an Cassy's Schulter. "Das hast du gut gemacht, Aratos. Du kriegst gleich etwas. Einen Moment noch", flüsterte Cassy der Eule zu und streichelte das weiche Gefieder.
Ihre Mutter stürzte zum Schrank, holte ein mittleres Glas hervor, goss sich erst einmal einen dreifachen Waldhimbeergeist ein und stürzte ihn in einem Zug herunter. Dann drehte sie sich um, besah sich Aratos und schüttete anschließend noch einmal einen Dreifachen hinterher.
"So", meinte sie. "Jetzt geht es mir etwas besser." Cassy hatte allerdings einen anderen Eindruck. Ihre Mutter atmete immer noch sehr schnell und hatte immer noch eine ungesunde Gesichtsfarbe.
"Mume, setz dich bitte." Die Mutter setzte sich und Cassy fuhr fort: "Das ist Aratos. Er ist ganz zahm und versteht, was du sagst." Vorsichtig ging sie mit der großen Eule um den Tisch herum. Aratos schien zu merken, dass er Cassy's Mutter einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte. Er saß ganz still und schuhuhte nicht einmal mehr. Als sie bei ihrer Mutter ankam und in respektvollem Abstand stehen blieb, streckte Aratos sein Bein aus und hielt ihrer Mutter den Brief hin.
"Du musst den Brief abmachen", forderte Cassy ihre Mutter auf. Die Himbeergeist begannen wohl zu wirken, denn ihre Mutter begann mutig, den Brief von Aratos Bein zu lösen. Dabei sah sie die Eule die ganze Zeit misstrauisch an. Zu Hause hatte Cassy lange überlegt, wie sie ihrer Mutter alles beibringen sollte. Dann war für sie die einfachste Lösung gewesen, einen Brief zu schreiben, ihn Aratos ans Bein zu binden - so wie Dumbledore ihr es erklärt hatte - und die Eule loszuschicken. So hatte die Mutter gleich praktischen Anschauungsunterricht.
"Woher hast du die Eule?" Cassy holte gerade Luft, als ihre Mutter die Hände abwehrend hob und sagte: "Ich will es gar nicht wissen." Dann faltete sie das Papier auseinander und las die Zeilen, die Cassy geschrieben hatte, bevor sie hier her kam.
Cassy kam sich langsam immer blöder vor. Ihre Mutter musste spätestens jetzt denken, dass ihr irgendetwas Schweres auf den Kopf gefallen war und ihr das normale Denken herausgehämmert hatte. Eine Schule, von der sie nicht wusste, wo sie lag. Kinder, die nicht wissen, wie man ein Telefon bedient und wenn sie ihrer Tochter Post schicken wollte, dann musste sie diese an einer Eule festbinden.
Ihre Mutter hatte den Brief fertig gelesen und schaute sie etwas ratlos an. "Ich weiß nicht, wie man sich um Eulen kümmert."
"Streck' Deinen Arm aus", forderte sie ihre Mutter leicht lächelnd auf. Sie hatte einen langärmeligen Pullover an. Daher konnte Cassy auf die Eulenmanschette verzichten. Aratos hatte äußerst scharfe Krallen, aber der Pullover war dick genug.
Die Mutter streckte ihren Arm wie geheißen aus, allerdings war ihr Gesichtsausdruck alles andere als entspannt und Aratos begann vorsichtig umzusteigen. Als er auf dem Arm ihrer völlig steif dasitzenden Mutter saß, ging Cassy zur Garderobe und holte einen Eulenkeks aus ihrer Jackentasche, um ihn endlich zu belohnen. Sie fand die kleinen Kekse nicht gleich und es dauerte eine Weile, bis sie ihre Jacke durchforstet hatte, das kleine Loch im Jackenfutter entdeckte und die Kekse irgendwo aus dem Inneren herausgepult hatte.
Zurück im Wohnzimmer bot sich ihr ein unglaubliches Bild: Aratos hatte sich auf den Schoß ihrer Mutter gearbeitet. Dort hatte er sich zusammengekuschelt und schuhuhte leise vor sich hin, während ihre Mutter mit einem leicht glasigen Blick den Vogel zurückhaltend streichelte.
"Oh, Cassy! Er ist so schön!", rief sie ihr schon in der Tür zu. Cassy lachte, schüttelte den Kopf und gab ihrer Mutter den Keks für Aratos, den er vornehm und langsam aus ihrer Hand fraß.
"Ich werde Ende der Woche geholt, Mume. Wir werden uns einen Tag vorher noch sehen, aber ich möchte nicht, dass du dabei bist, wenn ich geholt werde." Cassy dachte daran, in welchem Zustand ihre Mutter wäre, wenn sie mit diesem Portschlüssel verschwand.
Ihre Mutter nickte. Aratos hatte seine Augen geschlossen und döste zufrieden. Dann unterhielten sie sich noch eine Weile. Über die Schule fragte Cassy's Mutter allerdings nichts mehr. Sie musste die Eule und alles andere erst einmal verkraften. Zumindest hatte sich Aratos anscheinend unsterblich in ihre Mutter verliebt, denn so anschmiegsam war er nicht einmal bei Cassy gewesen.
***
Cassy hatte die restliche Zeit noch damit verbracht, zu packen und bei ihrer Mutter ein Gestänge einzurichten, wenn sie Aratos mit Post schicken würde, damit er bleiben und versorgt werden konnte.
Der Abschied verlief ganz unspektakulär, als würde Cassy mal eben für vierzehn Tage in den Urlaub fahren.
Dann kam Dumbledore und holte sie ab. Sie hielt ihm das Agulhas-Foto unter die Nase und bat ihn, ihre Freunde wieder sichtbar zu machen. Dumbledore lehnte das mit der Begründung ab, dass die Gefahr zu groß sei, dass Professor Snape Ellen und Robert wiedererkannte. Dann würde er auch wissen, wie Cassy nach Hogwarts gekommen war. Traurig ließ sie das Foto zu Hause in der Schublade verschwinden.
Wieder kam der alte Socken zum Einsatz.
