Einsamkeit und Geselligkeit liegen dicht beieinander ...

Die Slytherins verhielten sich in Cassy's Unterricht immer schlimmer. Ab und zu kam Malfoy gar nicht mehr. Oder Crabbe und Goyle legten sich mit dem Kopf auf das Pult und schliefen. Natürlich laut schnarchend.

Cassy stand dann abends regelmäßig bei Snape auf der Matte und gab ihm die Punktabzüge bekannt. Er schüttelte jedes Mal den Kopf und sagte ihr, dass sie nicht so empfindlich sein solle.

Die Gryffindors wurden langsam sauer und sagten Cassy, dass sie das nicht mehr mitmachen würden. Sie würden zu Professor McGonagall gehen. Auch bei den Hufflepuffs und den Ravenclaws hatte sich die Ungerechtigkeit von Snape herumgesprochen und die Schüler begannen dagegen zu rebellieren. Allerdings bei Cassy, nicht bei Snape.

Drei Tage lang kontrollierte Cassy das Punktometer (wie sie es für sich nannte) und sah, dass die Ausschläge nicht besonders groß waren. Sicherlich zogen die anderen Lehrer auch Punkte ab, oder gaben welche dazu, aber bei den Slytherins ging es doch stetiger nach oben als bei den anderen.

Dann kam der Tag, an dem die Slytherins gar nicht mehr in den Unterricht kamen und Cassy wusste, dass sie zu Dumbledore gehen musste und die ganze Sache melden. Aber das behagte ihr nicht. Es musste doch eine Möglichkeit geben, mit Snape von Kollege zu Kollege zu reden, ohne den Schulleiter hinzuzuziehen. Sie beschloss, es noch einmal zu versuchen. Je länger sie allerdings darüber nachdachte, dass er sie so sabotierte, desto wütender wurde sie.

Als der Unterricht zu Ende war, war Cassy's Stimmung nahe dem Siedepunkt. Heute würde sie Professor Severus Snape die Meinung sagen. Und zwar gründlich. Sie nahm ihre Mappe und stapfte aus dem Unterrichtsraum direkt in die Kerker.

***

Sie stürzte in Snapes Büro. Er war gerade mit der letzten Klassenarbeit beschäftigt. Sie klopfte nicht und trat einfach so schwungvoll ein, dass die Tür mit einem satten Krachen an das dahinterstehende Regal flog. Vielleicht sollte er das Regal abbauen und die Wand mit Schaumgummi auspolstern, ging ihm kurz durch den Sinn. Sie baute sich vor seinem Tisch auf, ließ ihre Mappe mit einer herausfordernd langsamen Bewegung direkt auf seine Pergamente fallen, die er gerade bearbeitete und stützte die Hände auf die Tischplatte. Dann funkelte sie ihn wütend an.

"Warum setzen Sie meine Punktabzüge nicht um? Die Punkteguthaben werden immer sofort von Ihnen eingesetzt. Warum nicht die Abzüge? Ihre Slytherins benehmen sich in meinem Unterricht wie die Axt im Walde! Alle anderen Professoren berücksichtigen meine Punktabzüge. Nur Sie nicht! Das hat jetzt zum Ergebnis, dass Ihre Slytherins machen, was sie wollen, kommen und gehen, wann sie wollen und überhaupt nicht mehr mitarbeiten. Die anderen Häuser sind stinksauer und das kann ich ihnen nicht einmal verübeln!"

Snape hatte zuerst erstaunt geschaut, als das Gewitter begonnen hatte. Dann hatte er sich provozierend langsam in seinem Stuhl zurückgelehnt und sah Cassy fast amüsiert an, dabei drehte er die Feder, mit der er korrigiert hatte zwischen den Fingern. Dass diese Frau ein solches Temperament hatte, hätte er nicht gedacht. Cassy tobte weiter. Sie schlug mit der Faust auf seinen Schreibtisch und sagte gerade mit erhobener Stimme: "Äußern Sie sich gefälligst dazu! Ich möchte nicht zu Professor Dumbledore gehen müssen. Ich werde Ihr Haus einfach nicht mehr mit Punkten belohnen. Wenn sie keine abgezogen bekommen, sollen sie auch keine dazu bekommen. Sie erinnern sich, dass auch Muggelkunde ein Prüfungsfach ist?", fragte sie ihn bewusst herausfordernd.

"Aber ein sehr unwichtiges", warf er mit ruhiger Stimme ein und grinste süffisant.

Das war für Cassy zuviel. Sie explodierte. "Es reicht jetzt, Professor Snape!!", schrie sie ihn an. "Seit ich hier bin, behindern Sie mich in meiner Arbeit. Dass Sie mich nicht mögen, haben Sie mir ja bei jeder Gelegenheit zu verstehen gegeben. Damit kann ich leben. Aber ich lasse nicht meine Arbeit von Ihnen sabotieren! Ich nehme meine Aufgabe hier sehr ernst!"

"Komme ich ungelegen?", fragte eine ruhige Stimme von der Tür. Remus betrat den Raum.

Snape und Cassy drehten sich um und gifteten Remus wie aus einem Mund an: "Ja!"

Als er in ihre wütenden Gesichter sah, hob er beschwichtigend beide Hände und zog sich mit einem "Ok, ok, ich bin schon weg", aus dem Büro zurück. Draußen überlegte er, dass er sicherheitshalber in der Nähe bleiben würde, um die Reste der beiden nachher einzusammeln und sie zu sortieren.

Er hörte Cassy's Stimme bis auf den Flur. "Ich werde jetzt zu Dumbledore gehen. Wenn Sie nicht in der Lage sind, die Punktabzüge durchzuführen, dann werde ich sie in Zukunft an ihn weiterleiten." Und Snape brüllte zurück: "Ich gehe am besten gleich mit. Ich habe diesen ganzen Rummel hier um Sie herum sowieso gründlich satt."

Dann rannten beide stinksauer aus Snapes Büro Richtung Dumbledore. Na, der wird sich freuen, dachte Remus und trottete neugierig hinterher. Er entschied sich aber dann, in sein Quartier zurückzugehen und mit seinem Anliegen, das er an Severus hatte, lieber noch ungefähr zehn Stunden zu warten, damit er sich beruhigen konnte.

Ohne zu klopfen stürmten sie in Dumbledores Büro. Da sie gleichzeitig durch den Türrahmen wollten, behinderten sie sich jedoch gegenseitig und fielen regelrecht in das kleine Zimmer des Schulleiters ein.

Dumbledore hob erstaunt eine Augenbraue und musste sich ein Grinsen verbeißen. Hatte Cassy es geschafft, Snape so richtig auf die Palme zu bringen? Guuut.

Er sah in ihre wütenden Gesichter, als beide gleichzeitig losredeten und versuchten den anderen in der Lautstärke zu übertrumpfen. Dumbledore hatte den Kopf auf die Hände gestützt und sah beide geduldig an. Dann stieß Fawkes einen durchdringenden Ton aus. Er klang wie der Rundengong beim Boxen. Wie auf einen Schlag waren beide Streithähne ruhig.

"Setzen Sie sich bitte", sagte Dumbledore und wies auf die Stühle vor seinem Tisch. Beide setzten sich mit vor Zorn geröteten Gesichtern und sahen ihn an.

"Um was geht es? Und bitte einer nach dem anderen." Dann lehnte er sich zurück.

"Sie kam eben in mein Büro geschossen und hat mich angebrüllt", fing Snape sofort an, damit Cassy erst gar nicht zu Wort kommen konnte. Sie hat mit der Faust auf meinen Schreibtisch geschlagen, wollte er noch sagen, hielt sich aber im letzten Moment zurück, weil es doch etwas kindisch klang.

Dumbledore wandte seinen Blick Cassy zu.

"Ich hätte es lieber zwischen uns geregelt", zischte sie Snape zu und sah Dumbledore an. "Er setzt meine Punktabzüge für Slytherin nicht um. Heute sind die Slytherins nicht zum Unterricht gekommen. Sie wissen, dass ich ihnen nicht schaden kann. Muggelkunde ist ein Prüfungsfach und sie werden durchfallen, wenn sie nicht kommen."

"Aber ein sehr Unwichtiges", warf Snape wieder ein. Darauf hin schoss Cassy mit hochrotem Kopf abrupt von ihrem Stuhl hoch und sah ihn an, als würde sie sich gleich auf ihn stürzen und ihm eine heftige Tracht Prügel verpassen.

"Nur ruhig", versuchte Dumbledore die Wogen zu glätten und hob beschwichtigend die Hände. "Professor Snape?" Er sah ihn fragend an.

"Sie vergibt die Punktabzüge für Lappalien. Kein normaler Lehrer einer Magierschule", und dabei legte er die Betonung auf 'normal' und 'Magierschule' und sah sie herausfordernd an, "würde Punktabzüge für solche Nichtigkeiten vergeben. Daher habe ich entschieden, dass die Punkte im Haus bleiben."

"Die anderen Lehrer halten meine Punktabzüge für durchaus gerechtfertigt und setzen sie auch um", fauchte Cassy ihn wieder an.

"Was sind das für Lappalien?" fragte Dumbledore sie direkt.

"Malfoy stört permanent durch Zwischenrufe. Vor ein paar Tagen hat er mich vor der ganzen Klasse als ein 'Muggelflittchen' bezeichnet. Entweder schläft er oder er kommt zu spät oder er ist frech. Und die anderen Slytherins fangen so langsam an, seinem Beispiel zu folgen." Vielleicht hätte sie Snape immer und nicht nur ab und zu sagen sollen, für was die Punktabzüge sind. Von dem Muggelflittchen wusste er nämlich nichts und schaute unangenehm berührt auf seine Knie. Aber sie machte sich keine Illusionen, dass das viel geändert hätte. Vielleicht zwanzig Punkte Unterschied.

"Professor Snape, ich halte das durchaus nicht für eine Lappalie. Und wenn die Schüler jetzt sogar dem Unterricht fernbleiben, ist das eine ernste Situation. Hogwarts hat einen Ruf zu verlieren. Seit Jahrhunderten bilden wir nur hervorragende Magier und Hexen aus. Ich weiß, was die Eltern sagen werden, wenn sie von ihren Schülern erfahren, welche Zustände hier herrschen. Ich musste schon Schwärme von Eulen beantworten, warum eine Muggel hier unterrichtet. Was glauben Sie, was auf mich - was auf uns alle zukommt, wenn die Schüler ihre Jahresziele nicht erreichen? Es geht um den Ruf unserer Schule!" Dabei sah er Snape sehr wütend an und fuhr fort: "Severus! Ich muss Sie auffordern, diese Punktabzüge unverzüglich nachzuholen. Und reden Sie ein ernstes Wort mit Ihren Slytherins. Vor allen Dingen mit Malfoy. Sein Verhalten kann doch nicht in Ihrem Interesse liegen. Es ist respektlos und entwürdigend. Ich möchte nicht in die Verlegenheit kommen, diese Angelegenheit zu kontrollieren. Sie beide sind Kollegen und agieren zum Wohle der Schule und der uns anvertrauten Schüler. Persönliche Animositäten haben hier nichts verloren. Haben Sie mich verstanden?" Dabei schaute er Professor Snape ärgerlich an. "Sie können beide jetzt gehen. Vertragen Sie sich."

Als sie schweigend die Rolltreppe heruntergefahren waren und im Flur standen, drehte Severus sich um und fragte zornig: "Sind Sie jetzt zufrieden?" Er blieb tatsächlich stehen und wartete auf eine Antwort.

Cassy sah ihm ins Gesicht und sagte: "Nein, Professor Snape, bin ich nicht."

"Was wollen Sie denn noch?" Seine Stimme überschlug sich fast. Er konnte nicht fassen, dass er gerade eine richtig saftige Rüge bekommen hatte und diese ... diese Muggel noch immer nicht genug hatte.

"Ich hätte gern das Ganze zwischen uns beiden geregelt, ohne Dumbledore hinzuzuziehen. Das wäre mein wirklicher Wunsch gewesen", wiederholte Cassy noch eimal ihre Aussage aus dem Büro leise und ging niedergeschlagen mit gesenktem Kopf zurück in das Untergeschoss zu ihrem Appartement. Sie ließ Professor Severus Snape sehr nachdenklich im Flur zurück.

Dann ging er in sein Büro. Sie hatte ihre Tasche auf seinem Schreibtisch vergessen in ihrer Wut. Er würde sie ihr morgen beim Frühstück geben. Heute würde sie sie nicht mehr bekommen. Es war für ihn ein seltsames Gefühl, dass Cassy ihn nicht bei Dumbledore kompromittieren wollte. Sie wollte diese Meinungsverschiedenheit mit ihm alleine ausfechten und er hatte es nicht verstanden. Es war nur eine Drohung gewesen, dass sie zu Dumbledore gehen wollte. Er hatte es natürlich sofort für bare Münze genommen und war losgerannt. Sie hatte wirklich traurig ausgesehen, als sie in ihr Appartement ging, dachte er, als ihm ihr hängender Kopf und die hängenden Schultern wieder einfielen, mit denen sie langsam den Flur entlang gegangen war. Aber er wollte sich nach dieser Rüge jetzt nicht auch noch wie ein Idiot fühlen! Dabei schlug er mit beiden Fäusten auf seinen Schreibtisch. Wie hatte Malfoy sie genannt? Ein Muggelflittchen? Also das ging doch weit über den Rahmen hinaus. Er musste ihn sich vorknöpfen.

Wieder einmal brannte das Mal auf seinem Unterarm.

***

Als er in dem Raum apparierte, waren die meisten der anderen Todesser schon anwesend. Er nahm seinen Platz im Kreis ein und wartete auf die Ankunft des Meisters.

Der Raum war ein hohes, rundes Gewölbe. Es musste sich um eine Art Mittelschiff eines riesigen alten Anwesens handeln. Die Wände waren mit Natursteinen gemauert ohne Fugen. An den Decken hatten sich ganze Sippen von Spinnen eingenistet und die Spinnweben hingen in langen Fäden herunter. Hin und wieder wehte eine Spinnwebe in eine der Fackeln, die in schmiedeeisernen schwarzen Ständern an den Wänden hingen und verglühte mit einem leisen Zischen. Der Raum hatte an zwei Seiten hohe Fenster, die im oberen Teil in einem Rundbogen endeten. Die kunstvollen Einlegearbeiten konnte man nur ahnen. Die Fenster waren völlig verdreckt. Die Luft roch modrig und abgestanden. In der Mitte war auf einem Podest ein schwarz-rot gemusterter Sessel wie ein Thron angebracht. An der einen Seite unter einem der Fenster stand ein Tisch, der aussah wie ein Altar oder Opfertisch. Die Schatten auf dem Fußboden zeigten, dass er viele Jahrzehnte in der Mitte des Raumes gestanden haben musste.

In der Mitte des Kreises der Todesser begannen sich kleine Luftverwirbelungen zu bilden, die immer größer wurden und zu einer Säule zusammenwuchsen. In der Mitte der Säule war Lord Voldemort. Seine Konturen, die zuerst nur schemenhaft und durchsichtig waren, wurden immer fester. Nachdem er vollständig erschienen war, ging er geradewegs zu seinem Platz.

Er setzte sich umständlich und sah den Kreis seiner Todesser lange schweigend und durchdringend an.

"Mir ist zu Ohren gekommen, dass es in Hogwarts etwas Neues gibt," begann er und blickte Snape dabei mit seinen roten glitzernden Augen an. "Ich finde es schade, dass meine Nummer 2 es bis heute nicht für nötig gehalten hat, mich davon zu unterrichten. Was hast du dazu zu sagen, Severus?"

Snape gefror innerlich. Jetzt ruhig bleiben, sagte er sich. Die Frage musste ja früher oder später kommen. Malfoy hatte wahrscheinlich Voldemort schon lange davon unterrichtet, dass ein Muggel in Hogwarts war. Er hatte es bis heute nicht vertragen, dass der dunkle Lord Snape weder für sein Fehlen im Kreis beim Trimagischen Turnier größer bestraft hatte, noch dass er ihm den Vorzug gegeben hatte und ihn wieder zu seiner Nummer 2 gemacht hatte. Er, Snape, hatte es versäumt, seinen Meister rechtzeitig zu unterrichten. Ein unverzeihlicher Fehler, wie sich jetzt herausstellte.

"Ja, mein Meister," sagte Snape und trat in den Kreis vor Voldemort. "Wir haben einen Muggel bekommen."

"Und warum erfahre ich das nicht von dir? Und warum lebt dieser Muggel noch?" wollte Voldemort wissen und begann mit seinem Zauberstab zu spielen. Snape wurde heiß und kalt, als er sah, wie der Stab immer öfter auf seine Brust zielte.

"Dieser steht unter dem persönlichen Schutz von Dumbledore. Wenn ich ihn töten würde, wäre unserer Sache damit nicht gedient. Es wäre zu offensichtlich, dass ich etwas damit zu tun haben könnte."

"Diese Antwort befriedigt mich keineswegs," zischte Voldemort und hob den Zauberstab. "Crucio."

Severus sackte zusammen. Die Schmerzen waren höllisch. Er hatte das Gefühl, seine Eingeweide würden einzeln mit Feuer versengt. Er schrie und wand sich auf dem Boden. Die anderen Todesser lachten. Sie ergötzten sich an dem Anblick des leidenden Menschen, so wie sie es immer taten, wenn ein Wehrloser gequält wurde. Als Voldemort dem Treiben eine Weile gelangweilt zugesehen hatte und über Severus' Worte nachdachte, nahm er den Fluch zurück.

"Sag' mir, Severus, warum unserer Sache damit nicht gedient wäre?"

Snape kämpfte sich mühsam auf die Beine und nahm alle Kraft zusammen, um hoch erhobenen Hauptes und gerade vor Voldemort zu stehen. Dennoch schwankte er ein wenig.

"Wenn diesem Muggel etwas passieren würde, würden die Sicherungen rund um Hogwarts noch mehr verstärkt werden, ich würde aus dem Verkehr gezogen und könnte Euch keine Informationen mehr aus Dumbledores unmittelbarer Umgebung liefern und der Zugriff auf unser eigentliches Ziel, nämlich Potter, wäre um ein Vielfaches schwieriger," flüsterte Severus mit heiserer Stimme.

"Hmm. Da ist was dran ..."

"Erlaubt mir weiterzusprechen, mein Lord." Voldemort nickte. "Euer Informant hat nur halbe Arbeit geleistet, sonst hätte er Euch ebenfalls gesagt, dass ich den Muggel, wo es nur möglich war, schikaniert habe. Ich habe alles daran gesetzt, ihm den Aufenthalt in Hogwarts zur Hölle zu machen. Und es wird nicht mehr lange dauern, dann wird er das Schloss freiwillig wieder verlassen." Snape holte Luft und er fügte hinzu: "Meister, dieser Muggel ist für uns außerdem völlig wertlos. Er hat keine magischen Verwandten und wird nie eine Rolle spielen in der magischen Welt. Es wäre Verschwendung, wenn wir für ihn unsere Todesser aussenden würden. Es gibt lohnendere Ziele."

Snape hatte bewusst die neutrale Formulierung gewählt. Er wollte Voldemort nicht extra noch einmal darauf stoßen, dass es sich um eine Frau handelt. Frauen hatten bei seinen Einsätzen immer besonders zu leiden.

"Nein," zischte Voldemort leise, "mein Informant hat ganz augenscheinlich wirklich nicht vernünftig recherchiert." Er warf eindeutige Blicke zu Lucius Malfoy. "Ich habe auch gehört, dass du häufig mit dem Muggel zusammen bist. Was hat es damit auf sich?"

Er wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern schoss aus reiner Freude an den Qualen von Snape noch einmal den Cruciatus-Fluch auf ihn ab.

Snape wehrte sich, brach aber wieder zusammen und hatte das Gefühl, dass ihm das Hirn aus der Schale gequetscht würde. Seine Knochen standen unter furchtbarer Belastung und seine Augen schienen von innen zu explodieren. Er hörte ein trockenes Krachen und wusste, dass sein Arm gebrochen war. Wie, wusste er nicht. Das Lachen der anderen Todesser kam verhaltener und freudloser. Wenn Voldemort so aussah wie jetzt, musste man vorsichtig sein. Man wusste nie, wer der Nächste war.

Während Snape sich auf dem Boden wand und schrie, hörte er wie durch Watte Voldemorts eisige Stimme: "Nun, Malfoy. Was sagst du dazu?" Er blickte Malfoy drohend an. Malfoy wich zwei Schritte zurück und wurde langsam kalkweiß, als er merkte, dass sein hinterhältiges Handeln sich zu einem Bumerang entwickelte. "Wieso habe ich den Eindruck, dass du absichtlich meine Nummer 2 mit deinen halben Aussagen ausschalten wolltest?" Voldemort lächelte ihn gehässig an. Seine roten Augen glühten und es glitzerte die reine Mordlust darin. Mit vor Hohn und Zynismus triefender Stimme sagte er zu Malfoy: "Wir sind doch alle eine Familie, lieber Lucius. Das weißt du doch. Keiner verrät seinen Bruder."

Im Grunde genommen war es Voldemort völlig egal, ob einer seiner Todesser einen anderen verriet. Loyalität ihnen gegenüber kannte er nicht. Sie waren Werkzeuge die ihm helfen sollten, sein Ziel zu erreichen. Es war ihm allerdings nicht egal, wer seine Nummer 2 war. Hier brauchte er einen fähigen Mann, der ihm seine Wünsche fast von den Augen ablas. Severus war in dieser Beziehung zwar etwas hölzern und eigenwillig. Aber das war Voldemort lieber als dieser Kriecher von Malfoy, der in plumper Art und Weise versuchte, Snape bei jeder sich bietenden Gelegenheit auszuschalten, ohne dem Lord davon einen erkennbaren Nutzen zu bringen. Je höher die Todesser in der Hierarchie stiegen, desto mächtiger waren sie und desto mehr Verantwortung hatten sie. Aber letzten Endes war für ihn heute das einzig befriedigende Gefühl, dass er zwei Männer quälen konnte. Mit vorgeschobenen Gründen. So lange er noch nicht offiziell in Erscheinung treten konnte, musste er sich auf seine Todesser verlassen können. Dazu gehörte, dass alle Informationen, die er geliefert bekam, perfekt waren.

"Nein, mein Lord, das seht Ihr falsch," quiekte Malfoy panisch. Er sah sich nach Hilfe von den anderen Todessern um. Die hatten aber im Moment unglaublich interessante Dinge an der Decke oder ihren eigenen Füßen zu beobachten und er begriff, dass hier keine Hilfe zu erwarten war. "Ich wollte nur, dass Ihr schnell informiert seid, Meister."

Der dunkle Lord nahm den Fluch von Snape, nachdem er mit Befriedigung festgestellt hatte, dass Snape kurz vor dem Kollabieren stand.

"Nun?" wandte Voldemort sich an den schnell atmenden Snape, der vergeblich versuchte seine Gliedmaßen unter Kontrolle zu bekommen und aufzustehen. Immer wieder brach er zusammen. Blut lief ihm in dünnen Rinnsalen aus den Ohren und der Nase. Sein linker Oberarm hing in einem seltsamen Winkel von der Schulter herunter. Sehen konnte er nur Umrisse. In seinen Augen waren unzählige Adern geplatzt und das Weiße war blutrot. Die Schmerzen waren noch nicht vorbei, aber erträglicher. Er ließ sich Zeit, um wenigstens auf die Knie zu kommen. Zeit, die er brauchte, um fieberhaft nachzudenken, was der Lord meinte. Dann begriff er.

"Dumbledore ... hat mir diesen ... Job als Ehrenaufgabe zugeteilt," flüsterte er heiser. "Ich habe ... mich mit Sicherheit ... nicht darum gerissen."

"Dann, mein lieber Severus, sieh' diese Bestrafung als Auffrischung deiner Loyalität zu mir an," sagte Voldemort mit einem sadistischen Grinsen. "Jetzt geh zurück nach Hogwarts. Du wirst von mir hören." Nach einer Pause fügte er hinzu: "Und überlass mir die Entscheidung, wer ein unwichtiger oder wichtiger Muggel ist." Dabei zielte er noch einmal nachdenklich auf Snape, entschied sich dann aber anders. Mit einem diabolischen Gesichtsausdruck an Malfoy gewandt sagte er: "Ich werde unserem guten Lucius hier noch eine Lektion erteilen müssen, wie man Informationen richtig auswertet. Nicht wahr, Lucius?"

Snape wollte nicht mit ansehen, was Voldemort und seine Jünger mit Malfoy anstellten. Er blieb auf den Knien liegen, atmete heftig und konzentrierte sich, während Bewegung in den Kreis der Todesser kam. Sie ließen ihn einfach links liegen, als wäre er gar nicht vorhanden. Als er sich einigermaßen kräftig fühlte, desapparierte er sofort. Noch im Verschwinden hörte er die grauenvollen, gequälten Schreie Lucius Malfoys.

Als er vor dem Haupteingang von Hogwarts erschien, brach er zusammen.

***

Remus wollte Severus noch etwas fragen, aber er war nicht in seinem Büro. Dann suchte er das Schulgelände nach Severus ab. Er konnte ihn nicht finden. Plötzlich hörte er schweres Flügelschlagen über sich. Eine schwarze Eule flog auf ihn zu. Instinktiv ging er auf Abwehr und zog vorsorglich seinen Zauberstab. Die Eule war nicht gerade klein. Er erkannte Cassy's Eule. Aratos landete in einem weiten Abstand von ihm und sah ihn unverwandt an. Dann startete er wieder, flog eine Runde und setzte sich wieder vor Remus. Nach der dritten Runde dämmerte ihm, dass der Vogel ihm etwas zeigen wollte und er sprach ihn an. "Was ist, mein Schöner. Was willst du mir zeigen?" Die Eule schaute ihn an und flog wieder los. In langsamen Kreisen lotste sie Remus vor das Tor.

In dem Moment als Remus das Tor erreichte, erschien Severus mit einem leisen Plopp. Er stand kurz. Dann brach er in die Knie und fiel mit dem Gesicht auf den Boden.

'Nein! Nicht schon wieder!' In Remus Gedanken schrie es. Es war genug. Was meinte dieser Mensch, was er noch beweisen müsste. In Remus' Augen hatte er seine Schuld schon viele Male abgetragen. Aber er hatte es angefangen und er musste es zu Ende führen. Er beschwor sofort die magische Trage herauf und verfrachtete Snape im Laufschritt in das Schloss zu Madam Pomfrey.

Als Aratos gesehen hatte, dass Remus sich um Snape kümmerte, war er in die Eulerei zurückgeflogen.

Poppy schüttelte nur ungläubig den Kopf und überlegte laut und sarkastisch schimpfend, ob sie vor dem Schloss ein Zeltlazarett aufbauen solle.

Denn irgendwann würde die Zeit bis zu ihr wahrscheinlich nicht mehr reichen.

***

Remus kam an diesem Abend zu Cassy ins Appartement. Sie hatte gerade eine Flasche Rotwein geöffnet, als es klopfte. Als sie Remus' verstörtes Gesicht sah, wusste sie, dass etwas passiert war. Sie bat ihn herein.

"Voldemort hat ihn wieder erwischt", begann Remus leise. "Er sieht schlimm aus."

Cassy holte ihm ein Glas und goß ihm etwas ein. Remus trank den Wein in großen Schlucken. Er sagte ihr, dass die Behandlung wohl einen vollen Tag dauern würde. Sie solle erst morgen zu ihm gehen, falls sie ihn besuchen wolle.

"Da ist noch etwas", begann er. Cassy sah ihn an. Sie hörte an seiner Stimme, dass ihn etwas sehr beschäftigte.

"Woher wusste deine Eule, dass Severus wieder einen Todessereinsatz hatte?"

Cassy sah ihn völlig verwirrt an. "Was?", brachte sie nur heraus.

"Aratos hat mich zu Severus geführt. Als ich ihn auf dem Gelände gesucht hatte, kam deine Eule und hat mich vor das Tor gelotst. In diesem Moment apparierte Severus und brach zusammen. Durch deine Eule haben wir keine Sekunde Zeit verloren. Woher wusste sie es?"

Cassy war völlig ratlos. "Ich habe keine Ahnung, Remus. Wirklich. Ich wusste nicht einmal, dass Aratos Snape kennt. Snape hat ihn nur einmal kurz auf meinem Schoß sitzen sehen, aber sich weiter nicht um ihn gekümmert."

Remus nickte. Er würde herausfinden, was die Eule mit Severus verband.

***

Nach dem Abendessen ging Cassy sofort in den Krankenflügel. Dort traf sie Dumbledore auf dem Flur. Er kam gerade von Madam Pomfrey.

"Was ist mit Snape?" fragte sie ihn.

Er hatte seine Ausführungen noch nicht geendet, als Cassy mit eiligen Schritten an ihm vorbei direkt in den Krankenflügel ging. Severus war wieder verletzt worden. Wann hatte das endlich ein Ende? Es war ihr egal, ob er ihre Anwesenheit wollte oder nicht. Sie wollte wenigstens wissen, wie es ihm ging.

Als sie bei Madam Pomfrey ankam, wollte die sie abweisen. Aber Cassy bat sie so inständig, dass sie Snape sehen dürfe, dass die ältere Frau sie schließlich einließ.

"Er schläft. Man hat ihn ziemlich übel zugerichtet", informierte sie Cassy noch. Dann ging sie zurück in ihr Büro.

Er lag in seinen Kissen und war noch blasser als sonst. Die Decke war verrutscht und Cassy sah seinen nackten Oberkörper. So viele Blutergüsse hatte sie noch nie bei einem Menschen gesehen. Sie ging leise an sein Bett und sah mit einem traurigen, ergriffenen Blick auf Severus geschundene Brust. Dann deckte sie ihn behutsam zu und setzte sich auf einen bequemen Stuhl neben ihn.

Cassy nahm vorsichtig seine Hand und streichelte sie. Seine Hand war sehr kalt. Zum ersten Mal sah sie die Tätowierung auf seinem Unterarm. Ein Angst einflößendes Bild. Wie konnte er sich nur so etwas Hässliches auf die Haut malen lassen. Dann dämmerte es ihr. Es musste das Erkennungszeichen der Todesser sein. Dumbledore hatte so etwas erwähnt, als er sie in groben Zügen über seine Tätigkeit informiert hatte. Sie schaute das Mal noch einmal abfällig, wie einen Feind, an und drehte seine Hand so, dass sie es nicht mehr sehen musste. Sie betrachtete Snape's asketisches, schmales Gesicht, das sie so mochte und wünschte sich nichts mehr, als dass es ihm bald wieder besser gehen würde. Lieber einen lebendigen, gehässigen Snape als einen toten. Was tat sie hier eigentlich? Hatte sie sich nicht geschworen, ihn in Ruhe zu lassen, ihn wie einen Fremden zu behandeln? 'Toll, wie gut du deinen Vorsätzen treu bleibst, Parker', sagte das kleine Teufelchen in Cassy's Hinterkopf. Dieser unmögliche Mensch traktierte sie bei allen möglichen Gelegenheiten und sie machte sich Sorgen um ihn, weil er verletzt war. Cassy's Wissen, dass dieser unmögliche Mensch nicht so war, wie es den Anschein hatte, war ihr unerschütterlicher Antrieb, sich immer wieder um ihn zu kümmern. Immer wieder sah sie sein gequältes Gesicht, als er Ellen töten musste. Sie hoffte inständig, dass sie den anderen Snape einmal an das Tageslicht holen konnte. Jetzt saß sie hier, weil sie wieder einmal dachte, dass es wichtig für ihn wäre, wenn er wüsste, dass jemand sich um ihn sorgte. Du bist ganz schön naiv, Parker. Er will dich doch gar nicht. Denk an das letzte Mal. Du bist ihm egal. Das kleine Teufelchen wollte einfach keine Ruhe geben. Aber das romantische Engelchen hatte in diesem Fall die Oberhand. Es holte aus, verpasste dem Teufelchen eine ordentliche Rechte, worauf dieses sich sofort auflöste. 'Du hast nichts zu verlieren, wenn du hier sitzt und es wenigstens versuchst,' flüsterte es Cassy ermutigend ins Ohr.

Snape stöhnte leicht und öffnete die Augen. Er sah sie an, lächelte ganz kurz und schlief wieder ein. Seine Hand ließ er in Cassy's liegen. Das konnte nicht sein. Er hatte gelächelt? Oder hatte er doch sein Gesicht vor Schmerzen verzogen? War hier wieder einmal der Wunsch der Vater des Gedanken? Sie wusste nicht, ob er sie überhaupt erkannt hatte.

Cassy stand auf und holte ein Glas Wasser bei Madam Pomfrey. Als er eine Stunde später wieder erwachte, half sie ihm, etwas zu trinken. Dann schlief er wieder. Auch jetzt wusste Cassy nicht, ob er sie überhaupt wahrgenommen hatte. Aber sie war schockiert, als sie seine blutunterlaufenen Augen gesehen hatte.

Poppy kam ab und zu die Tür herein und sah nach beiden. "Sagen Sie mir Bescheid, wenn er Schmerzen hat?" fragte sie Cassy. "Ich würde mich gerne einen Moment schlafen legen, weil ich noch eine lange Nacht haben werde." Cassy nickte.

Irgendwann war auch Cassy in ihrem Stuhl eingeschlafen. Noch immer hielt sie Snape's Hand in der ihren. Poppy kam mehrmals zwischendurch und rieb seinen Oberkörper mit einer desinfizierenden Flüssigkeit behutsam ein. Dann deckte sie ihn wieder zu und wollte leise gehen. Sie überlegte kurz, ob sie Cassy wecken sollte, als sie jedoch sah, wie die junge Frau ihre Hand in die Snape's verschlungen hatte, ließ sie sie schlafen und deckte auch sie mit einer warmen Decke zu. Sie schüttelte den Kopf. Hier in Hogwarts hatte sie gelernt, dass man bestimmte Situationen besser einfach vergisst oder zumindest nicht kommentiert.

Es war schon hell, als Cassy aufwachte. Sie lag auf einem der Krankenbetten. Snape's Bett war leer. Etwas verwirrt blickte sie sich um.

Gerade kam Poppy die Türe herein und begrüßte sie freundlich. "Guten Morgen! Professor Snape war so freundlich und hat sie auf das Bett gelegt, damit Sie ausschlafen können."

"Wer? Professor Snape? Aber der war doch gestern noch so schwer verletzt!" Cassy sah die Heilerin ungläubig an.

"Sie dürfen nicht von Ihrer Muggelmedizin ausgehen", sagte Madam Pomfrey leicht beleidigt, wobei sie das Wort Muggelmedizin sehr verächtlich aussprach. "Ich bin in der Lage über Nacht komplett neue Knochen wachsen zu lassen. Aber davon abgesehen, ist Severus auch nicht der Typ, der länger hier bleibt als unbedingt notwendig." Dabei verdrehte sie die Augen. "Sie haben auf jeden Fall noch genügend Zeit zum frühstücken. Auf Wiedersehen."

Cassy bedankte sich und ging nach unten, um sich schnell frisch zu machen und noch rechtzeitig in die große Halle zu kommen.

Snape saß am Tisch und aß etwas.

"Wie geht es Ihnen?" fragte sie freundlich. Er sah sie an und antwortete leise und zynisch: "Madam Pomfrey hätte als Betreuung auch ausgereicht. Es war völlig überflüssig, dass sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen haben."

Dann stand er auf und ging. Cassy sah ihm nach und überlegte, ob sie ihn jetzt einfach wüst beschimpfen oder ob sie lachen sollte.

Als Snape aufgewacht war und merkte, dass sein Arm wieder in Ordnung war und auch die Blutergüsse auf seinem Oberkörper sich zu vertretbaren blauen Flecken zurück entwickelt hatten, wollte er sofort in seinen Keller. Allerdings hatte er etwas Probleme mit der bis dahin gesunden Hand. Sie war merkwürdig schwer. Als er sie vorsichtig hob, hob er auch Cassy's Arm mit an. Sofort legte er seine Hand wieder zurück auf die Bettdecke. Einen Moment schaute er auf die kleine, schmale Hand, die in seiner lag und die Finger zwischen seine Finger verschränkt hatte. Ein komisches Gefühl durchzuckte ihn, aber es war nicht unangenehm. Er konnte sich nicht gleich entschließen, sie loszulassen. Dieses Mal verspürte er keine Abscheu vor dieser Berührung. Eher Neugier und ein Gefühl von Vertrautheit. Und außerdem schlief Cassy und bekam es nicht mit, ob ihre Hand eine Minute mehr oder weniger in seiner lag. Eigentlich hielt sie ja seine Hand, erklärte ihm sein Kopf gerade. Übrigens ungefragt. Er betrachtete kurz ihr schlafendes Gesicht. Sie war ... ja, wie sollte er das ausdrücken. Sie war gar nichts. Schluss. In diesem Moment kam Madam Pomfrey herein und sah seinen fragenden Blick.

"Sie hat gestern darauf bestanden, Sie zu sehen. Dann hat sie die ganze Nacht hier gesessen und sich um Sie gekümmert, bis sie irgendwann eingeschlafen ist."

Er hatte also nicht geträumt, als er sie an seinem Bett gesehen hatte, denn erst heute Morgen war er das erste Mal wieder richtig bei Bewusstsein gewesen, wegen der schmerzstillenden und beruhigenden Trankmixtur, die Poppy ihm gestern ohne lange zu fragen fast gewaltsam eingeflöst hatte.

Snape wartete einen Moment, bis Poppy sich umgedreht hatte, dann streichelte er über Cassy's Handrücken. Nur kurz. Es war ein Hauch. Ein einziger Strich. Ein verschwindender Moment. Wieso setzte sich diese Frau die ganze Nacht an sein Bett? Er schüttelte den Kopf und zog ihre Hand vorsichtig aus seiner und stand auf. Sein Unterbewusstsein schloss jedoch auch in diesem Augenblick das Gefühl ein, das er hatte, als er Cassy am Bett sitzen sah. Er hatte sich gefreut. Ein ganz klein wenig. So konnte er sich nicht mehr daran erinnern, dass er tatsächlich gelächelt hatte, als er die Augen dieses eine kurze Mal geöffnet hatte ...

"Kann ich sie auf das Bett dort legen?" fragte er Poppy. Die Heilerin nickte. "Seien Sie vorsichtig. Sie müssten noch liegen."

Snape hob Cassy behutsam auf und trug sie zu dem anderen Bett. Sie grunzte zufrieden und kuschelte ihren Kopf an seine nackte Schulter und er spürte ihre warmes Gesicht, aber sie wurde nicht wach. Das waren für Severus zu viele Eindrücke auf einmal. Er legte sie so schnell auf das leere Bett, als hätte er einen besonders großen, widerwärtigen Ochsenfrosch im Arm und verließ fluchtartig den Krankenflügel, nachdem er sich angezogen hatte.

Jetzt war er auf dem Weg aus der großen Halle, als ihm noch etwas einfiel. Er ging zu Cassy zurück und sagte ihr, dass sie ihn heute Abend nach dem Unterricht vor dem Schloss treffen sollte. Er würde ihr gerne ein besonderes magisches Geschöpf zeigen.

***

Hagrid schaute sich noch einmal in seiner Hütte um. Es war alles ordentlich und aufgeräumt. Er wollte einen guten Eindruck machen. Professor Snape hatte mit ihm vereinbart, dass er Cassy den letzten der Knallrümpfigen Kröter zeigte. Hagrid hatte es nicht fertig gebracht, den Kröter nach dem Trimagischen Turnier im letzten Jahr zu, nun ja, eliminieren. So war dieses Geschöpf hinter Hagrids Hütte damit beschäftigt, in einem eigens dafür gebauten Pferch entweder einfach nur stundenlang still zu stehen, permanent im Kreis zu laufen oder durch eine Explosion an irgend einer Stelle seines Körpers ein paar Meter unkontrolliert in irgendeine Richtung zu fliegen und eventuell irgend einen Busch in Brand zu setzen. Wenn Hagrid beim Tee trinken aus dem Fenster sah, konnte er den Kröter in seinem Pferch beobachten. Wovon das Geschöpf sich genau ernährte, hatte Hagrid immer noch nicht herausgefunden. Er hatte ihn noch nie etwas fressen sehen. Aber es fiel ihm auf, dass im Umkreis des Pferches Kleintiere und auch diverse Pflanzen nicht mehr vorhanden waren.

Es klopfte an der Tür. "Ah, das werden sie sein," ächzte Hagrid und erhob sich schwerfällig aus seinem Lieblingssessel. Fang, der Saurüde sprang auf und bellte und führte sich wie toll auf. "Was soll das Fang?" fragte er ihn auf dem Weg zur Tür. "Du kannst Snape nicht leiden und Miss Parker kennst du auch nicht." Er schüttelte den Kopf über das offensichtlich hirnlose Benehmen seines Hundes.

Als er die Tür öffnete, standen Ron, Hermine und Harry davor und grinsten ihn an. "Hallo Hagrid!" riefen sie. "Wir hatten mal wieder so richtig Lust auf Tee und Felsenkekse," sagte Ron schelmisch. "Äh, kommt rein," forderte Hagrid mit einer unbeholfenen Handbewegung das Trio auf. Jetzt war ihm klar, warum Fang sich so benommen hatte. Der saß denn auch mit wedelndem Schwanz, hängender Zunge, hechelnd und sabbernd halb auf Ron, der verzweifelt versuchte, den schweren Hund von seinen Beinen zu bekommen. Fang dachte aber gar nicht daran, so schnell von Ron abzulassen. Statt dessen fuhr er ihm mit seiner riesigen Zunge in unregelmäßigen Abständen quer durch das Gesicht oder über die Haare - was er halt gerade erwischen konnte.

"Was ist los?" fragte Harry, dem das nicht ganz so herzliche Benehmen von Hagrid aufgefallen war. Er schaute Hagrid ins Gesicht und sah aus den Augenwinkeln im Hintergrund den Kröter nach einer mittleren Explosion am Fenster vorbeifliegen. "Kommen wir ungelegen?" "Nein, nein," versicherte Hagrid schnell. "Ich warte auf Professor Snape und Miss Parker. Er will ihr den Kröter zeigen. Wahrscheinlich hofft er, dass ihr dann die Lust ein für alle mal vergeht, noch weitere magische Geschöpfe zu sehen." Die drei grinsten sich wissend an.

"Er muss Miss Parker doch das ganze Schuljahr über betreuen. Seit sie gekommen ist, faucht er sie an, benimmt sich unmöglich und lässt sie bei jeder Gelegenheit spüren, dass er überhaupt keinen Wert auf ihre Gesellschaft legt. Aber sie lässt sich einfach nicht aus der Ruhe bringen. Sie bleibt freundlich und gelassen und behandelt ihn, als würde sie die Gemeinheiten gar nicht bemerken," erklärte Hermine dem aufmerksam zuhörenden Hagrid. Man konnte ein wenig Bewunderung in ihrer Stimme hören.

"Und was Snape am meisten ärgert, ist, dass die Schüler Miss Parker mögen - außer den Slythis natürlich," fuhr Ron fort.

Hagrid grinste. "Hat unser guter alter Severus etwa jemanden gefunden, der sich nicht von ihm einschüchtern lässt?"

"Jaah," sagte Harry gedehnt und blickte seine beiden Freunde an. "Wir glauben ..." dann brach er ab. Er schaute noch mal in die Runde. "Also wir glauben, dass Miss Parker sich in Snape verliebt hat." Schloss er seinen angefangenen Satz ab und sah Hagrid geheimnistuerisch an.

Hagrid grinste und fragte, wie er denn darauf käme. Gerade als Harry seine Spekulationen zum besten geben wollte, klopfte es energisch an der Tür. Fang hatte aufgehört, Ron wie seinen Lieblingsknochen zu bearbeiten und knurrte.

Hagrid öffnete. Professor Snape und Cassy standen davor.

"Hallo Miss Parker," sagte Hagrid höflich und hielt ihr seine mülltonnendeckelgroße Hand entgegen.

"Wo ist er?" fragte Professor Snape mit unverhohlener Ungeduld.

Cassy ignorierte Snapes Verhalten und nahm Hagrids Hand zur Begrüßung. "Ich freue mich, Mr. Hagrid, dass Sie wieder Zeit für mich haben." Hagrids Gesicht nahm eine leicht rosa Farbe an.

"Bitte kommen Sie doch herein. Ich habe extra etwas Tee aufgesetzt," lud Hagrid sie beide ein. Cassy konnte hören, wie Snape geräuschvoll einatmete. Sie drehte sich zu Hagrid um und sagte lächelnd: "Gerne kommen wir auf eine Tasse Tee herein, nicht wahr Professor Snape." Der nickte säuerlich grinsend, denn mit Hagrid wollte er sich nicht anlegen.

Als sie in die Hütte traten, sah Cassy Ron, Hermine und Harry.

"Ah, das magische Trio," witzelte sie freundlich. Ron verdrehte die Augen. Er mochte diesen Ausdruck nicht. "Nichts für ungut, Mr. Weasly," sagte Cassy lachend.

Dann sah sie den Hund. Nein, es war wohl eher ein Kalb, das auf Rons Beinen lag und ihn ununterbrochen besabberte. Als der Hund Cassy's Stimme hörte, drehte er sich um und ließ von Ron ab, der sich stöhnend die eingeschlafenen Beine rieb. Langsam kam er auf Cassy zu und beäugte und beschnüffelte sie. Sie hielt ihm die Handflächen hin, damit er ihren Geruch aufnehmen konnte. Als der Hund Snape hinter Cassy sah, zog er die Lefzen hoch und begann wieder zu knurren. "Sei still, Fang," herrschte Hagrid ihn an. "Setzen Sie sich hierher, Professor Snape."

Snape ging sichtlich unwohl an dem Hund vorbei, der ihn keine Sekunde aus den Augen ließ. Erst als Severus saß, wandte der Hund seine Aufmerksamkeit wieder Cassy zu und beschnüffelte sie weiter. Anscheinend gefiel ihm, was er roch, denn er legte sich, nein, er ließ sich ohne Vorwarnung krachend auf Cassy's Füße fallen. Sie verzog ein wenig das Gesicht, denn der Hund war nicht leicht. Dann zog sie vorsichtig ihre Füße unter dem Kalb heraus und setzte sich in den riesigen Sessel, den Hagrid ihr anbot. Fang rutschte ihr hinterher und lag wieder den langen Weg auf ihren Füßen. Wenigstens besabberte er sie nicht.

Sie schaute sich in der Hütte um. "Sie haben es sehr gemütlich hier, Mr. Hagrid."

Hagrid wurde rot und nuschelte: "'s is' ja nur ein Raum unn der is' für mich in Ordnung."

"Hagrid, wir gehen. Sollen wir morgen noch mal kommen?" Ron war die Neugier deutlich anzusehen. Er wollte wissen, was hier noch passierte. Hagrid nickte und brachte die drei vor die Tür. "Bis morgen!", rief er ihnen hinterher. Dann kam er zurück in die Hütte und gab Cassy eine Tasse Tee. Also es war eine Tasse aus Hagrids Sicht. Für Cassy sah die Tasse aus, wie eine Kinderbadewanne. Hagrid hatte sie vorsichtshalber nur ein Viertel gefüllt. Aber der Inhalt reichte immer noch für eine Nierenspülung. Snape wollte nichts trinken. Er tippte ungemütlich mit dem Fuß auf den Boden, aber er traute sich nicht, mehr Geräusche zu machen, da Fang den Kopf hob und ihn sofort anknurrte. Cassy unterhielt sich mit Hagrid über die Geschöpfe, die er als Wildhüter zu betreuen hatte und wie gefährlich seine Aufgabe wäre. Dabei hielt sie die riesige Tasse auf ihrem Schoß und trank ab und zu einen Schluck. Fang hatte sich zwischenzeitlich wohl überlegt, dass es viel mehr Spaß machen würde, wenn er Snape ein bisschen taxierte und verunsicherte und hatte sich an ihn herangepirscht. Er lag direkt vor seinen Füßen und beobachtete ihn genau. Cassy hatte ihre stille Freude daran, dass der Zaubertränkemeister heute nicht schalten und walten konnte, wie er wollte.

Plötzlich gab es eine Explosion hinter der Hütte und etwas knallte an die Rückwand des kleinen Häuschens, dass die Scheiben klirrten. Cassy war kreidebleich aufgesprungen. Die Tasse war ihr vom Schoß gefallen und zerbrochen. "Was war das?", fragte sie hektisch. "Ooch", meinte Hagrid. "das war der Knallrümpfige Kröter, den Sie sich anschauen sollen. Wie der Name schon sagt, knallt ab und zu mal sein Rumpf und explodiert `n bisschen. Kommen Sie her. Hier am Fenster können Sie ihn sehen."

Cassy ging zum Fenster und was sie dort sah, verschlug ihr die Sprache. Im Pferch stand das wohl hässlichste Wesen, das Cassy jemals in ihrem Leben gesehen hatte. Es war ungefähr vier Meter lang und hatte einen blauschwarzen Panzer um seinen hummerförmigen Körper. Überall wuchsen Beine oder so etwas ähnliches heraus. Ein Kopf war nicht auszumachen. Dieses Geschöpf sah aus wie ein Alptraum.

"Für was ist er nütze?" fragte Cassy.

"Das weiß niemand so genau", murmelte Hagrid in seinen wuchernden Bart, während er die Reste der Tasse einsammelte.

"Das tut mir Leid", entschuldigte sich Cassy bei ihm. "Ich werde Ihnen die Tasse ersetzen."

Jetzt schaltete sich Snape das erste Mal in das Gespräch ein. Mit einem hinterhältigen Glitzern in seinen schwarzen Augen sagte er zu Cassy: "Kommen Sie, wir gehen raus und schauen ihn aus der Nähe an."

"Nein, nein", wehrte sie ab. "Ich habe ihn von hier drinnen gesehen und das reicht mir. Wir können gerne ins Schloss zurückgehen. Ich möchte ihre Zeit nicht länger als nötig beanspruchen."

Snape spürte, dass Cassy Angst vor dem Kröter hatte. Um so wohler fühlte er sich.

"Haben Sie etwa Angst? Er steht in einem Pferch. Wir haben einen erfahrenen Wildhüter dabei. Was soll Ihnen passieren?"

Cassy zog die Schultern zusammen und legte ihre Arme wie schützend um ihren Körper. Sie wollte nicht zu dem Kröter gehen. Sie hatte Angst! Aber Snape stichelte weiter.

"Man muss sich auch mal die unangenehmen Dinge anschauen. Sie wollten doch ein realistisches Bild von Hogwarts und der Kröter gehört dazu, Miss Parker." Snape hatte die Stimme gehoben und prompt stand Fang in seiner vollen Größe vor ihm und knurrte ihn jetzt bedrohlich an. Er hatte die Lefzen bis über die Zähne gezogen und sein Gebiss entblößt. "Holen Sie Ihren Köter zurück, Hagrid", herrschte er Hagrid leise an.

"Fang! Komm' her", befahl der dem Hund. Er sah Cassy's ängstliches Gesicht. Der Schreck stand noch immer darin geschrieben. "Meinen Sie nicht, Professor Snape, dass Miss Parker genug von dem Kröter gesehen hat?"

Doch bevor Snape antworten konnte, hatte Cassy sich umgedreht und gesagt: "Sie haben natürlich recht, Professor Snape. Man muss sich auch die unangenehmen Dinge anschauen." Und mit diesen Worten öffnete sie die Tür und trat ins Freie. "Was ist? Kommen Sie nun oder nicht?", rief Sie den beiden Männern in der Hütte zu.

Als sie zum Pferch kamen, drehte der Kröter gerade seine Runden. Er war wirklich abstoßend hässlich. Cassy ging noch ein wenig näher an den Pferch. Da blieb der Kröter stehen. Es gab eine laute Explosion und der Kröter flog direkt auf Cassy zu. Er knallte gegen die Holzpfähle des Pferchs, die unter der Wucht des Aufpralls durch das große Geschöpf zerbrachen. Ein Busch in der Nähe hatte Feuer gefangen, das sehr schnell um sich griff. Cassy war vor Schreck hingefallen. Der Kröter stieg mit seinen langen Beinen durch das Loch im Zaun und wälzte sich direkt auf Cassy zu. Er hatte sehr wohl ein Maul. Sie sah, wie es sich öffnete und schloss, wie bei einer Krabbe, während er auf sie zuglitt. Er hatte wohl beschlossen, dass sie seine nächste Mahlzeit wird. Hagrid und Snape kamen angerannt. Hagrid zerrte Cassy mit seinen großen Händen aus dem Gras und brachte sie aus der Gefahrenzone, während Snape seinen Zauberstab gezogen hatte und Stupor brüllte. Der Kröter blieb augenblicklich in der Bewegung stehen. Er war erstarrt.

"Sie müssen ihn beseitigen", sagte er ärgerlich zu Hagrid. "Wenn wir nicht hier gewesen wären, wäre er vielleicht ausgebrochen und hätte richtigen Schaden angerichtet."

Hagrid sah Snape kurz an und blickte dann zu Cassy. "Geht es Ihnen gut?" Cassy nickte mit angespanntem Gesichtsausdruck. Es ging ihr nicht gut. Sie hatte sich so erschrocken, dass ihr schlecht war. Alles an ihr zitterte. Schweigend gingen sie zum Schloss zurück.

Als sie später in ihrem Appartement war, konnte sie sich noch immer nicht beruhigen. Sie lag im Bett und wälzte sich hin und her. Dann fiel ihr der rote Trank von Dumbledore ein, den sie an jenem verhängnisvollen Tag bekommen hatte, als sie sich kennen lernten und sie nahm zwei Tropfen. Sie fühlte bleierne Schwere, die sich in ihrem Körper ausbreitete und schlief augenblicklich ein.

***

Die nächsten Tage sprach sie nur wenig mit Snape. Er war wohl wieder unterwegs und saß mit dunklen Ringen unter seinen geröteten Augen beim Essen. Er war noch giftiger als sonst. Sie hatte ihm gesagt, dass sie so viel vorzubereiten hätte, dass es nichts mit gemeinsamen Unternehmungen werden würde. In Wirklichkeit aber hatte sie gehofft, dass sie ihm Zeit zum Schlafen verschaffen konnte. Er sah aus, als würde er sofort im Stehen einschlafen, wenn er nicht aufpasste.

Aber sie hatte ihm in die Augen geschaut und gesehen, dass er seine Fassade nur sehr mühsam aufrecht erhalten konnte. Dass er wie ein waidwundes Tier um sich biss. Als sie an diesem Morgen vom Frühstück aufstand, hob er kurz den Kopf und sah sie einfach nur an. Nur für einen kleinen Moment. Für diesen winzigen Moment gab es kein boshaftes Glitzern in seinen Augen, sondern nur Offenheit. Er sah so verletzlich aus. Sie spürte seine innere Unruhe, seinen inneren Kampf fast körperlich, wenn sie in seine Augen sah. Er war blass und hatte tiefe Sorgenfurchen im Gesicht. Ihre Hand bewegte sich instinktiv, um ihm über die Wange zu streicheln, sie senkte sie aber sofort wieder. Es war eine kaum wahrnehmbare Bewegung gewesen. Es tat ihr weh, dass sie ihm nicht helfen konnte. Dass er sich nicht helfen lassen wollte.

Severus hatte die Bewegung dennoch gesehen und für den Bruchteil einer Sekunde hatte er inständig gehofft, dass sie es tun würde. Er hätte sich nicht gewehrt. Nur eine einzige mitfühlende Berührung. Als sie die Hand wieder senkte, wusste er, dass er dies selbst verschuldet hatte. Er fühlte sich so einsam, wie schon lange nicht mehr in seinem Leben.

***

Am Abend klopfte es an sein Büro. Als er öffnete, sah er erstaunt auf Cassy. Er ging von der Tür weg und ließ sie ein.

"Hatten wir einen Termin?" fragte er sie müde und ging mit schleppenden Schritten wieder zu seinem Schreibtisch zurück.

"Nein", antwortete Cassy. Sie blieb im Raum stehen und er hatte wohl nicht vor, ihr einen Platz anzubieten. In diesem Augenblick hatte Cassy einfach nur den Wunsch, wieder zu gehen. Sie hatte lange mit sich gehadert, ob sie wirklich zu ihm gehen sollte und ihm das Gespräch anbieten. Aber sein Blick beim Essen hatte ihr keine Ruhe gelassen. Sie hatte seine Einsamkeit gespürt, regelrecht greifen können.

"Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht Lust hätten, mit mir einen kleinen Abendspaziergang zu machen."

"Warum?", fragte er lakonisch. "Dafür ist Remus doch zuständig, oder nicht?"

Cassy sah ihn noch einen Moment an. Er hatte sich wieder über seinen Schreibtisch gebeugt und fing an seine Papiere zu sortieren. Dann drehte sie sich um und verließ wortlos das Büro.

Severus sah ihr nach. Er legte seinen Kopf resignierend in seine Arme auf dem Schreibtisch und atmete tief durch. Warum war er nicht einfach mitgegangen? Er fühlte sich doch einsam. Er hätte ja nicht reden müssen. Mit einer wütenden Armbewegung fegte er alle Pergamente vom Schreibtisch auf die Erde. Warum sollte er mit einer Muggel einen Abendspaziergang machen? Dann stand er schnell auf und holte seine Robe. Vielleicht konnte er sie ja noch einholen. Er verließ sein Büro und rannte die Treppe hinauf. Aber Cassy war bereits weg.

Er blieb einen Moment zögernd in der Eingangshalle stehen und beschloss, da er sowieso schon angezogen war, an die frische Luft zu gehen. Ziellos lief er über das Gelände von Hogwarts.

Der Lord bereitete sich auf eine große Sache vor. Aber keiner wusste, um was es ging. Auch Severus nicht, aber er hatte so seine Ahnungen. Die ganze Woche hatte er Einsätze gehabt, bei denen an den verschiedensten Orten Zauberer und Hexen observiert wurden. Allesamt waren einmal Anhänger von Voldemort gewesen. Zuerst hatte Severus gedacht, dass sie umgebracht würden, da sie sich vom Lord abgewandt hatten, aber Voldemort war in letzter Zeit nicht mehr ganz so mordlustig.

Severus hatte begriffen, dass er nach einem bestimmten Schema vorging. Die richtigen Verräter hatte er alle nach und nach liquidieren lassen. Aber seine Todesser-Einheit war zu klein, um wirklich etwas ausrichten zu können. Er musste versuchen, seine Gefolgschaft auszubauen und schlagkräftiger zu machen. Dazu musste er auch die Anhänger wieder rekrutieren, die schon einmal zu ihm gestanden hatten. Sie sollten allerdings nur das Kanonenfutter in der finalen Schlacht stellen. Es war Voldemort egal, was aus ihnen wurde. Sie waren Rekruten. Seine Führungsriege hatte er ja zusammen. Nur die Soldaten fehlten ihm noch. Die Verbündeten, die er unter den Trollen und Kobolden gesucht hatte, waren noch dabei, sich gegenseitig zu bekriegen, da sie keine einheitliche Hierarchie hatten, mit der sie bei Voldemort antreten konnten. Von ihnen war vorerst keine Hilfe zu erwarten.

Voldemort setzte auf ein altes Rezept. Seine Todesser kamen in die Häuser der früheren Anhänger und bedrohten sie. Meist waren die Menschen sehr schnell bereit wieder an Lord Voldemorts Seite zurückzukehren. Es gab als Alternative lediglich den Tod. Dann wurden sie angestachelt, die Nachbarn zu bespitzeln, damit keiner dem Netz entkommen konnte. So hielten sie sich alle gegenseitig in Schach, weil keiner dem anderen mehr traute. Als Faustpfand hatte Voldemort die Familien. Wenn es also Todessereinsätze gab, dann würde sich keiner weigern, daran teilzunehmen, sonst würden die Angehörigen sterben.

Snape lief wieder einmal ein heftiger, unangenehmer Schauer über den Rücken, wenn er daran dachte, wie viele Menschen er schon hatte bedrohen müssen. Immer in der Gewissheit, dass er sie so oder so in den sicheren Tod schickte. Die letzte Woche war besonders schlimm gewesen. Obwohl er die meisten davon überzeugen konnte, sich wieder dem dunklen Lord anzuschließen, war eben der ein oder andere uneinsichtig und musste direkt liquidiert werden. Das war mittlerweile Malfoys Aufgabe. Er hatte sich in den Status des Henkers aufgeschwungen und Severus war für jedes Mal auf makabre Weise dankbar, wenn er den Zauberstab für den unabwendbaren Fluch nicht heben musste.

Der dunkle Lord war mit Snapes Arbeit sehr zufrieden. Severus hatte es geschafft, ihm eine große Menge neuer alter Anhänger zu bringen. Dass Snape's Antrieb nicht aus den gleichen Zielen wie Voldemorts kam, wusste der Lord nicht. Wer sich dem Lord noch einmal anschloss, hatte sein Ende zumindest erst einmal aufgeschoben und er hatte Severus Zeit verschafft. Zeit, die er, Dumbledore und die anderen brauchten, um Voldemort endgültig zu beseitigen und vielleicht deren Leben zu retten.

Severus hatte so seinen Gedanken, dass es Voldemort im Grunde genommen gar nicht um Potter ging. Seine Attacken auf das Schloss lagen lange zurück und der kleine Potter hatte in den letzten Monaten auch keine Schmerzen mehr in seiner Narbe gehabt. Aber Dumbledore war ein alter Lieblingsfeind von Voldemort und so war es nicht ganz von der Hand zu weisen, dass Hogwarts nicht doch noch ein Ziel für Voldemorts Angriffe werden würde. Severus betete inständig, dass das nicht passieren würde. Denn Hogwarts war sein Zuhause. Sein Einziges.

Dann erreichte er den See. Er wusste von Remus, wo Cassy immer saß.

Sie lag unter dem Baum am See. Ihre Robe hatte sie auf dem Gras ausgebreitet und sie hatte sich darauf mit den Ellbogen abgestützt, um in die Ferne zu schauen. Ein leises Geräusch ließ sie aufsehen. Sie glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. Da kam Professor Severus Snape die Wiese entlang direkt auf sie zu. Er blieb einen Moment stehen, als würde er überlegen, ob er näher kommen solle, dann setzte er sich wieder in Bewegung. Als er noch gut drei Meter von Cassy entfernt war, zog auch er seine Robe aus und breitete sie auf dem Boden aus. Er setzte sich und sah kurz wieder zu Cassy hinüber. Wieder hatte er diesen offenen Gesichtsausdruck. "Schön, dass Sie doch noch gekommen sind", sagte Cassy leise. Er legte seine Arme um seine angewinkelten Beine und nickte leicht. Dann sah er geradeaus. Sein Blick war auf einen unsichtbaren Punkt in der Ferne gerichtet und blieb dort haften. Cassy lächelte in sich hinein. Was musste er wieder für einen inneren Kampf ausgefochten haben, um bis hierher zu kommen. Sie ahnte nicht, wie leicht es ihm dieses Mal gefallen war. Einsamkeit ist eines der schlimmsten Gefühle, das einen Menschen heimsuchen kann. Wer einsam war, ging auch einmal ungewöhnliche Wege, um zu Gesellschaft zu kommen. Und Severus war einsam. Einsamer als je zuvor in seinem Leben.

Lange saßen sie schweigend nebeneinander. Eine Vielzahl von Gefühlen durchfluteten Snape. Hatte er sich jetzt eine Blöße gegeben, dass er trotzdem gekommen war? War er irgend jemandem Rechenschaft darüber schuldig, wo er hin ging? Es war für ihn wie eine Erlösung, dass er nicht alleine war. Nur zu wissen, dass wenige Meter weiter ein Mensch saß, der auch mit ihm reden würde, wenn Severus es nur wollte, war schon tröstlich. Er hing seinen Gedanken über Voldemort weiter nach. Es wurde langsam dunkel, die Grillen begannen zu zirpen und eine angenehme Stille legte sich über die Landschaft. Dann stand er auf und ging. Ohne Gruß. Wie immer.

Cassy hatte die ganze Zeit über gar nichts nachgedacht. Das kam bei ihr selten vor, aber heute war es so. Als Snape hinter der nächsten Kurve verschwunden war, stand auch sie auf und ging ins Schloss zurück. Im Dunkeln mochte sie nicht alleine hier draußen sein. Wer weiß, was sich so alles anpirschen konnte.

Aber Aratos hatte die ganze Zeit versteckt im Baum gesessen und die beiden Menschen beobachtet.

Als sie in ihrem Appartement angekommen war, fand sie wieder ein Pergament mit dem unverkennbaren Siegel. Als sie es öffnete, kam ihr der vertraute, aufregende Duft von Severus aus dem Schriftstück entgegen. Sie las die Nachricht, bevor sie noch einmal mit geschlossenen Augen an dem Stück Papier roch. Gott, war sie albern, schalt sie sich in diesem Moment selbst.

Morgen nach dem Mittagsunterricht vor dem Schloss. Ziehen Sie sich etwas Warmes an. S. Snape.

Einer so freundlichen Einladung musste man einfach Folge leisten, dachte Cassy leicht zynisch und freute sich auf morgen.

***

Severus war in sein Appartement zurückgekehrt. Er hatte die Papiere vom Boden aufgehoben, sein Büro aufgeräumt und fühlte sich irgendwie besser. Dann hatte er sich spontan entschlossen, ihr etwas Besonderes zu zeigen. Als die Nachricht weg war, war er ärgerlich über sich selbst, dass er das gemacht hatte. Was er ihr zeigen wollte, machte er nämlich selbst sehr gerne und am Ende fand die Muggel auch noch Gefallen daran. Das war nicht gut durchdacht von ihm. Es war auch nicht sein Kopf, sondern sein Unterbewusstsein, dass kurz zu ihm durchdringen konnte und ihm die Idee eingepflanzt hatte. Jetzt war es wieder weggeschlossen und er ärgerte sich über den kurzen Augenblick seiner vermeintlichen Schwäche.

Er setzte sich noch eine Weile in seinen Sessel vor dem Kamin und dachte nach. Dann ging er zu Bett und schlief seit vielen Tagen endlich wieder einmal durch. Ohne Alpträume, ohne Voldemort und ohne Störung oder Schmerzen.

***

Der Zaubertränkemeister stand bereits auf dem Hof, als Cassy kam. Sie hatte schon beim Frühstück bemerkt, dass er frischer aussah. Und er war wieder zynischer als sonst. Also musste es ihm besser gehen.

"Na, hoffentlich frieren Sie nicht mit ihrem dünnen Umhang", bemerkte er mit einem kurzen Blick auf ihre Robe. "Kommen Sie mit. Das wird Ihnen garantiert Spaß machen."

Also, wenn es Cassy 'garantiert Spaß machen' würde, dann würde wieder mal nur einer Spaß daran haben, nämlich Snape.

Sie folgte ihm zu einem alten Schuppen. Er verschwand darin und kam mit einem Reisigbesen zurück, der einen unverhältnismäßig langen Stiel hatte. Sollte sie jetzt vielleicht den Hof fegen? Cassy wusste nichts von den Flugstunden der Schüler auf Hogwarts. Sie hatte auch damals versäumt, Madam Hooch genau zu fragen, welchen Sport sie unterrichte.

"Madam Hooch hat mir ihren Tandem-Besen geliehen. Wir machen jetzt einen kleinen Ausflug".

Cassy sah ihn an, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank, als er ein Bein über den Besenstiel schwang. War das etwa wieder einer seiner schwer zu verstehenden Scherze? Sie stellte sich gerade vor, wie sie hinter Snape auf dem Besen über den Hof galoppierte und der Zaubertränkemeister dabei wieherte wie ein Pferd. Aber er meinte es offensichtlich todernst, denn er sah sich nach ihr um und fragte ungeduldig: "Was ist? Brauchen Sie eine Sondereinladung?"

"Ich, äh, was soll ich machen?" Cassy hasste es, wenn sie fragen musste.

Er verdrehte die Augen. "Schwingen Sie ein Bein über den Besen, so wie ich und halten Sie sich fest."

Cassy tat, wie ihr geheißen. Allerdings mit dem Festhalten war das so eine Sache. Sie räusperte sich. "Wo soll ich mich festhalten?" Snapes Geduld hatte offenbar schon wieder die Grenze erreicht. "Am Besenstiel oder an mir", schnappte er, als wäre Cassy das dümmste Wesen im ganzen Universum.

Vorsichtig legte Cassy ihre Hände auf seine Hüften. Das schien ihr im Moment sicherer, als sich an diesem dünnen Besenstiel festzuhalten. Er blickte sich noch einmal um und stieß sich dann ohne Vorwarnung vom Boden ab. Cassy entfuhr ein Schrei. Dass der Besen fliegen würde, hätte er ihr wenigstens sagen können. Sie hasste Karussell fahren. Sie hasste Fliegen. Ihre Arme legten sich ganz um seinen Körper und sie hielt sich krampfhaft fest. Ihren Kopf hatte sie eng an seinen Rücken gelehnt. Bloß nicht nach unten sehen. Die Kurven, die Snape flog, waren atemberaubend. Es war wie Motorrad fahren. Nur dreidimensional, da es auch noch auf- und abwärts ging. Snape lenkte den Besen einmal um das Schloss und als er merkte, dass Cassy überhaupt keinen Spaß an dem Flug hatte, drehte er noch eine Runde über dem Gelände und dem See. Aber es gab noch einen anderen Grund, dass Snape diesen Flug ausdehnte. Er hätte es nur niemals zugegeben. Die ganze Zeit über hatte sie sich eng an ihn gedrängt. Und er begann - wider seinen Willen - diese Nähe reizvoll zu finden. Er spürte ihre Wärme an seinem Rücken, spürte ihr Gesicht. Ihre warmen Hände auf seinem Bauch verursachten ein angenehmes Kribbeln in der Magengegend, an das er sich nur dunkel erinnern konnte. Es war ein Gefühl der Geborgenheit, das ihn überkam. Es war lange her, seit ihm das letzte Mal ein Mensch so nahe war, dass er ihn spüren konnte. Als ihm bewusst wurde, dass er Gefallen an der Nähe dieser Muggel bekam, brach er den Flug sofort ab.

"Ich lande jetzt. Passen Sie auf."

Cassy nickte nur. Es war ihr egal. Hauptsache wieder festen Boden unter den Füßen. Ihr war furchtbar schlecht.

Kaum standen sie auf dem Boden, rannte sie zum nächstbesten Busch und übergab sich hustend. Snape grinste zufrieden vor sich hin. Der Busch hatte sich auf die Seite gedrückt und schüttelte sich, als Cassy weg war. Sie stellte sich mit den Händen auf ihren Oberschenkeln leicht gebückt hin und holte tief Luft.

Er ging zu ihr und legte ihr unwillkürlich eine Hand auf den Rücken. Aber nur ganz kurz. "Geht es wieder?" Er hielt ihr sein Taschentuch hin.

Cassy nickte, wischte sich die Tränen aus den Augen und säuberte ihren Mund. "Mir wird auch beim Karussell fahren immer schlecht", keuchte sie. Ihre Knie zitterten und sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Mit einem Wink seines Zauberstabes rutschte ein großer Holzklotz, der in der Nähe stand, direkt hinter Cassy und sie setzte sich. Sie war leichenblass.

"Sind Sie jetzt zufrieden mit sich?" fragte sie Snape herausfordernd mit zittriger Stimme. Der hatte seine alte Form wiedergewonnen und grinste überheblich. "Ja. Sehr. Ich nehme an, Sie wollen keinen weiteren Flug?" Cassy hätte ihm am liebsten den Besen von Madam Hooch ununterbrochen auf den Kopf gehauen. "Wenn ja, kotze ich Ihnen das nächste Mal ins Genick", gab sie schroff zurück.

"Gehen wir ins Schloss zurück?" fragte Snape, der noch immer sichtliches Vergnügen an Cassy's Übelkeit hatte. "Es müsste jetzt gleich Abendessen geben. Ich glaube, heute gibt es eine richtig fette Nudelsuppe."

Cassy sah ihn mit einem Blick an, der ihn normalerweise hätte einäschern müssen. Ihre Augen waren vor Zorn rauchgrau geworden. Sie stand auf und schwankte ein wenig. Als Snape ihr helfend seine Hand auf den Arm legte, schüttelte sie diese mit einer heftigen Bewegung ab und zischte: "Ich kann alleine gehen." Und damit rauschte sie mit unsicheren Schritten an ihm vorbei. Und Snape grinste und folgte ihr.

***

Cassy hatte sich noch schnell umgezogen und Zähne geputzt. In der großen Halle waren schon fast alle anwesend. Aber es hatte noch kein Essen gegeben. Sie setzte sich auf ihren Platz neben Snape, der sie aber nicht anblickte, sondern mit seinem leeren Teller grinste.

Dumbledore stand auf. "Ich habe eine Ankündigung zu machen. Da der Halloween-Ball ja mittlerweile zur Tradition geworden ist und allen viel Freude macht, möchte ich Ihnen dieses Jahr schon früh sagen, dass Sie sich einen Partner bzw. Partnerin für diesen Abend suchen. Die ersten und zweiten Klassen dürfen noch nicht teilnehmen. Ausnahme ist, wenn ein älterer Schüler ab der dritten Klasse einen jüngeren einlädt. Festumhänge sind, wie jedes Jahr, vorgeschrieben. So. Und jetzt guten Appetit."

Auf sein Schnippen hin füllten sich die Teller und Schüsseln. Es gab tatsächlich Nudelsuppe. Aber, Gott sei Dank, war die Auswahl an Speisen größer. Cassy hätte die Suppe nicht essen können.

Sie dachte noch einmal an den Flug, während sie ihren Semmelknödel zerteilte. Ihr wurde jetzt erst bewusst, wie nahe sie wieder dem Zaubertränkemeister gewesen ist. Und er hatte kein einziges gehässiges Wort darüber verloren. Er hatte sich bestimmt auch keine Gedanken darüber gemacht. Wenn er wüsste, dass sie sich beide schon einmal so nahe waren! Seine Reaktion konnte sie sich lebhaft ausmalen. Mittlerweile wusste sie auch, warum Dumbledore ihr sein Versprechen, ihm nichts zu sagen, so schnell gegeben hatte. Cassy lächelte vor sich hin. Im Nachhinein betrachtet, wäre es ein schönes Gefühl gewesen, ihm wieder einmal so nahe gewesen zu sein. Wenn ihr bloß nicht schlecht geworden wäre.

Als das Essen vorbei war, blieb Cassy noch sitzen. Die Halle leerte sich langsam. Snape hatte sich erhoben und war - wie immer - ohne einen weiteren Blick und Gruß gegangen.

Bald saß sie alleine und schaute den Hauselfen beim Saubermachen zu. Sie konnte sich einfach nicht dazu aufraffen, in ihr Appartement zu gehen.

"Ich biete Ihnen wieder einmal zehn Penny für Ihre Gedanken". Cassy musste lachen. Remus stand hinter ihrem Stuhl. Sie hatte ihn nicht gehört.

"Was ist los? Heimweh?", fragte er.

Cassy zuckte mit den Schultern. "An Tagen wie heute vermisse ich es, zu meinen Freunden zu gehen und zu reden. Oder in eine Kneipe zu gehen und etwas zu trinken und zu reden. Oder wenn es wenigstens einen Gemeinschaftsraum gäbe für Lehrer, wo man sich abends hinsetzt und den anderen beim Erzählen zuhören könnte."

"Sie fühlen sich alleine, deutlich gesagt", stellte er fest. Sie nickte.

"Kommen Sie! Wir gehen noch ein Stück spazieren und Sie erzählen mir, was Sie heute gemacht haben."

Cassy schüttelte den Kopf. "Vielen Dank für das Angebot, aber ich werde jetzt in mein Appartement gehen und lesen."

Remus sah sie an. Etwas an ihr war anders als sonst. Sie wirkte so resignierend. Traurig. Es berührte ihn. Seine Gefühle für Cassy waren mehr als nur freundschaftlich und es tat ihm sehr Leid, dass sie sich nicht wohl fühlte.

"Ist wirklich alles in Ordnung?" Sie nickte wieder.

Nein. Gar nichts war in Ordnung. Severus Snapes abweisendes Verhalten nagte an ihr. Sie konnte tun, was sie wollte, es baute sich einfach kein Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen auf. Sie sollte aufgeben. Aber wer kann schon seine Gefühle einfach aufgeben?

"Wissen Sie was? Wir beide gehen jetzt nach Hogsmeade, ein Bier trinken", versuchte Remus es noch einmal.

Cassy sah ihn an. Warum eigentlich nicht? Genau das wollte sie ja. "Ich hole nur schnell einen wärmeren Umhang."

***

Als sie in Hogsmeade in den Drei Besen angekommen waren, fanden sie gleich einen Tisch hinter der Türe. Cassy blickte sich um. Der Schankraum war groß und mit ungefähr neun oder zehn Tischen bestückt. Die Luft war voller Rauch und an den Wänden hingen die unterschiedlichsten Bilder. Die Menschen auf einem der Bilder hatten gerade begonnen, eine Art Hockeyspiel in der Luft auf ihren fliegenden Besen zu veranstalten. Das Publikum war kunterbunt gemischt. Und es waren nicht nur Menschen hier. An der Theke stand lärmend ein Sartyr. Madam Rosmerta, die Wirtin, wollte ihm wohl nichts mehr zu trinken geben und so stampfte er mit seinen Hufen wütend auf den Boden und machte dabei einen Höllenlärm. An einem anderen Tisch saßen Professor McGonagall, Professor Flitwick und Madam Hooch. Letztere hatte einen hochroten Kopf. Ihre gelben Augen stachen dabei besonders aus ihrem Gesicht hervor. Aber sie war gut gelaunt, was wohl vor allen Dingen dem Getränk vor ihr zu verdanken war. Die drei winkten grüßend herüber. Kleine Wesen mit spitzen Ohren saßen an einem anderen Tisch und tuschelten permanent miteinander. Sie sahen aus wie die Sieben Zwerge aus Schneewittchen. "Was sind das für Geschöpfe?" fragte Cassy. "Das sind Zwerge", gab Remus verächtlich zurück. "Ich frage mich, warum sie dieses Gesindel überhaupt hier hereinlassen."

"Was möchten Sie trinken? Ah, hallo, Remus! Du hast ein neues Gesicht mitgebracht" Madam Rosmerta war gerade an ihren Tisch getreten und musterte Cassy neugierig. "Wie heißen Sie, Schätzchen?"

"Cassiopeia", gab Cassy zur Antwort. Sie hatte festgestellt, dass ihr voller Name in der Magierwelt weit weniger Aufsehen erregte, als die Kurzform.

"Cassiopeia", wiederholte Rosmerta nachdenklich. Dann sah sie Remus an und dann wieder Cassy.

"Den Gedanken brauchen Sie nicht zu Ende zu denken", sagte Cassy freundlich zu ihr. Remus fühlte sich durch Cassy's Aussage seltsam verletzt, aber er ließ es sich nicht anmerken. Die Wirtin lachte laut. "Gut. Oder schade. Dachte, es gäb' mal wieder was zu tratschen."

"Also. Was darf es sein. Wir haben heute etwas Besonderes anzubieten: Johannisbeerwein."

Hört sich gut an, dachte Cassy und nickte. Remus bestellte sich ein Butterbier. Sie unterhielten sich über allerlei belangloses Zeug und Remus erzählte Anekdoten aus seiner Schulzeit in Hogwarts.

Cassy erzählte ihm von ihrem Flug auf dem Besen und Remus lachte laut. Er konnte sich Severus lebhaft vorstellen. Und er wusste, dass der Zaubertränkemeister ein ausgezeichneter Flieger war. Lupin war ein charmanter und humorvoller Gesellschafter. Cassy mochte seine Art sehr und war froh, ihn zum Freund zu haben. Aber sie spürte auch, dass er ihr mehr Zuneigung als ein Freund entgegenbrachte. Das tat er unaufdringlich und einfühlsam. Meist kam in solchen Momenten in Cassy ein Gefühl des Bedauerns auf, dass sie Remus' Gefühle nicht erwidern konnte. Aber ihrer Zuneigung zu Remus fehlte das Feuer, das Prickeln, die Aufregung. Sie hatte noch nie darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn er sie in den Arm nehmen würde.

So kam ein Johannisbeerwein zum anderen. Es war schon ziemlich spät, als Remus sagte, dass sie jetzt gehen müssten. Der Pub würde gleich schließen.

Die Kollegen waren schon vor zwei Stunden gegangen, mit Professor Hooch in der Mitte, die doch erhebliche Schlagseite hatte, wobei der kleine Professor Flitwick als linke Stütze im Ernstfalle keine große Hilfe wäre. Fliegen können hätte sie bestimmt nicht mehr ...

Auch Cassy hatte einen Schwips. Sie kicherte über alberne Kleinigkeiten. Remus hatte ihr den Arm angeboten, den sie gerne annahm, weil es das Laufen in ihrem Zustand ein wenig vereinfachte.

Als sie Hogsmeade verlassen hatten und auf dem Weg zum Schloss waren, sagte sie völlig übergangslos mit schleppender Zunge:

"Wissense, Remus? Das Schlimme iss, dass ich ihn liebe, glaube ich. Aber er sieht mich nich' ma'. Für ihn bin ich nur ein dämlicher Muggel." Sie verstummte und schaute Remus schwankend an. "Ich klinge wie 'ne Fünfssehnjährige. Tut mir Leid. Ich hätte den blöden Wein nich' trinken soll'n. Ich werde dann immer schwermüdich."

"Von wem reden Sie?" fragte Remus irritiert.

"Von ...". Sie schwankte bedenklich und Remus hielt sie mit zwei Händen an den Schultern fest, bis sie wieder einigermaßen sicher stand. "Von SSev'erus, diesem el'nden Giftmischer."

Lupin glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Cassy hatte sich in Snape verliebt?

"Meinen Sie nicht, dass das eine Folge davon ist, dass Sie ihm das Leben gerettet haben?"

Cassy schüttelte so entschieden den Kopf, dass Remus sie wieder festhalten musste, weil sie erneut bedrohlich schwankte. "Nein", sagte sie kurz und unterstrich das kurze Wort mit einer heftig ausholenden Armbewegung unter der Remus sich sicherheitshalber wegduckte. "Es sin' seine Aug'n, sein Gesicht, seine Stimme, seine Art zu gehen. Seine Gesten. Einfach alles." Wie er riecht, hatte sie sich gerade noch verkneifen können, trotz der weinseligen Stimmung.

Remus grinste ein wenig enttäuscht vor sich hin. Na, ob das dem guten Severus gefallen würde? Obwohl er festgestellt hatte, dass Sev' eigentlich nie abfällig von Cassy gesprochen hatte, wenn er mit ihm alleine war. Die Muggel hatte sich also in ihn verknallt.

"Können wir weiter?" fragte er. Eine Diskussion über dieses Thema jetzt mit ihr anzufangen, hatte nicht viel Sinn. Und er hatte nach diesem Bekenntnis auch nicht die Nerven dazu. Cassy setzte sich wieder in Bewegung. "Ich mache seine blöden Essperimente nicht mehr mit. Und seine doofen Viecher kann er sich auch annen Hut stecken."

Endlich waren sie im Schloss angekommen. Remus brachte Cassy in ihr Appartement und half ihr noch aus der Robe. Dann brachte er sie ins Schlafzimmer. Sie fiel wie ein nasser Sack auf ihr Bett und schlief auf der Stelle ein. Er legte ihre Beine noch hoch und deckte sie zu. Dann ging er. Auf dem Weg in sein Quartier dachte er noch immer darüber nach, was Cassy ihm gesagt hatte. Es schmerzte ihn. Cassy hatte ihm allerdings auch nie falsche Hoffnungen gemacht. Noch war ja keine Entscheidung gefallen. Er würde die beiden die nächste Zeit einmal genauer beobachten. Nein. Er würde Sev' genauer beobachten oder noch besser: Er würde ihn bei der nächsten Gelegenheit fragen ...

***

Am nächsten Morgen erwachte Cassy mit einem handfesten Kater. Heute war kein Unterricht. Sie blieb liegen. Als Dobby kurz hereinschaute, bat sie ihn, bei Madam Pomfrey ein Kopfschmerzmittel für sie zu holen. Johannisbeerwein. Bei dem Gedanken schüttelte sie sich.

Dobby kam mit einer kleinen Phiole und einem Tablett voller Frühstück zurück. "Nur drei Tropfen", hatte Madam Pomfrey ihm eingeschärft und das gab er jetzt so an Cassy weiter.

***

Am Nachmittag klopfte es an die Tür und Remus Lupin stand draußen. "Darf ich reinkommen?" Sie nickte. "Wie geht es Ihnen?"

"Bescheiden", antwortete Cassy. Lupin grinste.

Sie machte eine Handbewegung zu den Sesseln hin und beide setzten sich.

"Was habe ich Ihnen gestern Abend alles erzählt?" fragte sie Remus unsicher. Der lächelte und sagte: "Nur belanglose Dinge." Cassy schaute ihn misstrauisch an. "Wirklich?"

"Ja, wirklich. Ich bin übrigens nur gekommen, weil ich Ihnen von Severus ausrichten soll, dass er sich mit Ihnen am kommenden Freitag nach dem Nachmittagsunterricht vor dem Schloss treffen will. Er möchte Ihnen die Niffler zeigen."

"Wieder hässliche Viecher?" fragte Cassy, die sich nicht darüber wunderte, warum Snape ihr eine Woche vorher bereits wegen eines Ereignisses Bescheid sagte. Dann musste er wenigstens nicht beim Frühstück mit ihr reden. Remus schüttelte den Kopf. "Goldige Viecher. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie werden sie mögen."

Er stand auf und ging. Und Cassy legte sich wieder ins Bett und pflegte ihren Kater.