Das Schuljahr beginnt
Die große Halle wurde umdekoriert. Das Ende der Ferien war da. Für Cassy begann der Countdown zu ihrer ersten Schulstunde zwischen jungen Zauberern und Hexen. Um sie herum war reges Treiben und da sie sich nicht so unnütz fühlen wollte, ging sie in die Große Halle, um ihre Hilfe anzubieten. Professor McGonagall sah sie etwas mitleidig an. "Sie brauchen uns nicht zu helfen", sagte sie. Sie war gerade dabei, mit ihrem Zauberstab eine neue Sitzordnung herzustellen. Sie dirigierte die Möbel so lange durch die Halle, bis sie mit einem zufriedenen "So" alles noch einmal kritisch überprüfte. Jetzt standen die Lehrertische in einer Reihe auf dem Podest nebeneinander und je ein Tisch war am Ende um die Ecke gestellt.
"Die Sitzplätze werden von Professor Dumbledore festgelegt", erklärte sie Cassy. "Den zugewiesenen Platz behält man das ganze Jahr." Die Halle sah jetzt irgendwie steif und sehr feierlich aus. Fühlten sich Schüler hier wirklich wohl? Dann winkte McGonagall noch einmal mit dem Zauberstab und über den vier Tischreihen für die einzelnen Häuser erschienen mit einem flappenden Geräusch die vier Wappen der Häuser auf kunstvoll bestickten Fahnen.
Snape kam gerade in die Halle und sagte freundlich: "Hallo Minerva! Sie sind schon fertig? Das ging dieses Jahr aber schnell."
McGonagall sah ihn mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck an und meinte: "Dieses Jahr war auch niemand da, der mir permanent dazwischengefahren ist und die Tische schwindlig gedreht hat." Snapes Gesicht nahm ein leichtes Lächeln an. Er hatte sich letztes Jahr einen Spaß daraus gemacht, die Tische immer wieder zu drehen und zu verstellen. Zum Schluss war er gerade so einer Zauberstabattacke entkommen. Minerva war so außer sich vor Zorn, dass sie ihn in einen Fußabtreter verwandeln wollte. Als sie ihn nicht treffen konnte, hatte sie ihn angebrüllt, und gefragt, ob sein wirklich kindisches Verhalten daher rührte, dass er sich einmal quer durch seine Zaubertrankflaschen gesoffen hätte - sie hatte wirklich 'gesoffen' gesagt! - oder ob er einfach nur sturzbetrunken wäre. Daraufhin war Snape beleidigt in seinen Keller abgezogen.
"Ja. Ich bin leider zu spät", antwortete er ironisch bedauernd. McGonagall schenkte ihm noch einen Blick und man konnte sehen, dass sie dachte: aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben und dass der Fußabtreter für sie durchaus noch ein schnell zu realisierendes Thema wäre. Sie war gerade im Begriff die Halle zu verlassen, als sie sich in der Hälfte noch einmal umdrehte und mit eisiger Stimme sagte: "Wagen Sie es ja nicht, wenn ich die Halle verlassen habe ...", und machte eine umfassende Handbewegung über den Raum. Snape grinste immer noch schadenfroh. Dann fiel sein Blick auf Cassy und das Grinsen erstarb in seinem Gesicht.
"Professor Dumbledore meinte, es wäre eine gute Idee, wenn ich Sie zum Bahnhof nach Hogsmeade begleite und wir gemeinsam mit den Erstklässlern über den See fahren würden, damit Sie einen Eindruck bekommen, wie für die Schüler der Beginn an unserer Schule aussieht." Für wie gut er diese Idee hielt, konnte sie an seinem Ton hören. Er sprach es aus, als hätte Dumbledore ihm aufgetragen, die Eulerei zu säubern.
Sie trafen sich am nächsten Tag zur vereinbarten Zeit und gingen mit Hagrid zusammen zum Bahnhof. Er war dafür zuständig, jedes Jahr die Schüler abzuholen und fuhr mit den Erstklässlern über den See. Für die älteren Schüler standen pferdelose Kutschen bereit, die sie zum Schloss brachten. Snape fragte sich, warum er eigentlich mitkommen musste. Hagrid hätte gereicht. Aber Dumbledore hatte da so seinen eigenen Kopf.
Sie hörte das Zischen und Fauchen der alten Lokomotive schon von weitem. Die schwarze Qualmfahne aus dem Ofen der Lok stand zäh in der Luft und verflüchtigte sich nur langsam. Dann lief der Zug in den Bahnhof ein und tutete einige Male. Die Türen öffneten sich und die Schüler quollen aus den Waggons. Hermine, Harry und Ron hatten sie wiedererkannt und freundlich gegrüßt.
Dann war sie mit Snape, Hagrid und den Erstklässlern zum See gegangen. Hagrid verteilte die Schüler auf die kleinen Boote, die am Ufer dümpelten. Hagrid kam zu ihr und bat sie, in ein Boot mit noch zwei weiteren Erstklässlern einzusteigen. Snape stand die ganze Zeit mit verschränkten Armen hinter ihr und hatte kein Wort gesprochen. Hagrid sah ihn kurz an und als er keine Anstalten machte, Cassy in das schaukelnde Boot zu helfen, bot er ihr seine überdimensionale Hand an, die Cassy gerne annahm. Hoffentlich setzte sich Hagrid nicht auch noch mit in das kleine Schiffchen, dachte Cassy ängstlich. Aber der große Mann hatte ein Boot für sich.
"Was ist mit Ihnen?", fragte sie Snape. Der schüttelte den Kopf und sagte: "Ich warte auf der anderen Seite auf Sie." Damit drehte er sich um und verschwand zu einer der pferdelosen Kutschen.
Die Fahrt über den See war gespenstig. In der Abenddämmerung hatte er nicht mehr die freundliche blaue Farbe, die ihm tagsüber zu eigen war. Er schimmerte tiefschwarz und unheimlich. Sie war froh, dass sie über den Kraken Bescheid wusste. Sonst wäre sie wahrscheinlich vor Schreck über Bord gegangen, als das riesige Tier kurz in eines der Boote hineinlangte und suchend auf dem Boden herumtastete. Sie hörte die quietschenden Schreie der Kinder und dann ihr befreites Auflachen, als die Arme wieder verschwanden. Dann waren sie auf der anderen Seite angekommen. Snape war schon da, machte aber wieder keine Anstalten, ihr aus dem Boot zu helfen. Wenn sie hier unterrichten wollte, dann musste sie auch alleine Boot fahren können, dachte er gehässig. Hagrid half ihr wieder heraus. "Gott sei Dank, bin ich nicht in den See gefallen", sagte sie mehr zu sich selbst, als sie mit unsicheren Schritten im Kampf mit ihrer Robe aus der kleinen Nussschale ausstieg. Snape hatte es gehört und sie konnte auf seinem Gesicht ablesen, dass er genau das zutiefst bedauerte.
Cassy hatte den Ausflug nach Hogsmeade genossen. Entgegen den Hoffnungen von Professor Snape, war sie sehr glücklich, dass sie mit den Schülern diese Tour machen und mit ihnen nach Hogwarts laufen konnte. Die Neugier und die Erwartungen in den Gesprächsfetzen, die sie aufschnappte, übertrugen sich auf sie und sie war fast genauso aufgeregt, als sie in die Große Halle kam, wie die Schüler. Sie freute sich auf das kommende Schuljahr.
***
In Dumbledores Sitzordnung saß sie zwischen Snape und Remus. Ersterer hatte einen solch säuerlichen Gesichtsausdruck bekommen, als Dumbledore die Sitzordnung bekannt gab, dass Remus sich wegdrehen musste, damit Snape sein Lachen nicht sehen konnte. Snape's Mienenspiel nach war es eine für ihn unverdiente Ganzjahresfolter, dass Cassy neben ihm saß - nein - dass er neben Cassy sitzen musste. Remus hingegen war glücklich über die Sitzordnung.
Dann hatte der Schulleiter die Ankündigungen für das Schuljahr verlesen. Remus und Cassy wurden vorgestellt. Während bei Remus fast alle stürmisch klatschten und er sich mit einem zufriedenen Gesicht und einer grüßenden Geste bedankte, war die Reaktion auf Cassy eine andere. Als Dumbledore den Schülern mitteilte, dass Cassy keine Hexe sei, ging ein Raunen und Flüstern ging durch die Reihen. Viele der Schüler waren erstaunt, aber vor allem am Slytherin-Tisch sah sie in vielen Gesichtern Abneigung und sogar Hass. Sie wusste, dass bei diesem Haus die Meinung besonders ausgeprägt war, dass Muggel nichts in der Magierwelt verloren hatten. So bekam sie fast keinen Beifall. Cassy würde ihnen schon zeigen, dass auch eine Muggel guten Unterricht abhalten konnte. Die Schüler hatten Muggelkunde auch als Prüfungsfach und sie war kompetent für diese Aufgabe. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihre Schüler erfolgreich zu den Prüfungen zu führen.
Dann kam die Auswahl mit dem sprechenden Hut. Remus hatte Cassy das Vorgehen erklärt und als sie den alten Hut sah, hatte sie ungefähr den gleichen Ausdruck auf dem Gesicht wie damals, als Dumbledore mit dem alten Socken vor ihr stand. Als der erste Schüler den Hut aufsetzte und dieser nach einer Weile laut "Hufflepuff" rief, fuhr sie ziemlich zusammen. Remus und Snape grinsten. Der eine amüsiert, der andere schadenfroh. Cassy sah die Erwartung in den Augen der einzelnen Schüler und fieberte mit, wer wohin kam, obwohl sie keine Ahnung hatte, nach welchen Kriterien der Hut die Schüler verteilte. Mal brauchte er eine längere Zeit, ein anderes Mal entschied er sich sehr spontan, wer wohin kam. Dieses Jahr hatte Slytherin ganz eindeutig die Nase vorne und von der Seite konnte sie Snapes zufriedenes Gesicht sehen. Allerdings hielt auch dieser Abend für sie einen kleinen Schreck bereit. Sie lernte die Hausgeister der vier Häuser kennen. Als der Hausgeist von Gryffindor zu ihr kam und ihr zeigte, warum er der "fast kopflose Nick" hieß, hätte sie sich fast übergeben. Er klappte seinen Kopf zur Seite und Cassy konnte in dem Nebel noch immer ausmachen, was sich so im Inneren eines Halbgeköpften befand. Remus schimpfte mit Sir Nick und der entschuldigte sich mehrfach bei ihr. Severus hatte wieder mal seinen Spaß.
Nach dem Essen, als die Schüler in ihre Türme geführt wurden, ging Cassy in ihr Appartement. Remus hatte sie noch ein Stück begleitet und wünschte ihr viel Glück für den nächsten Tag.
Das konnte sie brauchen. Sie war sehr aufgeregt. Sie war zwar erst seit wenigen Tagen in Hogwarts, aber sie hatte das Gefühl, dass sie schon monatelang hier war. So viel war in dieser kurzen Zeit passiert.
Sie beschloss ihrer Mutter einen langen Brief zu schreiben und ihr zu erzählen, wie die ersten Tage gelaufen waren. Es war sehr schwierig, da sie die Erlebnisse mit den magischen Dingen nicht schreiben konnte. Auch den schwarzhaarigen, schlanken Mann mit den unergründlichen Augen ließ sie in diesem ersten Brief aus. Zum Schluss bestand der Brief fast nur aus einer Landschaftsbeschreibung und einer vagen Charakterisierung ihrer neuen Kollegen.
***
Als Cassy zu ihrem Unterrichtsraum kam, waren die Fünftklässler schon vollzählig da. Sie sah die Neugier auf ihren Gesichtern.
"Hallo zusammen! Es wurde zwar in der Großen Halle schon gesagt, aber ich möchte mich trotzdem noch einmal vorstellen. Mein Name ist Cassy Parker. Ich freue mich, euch ein Jahr lang mit Allem bekannt zu machen, was uns Muggeln das tägliche Leben mehr oder weniger erleichtert", begrüßte Cassy die Klasse freundlich.
"Als erstes möchte ich die Anwesenheitsliste durchgehen, damit ich den Namen auch Ihre Gesichter zuordnen kann." Dann zog sie das Namens- Pergament, das Dumbledore ihr gegeben hatte, hervor und las die Namen nacheinander vor. Jeder Schüler meldete sich mit einem "Hier" und Cassy schaute ihn kurz aufmerksam an, um sich sein Gesicht einzuprägen.
"Draco Malfoy?" Der hatte jedoch keine Lust zu antworten und hatte sich auf seinem Stuhl kippelnd zurückgelegt. Er sah sie an. Da aber die ganze Klasse sie ansah, wusste sie nicht, welcher Malfoy war. Sie wiederholte noch einmal "Draco Malfoy?", und blickte sich irritiert in der Klasse um. Dann sah sie die kurze Bewegung als Goyle Malfoy eins in die Rippen gab, damit er sich meldete. Der warf ihm einen zerstörerischen Blick zu, worauf Goyle ein wenig zusammensank.
"Sie sind also Draco Malfoy?", fragte Cassy noch immer freundlich mit Blick auf den hellblonden Jungen mit den wasserblauen Augen und der spitzen Nase. Aber er gab ihr auch jetzt keine Antwort. Das fing ja gut an. Sie ignorierte ihn und machte einen Kringel hinter seinen Namen auf das Pergament. Sie hatte achtzehn Namen und achtzehn Schüler waren anwesend. Der, der übrig blieb, war logischerweise Malfoy. Und genau so war es dann auch.
"Was kann uns eine Muggel schon beibringen?" zischte Malfoy höhnisch seinem Nachbarn Crabbe unüberhörbar zu. Der verstand die Frage offensichtlich nicht und grinste lieber leicht blöde, bevor er sich einen Rüffel von Malfoy einhandelte. Cassy überhörte den Einwurf und begann ihren Unterricht.
"Ihr werdet nicht auf Pergament schreiben, sondern ich habe euch Schulhefte mitgebracht, wie wir sie benutzen. Auch eure Federn braucht ihr nicht. Ihr werdet mit Bleistiften schreiben. Außerdem habe ich für jeden von euch zwei Bücher hier, mit denen wir arbeiten werden. Ich möchte euch so realistisch wie möglich unterrichten. Wer von euch kennt sich bereits mit Muggelsachen aus?"
Bei den Schülern, die jetzt die Hand hoben, war auch Hermine Granger.
"Ok. Damit ihr euch nicht langweilt, werde ich euch andere Aufgaben geben," erklärte Cassy den "Fortgeschrittenen". "Jetzt verteilen wir erst einmal die Hefte, Bücher und Bleistifte. Schreibt bitte euren Namen und euer Haus auf die Sachen."
Die Schüler kicherten, weil sich die Fotos in den Muggel-Büchern nicht bewegten und hatten die ein oder andere Bemerkung zu machen, aber der Rest des Unterrichtes verlief problemlos. Das heutige Thema war: Wie versende ich einen Brief? Wie bekomme ich heraus, wie viel so ein Brief kostet? Wie kommen die Briefe zu mir nach Hause? Und eben noch einige andere Themen rund um die Post. Es gab immer wieder etwas zu lachen und alles in allem war Cassy am Ende des Unterrichts erleichtert und auch zufrieden, dass das von ihr ausgearbeitete Material bequem in die Stunde gepasst hatte.
"Als Hausaufgabe schreibt ihr mir noch einmal auf, was beim Briefe versenden beachtet werden muss. Die Fortgeschrittenen unter euch - und dabei sah sie Hermine, Harry und die anderen an - reichen mir einen Aufsatz herein mit dem Thema 'Muggelpost und Magierpost - Vor- und Nachteile'." "Und Sie Mr. Malfoy," wandte sie sich an Draco, "werden mir einen zusätzlichen Aufsatz schreiben mit dem Thema: 'Berufsbeschreibung eines Briefträgers'."
Draco Malfoy, der den gesamten Unterricht provozierend mit seinen Füßen auf dem Tisch in seinem Stuhl gelümmelt hatte, zeigte sich keineswegs beeindruckt und meinte: "Von Ihnen lasse ich mir keine Zusatzaufgaben geben. Sie sind eine ..."
"Malfoy! Passen Sie genau auf, was Sie jetzt sagen, denn zehn Punkte Abzug für Slytherin haben Sie für Ihr Haus schon verdient mit Ihrem wirklich kooperativen Verhalten!", warnte Cassy ihn, wobei sie 'verdient' und 'kooperatives Verhalten' sehr zynisch betonte.
Malfoy stockte einen Moment, dann grinste er gehässig und sagte: "Sie können uns keine Punkte abziehen. Das können nur Magier. Also, was soll die leere Drohung?"
Die anderen Schüler sahen dieser Auseinandersetzung atemlos zu. Keiner wollte jetzt aufstehen und gehen. Cassy ging durch die Stuhlreihen langsam auf Draco zu. Sie hatte einen Gesichtsausdruck angenommen, der dem Snapes nicht unähnlich war, wenn ein mittleres Gewitter bevorstand. Von diesem Rotzlöffel würde sie sich nicht direkt am ersten Tag die Laune verderben lassen. Ihre Autorität stand hier und jetzt auf dem Spiel. Wenn sie verlor, würde sie den Rest des Jahres nichts mehr zu lachen haben. Sie beugte sich zu ihm hinunter, sah ihm mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen direkt in seine wasserblauben Augen und sagte: "Wollen Sie es wirklich darauf ankommen lassen, ob ich das kann, Mr. Malfoy? Sie spielen mit den Punkten Ihrer Klassenkameraden. Finden Sie das nicht unfair denen gegenüber, die die Punkte verdienen?"
Draco fühlte sich in dieser Situation gar nicht wohl. Er würde im Gemeinschaftsraum der Slytherins zumindest von den älteren Kameraden schön etwas zu hören bekommen. Außerdem verunsicherte ihn Cassy's selbstbewusstes Auftreten. Andererseits würde er das Gesicht verlieren, wenn er jetzt nachgab. Dann setzte sich seine Erziehung durch: "Sie können mir gar nichts. Ich werde meinem Vater eine Eule schicken und Sie sind schneller hier weg, als Sie sich umdrehen können. Von einem minderwertigen Geschöpf lasse ich mir schon gar nichts sagen."
"Fünfzehn Punkte Abzug für Slytherin," sagte Cassy ungerührt.
"Und Ihre Zusatzaufgaben werde ich auch nicht machen."
"Zwanzig Punkte Abzug für Slytherin," ergänzte Cassy.
"Jetzt gib' endlich Ruhe, Draco," blaffte ihn Pansy Parkinson an. "Wir sind noch nie mit einem Minus ins neue Schuljahr gestartet. Wie sollen wir das so schnell wieder aufholen." Mit einem finsteren Blick sah sie Cassy an und stand auf. "Ich gehe jetzt auf jeden Fall zum Mittagessen."
Damit war die Vorstellung beendet. Die Schüler packten ihre Sachen zusammen und gingen in kleinen Grüppchen über den Vorfall diskutierend zum Essen.
Draco verließ als letzter den Klassenraum. In der Tür drehte er sich herum und sah Cassy noch einmal zornig an. Er hob einen Zeigefinger an sein linkes Auge und verdeutlichte ihr mit diesem Handzeichen "Pass auf". Dann verließ er den Klassenraum.
Cassy setzte sich an ihren Schreibtisch. Hatte sie nun einen Sieg errungen oder gab es hier eine Pattsituation? Verloren hatte sie nicht. Dafür hatte schon Pansy gesorgt, die das Duell vorzeitig beendet hatte. Cassy wollte Malfoy im Auge behalten. Ob die Drohung mit seinem Vater ernst zu nehmen war, wollte sie Dumbledore nach dem Abendessen fragen.
Sie seufzte, freute sich über den dennoch gelungenen Unterricht und packte ihre Sachen zusammen.
"Na? Erste Stunde gut überstanden?" Remus stand lächelnd in der Tür. Cassy nickte und sagte: "Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Was machen Sie hier?"
"Ich bin auf dem Weg zum Mittagessen und wollte Sie mitnehmen. Haben Sie Hunger?"
"Wie ein Wolf," gab Cassy zur Antwort und registrierte mehr nebenbei das kurze Aufflackern auf Lupins Gesicht.
In der großen Halle angekommen, half Remus Cassy mit dem Stuhl. Das Mittagessen hatte bereits begonnen.
"Ich wünsche guten Appetit," sagte Cassy freundlich, als sie an Snape vorbei auf ihren Platz ging. Er sah sie kurz mit einem Blick an, der keinen Zweifel daran ließ, dass genau dieser ihm gerade gründlich vergangen war und aß dann schweigend weiter.
"Kann ich Sie nach dem Essen kurz sprechen?" fragte Cassy. "Nein, können Sie nicht. Wenn Sie etwas von mir wollen, dann kommen Sie zu einer vereinbarten Zeit in mein Büro," knurrte Snape über seinem Essen.
Cassy ignorierte die Aggression und fragte hartnäckig: "Wann darf ich Sie aufsuchen?" Als er merkte, dass sie doch nicht locker lassen würde, vereinbarte er mit ihr ein Gespräch nach dem Abendessen.
***
Als Cassy nach dem Abendessen in Snapes Büro ging, war ihr nicht so wohl. Sie hatte allerdings auch nie gedacht, dass alles hier in Hogwarts einfach werden würde.
Sie klopfte und trat auf ein von drinnen geknurrtes 'Herein' in das Büro. Professor Snape saß an seinem Schreibtisch und schaute sie unter zusammengezogenen Augenbrauen heraus düster an. "Was gibt es?", fragte er unwirsch.
"Ich möchte, dass Sie Slytherin zwanzig Punkte abziehen." Snape's düstere Miene begann in ein Grinsen überzugehen und er meinte. "Ich werde es mir notieren. War es das?"
"Nein, nicht ganz", fuhr Cassy mutig fort. Sein Gesichtsausdruck wurde arrogant.
"Nun?", fragte er in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, dass er gerne gehabt hätte, dass Cassy auf der Stelle sein Büro verlassen würde.
"Heute hat Malfoy auf dem Flur Hermine Granger geärgert und sie einen Schlammblüter genannt. Was ist das?"
Professor Snape lehnte sich zurück und sah sie an. Da konnte er ja gleich richtig vom Leder ziehen. "Ein Schlammblüter ist ein Schimpfwort bei uns für einen Nachkommen aus der Beziehung zwischen einem Magier und einem Muggel. Schlammblüter sind minderwertige Magier. Wenn es nach mir ginge, müssten sie an einer anderen Schule als Hogwarts unterrichtet werden, wo sie unter ihresgleichen sind." Er machte einen überheblichen Gesichtsausdruck. Nach dieser provokanten Aussage, die noch nicht einmal der vollen Wahrheit entsprach, was die minderwertigen Magier anging, sah er in Cassy's Gesicht und erwartete eine Reaktion.
"Ich denke, man sollte niemanden für sein Herkunft verurteilen", gab die ihm natürlich prompt zur Antwort. Das passte und stachelte Snape erst so richtig an.
"Die Reinheit des Blutes der Nachkommenschaft sollte unser oberstes Ziel sein. Ich selbst entstamme aus einer solchen Familie. Und ich werde versuchen, diese Tradition fortzusetzen. Oder ich bleibe alleine. Leider vergessen meine Zauberer- und Hexenkollegen das ab und zu."
"Vielleicht denken Ihre Kollegen einfach etwas weitsichtiger und haben sich den Zeichen der Zeit angepasst. Man sollte auch niemanden dafür verurteilen, wen er liebt." Sie wartete einen Moment und sah, wie sein Gesicht sich verfinsterte. "Sie wissen, dass eine solche Einstellung schon Weltkriege hervorgerufen hat?", konnte Cassy sich nicht verkneifen noch hinzuzufügen und dachte schaudernd an ihren Geschichtsunterricht in der Schule und die Bilder, die sie in den Büchern gesehen hatte.
"Wollen Sie etwa meine Einstellung kritisieren?", fragte er sie scharf.
Cassy merkte, dass er sie zielstrebig auf dünnes Eis führte, aber sie konnte nicht anders, als ihm Widerworte zu geben. Seine engstirnige Denke passte nicht zu dem Bild, das sie sich bis jetzt von ihm gemacht hatte. Wieso wollte er damals Ellen und Robert beschützen? Nein. Alles, was er ihr sagte, passte nicht zusammen. Aber Cassy wusste nicht, dass Severus stolz auf seine traditionsreiche Familie war und es für ihn nicht vorstellbar war, sich in eine Muggel zu verlieben, geschweige denn ein Kind mit einer Muggel zu haben. Stolz war allerdings auch das Einzige, was er aus seiner Familie mitbekommen hatte. Wenn er jetzt auch noch seine anerzogenen Werte in Frage stellte, dann würde er sich endgültig haltlos durch sein einsames Leben bewegen.
"Vielleicht ein bisschen", gab sie ihm ehrlich zur Antwort. Seine Augenbrauen zogen sich zu einem durchgehenden Strich über der Nasenwurzel zusammen und er schaute sie ärgerlich an.
"Ich habe noch sehr viel zu tun. Ihre Auskunft haben Sie bekommen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden." Damit wandte er sich wieder seinem Schreibtisch zu und ließ Cassy einfach links liegen. Sie stand auf und ging zur Tür. In der Tür drehte sie sich noch einmal um und sagte zu ihm:
"Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie wirklich so engstirnig denken. Guten Abend."
Damit ließ sie einen verdutzten Snape zurück, der feststellen musste, dass seine Taktik mal wieder nicht aufgegangen war.
Auf dem Rückweg zu ihrem Appartement dachte Cassy noch einmal über das Gespräch nach. Sie hatte gemerkt, dass es ihm durchaus ernst war, was die Schlammblüter anging. Seine anderen Aussagen waren eher Säbelgerassel, um sie einzuschüchtern. Sie seufzte tief und dann fiel ihr ein, dass sie Dumbledore noch nach Malfoy fragen wollte.
***
Der alte Magier hatte es sich bereits mit einem Buch und einer Decke auf seiner Sitzecke bequem gemacht und die Füße hochgelegt, als es klopfte. Mit einem Wink seines Zauberstabes öffnete er die Tür. Manchmal hatte er einfach keine Lust, quer durch sein Appartement "herein" zu rufen. In der Tür stand Cassy Parker. Er winkte sie zu sich und fragte, was er für sie tun könne. Bevor sie jedoch die Privaträume betreten konnte, hatte sich Fawkes auf sie gestürzt und setzte sich auf ihre Schulter. Der riesige Vogel war nicht gerade leicht und Cassy musste mit ihrem Gleichgewicht kämpfen, dabei verschwand sie mit rudernden Armen aus Dumbledores Blickfeld und kam kurz darauf wieder zum Türrahmen zurückgewankt. Sie sah ihn fragend an, aber der schüttelte über das Verhalten des Phoenix nur den Kopf und lächelte. "Bringen Sie ihn mit. Sie werden ihn sowieso nicht los. Er liebt Sie heiß und innig."
Sie setzten sich an den Esstisch und Fawkes kuschelte sich sofort in Cassy's Schoß und ließ sich streicheln. Cassy erzählte Dumbledore von Malfoy und seiner Bemerkung, dass dessen Vater sie aus Hogwarts ausschließen könne, wenn er wolle.
Dumbledore sah sie ernst an. "Dracos Vater ist Lucius Malfoy. Sie kennen Lucius." Er sah die Wut auf Cassy's Gesicht, als sie den Namen hörte und Fawkes ließ einen langen, beruhigenden Ton hören. Dumbledore fuhr fort: "Malfoy gehört zu einer der einflussreichsten Familien in unserer Gesellschaft. Aber sein Einfluss geht nicht so weit, dass er mir vorschreiben kann, wen ich hier zum Unterrichten her hole und wen nicht. Hüten Sie sich trotzdem vor ihm. Er meldet alles an seinen Vater weiter, was hier an der Schule passiert."
Cassy dachte einen Augenblick nach. "Dann spioniert er doch bestimmt auch Professor Snape hinterher. Ich habe gemerkt, dass Snape und Malfoy sen. sich nicht mögen." Dumbledore nickte. Wieder war er kurz erstaunt darüber, dass sie den Zusammenhang so schnell erfasst hatte.
"Professor Dumbledore. Gibt es denn gar nichts, was ich tun könnte, um Ihnen zu helfen, damit die Mörder von Ellen und Robert endlich das bekommen, was sie verdienen?" Cassy sah ihn an. Dass dieser kleine Malfoy der Sohn von Lucius war, hatte wieder all die schrecklichen Erinnerungen in ihr aufkommen lassen. Sie würde sich zusammennehmen müssen, um mit Draco im Unterricht normal umzugehen.
Dumbledore schüttelte den Kopf. "Wir wissen nicht, wo Voldemort steckt. Wir wissen allerdings, dass er noch nicht wieder richtig bei Kräften ist. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann er wieder mit aller Macht zuschlagen kann. Sie können uns nichts helfen. Sie kennen sich in unserer Welt noch nicht aus. Kümmern Sie sich weiter um Severus. Er braucht jemanden, der ihm Kraft gibt. Geben Sie ihn nicht auf, egal, wie er sich im Moment benimmt. Er ist sehr einsam. Das ist die größte Hilfe, die Sie mir in diesem Kampf leisten können, glauben Sie mir." Mit diesen Worten stand er auf und Cassy begriff, dass die Unterhaltung beendet war. Sie brachte Fawkes zu seiner Stange zurück und verabschiedete sich.
Sie dachte in ihrem Appartement noch lange über seine Worte nach und wieder fragte sie sich, ob es denn wirklich Sinn machte, dass sie hierher gekommen war. Wieso ging Dumbledore eigentlich davon aus, dass Snape überhaupt wollte, dass sich jemand um ihn kümmerte und ihm Freundschaft - oder auch mehr - anbot. Andererseits kannte Dumbledore ihn schon so lange, dass er sehr gut wusste, was in Snape vor sich ging. Also. Wenn es der Wunsch des Schulleiters war, würde sie weiterhin versuchen sein Vertrauen zu gewinnen. Und wenn sie gegen sich selbst einmal ehrlich war, hätte sie das auch getan, ohne dass Dumbledore sie dazu aufgefordert hätte.
***
Nach dem Mittagessen gesellte sich Remus Lupin zu ihr - wie er es in den letzten Tagen sehr oft tat - und fragte sie, ob sie vor dem Nachmittagsunterricht noch ein wenig mit ihm an die frische Luft gehen wolle. Beide stellten fest, dass sie an diesem Tag keinen Nachmittagsunterricht mehr hatten.
Cassy begleitete den Magier gerne. Er war sympathisch, konnte zuhören und die Gespräche mit ihm waren immer anregend und interessant. Keine ihrer Fragen, die sie hatte, wurde von ihm mit einer hochgezogenen Augenbraue oder mit einem mitleidigen Unterton beantwortet. Als sie vor dem Schloss waren, lenkte Lupin seine Schritte in Richtung See. Dort angekommen, setzten sich beide auf eine der Bänke, die rund um den Stamm einer riesigen, alten, knorrigen Eiche angebracht waren. Die dichte Krone des Baumes spendete angenehmen Schatten. Man hatte von hier aus einen umwerfenden Blick über den See. Das Wasser glitzerte in der Sonne tiefblau, als wolle es dem wolkenlosen Himmel Konkurrenz machen. In einem satten Kontrast dazu standen die tiefgrünen Wiesen rund um den See, deren wilde Sommerblumen in einem verschwenderischen Farbenspiel bunte Akzente setzten. Der Duft, der über die Wiesen herübergeweht wurde, war süß und frisch und Cassy hatte das Bedürfnis, einfach bis zum Abendessen hier zu sitzen und zu faulenzen. Es war ein idyllisches Plätzchen.
"Sie dürfen ihm sein Benehmen nicht übel nehmen," riss Lupin sie aus ihren Betrachtungen. "Er hat es nicht leicht." Sie hatte ihm erzählt, dass Snape mal wieder biestig zu ihr gewesen war.
Cassy lächelte und sagte: "Er macht es auch den Anderen nicht leicht." Und nach einer Weile fügte sie hinzu: "Aber ich weiß, dass er ein schwieriges Leben führt." Dabei schaute sie Lupin aufmerksam an. Sie wollte wissen, ob er auch von Snapes zweiter 'Beschäftigung' wusste.
"Dumbledore hat mir erzählt, was Sie für ihn getan haben. Sie waren sehr mutig."
Also wusste auch Lupin es. Ihre Erinnerungen an diesen verhängnisvollen Abend waren noch zu frisch. Sie wollte nicht daran denken, sonst hatte sie ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Also wechselte sie das Thema.
"Ich bin morgen zu Professor Snape in Zaubertränke eingeladen, wenn er die fünfte Klasse unterrichtet. Ich soll das Versuchskaninchen spielen," erzählte sie Lupin. Der schaute sie erschrocken an.
"Das machen Sie doch nicht!"
Cassy grinste. "Irgendwie muss ich doch sein Vertrauen gewinnen können. Also vertraue ich ihm, dass mir nichts passiert."
"Wissen Sie schon, welchen Trank er testen will?"
"Nein. Ich lasse mich überraschen. Er sagte es wäre etwas Unterhaltsames. Ich gehe also davon aus, dass alle außer mir ihren Spaß haben werden," grinste Cassy.
Dann entstand wieder eine Pause.
"Erzählen Sie mir etwas von ihm. Bitte. Ich möchte ihn wirklich besser verstehen", bat Cassy Remus.
Der schaute lange unter sich auf den Boden und als Cassy ihm schon zehn Penny anbieten wollte, begann er auf einmal zu sprechen.
"Wir waren damals vier Freunde, die auch hier in Hogwarts zur Schule gegangen sind. Severus gehörte nicht dazu. Er war damals schon schwierig, hauptsächlich, weil er einsam war. Er hatte kein vernünftiges Elternhaus. Sein Vater war sehr streng und hat ihn wohl oft misshandelt. Die Mutter starb früh und konnte Severus nicht mehr vor seinem Vater schützen. Hogwarts war für ihn wie ein Zuhause. Wenn er aus den Ferien kam, war er jedes Mal völlig verstockt. Dann kamen wir in das Alter, wo Mädchen ein Thema wurden." Er schaute Cassy kurz an. Sie hatte sich in der Zwischenzeit von der Bank herunter auf ihren Umhang auf der Wiese gesetzt und Remus setzte sich jetzt zu ihr. "Es gab ein rothaariges hübsches Mädchen, in das Severus sich verguckt hatte. Er war viel zu schüchtern, sie anzusprechen. Aber das Mädchen hatte gemerkt, dass Severus sie mochte und begann, sich ihm zuzuwenden. Die beiden waren ein romantisches Paar. Und Severus hatte sich völlig verändert. Er war aufmerksam, liebevoll und freundlich. Sie waren monatelang zusammen und jeder hatte gedacht, dass sie auch nach der Schulzeit zusammenbleiben würden. Dann kam der Tag, an dem Lucius Malfoy ihn überredet hatte, zu einem Todesser-Treffen mitzugehen. Sie müssen wissen, dass Severus schon damals als ein Zauberer mit außergewöhnlichen Fähigkeiten galt. Und er hatte einen Hang zu den dunklen Künsten. Er war der perfekte Mitstreiter für den dunklen Lord. Aber Severus hatte kein Interesse an dem Sadismus und der Brutalität, die Voldemort verbreitete. Der Lord wollte Severus haben und hatte das richtige Druckmittel. Entweder würde Severus für ihn arbeiten, oder die junge Frau würde sterben." Hier hielt er einen Moment inne und schaute Cassy an. Die wartete jedoch gespannt auf die Fortführung der Geschichte. "Also gab er der jungen Frau den Laufpass, um sie zu schützen. Sie wollte das nicht hinnehmen und machte ihn in der ganzen Schule, wann immer es ging, unmöglich. Er hat sehr gelitten in dieser Zeit, denn ihr Verhalten wurde immer verletzender. Irgendwann hatte sie die Grenze des guten Geschmacks mit ihren Aktionen übertreten. Sie flirtete absichtlich vor seinen Augen mit einem meiner besten Freunde herum, den sie später auch geheiratet hat. Sie hat nie erfahren, dass Severus versucht hatte, sie zu beschützen. Und er war nie wieder der alte. Sie hatte ihn so sehr getroffen, dass er seit dieser Zeit immer zynischer und bissiger wurde. In seinem Schmerz schloss er sich Voldemort dann doch an, aber nicht für lange. Sein Gewissen plagte ihn und er begann in fließendem Übergang als Spion für Dumbledore zu arbeiten und blieb in dieser Eigenschaft bei Voldemort bis zu jenem verhängnisvollen Tag an dem der dunkle Lord die junge Frau und ihre Familie umbrachte."
Cassy unterbrach ihn. "Wer war die junge Frau?"
"Es war Lilly Evans, später Harry Potters Mutter", antwortete er leise. "Nach ihrem Tod war auch Voldemort gefallen und Severus zog sich in sich selbst zurück und niemand konnte Zugang zu ihm finden und mit ihm reden. Was heute in ihm vorgeht, kann man nur ahnen."
Er sah Cassy an. Sie blickte mit einem traurigen und ergriffenen Gesicht über den See und setzte nach einer Weile und einem tiefen Seufzer leise zum Sprechen an.
"Diese Wunde ist niemals geheilt. Er ist verletzt, fühlt sich schuldig. Sein Verhalten ist nur sein Panzer, den er braucht, um Ihnen allen entgegenzutreten."
Remus schaute sie erstaunt an. Sie sagte das, obwohl er sie so behandelte?
Sie sah das Erstaunen in Remus' Gesicht. "Ich ... ich", begann sie stockend, "habe sein Gesicht gesehen, als er meine Freundin töten musste. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, was ich gesehen habe. So viel Gefühl war in seinen Augen, in seinem Gesicht. Er hat bis zum Schluss versucht, sie zu retten." Ihre Stimme hatte wieder zu zittern begonnen. Viele Erinnerungen verblassen mit der Zeit. Sie verändern sich. Meist behält ihr Besitzer nur die Guten und Angenehmen, von denen er in schwachen Stunden zehren kann. Aber Snape's Gesichtsausdruck in diesem kurzen, vorübergehenden Moment war so kraftvoll und intensiv, dass dieser Augenblick unauslöschlich in ihrem Gedächtnis eingebrannt war. Und er hatte bis heute nicht an Kraft und Deutlichkeit verloren.
Sie hörten das Schlagen von mächtigen Flügeln und sahen beide an den Himmel. Aratos kam mit einem Brief ihrer Mutter im Schnabel. Remus sah ihn an und sagte zu Cassy: "Wo haben Sie diese wunderschöne Eule her?" Cassy streichelte Aratos zärtlich und antwortete: "Fragen Sie ihn. Er hat mich damals in der Winkelgasse ausgesucht. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe ihn gesehen und hatte das Gefühl, ich würde ihn schon immer kennen. Er hatte so etwas Bewusstes, Aufmerksames in seinem Blick. Ich hätte das Geschäft ohne ihn nicht verlassen." Sie musste lachen, wenn sie an diesen Besuch dachte.
Remus streckte seine Hand vorsichtig aus, aber Aratos ließ sich auch von ihm streicheln. "Sie wissen, wie selten diese schwarze Eulen sind?" Cassy schüttelte den Kopf. Darüber hatte sie sich keine Gedanken gemacht. Sie hatten sich beide gefunden und das war die Hauptsache für Cassy. Wieder hatte sie den Eindruck, dass die Eule jedes Wort verstand.
Die Bäume warfen mittlerweile schon lange Schatten und es war Zeit ins Schloss zurückzukehren. Er stand auf und zog Cassy auf die Füße. Sein Schwung war etwas heftig und so stand sie für einen kurzen Augenblick sehr dicht vor ihm und schaute ihn lächelnd an. Wieder hatte er dieses Kribbeln im Bauch, das ihm sagte, dass er Cassy mehr als nur mochte. Er überlegte kurz, ob er ihr den Arm um die Schultern legen sollte, aber das verwarf er gleich. Er bot ihr den Arm an und sie hängte sich lächelnd bei ihm ein. Dann gingen beide zurück ins Schloss.
Dieses Gespräch hatte Remus und Cassy näher zueinander gebracht. Sie waren schon jetzt mehr als nur Kollegen. Sie waren Freunde.
***
Die Tage vergingen und das Wetter blieb traumhaft schön, wie schon den ganzen Sommer. Cassy merkte, dass die Nachmittagsklasse überhaupt keine Lust hatte, sich etwas über die Benutzung von Geldautomaten anzuhören. Sie lagen alle gelangweilt auf ihren Pulten herum und waren völlig teilnahmslos.
Gerade hatte sie Harry gefragt, über welchen Weg man das Geld aus einem Automaten bekäme. Aber er starrte aus dem Fenster mit einem völlig abwesenden Blick. Auch auf die zweite Frage reagierte er nicht. Als Hermine ihn anstoßen wollte, hob Cassy die Hand und bedeutete ihr, ihn nicht zu berühren. Sie schlich sich durch die Reihen an Harry heran und ging neben seinem Pult in die Knie.
"Möchten Sie mir zeigen, was Sie da draußen sehen, Mr. Potter?"
Harry fuhr so zusammen, dass Cassy fast ein schlechtes Gewissen hatte, dass sie sich an ihn herangepirscht hatte. Er wurde tiefrot und die ganze Klasse fing an zu lachen. Sogar Ron und Hermine. Er warf den beiden einen vernichtenden Blick zu.
Cassy legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm und drehte sich zur Klasse um.
"Da ich bei diesem Wetter mindestens genauso gerne drinnen bin wie Sie, schlage ich vor, Sie nehmen Stift und Heft mit und wir gehen raus auf die Wiese zum unterrichten. Ihre anderen Sachen können Sie hier lassen."
Die Klasse fragte nicht lange und machte sich mit Cassy auf den Weg zum See. Vor der Schule trafen sie auf Professor Snape, der gerade aus Richtung der Gewächshäuser kam.
"Wohin geht die Reise?", fragte er mit einem öligen Lächeln. "Wir werden den Unterricht am See fortsetzen", gab Cassy ihm freundlich zur Antwort.
Er zog eine Augenbraue hoch und blickte die Slytherins und die Gryffindors kurz an. Dann wandte er sich Cassy wieder zu. "Sie wissen, dass die Schüler die Klassenräume nicht verlassen dürfen, während des Unterrichts?"
"Ja. Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Aber die Anweisung heißt, 'nicht alleine verlassen' und 'in Begleitung einer Lehrkraft verlassen'. Und jetzt, sehr geehrter Kollege, bin ich als Lehrkraft dabei und wir werden unseren Unterricht am See fortsetzen." Damit war sie noch einen Schritt auf ihn zugetreten und sagte: "Warum begleiten Sie uns nicht und schauen zu?"
Snape blickte in die gespannten Gesichter der Schüler und entschied, dass er der Diskussion ein Ende machen würde. Er kam einfach nicht an sie heran. Er konnte sie nicht einschüchtern. Sie ärgerte sich nicht. Dafür ärgerte er sich um so mehr. "Ich glaube nicht, dass es etwas gibt, das Sie mir noch beibringen können, Miss Parker." Doch, dachte Cassy, Manieren. Dann ging Snape zurück zum Schloss und Cassy hielt mit ihren Schülern den Unterricht am See ab.
Malfoy, Crabbe und Goyle fanden die Idee gar nicht so schlecht. Draco legte sich ins Gras, ließ Cassy erzählen und schlief ein. Was interessierte ihn auch die Verwendung von Muggelgeld. Sein Vater sagte immer, dass man auf Muggel verzichten könne. Und Draco hinterfragte die Meinung seines Vaters nicht.
Cassy ließ Malfoy schlafen und unterhielt sich mit den Schülern über ihre Erfahrungen mit Muggelsachen. Die Gruppe saß oder lag im Gras und hatte viel Spaß.
Als Malfoy dann geweckt wurde von Cassy, signalisierte sie ihm wieder zwanzig Punkte Abzug, was ihm aber nur ein müdes Grinsen entlockte. Dann ging er.
Nach dem Abendessen hatte sich Cassy auf die Stufen der Steintreppe vor dem Schloss in die Sonne gesetzt. Aratos war überraschend mit mächtigen Flügelschlägen und ohne Post zu ihr gekommen. Er hatte sich in ihren Schoß gesetzt und ließ sich streicheln. Sie hatte ihre Eule ein paar Tage nicht gesehen, und sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie sich zu wenig um ihn kümmern würde. Aber Aratos schien sich in der Eulerei sehr wohl zu fühlen. Professor Snape kam auf der Suche nach ihr die Treppe herauf und sah sie dort sitzen. Einen Moment blieb er stehen und beobachtete sie. Das Abendrot ließ ihr Haar in warmen Farben schimmern. Sie hatte ein schönes Profil. Die große Eule auf ihrem Schoß und ihr weltentrückter Gesichtsausdruck, mit dem sie das Gefieder dieses schwarzen Vogels streichelte, prägten sich in seinen Gedanken ein und hinterließen ein seltsames Gefühl bei ihm. Er verharrte und sah sich das malerische Bild an. Es war ein sehr ruhiger und harmonischer Augenblick, den er erlebte. Dann wurde ihm bewusst, dass er träumte und mit einer ruckartigen Bewegung holte er sich in die Wirklichkeit zurück und ging zu ihr.
"Miss Parker?", sagte er im wahrsten Sinne von oben herab. Sie schaute hoch und hielt sich die Hand über die Stirn, da das tiefstehende Sonnenlicht sie blendete. "Professor Snape!", antwortete Cassy. "Setzen Sie sich doch einen Moment her", lud sie ihn ein. Aratos musterte ihn aufmerksam. Für einen Augenblick dachte Snape tatsächlich darüber nach, ob er sich nicht neben sie setzen sollte und das Abendrot genießen. Aber er konnte es nicht. Also sah er sie lieber an, als hätte sie ihm einen unsittlichen Antrag gemacht und ging nicht weiter auf das Angebot ein.
"Ich wollte Sie nur noch einmal an die Zaubertrankstunde morgen erinnern." Damit drehte er sich um und ging.
Wie könnte ich die vergessen, dachte Cassy leicht ironisch und grinste vor sich hin. Aratos sah Snape noch eine Weile hinterher.
***
Die Zaubertränke-Klasse war schon vollzählig versammelt, als Cassy die Tür zum Unterrichtsraum öffnete. Professor Snape kam mit einem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck auf sie zu.
"Aah, Miss, äh, Parker. Endlich. Dann können wir ja gleich beginnen."
Er wies ihr mit einer Handbewegung einen Platz in der Klasse zu, neben Neville Longbottom und meinte: "Sie können Mr. Longbottom über die Schulter schauen, wie ein solcher Trank hergestellt wird."
Die Slytherins kicherten alle und Cassy schaute Snape mit schief gelegtem Kopf und zusammengezogenen Augenbrauen an. Es hatte wohl einen Grund, warum sie ausgerechnet zu Neville sollte.
"Wir werden heute einen sogenannten Gleichgültigkeitstrank herstellen. Wie der Name schon sagt, versetzt er denjenigen, der ihn genommen hat, in stoischen Gleichmut. Wofür kann man einen solchen Trank gebrauchen?"
Keiner meldete sich. Nicht einmal Hermine.
Snape schaute Cassy mit einem gehässigen Grinsen an und meinte sehr direkt: "Zum Beispiel um Muggel zu ertragen."
Die Slytherins brachen in tosendes Gelächter aus, aber auch der eine oder andere Gryffindor grinste vor sich hin.
Cassy schaute Snape fest ins Gesicht und sagte mit freundlichem Lächeln: "Vielleicht aber auch um sadistisch veranlagte Personen in der Umgebung besser zu ertragen?"
Verdammt. Warum hatte sie seine Aussage nicht einfach mit einem Lachen quittiert. Getroffener Hund bellt. Ihr Verhalten war unprofessionell.
Snapes Gesicht bekam einen zornigen Ausdruck. Er hatte die überhaupt nicht getarnte Spitze sehr wohl verstanden und war jetzt nicht schlagfertig genug, um sie zu parieren.
Sein Gesicht überflog vor Ärger ein kaum wahrnehmbarer rosa Hauch. Er ließ sich nicht vor seiner Klasse von einem Anderen, besonders von einer Frau, aber vor allen Dingen von einer Muggel, maßregeln. Er ignorierte Cassy's Einwand und drehte sich wieder der Klasse zu.
"Die Zutaten findet ihr im Buch auf Seite 142. Fangt an. Ich möchte Sie kurz sprechen, Miss Parker?"
Cassy stand auf und hörte noch, wie Ron neben ihr zu Harry flüsterte: "Oh, oh. Das sieht nach Ärger aus."
Sie folgte Snape in den angrenzenden Raum. Er stand dort, in seiner eindrucksvollen Größe mit verschränkten Armen und blickte sie wütend an. Cassy's Herz schlug bis zum Hals. Sie wollte keinen Ärger mit ihm.
"Ich kann es nicht dulden, Miss Parker, dass Sie mich vor meiner Klasse unmöglich machen. Ich dachte, dass dies hier", und er machte eine umfassende Handbewegung, "für Sie interessant ist. Aber statt dessen sabotieren Sie meinen Unterricht. Es gestaltet sich doch schwierig, Sie in unsere Gesellschaft zu integrieren. Ich hatte immer meine Zweifel."
Mit diesen Worten war er noch einige Schritte auf sie zu getreten, stand jetzt sehr dicht vor ihr und sah sie drohend an.
Sie sah in seine kalten, aber vor Zorn leidenschaftlich schimmernden, schwarzen Augen. Sein ganzes Gesicht war in seiner Wut in Bewegung. Cassy hatte nur am Rande gehört, was ihn so aufbrachte. Er stand einfach zu nahe vor ihr. Ihr blieb die Luft für einen Augenblick weg. 'Reiß dich zusammen, Cassy', dachte sie und schluckte. Aber es war schwierig. Es ging ein undefinierbarer, aufregender Geruch von diesem Mann aus. Sie hatte ihn seit dem Vorfall in Ellen und Robert's Keller immer in der Nase. 'Wach' auf!', schalt Cassy sich, 'Er beschimpft dich gerade mit etwas, das er selbst angezettelt hat und du denkst darüber nach, wie er riecht'.
"Nun, Professor Snape", erwiderte sie und wunderte sich, dass ihre Stimme so ruhig war - auch ohne den Gleichgültigkeitstrank. "Ich bin Ihnen sogar sehr dankbar, dass ich heute in Ihrem Unterricht zuschauen darf. Sie haben ein Fach, das sehr schwierig und sehr faszinierend ist. Aber ich komme mit Ihrer Art von Humor noch nicht ganz zurecht. Muggelwitze sind für Sie normal. Für mich leider nicht. Wenn ich Ihre Entrüstung richtig deute, dann hatten Sie gar nicht vor, mich zu beleidigen?"
Lauernd schaute sie in sein Gesicht. Die Brücke, die sie ihm gerade gebaut hatte, war so breit, dass das Spaceshuttle dreimal nebeneinander darauf Platz gehabt hätte.
Und Snape betrat sie. "Ähm, nun gut. Lassen wir es darauf beruhen", bog er die ganze Sache ab und ging zurück in den Klassenraum.
Cassy folgte ihm und setzte sich wieder neben Longbottom. Der dickliche Junge zitterte wie Espenlaub, als er seine Zutaten sorgfältig zurecht machte und sie ganz nach Anweisung in den Kessel warf. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sagte leise: "Was ist mit Ihnen? Beruhigen Sie sich."
In ihrem Unterricht lachte er öfter und versuchte nach besten Kräften mitzumachen. Sie erkannte ihn gar nicht wieder. Aber Cassy wusste nicht, dass in ihrem Unterricht den Leuten auch nicht regelmäßig Kessel um die Ohren flogen oder die Tränke garantiert ein anderes Ergebnis brachten, als das ursprünglich angestrebte. Neville hatte heftige Angst, dass Miss Parker seinen Trank probieren musste. Und das war Snape durchaus zuzutrauen.
Neville sah sie dankbar an. Jedoch hatte Snape es bemerkt. Cassy hatte nämlich festgestellt, dass er regelmäßig zu ihnen hersah. Aber es hatte nichts mit ihr zu tun, denn er fixierte Longbottom mit einem lauernden Glitzern in den Augen.
Er stand auf und kam zum Tisch. Nevilles Angst wurde größer. Er wurde abwechselnd weiß und rot und zitterte noch heftiger.
"Mr. Longbottom", begann er mit einem ironischen Unterton in der Stimme. "Wie ich sehe, hat Ihr Trank im momentanen Stadium genau die richtige Konsistenz. Wie kommt das?" Neville senkte den Kopf. Aber dann hatte er die Worte erfasst. Er schaute Snape direkt an und dann in seinen Topf, als ob er den Kessel zum ersten Mal sehen würde. Ob der Trank nun stimmte oder nicht, wusste er nicht. Aber Snape hatte nichts auszusetzen. Das war ein historischer Augenblick für Neville.
"Ich denke, wir werden Ihren Trank an Miss Parker ausprobieren", wandte Snape sich an die Klasse. Und schon war Nevilles beginnendes Hochgefühl am versickern.
Auch Cassy beschlich ein ungutes Gefühl. Was war, wenn der Trank genau das Gegenteil bewirkte und sie würde für die nächsten Stunden zur unberechenbaren Furie oder sie bekam blaue Haut oder dicke Furunkel würden überall auf ihrem Körper wachsen oder sie würde schrumpfen oder ...
'Wehe, Neville, wenn du versagst', dachte sie. Aber dann sagte sie sich, dass Snape es bestimmt niemals zulassen würde, dass ihr etwas passierte. Oder vielleicht doch?
Der Trank schien, Gott sei Dank, nur aus Kräutern zu bestehen und Neville gab sich alle Mühe ihn genau nach Buch zu Ende zu bereiten.
Zum Schluss blubberte im Kessel eine königsblaue wässrige Tinktur und Professor Snape war tatsächlich zufrieden. Es gab aber keine Punkte für Griffyndor ...
Er hob mit der Pipette etwas aus dem Kessel und füllte einige Tropfen in ein winziges Probierglas, das er Cassy gab.
Sie hielt das Glas in zitternden Fingern. Die ganze Klasse stand um Nevilles Kessel herum und sah sie erwartungsvoll an.
"Nun?" fragte Professor Snape und hob eine Augenbraue. Cassy nickte und schüttete die Flüssigkeit in einem Zug herunter. Sie schmeckte wie Hustensaft, aber mit einem bitteren Nachgeschmack. Auf jeden Fall erträglich. Dann fiel ihr etwas ein. Das hatte sie Snape schon die ganze Zeit fragen wollen:
"Wie lange hält die Wirkung an? Haben Sie auch einen Gegentrank?"
Snape grinste hinterhältig. "Das kann Ihnen doch jetzt eigentlich egal sein, wo Sie den Trank bereits geschluckt haben. Also: Es gibt keinen Gegentrank und die Wirkung hält zwei Tage an."
"Ist eigentlich wirklich egal", dachte Cassy, deren Gehirn jetzt anfing zu schweben, sich zu verabschieden und auf Wanderschaft zu gehen, da der Trank wirkte.
Und mit diesem Gefühl ging sie zum Abendessen.
Sie saß dort am Tisch und schaute den Anderen beim Essen zu, bevor sie sich mit unendlich langsamen Bewegungen selbst etwas auf den Teller auftat. Professor Snape taxierte sie ab und zu von der Seite und grinste vor sich hin.
"Sie haben da einen Fleck", sagte er zu Cassy, die sich zum wiederholten Male die Suppe auf den Umhang gekleckert hatte.
"Na, und?" sagte sie gleichgültig. Sonst interessierte es ihn ja auch nicht, ob und wie sie neben ihm saß. Da hätte sie nackt Handstand auf dem Stuhl machen können und es wäre an ihm vorbeigegangen. Snape verließ mit einem selbstzufriedenen Grinsen den Speisesaal.
Zwei volle Tage hielt die Gleichgültigkeit an. Es war für Cassy eine grauenhafte Zeit. Wann immer sie merkte, dass etwas nicht in Ordnung war, hatte sie sofort das Gefühl, dass es eigentlich sowieso egal ist.
Unterricht konnte sie fast überhaupt nicht halten. Weil es sowieso egal war, was sie erzählte. Und es war egal, ob die Schüler es begriffen. Oder lernten.
Dumbledore war verärgert und hatte Snape einen Rüffel erteilt. Den ließ er an Cassy wieder aus, in dem er ihre Punktabzüge für Slytherin einfach ignorierte.
Die große Halle wurde umdekoriert. Das Ende der Ferien war da. Für Cassy begann der Countdown zu ihrer ersten Schulstunde zwischen jungen Zauberern und Hexen. Um sie herum war reges Treiben und da sie sich nicht so unnütz fühlen wollte, ging sie in die Große Halle, um ihre Hilfe anzubieten. Professor McGonagall sah sie etwas mitleidig an. "Sie brauchen uns nicht zu helfen", sagte sie. Sie war gerade dabei, mit ihrem Zauberstab eine neue Sitzordnung herzustellen. Sie dirigierte die Möbel so lange durch die Halle, bis sie mit einem zufriedenen "So" alles noch einmal kritisch überprüfte. Jetzt standen die Lehrertische in einer Reihe auf dem Podest nebeneinander und je ein Tisch war am Ende um die Ecke gestellt.
"Die Sitzplätze werden von Professor Dumbledore festgelegt", erklärte sie Cassy. "Den zugewiesenen Platz behält man das ganze Jahr." Die Halle sah jetzt irgendwie steif und sehr feierlich aus. Fühlten sich Schüler hier wirklich wohl? Dann winkte McGonagall noch einmal mit dem Zauberstab und über den vier Tischreihen für die einzelnen Häuser erschienen mit einem flappenden Geräusch die vier Wappen der Häuser auf kunstvoll bestickten Fahnen.
Snape kam gerade in die Halle und sagte freundlich: "Hallo Minerva! Sie sind schon fertig? Das ging dieses Jahr aber schnell."
McGonagall sah ihn mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck an und meinte: "Dieses Jahr war auch niemand da, der mir permanent dazwischengefahren ist und die Tische schwindlig gedreht hat." Snapes Gesicht nahm ein leichtes Lächeln an. Er hatte sich letztes Jahr einen Spaß daraus gemacht, die Tische immer wieder zu drehen und zu verstellen. Zum Schluss war er gerade so einer Zauberstabattacke entkommen. Minerva war so außer sich vor Zorn, dass sie ihn in einen Fußabtreter verwandeln wollte. Als sie ihn nicht treffen konnte, hatte sie ihn angebrüllt, und gefragt, ob sein wirklich kindisches Verhalten daher rührte, dass er sich einmal quer durch seine Zaubertrankflaschen gesoffen hätte - sie hatte wirklich 'gesoffen' gesagt! - oder ob er einfach nur sturzbetrunken wäre. Daraufhin war Snape beleidigt in seinen Keller abgezogen.
"Ja. Ich bin leider zu spät", antwortete er ironisch bedauernd. McGonagall schenkte ihm noch einen Blick und man konnte sehen, dass sie dachte: aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben und dass der Fußabtreter für sie durchaus noch ein schnell zu realisierendes Thema wäre. Sie war gerade im Begriff die Halle zu verlassen, als sie sich in der Hälfte noch einmal umdrehte und mit eisiger Stimme sagte: "Wagen Sie es ja nicht, wenn ich die Halle verlassen habe ...", und machte eine umfassende Handbewegung über den Raum. Snape grinste immer noch schadenfroh. Dann fiel sein Blick auf Cassy und das Grinsen erstarb in seinem Gesicht.
"Professor Dumbledore meinte, es wäre eine gute Idee, wenn ich Sie zum Bahnhof nach Hogsmeade begleite und wir gemeinsam mit den Erstklässlern über den See fahren würden, damit Sie einen Eindruck bekommen, wie für die Schüler der Beginn an unserer Schule aussieht." Für wie gut er diese Idee hielt, konnte sie an seinem Ton hören. Er sprach es aus, als hätte Dumbledore ihm aufgetragen, die Eulerei zu säubern.
Sie trafen sich am nächsten Tag zur vereinbarten Zeit und gingen mit Hagrid zusammen zum Bahnhof. Er war dafür zuständig, jedes Jahr die Schüler abzuholen und fuhr mit den Erstklässlern über den See. Für die älteren Schüler standen pferdelose Kutschen bereit, die sie zum Schloss brachten. Snape fragte sich, warum er eigentlich mitkommen musste. Hagrid hätte gereicht. Aber Dumbledore hatte da so seinen eigenen Kopf.
Sie hörte das Zischen und Fauchen der alten Lokomotive schon von weitem. Die schwarze Qualmfahne aus dem Ofen der Lok stand zäh in der Luft und verflüchtigte sich nur langsam. Dann lief der Zug in den Bahnhof ein und tutete einige Male. Die Türen öffneten sich und die Schüler quollen aus den Waggons. Hermine, Harry und Ron hatten sie wiedererkannt und freundlich gegrüßt.
Dann war sie mit Snape, Hagrid und den Erstklässlern zum See gegangen. Hagrid verteilte die Schüler auf die kleinen Boote, die am Ufer dümpelten. Hagrid kam zu ihr und bat sie, in ein Boot mit noch zwei weiteren Erstklässlern einzusteigen. Snape stand die ganze Zeit mit verschränkten Armen hinter ihr und hatte kein Wort gesprochen. Hagrid sah ihn kurz an und als er keine Anstalten machte, Cassy in das schaukelnde Boot zu helfen, bot er ihr seine überdimensionale Hand an, die Cassy gerne annahm. Hoffentlich setzte sich Hagrid nicht auch noch mit in das kleine Schiffchen, dachte Cassy ängstlich. Aber der große Mann hatte ein Boot für sich.
"Was ist mit Ihnen?", fragte sie Snape. Der schüttelte den Kopf und sagte: "Ich warte auf der anderen Seite auf Sie." Damit drehte er sich um und verschwand zu einer der pferdelosen Kutschen.
Die Fahrt über den See war gespenstig. In der Abenddämmerung hatte er nicht mehr die freundliche blaue Farbe, die ihm tagsüber zu eigen war. Er schimmerte tiefschwarz und unheimlich. Sie war froh, dass sie über den Kraken Bescheid wusste. Sonst wäre sie wahrscheinlich vor Schreck über Bord gegangen, als das riesige Tier kurz in eines der Boote hineinlangte und suchend auf dem Boden herumtastete. Sie hörte die quietschenden Schreie der Kinder und dann ihr befreites Auflachen, als die Arme wieder verschwanden. Dann waren sie auf der anderen Seite angekommen. Snape war schon da, machte aber wieder keine Anstalten, ihr aus dem Boot zu helfen. Wenn sie hier unterrichten wollte, dann musste sie auch alleine Boot fahren können, dachte er gehässig. Hagrid half ihr wieder heraus. "Gott sei Dank, bin ich nicht in den See gefallen", sagte sie mehr zu sich selbst, als sie mit unsicheren Schritten im Kampf mit ihrer Robe aus der kleinen Nussschale ausstieg. Snape hatte es gehört und sie konnte auf seinem Gesicht ablesen, dass er genau das zutiefst bedauerte.
Cassy hatte den Ausflug nach Hogsmeade genossen. Entgegen den Hoffnungen von Professor Snape, war sie sehr glücklich, dass sie mit den Schülern diese Tour machen und mit ihnen nach Hogwarts laufen konnte. Die Neugier und die Erwartungen in den Gesprächsfetzen, die sie aufschnappte, übertrugen sich auf sie und sie war fast genauso aufgeregt, als sie in die Große Halle kam, wie die Schüler. Sie freute sich auf das kommende Schuljahr.
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In Dumbledores Sitzordnung saß sie zwischen Snape und Remus. Ersterer hatte einen solch säuerlichen Gesichtsausdruck bekommen, als Dumbledore die Sitzordnung bekannt gab, dass Remus sich wegdrehen musste, damit Snape sein Lachen nicht sehen konnte. Snape's Mienenspiel nach war es eine für ihn unverdiente Ganzjahresfolter, dass Cassy neben ihm saß - nein - dass er neben Cassy sitzen musste. Remus hingegen war glücklich über die Sitzordnung.
Dann hatte der Schulleiter die Ankündigungen für das Schuljahr verlesen. Remus und Cassy wurden vorgestellt. Während bei Remus fast alle stürmisch klatschten und er sich mit einem zufriedenen Gesicht und einer grüßenden Geste bedankte, war die Reaktion auf Cassy eine andere. Als Dumbledore den Schülern mitteilte, dass Cassy keine Hexe sei, ging ein Raunen und Flüstern ging durch die Reihen. Viele der Schüler waren erstaunt, aber vor allem am Slytherin-Tisch sah sie in vielen Gesichtern Abneigung und sogar Hass. Sie wusste, dass bei diesem Haus die Meinung besonders ausgeprägt war, dass Muggel nichts in der Magierwelt verloren hatten. So bekam sie fast keinen Beifall. Cassy würde ihnen schon zeigen, dass auch eine Muggel guten Unterricht abhalten konnte. Die Schüler hatten Muggelkunde auch als Prüfungsfach und sie war kompetent für diese Aufgabe. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihre Schüler erfolgreich zu den Prüfungen zu führen.
Dann kam die Auswahl mit dem sprechenden Hut. Remus hatte Cassy das Vorgehen erklärt und als sie den alten Hut sah, hatte sie ungefähr den gleichen Ausdruck auf dem Gesicht wie damals, als Dumbledore mit dem alten Socken vor ihr stand. Als der erste Schüler den Hut aufsetzte und dieser nach einer Weile laut "Hufflepuff" rief, fuhr sie ziemlich zusammen. Remus und Snape grinsten. Der eine amüsiert, der andere schadenfroh. Cassy sah die Erwartung in den Augen der einzelnen Schüler und fieberte mit, wer wohin kam, obwohl sie keine Ahnung hatte, nach welchen Kriterien der Hut die Schüler verteilte. Mal brauchte er eine längere Zeit, ein anderes Mal entschied er sich sehr spontan, wer wohin kam. Dieses Jahr hatte Slytherin ganz eindeutig die Nase vorne und von der Seite konnte sie Snapes zufriedenes Gesicht sehen. Allerdings hielt auch dieser Abend für sie einen kleinen Schreck bereit. Sie lernte die Hausgeister der vier Häuser kennen. Als der Hausgeist von Gryffindor zu ihr kam und ihr zeigte, warum er der "fast kopflose Nick" hieß, hätte sie sich fast übergeben. Er klappte seinen Kopf zur Seite und Cassy konnte in dem Nebel noch immer ausmachen, was sich so im Inneren eines Halbgeköpften befand. Remus schimpfte mit Sir Nick und der entschuldigte sich mehrfach bei ihr. Severus hatte wieder mal seinen Spaß.
Nach dem Essen, als die Schüler in ihre Türme geführt wurden, ging Cassy in ihr Appartement. Remus hatte sie noch ein Stück begleitet und wünschte ihr viel Glück für den nächsten Tag.
Das konnte sie brauchen. Sie war sehr aufgeregt. Sie war zwar erst seit wenigen Tagen in Hogwarts, aber sie hatte das Gefühl, dass sie schon monatelang hier war. So viel war in dieser kurzen Zeit passiert.
Sie beschloss ihrer Mutter einen langen Brief zu schreiben und ihr zu erzählen, wie die ersten Tage gelaufen waren. Es war sehr schwierig, da sie die Erlebnisse mit den magischen Dingen nicht schreiben konnte. Auch den schwarzhaarigen, schlanken Mann mit den unergründlichen Augen ließ sie in diesem ersten Brief aus. Zum Schluss bestand der Brief fast nur aus einer Landschaftsbeschreibung und einer vagen Charakterisierung ihrer neuen Kollegen.
***
Als Cassy zu ihrem Unterrichtsraum kam, waren die Fünftklässler schon vollzählig da. Sie sah die Neugier auf ihren Gesichtern.
"Hallo zusammen! Es wurde zwar in der Großen Halle schon gesagt, aber ich möchte mich trotzdem noch einmal vorstellen. Mein Name ist Cassy Parker. Ich freue mich, euch ein Jahr lang mit Allem bekannt zu machen, was uns Muggeln das tägliche Leben mehr oder weniger erleichtert", begrüßte Cassy die Klasse freundlich.
"Als erstes möchte ich die Anwesenheitsliste durchgehen, damit ich den Namen auch Ihre Gesichter zuordnen kann." Dann zog sie das Namens- Pergament, das Dumbledore ihr gegeben hatte, hervor und las die Namen nacheinander vor. Jeder Schüler meldete sich mit einem "Hier" und Cassy schaute ihn kurz aufmerksam an, um sich sein Gesicht einzuprägen.
"Draco Malfoy?" Der hatte jedoch keine Lust zu antworten und hatte sich auf seinem Stuhl kippelnd zurückgelegt. Er sah sie an. Da aber die ganze Klasse sie ansah, wusste sie nicht, welcher Malfoy war. Sie wiederholte noch einmal "Draco Malfoy?", und blickte sich irritiert in der Klasse um. Dann sah sie die kurze Bewegung als Goyle Malfoy eins in die Rippen gab, damit er sich meldete. Der warf ihm einen zerstörerischen Blick zu, worauf Goyle ein wenig zusammensank.
"Sie sind also Draco Malfoy?", fragte Cassy noch immer freundlich mit Blick auf den hellblonden Jungen mit den wasserblauen Augen und der spitzen Nase. Aber er gab ihr auch jetzt keine Antwort. Das fing ja gut an. Sie ignorierte ihn und machte einen Kringel hinter seinen Namen auf das Pergament. Sie hatte achtzehn Namen und achtzehn Schüler waren anwesend. Der, der übrig blieb, war logischerweise Malfoy. Und genau so war es dann auch.
"Was kann uns eine Muggel schon beibringen?" zischte Malfoy höhnisch seinem Nachbarn Crabbe unüberhörbar zu. Der verstand die Frage offensichtlich nicht und grinste lieber leicht blöde, bevor er sich einen Rüffel von Malfoy einhandelte. Cassy überhörte den Einwurf und begann ihren Unterricht.
"Ihr werdet nicht auf Pergament schreiben, sondern ich habe euch Schulhefte mitgebracht, wie wir sie benutzen. Auch eure Federn braucht ihr nicht. Ihr werdet mit Bleistiften schreiben. Außerdem habe ich für jeden von euch zwei Bücher hier, mit denen wir arbeiten werden. Ich möchte euch so realistisch wie möglich unterrichten. Wer von euch kennt sich bereits mit Muggelsachen aus?"
Bei den Schülern, die jetzt die Hand hoben, war auch Hermine Granger.
"Ok. Damit ihr euch nicht langweilt, werde ich euch andere Aufgaben geben," erklärte Cassy den "Fortgeschrittenen". "Jetzt verteilen wir erst einmal die Hefte, Bücher und Bleistifte. Schreibt bitte euren Namen und euer Haus auf die Sachen."
Die Schüler kicherten, weil sich die Fotos in den Muggel-Büchern nicht bewegten und hatten die ein oder andere Bemerkung zu machen, aber der Rest des Unterrichtes verlief problemlos. Das heutige Thema war: Wie versende ich einen Brief? Wie bekomme ich heraus, wie viel so ein Brief kostet? Wie kommen die Briefe zu mir nach Hause? Und eben noch einige andere Themen rund um die Post. Es gab immer wieder etwas zu lachen und alles in allem war Cassy am Ende des Unterrichts erleichtert und auch zufrieden, dass das von ihr ausgearbeitete Material bequem in die Stunde gepasst hatte.
"Als Hausaufgabe schreibt ihr mir noch einmal auf, was beim Briefe versenden beachtet werden muss. Die Fortgeschrittenen unter euch - und dabei sah sie Hermine, Harry und die anderen an - reichen mir einen Aufsatz herein mit dem Thema 'Muggelpost und Magierpost - Vor- und Nachteile'." "Und Sie Mr. Malfoy," wandte sie sich an Draco, "werden mir einen zusätzlichen Aufsatz schreiben mit dem Thema: 'Berufsbeschreibung eines Briefträgers'."
Draco Malfoy, der den gesamten Unterricht provozierend mit seinen Füßen auf dem Tisch in seinem Stuhl gelümmelt hatte, zeigte sich keineswegs beeindruckt und meinte: "Von Ihnen lasse ich mir keine Zusatzaufgaben geben. Sie sind eine ..."
"Malfoy! Passen Sie genau auf, was Sie jetzt sagen, denn zehn Punkte Abzug für Slytherin haben Sie für Ihr Haus schon verdient mit Ihrem wirklich kooperativen Verhalten!", warnte Cassy ihn, wobei sie 'verdient' und 'kooperatives Verhalten' sehr zynisch betonte.
Malfoy stockte einen Moment, dann grinste er gehässig und sagte: "Sie können uns keine Punkte abziehen. Das können nur Magier. Also, was soll die leere Drohung?"
Die anderen Schüler sahen dieser Auseinandersetzung atemlos zu. Keiner wollte jetzt aufstehen und gehen. Cassy ging durch die Stuhlreihen langsam auf Draco zu. Sie hatte einen Gesichtsausdruck angenommen, der dem Snapes nicht unähnlich war, wenn ein mittleres Gewitter bevorstand. Von diesem Rotzlöffel würde sie sich nicht direkt am ersten Tag die Laune verderben lassen. Ihre Autorität stand hier und jetzt auf dem Spiel. Wenn sie verlor, würde sie den Rest des Jahres nichts mehr zu lachen haben. Sie beugte sich zu ihm hinunter, sah ihm mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen direkt in seine wasserblauben Augen und sagte: "Wollen Sie es wirklich darauf ankommen lassen, ob ich das kann, Mr. Malfoy? Sie spielen mit den Punkten Ihrer Klassenkameraden. Finden Sie das nicht unfair denen gegenüber, die die Punkte verdienen?"
Draco fühlte sich in dieser Situation gar nicht wohl. Er würde im Gemeinschaftsraum der Slytherins zumindest von den älteren Kameraden schön etwas zu hören bekommen. Außerdem verunsicherte ihn Cassy's selbstbewusstes Auftreten. Andererseits würde er das Gesicht verlieren, wenn er jetzt nachgab. Dann setzte sich seine Erziehung durch: "Sie können mir gar nichts. Ich werde meinem Vater eine Eule schicken und Sie sind schneller hier weg, als Sie sich umdrehen können. Von einem minderwertigen Geschöpf lasse ich mir schon gar nichts sagen."
"Fünfzehn Punkte Abzug für Slytherin," sagte Cassy ungerührt.
"Und Ihre Zusatzaufgaben werde ich auch nicht machen."
"Zwanzig Punkte Abzug für Slytherin," ergänzte Cassy.
"Jetzt gib' endlich Ruhe, Draco," blaffte ihn Pansy Parkinson an. "Wir sind noch nie mit einem Minus ins neue Schuljahr gestartet. Wie sollen wir das so schnell wieder aufholen." Mit einem finsteren Blick sah sie Cassy an und stand auf. "Ich gehe jetzt auf jeden Fall zum Mittagessen."
Damit war die Vorstellung beendet. Die Schüler packten ihre Sachen zusammen und gingen in kleinen Grüppchen über den Vorfall diskutierend zum Essen.
Draco verließ als letzter den Klassenraum. In der Tür drehte er sich herum und sah Cassy noch einmal zornig an. Er hob einen Zeigefinger an sein linkes Auge und verdeutlichte ihr mit diesem Handzeichen "Pass auf". Dann verließ er den Klassenraum.
Cassy setzte sich an ihren Schreibtisch. Hatte sie nun einen Sieg errungen oder gab es hier eine Pattsituation? Verloren hatte sie nicht. Dafür hatte schon Pansy gesorgt, die das Duell vorzeitig beendet hatte. Cassy wollte Malfoy im Auge behalten. Ob die Drohung mit seinem Vater ernst zu nehmen war, wollte sie Dumbledore nach dem Abendessen fragen.
Sie seufzte, freute sich über den dennoch gelungenen Unterricht und packte ihre Sachen zusammen.
"Na? Erste Stunde gut überstanden?" Remus stand lächelnd in der Tür. Cassy nickte und sagte: "Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Was machen Sie hier?"
"Ich bin auf dem Weg zum Mittagessen und wollte Sie mitnehmen. Haben Sie Hunger?"
"Wie ein Wolf," gab Cassy zur Antwort und registrierte mehr nebenbei das kurze Aufflackern auf Lupins Gesicht.
In der großen Halle angekommen, half Remus Cassy mit dem Stuhl. Das Mittagessen hatte bereits begonnen.
"Ich wünsche guten Appetit," sagte Cassy freundlich, als sie an Snape vorbei auf ihren Platz ging. Er sah sie kurz mit einem Blick an, der keinen Zweifel daran ließ, dass genau dieser ihm gerade gründlich vergangen war und aß dann schweigend weiter.
"Kann ich Sie nach dem Essen kurz sprechen?" fragte Cassy. "Nein, können Sie nicht. Wenn Sie etwas von mir wollen, dann kommen Sie zu einer vereinbarten Zeit in mein Büro," knurrte Snape über seinem Essen.
Cassy ignorierte die Aggression und fragte hartnäckig: "Wann darf ich Sie aufsuchen?" Als er merkte, dass sie doch nicht locker lassen würde, vereinbarte er mit ihr ein Gespräch nach dem Abendessen.
***
Als Cassy nach dem Abendessen in Snapes Büro ging, war ihr nicht so wohl. Sie hatte allerdings auch nie gedacht, dass alles hier in Hogwarts einfach werden würde.
Sie klopfte und trat auf ein von drinnen geknurrtes 'Herein' in das Büro. Professor Snape saß an seinem Schreibtisch und schaute sie unter zusammengezogenen Augenbrauen heraus düster an. "Was gibt es?", fragte er unwirsch.
"Ich möchte, dass Sie Slytherin zwanzig Punkte abziehen." Snape's düstere Miene begann in ein Grinsen überzugehen und er meinte. "Ich werde es mir notieren. War es das?"
"Nein, nicht ganz", fuhr Cassy mutig fort. Sein Gesichtsausdruck wurde arrogant.
"Nun?", fragte er in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, dass er gerne gehabt hätte, dass Cassy auf der Stelle sein Büro verlassen würde.
"Heute hat Malfoy auf dem Flur Hermine Granger geärgert und sie einen Schlammblüter genannt. Was ist das?"
Professor Snape lehnte sich zurück und sah sie an. Da konnte er ja gleich richtig vom Leder ziehen. "Ein Schlammblüter ist ein Schimpfwort bei uns für einen Nachkommen aus der Beziehung zwischen einem Magier und einem Muggel. Schlammblüter sind minderwertige Magier. Wenn es nach mir ginge, müssten sie an einer anderen Schule als Hogwarts unterrichtet werden, wo sie unter ihresgleichen sind." Er machte einen überheblichen Gesichtsausdruck. Nach dieser provokanten Aussage, die noch nicht einmal der vollen Wahrheit entsprach, was die minderwertigen Magier anging, sah er in Cassy's Gesicht und erwartete eine Reaktion.
"Ich denke, man sollte niemanden für sein Herkunft verurteilen", gab die ihm natürlich prompt zur Antwort. Das passte und stachelte Snape erst so richtig an.
"Die Reinheit des Blutes der Nachkommenschaft sollte unser oberstes Ziel sein. Ich selbst entstamme aus einer solchen Familie. Und ich werde versuchen, diese Tradition fortzusetzen. Oder ich bleibe alleine. Leider vergessen meine Zauberer- und Hexenkollegen das ab und zu."
"Vielleicht denken Ihre Kollegen einfach etwas weitsichtiger und haben sich den Zeichen der Zeit angepasst. Man sollte auch niemanden dafür verurteilen, wen er liebt." Sie wartete einen Moment und sah, wie sein Gesicht sich verfinsterte. "Sie wissen, dass eine solche Einstellung schon Weltkriege hervorgerufen hat?", konnte Cassy sich nicht verkneifen noch hinzuzufügen und dachte schaudernd an ihren Geschichtsunterricht in der Schule und die Bilder, die sie in den Büchern gesehen hatte.
"Wollen Sie etwa meine Einstellung kritisieren?", fragte er sie scharf.
Cassy merkte, dass er sie zielstrebig auf dünnes Eis führte, aber sie konnte nicht anders, als ihm Widerworte zu geben. Seine engstirnige Denke passte nicht zu dem Bild, das sie sich bis jetzt von ihm gemacht hatte. Wieso wollte er damals Ellen und Robert beschützen? Nein. Alles, was er ihr sagte, passte nicht zusammen. Aber Cassy wusste nicht, dass Severus stolz auf seine traditionsreiche Familie war und es für ihn nicht vorstellbar war, sich in eine Muggel zu verlieben, geschweige denn ein Kind mit einer Muggel zu haben. Stolz war allerdings auch das Einzige, was er aus seiner Familie mitbekommen hatte. Wenn er jetzt auch noch seine anerzogenen Werte in Frage stellte, dann würde er sich endgültig haltlos durch sein einsames Leben bewegen.
"Vielleicht ein bisschen", gab sie ihm ehrlich zur Antwort. Seine Augenbrauen zogen sich zu einem durchgehenden Strich über der Nasenwurzel zusammen und er schaute sie ärgerlich an.
"Ich habe noch sehr viel zu tun. Ihre Auskunft haben Sie bekommen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden." Damit wandte er sich wieder seinem Schreibtisch zu und ließ Cassy einfach links liegen. Sie stand auf und ging zur Tür. In der Tür drehte sie sich noch einmal um und sagte zu ihm:
"Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie wirklich so engstirnig denken. Guten Abend."
Damit ließ sie einen verdutzten Snape zurück, der feststellen musste, dass seine Taktik mal wieder nicht aufgegangen war.
Auf dem Rückweg zu ihrem Appartement dachte Cassy noch einmal über das Gespräch nach. Sie hatte gemerkt, dass es ihm durchaus ernst war, was die Schlammblüter anging. Seine anderen Aussagen waren eher Säbelgerassel, um sie einzuschüchtern. Sie seufzte tief und dann fiel ihr ein, dass sie Dumbledore noch nach Malfoy fragen wollte.
***
Der alte Magier hatte es sich bereits mit einem Buch und einer Decke auf seiner Sitzecke bequem gemacht und die Füße hochgelegt, als es klopfte. Mit einem Wink seines Zauberstabes öffnete er die Tür. Manchmal hatte er einfach keine Lust, quer durch sein Appartement "herein" zu rufen. In der Tür stand Cassy Parker. Er winkte sie zu sich und fragte, was er für sie tun könne. Bevor sie jedoch die Privaträume betreten konnte, hatte sich Fawkes auf sie gestürzt und setzte sich auf ihre Schulter. Der riesige Vogel war nicht gerade leicht und Cassy musste mit ihrem Gleichgewicht kämpfen, dabei verschwand sie mit rudernden Armen aus Dumbledores Blickfeld und kam kurz darauf wieder zum Türrahmen zurückgewankt. Sie sah ihn fragend an, aber der schüttelte über das Verhalten des Phoenix nur den Kopf und lächelte. "Bringen Sie ihn mit. Sie werden ihn sowieso nicht los. Er liebt Sie heiß und innig."
Sie setzten sich an den Esstisch und Fawkes kuschelte sich sofort in Cassy's Schoß und ließ sich streicheln. Cassy erzählte Dumbledore von Malfoy und seiner Bemerkung, dass dessen Vater sie aus Hogwarts ausschließen könne, wenn er wolle.
Dumbledore sah sie ernst an. "Dracos Vater ist Lucius Malfoy. Sie kennen Lucius." Er sah die Wut auf Cassy's Gesicht, als sie den Namen hörte und Fawkes ließ einen langen, beruhigenden Ton hören. Dumbledore fuhr fort: "Malfoy gehört zu einer der einflussreichsten Familien in unserer Gesellschaft. Aber sein Einfluss geht nicht so weit, dass er mir vorschreiben kann, wen ich hier zum Unterrichten her hole und wen nicht. Hüten Sie sich trotzdem vor ihm. Er meldet alles an seinen Vater weiter, was hier an der Schule passiert."
Cassy dachte einen Augenblick nach. "Dann spioniert er doch bestimmt auch Professor Snape hinterher. Ich habe gemerkt, dass Snape und Malfoy sen. sich nicht mögen." Dumbledore nickte. Wieder war er kurz erstaunt darüber, dass sie den Zusammenhang so schnell erfasst hatte.
"Professor Dumbledore. Gibt es denn gar nichts, was ich tun könnte, um Ihnen zu helfen, damit die Mörder von Ellen und Robert endlich das bekommen, was sie verdienen?" Cassy sah ihn an. Dass dieser kleine Malfoy der Sohn von Lucius war, hatte wieder all die schrecklichen Erinnerungen in ihr aufkommen lassen. Sie würde sich zusammennehmen müssen, um mit Draco im Unterricht normal umzugehen.
Dumbledore schüttelte den Kopf. "Wir wissen nicht, wo Voldemort steckt. Wir wissen allerdings, dass er noch nicht wieder richtig bei Kräften ist. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, wann er wieder mit aller Macht zuschlagen kann. Sie können uns nichts helfen. Sie kennen sich in unserer Welt noch nicht aus. Kümmern Sie sich weiter um Severus. Er braucht jemanden, der ihm Kraft gibt. Geben Sie ihn nicht auf, egal, wie er sich im Moment benimmt. Er ist sehr einsam. Das ist die größte Hilfe, die Sie mir in diesem Kampf leisten können, glauben Sie mir." Mit diesen Worten stand er auf und Cassy begriff, dass die Unterhaltung beendet war. Sie brachte Fawkes zu seiner Stange zurück und verabschiedete sich.
Sie dachte in ihrem Appartement noch lange über seine Worte nach und wieder fragte sie sich, ob es denn wirklich Sinn machte, dass sie hierher gekommen war. Wieso ging Dumbledore eigentlich davon aus, dass Snape überhaupt wollte, dass sich jemand um ihn kümmerte und ihm Freundschaft - oder auch mehr - anbot. Andererseits kannte Dumbledore ihn schon so lange, dass er sehr gut wusste, was in Snape vor sich ging. Also. Wenn es der Wunsch des Schulleiters war, würde sie weiterhin versuchen sein Vertrauen zu gewinnen. Und wenn sie gegen sich selbst einmal ehrlich war, hätte sie das auch getan, ohne dass Dumbledore sie dazu aufgefordert hätte.
***
Nach dem Mittagessen gesellte sich Remus Lupin zu ihr - wie er es in den letzten Tagen sehr oft tat - und fragte sie, ob sie vor dem Nachmittagsunterricht noch ein wenig mit ihm an die frische Luft gehen wolle. Beide stellten fest, dass sie an diesem Tag keinen Nachmittagsunterricht mehr hatten.
Cassy begleitete den Magier gerne. Er war sympathisch, konnte zuhören und die Gespräche mit ihm waren immer anregend und interessant. Keine ihrer Fragen, die sie hatte, wurde von ihm mit einer hochgezogenen Augenbraue oder mit einem mitleidigen Unterton beantwortet. Als sie vor dem Schloss waren, lenkte Lupin seine Schritte in Richtung See. Dort angekommen, setzten sich beide auf eine der Bänke, die rund um den Stamm einer riesigen, alten, knorrigen Eiche angebracht waren. Die dichte Krone des Baumes spendete angenehmen Schatten. Man hatte von hier aus einen umwerfenden Blick über den See. Das Wasser glitzerte in der Sonne tiefblau, als wolle es dem wolkenlosen Himmel Konkurrenz machen. In einem satten Kontrast dazu standen die tiefgrünen Wiesen rund um den See, deren wilde Sommerblumen in einem verschwenderischen Farbenspiel bunte Akzente setzten. Der Duft, der über die Wiesen herübergeweht wurde, war süß und frisch und Cassy hatte das Bedürfnis, einfach bis zum Abendessen hier zu sitzen und zu faulenzen. Es war ein idyllisches Plätzchen.
"Sie dürfen ihm sein Benehmen nicht übel nehmen," riss Lupin sie aus ihren Betrachtungen. "Er hat es nicht leicht." Sie hatte ihm erzählt, dass Snape mal wieder biestig zu ihr gewesen war.
Cassy lächelte und sagte: "Er macht es auch den Anderen nicht leicht." Und nach einer Weile fügte sie hinzu: "Aber ich weiß, dass er ein schwieriges Leben führt." Dabei schaute sie Lupin aufmerksam an. Sie wollte wissen, ob er auch von Snapes zweiter 'Beschäftigung' wusste.
"Dumbledore hat mir erzählt, was Sie für ihn getan haben. Sie waren sehr mutig."
Also wusste auch Lupin es. Ihre Erinnerungen an diesen verhängnisvollen Abend waren noch zu frisch. Sie wollte nicht daran denken, sonst hatte sie ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Also wechselte sie das Thema.
"Ich bin morgen zu Professor Snape in Zaubertränke eingeladen, wenn er die fünfte Klasse unterrichtet. Ich soll das Versuchskaninchen spielen," erzählte sie Lupin. Der schaute sie erschrocken an.
"Das machen Sie doch nicht!"
Cassy grinste. "Irgendwie muss ich doch sein Vertrauen gewinnen können. Also vertraue ich ihm, dass mir nichts passiert."
"Wissen Sie schon, welchen Trank er testen will?"
"Nein. Ich lasse mich überraschen. Er sagte es wäre etwas Unterhaltsames. Ich gehe also davon aus, dass alle außer mir ihren Spaß haben werden," grinste Cassy.
Dann entstand wieder eine Pause.
"Erzählen Sie mir etwas von ihm. Bitte. Ich möchte ihn wirklich besser verstehen", bat Cassy Remus.
Der schaute lange unter sich auf den Boden und als Cassy ihm schon zehn Penny anbieten wollte, begann er auf einmal zu sprechen.
"Wir waren damals vier Freunde, die auch hier in Hogwarts zur Schule gegangen sind. Severus gehörte nicht dazu. Er war damals schon schwierig, hauptsächlich, weil er einsam war. Er hatte kein vernünftiges Elternhaus. Sein Vater war sehr streng und hat ihn wohl oft misshandelt. Die Mutter starb früh und konnte Severus nicht mehr vor seinem Vater schützen. Hogwarts war für ihn wie ein Zuhause. Wenn er aus den Ferien kam, war er jedes Mal völlig verstockt. Dann kamen wir in das Alter, wo Mädchen ein Thema wurden." Er schaute Cassy kurz an. Sie hatte sich in der Zwischenzeit von der Bank herunter auf ihren Umhang auf der Wiese gesetzt und Remus setzte sich jetzt zu ihr. "Es gab ein rothaariges hübsches Mädchen, in das Severus sich verguckt hatte. Er war viel zu schüchtern, sie anzusprechen. Aber das Mädchen hatte gemerkt, dass Severus sie mochte und begann, sich ihm zuzuwenden. Die beiden waren ein romantisches Paar. Und Severus hatte sich völlig verändert. Er war aufmerksam, liebevoll und freundlich. Sie waren monatelang zusammen und jeder hatte gedacht, dass sie auch nach der Schulzeit zusammenbleiben würden. Dann kam der Tag, an dem Lucius Malfoy ihn überredet hatte, zu einem Todesser-Treffen mitzugehen. Sie müssen wissen, dass Severus schon damals als ein Zauberer mit außergewöhnlichen Fähigkeiten galt. Und er hatte einen Hang zu den dunklen Künsten. Er war der perfekte Mitstreiter für den dunklen Lord. Aber Severus hatte kein Interesse an dem Sadismus und der Brutalität, die Voldemort verbreitete. Der Lord wollte Severus haben und hatte das richtige Druckmittel. Entweder würde Severus für ihn arbeiten, oder die junge Frau würde sterben." Hier hielt er einen Moment inne und schaute Cassy an. Die wartete jedoch gespannt auf die Fortführung der Geschichte. "Also gab er der jungen Frau den Laufpass, um sie zu schützen. Sie wollte das nicht hinnehmen und machte ihn in der ganzen Schule, wann immer es ging, unmöglich. Er hat sehr gelitten in dieser Zeit, denn ihr Verhalten wurde immer verletzender. Irgendwann hatte sie die Grenze des guten Geschmacks mit ihren Aktionen übertreten. Sie flirtete absichtlich vor seinen Augen mit einem meiner besten Freunde herum, den sie später auch geheiratet hat. Sie hat nie erfahren, dass Severus versucht hatte, sie zu beschützen. Und er war nie wieder der alte. Sie hatte ihn so sehr getroffen, dass er seit dieser Zeit immer zynischer und bissiger wurde. In seinem Schmerz schloss er sich Voldemort dann doch an, aber nicht für lange. Sein Gewissen plagte ihn und er begann in fließendem Übergang als Spion für Dumbledore zu arbeiten und blieb in dieser Eigenschaft bei Voldemort bis zu jenem verhängnisvollen Tag an dem der dunkle Lord die junge Frau und ihre Familie umbrachte."
Cassy unterbrach ihn. "Wer war die junge Frau?"
"Es war Lilly Evans, später Harry Potters Mutter", antwortete er leise. "Nach ihrem Tod war auch Voldemort gefallen und Severus zog sich in sich selbst zurück und niemand konnte Zugang zu ihm finden und mit ihm reden. Was heute in ihm vorgeht, kann man nur ahnen."
Er sah Cassy an. Sie blickte mit einem traurigen und ergriffenen Gesicht über den See und setzte nach einer Weile und einem tiefen Seufzer leise zum Sprechen an.
"Diese Wunde ist niemals geheilt. Er ist verletzt, fühlt sich schuldig. Sein Verhalten ist nur sein Panzer, den er braucht, um Ihnen allen entgegenzutreten."
Remus schaute sie erstaunt an. Sie sagte das, obwohl er sie so behandelte?
Sie sah das Erstaunen in Remus' Gesicht. "Ich ... ich", begann sie stockend, "habe sein Gesicht gesehen, als er meine Freundin töten musste. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, was ich gesehen habe. So viel Gefühl war in seinen Augen, in seinem Gesicht. Er hat bis zum Schluss versucht, sie zu retten." Ihre Stimme hatte wieder zu zittern begonnen. Viele Erinnerungen verblassen mit der Zeit. Sie verändern sich. Meist behält ihr Besitzer nur die Guten und Angenehmen, von denen er in schwachen Stunden zehren kann. Aber Snape's Gesichtsausdruck in diesem kurzen, vorübergehenden Moment war so kraftvoll und intensiv, dass dieser Augenblick unauslöschlich in ihrem Gedächtnis eingebrannt war. Und er hatte bis heute nicht an Kraft und Deutlichkeit verloren.
Sie hörten das Schlagen von mächtigen Flügeln und sahen beide an den Himmel. Aratos kam mit einem Brief ihrer Mutter im Schnabel. Remus sah ihn an und sagte zu Cassy: "Wo haben Sie diese wunderschöne Eule her?" Cassy streichelte Aratos zärtlich und antwortete: "Fragen Sie ihn. Er hat mich damals in der Winkelgasse ausgesucht. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe ihn gesehen und hatte das Gefühl, ich würde ihn schon immer kennen. Er hatte so etwas Bewusstes, Aufmerksames in seinem Blick. Ich hätte das Geschäft ohne ihn nicht verlassen." Sie musste lachen, wenn sie an diesen Besuch dachte.
Remus streckte seine Hand vorsichtig aus, aber Aratos ließ sich auch von ihm streicheln. "Sie wissen, wie selten diese schwarze Eulen sind?" Cassy schüttelte den Kopf. Darüber hatte sie sich keine Gedanken gemacht. Sie hatten sich beide gefunden und das war die Hauptsache für Cassy. Wieder hatte sie den Eindruck, dass die Eule jedes Wort verstand.
Die Bäume warfen mittlerweile schon lange Schatten und es war Zeit ins Schloss zurückzukehren. Er stand auf und zog Cassy auf die Füße. Sein Schwung war etwas heftig und so stand sie für einen kurzen Augenblick sehr dicht vor ihm und schaute ihn lächelnd an. Wieder hatte er dieses Kribbeln im Bauch, das ihm sagte, dass er Cassy mehr als nur mochte. Er überlegte kurz, ob er ihr den Arm um die Schultern legen sollte, aber das verwarf er gleich. Er bot ihr den Arm an und sie hängte sich lächelnd bei ihm ein. Dann gingen beide zurück ins Schloss.
Dieses Gespräch hatte Remus und Cassy näher zueinander gebracht. Sie waren schon jetzt mehr als nur Kollegen. Sie waren Freunde.
***
Die Tage vergingen und das Wetter blieb traumhaft schön, wie schon den ganzen Sommer. Cassy merkte, dass die Nachmittagsklasse überhaupt keine Lust hatte, sich etwas über die Benutzung von Geldautomaten anzuhören. Sie lagen alle gelangweilt auf ihren Pulten herum und waren völlig teilnahmslos.
Gerade hatte sie Harry gefragt, über welchen Weg man das Geld aus einem Automaten bekäme. Aber er starrte aus dem Fenster mit einem völlig abwesenden Blick. Auch auf die zweite Frage reagierte er nicht. Als Hermine ihn anstoßen wollte, hob Cassy die Hand und bedeutete ihr, ihn nicht zu berühren. Sie schlich sich durch die Reihen an Harry heran und ging neben seinem Pult in die Knie.
"Möchten Sie mir zeigen, was Sie da draußen sehen, Mr. Potter?"
Harry fuhr so zusammen, dass Cassy fast ein schlechtes Gewissen hatte, dass sie sich an ihn herangepirscht hatte. Er wurde tiefrot und die ganze Klasse fing an zu lachen. Sogar Ron und Hermine. Er warf den beiden einen vernichtenden Blick zu.
Cassy legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm und drehte sich zur Klasse um.
"Da ich bei diesem Wetter mindestens genauso gerne drinnen bin wie Sie, schlage ich vor, Sie nehmen Stift und Heft mit und wir gehen raus auf die Wiese zum unterrichten. Ihre anderen Sachen können Sie hier lassen."
Die Klasse fragte nicht lange und machte sich mit Cassy auf den Weg zum See. Vor der Schule trafen sie auf Professor Snape, der gerade aus Richtung der Gewächshäuser kam.
"Wohin geht die Reise?", fragte er mit einem öligen Lächeln. "Wir werden den Unterricht am See fortsetzen", gab Cassy ihm freundlich zur Antwort.
Er zog eine Augenbraue hoch und blickte die Slytherins und die Gryffindors kurz an. Dann wandte er sich Cassy wieder zu. "Sie wissen, dass die Schüler die Klassenräume nicht verlassen dürfen, während des Unterrichts?"
"Ja. Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Aber die Anweisung heißt, 'nicht alleine verlassen' und 'in Begleitung einer Lehrkraft verlassen'. Und jetzt, sehr geehrter Kollege, bin ich als Lehrkraft dabei und wir werden unseren Unterricht am See fortsetzen." Damit war sie noch einen Schritt auf ihn zugetreten und sagte: "Warum begleiten Sie uns nicht und schauen zu?"
Snape blickte in die gespannten Gesichter der Schüler und entschied, dass er der Diskussion ein Ende machen würde. Er kam einfach nicht an sie heran. Er konnte sie nicht einschüchtern. Sie ärgerte sich nicht. Dafür ärgerte er sich um so mehr. "Ich glaube nicht, dass es etwas gibt, das Sie mir noch beibringen können, Miss Parker." Doch, dachte Cassy, Manieren. Dann ging Snape zurück zum Schloss und Cassy hielt mit ihren Schülern den Unterricht am See ab.
Malfoy, Crabbe und Goyle fanden die Idee gar nicht so schlecht. Draco legte sich ins Gras, ließ Cassy erzählen und schlief ein. Was interessierte ihn auch die Verwendung von Muggelgeld. Sein Vater sagte immer, dass man auf Muggel verzichten könne. Und Draco hinterfragte die Meinung seines Vaters nicht.
Cassy ließ Malfoy schlafen und unterhielt sich mit den Schülern über ihre Erfahrungen mit Muggelsachen. Die Gruppe saß oder lag im Gras und hatte viel Spaß.
Als Malfoy dann geweckt wurde von Cassy, signalisierte sie ihm wieder zwanzig Punkte Abzug, was ihm aber nur ein müdes Grinsen entlockte. Dann ging er.
Nach dem Abendessen hatte sich Cassy auf die Stufen der Steintreppe vor dem Schloss in die Sonne gesetzt. Aratos war überraschend mit mächtigen Flügelschlägen und ohne Post zu ihr gekommen. Er hatte sich in ihren Schoß gesetzt und ließ sich streicheln. Sie hatte ihre Eule ein paar Tage nicht gesehen, und sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie sich zu wenig um ihn kümmern würde. Aber Aratos schien sich in der Eulerei sehr wohl zu fühlen. Professor Snape kam auf der Suche nach ihr die Treppe herauf und sah sie dort sitzen. Einen Moment blieb er stehen und beobachtete sie. Das Abendrot ließ ihr Haar in warmen Farben schimmern. Sie hatte ein schönes Profil. Die große Eule auf ihrem Schoß und ihr weltentrückter Gesichtsausdruck, mit dem sie das Gefieder dieses schwarzen Vogels streichelte, prägten sich in seinen Gedanken ein und hinterließen ein seltsames Gefühl bei ihm. Er verharrte und sah sich das malerische Bild an. Es war ein sehr ruhiger und harmonischer Augenblick, den er erlebte. Dann wurde ihm bewusst, dass er träumte und mit einer ruckartigen Bewegung holte er sich in die Wirklichkeit zurück und ging zu ihr.
"Miss Parker?", sagte er im wahrsten Sinne von oben herab. Sie schaute hoch und hielt sich die Hand über die Stirn, da das tiefstehende Sonnenlicht sie blendete. "Professor Snape!", antwortete Cassy. "Setzen Sie sich doch einen Moment her", lud sie ihn ein. Aratos musterte ihn aufmerksam. Für einen Augenblick dachte Snape tatsächlich darüber nach, ob er sich nicht neben sie setzen sollte und das Abendrot genießen. Aber er konnte es nicht. Also sah er sie lieber an, als hätte sie ihm einen unsittlichen Antrag gemacht und ging nicht weiter auf das Angebot ein.
"Ich wollte Sie nur noch einmal an die Zaubertrankstunde morgen erinnern." Damit drehte er sich um und ging.
Wie könnte ich die vergessen, dachte Cassy leicht ironisch und grinste vor sich hin. Aratos sah Snape noch eine Weile hinterher.
***
Die Zaubertränke-Klasse war schon vollzählig versammelt, als Cassy die Tür zum Unterrichtsraum öffnete. Professor Snape kam mit einem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck auf sie zu.
"Aah, Miss, äh, Parker. Endlich. Dann können wir ja gleich beginnen."
Er wies ihr mit einer Handbewegung einen Platz in der Klasse zu, neben Neville Longbottom und meinte: "Sie können Mr. Longbottom über die Schulter schauen, wie ein solcher Trank hergestellt wird."
Die Slytherins kicherten alle und Cassy schaute Snape mit schief gelegtem Kopf und zusammengezogenen Augenbrauen an. Es hatte wohl einen Grund, warum sie ausgerechnet zu Neville sollte.
"Wir werden heute einen sogenannten Gleichgültigkeitstrank herstellen. Wie der Name schon sagt, versetzt er denjenigen, der ihn genommen hat, in stoischen Gleichmut. Wofür kann man einen solchen Trank gebrauchen?"
Keiner meldete sich. Nicht einmal Hermine.
Snape schaute Cassy mit einem gehässigen Grinsen an und meinte sehr direkt: "Zum Beispiel um Muggel zu ertragen."
Die Slytherins brachen in tosendes Gelächter aus, aber auch der eine oder andere Gryffindor grinste vor sich hin.
Cassy schaute Snape fest ins Gesicht und sagte mit freundlichem Lächeln: "Vielleicht aber auch um sadistisch veranlagte Personen in der Umgebung besser zu ertragen?"
Verdammt. Warum hatte sie seine Aussage nicht einfach mit einem Lachen quittiert. Getroffener Hund bellt. Ihr Verhalten war unprofessionell.
Snapes Gesicht bekam einen zornigen Ausdruck. Er hatte die überhaupt nicht getarnte Spitze sehr wohl verstanden und war jetzt nicht schlagfertig genug, um sie zu parieren.
Sein Gesicht überflog vor Ärger ein kaum wahrnehmbarer rosa Hauch. Er ließ sich nicht vor seiner Klasse von einem Anderen, besonders von einer Frau, aber vor allen Dingen von einer Muggel, maßregeln. Er ignorierte Cassy's Einwand und drehte sich wieder der Klasse zu.
"Die Zutaten findet ihr im Buch auf Seite 142. Fangt an. Ich möchte Sie kurz sprechen, Miss Parker?"
Cassy stand auf und hörte noch, wie Ron neben ihr zu Harry flüsterte: "Oh, oh. Das sieht nach Ärger aus."
Sie folgte Snape in den angrenzenden Raum. Er stand dort, in seiner eindrucksvollen Größe mit verschränkten Armen und blickte sie wütend an. Cassy's Herz schlug bis zum Hals. Sie wollte keinen Ärger mit ihm.
"Ich kann es nicht dulden, Miss Parker, dass Sie mich vor meiner Klasse unmöglich machen. Ich dachte, dass dies hier", und er machte eine umfassende Handbewegung, "für Sie interessant ist. Aber statt dessen sabotieren Sie meinen Unterricht. Es gestaltet sich doch schwierig, Sie in unsere Gesellschaft zu integrieren. Ich hatte immer meine Zweifel."
Mit diesen Worten war er noch einige Schritte auf sie zu getreten, stand jetzt sehr dicht vor ihr und sah sie drohend an.
Sie sah in seine kalten, aber vor Zorn leidenschaftlich schimmernden, schwarzen Augen. Sein ganzes Gesicht war in seiner Wut in Bewegung. Cassy hatte nur am Rande gehört, was ihn so aufbrachte. Er stand einfach zu nahe vor ihr. Ihr blieb die Luft für einen Augenblick weg. 'Reiß dich zusammen, Cassy', dachte sie und schluckte. Aber es war schwierig. Es ging ein undefinierbarer, aufregender Geruch von diesem Mann aus. Sie hatte ihn seit dem Vorfall in Ellen und Robert's Keller immer in der Nase. 'Wach' auf!', schalt Cassy sich, 'Er beschimpft dich gerade mit etwas, das er selbst angezettelt hat und du denkst darüber nach, wie er riecht'.
"Nun, Professor Snape", erwiderte sie und wunderte sich, dass ihre Stimme so ruhig war - auch ohne den Gleichgültigkeitstrank. "Ich bin Ihnen sogar sehr dankbar, dass ich heute in Ihrem Unterricht zuschauen darf. Sie haben ein Fach, das sehr schwierig und sehr faszinierend ist. Aber ich komme mit Ihrer Art von Humor noch nicht ganz zurecht. Muggelwitze sind für Sie normal. Für mich leider nicht. Wenn ich Ihre Entrüstung richtig deute, dann hatten Sie gar nicht vor, mich zu beleidigen?"
Lauernd schaute sie in sein Gesicht. Die Brücke, die sie ihm gerade gebaut hatte, war so breit, dass das Spaceshuttle dreimal nebeneinander darauf Platz gehabt hätte.
Und Snape betrat sie. "Ähm, nun gut. Lassen wir es darauf beruhen", bog er die ganze Sache ab und ging zurück in den Klassenraum.
Cassy folgte ihm und setzte sich wieder neben Longbottom. Der dickliche Junge zitterte wie Espenlaub, als er seine Zutaten sorgfältig zurecht machte und sie ganz nach Anweisung in den Kessel warf. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sagte leise: "Was ist mit Ihnen? Beruhigen Sie sich."
In ihrem Unterricht lachte er öfter und versuchte nach besten Kräften mitzumachen. Sie erkannte ihn gar nicht wieder. Aber Cassy wusste nicht, dass in ihrem Unterricht den Leuten auch nicht regelmäßig Kessel um die Ohren flogen oder die Tränke garantiert ein anderes Ergebnis brachten, als das ursprünglich angestrebte. Neville hatte heftige Angst, dass Miss Parker seinen Trank probieren musste. Und das war Snape durchaus zuzutrauen.
Neville sah sie dankbar an. Jedoch hatte Snape es bemerkt. Cassy hatte nämlich festgestellt, dass er regelmäßig zu ihnen hersah. Aber es hatte nichts mit ihr zu tun, denn er fixierte Longbottom mit einem lauernden Glitzern in den Augen.
Er stand auf und kam zum Tisch. Nevilles Angst wurde größer. Er wurde abwechselnd weiß und rot und zitterte noch heftiger.
"Mr. Longbottom", begann er mit einem ironischen Unterton in der Stimme. "Wie ich sehe, hat Ihr Trank im momentanen Stadium genau die richtige Konsistenz. Wie kommt das?" Neville senkte den Kopf. Aber dann hatte er die Worte erfasst. Er schaute Snape direkt an und dann in seinen Topf, als ob er den Kessel zum ersten Mal sehen würde. Ob der Trank nun stimmte oder nicht, wusste er nicht. Aber Snape hatte nichts auszusetzen. Das war ein historischer Augenblick für Neville.
"Ich denke, wir werden Ihren Trank an Miss Parker ausprobieren", wandte Snape sich an die Klasse. Und schon war Nevilles beginnendes Hochgefühl am versickern.
Auch Cassy beschlich ein ungutes Gefühl. Was war, wenn der Trank genau das Gegenteil bewirkte und sie würde für die nächsten Stunden zur unberechenbaren Furie oder sie bekam blaue Haut oder dicke Furunkel würden überall auf ihrem Körper wachsen oder sie würde schrumpfen oder ...
'Wehe, Neville, wenn du versagst', dachte sie. Aber dann sagte sie sich, dass Snape es bestimmt niemals zulassen würde, dass ihr etwas passierte. Oder vielleicht doch?
Der Trank schien, Gott sei Dank, nur aus Kräutern zu bestehen und Neville gab sich alle Mühe ihn genau nach Buch zu Ende zu bereiten.
Zum Schluss blubberte im Kessel eine königsblaue wässrige Tinktur und Professor Snape war tatsächlich zufrieden. Es gab aber keine Punkte für Griffyndor ...
Er hob mit der Pipette etwas aus dem Kessel und füllte einige Tropfen in ein winziges Probierglas, das er Cassy gab.
Sie hielt das Glas in zitternden Fingern. Die ganze Klasse stand um Nevilles Kessel herum und sah sie erwartungsvoll an.
"Nun?" fragte Professor Snape und hob eine Augenbraue. Cassy nickte und schüttete die Flüssigkeit in einem Zug herunter. Sie schmeckte wie Hustensaft, aber mit einem bitteren Nachgeschmack. Auf jeden Fall erträglich. Dann fiel ihr etwas ein. Das hatte sie Snape schon die ganze Zeit fragen wollen:
"Wie lange hält die Wirkung an? Haben Sie auch einen Gegentrank?"
Snape grinste hinterhältig. "Das kann Ihnen doch jetzt eigentlich egal sein, wo Sie den Trank bereits geschluckt haben. Also: Es gibt keinen Gegentrank und die Wirkung hält zwei Tage an."
"Ist eigentlich wirklich egal", dachte Cassy, deren Gehirn jetzt anfing zu schweben, sich zu verabschieden und auf Wanderschaft zu gehen, da der Trank wirkte.
Und mit diesem Gefühl ging sie zum Abendessen.
Sie saß dort am Tisch und schaute den Anderen beim Essen zu, bevor sie sich mit unendlich langsamen Bewegungen selbst etwas auf den Teller auftat. Professor Snape taxierte sie ab und zu von der Seite und grinste vor sich hin.
"Sie haben da einen Fleck", sagte er zu Cassy, die sich zum wiederholten Male die Suppe auf den Umhang gekleckert hatte.
"Na, und?" sagte sie gleichgültig. Sonst interessierte es ihn ja auch nicht, ob und wie sie neben ihm saß. Da hätte sie nackt Handstand auf dem Stuhl machen können und es wäre an ihm vorbeigegangen. Snape verließ mit einem selbstzufriedenen Grinsen den Speisesaal.
Zwei volle Tage hielt die Gleichgültigkeit an. Es war für Cassy eine grauenhafte Zeit. Wann immer sie merkte, dass etwas nicht in Ordnung war, hatte sie sofort das Gefühl, dass es eigentlich sowieso egal ist.
Unterricht konnte sie fast überhaupt nicht halten. Weil es sowieso egal war, was sie erzählte. Und es war egal, ob die Schüler es begriffen. Oder lernten.
Dumbledore war verärgert und hatte Snape einen Rüffel erteilt. Den ließ er an Cassy wieder aus, in dem er ihre Punktabzüge für Slytherin einfach ignorierte.
