Der erste Kontakt ...
Severus ging in seinem Büro auf und ab, als er auf Cassy wartete. Ob er wollte oder nicht. Er würde sich die nächsten Monate mit dieser Muggel auseinandersetzen müssen. Warum wehrte er sich eigentlich so verbissen dagegen? Er rettete permanent Muggel vor Voldemort. Was war sein Problem? Die er rettete, sah er nicht mehr wieder. Die hingen ihm nicht auf der Pelle. Und er hatte das gute Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben.
Dann klopfte es. "Herein", brummte er und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
"Guten Morgen Professor Snape?" begrüßte Cassy ihn fröhlich. Sie hatte ihn beim Frühstück nicht gesehen.
"Setzen Sie sich", sagte er ohne den Gruß zu erwidern.
Cassy nahm auf dem angebotenen Stuhl Platz und sah sich im Büro um. Es sah aus wie jedes normale andere Büro auch. Bis auf die großen Plakate mit verschiedenen Kräutern. Unter den Pflanzen stand jedes Mal der Umgangsname und die lateinische Bezeichnung. Ein solches Plakat gab es auch jeweils mit Tieren, Drachen, die sich bewegten und mit Steinen, die natürlich nicht ganz so agil waren.
"Professor Dumbledore hat Ihnen sicher gesagt, dass ich Ihr Ansprechpartner hier bin, wenn Sie Fragen haben", begann er mit ruhiger, dunkler Stimme und Cassy spürte, wie wenig ihm das gefiel.
Als sie zum ersten Mal seine Stimme hörte, war ein weiterer Mosaik-Stein in ihren Gefühlen gelegt worden. Er hatte nicht nur anziehende Augen. Seine Stimme war aufregend. Dunkel, angenehm, melodisch. Ihr fiel ein Zitat ein, dass sie mal irgendwo über einen charismatischen Schauspieler gelesen hatte und sie formulierte es für sich um. "Wenn Samt eine Stimme hätte, dann wäre es die von Severus Snape." Das traf es ganz genau.
"Haben Sie mir eigentlich zugehört?" fragte diese samtene Stimme gerade leicht gereizt und ungeduldig.
Cassy war es peinlich, aber sie hatte ihm tatsächlich nicht mehr zugehört, sondern nur dem Klang seiner Stimme.
Er wartete die Antwort gar nicht erst ab. An ihrem abwesenden Gesicht hatte er gesehen, dass sie nicht mehr den Worten, sondern nur der Stimme gelauscht hatte. Aber dieses Phänomen kannte er, wenn er mit jemand Neuem sprach. Die Menschen reagierten auf seine dunkle Stimme. Vor allem die weiblichen.
"Ich sagte gerade, dass ich ein paar Dinge ausgearbeitet habe, die Sie kennenlernen sollten, wenn Sie hier sind. Allerdings werde ich mir vorbehalten, Ihnen jeweils Bescheid zu sagen, wann wir uns diese Dinge anschauen. Ich habe nicht viel Zeit. Nebenbei muss mein Unterricht noch laufen. Und der ist aufwendiger vorzubereiten als Muggelkunde." Wobei er das Wort Muggelkunde in einem Ton aussprach, als wäre es das überflüssigste Fach auf der Welt. Nun, in seinen Augen war es das auch.
"Ich freue mich über jede Minute Zeit, die Sie mir opfern. Natürlich bleibt die Zeiteinteilung ganz Ihnen überlassen. Es muss sich alles in Ihren und auch meinen Lehrplan einfügen lassen, ohne uns zu behindern.", gab Cassy freundlich zurück.
"Da machen Sie sich mal keine Illusionen. Sie behindern mich auf jeden Fall." Snape bekam wieder dieses boshafte Funkeln in seine Augen. Er betrachtete sie, aber zu seiner Überraschung blieb sie ganz ruhig und kommentierte seine Unhöflichkeit nicht.
"Gibt es denn die Möglichkeit, dass ich auch einmal in Ihrem Unterricht zusehen kann?", fragte Cassy ihn interessiert.
Snape überlegte einen Augenblick. Dann hatte er eine Idee. "Selbstverständlich können Sie zu meinem Unterricht kommen." Er schaute sie einen Moment mit einem dünnen, hinterhältigen Lächeln an. "Sie können sogar den Trank probieren, den wir brauen. Dann haben Sie gleich ein Gefühl dafür, dass unsere Magie auch funktioniert." Während er darüber nachdachte, gefiel ihm die Idee immer besser. Er musste sich nur noch etwas ausdenken, das diese Muggel nicht verletzen, aber blamieren würde.
'Autsch', dachte Cassy, als sie es in seinem Gesicht arbeiten sah. 'War mein Mund mal wieder schneller als mein Gehirn.' Das konnte nicht gut gehen. Das war ihr klar, als sie die spontane Reaktion über sein Gesicht hatte flackern sehen.
Snape stand relativ gut gelaunt auf und kam um den Schreibtisch herum. Die Aussicht, sie in Zaubertränke ein wenig bloßzustellen, gefiel ihm außerordentlich gut. Vielleicht war er diesen Betreuungsauftrag schneller wieder los, als er dachte.
"Treffen Sie sich mit mir in einer Stunde vor der großen Halle. Ich werde Ihnen das Schloss zeigen." Kurz trafen sich ihre Blicke. Cassy hielt ihm zur Verabschiedung die Hand hin, die er aber wieder übersah. Dann ging sie die Treppen hoch in ihr Appartement.
Das heißt, sie wollte hoch gehen. Aber als sie ihren Fuß auf die dritte Treppenstufe gesetzt hatte, sank er sofort ein. Immer tiefer. Sie konnte ziehen und zerren, wie sie wollte. Der Fuß steckte fest. Jetzt stand sie schon bis zur Wade in der Treppe. Panik überkam sie. Sie musste wohl in den sauren Apfel beißen und Snape um Hilfe bitten. Er war der Einzige, der hier unten greifbar war.
"Professor Snape, können Sie mir bitte helfen!?", rief sie mit leicht verzweifeltem Unterton.
Snape kam nach dem zweiten Rufen aus seinem Büro. Als er sie in der Treppe feststecken sah, verschränkte er die Arme vor der Brust und sah sie zynisch lächelnd an. "Hat man Ihnen nichts von den Trickstufen hier gesagt?" Doch. Hatte man. Aber Frau, nämlich Cassy, hatte nicht zugehört. Sie hätte sich im Moment ohrfeigen können. Aber sie hätte auch Snape ohrfeigen können, der schadenfroh vor der Treppe stand und ihr genüsslich grinsend dabei zusah, wie sie immer tiefer einsank.
"Helfen Sie mir jetzt oder nicht?", fragte sie ihn mit hoher, ängstlicher Stimme. Sie stand jetzt schon bis über das Knie in der Treppe.
Er überlegte einen Moment und meinte dann: "Nein, eigentlich nicht." Damit drehte er sich um und wollte sich auf den Weg in sein Büro machen. Cassy starrte ihm fassungslos hinterher und brüllte dann mit entrüsteter Stimme: "Professor Snape!" Er seufzte tief und vernehmbar auf, drehte sich wieder um, zog seinen Zauberstab und murmelte etwas. Ein dünner, roter Strahl traf auf die Treppenstufe und sie ließ Cassy's Bein sofort frei. Beinahe wäre Cassy noch gefallen, weil das alles so schnell ging.
Snape grinste immer noch und meinte: "Denken Sie dran. In einer Stunde. Ach, äh, und die helleren sind die Trickstufen." Damit ging er pfeifend in sein Büro zurück. Der Tag hatte richtig gut begonnen.
***
Cassy war sauer, als sie in ihr Appartement zurückging. Vor allen Dingen auf sich selbst. Erster Besuch bei Snape und gleich blamiert bis auf die Knochen. Trickstufen. Das würde ein tolles Jahr werden. In ihrer Wut trat sie auf ihren langen Umhang und wäre um ein Haar noch gestürzt. So stolperte sie unbeholfen ein paar Schritte den Flur entlang, bis sie ihr Gleichgewicht wieder hatte. Und diese verdammten Umhänge waren hinderlich und viel zu lang. An irgend etwas wollte sie jetzt ihren Zorn auslassen und da kamen die Roben ihr gerade recht. Was hatte gestern in dem Pergament gestanden? Roben sind nur während der Schulzeit zwingend vorgeschrieben. Warum quälte sie sich also mit diesen unförmigen, langen Kleidungsstücken herum? Weil sie Eindruck machen wollte. Sie wollte sich anpassen. Für die Lehrkräfte hier war die Robe so selbstverständlich wie für ihre Mutter die Küchenschürze.
Wenn sie also nachher mit Snape den Schlossrundgang machte, würde sie das ohne Robe tun. Basta. Es würde noch fehlen, dass sie hinter ihm herlief und herumstolperte.
Sie zog die Robe aus und suchte sich ein schlichtes, dunkelblaues Baumwollkleid aus. Es hatte lange Ärmel, war aber dünn. Die Sonnenwärme schaffte es nicht, die mächtigen Steinmauern des Schlosses zu durchdringen und so war es immer kühl. Sie ging ins Bad, schaute noch einmal in den Spiegel und setzte sich dann in einen der riesigen Sessel. Es war noch etwas Zeit, bis zu ihrem Rundgang. Sie nahm die Pergamentrollen und las die Regeln weiter. Langsam beruhigte sie sich.
***
Professor Snape war in sein Büro zurückgegangen und sortierte - noch immer grinsend - auf seinem Schreibtisch die Rezepte, die er für das kommende Schuljahr herausgesucht hatte. Da war doch bestimmt irgend etwas dabei, wozu er diese Muggel einladen konnte. Irgend etwas Kleines, Gemeines.
Unsichtbarkeit. Nein. Zu gefährlich. Konnte schief gehen. Mut. Nein. Konnte sich am Ende noch gegen ihn selbst richten. Schrumpfen. Nein. Hatte unkontrollierbare Nebenwirkungen. Ganzkörper-Haarwuchs. Nein. Gab garantiert Ärger mit Dumbledore.
Dann fand er ihn. Das war er. Er nahm seine Feder und malte ein großes M für Muggel in die rechte obere Ecke des Pergamentes und sortierte die Blätter wieder zusammen. Er schaute auf die Uhr. Es wurde Zeit zum Schlossrundgang. Mit einem zufriedenen Lächeln machte er sich auf den Weg zur großen Halle. Sie hatte es ja so gewollt.
***
Cassy legte ihr Pergament weg und ging ebenfalls los. Sie erkannte Professor Snape erst, als sie fast vor ihm stand. Er trug auch keine Robe. Lässig lehnte er mit der Schulter an einer Säule und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Als sie kam, stieß er sich von der Säule ab und ging ihr entgegen. Er trug eine schwarze enge Hose und ein flaschengrünes, hochgeschlossenes Hemd mit Stehkragen. Seine große, schlanke Gestalt kam in diesem Aufzug richtig zur Geltung. Cassy hatte sich allerdings auf dem Weg hierher fest vorgenommen, sich nicht ständig von der Ausstrahlung dieses Mannes ablenken zu lassen und versuchte diese Eindrücke zu ignorieren. Genauso gut hätte sie versuchen können, Wasser in der hohlen Hand ohne Verlust von einer Stelle zur nächsten zu tragen.
Er hatte sie schon von weitem kommen sehen. Er amüsierte sich innerlich noch immer wegen der Trickstufe. Sie hatte keine Robe mehr an und das dunkelblaue Kleid, das sie jetzt trug stand ihr gut. Es war sehr schlicht und betonte ihre Figur. Aber eigentlich war das uninteressant.
"Hier geht's lang", sagte er relativ freundlich mit einer Handbewegung. Sie betrachtete seinen Rücken, während er ihr vorausging. Er hatte schmale Hüften und breite Schultern. Aber nicht zu breit, sondern es passte einfach insgesamt von den Proportionen zu seiner schlanken, großen Gestalt. "Verdammt", sagte Cassy leise zu sich, als sie merkte, dass sie ihn schon wieder musterte. Er drehte sich herum.
"Alles in Ordnung oder stecken Sie schon wieder irgendwo fest?" Er wartete gar keine Antwort ab. Als er sah, dass sie noch heil war, drehte er sich um und ging weiter.
Im Schnellverfahren, so, wie man es von Pauschalreisen kennt, zeigte er ihr die Bibliothek, die Gemeinschaftsräume und die Krankenstation. Das ist Miss," er hatte eine unbändige Freude daran, so zu tun, als könnte er sich ihren Namen einfach nicht behalten. "äh, Parker", stellte er sie Madam Pomfrey in der Krankenstation vor.
Die ältere Dame schüttelte ihr freundlich die Hand. "Dobby kennt den Weg zu mir. Wenn Sie etwas brauchen, schicken Sie ihn." Die Krankenstation war groß und hell. In den hohen Räumen des Schlosses wirkten selbst die tadellos weißen Betten nicht so steril, wie in den Krankenhäusern, die sie kannte. Überall waren Bilder aufgehängt. An den Fenstern standen Blumen und Pflanzen. Das Sonnenlicht fiel in hellen Strahlen in das große Zimmer und sie konnte die feinen Staubfäden sehen, die in diesen Strahlen tanzten. Es war ein sehr freundlicher Raum.
Cassy bedankte sich bei Madam Pomfrey und sie gingen wieder.
"Aah, Professor Binns", sagte Snape gerade vor ihr. Sie hatte niemanden im Gang gesehen. Mit wem sprach Snape? Neugierig stellte sie sich neben ihn und erschrak. Vor ihr schwebte ein Geist. Ein leibhaftiger lebendiger toter Geist. Sie schaute ihn mit offenem Mund an. "Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Miss Parker", sagte Binns mit langweiliger Stimme. Cassy nickte und Snape grinste innerlich. Heute morgen lief wirklich alles gut, dachte Snape. Vielleicht war diese Aufgabe doch nicht so schlecht. Sie wusste nicht, wie sie Professor Binns höflich begrüßen sollte und schaute Snape kurz an. Aber da war sie in Punkto Höflichkeit wohl nicht an der richtigen Stelle. "Freut mich", brachte sie mühsam hervor.
"Ich unterrichte Zaubergeschichte. Die Trollaufstände sind mein Fachgebiet." Trollaufstände? Ein Geist, der unterrichtete. Der Morgen heute lief wirklich nicht gut, dachte Cassy. Sie nickte Binns wieder zu und war froh, dass Snape sich wieder in Bewegung setzte. "Er unterrichtet wirklich Zaubergeschichte?", fragte sie ihn, während sie versuchte mit ihm Schritt zu halten.
"Warum denn nicht?" fragte er gereizt zurück. "Aber er ist ein Geist!", rief Cassy.
"Das hat entscheidende Vorteile", antwortete Snape ihr zynisch. "Die Stelle wird nicht mehr durch Tod frei, weil er schon tot ist und außerdem ist seine Ausfallrate durch Krankheit gleich null. Einen besseren Lehrer kann man sich doch gar nicht vorstellen, oder?"
"Kann ... kann er eigentlich in jedes Zimmer?", bohrte sie schüchtern weiter. Snape blieb stehen. "Ja. Er kann. Er kann durch Mauern gehen und vieles, was Sie so in Ihren Muggelbüchern über Geister gelesen haben, obwohl im Allgemeinen wirklich eine Menge Unsinn darin steht." Dann ging er weiter. "Aber ich kann Sie beruhigen. Professor Binns weiß, was sich gehört und er kommt nicht uneingeladen zu irgend jemandem ins Appartement." Na, Gott sei Dank, dachte Cassy. Allein der Gedanke, dass sie nachts aufwachen und so ein sprechender Nebel über ihrem Bett hängen würde, verursachte ihr ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend.
"Dort hinten geht es zum Astronomieturm." Er deutete mit einer Handbewegung an das Endes des Flures, hatte jedoch nicht vor, ihr den Turm zu zeigen. Jedenfalls heute nicht und wenn es sich einrichten ließe, würde er ihn ihr nie zeigen. Dann ging er die Treppe wieder hinunter. Es war Zeit zum Mittagessen.
"Das wars. Ich schicke Ihnen ein Pergament, wenn wir uns wieder treffen." Er drehte sich einfach um und ging weiter in die große Halle zum Essen. Cassy lief hinter ihm her und musste sich zusammennehmen, dass sie ihm keine Grimasse zog.
In der großen Halle angekommen, sah sie Remus Lupin. Er winkte ihr zu und sie setzte sich neben ihn. Snape saß gegenüber.
"Wie war Ihr Rundgang?" Cassy schaute kurz über den Tisch, aber Snape rührte sich nicht, sondern aß konzentriert sein Mittagessen. Sie wusste, dass er zuhörte. Cassy schilderte Remus mit kurzen Sätzen, wo sie waren und ließ auch Professor Binns nicht aus. Lupin lächelte, als Cassy ihm ihren ersten Schrecken schilderte.
"Was halten Sie davon, wenn Sie nach dem Mittagessen ein wenig mit mir spazieren gehen?" Cassy freute sich. Warum nicht? Sie mochte Lupin. "Severus, du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich dir die Tour über das Hogwartsgelände abnehme", fragte Remus über den Tisch mit einem Unterton in der Stimme, den Cassy nicht gleich deuten konnte. Severus hob langsam den Kopf und sah Remus mit einem giftigen Gesichtsausdruck an. "Nein", sagte er mühsam beherrscht, "ich finde schon noch andere Ausflugsziele für Miss Parker." Dann aß er weiter. Remus neben ihr lachte vor sich hin. Cassy war klar, dass das gerade ein Running Gag war zwischen Snape und Lupin und dass Snape dabei nicht auf seine Kosten gekommen war.
***
Der Nachmittag mit Lupin war schön gewesen. Er hatte ihr so viel gezeigt, dass Cassy sich fragte, was sie sich den Rest vom Jahr anschauen sollte.
Zurück in ihrem Appartement, fand sie eine Notiz von Snape.
Hole Sie morgen, eine Stunde nach dem Abendessen an Ihrem Appartement ab. S. Snape.
Cassy faltete die Nachricht sorgfältig zusammen und steckte sie zu der anderen, die sie aufbewahrt hatte. Dann ging sie ins Bett und durch die ungewohnt viele Lauferei schlief sie wieder sofort ein.
***
Snape war am Vormittag in Hogsmeade gewesen und hatte gerade damit begonnen, seine neuen Vorräte in die Schränke zu sortieren, als dieser bekannte heftige Schmerz in seinem rechten Unterarm brannte. Er schob den Ärmel zurück und sah mit einem Hass erfüllten Blick das dunkle Mal an, das intensiv leuchtete. Voldemort rief ihn. Er wollte wohl wissen, ob er noch lebte. Der Zaubertränkemeister holte seine Robe und beeilte sich, vor die Tore von Hogwarts zu kommen. Voldemort duldete kein Verspäten. Man konnte ein solches Versäumnis bei ihm mit dem Leben bezahlen. Er hasst diese Kreatur aus tiefstem Herzen. Es blieb ihm allerdings diesmal keine Zeit mehr, Dumbledore Bescheid zu sagen.
Er apparierte auf einer Lichtung. Es musste wohl im Verbotenen Wald sein. Das Dunkle Mal holte die Todesser immer zu Voldemort. Sie wussten nie, wo sie ankamen.
Es waren noch fünf andere Todesser da. Malfoy, Crabbe, Goyle, Letrange und einer, dessen Name sich Snape einfach nicht merken konnte. Er hieß William mit Vornamen. Und natürlich der Meister persönlich.
"Hallo Severus", begann Voldemort ohne Umschweife und mit einem Vorsicht gebietenden Unterton in der Stimme. "Hast du dich wieder erholt?"
Severus trat vor ihn und nickte. "Ja, mein Lord."
"Ich wüsste gerne, wie du überlebt hast? Laut William warst du auf das Schwerste verletzt. Aber du bist nicht in Askaban und lebst."
Severus begann zu schwitzen. Er hatte sich ein ums andere Mal eine neue Geschichte zurecht gelegt, aber sie war immer unlogisch gewesen. Voldemort wusste durch Malfoy, dass Severus niemals in der geschlossenen Krankenabteilung des Übergangsgefängnisses im Ministerium angekommen war. Wo wurde er also gesund gepflegt.
"Ich warte nicht gerne, Severus." Voldemort lief ein wenig hin und her und beschloss dann, Snape mit einem Fluch auf die Sprünge zu helfen. Als der Blitz ihn traf, flog er rückwärts gegen einen Baum und hörte, wie zwei Rippen brachen. Dann fiel er auf die Knie. Er musste Zeit gewinnen. Die Schmerzen waren noch erträglich. Dann fiel ihm die Lösung ein. Sie war so einfach und doch so logisch.
Severus keuchte. "Die Auroren dachten, ich wäre tot. Also ließen sie mich für die Säuberungsabteilung einfach liegen. Als ich erwachte und mich einigermaßen erholt hatte, desapparierte ich vor die Tore Hogwarts und wurde von Professor McGonagall gefunden. Ich erzählte ihr, man hätte mich überfallen. Sie hinterfragte meine Geschichte nicht und sorgte dafür, dass ich sofort auf die Krankenstation kam."
"Ich frage mich, ob ich diesen Fluch nicht einfach noch einmal an dir ausprobieren soll, um zu sehen, ob man sich wirklich davon so erholen kann, dass man in der Lage ist zu desapparieren." Dabei wedelte er gefährlich mit dem Zauberstab. 'Bitte nur das nicht', dachte Snape entsetzt, aber er hatte seinen Gesichtsausdruck im Griff und sah Voldemort fest in die roten, widerlichen Augen. "Leider konnte mir niemand sagen, welcher Fluch dich getroffen hat." Voldemort begann zu lachen, das heißt, er zischelte vor sich hin und sein lippenloser Mund teilte das hässliche Gesicht noch ein bisschen mehr. Dann senkte er den Stab.
Severus traute dieser Ruhe nicht. Es musste noch etwas kommen. Diese Kreatur hatte Freude an Qual, Verzweiflung, Blut und Mord. Er würde nicht einfach Ruhe geben. Er wusste, dass Voldemort sich noch ein wenig amüsieren wollte. Hoffentlich diesmal nicht auf seine Kosten.
"Malfoy hat mir berichtet, wie grausam du die Muggel erledigt hast. Es hat mir gefallen." Snape schaute Malfoy mit einem Blick an, der diesen einen winzigen Schritt zurücktreten ließ. In diesem Moment hätte er Voldemort gerne gesagt, dass dieses feige Stück Dreck abgehauen ist als die Auroren die Tür herein kamen. Dass er alle im Stich gelassen hatte. Aber er wusste, dass Malfoy dann verraten würde, dass er das Muggelpärchen schützen wollte. So gab er Voldemort keine Antwort.
"Dennoch ist die Aktion ein Fehlschlag gewesen. Ihr habt das falsche Ehepaar umgebracht. Es war deine Aufgabe, Letrange, die richtigen Informationen zu recherchieren. Du hast versagt. Und du weißt, was ich von Versagern halte." In Voldemorts Gesicht spiegelte sich sadistische Freude, als er den Cruciatus-Fluch auf Letrange abschoss.
"Aber du, Nummer 2, hättest die Aufgabe gehabt, sicherzustellen, dass es keinen Fehlschlag gibt." Unvermittelt hatte er angefangen leiser zu sprechen. Wenn andere Menschen in ihrer Wut begannen zu schreien, war dies bei Voldemort umgedreht. Je wütender er wurde, desto leiser sprach er. Und desto gefährlicher wurde er. Severus wusste, was jetzt kam.
"Man muss sich auf seine Brüder verlassen können", versuchte er lahm dem Unvermeidlichen aus dem Weg zu gehen. Aber er wollte auch nicht als Feigling dastehen, sonst hätte er noch mehr gesagt.
"Genau", flüsterte Voldemort und sah ihn mit glänzenden Augen an. Als der Cruciatus-Fluch ihn traf, hörte er Malfoy und die anderen gehässig auflachen. In seinem Körper tobten Schmerzen, die schlimmer nicht sein konnten. Es war, als hätte man ihn in heiße Lava gestoßen und er löste sich jetzt langsam auf. Jeder Zentimeter an seinem Körper schmerzte höllisch. Er sank in die Knie und lag schließlich auf dem Waldboden. Ein metallischer Geschmack in seinem Mund zeigte ihm, dass er innerlich blutete. Röchelnd öffnete er den Mund, weil das Blut ihm Schwierigkeiten beim Atmen machte. Voldemort sah das Blut aus Severus Mund kommen und nahm den Fluch zurück. Er brauchte diesen intelligenten Mann noch. Keiner brachte mehr Scharfsinn und logischen Verstand mit als Snape. Er war wichtig für Voldemort. Der Rest war ersetzbar. Letrange schrie immer noch.
"Ich will keine Fehlschläge mehr, hast du verstanden?" Severus lag auf dem Boden, hustete Mengen von Blut und hatte die Augen geschlossen. Er nickte nur einmal ganz kurz. Vielleicht würde er Voldemort bald gar nicht mehr dienen können. Aber Severus hatte diese grausame, gefühllose Kreatur unterschätzt. Voldemort wusste immer genau, wie viel er einem menschlichen Körper zumuten konnte.
Dann hörte Snape ein paar leise Plopp und wusste, dass die anderen einschließlich Letrange weg waren. Den mussten sie mitgenommen haben, denn aus eigener Kraft hätte er nicht mehr desapparieren können. Mit diesem Gedanken wurde er ohnmächtig.
Niemand hatte die schwarze Eule bemerkt, die in großer Höhe endlos ihre Kreise zog und mit scharfen Augen die Szenerie beobachtete, die sich ihr bot. Als alle weg waren und nur noch der eine Mann zusammengekrümmt auf dem Boden lag, hatte sie sich auf den Weg gemacht, um Hagrid zu holen.
***
Er wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte, als er eine bekannte Stimme hörte.
"Oh, Mann, Professor. Was is'n passiert?" Dann hoben ihn zwei mächtige Hände behutsam auf und trugen ihn ins Schloss. Hagrid kannte das Schloss wie seine Westentasche. Er kannte die geheimen Gänge, die schnell zu Madam Pomfrey führten. So konnte er Snape ohne großen Zeitverlust in den Krankenflügel transportieren und ging sofort zu Dumbledore, um ihn zu unterrichten und ihm von dem seltsamen Verhalten einer schwarzen Eule zu erzählen.
***
Er kam wieder zu sich, als Madam Pomfrey in sein blasses, blutverschmiertes Gesicht sah und leise meinte: "Bekommen Sie nie genug?" Severus schüttelte fast unmerklich den Kopf und Poppy lächelte mitfühlend. "Habe ich mir schon gedacht. Ich muss Sie ausziehen. Es wird sehr weh tun." Er nickte. Dann begann Poppy vorsichtig das Hemd aufzuschneiden und sah sofort die gebrochenen Rippen. Die wären kein Problem, aber sie wusste noch nicht, warum Severus aus dem Mund blutete. Sie holte aus ihrem Büro ein leuchtend goldenes Tuch, so groß wie ein Kopftuch. Es sah aus als wäre es aus Organza, sehr dünn, durchsichtig und filigran.
Sie faltete es andächtig und behutsam auseinander und legte es auf auf Severus' nackten, geschundenen Oberkörper. Als sie den Stoff ausgebreitet hatte, begann dieser sofort ein Eigenleben anzunehmen. Er schmiegte sich eng Snape's Körper, glitt unter seine Arme und legte sich um ihn herum, wie eine zweite Haut. Es war, als wüsste das Tuch ganz genau, wo es hin musste. Langsam ging das leuchtende Gold in ein tiefes Dunkelblau über. Eine wundervolle Wärme begann sich in seinem Körper auszubreiten, bis in die Zehenspitzen. Von einem Moment zum nächsten fühlte er sich völlig entspannt und geborgen. Er hatte keine Schmerzen mehr. Dann erschienen auf dem dunkelblauen Stoff hellblaue Flecken, und zwar in der Anordnung, wie seine Organe lagen.
Madam Pomfrey schaute sehr konzentriert auf die Flecken und tippte mit ihrem Zauberstab behutsam einen nach dem anderen an. Wenn der Zauberstab den Fleck berührte, bekam dieser für wenige Sekunden eine andere Farbe. Meist ein angenehmes Grün. Mit jedem Fleck, der grün aufleuchtete, hellte sich Madam Pomfreys Miene etwas mehr auf. Dann kam sie an den Fleck, wo die Milz sitzen musste. Dieser wurde schlagartig dunkelrot. Poppy runzelte die Stirn. Das gefiel ihr gar nicht. Die Intensität der Farbe zeigte ihr die Schwere der Verletzung. Und die Milz hatte offensichtlich richtig etwas abbekommen. Nachdem der Rest der Organe sich als in Ordnung herausgestellt hatte, beendete sie die Untersuchung.
"Heute Nacht müssen nicht nur Knochen zusammenwachsen, Severus. Ihre Milz hat einen tiefen Riss. Sie wissen, was das bedeutet?"
Er nickte. Das bedeutete eine Nacht voller unerträglicher Schmerzen. Wenn Organe zusammenwachsen mussten, konnte nicht mit Beruhigungs- oder Schmerz stillenden Tränken gearbeitet werden, da diese die Heilung verzögern oder sogar hemmen konnten. Sie hielt eine Hand über das Tuch und murmelte etwas. Daraufhin löste sich das Tuch wieder von Snapes Oberkörper und nahm seine ursprüngliche leuchtend goldene Farbe an. Augenblicklich stürzten auch die Schmerzen wieder auf ihn ein und der Zaubertränkemeister verzog gequält das Gesicht. Poppy nahm das Tuch, legte es sorgfältig zusammen und brachte es wieder in ihr Büro
"Was war das?"
"Das ist eines der Heilertücher von Eternia. Meine Urururgroßmutter hatte es schon. Es verliert niemals seine Kraft, so lange man es zum Wohle der Menschen einsetzt. Es gibt sie nur noch sehr selten. In unserer Familie wird das Tuch von einem Heiler zum nächsten weitergegeben."
Poppy hatte nie erzählt, dass sie in Eternia ausgebildet worden ist. An diesen Ort kamen nur Magier mit besonders ausgeprägten, heilenden Fähigkeiten. Der eternianische Orden war so alt wie die Menschheit. Und einen Heiler mit einer Ausbildung von dort zu bekommen, war nahezu unmöglich, da jedes Jahr nur fünfzehn aufgenommen wurden, wenn man überhaupt so viele Fähige fand. Die sechsjährige Ausbildung war hart und voller Entbehrungen. Am Ende waren meist maximal fünf Heiler übrig, die die Prüfungen bestanden. Nach der Prüfung wurden sie für die nächsten zwanzig Jahre aus dem Orden ausgeschlossen, um Erfahrung zu sammeln. Wer dann, nach diesen zwanzig Jahren eine erneute, sehr schwere Abschlussprüfung ablegte, konnte als Ausbilder wieder in den Orden eintreten. Für viele Heiler war es die einzige Lebensaufgabe, wieder in den Orden zurückzukehren. Bis heute wusste niemand genau, wo Eternia lag. Es war eine stillschweigende Übereinkunft unter den Heilern - auch unter denen, die es nicht geschafft hatten - dieses Geheimnis zu wahren. Eternia suchte sich seinen Nachwuchs selbst aus. Und wenn Poppy schon in fünfter Generation dort ausgebildet worden war, musste die gesamte Familie mächtige Fähigkeiten haben.
"Wie sind Sie nach Hogwarts gekommen?" fragte er, um von seinen Schmerzen abgelenkt zu werden.
"Dumbledore kennt Eternia. Er war schon viele Male dort, weil er mit den Hohepriestern gut befreundet ist. Schon als junge Novizin habe ich ihn kennen gelernt. Da war er noch für das Ministerium im Kampf gegen Voldemort tätig." Während ihrer Ausführungen begann sie Severus gebrochene Rippen zu behandeln. Er hielt die Augen geschlossen. Die Schmerzen seiner gesamten Verletzungen waren unerträglich. Aber außer einem heftigen Stöhnen ab und zu kam kein Laut über seine Lippen.
"Wir haben uns oft unterhalten. Er war immer sehr mitgenommen, wenn wieder viele Menschen durch Voldemort ums Leben gekommen waren. Irgendwann hatte man ihm den Posten in Hogwarts angeboten und er nahm an, weil er das unorganisierte Ministerium einfach nicht mehr ertragen konnte. Er hatte damals schon geahnt, dass es dunkle Zeiten geben würde. Dass sie nach dem Tod von Lilly und James Potter allerdings nur aufgeschoben waren, damit hatte wohl niemand gerechnet. Auch er nicht." Sie versuchte Snape vorsichtig auf die Seite zu drehen, um ein Tuch, das mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit getränkt war, unter seinen Rücken zu legen. Sie bereitete die Heilung der Milz vor. Er atmete scharf durch die Nase ein. Vorsichtig legte sie ihn wieder auf den Rücken.
"Er kam in meinem letzten Jahr in Eternia zu mir und bot mir die Stelle hier an. Ich hielt eine Schule eigentlich erst für ziemlich langweilig. Aufgeschürfte Knie, Knochenbrüche, vielleicht mal ein Blinddarm. Ich sagte ihm jedoch zu, weil er mich so inständig bat. Die Möglichkeit, woanders hinzugehen, hatte ich ja jederzeit. Aber die Vergangenheit hat mich gelehrt, dass meine Befürchtungen unbegründet waren. Langweilig war es hier noch nie", schloss sie lächelnd, während sie auf Snapes Oberkörper im Bereich der Milz zwei Ketten zu einem Pentakel anordnete. Gleich war sie mit den Vorbereitungen fertig. Jetzt kam das Schlimmste für Snape. Hochkonzentriert beschwor sie die beiden Ketten. Die Ketten begannen, sich an Snape zu heften, als würden sie versuchen, sich mit ihm zu verschmelzen. Sie wurden steif und bildeten das Pentakel zu einer echten geometrischen Figur aus. An den Pentakelecken begannen die Ketten zu glühen. Ein hellblauer Energiestrahl bildete sich an jeder Ecke und die einzelnen Strahlen vereinten sich ungefähr fünf Zentimeter über dem Pentakel genau in der Mitte zu einem einzigen, gleißenden weißen Strahl, der direkt zurück auf die Stelle geworfen wurde, wo die Milz saß. Als dieser Mittelstrahl auf Snapes Haut traf, krallte er vor Schmerz die Hände in die Laken und bog den Kopf zurück und schrie. Er hatte das Gefühl, man würde ihn immer wieder an der gleichen Stelle mit einem langen, stumpfen, glühenden Degen durchbohren. Madam Pomfrey konnte sich nur andeutungsweise vorstellen, welche Schmerzwellen jetzt durch seinen Körper rasten. Sie hielt ihn mit aller Kraft fest, als er sich aufbäumte. Sie trocknete seine Stirn vom Schweiß und kühlte sie zwischendurch. Ab und zu liefen dünne Blutfäden aus seinem Mund. Er musste sich auf die Zunge gebissen haben vor Schmerzen. Das war später jedoch schnell zu beheben. Poppy dachte einen kurzen Augenblick sehnsüchtig, dass der Schmerz doch endlich nachließe. Dann würde der Heilungsprozess einsetzen und er würde endlich aufhören, so gequält zu schreien. Sie hasste es, wenn ihre Patienten solche Qualen auszustehen hatten und sie absolut nichts dagegen tun konnte. Nach einer Stunde begann er ruhiger zu werden. Das Schlimmste hatte er jetzt hinter sich. Der Energiestrahl in dem Pentakel wurde immer schwächer und verlosch schließlich ganz. Die Ketten erschlafften auf seinem Körper und die Heilerin nahm sie wieder an sich. Sie wusste, dass die gesamte heilende Energie jetzt in seinen Körper geleitet war und dort weiterarbeiten würde.
Poppy war völlig erschöpft und nassgeschwitzt. Das war schwere körperliche Arbeit. Auch Snape war vollkommen ausgepumpt. Er schlief trotz der Schmerzen ein. Ab und zu warf er den Kopf noch hin und her, aber ansonsten hörte man nur an seinem unregelmäßigen, heftigen Atem und Stöhnen, dass er noch Schmerzen hatte.
***
Cassy wartete wie verabredet vor ihrem Appartement auf Professor Snape. Als dieser nicht kam, wurde sie unruhig und ging in sein Büro, wobei sie die Trickstufe genau im Auge behielt. Aber auch da war er nicht. Dann ging sie zu Dumbledore.
Der war gerade im Aufbruch. "Ich, äh, muss auf die Krankenstation. Ihr Treffen mit Professor Snape fällt heute aus."
"Er wurde wieder verletzt, nicht wahr?", fragte Cassy.
"Ich weiß es noch nicht", wich Dumbledore ihr aus. Er wollte nicht, dass Cassy schon wieder eingeweiht wurde. Nicht einmal seine nahestehendsten Lehrkräfte kannten alle Geheimnisse. Es beschränkte sich auf wenige Vertraute.
"Sagen Sie mir nachher Bescheid?", bat Cassy ihn. Sie wusste genau, was los war, er hatte zu lange mit seiner Antwort gezögert und sein Gesicht war von Sorgenfalten durchzogen. Seine Bewegungen waren leicht fahrig. Sie wollte den alten Magier aber nicht mit Fragen quälen. Er nickte und machte sich auf den Weg. Dumbledore wusste, dass er Cassy nichts vormachen konnte. Das hatte er an ihrem Gesicht gesehen.
Später bekam Cassy von Dobby eine kurze Notiz. "Prof. Snape darf ab morgen besucht werden. A. Dumbledore"
Morgen würde sie nach ihm sehen.
***
Cassy stand vor seinem Bett und wollte schon wieder leise gehen, als er die Augen öffnete und sie ansah. Sie lächelte und wollte etwas sagen, aber sie brachte kein Wort heraus. Seine schwarzen Augen zogen ihren Blick magnetisch an. Ihr Gesichtsfeld engte sich ein wie beim Tunnelblick. Sie stürzte einfach ab in diese bodenlose Tiefe. Sie sah nur noch seine schwarzen Augen, bei denen eine Abgrenzung zwischen Pupille und Iris nicht auszumachen war.
"Gibt es einen besonderen Grund, dass Sie mich so anstarren? Wenn nein, wäre ich Ihnen dankbar wenn Sie wieder gehen würden", flüsterte er erschöpft.
Cassy wurde rot. "Wie geht es Ihnen?"
"Es ginge mir besser, wenn ich mich nicht wie im Zoo fühlen würde."
"Also anscheinend geht es Ihnen besser", gab Cassy freundlich zurück.
Dann schloss er die Augen. Er ignorierte sie einfach wieder. Cassy trat noch einen Schritt näher an das Bett heran. Seine Hände lagen neben ihm auf der Bettdecke. Er hatte schlanke, sensible Hände mit langen Fingern. Schöne Hände, empfand Cassy in einer aufblitzenden Wahrnehmung. Gerade hatte sie die Hand gehoben, um kurz über seinen Handrücken zu streicheln und sich zu verabschieden, da öffnete er die Augen wieder. Er deutete ihre Geste richtig. Aber alleine der Gedanke, dass diese Frau ihn berühren würde, brachte ihn auf.
"Tun Sie es nicht", zischte er sie an.
Cassy wich erschrocken einen Schritt zurück und senkte die Hand wieder. Es war ihr unangenehm, dass sie überhaupt gekommen war. Er zeigte ihr seine Abneigung so offensichtlich, dass sie sich wie ein naiver Bauerntrampel vorkam, weil sie dachte, er würde sich über Gesellschaft ein wenig freuen. Über Gesellschaft wohl ja, aber augenscheinlich nicht über ihre.
Zu seiner Befriedigung konnte er in ihrem Gesicht Verwirrung und Ratlosigkeit lesen. Hoffentlich hatte sie es bald kapiert, dass er sie nicht in seiner Nähe haben wollte.
"Es tut mir Leid. Ich wollte Sie nicht belästigen", sagte Cassy leise. "Ich hoffe, Sie kommen bald wieder auf die Beine." Dann ging sie. Auf dem Weg zu ihrer Unterkunft konnte sie nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. Was hatte sie sich im Keller bei ihren Freunden gedacht, als sie unbedingt hier her wollte. Sicher. Sie hatte einen unbändigen Hass auf die Drahtzieher dieses feigen Mordes, aber ehrlich gesagt, waren die beiden nicht der einzige Anlass. Der zweite Anlass lag in dem Krankenbett ein Stockwerk über ihr und behandelte sie, als hätte sie die Pest.
Severus schloss die Augen wieder und während er darüber nachdachte, warum diese Frau sich dafür interessierte, wie es ihm ging, schlief er wieder ein. Aber wieder war es sein Unterbewusstsein, das sehr wohl registrierte, dass er Cassy so wichtig war, dass sie ihn besucht hatte. Es registrierte auch, dass sie ihn berühren wollte. Eine freundschaftliche oder zärtliche körperliche Berührung hatte er seit Jahren nicht mehr erfahren. Eine solche Berührung wühlte Gefühle in ihm auf, die er nicht wieder spüren wollte. Sie waren zu schmerzhaft. Deshalb wurde Cassy's Initiative vorerst sorgsam von seinem Unterbewusstsein weggeschlossen.
Cassy ging dann doch nicht in ihr Appartement, sondern schlenderte zum See.
Dort saß bereits eine schlanke Gestalt in T-Shirt und Jeans am Ufer. Es war Remus Lupin. Er warf Steine in den See und ab und an kam ein Stein zurückgeflogen. "Hallo Professor Lupin", rief sie und winkte. Er winkte freundlich zurück und gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie sich neben ihn setzen solle. Gerade als sie sich nieder ließ und er einen Moment nicht aufpasste, warf ihm der Krake aus dem See einen kleinen Stein an den Kopf. "Autsch. Blödes Vieh", sagte er leise und rieb sich die Stelle, wo der Stein ihn getroffen hatte.
"Was war das?"
"Unser Riesenkrake. Er lebt schon seit Äonen in diesem See. Neben noch einigen anderen fabelhaften Wesen." Als sie über das Schlossgelände gelaufen war, hatte sie den Kraken nicht gesehen. "Er ist freundlich und wenn ich am Ufer sitze, spiele ich oft mit ihm. Ich werfe einen Stein in seine Nähe und wenn er ihn fängt, wirft er ihn zurück." Er rieb noch einmal die Stelle an seinem Kopf. "Man muss halt aufpassen, denn er spielt mit allen Tricks." Mit diesen Worten schüttelte er lachend die geballte Faust in Richtung des Wassers, wo er den Kraken vermutete. Daraufhin kamen zwei riesige Fangarme aus der Tiefe und bildeten ein Herz. Remus lachte. "Er hat auch einen ausgeprägten Sinn für Humor", sagte er kopfschüttelnd.
Cassy hatte gerade beschlossen, dass sie im See nicht baden würde ...
"Wie geht es Severus? Sie waren doch heute bei ihm, nicht wahr?" Nachrichten schienen sich in Hogwarts genau so schnell zu verbreiten, wie der Tratsch in ihrer früheren Firma, dachte Cassy für sich.
"Besser", gab sie einsilbig zur Antwort. Dabei starrte sie mit verkniffenem Gesicht auf den See. Remus Lupin kannte Severus Snape schon so lange, dass er keine große Vorstellungskraft brauchte, um sich auszumalen, was im Krankenzimmer passiert war.
"Wollen Sie es mir erzählen?" Cassy berichtete es ihm. Sie ließ auch die Stelle nicht aus, an der sie über seine Hand streicheln wollte.
"Wissen Sie, Mr. Lupin ..."
"Remus." Sie blickte ihn fragend an. "Bitte, nennen Sie mich Remus." Sie lächelte wieder. "Cassy."
"Bitte, erzählen Sie weiter, Cassy", forderte Remus sie auf.
"Wenn jemand krank ist ... Nein. Ich muss anders beginnen. Als er dort so lag ... Nein. Das ist auch nicht, was ich sagen wollte. Also, ich habe eigentlich gar nicht darüber nachgedacht, als ich das tun wollte. Es war eine unbedachte Reaktion. Ich hatte wohl einfach gehofft, dass ihn die Berührung tröstet und ihm zeigt, dass es jemanden gibt, der sich Sorgen um ihn macht." Sie seufzte.
"Ich weiß, was Sie meinen. Aber für ihn ist das alles schwierig zu verarbeiten." "Was ist daran schwierig, Trost von Anderen zu empfangen?"
Jetzt seufzte Remus. "Lernen Sie ihn einfach besser kennen. Ich kann es Ihnen nicht erklären. Es ist besser, wenn Sie sich Ihr eigenes Bild von ihm machen."
Sie schaute in Remus' freundliches Gesicht und nickte. Dann sah sie wieder auf den See, wo der riesige Krake gerade in der Sonne trieb, eigentlich buchstäblich auf dem Wasser herumfläzte.
Remus sah sie von der Seite an und fühlte ein angenehmes Kribbeln in der Magengegend. Sie war wirklich eine interessante Frau. Die graublauen Augen und dieser sinnliche Mund waren umwerfend. Wenn sie lachte, lachte das ganze Gesicht mit. Ihn beeindruckte ihre Art, wie sie mit Menschen umging. Severus war dumm, dass er nicht merkte, welche Sensibilität von ihr ausging. Er legte ihr behutsam - tröstend - die Hand auf die Schulter. "Kommen Sie. Es gibt gleich Abendessen." Dann stand er auf und half Cassy auf die Füße. Sie gingen scherzend zum Schloss zurück.
Irgendwo oben im ersten Stock stand eine blasse, schwarzhaarige Gestalt am Fenster und sah den beiden zu. Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte sich die Gestalt, sie wäre jetzt dort unten am See. Dann zog sie sich in ihr Bett zurück und schlief. Wenn sie schlief, musste sie nicht nachdenken.
***
Als Cassy diesen Abend vor dem Kamin saß, dachte sie noch einmal an Severus. An seine schwarzen Augen. Ein angenehmes Ziehen schlich durch ihren Bauch. Sie war abgestürzt in unglaublich schöne geheimnisvolle schwarze Augen. Der Fall war so tief, dass noch immer kein Aufprall zu spüren war. Beeindruckende schwarze Augen. Aber egal wie boshaft oder zynisch sie glitzerten. Es war etwas in ihnen, was Cassy nicht einordnen konnte, was nicht zu seinem ganzen Gebaren passte.
Dann wurde es ihr bewusst. Seine Augen spiegelten immerwährend wider, was sie auf seinem ganzen Gesicht gesehen hatte, als er Ellen töten musste. Es waren Schmerz, Sensibilität, Verbitterung, Leidenschaft. Es war eine wunde, eine verletzte Seele, die durch die beiden schwarzen Fenster wie durch die Gitter eines Gefängnisses nach außen blickten. Diese sensible Seele war eingesperrt, eingeengt, behindert in ihrer Bewegungsfreiheit. Sie wollte frei sein. Da war auch Kraft zu spüren. Diese Kraft versuchte, die Seele zu beschützen. Aber diese Kraft war nicht unerschöpflich.
Cassy starrte in den Kamin. Welche Gedanken überkamen sie da? Snape war unerträglich arrogant, boshaft, zynisch. Er war psychisch sadistisch gegen andere.
Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie diese anstrengenden Gedanken wie Wassertropfen aus ihrem Kopf schütteln. Dann ging sie ins Bett.
***
Sie schlief sehr unruhig. Es war ein seltsamer Traum, der sie beschäftigte. Sie stand auf einer Ebene, die endlos anmutete. Sie drehte sich im Kreis, aber wo sie hinblickte, war Horizont. Es gab keine Konturen. Keine Landschaft. Nur ebene Fläche. Überall wallte Dunst. Sie stand in dieser Ebene und wusste nicht, was sie hier sollte. Da tauchte in der Ferne eine Gestalt im Nebel auf und kam auf sie zu. Zuerst war sie nicht zu erkennen, sehr undeutlich. Beim Näherkommen wusste sie, wer es war. Es war Severus Snape. Sie lief auf ihn zu, wollte ihn begrüßen. Aber als er sie sah, blieb er stehen. Er begann sich zu entfernen. Es war keine Bewegung zu sehen. Er glitt einfach weg, während er sie anschaute mit einem ausdruckslosen Gesicht. Und je schneller sie auf ihn zulief, desto schneller und weiter entfernte er sich von ihr. Irgendwann war sie so außer Atem, dass sie anhielt. Noch immer konnte sie ihn sehen. Aber er war so weit entfernt, dass sie nur noch seine Konturen in dem Nebel ausmachen konnte. Sie versuchte Atem zu schöpfen und während sie stand, merkte sie, dass Severus wieder näher kam. Ganz langsam. Sie wartete. Es dauerte eine endlose Zeit, bis er direkt vor ihr stand. Jede Einzelheit an dieser Gestalt war für sie so greifbar, als würde er leibhaftig vor ihr stehen. Er sah sie noch immer mit diesem ausdruckslosen Gesicht an. Es gab keine Geräusche. Die Stille war unheimlich. Sie schaute ihn an und wollte ihn ansprechen, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Als sie die Hand nach ihm ausstrecken wollte, verschwand er.
Cassy wachte auf. Es war sowieso fast Zeit zum Aufstehen. Also setzte sie sich mit der warmen Decke in einen der riesigen Ohrensessel und dachte über ihren Traum nach.
Sie durfte ihn nicht bedrängen. Sie musste ihn kommen lassen. Das war die Botschaft ihres Traumes. Hatte sie ihn bedrängt. Ja. Sie hatte. Warum war sie zu ihm in den Krankenflügel gegangen, wo sie doch genau wusste, dass sie ihn anders kannte, als er sie. Sie musste endlich beginnen, ihn wie einen Fremden zu behandeln. Es war ihr eigener Wunsch gewesen, dass er nichts von ihr wissen sollte. Aber sie hatte mit seiner offensichtlichen Abneigung und Aggressivität nicht gerechnet. In Zukunft würde sie versuchen, sensibler mit ihm umzugehen.
Mit diesem Vorsatz stand sie auf und machte sich in Ruhe für den neuen Tag fertig.
Severus ging in seinem Büro auf und ab, als er auf Cassy wartete. Ob er wollte oder nicht. Er würde sich die nächsten Monate mit dieser Muggel auseinandersetzen müssen. Warum wehrte er sich eigentlich so verbissen dagegen? Er rettete permanent Muggel vor Voldemort. Was war sein Problem? Die er rettete, sah er nicht mehr wieder. Die hingen ihm nicht auf der Pelle. Und er hatte das gute Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben.
Dann klopfte es. "Herein", brummte er und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
"Guten Morgen Professor Snape?" begrüßte Cassy ihn fröhlich. Sie hatte ihn beim Frühstück nicht gesehen.
"Setzen Sie sich", sagte er ohne den Gruß zu erwidern.
Cassy nahm auf dem angebotenen Stuhl Platz und sah sich im Büro um. Es sah aus wie jedes normale andere Büro auch. Bis auf die großen Plakate mit verschiedenen Kräutern. Unter den Pflanzen stand jedes Mal der Umgangsname und die lateinische Bezeichnung. Ein solches Plakat gab es auch jeweils mit Tieren, Drachen, die sich bewegten und mit Steinen, die natürlich nicht ganz so agil waren.
"Professor Dumbledore hat Ihnen sicher gesagt, dass ich Ihr Ansprechpartner hier bin, wenn Sie Fragen haben", begann er mit ruhiger, dunkler Stimme und Cassy spürte, wie wenig ihm das gefiel.
Als sie zum ersten Mal seine Stimme hörte, war ein weiterer Mosaik-Stein in ihren Gefühlen gelegt worden. Er hatte nicht nur anziehende Augen. Seine Stimme war aufregend. Dunkel, angenehm, melodisch. Ihr fiel ein Zitat ein, dass sie mal irgendwo über einen charismatischen Schauspieler gelesen hatte und sie formulierte es für sich um. "Wenn Samt eine Stimme hätte, dann wäre es die von Severus Snape." Das traf es ganz genau.
"Haben Sie mir eigentlich zugehört?" fragte diese samtene Stimme gerade leicht gereizt und ungeduldig.
Cassy war es peinlich, aber sie hatte ihm tatsächlich nicht mehr zugehört, sondern nur dem Klang seiner Stimme.
Er wartete die Antwort gar nicht erst ab. An ihrem abwesenden Gesicht hatte er gesehen, dass sie nicht mehr den Worten, sondern nur der Stimme gelauscht hatte. Aber dieses Phänomen kannte er, wenn er mit jemand Neuem sprach. Die Menschen reagierten auf seine dunkle Stimme. Vor allem die weiblichen.
"Ich sagte gerade, dass ich ein paar Dinge ausgearbeitet habe, die Sie kennenlernen sollten, wenn Sie hier sind. Allerdings werde ich mir vorbehalten, Ihnen jeweils Bescheid zu sagen, wann wir uns diese Dinge anschauen. Ich habe nicht viel Zeit. Nebenbei muss mein Unterricht noch laufen. Und der ist aufwendiger vorzubereiten als Muggelkunde." Wobei er das Wort Muggelkunde in einem Ton aussprach, als wäre es das überflüssigste Fach auf der Welt. Nun, in seinen Augen war es das auch.
"Ich freue mich über jede Minute Zeit, die Sie mir opfern. Natürlich bleibt die Zeiteinteilung ganz Ihnen überlassen. Es muss sich alles in Ihren und auch meinen Lehrplan einfügen lassen, ohne uns zu behindern.", gab Cassy freundlich zurück.
"Da machen Sie sich mal keine Illusionen. Sie behindern mich auf jeden Fall." Snape bekam wieder dieses boshafte Funkeln in seine Augen. Er betrachtete sie, aber zu seiner Überraschung blieb sie ganz ruhig und kommentierte seine Unhöflichkeit nicht.
"Gibt es denn die Möglichkeit, dass ich auch einmal in Ihrem Unterricht zusehen kann?", fragte Cassy ihn interessiert.
Snape überlegte einen Augenblick. Dann hatte er eine Idee. "Selbstverständlich können Sie zu meinem Unterricht kommen." Er schaute sie einen Moment mit einem dünnen, hinterhältigen Lächeln an. "Sie können sogar den Trank probieren, den wir brauen. Dann haben Sie gleich ein Gefühl dafür, dass unsere Magie auch funktioniert." Während er darüber nachdachte, gefiel ihm die Idee immer besser. Er musste sich nur noch etwas ausdenken, das diese Muggel nicht verletzen, aber blamieren würde.
'Autsch', dachte Cassy, als sie es in seinem Gesicht arbeiten sah. 'War mein Mund mal wieder schneller als mein Gehirn.' Das konnte nicht gut gehen. Das war ihr klar, als sie die spontane Reaktion über sein Gesicht hatte flackern sehen.
Snape stand relativ gut gelaunt auf und kam um den Schreibtisch herum. Die Aussicht, sie in Zaubertränke ein wenig bloßzustellen, gefiel ihm außerordentlich gut. Vielleicht war er diesen Betreuungsauftrag schneller wieder los, als er dachte.
"Treffen Sie sich mit mir in einer Stunde vor der großen Halle. Ich werde Ihnen das Schloss zeigen." Kurz trafen sich ihre Blicke. Cassy hielt ihm zur Verabschiedung die Hand hin, die er aber wieder übersah. Dann ging sie die Treppen hoch in ihr Appartement.
Das heißt, sie wollte hoch gehen. Aber als sie ihren Fuß auf die dritte Treppenstufe gesetzt hatte, sank er sofort ein. Immer tiefer. Sie konnte ziehen und zerren, wie sie wollte. Der Fuß steckte fest. Jetzt stand sie schon bis zur Wade in der Treppe. Panik überkam sie. Sie musste wohl in den sauren Apfel beißen und Snape um Hilfe bitten. Er war der Einzige, der hier unten greifbar war.
"Professor Snape, können Sie mir bitte helfen!?", rief sie mit leicht verzweifeltem Unterton.
Snape kam nach dem zweiten Rufen aus seinem Büro. Als er sie in der Treppe feststecken sah, verschränkte er die Arme vor der Brust und sah sie zynisch lächelnd an. "Hat man Ihnen nichts von den Trickstufen hier gesagt?" Doch. Hatte man. Aber Frau, nämlich Cassy, hatte nicht zugehört. Sie hätte sich im Moment ohrfeigen können. Aber sie hätte auch Snape ohrfeigen können, der schadenfroh vor der Treppe stand und ihr genüsslich grinsend dabei zusah, wie sie immer tiefer einsank.
"Helfen Sie mir jetzt oder nicht?", fragte sie ihn mit hoher, ängstlicher Stimme. Sie stand jetzt schon bis über das Knie in der Treppe.
Er überlegte einen Moment und meinte dann: "Nein, eigentlich nicht." Damit drehte er sich um und wollte sich auf den Weg in sein Büro machen. Cassy starrte ihm fassungslos hinterher und brüllte dann mit entrüsteter Stimme: "Professor Snape!" Er seufzte tief und vernehmbar auf, drehte sich wieder um, zog seinen Zauberstab und murmelte etwas. Ein dünner, roter Strahl traf auf die Treppenstufe und sie ließ Cassy's Bein sofort frei. Beinahe wäre Cassy noch gefallen, weil das alles so schnell ging.
Snape grinste immer noch und meinte: "Denken Sie dran. In einer Stunde. Ach, äh, und die helleren sind die Trickstufen." Damit ging er pfeifend in sein Büro zurück. Der Tag hatte richtig gut begonnen.
***
Cassy war sauer, als sie in ihr Appartement zurückging. Vor allen Dingen auf sich selbst. Erster Besuch bei Snape und gleich blamiert bis auf die Knochen. Trickstufen. Das würde ein tolles Jahr werden. In ihrer Wut trat sie auf ihren langen Umhang und wäre um ein Haar noch gestürzt. So stolperte sie unbeholfen ein paar Schritte den Flur entlang, bis sie ihr Gleichgewicht wieder hatte. Und diese verdammten Umhänge waren hinderlich und viel zu lang. An irgend etwas wollte sie jetzt ihren Zorn auslassen und da kamen die Roben ihr gerade recht. Was hatte gestern in dem Pergament gestanden? Roben sind nur während der Schulzeit zwingend vorgeschrieben. Warum quälte sie sich also mit diesen unförmigen, langen Kleidungsstücken herum? Weil sie Eindruck machen wollte. Sie wollte sich anpassen. Für die Lehrkräfte hier war die Robe so selbstverständlich wie für ihre Mutter die Küchenschürze.
Wenn sie also nachher mit Snape den Schlossrundgang machte, würde sie das ohne Robe tun. Basta. Es würde noch fehlen, dass sie hinter ihm herlief und herumstolperte.
Sie zog die Robe aus und suchte sich ein schlichtes, dunkelblaues Baumwollkleid aus. Es hatte lange Ärmel, war aber dünn. Die Sonnenwärme schaffte es nicht, die mächtigen Steinmauern des Schlosses zu durchdringen und so war es immer kühl. Sie ging ins Bad, schaute noch einmal in den Spiegel und setzte sich dann in einen der riesigen Sessel. Es war noch etwas Zeit, bis zu ihrem Rundgang. Sie nahm die Pergamentrollen und las die Regeln weiter. Langsam beruhigte sie sich.
***
Professor Snape war in sein Büro zurückgegangen und sortierte - noch immer grinsend - auf seinem Schreibtisch die Rezepte, die er für das kommende Schuljahr herausgesucht hatte. Da war doch bestimmt irgend etwas dabei, wozu er diese Muggel einladen konnte. Irgend etwas Kleines, Gemeines.
Unsichtbarkeit. Nein. Zu gefährlich. Konnte schief gehen. Mut. Nein. Konnte sich am Ende noch gegen ihn selbst richten. Schrumpfen. Nein. Hatte unkontrollierbare Nebenwirkungen. Ganzkörper-Haarwuchs. Nein. Gab garantiert Ärger mit Dumbledore.
Dann fand er ihn. Das war er. Er nahm seine Feder und malte ein großes M für Muggel in die rechte obere Ecke des Pergamentes und sortierte die Blätter wieder zusammen. Er schaute auf die Uhr. Es wurde Zeit zum Schlossrundgang. Mit einem zufriedenen Lächeln machte er sich auf den Weg zur großen Halle. Sie hatte es ja so gewollt.
***
Cassy legte ihr Pergament weg und ging ebenfalls los. Sie erkannte Professor Snape erst, als sie fast vor ihm stand. Er trug auch keine Robe. Lässig lehnte er mit der Schulter an einer Säule und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Als sie kam, stieß er sich von der Säule ab und ging ihr entgegen. Er trug eine schwarze enge Hose und ein flaschengrünes, hochgeschlossenes Hemd mit Stehkragen. Seine große, schlanke Gestalt kam in diesem Aufzug richtig zur Geltung. Cassy hatte sich allerdings auf dem Weg hierher fest vorgenommen, sich nicht ständig von der Ausstrahlung dieses Mannes ablenken zu lassen und versuchte diese Eindrücke zu ignorieren. Genauso gut hätte sie versuchen können, Wasser in der hohlen Hand ohne Verlust von einer Stelle zur nächsten zu tragen.
Er hatte sie schon von weitem kommen sehen. Er amüsierte sich innerlich noch immer wegen der Trickstufe. Sie hatte keine Robe mehr an und das dunkelblaue Kleid, das sie jetzt trug stand ihr gut. Es war sehr schlicht und betonte ihre Figur. Aber eigentlich war das uninteressant.
"Hier geht's lang", sagte er relativ freundlich mit einer Handbewegung. Sie betrachtete seinen Rücken, während er ihr vorausging. Er hatte schmale Hüften und breite Schultern. Aber nicht zu breit, sondern es passte einfach insgesamt von den Proportionen zu seiner schlanken, großen Gestalt. "Verdammt", sagte Cassy leise zu sich, als sie merkte, dass sie ihn schon wieder musterte. Er drehte sich herum.
"Alles in Ordnung oder stecken Sie schon wieder irgendwo fest?" Er wartete gar keine Antwort ab. Als er sah, dass sie noch heil war, drehte er sich um und ging weiter.
Im Schnellverfahren, so, wie man es von Pauschalreisen kennt, zeigte er ihr die Bibliothek, die Gemeinschaftsräume und die Krankenstation. Das ist Miss," er hatte eine unbändige Freude daran, so zu tun, als könnte er sich ihren Namen einfach nicht behalten. "äh, Parker", stellte er sie Madam Pomfrey in der Krankenstation vor.
Die ältere Dame schüttelte ihr freundlich die Hand. "Dobby kennt den Weg zu mir. Wenn Sie etwas brauchen, schicken Sie ihn." Die Krankenstation war groß und hell. In den hohen Räumen des Schlosses wirkten selbst die tadellos weißen Betten nicht so steril, wie in den Krankenhäusern, die sie kannte. Überall waren Bilder aufgehängt. An den Fenstern standen Blumen und Pflanzen. Das Sonnenlicht fiel in hellen Strahlen in das große Zimmer und sie konnte die feinen Staubfäden sehen, die in diesen Strahlen tanzten. Es war ein sehr freundlicher Raum.
Cassy bedankte sich bei Madam Pomfrey und sie gingen wieder.
"Aah, Professor Binns", sagte Snape gerade vor ihr. Sie hatte niemanden im Gang gesehen. Mit wem sprach Snape? Neugierig stellte sie sich neben ihn und erschrak. Vor ihr schwebte ein Geist. Ein leibhaftiger lebendiger toter Geist. Sie schaute ihn mit offenem Mund an. "Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Miss Parker", sagte Binns mit langweiliger Stimme. Cassy nickte und Snape grinste innerlich. Heute morgen lief wirklich alles gut, dachte Snape. Vielleicht war diese Aufgabe doch nicht so schlecht. Sie wusste nicht, wie sie Professor Binns höflich begrüßen sollte und schaute Snape kurz an. Aber da war sie in Punkto Höflichkeit wohl nicht an der richtigen Stelle. "Freut mich", brachte sie mühsam hervor.
"Ich unterrichte Zaubergeschichte. Die Trollaufstände sind mein Fachgebiet." Trollaufstände? Ein Geist, der unterrichtete. Der Morgen heute lief wirklich nicht gut, dachte Cassy. Sie nickte Binns wieder zu und war froh, dass Snape sich wieder in Bewegung setzte. "Er unterrichtet wirklich Zaubergeschichte?", fragte sie ihn, während sie versuchte mit ihm Schritt zu halten.
"Warum denn nicht?" fragte er gereizt zurück. "Aber er ist ein Geist!", rief Cassy.
"Das hat entscheidende Vorteile", antwortete Snape ihr zynisch. "Die Stelle wird nicht mehr durch Tod frei, weil er schon tot ist und außerdem ist seine Ausfallrate durch Krankheit gleich null. Einen besseren Lehrer kann man sich doch gar nicht vorstellen, oder?"
"Kann ... kann er eigentlich in jedes Zimmer?", bohrte sie schüchtern weiter. Snape blieb stehen. "Ja. Er kann. Er kann durch Mauern gehen und vieles, was Sie so in Ihren Muggelbüchern über Geister gelesen haben, obwohl im Allgemeinen wirklich eine Menge Unsinn darin steht." Dann ging er weiter. "Aber ich kann Sie beruhigen. Professor Binns weiß, was sich gehört und er kommt nicht uneingeladen zu irgend jemandem ins Appartement." Na, Gott sei Dank, dachte Cassy. Allein der Gedanke, dass sie nachts aufwachen und so ein sprechender Nebel über ihrem Bett hängen würde, verursachte ihr ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend.
"Dort hinten geht es zum Astronomieturm." Er deutete mit einer Handbewegung an das Endes des Flures, hatte jedoch nicht vor, ihr den Turm zu zeigen. Jedenfalls heute nicht und wenn es sich einrichten ließe, würde er ihn ihr nie zeigen. Dann ging er die Treppe wieder hinunter. Es war Zeit zum Mittagessen.
"Das wars. Ich schicke Ihnen ein Pergament, wenn wir uns wieder treffen." Er drehte sich einfach um und ging weiter in die große Halle zum Essen. Cassy lief hinter ihm her und musste sich zusammennehmen, dass sie ihm keine Grimasse zog.
In der großen Halle angekommen, sah sie Remus Lupin. Er winkte ihr zu und sie setzte sich neben ihn. Snape saß gegenüber.
"Wie war Ihr Rundgang?" Cassy schaute kurz über den Tisch, aber Snape rührte sich nicht, sondern aß konzentriert sein Mittagessen. Sie wusste, dass er zuhörte. Cassy schilderte Remus mit kurzen Sätzen, wo sie waren und ließ auch Professor Binns nicht aus. Lupin lächelte, als Cassy ihm ihren ersten Schrecken schilderte.
"Was halten Sie davon, wenn Sie nach dem Mittagessen ein wenig mit mir spazieren gehen?" Cassy freute sich. Warum nicht? Sie mochte Lupin. "Severus, du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich dir die Tour über das Hogwartsgelände abnehme", fragte Remus über den Tisch mit einem Unterton in der Stimme, den Cassy nicht gleich deuten konnte. Severus hob langsam den Kopf und sah Remus mit einem giftigen Gesichtsausdruck an. "Nein", sagte er mühsam beherrscht, "ich finde schon noch andere Ausflugsziele für Miss Parker." Dann aß er weiter. Remus neben ihr lachte vor sich hin. Cassy war klar, dass das gerade ein Running Gag war zwischen Snape und Lupin und dass Snape dabei nicht auf seine Kosten gekommen war.
***
Der Nachmittag mit Lupin war schön gewesen. Er hatte ihr so viel gezeigt, dass Cassy sich fragte, was sie sich den Rest vom Jahr anschauen sollte.
Zurück in ihrem Appartement, fand sie eine Notiz von Snape.
Hole Sie morgen, eine Stunde nach dem Abendessen an Ihrem Appartement ab. S. Snape.
Cassy faltete die Nachricht sorgfältig zusammen und steckte sie zu der anderen, die sie aufbewahrt hatte. Dann ging sie ins Bett und durch die ungewohnt viele Lauferei schlief sie wieder sofort ein.
***
Snape war am Vormittag in Hogsmeade gewesen und hatte gerade damit begonnen, seine neuen Vorräte in die Schränke zu sortieren, als dieser bekannte heftige Schmerz in seinem rechten Unterarm brannte. Er schob den Ärmel zurück und sah mit einem Hass erfüllten Blick das dunkle Mal an, das intensiv leuchtete. Voldemort rief ihn. Er wollte wohl wissen, ob er noch lebte. Der Zaubertränkemeister holte seine Robe und beeilte sich, vor die Tore von Hogwarts zu kommen. Voldemort duldete kein Verspäten. Man konnte ein solches Versäumnis bei ihm mit dem Leben bezahlen. Er hasst diese Kreatur aus tiefstem Herzen. Es blieb ihm allerdings diesmal keine Zeit mehr, Dumbledore Bescheid zu sagen.
Er apparierte auf einer Lichtung. Es musste wohl im Verbotenen Wald sein. Das Dunkle Mal holte die Todesser immer zu Voldemort. Sie wussten nie, wo sie ankamen.
Es waren noch fünf andere Todesser da. Malfoy, Crabbe, Goyle, Letrange und einer, dessen Name sich Snape einfach nicht merken konnte. Er hieß William mit Vornamen. Und natürlich der Meister persönlich.
"Hallo Severus", begann Voldemort ohne Umschweife und mit einem Vorsicht gebietenden Unterton in der Stimme. "Hast du dich wieder erholt?"
Severus trat vor ihn und nickte. "Ja, mein Lord."
"Ich wüsste gerne, wie du überlebt hast? Laut William warst du auf das Schwerste verletzt. Aber du bist nicht in Askaban und lebst."
Severus begann zu schwitzen. Er hatte sich ein ums andere Mal eine neue Geschichte zurecht gelegt, aber sie war immer unlogisch gewesen. Voldemort wusste durch Malfoy, dass Severus niemals in der geschlossenen Krankenabteilung des Übergangsgefängnisses im Ministerium angekommen war. Wo wurde er also gesund gepflegt.
"Ich warte nicht gerne, Severus." Voldemort lief ein wenig hin und her und beschloss dann, Snape mit einem Fluch auf die Sprünge zu helfen. Als der Blitz ihn traf, flog er rückwärts gegen einen Baum und hörte, wie zwei Rippen brachen. Dann fiel er auf die Knie. Er musste Zeit gewinnen. Die Schmerzen waren noch erträglich. Dann fiel ihm die Lösung ein. Sie war so einfach und doch so logisch.
Severus keuchte. "Die Auroren dachten, ich wäre tot. Also ließen sie mich für die Säuberungsabteilung einfach liegen. Als ich erwachte und mich einigermaßen erholt hatte, desapparierte ich vor die Tore Hogwarts und wurde von Professor McGonagall gefunden. Ich erzählte ihr, man hätte mich überfallen. Sie hinterfragte meine Geschichte nicht und sorgte dafür, dass ich sofort auf die Krankenstation kam."
"Ich frage mich, ob ich diesen Fluch nicht einfach noch einmal an dir ausprobieren soll, um zu sehen, ob man sich wirklich davon so erholen kann, dass man in der Lage ist zu desapparieren." Dabei wedelte er gefährlich mit dem Zauberstab. 'Bitte nur das nicht', dachte Snape entsetzt, aber er hatte seinen Gesichtsausdruck im Griff und sah Voldemort fest in die roten, widerlichen Augen. "Leider konnte mir niemand sagen, welcher Fluch dich getroffen hat." Voldemort begann zu lachen, das heißt, er zischelte vor sich hin und sein lippenloser Mund teilte das hässliche Gesicht noch ein bisschen mehr. Dann senkte er den Stab.
Severus traute dieser Ruhe nicht. Es musste noch etwas kommen. Diese Kreatur hatte Freude an Qual, Verzweiflung, Blut und Mord. Er würde nicht einfach Ruhe geben. Er wusste, dass Voldemort sich noch ein wenig amüsieren wollte. Hoffentlich diesmal nicht auf seine Kosten.
"Malfoy hat mir berichtet, wie grausam du die Muggel erledigt hast. Es hat mir gefallen." Snape schaute Malfoy mit einem Blick an, der diesen einen winzigen Schritt zurücktreten ließ. In diesem Moment hätte er Voldemort gerne gesagt, dass dieses feige Stück Dreck abgehauen ist als die Auroren die Tür herein kamen. Dass er alle im Stich gelassen hatte. Aber er wusste, dass Malfoy dann verraten würde, dass er das Muggelpärchen schützen wollte. So gab er Voldemort keine Antwort.
"Dennoch ist die Aktion ein Fehlschlag gewesen. Ihr habt das falsche Ehepaar umgebracht. Es war deine Aufgabe, Letrange, die richtigen Informationen zu recherchieren. Du hast versagt. Und du weißt, was ich von Versagern halte." In Voldemorts Gesicht spiegelte sich sadistische Freude, als er den Cruciatus-Fluch auf Letrange abschoss.
"Aber du, Nummer 2, hättest die Aufgabe gehabt, sicherzustellen, dass es keinen Fehlschlag gibt." Unvermittelt hatte er angefangen leiser zu sprechen. Wenn andere Menschen in ihrer Wut begannen zu schreien, war dies bei Voldemort umgedreht. Je wütender er wurde, desto leiser sprach er. Und desto gefährlicher wurde er. Severus wusste, was jetzt kam.
"Man muss sich auf seine Brüder verlassen können", versuchte er lahm dem Unvermeidlichen aus dem Weg zu gehen. Aber er wollte auch nicht als Feigling dastehen, sonst hätte er noch mehr gesagt.
"Genau", flüsterte Voldemort und sah ihn mit glänzenden Augen an. Als der Cruciatus-Fluch ihn traf, hörte er Malfoy und die anderen gehässig auflachen. In seinem Körper tobten Schmerzen, die schlimmer nicht sein konnten. Es war, als hätte man ihn in heiße Lava gestoßen und er löste sich jetzt langsam auf. Jeder Zentimeter an seinem Körper schmerzte höllisch. Er sank in die Knie und lag schließlich auf dem Waldboden. Ein metallischer Geschmack in seinem Mund zeigte ihm, dass er innerlich blutete. Röchelnd öffnete er den Mund, weil das Blut ihm Schwierigkeiten beim Atmen machte. Voldemort sah das Blut aus Severus Mund kommen und nahm den Fluch zurück. Er brauchte diesen intelligenten Mann noch. Keiner brachte mehr Scharfsinn und logischen Verstand mit als Snape. Er war wichtig für Voldemort. Der Rest war ersetzbar. Letrange schrie immer noch.
"Ich will keine Fehlschläge mehr, hast du verstanden?" Severus lag auf dem Boden, hustete Mengen von Blut und hatte die Augen geschlossen. Er nickte nur einmal ganz kurz. Vielleicht würde er Voldemort bald gar nicht mehr dienen können. Aber Severus hatte diese grausame, gefühllose Kreatur unterschätzt. Voldemort wusste immer genau, wie viel er einem menschlichen Körper zumuten konnte.
Dann hörte Snape ein paar leise Plopp und wusste, dass die anderen einschließlich Letrange weg waren. Den mussten sie mitgenommen haben, denn aus eigener Kraft hätte er nicht mehr desapparieren können. Mit diesem Gedanken wurde er ohnmächtig.
Niemand hatte die schwarze Eule bemerkt, die in großer Höhe endlos ihre Kreise zog und mit scharfen Augen die Szenerie beobachtete, die sich ihr bot. Als alle weg waren und nur noch der eine Mann zusammengekrümmt auf dem Boden lag, hatte sie sich auf den Weg gemacht, um Hagrid zu holen.
***
Er wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte, als er eine bekannte Stimme hörte.
"Oh, Mann, Professor. Was is'n passiert?" Dann hoben ihn zwei mächtige Hände behutsam auf und trugen ihn ins Schloss. Hagrid kannte das Schloss wie seine Westentasche. Er kannte die geheimen Gänge, die schnell zu Madam Pomfrey führten. So konnte er Snape ohne großen Zeitverlust in den Krankenflügel transportieren und ging sofort zu Dumbledore, um ihn zu unterrichten und ihm von dem seltsamen Verhalten einer schwarzen Eule zu erzählen.
***
Er kam wieder zu sich, als Madam Pomfrey in sein blasses, blutverschmiertes Gesicht sah und leise meinte: "Bekommen Sie nie genug?" Severus schüttelte fast unmerklich den Kopf und Poppy lächelte mitfühlend. "Habe ich mir schon gedacht. Ich muss Sie ausziehen. Es wird sehr weh tun." Er nickte. Dann begann Poppy vorsichtig das Hemd aufzuschneiden und sah sofort die gebrochenen Rippen. Die wären kein Problem, aber sie wusste noch nicht, warum Severus aus dem Mund blutete. Sie holte aus ihrem Büro ein leuchtend goldenes Tuch, so groß wie ein Kopftuch. Es sah aus als wäre es aus Organza, sehr dünn, durchsichtig und filigran.
Sie faltete es andächtig und behutsam auseinander und legte es auf auf Severus' nackten, geschundenen Oberkörper. Als sie den Stoff ausgebreitet hatte, begann dieser sofort ein Eigenleben anzunehmen. Er schmiegte sich eng Snape's Körper, glitt unter seine Arme und legte sich um ihn herum, wie eine zweite Haut. Es war, als wüsste das Tuch ganz genau, wo es hin musste. Langsam ging das leuchtende Gold in ein tiefes Dunkelblau über. Eine wundervolle Wärme begann sich in seinem Körper auszubreiten, bis in die Zehenspitzen. Von einem Moment zum nächsten fühlte er sich völlig entspannt und geborgen. Er hatte keine Schmerzen mehr. Dann erschienen auf dem dunkelblauen Stoff hellblaue Flecken, und zwar in der Anordnung, wie seine Organe lagen.
Madam Pomfrey schaute sehr konzentriert auf die Flecken und tippte mit ihrem Zauberstab behutsam einen nach dem anderen an. Wenn der Zauberstab den Fleck berührte, bekam dieser für wenige Sekunden eine andere Farbe. Meist ein angenehmes Grün. Mit jedem Fleck, der grün aufleuchtete, hellte sich Madam Pomfreys Miene etwas mehr auf. Dann kam sie an den Fleck, wo die Milz sitzen musste. Dieser wurde schlagartig dunkelrot. Poppy runzelte die Stirn. Das gefiel ihr gar nicht. Die Intensität der Farbe zeigte ihr die Schwere der Verletzung. Und die Milz hatte offensichtlich richtig etwas abbekommen. Nachdem der Rest der Organe sich als in Ordnung herausgestellt hatte, beendete sie die Untersuchung.
"Heute Nacht müssen nicht nur Knochen zusammenwachsen, Severus. Ihre Milz hat einen tiefen Riss. Sie wissen, was das bedeutet?"
Er nickte. Das bedeutete eine Nacht voller unerträglicher Schmerzen. Wenn Organe zusammenwachsen mussten, konnte nicht mit Beruhigungs- oder Schmerz stillenden Tränken gearbeitet werden, da diese die Heilung verzögern oder sogar hemmen konnten. Sie hielt eine Hand über das Tuch und murmelte etwas. Daraufhin löste sich das Tuch wieder von Snapes Oberkörper und nahm seine ursprüngliche leuchtend goldene Farbe an. Augenblicklich stürzten auch die Schmerzen wieder auf ihn ein und der Zaubertränkemeister verzog gequält das Gesicht. Poppy nahm das Tuch, legte es sorgfältig zusammen und brachte es wieder in ihr Büro
"Was war das?"
"Das ist eines der Heilertücher von Eternia. Meine Urururgroßmutter hatte es schon. Es verliert niemals seine Kraft, so lange man es zum Wohle der Menschen einsetzt. Es gibt sie nur noch sehr selten. In unserer Familie wird das Tuch von einem Heiler zum nächsten weitergegeben."
Poppy hatte nie erzählt, dass sie in Eternia ausgebildet worden ist. An diesen Ort kamen nur Magier mit besonders ausgeprägten, heilenden Fähigkeiten. Der eternianische Orden war so alt wie die Menschheit. Und einen Heiler mit einer Ausbildung von dort zu bekommen, war nahezu unmöglich, da jedes Jahr nur fünfzehn aufgenommen wurden, wenn man überhaupt so viele Fähige fand. Die sechsjährige Ausbildung war hart und voller Entbehrungen. Am Ende waren meist maximal fünf Heiler übrig, die die Prüfungen bestanden. Nach der Prüfung wurden sie für die nächsten zwanzig Jahre aus dem Orden ausgeschlossen, um Erfahrung zu sammeln. Wer dann, nach diesen zwanzig Jahren eine erneute, sehr schwere Abschlussprüfung ablegte, konnte als Ausbilder wieder in den Orden eintreten. Für viele Heiler war es die einzige Lebensaufgabe, wieder in den Orden zurückzukehren. Bis heute wusste niemand genau, wo Eternia lag. Es war eine stillschweigende Übereinkunft unter den Heilern - auch unter denen, die es nicht geschafft hatten - dieses Geheimnis zu wahren. Eternia suchte sich seinen Nachwuchs selbst aus. Und wenn Poppy schon in fünfter Generation dort ausgebildet worden war, musste die gesamte Familie mächtige Fähigkeiten haben.
"Wie sind Sie nach Hogwarts gekommen?" fragte er, um von seinen Schmerzen abgelenkt zu werden.
"Dumbledore kennt Eternia. Er war schon viele Male dort, weil er mit den Hohepriestern gut befreundet ist. Schon als junge Novizin habe ich ihn kennen gelernt. Da war er noch für das Ministerium im Kampf gegen Voldemort tätig." Während ihrer Ausführungen begann sie Severus gebrochene Rippen zu behandeln. Er hielt die Augen geschlossen. Die Schmerzen seiner gesamten Verletzungen waren unerträglich. Aber außer einem heftigen Stöhnen ab und zu kam kein Laut über seine Lippen.
"Wir haben uns oft unterhalten. Er war immer sehr mitgenommen, wenn wieder viele Menschen durch Voldemort ums Leben gekommen waren. Irgendwann hatte man ihm den Posten in Hogwarts angeboten und er nahm an, weil er das unorganisierte Ministerium einfach nicht mehr ertragen konnte. Er hatte damals schon geahnt, dass es dunkle Zeiten geben würde. Dass sie nach dem Tod von Lilly und James Potter allerdings nur aufgeschoben waren, damit hatte wohl niemand gerechnet. Auch er nicht." Sie versuchte Snape vorsichtig auf die Seite zu drehen, um ein Tuch, das mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit getränkt war, unter seinen Rücken zu legen. Sie bereitete die Heilung der Milz vor. Er atmete scharf durch die Nase ein. Vorsichtig legte sie ihn wieder auf den Rücken.
"Er kam in meinem letzten Jahr in Eternia zu mir und bot mir die Stelle hier an. Ich hielt eine Schule eigentlich erst für ziemlich langweilig. Aufgeschürfte Knie, Knochenbrüche, vielleicht mal ein Blinddarm. Ich sagte ihm jedoch zu, weil er mich so inständig bat. Die Möglichkeit, woanders hinzugehen, hatte ich ja jederzeit. Aber die Vergangenheit hat mich gelehrt, dass meine Befürchtungen unbegründet waren. Langweilig war es hier noch nie", schloss sie lächelnd, während sie auf Snapes Oberkörper im Bereich der Milz zwei Ketten zu einem Pentakel anordnete. Gleich war sie mit den Vorbereitungen fertig. Jetzt kam das Schlimmste für Snape. Hochkonzentriert beschwor sie die beiden Ketten. Die Ketten begannen, sich an Snape zu heften, als würden sie versuchen, sich mit ihm zu verschmelzen. Sie wurden steif und bildeten das Pentakel zu einer echten geometrischen Figur aus. An den Pentakelecken begannen die Ketten zu glühen. Ein hellblauer Energiestrahl bildete sich an jeder Ecke und die einzelnen Strahlen vereinten sich ungefähr fünf Zentimeter über dem Pentakel genau in der Mitte zu einem einzigen, gleißenden weißen Strahl, der direkt zurück auf die Stelle geworfen wurde, wo die Milz saß. Als dieser Mittelstrahl auf Snapes Haut traf, krallte er vor Schmerz die Hände in die Laken und bog den Kopf zurück und schrie. Er hatte das Gefühl, man würde ihn immer wieder an der gleichen Stelle mit einem langen, stumpfen, glühenden Degen durchbohren. Madam Pomfrey konnte sich nur andeutungsweise vorstellen, welche Schmerzwellen jetzt durch seinen Körper rasten. Sie hielt ihn mit aller Kraft fest, als er sich aufbäumte. Sie trocknete seine Stirn vom Schweiß und kühlte sie zwischendurch. Ab und zu liefen dünne Blutfäden aus seinem Mund. Er musste sich auf die Zunge gebissen haben vor Schmerzen. Das war später jedoch schnell zu beheben. Poppy dachte einen kurzen Augenblick sehnsüchtig, dass der Schmerz doch endlich nachließe. Dann würde der Heilungsprozess einsetzen und er würde endlich aufhören, so gequält zu schreien. Sie hasste es, wenn ihre Patienten solche Qualen auszustehen hatten und sie absolut nichts dagegen tun konnte. Nach einer Stunde begann er ruhiger zu werden. Das Schlimmste hatte er jetzt hinter sich. Der Energiestrahl in dem Pentakel wurde immer schwächer und verlosch schließlich ganz. Die Ketten erschlafften auf seinem Körper und die Heilerin nahm sie wieder an sich. Sie wusste, dass die gesamte heilende Energie jetzt in seinen Körper geleitet war und dort weiterarbeiten würde.
Poppy war völlig erschöpft und nassgeschwitzt. Das war schwere körperliche Arbeit. Auch Snape war vollkommen ausgepumpt. Er schlief trotz der Schmerzen ein. Ab und zu warf er den Kopf noch hin und her, aber ansonsten hörte man nur an seinem unregelmäßigen, heftigen Atem und Stöhnen, dass er noch Schmerzen hatte.
***
Cassy wartete wie verabredet vor ihrem Appartement auf Professor Snape. Als dieser nicht kam, wurde sie unruhig und ging in sein Büro, wobei sie die Trickstufe genau im Auge behielt. Aber auch da war er nicht. Dann ging sie zu Dumbledore.
Der war gerade im Aufbruch. "Ich, äh, muss auf die Krankenstation. Ihr Treffen mit Professor Snape fällt heute aus."
"Er wurde wieder verletzt, nicht wahr?", fragte Cassy.
"Ich weiß es noch nicht", wich Dumbledore ihr aus. Er wollte nicht, dass Cassy schon wieder eingeweiht wurde. Nicht einmal seine nahestehendsten Lehrkräfte kannten alle Geheimnisse. Es beschränkte sich auf wenige Vertraute.
"Sagen Sie mir nachher Bescheid?", bat Cassy ihn. Sie wusste genau, was los war, er hatte zu lange mit seiner Antwort gezögert und sein Gesicht war von Sorgenfalten durchzogen. Seine Bewegungen waren leicht fahrig. Sie wollte den alten Magier aber nicht mit Fragen quälen. Er nickte und machte sich auf den Weg. Dumbledore wusste, dass er Cassy nichts vormachen konnte. Das hatte er an ihrem Gesicht gesehen.
Später bekam Cassy von Dobby eine kurze Notiz. "Prof. Snape darf ab morgen besucht werden. A. Dumbledore"
Morgen würde sie nach ihm sehen.
***
Cassy stand vor seinem Bett und wollte schon wieder leise gehen, als er die Augen öffnete und sie ansah. Sie lächelte und wollte etwas sagen, aber sie brachte kein Wort heraus. Seine schwarzen Augen zogen ihren Blick magnetisch an. Ihr Gesichtsfeld engte sich ein wie beim Tunnelblick. Sie stürzte einfach ab in diese bodenlose Tiefe. Sie sah nur noch seine schwarzen Augen, bei denen eine Abgrenzung zwischen Pupille und Iris nicht auszumachen war.
"Gibt es einen besonderen Grund, dass Sie mich so anstarren? Wenn nein, wäre ich Ihnen dankbar wenn Sie wieder gehen würden", flüsterte er erschöpft.
Cassy wurde rot. "Wie geht es Ihnen?"
"Es ginge mir besser, wenn ich mich nicht wie im Zoo fühlen würde."
"Also anscheinend geht es Ihnen besser", gab Cassy freundlich zurück.
Dann schloss er die Augen. Er ignorierte sie einfach wieder. Cassy trat noch einen Schritt näher an das Bett heran. Seine Hände lagen neben ihm auf der Bettdecke. Er hatte schlanke, sensible Hände mit langen Fingern. Schöne Hände, empfand Cassy in einer aufblitzenden Wahrnehmung. Gerade hatte sie die Hand gehoben, um kurz über seinen Handrücken zu streicheln und sich zu verabschieden, da öffnete er die Augen wieder. Er deutete ihre Geste richtig. Aber alleine der Gedanke, dass diese Frau ihn berühren würde, brachte ihn auf.
"Tun Sie es nicht", zischte er sie an.
Cassy wich erschrocken einen Schritt zurück und senkte die Hand wieder. Es war ihr unangenehm, dass sie überhaupt gekommen war. Er zeigte ihr seine Abneigung so offensichtlich, dass sie sich wie ein naiver Bauerntrampel vorkam, weil sie dachte, er würde sich über Gesellschaft ein wenig freuen. Über Gesellschaft wohl ja, aber augenscheinlich nicht über ihre.
Zu seiner Befriedigung konnte er in ihrem Gesicht Verwirrung und Ratlosigkeit lesen. Hoffentlich hatte sie es bald kapiert, dass er sie nicht in seiner Nähe haben wollte.
"Es tut mir Leid. Ich wollte Sie nicht belästigen", sagte Cassy leise. "Ich hoffe, Sie kommen bald wieder auf die Beine." Dann ging sie. Auf dem Weg zu ihrer Unterkunft konnte sie nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. Was hatte sie sich im Keller bei ihren Freunden gedacht, als sie unbedingt hier her wollte. Sicher. Sie hatte einen unbändigen Hass auf die Drahtzieher dieses feigen Mordes, aber ehrlich gesagt, waren die beiden nicht der einzige Anlass. Der zweite Anlass lag in dem Krankenbett ein Stockwerk über ihr und behandelte sie, als hätte sie die Pest.
Severus schloss die Augen wieder und während er darüber nachdachte, warum diese Frau sich dafür interessierte, wie es ihm ging, schlief er wieder ein. Aber wieder war es sein Unterbewusstsein, das sehr wohl registrierte, dass er Cassy so wichtig war, dass sie ihn besucht hatte. Es registrierte auch, dass sie ihn berühren wollte. Eine freundschaftliche oder zärtliche körperliche Berührung hatte er seit Jahren nicht mehr erfahren. Eine solche Berührung wühlte Gefühle in ihm auf, die er nicht wieder spüren wollte. Sie waren zu schmerzhaft. Deshalb wurde Cassy's Initiative vorerst sorgsam von seinem Unterbewusstsein weggeschlossen.
Cassy ging dann doch nicht in ihr Appartement, sondern schlenderte zum See.
Dort saß bereits eine schlanke Gestalt in T-Shirt und Jeans am Ufer. Es war Remus Lupin. Er warf Steine in den See und ab und an kam ein Stein zurückgeflogen. "Hallo Professor Lupin", rief sie und winkte. Er winkte freundlich zurück und gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie sich neben ihn setzen solle. Gerade als sie sich nieder ließ und er einen Moment nicht aufpasste, warf ihm der Krake aus dem See einen kleinen Stein an den Kopf. "Autsch. Blödes Vieh", sagte er leise und rieb sich die Stelle, wo der Stein ihn getroffen hatte.
"Was war das?"
"Unser Riesenkrake. Er lebt schon seit Äonen in diesem See. Neben noch einigen anderen fabelhaften Wesen." Als sie über das Schlossgelände gelaufen war, hatte sie den Kraken nicht gesehen. "Er ist freundlich und wenn ich am Ufer sitze, spiele ich oft mit ihm. Ich werfe einen Stein in seine Nähe und wenn er ihn fängt, wirft er ihn zurück." Er rieb noch einmal die Stelle an seinem Kopf. "Man muss halt aufpassen, denn er spielt mit allen Tricks." Mit diesen Worten schüttelte er lachend die geballte Faust in Richtung des Wassers, wo er den Kraken vermutete. Daraufhin kamen zwei riesige Fangarme aus der Tiefe und bildeten ein Herz. Remus lachte. "Er hat auch einen ausgeprägten Sinn für Humor", sagte er kopfschüttelnd.
Cassy hatte gerade beschlossen, dass sie im See nicht baden würde ...
"Wie geht es Severus? Sie waren doch heute bei ihm, nicht wahr?" Nachrichten schienen sich in Hogwarts genau so schnell zu verbreiten, wie der Tratsch in ihrer früheren Firma, dachte Cassy für sich.
"Besser", gab sie einsilbig zur Antwort. Dabei starrte sie mit verkniffenem Gesicht auf den See. Remus Lupin kannte Severus Snape schon so lange, dass er keine große Vorstellungskraft brauchte, um sich auszumalen, was im Krankenzimmer passiert war.
"Wollen Sie es mir erzählen?" Cassy berichtete es ihm. Sie ließ auch die Stelle nicht aus, an der sie über seine Hand streicheln wollte.
"Wissen Sie, Mr. Lupin ..."
"Remus." Sie blickte ihn fragend an. "Bitte, nennen Sie mich Remus." Sie lächelte wieder. "Cassy."
"Bitte, erzählen Sie weiter, Cassy", forderte Remus sie auf.
"Wenn jemand krank ist ... Nein. Ich muss anders beginnen. Als er dort so lag ... Nein. Das ist auch nicht, was ich sagen wollte. Also, ich habe eigentlich gar nicht darüber nachgedacht, als ich das tun wollte. Es war eine unbedachte Reaktion. Ich hatte wohl einfach gehofft, dass ihn die Berührung tröstet und ihm zeigt, dass es jemanden gibt, der sich Sorgen um ihn macht." Sie seufzte.
"Ich weiß, was Sie meinen. Aber für ihn ist das alles schwierig zu verarbeiten." "Was ist daran schwierig, Trost von Anderen zu empfangen?"
Jetzt seufzte Remus. "Lernen Sie ihn einfach besser kennen. Ich kann es Ihnen nicht erklären. Es ist besser, wenn Sie sich Ihr eigenes Bild von ihm machen."
Sie schaute in Remus' freundliches Gesicht und nickte. Dann sah sie wieder auf den See, wo der riesige Krake gerade in der Sonne trieb, eigentlich buchstäblich auf dem Wasser herumfläzte.
Remus sah sie von der Seite an und fühlte ein angenehmes Kribbeln in der Magengegend. Sie war wirklich eine interessante Frau. Die graublauen Augen und dieser sinnliche Mund waren umwerfend. Wenn sie lachte, lachte das ganze Gesicht mit. Ihn beeindruckte ihre Art, wie sie mit Menschen umging. Severus war dumm, dass er nicht merkte, welche Sensibilität von ihr ausging. Er legte ihr behutsam - tröstend - die Hand auf die Schulter. "Kommen Sie. Es gibt gleich Abendessen." Dann stand er auf und half Cassy auf die Füße. Sie gingen scherzend zum Schloss zurück.
Irgendwo oben im ersten Stock stand eine blasse, schwarzhaarige Gestalt am Fenster und sah den beiden zu. Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte sich die Gestalt, sie wäre jetzt dort unten am See. Dann zog sie sich in ihr Bett zurück und schlief. Wenn sie schlief, musste sie nicht nachdenken.
***
Als Cassy diesen Abend vor dem Kamin saß, dachte sie noch einmal an Severus. An seine schwarzen Augen. Ein angenehmes Ziehen schlich durch ihren Bauch. Sie war abgestürzt in unglaublich schöne geheimnisvolle schwarze Augen. Der Fall war so tief, dass noch immer kein Aufprall zu spüren war. Beeindruckende schwarze Augen. Aber egal wie boshaft oder zynisch sie glitzerten. Es war etwas in ihnen, was Cassy nicht einordnen konnte, was nicht zu seinem ganzen Gebaren passte.
Dann wurde es ihr bewusst. Seine Augen spiegelten immerwährend wider, was sie auf seinem ganzen Gesicht gesehen hatte, als er Ellen töten musste. Es waren Schmerz, Sensibilität, Verbitterung, Leidenschaft. Es war eine wunde, eine verletzte Seele, die durch die beiden schwarzen Fenster wie durch die Gitter eines Gefängnisses nach außen blickten. Diese sensible Seele war eingesperrt, eingeengt, behindert in ihrer Bewegungsfreiheit. Sie wollte frei sein. Da war auch Kraft zu spüren. Diese Kraft versuchte, die Seele zu beschützen. Aber diese Kraft war nicht unerschöpflich.
Cassy starrte in den Kamin. Welche Gedanken überkamen sie da? Snape war unerträglich arrogant, boshaft, zynisch. Er war psychisch sadistisch gegen andere.
Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie diese anstrengenden Gedanken wie Wassertropfen aus ihrem Kopf schütteln. Dann ging sie ins Bett.
***
Sie schlief sehr unruhig. Es war ein seltsamer Traum, der sie beschäftigte. Sie stand auf einer Ebene, die endlos anmutete. Sie drehte sich im Kreis, aber wo sie hinblickte, war Horizont. Es gab keine Konturen. Keine Landschaft. Nur ebene Fläche. Überall wallte Dunst. Sie stand in dieser Ebene und wusste nicht, was sie hier sollte. Da tauchte in der Ferne eine Gestalt im Nebel auf und kam auf sie zu. Zuerst war sie nicht zu erkennen, sehr undeutlich. Beim Näherkommen wusste sie, wer es war. Es war Severus Snape. Sie lief auf ihn zu, wollte ihn begrüßen. Aber als er sie sah, blieb er stehen. Er begann sich zu entfernen. Es war keine Bewegung zu sehen. Er glitt einfach weg, während er sie anschaute mit einem ausdruckslosen Gesicht. Und je schneller sie auf ihn zulief, desto schneller und weiter entfernte er sich von ihr. Irgendwann war sie so außer Atem, dass sie anhielt. Noch immer konnte sie ihn sehen. Aber er war so weit entfernt, dass sie nur noch seine Konturen in dem Nebel ausmachen konnte. Sie versuchte Atem zu schöpfen und während sie stand, merkte sie, dass Severus wieder näher kam. Ganz langsam. Sie wartete. Es dauerte eine endlose Zeit, bis er direkt vor ihr stand. Jede Einzelheit an dieser Gestalt war für sie so greifbar, als würde er leibhaftig vor ihr stehen. Er sah sie noch immer mit diesem ausdruckslosen Gesicht an. Es gab keine Geräusche. Die Stille war unheimlich. Sie schaute ihn an und wollte ihn ansprechen, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Als sie die Hand nach ihm ausstrecken wollte, verschwand er.
Cassy wachte auf. Es war sowieso fast Zeit zum Aufstehen. Also setzte sie sich mit der warmen Decke in einen der riesigen Ohrensessel und dachte über ihren Traum nach.
Sie durfte ihn nicht bedrängen. Sie musste ihn kommen lassen. Das war die Botschaft ihres Traumes. Hatte sie ihn bedrängt. Ja. Sie hatte. Warum war sie zu ihm in den Krankenflügel gegangen, wo sie doch genau wusste, dass sie ihn anders kannte, als er sie. Sie musste endlich beginnen, ihn wie einen Fremden zu behandeln. Es war ihr eigener Wunsch gewesen, dass er nichts von ihr wissen sollte. Aber sie hatte mit seiner offensichtlichen Abneigung und Aggressivität nicht gerechnet. In Zukunft würde sie versuchen, sensibler mit ihm umzugehen.
Mit diesem Vorsatz stand sie auf und machte sich in Ruhe für den neuen Tag fertig.
