Gefühle

Es war Zeit für seinen Ausflug. So nervös war er noch nie. Er war ständig in seinem Büro auf und ab gegangen, hatte Bücher wieder gerade hingestellt, Skulpturen gedreht und zum tausendsten Mal auf seine Planetenuhr an der Wand geschaut. Dann war es so weit.

Lächelnd schloss er ab und machte sich auf den Weg zu Cassy's Appartement. Im Erdgeschoss angekommen, ging er gerade an der großen Halle vorbei, als er in den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Es folgte ihm jemand, der versuchte die Rüstungen als Deckung zu benutzen. Er war klein, wasserstoffblond und hatte hellblaue Augen. Das konnte Snape zwar nicht sehen, aber er wusste, dass Draco mal wieder hinter ihm herschnüffelte. Seit sein Vater von Voldemort bestraft worden war und Snape dafür die Schuld gab, spionierte er ihm ständig hinterher. Er sollte ihn bei etwas erwischen, was seinem Vater einen Vorteil bei Voldemort brachte. Draco machte das Ganze keinen Spaß. Er mochte Snape und hatte mit seinem Vater diskutiert, dass er seinem Hauslehrer nicht nachstellen würde. Aber Lucius Malfoy hatte seine eigenen Mittel, um seinem Sohn klar zu machen, dass er erwartete, dass seine Forderungen auch erfüllt würden. So spionierte Draco eher freudlos hinter Snape her und gab sich auch keine besondere Mühe, sich gut zu verstecken. Dann erreichte Snape Cassy's Appartement mit Malfoy im unfreiwilligen Schlepptau.

***

Es klopfte. Das musste Professor Snape sein. Cassy schnappte ihren Umhang im Vorbeigehen und öffnete.

„Hallo!"begrüßte sie ihn freundlich. Er brummte nur etwas und drehte sich um. Aus den Augenwinkeln sah sie den hellblonden Haarschopf von Draco Malfoy hinter einer Ecke verschwinden. Er spionierte also mal wieder. Sofort war ihr sein abweisendes Verhalten verständlich. „Wohin gehen wir?" fragte sie ihn. „Kommen Sie einfach mit."Obwohl er sich Mühe gab, abweisend zu klingen, gelang es ihm nicht recht. Seit dem Abend bei ihr war etwas anders. Sein sich selbst schützendes Verhalten hatte sich in der Stille von Cassy's Appartement verändert. Es war aufgeweicht. In ihrer Nähe fühlte er sich irgendwie wohl und es war schwer, sie dann niederträchtig zu behandeln. Er ging zur Treppe und Cassy trottete in respektvollem Abstand hinter ihm her.

Sie wollte ihm sagen, dass sie Malfoy auch gesehen hatte. Aber das ging nicht. Sie würde sich sonst verraten. Also folgte sie ihm schweigend. Sie gingen in den ersten Stock und als sie an der Treppe nach links abbogen in den Gang zum Astronomieturm, hatte Cassy's Herz einen Hüpfer gemacht. Am Ende des Flures drehte er sich zu ihr um, aber bevor er sie ansprach, sah sie seinen Blick, der über sie hinweg glitt und den Flur noch einmal aufmerksam beobachtete. Draco war weg.

„Es ist sehr dunkel in diesem Treppenaufgang. Bleiben Sie dicht hinter mir – ich habe Licht mitgenommen, aber es ist nur schwach."Er sah sie an und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. „Und es gibt keine Trickstufen."Cassy dachte kurz an diesen Tag und sie musste lachen. Es war das erste Mal, dass er einen Spaß machte, ohne sie verletzen zu wollen. Sie fühlte sich so seltsam. Der Mann vor ihr war nicht der Severus Snape, den sie in den vergangenen Wochen ertragen hatte. Er lächelte, er war aufmerksam. Sie spürte, dass auch er Spaß an dem Ausflug heute Abend hatte. Ohne Zwang. Ohne Druck. Sie lernte gerade den Mann aus dem Keller ihrer Freunde kennen.

Snape hatte lange überlegt – immerhin ganze vier langweilige, Cassy-lose Tage – ob er etwas mit ihr unternehmen sollte. Zwischendurch verfiel er ab und zu in seine alte Denke und beschimpfte sich, warum er sich überhaupt so viele Gedanken um diese Frau machte. Aber genau dann schlich sich wieder dieses Gefühl bei ihm ein, das er hatte, als sie ihn zum Bleiben eingeladen hatte und die Ruhe, die er empfunden hatte, als er mit ihr vor dem Kamin saß. Etwas in ihm stieß ihn geradezu mit sanfter Gewalt darauf, dieses neue, eigentlich alte, aber auf jeden Fall verdrängte Gefühl auszukosten. Es war das Gefühl, einem Menschen wichtig zu sein. Er war ihr wichtig. Wie oft hatte sie ihm das in der Vergangenheit gezeigt. Aber Remus hatte recht. Er hatte Angst davor, dass es wieder in einem Desaster enden würde, wenn er eine Freundschaft aufbaute und seine Gefühle offenbarte.

Irgendwann fiel ihm sein erster Blitzrundgang mit ihr ein und ihr Gesicht, als er den Astronomieturm erwähnt hatte. Es war ein Leuchten darüber gehuscht. An dieses Leuchten erinnerte er sich wieder, als er in seinem Appartement mal wieder vor Langeweile quer in seinem Sessel gammelte und nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte. Er konnte sich auf nichts konzentrieren und Voldemort verhielt sich auch ruhig. Gott sei Dank.

Er war bereits heute Mittag auf dem Turm gewesen und hatte ein paar Vorbereitungen getroffen. Jetzt öffnete er die knarrende Türe zum Turmaufgang und flüsterte „Lumos", worauf ein dünner Lichtstrahl aus seinem Zauberstab in das Dunkel fiel. Cassy stieg hinter ihm die Treppen hinauf. Es war ein endloser Weg. Warum gab es bei Dumbledore eine Rolltreppe und hier musste man sich abkämpfen? Endlich waren sie auf der Plattform angekommen. Cassy atmete tief die frische warme Luft ein. Vor allen Dingen, weil sie völlig außer Atem war. Snape schaute sie einen Moment amüsiert an. „Keine Kondition?"fragte er. Sie schüttelte den Kopf und wartete noch einen Augenblick. Dann hatte sie ihre Stimme wieder im Griff. „Muss mal wieder joggen gehen", meinte sie. Er zog die Augenbrauen hoch und fragte: „Was müssen Sie?"Cassy musste lachen. Normalerweise stellte sie die Was?- Fragen. „Dauerlauf, um die Kondition zu verbessern", gab sie ihm erklärend zur Antwort. Er schüttelte den Kopf. „Komische Muggelangewohnheiten", brummelte er vor sich hin und ging zum Geländer.

Cassy schaute sich um. Zum Sterne gucken war es noch zu hell. Sie mussten noch warten. Es war ein klarer Abend und einer dieser wundervollen Momente, die man so selten bewusst erlebte. Am Horizont kämpfte der Tag noch gegen die Nacht an. Vom tiefen Dunkelrot über Dunkelblau bis zum samtenen Schwarz reichte die übergangslose Farbpalette am Himmel. Der Wind wehte warm über die Plattform und spielte mit Snapes langen Haaren. Ihr Blick blieb an ihm hängen. Wie immer. Er sah gedankenverloren in die Ferne. Seine große, schlanke, aufrechte Gestalt, der wallende, im Wind flatternde Umhang, die langen Haare – alles war eine schwarze Silhouette in den Farbschattierungen der untergehenden Sonne. Ein fantastisches Bild, das gemalt werden müsste, dachte Cassy. Unvergänglich festgehalten. „Sie starren mich schon wieder an", riss seine Stimme sie aus ihren Betrachtungen. Er hatte sich zu ihr umgedreht und lehnte sich mit aufgestützten Händen an das Geländer, dabei sah er sie aufmerksam an. Cassy lächelte. Sie hatte seine Bewegung gesehen und deshalb kam diese Ansprache für sie nicht ganz unerwartet. „Nein. Ich schaue Sie nur an, weil ich gerade daran gedacht hatte, wie sehr es mich gefreut hat, dass Sie mich zu diesem Ausflug eingeladen haben."Er drehte sich wieder um. Sie sollte sein Gesicht nicht sehen. Er konnte nicht damit umgehen, dass er tatsächlich Freude verschenkt hatte. Hätte er jetzt etwas sagen müssen? Dann spürte er eine Bewegung neben sich. Sie hatte sich zu ihm gestellt und ihre Hände ebenfalls auf das Geländer gelegt. „Es ist ein wunderschöner Sonnenuntergang, nicht wahr?"Er nickte und beide blickten sie schweigend in die Ferne. Severus rückte ein winziges Stück von ihr ab. Sie war ihm zu nahe. Cassy bemerkte die Bewegung sehr wohl, ließ sich aber nichts anmerken. Sie musste mehr auf seine persönliche Distanz achten, die er für sich so dringend brauchte, dachte sie.

Dann war es endlich Nacht. Sie hatten kein Wort mehr miteinander gesprochen und gemeinsam in die Dunkelheit auf den langsam verglühenden Horizont gesehen. Snape stieß sich vom Geländer ab und ging zu einem großen verhüllten Gegenstand. Er zog die Plane herunter und Cassy sah ein erstaunlich modernes Teleskop. Nachdem er die Plane sorgfältig zusammengefaltet und weggelegt hatte, stellte er sich an den Sucher und machte noch ein paar Feineinstellungen. Cassy hatte sich – in gebührendem Abstand – zu ihm gestellt und schaute ihm zu. Dann trat er zurück und gab ihr mit einer Handbewegung und einem feinen Lächeln auf dem Gesicht zu verstehen, dass sie durchschauen solle. Sie blickte durch den Sucher und dort war sie. Groß und schön und Erinnerungen erweckend. Die Cassiopeia.

Das Sternbild war auch mit dem bloßen Auge zu erkennen. Aber durch das Teleskop sah man noch viele andere Sterne der Milchstraße, die einen schimmernden, glitzernden Vorhang hinter dem Sternenbild abgaben. Das große W. Eingerahmt vom diamantenen Funkeln unzähliger weiter entfernter Sterne und Galaxien. Ein würdiger Rahmen für eine nicht ganz so würdevolle Legende. Die Erinnerung an ihren Vater blitzte wieder auf. Er war mit ihr unzählige Male im Planetarium gewesen und hatte ihr die Sternbilder gezeigt und erklärt. Sie fühlte sich melancholisch, aber auch glücklich, dass Severus ihr die Möglichkeit gegeben hatte, ihren Vater lebendig in ihre Erinnerungen zu holen. Sie trat zurück und schaute ihn freudig an. „Vielen Dank", sagte sie mit leiser Stimme und schaute ihm in die Augen. Er senkte den Blick und fragte genauso leise, ob sie jetzt gehen wolle. Cassy schüttelte den Kopf. „Wollen Sie schon gehen?"Aber auch Severus verneinte mit dem gleichen feinen Lächeln, mit dem er ihr das Teleskop freigegeben hatte. Cassy räusperte sich und sagte: „Ich zeige Ihnen die Andromeda. Das ist die einzige Galaxie, die wir mit einem normalen Teleskop sehen können. Möchten Sie?"Snape nickte. Er freute sich, dass seine Überraschung gelungen war und dass sie mit ihm länger hier blieb, als er insgeheim erhofft hatte.

Er wusste, wo die Andromeda lag. Er kannte die Sternbilder alle. Unzählige Stunden hatte er in seiner Einsamkeit hier oben verbracht und sie betrachtet und sich auf einen dieser Sterne gewünscht, damit sein Dasein hier endlich ein Ende hatte. Cassy schraubte an dem Teleskop herum und stellte es ein. Dann sah er durch den Sucher. Es war die Andromeda. Sie schauten sich noch eine ganze Weile die verschiedensten Sternbilder an. Cassy war begeistert, wie gut er sich am Himmel auskannte. Mit seiner dunklen Stimme erzählte er zu dem einen oder anderen Bild eine kleine Geschichte und sie hörte ihm fasziniert zu. Sie hätte seiner aufregenden, samtigen Stimme ewig zuhören können, selbst wenn sie ihr das Telefonbuch von London vorgelesen hätte.

Beim Bild des Chiron im Sternbild des Zentaurus waren sie sich nicht einig. Cassy zeigte ihm ohne Teleskop direkt am Himmel den Sternenhaufen, den sie für Chiron hielt. Snape stand hinter ihr und schüttelte den Kopf. Seiner Meinung nach lag das Bild etwas weiter links. Cassy konnte nicht sehen, wo er genau hinzeigte. In ihrem Wortgefecht kam er ihr immer näher und stand zum Schluss so nahe hinter ihr, dass er ihr eine Hand auf die Schulter legte, seinen Arm direkt neben ihrem Gesicht ausgestreckte und sagte, während er selbst die Richtung mit seinem Arm fixierte, dicht an ihrem Ohr: „Jetzt schauen Sie genau an meinem Arm entlang. Dann sehen Sie das Bild von Chiron."Cassy gab sich alle Mühe und tatsächlich. Er hatte recht. Sie hatte sich geirrt. Er senkte seinen Arm und Cassy drehte sich lachend zu ihm um. Jetzt erst bemerkte er, wie nahe er ihr gekommen war und abrupt nahm er seine Hand von ihrer Schulter und trat zwei Schritte zurück. „Entschuldigung", murmelte er. Cassy sah ihn an. „Wofür?"An seinem verschlossenen Gesicht sah sie, dass sie keine Antwort auf ihre Frage bekommen würde und dass es für heute für ihn genug war.

Der Zauber des Augenblicks war verflogen. Sie kehrten beide zurück in die nüchterne Wirklichkeit auf dieser kahlen Plattform auf dem Astronomieturm, über die ein kühler Wind fegte. Er holte die Plane, deckte das Teleskop sorgfältig ab und forderte sie zum Gehen auf. „Wir haben morgen sicher beide einen anstrengenden Tag", sagte er und öffnete die Tür zum Treppenabgang des Turms. Cassy stimmte ihm zu und sie gingen zurück. Er brachte sie noch an ihr Appartement. „Vielen Dank für den schönen Abend", sagte Cassy, aber nicht, ohne vorher verstohlen den Gang auf und ab geblickt zu haben, ob sie wieder beobachtet wurden.

***

Am nächsten Abend klopfte es bei Cassy an die Tür. Remus stand davor. Er sah müde und mitgenommen aus.

„Hast du einen Moment Zeit für mich?"

„Selbstverständlich. Komm' rein."Cassy gab die Tür frei und Remus trat ein. Sie hatte sich gerade von Dobby eine große Kanne Tee machen lassen und klingelte noch einmal nach ihm wegen einer weiteren Tasse. Remus ließ sich in den angebotenen Sessel fallen.

Dann setzte Cassy sich gegenüber. „Geht es dir wieder besser, Remus? Du siehst sehr müde aus", sagte sie mitfühlend. Seit einiger Zeit waren sie zum ‚Du' übergegangen. Es hatte sich einfach so ergeben, ohne eine besondere Aufforderung. Remus nickte.

„Cassy, ich weiß nicht, wie ich beginnen soll."Dabei sah er Cassy mit unruhigen Augen an, ohne weiter auf ihre Frage einzugehen. Sie schaute ihn weiter konzentriert an. So schlimm konnte es nicht sein, was er ihr zusagen hatte. Oder wollte er ihr etwa sagen, was er für sie fühlte? Cassy hoffte inständig, dass er nicht deshalb gekommen war.

„Ich bin ... Gestern war Severus bei mir, um mir zu helfen. Er hilft mir schon die ganze Zeit, weil ich sonst jeden Monat zu Vollmond eine Verwandlung durchmachen muss. Dank Sev' bleibt mir das erspart."Er stockte wieder. „Ich bin kein richtiger Mensch."In Cassy's Kopf arbeitete es. Zu Vollmond? Da hatte sie doch etwas gelesen. Was war das nur gleich? Aber Lupin sprach in diesem Moment weiter. „Ich verwandle mich in einen Werwolf", brach es aus ihm heraus. Als Cassy jedoch nicht reagierte, außer, dass sie etwas blasser geworden war, sah er sie überrascht an. „Hast du gar nichts dazu zu sagen?", fragte er sie.

Sie schüttelte den Kopf. „Warum sollte ich etwas dazu sagen, Remus? Ich kann mir vorstellen, dass du nicht glücklich darüber bist. Muss sich jetzt etwas zwischen dir und mir ändern, wo ich dein Geheimnis kenne?"Sie sah ihn fragend an.

Remus wusste nicht, was er sagen sollte. „Werwölfe sind nicht besonders beliebt in unserer Welt."Er lächelte schwach.

„Remus, das ist mir egal. Ich mag dich sehr gerne und ich wüsste nicht, warum ich meine Einstellung zu dir ändern sollte, jetzt, wo du mir dein Geheimnis anvertraut hast. Du warst schon ein Werwolf, als wir uns kennen gelernt haben und ich habe es nicht gewusst. Also ändert sich auch jetzt nichts zwischen uns. Jedenfalls von meiner Seite aus."Remus sah sie dankbar und erleichtert an. Er trank einen Schluck von seinem Tee. Eine Zeit lang sahen beide vor sich auf den Boden. Das heißt, Remus blickte müde und erschöpft vor sich und nahm erneut mit matten Bewegungen einen Schluck aus seiner Tasse, die er mit zwei Händen zum Trinken festhielt. Cassy überlegte, ob sie ihn fragen sollte, da er offensichtlich sehr erschöpft war. Aber die Gelegenheit erschien ihr günstig, da er schon mal da war.

„Warum gehst du mir in den letzten Tagen aus dem Weg, Remus?", fragte sie ihn geradeheraus. Diese Frage kam sehr überraschend und er empfand sie im Moment fast wie eine Attacke. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er sich heute mit zwei Problemen auseinandersetzen sollte und er war einfach zu erschöpft dazu. Die nicht geplante Werwolfverwandlung und seine Erkenntnis, dass Severus Cassy mochte, hatten ihn ungeheure Kräfte gekostet. Körperlich, wie auch seelisch.

„Das hast du falsch empfunden", sagte er daher lahm und nicht sehr überzeugend. „Ich hatte mit meiner Verwandlung zu tun und bin noch immer sehr müde."

Cassy sah Remus sehr aufmerksam und mit schief gelegtem Kopf an. „Bitte komm' zu mir, wenn du bereit bist, mit mir zu reden. Du bist mir wirklich sehr wichtig. Ich möchte, dass wir Freunde bleiben", sagte sie ihm leise und er sah in ihrem Gesicht die Aufrichtigkeit, die ihre Worte mit Nachdruck unterstrichen. Sie kam nicht auf die Idee, dass sein Verhalten genau damit zu tun hatte, worüber auch sie mit ihm heute Abend nicht sprechen wollte. Cassy dachte eigentlich, sie hätte ihn unbeabsichtigt verletzt bei einem ihrer letzten Treffen, obwohl sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, womit.

Remus beschloss in diesem Moment, ihr auch weiterhin aus dem Weg zu gehen. Ihre Art machte ihn verrückt. Warum beschimpfte sie ihn nicht einfach? Sie sollte richtig wütend auf ihn sein. Das hätte die ganze Angelegenheit wesentlich erleichtert für ihn. Es hätte ihm die gedankliche Trennung von Cassy vereinfacht. Aber ihr Mitgefühl und die ehrliche freundschaftliche Zuneigung, die er auf ihrem Gesicht sah und die sie ihm mitteilte, machte ihn geradezu krank. Er hatte längst erkannt, was Severus so eisern versuchte, vor sich selbst zu verleugnen. Für ihn, Remus, würde es die Hölle sein, wenn er die beiden auch noch zusammen sehen müsste.

Er wechselte das Thema und nach einer kurzen Kunstpause unterhielten sich die beiden so angeregt wie immer. Remus ging sehr spät in seine Unterkunft zurück und saß dort noch lange Zeit in seiner Sitzecke und dachte nach. Wie sollte er es unter einen Hut bringen, dass Cassy ihn sehr mochte, ihn als Freund schätzte, ihn aber nicht liebte? Am besten alles auf sich zukommen lassen. Das hat schon immer geholfen. Und die nächsten Wochen wollte er Cassy wirklich aus dem Weg gehen.

***

Voldemort hatte Malfoy, Crabbe und Goyle zu sich gerufen.

„Ich will, dass ihr zu unseren Verbündeten geht und prüft, ob sie sich inzwischen einig geworden sind", sagte er ohne Einleitung, als die drei in seinem Hauptquartier apparierten. „Diese Warterei und dieses Versteckspiel verderben mir langsam die Laune. Ich will den Ungläubigen und Zweiflern endlich zeigen, dass ich wieder da bin." Trotzdem wusste er ganz genau, dass er noch immer nicht seine ganze Kraft gesammelt hatte und sich gedulden musste. Und Geduld war etwas für Voldemort, was er in letzter Zeit überhaupt nicht mehr hatte. Er sah sich seinem Ziel schon zum Greifen nahe und musste sich zusammen nehmen, dass er auch weiterhin überlegt taktierte.

„Was ist mit den Dementoren?"fragte Crabbe in diesem Moment. Entgegen seinem Sohn war er doch mit etwas Intelligenz gestraft.

Die Dementoren waren die Wachen von Askaban, dem Zauberergefängnis. Sie ernährten sich von den glücklichen Gefühlen ihrer Gefangenen. Sie nahmen sie durch ihre bloße Anwesenheit in sich auf. Zurück blieben bei den Gefangenen nur die schlimmen, grauenhaften, irgendwann selbstzerstörerischen Gedanken. Oftmals erlebten sie die schlimmsten Momente ihres Lebens immer und immer wieder. Wenn man tagein, tagaus nichts weiter als Qual, Angst, Resignation empfindet, stumpft man irgendwann ab oder der real wahrnehmende Verstand verabschiedet sich komplett. Die Höchststrafe für ein Vergehen war der Todeskuss der Dementoren. Ein Todesurteil wäre für den Betroffenen eine Gnade gewesen. Die Seele des Gefangenen wurde durch den Dementor abgesaugt und zurück blieb eine leere menschliche Hülle, die nicht mehr denken oder empfinden konnte, die keine Erinnerungen und keine Zukunftspläne mehr hatte. Der Geist dieser Menschen war ausgelöscht. Sie vegetierten vor sich hin, wie lebende Tote.

„Unser Verbindungsmann im Ministerium bringt es nicht auf die Reihe, sie wirklich davon zu überzeugen, sich uns anzuschließen, weil die Kobolde, Trolle und auch die Riesen uns noch nicht offiziell folgen. Diese Dementoren sind zwar hirnlose Kreaturen, aber sie werden erst kommen, wenn sie sicher sind, dass sie auch einen Vorteil davon haben. Egal, auf welcher Seite."Malfoy nickte. Er kannte den Verbindungsmann im Ministerium und hatte ihm schon Druck gemacht, aber sie hatten sich einen wirklich unfähigen Verbündeten ausgesucht und sie konnten ihn nicht so schnell los werden, denn er hatte seinerseits hervorragende Kontakte in die einzelnen Völkergruppen, aber er war nicht sehr durchsetzungsfähig und brauchte immer viel zu lange Zeit.

„Was ist mit Snape?", fragte Malfoy lauernd. Voldemort sah ihn an und meinte: „Was soll mit ihm sein, Lucius? Hast du schon wieder ins Auge gefasst, ihn zu diskreditieren?"Lucius schüttelte ängstlich den Kopf. „Nein. Ich meine nur, weil er doch die Nummer 2 ist, sollte er einen der Einsätze führen." „Er kann die nächste Zeit nicht aus Hogwarts geholt werden. Ich will nicht, dass Dumbledore Verdacht schöpft und dein Junge liefert uns seit Wochen die gleichen Informationen, nämlich, dass er alles tut, um nicht aufzufallen."

Voldemort sah Malfoy abschätzend an. Sein Hass auf Severus war gefährlich und würde vielleicht noch einmal ihre Aktionen in Gefahr bringen, wenn er nicht aufpasste. Aber er brauchte Malfoy noch wegen seiner Verbindungen im Ministerium. Andererseits musste er dringend mit Severus sprechen, wie man Malfoy im Zaum halten konnte, bevor er zum unkalkulierbaren Risiko wurde.

Er sah die drei Todesser an und sagte: „Ihr könnt jetzt gehen. Ich erwarte positive Nachrichten von euch!"Allerdings wusste er, dass er mindestens für die nächsten vierzehn Tage bis drei Wochen Ruhe halten und abwarten musste.

Die drei nickten und desapparierten wieder.

***

Severus hatte sie am Morgen vor dem Frühstück im Flur vor der großen Halle abgepasst. Sie hatte ihn schon von weitem an der Säule gelehnt stehen sehen. Da er ihr entgegenschaute, wusste sie, dass er auf sie wartete und ihr Herz machte einen ordentlichen Sprung. Sie hatten die letzten Tage fast jeden Abend Spaziergänge über das Hogwartsgelände unternommen und dabei mehr als einmal Draco und seine Schatten ausgetrickst, die ihnen mehr oder weniger unauffällig gefolgt waren. Sie hatten viel miteinander gesprochen, hatten immer öfter auch gemeinsam mal etwas zu lachen und entdeckten gemeinsame Vorlieben. Severus taute so langsam auf und Cassy freute sich darüber. Sein Verhalten ihr gegenüber hatte sich so grundsätzlich geändert, dass sie wirklich manchmal dachte, er wäre nach dem Abend in ihrem Appartement ausgetauscht worden. Wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigten, schauten sie jeder in eine andere Richtung oder gifteten sich an. So wurde der Schein gewahrt. Es war wie eine stillschweigende Vereinbarung zwischen den beiden. Severus hatte lange darüber nachgedacht, warum Cassy sein Spiel mitmachte und ihn nicht fragte, warum er sie in Gesellschaft weiterhin so schlecht behandelte. Dann wieder rief er sich ins Gedächtnis, dass sie eigentlich immer einfühlsam auf ihn eingegangen war. Wahrscheinlich hielt sie das Ganze für eine notwendige Reaktion auf seinen neu gewonnenen Mut, was das Vertrauen in seine Mitmenschen anging. Und eigentlich wollte er es gar nicht hinterfragen. Er genoss es einfach, dass sie ihn wortlos verstand.

„Guten Morgen", begrüßte sie ihn fröhlich, aber leise. Er schaute sich wieder erst einmal um und als er sah, dass niemand da war, grüßte er lächelnd zurück: „Guten Morgen. Ich will heute Abend zu Madam Sprout in die Gewächshäuser gehen. Mir fehlen einige Kräuter und für Sie gibt es dort eine Menge interessanter Dinge zu sehen. Haben Sie Lust, mich zu begleiten?"

Cassy sah ihn freudig an. Was für eine Frage! „Ich würde mich sehr freuen. Wann treffen wir uns?"Sie verabredeten sich direkt nach dem Abendessen. Cassy sollte eine alte Robe anziehen, da es in den Gewächshäusern auch etwas zu arbeiten gab. Sie freute sich schon sehr und das konnten ihre Schüler den ganzen Tag im Unterricht spüren. Sogar Slytherin bekam seit langem wieder einmal Punkte.

***

Madam Sprout begrüßte sie freundlich. Sie sahen sich nur sehr selten. Eigentlich nur bei den Mahlzeiten. Um so mehr freuten sich die beiden Frauen, dass sie jetzt ein bisschen miteinander reden konnte. Severus wurde langsam ungeduldig und fragte sich leicht eingeschnappt, warum er Cassy überhaupt mitgenommen hatte. Er fragte recht unwillig, ob er schon vorgehen solle. Die beiden Frauen beendeten ihr Gespräch und Professor Sprout schickte sie in Gewächshaus sieben. Cassy musste grinsen, da sich gerade mal wieder der alte Snape an die Oberfläche gekämpft hatte. Aber nur sehr kurz.

Als sie in das genannte Gewächshaus kamen, standen dort Unmengen von Pflanzen, die Cassy in ihrer Vielfalt gar nicht erfassen konnte. Aber ihr Blick wurde sofort von einer ganz bestimmten Sorte angezogen. Severus ging ihr voraus und ging genau auf diese Pflanzen zu. Sie waren nicht einfach grün oder gelb. Sie vereinten alle Spektralfarben in ihrer Gestalt und egal, wie genau Cassy auch hinschaute, sie behielten ihre Farbe nicht, sondern wechselten sie ständig sanft ineinander überfließend. Die langen, kräftigen Stiele teilten sich nach oben und aus den seitlich herauswachsenden Ästen bildeten sich tischtennisballgroße, behaarte Kugeln aus, die sehr seidig und weich wirkten. Man hatte das Bedürfnis, diese Kugeln sofort anzufassen und zu streicheln oder durch die Finger gleiten zu lassen.

Allerdings hatte Cassy zwischenzeitlich doch so viel in Hogwarts gelernt, dass sie lieber erst einmal wartete, was Severus mit diesen Pflanzen machte, bevor sie ihrem neugierigen Bedürfnis nachgab und diese Kugeln berührte.

„Ich habe Professor Sprout versprochen, dass wir die Puschelbommler umpflanzen", sagte Severus in diesem Moment. Puschelbommler? Was für ein beknackter Name, dachte Cassy. Aber irgendwie passte er zu diesen beknackten Pflanzen. Als sie nämlich näher kam, fingen diese Dinger an, in ihren Töpfen hin und her zu zucken. Wie diese künstlichen Batterie betriebenen Kakteen, die man kaufen konnte, bewaffnet mit einem Sombrero, einem Poncho und einer Gitarre in den stachligen Armen. Wenn man sie einschaltete, dann spielten sie „La Cucaraca"in einer die Ohren beleidigenden, miserablen Qualität und zuckten dabei mehr oder weniger rhythmisch in ihren Plastiktöpfen hin und her. Die Puschelbommler spielten zwar keine mexikanischen Sauflieder, aber sie girrten. Anders konnte man diesen hellen, schwirrenden Ton nicht bezeichnen. Cassy hatte das Gefühl, dass dieser Ton mit ihren Körperschwingungen den Einklang suchte. Ein sehr eigenartiges, angenehmes Gefühl machte sich in ihr breit, als sie den Pflanzen zuhörte.

Sie näherte sich den Bommlern - Cassy hatte für sich entschieden, dass sie die Pflanzen in der Kurzform benennen wollte, das andere Wort war ihr einfach zu doof - um sie genau anzuschauen. Plötzlich wurde eine der Pflanzen tief dunkelblau und hörte auf zu zucken, dafür standen die Haare der Kugeln strack ab und zitterten leicht. Cassy bekam einen Schreck und schaute sich ängstlich um. Sie hatte doch gar nichts gemacht. Severus war in einiger Entfernung stehen geblieben, um Pflanzmaterial und neue Töpfe zu holen. Als er sich jetzt umdrehte und wieder auf den Tisch blickte, sah er die Pflanze und dann sah er Cassy an. Die hob abwehrend die Hände.

„Damit habe ich nichts zu tun. Ich habe sie nicht berührt, ehrlich!" Severus grinste. Er grinste tatsächlich so richtig frech. Sein Gesicht erhellte sich und es machte ihn um Jahre jünger. So musste er als Schuljunge ausgesehen haben, dachte Cassy hingerissen. In seinen glücklichen Zeiten.

„Ich weiß. Diese Pflanzen reagieren auf Menschen", erklärte er noch immer grinsend aus der Entfernung. „Sie sollten diesen mit in Ihre Unterkunft nehmen. Er sendet einen Ton aus, der Ihnen tiefe Entspannung bringt. Der Ton dieser Pflanze hat genau Ihre Körperfrequenz."

Cassy überlegte, ob sie so ein zuckendes Teil in ihrem Appartement haben wollte, und entschied sich dagegen.

„Ist er beleidigt, wenn ich ihn nicht mitnehme? Oder schadet es ihm?", fragte sie Severus beinahe kindlich naiv und leise, weil sie nicht wusste, ob die Pflanze sie hören konnte. Der lachte und schüttelte den Kopf. Es gefiel ihm, wenn sie ihre Unsicherheit nicht verbergen konnte. Dann fühlte er instinktiv ihr tiefes Vertrauen zu ihm und dass sie seinen Schutz brauchte. Und er fühlte, dass nie Berechnung in ihren Reaktionen lag, die ihn animieren sollten, etwas zu tun, was er vielleicht gar nicht wollte.

„Sie ist sehr nützlich, wenn man ständig unter innerer Spannung steht, aber ich möchte so ein zirpendes Ding auch nicht in meinen Räumen haben."Damit sah er ihr einen Moment lächelnd tief in die graublauen Augen. In Cassy's Magen bildete sich gerade wieder die kleine Zementkugel heran, die immer schnell wuchs, wenn Severus sie so anschaute und sie senkte den Blick. Er tat das in letzter Zeit öfter und Cassy war sich sicher, dass er es mit Absicht tat, weil sie dann immer sehr verlegen wurde und einen roten Kopf bekam.

Severus näherte sich dem Tisch und schlagartig hörten von den mindestens fünfzig Bommlern ungefähr zehn auf zu zucken und wurden dunkelblau.

„Sie haben ja einen ganzen Fanclub", meinte Cassy lachend. Severus grinste noch immer vor sich hin.

„Beim Umtopfen gibt es einen Trick", lenkte er von den dunkelblauen Pflanzen ab. „Sie müssen die Pflanze genau am Kreuzpunkt einer Verzweigung anfassen und leicht drücken, damit sie aufhört zu zucken. Sie bekommen sie sonst nicht aus dem Topf heraus. Am einfachsten ist es natürlich, wenn wir erst einmal unseren Fanclub, wie Sie ihn nennen, umtopfen, denn der bewegt sich sowieso nicht."Dabei schmunzelte er wieder und griff sich den ersten Bommler. Die ruhigen Bommler waren innerhalb kürzester Zeit umgepflanzt. Jetzt ging es an die Beweglichen. Cassy sah Severus genau zu. Er traf immer sofort den Punkt, der den Bommler ruhig stellte. Aber so oft Cassy auch zupackte - und sie hatte dabei Angst, die Pflanze zu verletzen - der Bommler zuckte, als bekäme er es bezahlt und hielt sich stur in seinem Topf fest. Sie wollte schon resigniert aufgeben, als Severus plötzlich hinter ihr stand. So dicht, wie er noch nie freiwillig bei ihr war! Sie konnte seinen aufregenden Duft riechen und spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken. Ihr Herz begann in einem Stakkato zu schlagen, dass sie Angst hatte, er würde es hören. Der Einfluss der Bommler war wohl doch nur begrenzt, was die innere Ruhe anging ...

„Ich zeige es Ihnen", sagte er sanft. Dann nahm er ihre Hand, griff mit ihr zusammen blitzschnell zu und hatte den Bommler am Kreuzpunkt. Seine Hand war angenehm kühl und seine Nähe grub Cassy's Inneres lückenlos um. Sie konnte im Moment alles - aber sie konnte sich ganz bestimmt nicht auf diese idiotisch zuckende Pflanze konzentrieren. Sie musste ihre Augen schließen und tief durchatmen, um ihren Gefühlen Herr zu werden, die sie zu überwältigen drohten. Es wäre eine Drehung und sie könnte sich an ihn schmiegen. Er war eine Drehung von ihr entfernt und doch waren es unüberbrückbare Welten. Gerne hätte sie sein Gesicht gesehen, um zu wissen, ob es ihn Überwindung kostete, sich ihr so zu nähern oder ob es spontan aus dem Impuls heraus geschehen war, dass diese verdammte, unnütze, verblödete Pflanze endlich einen neuen Topf bekam.

Severus war froh, dass Cassy ihn nicht sehen konnte. Als er sah, dass sie mit den Pflanzen nicht zurecht kam, ging ihm kurz durch den Kopf, dass er ihr den Griff am besten zeigen konnte, in dem er ihre Hand führte. Das brachte aber mit sich, dass er sie würde berühren müssen. In der vergangenen Zeit war die Distanz, die er für sich brauchte immer geringer geworden und er hatte Cassy immer näher zu sich gelassen. Er hatte immer wieder wahrgenommen, wie sehr sie auf ihn geachtet hatte und er war ihr dankbar dafür. Aber wenn er jetzt ihre Hand nehmen würde, wäre keine Distanz mehr da. Sein Herz hatte angefangen schneller zu schlagen und kleine Stiche - die nicht ganz unangenehm waren - fuhren durch seinen Magen, als er sich dennoch entschloss, ihr zu helfen. Kurz war noch einmal sein Verhalten bei ihrem ersten Besuch im Krankenzimmer in ihm aufgeflackert und hatte ihn erneut zögern lassen. Dann fiel ihm das zweite Mal im Krankenzimmer ein und sein Gefühl der Freude, dass sie seine Hand gehalten hatte - die ganze Nacht - überkam ihn wieder.

Jetzt hob er mit ihr gemeinsam die Pflanze aus dem alten Topf und steckte sie in den vorbereiteten neuen. Er hielt ihre Hand fest, bis die Pflanze eingegraben war. Dann ließ er sie langsam los und seine Fingerspitzen strichen absichtlich für einen winzigen Augenblick über ihren Handrücken, als er seine Hand zurückzog. Die Berührung ihrer Haut war ihm sehr angenehm und zum ersten Mal seit vielen Jahren verspürte er nicht mehr den drängenden Fluchtinstinkt, der ihn jedes Mal überkam, wenn er die Wärme eines anderen Menschen fühlte. Die ganze Zeit hatte er den frischen Duft ihrer Haare eingeatmet und sich gefragt, wie lange es wohl her war, dass er außer seinen Zaubertränken überhaupt etwas anderes gerochen hatte. Er konnte ihre Wärme durch seine Kleidung spüren und er wollte dieses Gefühl noch eine Weile genießen. Sein ganzer Körper war in Aufruhr wegen der wiederentdeckten Empfindungen und Eindrücke, die auf ihn einbrachen.

„Wollen wir noch einen Zweiten gemeinsam umtopfen, oder möchten Sie es alleine probieren?"fragte er Cassy leise mit seiner dunklen Stimme. Er war so dicht an ihrem Ohr, dass sie wieder die Augen kurz schloss und sie konnte nur mit äußerster Selbstbeherrschung einen tiefen Seufzer unterdrücken. Ihre Beine waren wie Gummi und sie konnte sich nicht setzen.

„Ich probiere es jetzt alleine", gab sie ihm mit leicht zitternder Stimme zur Antwort. Er trat enttäuscht und schnell einen Schritt zurück. Aber Cassy wusste einfach nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie musste ihre Gefühle unter Kontrolle bringen. Das gelang ihr nicht, so lange Severus so dicht hinter ihr stand. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie sich am liebsten für sämtliche restlichen Pflanzen auf ganz Hogwarts dämlich angestellt, damit er so dicht bei ihr bliebe und ihre Hand hielte. Aber sie hatte Angst vor seiner Reaktion, wenn sie sofort ja sagte. Also wollte sie wenigstens versuchen, einen Bommler selbst umzupflanzen, damit Severus sah, dass sie sich Mühe gab, etwas zu lernen.

Aber auch bei diesem Bommler traf sie den Kreuzpunkt wieder nicht, obwohl sie sich anstrengte. Sie drehte sich um und sah ihm in die dunklen Augen. „Würden Sie es mir noch einmal zeigen?"bat sie leise und sah nach unten. So entging ihr der kurze freudige Ausdruck auf seinem Gesicht über ihr Versagen. Diesmal war er nicht aus der Schadenfreude darüber entstanden, dass sie unfähig wäre. Diesmal war es die Freude, dass er dieses faszinierende Gefühl der selbst gewählten Nähe noch einmal erleben konnte. Noch vier weitere Bommler wurden in dieser aufregenden Gemeinschaftsarbeit umgesetzt - und sie ließen sich beide viel Zeit dabei -, dann war für Severus wieder die Grenze erreicht. Er gab sich Mühe, sie nicht abrupt loszulassen, da er derjenige war, der damit angefangen hatte und er wollte sie nicht erschrecken oder ihr ein schlechtes Gewissen machen. Er hatte diese Nähe sehr genossen, aber nach einer gewissen Zeit machte sich jedes Mal ein Gefühl in ihm breit, als hätte er etwas angestellt. So hatte er sich als Kind gefühlt, wenn er etwas Verbotenes getan hatte und er Angst hatte, dass man ihn dafür bestrafen würde.

„Ich muss noch einmal kurz etwas holen", sagte er heiser und Cassy wusste, dass er nicht mehr konnte. Sie nickte und packte den nächsten Bommler. Im Umdrehen bemerkte er noch lächelnd, dass sie diesmal sofort den richtigen Punkt erwischt hatte. Dann ging er nach draußen, an die frische Luft. Er legte seine Hände verschränkt in seinen Nacken, atmete tief durch und blickte an den sternklaren Himmel. Noch einmal ließ er die soeben erlebten Eindrücke auf sich einwirken - sie waren so intenisv und wundervoll. Er hätte sie in den Arm nehmen können. Welche Gedanken gingen ihm da durch den Kopf? Eine Muggel in den Armen halten? Was hatte diese Frau nur an sich, dass er so gerne mit ihr zusammen war? Hätte er sein Unterbewusstsein gefragt, es hätte ihm darüber einen endlosen und mit Sicherheit sehr interessanten Vortrag halten können. Aber er wollte es nicht wissen. Noch nicht. Er war nicht bereit dazu und deshalb hatte auch jetzt die zweite Hälfte Snape keine Chance ihm ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Aber sie würde ihre Chance noch bekommen.

Dann ging er zurück in das Gewächshaus. Er durfte Cassy nicht zu lange alleine lassen. Es gab auch noch ein paar nicht so freundliche Pflanzen dort, von denen er ihr nichts erzählt hatte, um sie nicht zu ängstigen. Und als er das Haus betrat, sah er, dass er gerade im richtigen Moment gekommen war.

Cassy hatte leise vor sich hinsummend die Bommler weiter umgepflanzt und fühlte sich einfach fantastisch. Auf einmal spürte sie eine Berührung auf ihrer Schulter und eine zweite auf ihrer Hüfte. Im allerersten Moment hatte sie gedacht, dass Severus zurückgekommen war und es sich anders überlegt hätte. Dann hörte sie zwei klatschende Geräusche und die Berührungen verschwanden sofort. Cassy drehte sich schnell um und sah gerade noch, wie eine recht große Pflanze, die ungefähr vier Meter von ihr entfernt stand, ihre beiden Tentakel einzog. Sie wurde vor Schreck blass und schwankte ein wenig.

„Das ist George", erklärte Severus ihr eher beiläufig. „Er hatte noch kein Abendessen."

Dann trat er einen Schritt auf Cassy zu. Er sah die Aufregung in ihrem Gesicht und legte ihr in einer unendlich langsamen, Überwindung kostenden Geste die Hand auf die Schulter und fragte mitfühlend: „Sind Sie wieder ok?"Cassy nickte und sofort nahm er die Hand zurück. Dann schweifte sein Blick über die Bommler und er meinte: „Wenn Sie wollen, machen wir Schluss und topfen morgen den Rest um?"Cassy nickte und sie gingen zum Schloss zurück.

Seine Kräuter hatte er heute jedenfalls nicht mitgenommen.

***

Sie verbrachten noch eine Menge gemeinsamer Zeit in den Gewächshäusern. Eine Menge aufregender, spannender Zeit, in der sie beide viel miteinander redeten und sich immer besser kennen lernten. Cassy fühlte sich nicht selten wie ein Schulmädchen, das mit ihrer ersten großen Liebe zusammensein durfte. Ihre Gefühle für ihn waren in der letzten Zeit so intensiv geworden, dass sie ihre ganze Selbstbeherrschung und ihre Gedanken auf das Äußerste zusammennehmen musste, um sich weiter auf die von Severus gewählte Distanz einzulassen. Er nahm ihr den Atem, wenn er sie ansah. Wenn er sie berührte, brannte diese Stelle auf Cassy's Haut noch eine Weile angenehm nach. Wenn sie an einer entlegenen Stelle spazieren gingen und er ihr den Arm anbot, musste sie sich beherrschen, dass sie nicht zu dicht neben ihm lief oder seinen Arm streichelte. Was Severus fühlte, konnte sie nicht einschätzen. Er war zuvorkommend, aufmerksam und hilfsbereit. Aber das war ein guter Freund auch. Sie registrierte jedoch jeden noch so kleinen Erfolg in seinem Verhalten. Aber immer, wenn sie gerade dachte, er würde anfangen, ihr liebevolle Gefühle entgegen zu bringen, hatte sie den Eindruck, dass er wieder einen Schritt zurück machte. Eines allerdings machte sie wirklich glücklich: Er kam freiwillig.

Die warmen Tage des Spätsommers vergingen und Severus musste nicht zu Voldemort. Zwischendurch hatte er eine kurze Nachricht von ihm bekommen, dass für die nächsten Wochen keine Einsätze anstehen würden. Voldemort wollte warten, was mit seinen Verbündeten ist. Und das lief anscheinend nicht planmäßig. Severus war sehr froh, dass er eine Verschnaufpause hatte und widmete sich mit wachsendem Interesse Cassy und seinen wiederentdeckten Gefühlen.

Wenn er abends in sein Appartement ging, konnte er meist nicht einschlafen. Er hatte angefangen, Cassy zu vertrauen, sie zu mögen. Obwohl er es nicht schaffte, diesen Gedanken weiterzudenken. Er blockte ihn ab. Dazu war die Erinnerung an Lilly noch immer zu schmerzhaft. Er versuchte an Cassy wie an eine gute Freundin zu denken und sie auch so zu behandeln. Aber das funktionierte nicht, da er merkte, wie sehr er ihr Zusammensein genoss und dass er sich immer wieder dabei ertappte, dass er das unbewusste Bedürfnis hatte, sie zu berühren. Wenn es ihm bewusst wurde, zog er sich sofort in sich zurück. Ab und zu raffte er seinen Mut zusammen und gab seinem Bedürfnis nach. Dann legte er ihr eine Hand auf die Schulter oder bot ihr den Arm an, sich bei ihm einzuhängen. Cassy versuchte, ihm nicht zu nahe zu kommen und er konnte die Berührungen bestimmen und auch deren Intensität.

Remus vergrub sich in Arbeit. Er begann jetzt schon seine Prüfungen vorzubereiten und wann immer Cassy oder auch Severus fragten, ob er irgendwo mit hinkäme, wimmelte er sie ab.

Weiterhin gab Severus sich alle Mühe, dass niemand - vor allem der kleine Malfoy nicht - mitbekam, dass er doch fast jeden Tag mit Cassy etwas unternahm. Sei es das Gewächshaus, sei es, dass sie spazieren gingen oder dass er abends zu ihr ins Appartement kam und mit ihr redete.

***

„Was haben Sie heute für mich?"fragte sie ihn neugierig. „Lassen Sie sich überraschen. Es wird nicht einfach,"antwortete Severus sehr ernst. Diesmal entging Cassy der Schalk in seinen Augen.

Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus. Cassy musste darüber lachen, dass er auf zwei Fingern pfeifen konnte. Normalerweise hätte sie den Ton aus dem Zauberstab erwartet. In Erwartung des Kommenden hatte sie sich unwillkürlich ein wenig näher zu ihm gestellt. Er ließ sich ihre Nähe gefallen. Als er auf ihren wirren Haarschopf herunterschaute, musste er lächeln. Sie war wieder ängstlich. Er legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.

Sie hörten aus dem Unterholz näherkommende, krachende und schleifende Geräusche. Dann schob sich langsam und misstrauisch umherblickend ein Wesen zwischen den Bäumen hervor, von dem Cassy dachte, dass es nur in griechischen Mythen existieren würde. Es war ein Zentaurus. Ein Wesen halb Mann, halb Pferd. Nach Cassy's Geschichtswissen liebten diese Geschöpfe nicht nur das Kämpfen, sondern auch das Trinken. Ein paar von ihnen waren Sterngucker und diese interessierten sich normalerweise für nichts, das näher war als der Mond. Wenn sie redeten, sprachen sie meist in Rätseln und man musste schon genau hinhören, wenn man Informationen haben wollte. Der geschichtlich Berühmteste von ihnen hieß Chiron. Der Sage nach lehrte er Achilles, Herkules und andere griechische Helden das Jagen, die Medizin und die Musik. Es heißt, dass der Göttervater Zeus Chiron nach dessen Tod im Sternbild des Zentaurus verewigte. Die Zentauren gaben sich normalerweise nicht mit Menschen ab. Das war unter ihrer Würde.

Und jetzt stand ihr ein solches Geschöpf leibhaftig gegenüber. Es war atemberaubend. Snape ging dem Zentaurus entgegen.

Die beiden schüttelten sich herzlich die Hände und sie sah, wie Severus dem Zentaurus freundschaftlich auf die Schultern klopfte und ihm etwas gab. Sie unterhielten sich eine Weile in einer kehligen Sprache, die Cassy noch nie gehört hatte.

Sie nutzte die Zeit, um den Zentaurus eingehend zu betrachten. Er war ungefähr so groß wie Severus. Aber im Gegensatz zu ihm war sein menschlicher Oberkörper stämmiger und ausgesprochen muskulös. Seine Haut sah aus wie bronzefarbener Samt. Sein Oberkörper ging fließend über in einen schlanken Pferdekörper von kastanienbrauner Farbe. Das Fell glänzte in der Sonne. Das schmale Gesicht des Zentaurus war majestätisch schön. Er hatte eine hohe Stirn, eine schlanke Nase und einen Mund, den permanent ein Lächeln zu umspielen schien. Die Farbe seiner Augen konnte Cassy selbst aus dieser Entfernung genau bestimmen. Sie waren stahlblau. Lange, blonde, gelockte Haaren fielen ihm über die Schultern auf die Oberarme. Unwillkürlich drängte sich ihr für einen kurzen Moment das Bild von Gilderoy Lockhart auf, das ihr in der Bibliothek zugezwinkert hatte und von dem Severus ihr mit einem abfälligen Gesichtsausdruck erzählt hatte, was für eine Flasche er in Verteidigung gegen die Dunklen Künste gewesen war. Und welchen eigentlich sadistischen Spaß er daran gehabt hatte, ihm in einem Duell mal zu zeigen, wie man wirklich gegen die Dunklen Künste vorgeht. Außerdem hätte er seine Haare immer auf Rollen gedreht, damit sie besonders schön lockig wurde. Von den Farben, die Lockart's Roben hatte, wollte er gar nicht reden. Es war keine einzige schwarze dabei, dafür flieder, mintgrün oder rosa. Severus hatte bei diesen Erzählungen einen richtig angeekelten Gesichtsausdruck bekommen. Nun, sie glaubte nicht, dass der Zentaurus mit Lockenwicklern rumhantieren würde. Mit dem Lächeln, das dieser absurde Gedanke auf ihr Gesicht holte, kehrte sie in die Gegenwart zurück.

In diesem Moment drehte sich Severus um und rief nach ihr. „Cassy, kommen Sie bitte. Ich möchte Ihnen Ronan vorstellen." Seit einiger Zeit nannten sie sich bei ihren Vornamen, wenn sie alleine waren. Er hatte es ihr in einem harmonischen Moment im Gewächshaus angeboten und Cassy hatte sich sehr gefreut.

Sie kam näher und streckte dem Zentaurus die Hand hin. Der nahm sie mit einem festen Griff und schüttelte sie heftig. Er sagte etwas, das Cassy nicht verstehen konnte. Sie blickte Severus an.

„Ah, Moment,"sagte er. Er hielt seinen Zauberstab an Cassy's Hals und murmelte: Lingua.

„Ich freue mich, Sie kennen zu lernen,"hörte Cassy auf einmal den Zentaurus mit seiner tiefen sonoren Stimme sagen.

Sie drehte sich um und sagte: „Die Freude ist ganz meinerseits!"Dabei sah sie den Zentaurus aufmerksam an, ob er sie verstanden hatte. Es war kein Problem, die kehligen Laute der Zentaurensprache zu sprechen, zu verstehen und sogar zu denken. Sie drehte sich noch einmal nach Severus um und schaute ihn begeistert an. Der lächelte ein wenig und zog sich zurück.

Dann wandte sie sich dem Zentaurus zu. Sie unterhielt sich mit ihm. Fragte ihn nach seiner Lebensweise, Familien, Hierarchien, Traditionen und allem, was ihr sonst noch so einfiel. Er gab ihr bereitwillig und ausführlich Auskunft. Seine Art war unterhaltsam. Er schmückte seine Antworten mit kleinen Scherzen aus und erzählte kurze Anekdoten, um Cassy bestimmte Dinge etwas besser zu veranschaulichen. Severus hatte sich zwischenzeitlich ins Gras gelegt, seitlich auf seine Ellbogen gestützt und hörte den beiden zu. Irgendwann begann das Gespräch zu stocken.

„Was möchten Sie noch wissen?"ermunterte Ronan sie.

Cassy bekam einen roten Kopf und murmelte: „Danke! Sie haben mir schon so viel Ihrer Zeit geschenkt."

„Nein, nein. Sie haben doch noch eine Frage. Also raus damit."

Sie holte tief Luft und fragte mit hochrotem Kopf: „Darf ich Sie einmal berühren?"

Der Zentaurus warf den Kopf in den Nacken, trampelte mit seinen Vorderhufen in den weichen Boden und lachte schallend.

„Wenn das alles ist!"Er machte eine einladende Handbewegung.

Cassy ging langsam um den still stehenden Zentaurus herum und strich sachte über sein Fell. Es war glatt, aber drahtig. Es ihr peinlich, dass sie ihn darum gebeten hatte.

Als sie wieder vor ihm stand, nahm Ronan ihre Hand und legte sie auf seinen nackten Oberkörper. Sie wollte sie wegziehen, aber er hielt sie fest im Griff, dabei sah er sie herausfordernd grinsend an. Cassy wäre am liebsten in den Erdboden versunken. Dann führte er ihre Hand einmal von seiner linken zur rechten Schulter und zurück über seine breite Brust und ließ sie los. Es war eine sehr intime Geste, die Cassy noch mehr Röte ins Gesicht getrieben hätte, wenn noch etwas Blut dazu in ihrem Körper übrig gewesen wäre, um in den Kopf zu schießen - es befand sich nämlich bereits alles oben. Der Zentaurus hatte eine überraschend weiche Haut.

„Vielen Dank,"murmelte Cassy und vermied es, Ronan anzuschauen – auch Severus' säuerlicher Gesichtsausdruck war ihr entgangen. Sie wünschte sich im Moment auf die gegenüberliegende Seite des Globus oder besser des Universums.

Ronan allerdings war der Gesichtsausdruck von Severus nicht entgangen. Es gab wohl einen wunden Punkt in Severus' Gefühlen. Er würde den Zaubertränkemeister ein wenig ärgern, hatte er gerade beschlossen, denn Severus hatte ihn auch schon öfter aufgezogen. Daher wandte er sich an Cassy und sagte: „Ich denke, Sie sollten mir das Gleiche entgegenkommender Weise auch erlauben, meinen Sie nicht?"Cassy verstand ihn nicht gleich und sah ihn mit schief gelegtem Kopf und zusammengezogenen Augenbrauen fragend an. Doch sie begriff schnell, was er meinte, als er auf sie zukam und die Hände nach ihr ausstreckte. Hilfesuchend sah sie sich zu Snape um. Dessen Gesicht hatte jetzt einen finsteren Ausdruck angenommen. Er war zwischenzeitlich aufgestanden und er trat einen Schritt auf sie zu.

Sie hatte sich das selbst eingebrockt mit ihrer unstillbaren Neugier. Wie fühlt sich ein Zentaurus an? Was für eine hirnrissige Idee! Sie war doch nicht im Streichelzoo. Der Zentaurus war ein intelligentes Geschöpf. Es war respektlos, was sie getan hatte. Ihr Mund war bei ihrer Bitte wieder einmal schneller als ihr Gehirn gewesen. Augenscheinlich musste sie da durch. Allerdings würde sie dem Zentaurus einen handfesten Kinnhaken verpassen, wenn er sie an einer Stelle anfasste, wo es sich nicht gehörte.

Gerade als Ronan Anstalten machte, mit seinen Händen durch ihre Haare zu fahren, rief Snape scharf: „Ronan! Lass' die Spielchen!"

Aber Ronan dachte gar nicht daran aufzuhören und begann, mit seinen Fingern durch Cassy's Haare zu streichen. Mit zwei schnellen Schritten stand Snape zwischen Cassy und dem Zentaurus und hielt seinen Arm fest. Er schaute Ronan giftig an, dabei zog er Cassy schützend hinter seinen Rücken und drängte sie ein wenig ab. Es hatte ihn spontan ein Gefühl heißer Wut erfasst, wie er es noch nie gespürt hatte, als er sah, dass Ronan Cassy berührte. Er war eifersüchtig, aber das war ihm im Moment nicht bewusst.

„Ich denke, es reicht. Miss Parker kennt deine Art von Humor nicht.", blaffte er Ronan an.

„Was soll das, Severus? Sie ist eine interessante Frau. Hast du sie dir überhaupt schon einmal genau angeschaut?", provozierte Ronan ihn frech grinsend.

Snape gab ihm keine Antwort, blieb zwischen Ronan und Cassy stehen und sah den Zentaurus weiter finster an.

„Komm, Severus. Sag' es mir. Warum willst du es nicht?" Ronan hatte jetzt bemerkt, dass er bei Snape einen Volltreffer gelandet hatte. Mit der ihm angeborenen Charaktereigenschaft, bei seinen Mitmenschen bzw. Mitgeschöpfen wunde Punkte aufzudecken und denjenigen dann durch Sticheleien aus der Reserve zu locken, setzte er nach: „Komm' sag' es mir. Du bist mir eine Antwort schuldig und das weißt du!"

Snape wurde zusehends nervöser. Man konnte regelrecht sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. War er Ronan eine Antwort schuldig? Eigentlich ja. Es war mehr als entgegenkommend, dass der Zentaurus sich hierfür zur Verfügung gestellt hatte. Aber andererseits stocherte Ronan mit seinem widerlichen Grinsen gerade in Snapes Gefühlsleben herum. Da hatte er nichts verloren. Es machte ihn wütend, dass jemand versuchte, ihn hinter seiner Fassade hervorzuziehen. Es machte ihn auch wütend, dass er jetzt zu Handlungen gezwungen wurde, die er nicht kontrollieren und durchdenken konnte. Und es machte ihn vor allen Dingen wütend, dass er wütend war und nicht genau wusste, warum. Die Situation entwickelte sich insgesamt in eine Richtung, die Snape nicht mochte - Ronan drängte ihn in die Enge.

„Weil ich es nicht will,"sagte er daher stur und schaute Ronan weiter giftig an, in der Hoffnung, dass dieser endlich aufgab. Dem war die gute Laune nach wie vor nicht vergangen und er schaute Snape fest in die Augen. Immer noch mit diesem im Augenblick für Snape so ekelhaft wissenden Grinsen. Er wollte gerade dem Impuls folgen, einfach zu gehen. Aber auch das ging nicht. Er konnte nicht immer gehen, wenn es für ihn unangenehm wurde. Er konnte und wollte Cassy nicht hier alleine lassen und Ronan war sein Freund.

Was in Severus' Kopf vor sich ging, konnte Cassy nur ahnen. Beinahe hätte sie sich eingemischt, um den sich anbahnenden Streit zu beenden. Eigentlich war sie der Auslöser gewesen und das war ihr sehr unangenehm. Dann fühlte sie, dass sie sich raushalten musste. Severus focht gerade eine hitzige Schlacht in seinem Inneren durch. Sie konnte ihn nur von der Seite sehen, aber auf dieser Hälfte seines Gesichtes spiegelte sich die komplette Bandbreite an Gefühlen wider, die einen Menschen in einer solchen Situation bewegen konnten. Es würde auf der anderen Hälfte mit großer Wahrscheinlichkeit nicht anders aussehen.

Snape's Denken, seine Beherrschung setzten plötzlich, als Folge seiner völligen Überforderung, für einen Augenblick aus, und seine mühsam aufrecht erhaltene Fassade bröckelte sekundenschnell wie alter Putz. In diesem Augenblick reagierte nur sein Instinkt und er drehte sich zu Cassy um und mit dunkler, heiserer, vor Überwindung gequälter Stimme brach es aus ihm hervor:

„Weil ich nicht will, dass dich ein anderer Mann anfasst."

Jetzt war es endlich raus. Er hatte es getan. Er hatte gesagt, was er sich im Kopf nicht eingestehen wollte und was sein Unterbewusstsein für ihn die gesamte Zeit gesammelt und aufbewahrt hatte und ihm schon so lange versuchte mitzuteilen.

Ronan war für ihn im Augenblick völlig uninteressant. Ihn interessierte nur noch Cassy's Reaktion.

Und die hatte in ihrem Leben noch niemals ein aufrichtigeres und schöneres Liebesgeständnis bekommen.

Er blickte ihr ängstlich in die Augen. Aber sie lächelte ihn vertrauensvoll und überglücklich an und statt einer Antwort hob sie langsam eine Hand und strich mit ihren Fingerspitzen über seine Wange. Er schloss bei der ersten Berührung seine Augen. Mit einer schnellen Bewegung hatte er seine Hände um ihre Hüften gelegt und zog sie fest an sich, um dann seine Arme ganz um sie zu legen. Sie schlang ihre Arme um ihn und streichelte sanft seinen Rücken, während sie ihren Kopf eng an seine Brust schmiegte. Wie lange hatte sie auf diesen Augenblick gehofft! Cassy sog mit jedem Atemzug seinen undefinierbaren Duft, den sie so mochte, tief ein. Sie konnte die Schauer spüren, die ihr Streicheln durch seinen Körper schickte. Seine Muskeln spannten sich unter dem dünnen Stoff und Cassy fühlte ihr Spiel, während er ihren Kopf fest an seine Brust drückte und mit dem Daumen über ihre Wange streichelte. Sie hörte und spürte, wie schnell sein Herz schlug. Severus hatte sein Gesicht in ihrem Haar vergraben und atmete tief ein. Sie roch nach Blumen und Sommer. Er bemühte sich, seine Selbstbeherrschung zurückzubekommen, während er sie zärtlich streichelte. Vertrauen und Geborgenheit waren die ersten Gefühle, die er verspürte, als er sie in den Arm genommen hatte. Sie hüllten ihn ein und durchdrangen ihn. Sie halfen ihm, seine Ruhe wiederzufinden in der Fülle von Eindrücken, die jetzt wieder auf ihn einstürzten. Und er spürte ganz langsam, wie aufregend Cassy war. Wie aufregend die Linien ihres Körpers verliefen, denen er mit seinen Händen mittlerweile immer wieder sanft folgte. Beide versanken in der intensiven Umarmung und den Zärtlichkeiten des anderen. Sie hatten alle Zeit der Welt. Ihre Hände erfuhren behutsam gegenseitig ihre Körper durch den dünnen Stoff ihrer Kleidung. Es war ein unbeschreibliches, sinnliches Erlebnis.

Ronan sah sich die beiden Menschen einen Moment in der innigen Umarmung an und grinste vor sich hin. Dann drehte er sich um und verließ taktvoll und leise die Lichtung in Richtung Verbotenem Wald. Seine Hand schloss sich dankbar um die kleine Phiole, deren Inhalt seinem Weib helfen sollte, in Kürze ihr erstes Kind möglichst schmerzfrei auf die Welt zu bringen.

Nach einer kleinen Ewigkeit löste sich Severus langsam und vorsichtig von ihr, als hätte er Angst, eine schnelle Bewegung könnte sie beide in die Wirklichkeit zurückholen. Er legte ihr zwei Finger unter das Kinn und hob ihren Kopf, damit sie ihn ansah. Und Cassy sah in seine schwarzen, unergründlichen, schimmernden Augen! Sie sah tiefe Liebe und Leidenschaft, die sich - wie befreit von ihrem Gefängnis - klar und greifbar in ihnen spiegelten. Severus' Duft, der Sonnenuntergang, die restliche Wärme des Tages und vor allem dieser unglaubliche Blick schwemmten in Cassy das letzte bisschen Zweifel und Unsicherheit weg. Sie schaute ihn mit großen, tiefblauen Augen an und erwartete angespannt und schnell atmend die erste Berührung seiner Lippen, als sich sein Gesicht langsam dem ihren näherte. Er küsste sie. Zuerst behutsam und abwartend. Sie öffnete ihre Lippen und erwiderte den Kuss zärtlich. Dann wurden seine Küsse fordernder und leidenschaftlicher und sie ließ sich in die Gefühle sinken, die ihren Verstand wie eine Sturmflut wegrissen.

Plötzlich trat Severus kurz einen Schritt von ihr zurück. Er hatte Cassy's Gesicht in seine Hände genommen und streichelte mit zitternden Fingern über ihre Haare. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", sagte er leise mit überwältigter Stimme und einem liebevollen Lächeln. "Dann sag' nichts", flüsterte Cassy glücklich und verschloss ihm vorsichtshalber den Mund mit einem weiteren endlos langen Kuss. Cassy verlor langsam die Kontrolle über sich, nein, eigentlich gab sie sie freiwillig ab. Sie zog Severus vorsichtig mit sich hinunter in das hohe Gras. Ihre Lippen glitten langsam über seinen Hals und sie fing an, sein Hemd zu öffnen und seine nackte Brust zu küssen, wobei sie der Linie der geöffneten Knöpfe mit ihren Lippen folgte und ihn gleichzeitig streichelte. Er seufzte tief auf. Seine Hände auf ihrem Rücken wurden intensiver in ihren Bewegungen, er bog seinen Kopf zurück und streckte ihr verlangend seinen Körper entgegen. Die Berührungen ihrer warmen Lippen entflammten in ihm eine nie dagewesene Leidenschaft und Hitze. Seine Bedenken, seine Ängste vor diesen Berührungen, vor dem körperlichen Zusammensein zerschmolzen zu nichts in den überwältigenden Gefühlen, die über ihn hereinbrachen. Es gab für ihn nur das Hier und Jetzt. Und Cassy war sich sicher, dass er heute ihr Zusammensein nicht wieder abrupt beenden würde. Er hatte seine Schatten besiegt. Sicherlich nicht alle, aber der Anfang war gemacht. Er packte Cassy und drehte sich um. Einen Moment blickte er lächelnd auf sie hinab und fuhr mit den Fingerspitzen die Konturen ihres Gesichts nach, bevor er sie innig küsste. Immer wieder. Er öffnete ganz langsam ihre Bluse und seine Hände begannen zärtlich ihren Oberkörper zu streicheln, während er unverwandt in Cassy's tiefblaue Augen schaute. Seine warmen Hände waren so sanft in ihren Berührungen, dass Cassy tief aufseufzte. Sie fuhr mit ihren Händen über seinen schlanken, sehnigen Körper und als er sich herunterbeugte, um sie wieder zu küssen, fühlte sie seine weiche, warme Haut wie brennend auf der ihren. Beide ließen sich vertrauensvoll aufeinander ein. Sie öffneten ihre Seelen füreinander und ließen sich gegenseitig fallen.

Ein Strudel von unbeschreiblich schönen Gefühlen verschmolz beide und riss sie miteinander fort. Ihre Körper streichelten sich im steigenden Rhythmus gegenseitig. Es gab keine Welt mehr um sie herum. Es gab nur sie beide und sie waren eins.

***

Als Cassy und Severus später auf seinem Umhang, zugedeckt durch ihren Umhang, im Gras lagen, waren beide einfach nur glücklich und sehr zufrieden. Es war längst stockdunkel und die Sterne funkelten am samtschwarzen, klaren Nachthimmel. Der Vollmond erhellte die Umgebung mit seinem bleichen, silbernen Licht und ließ die Konturen des Waldes wie einen Scherenschnitt aussehen. Die noch immer warme Luft war erfüllt von Nachtgeräuschen. Cassy ließ Severus' lange schwarze Haare, die sich über ihren nackten Oberkörper ausgebreitet hatten, durch ihre Finger gleiten. Er hatte seinen Kopf auf ihre Brust gelegt und war eingeschlafen. Sie hörte seinem regelmäßigen Atem zu und wieder senkte sich diese tiefe Ruhe auf sie nieder. Gleichklang. Noch immer eins.

Selbst im Schlaf hielt Severus sie fest, als hätte er Angst, sie wäre nicht mehr da, wenn er die Augen aufmachte. Cassy lächelte. Um nichts in der Welt wollte sie den Augenblick verpassen, in dem er die Augen öffnete und sie ihn zärtlich begrüßen konnte ...

***

Als Severus eine halbe Stunde später erwachte, tat er dies ruhig und ohne die übliche Panik. Er hatte nicht geträumt. Es war wirklich passiert. Er schloss die Augen wieder und überlegte, dass er mindestens für die nächsten sechzig Jahre hier liegen bleiben wollte. Genau so, wie er sich jetzt fühlte. Mit Cassy.

Cassy hatte bemerkt, dass Sev' aufgewacht war, aber sie wartete noch eine Weile, bis sie ihn ansprach.

„Na, Schlafmütze,"sagte eine leise, zärtliche Stimme und eine kleine Hand streichelte seinen nackten Rücken. „Hast du neue Energie getankt?"Er hörte auch den frechen, frivolen Unterton heraus. Dann hob er seinen Kopf, sah Cassy mit zusammengekniffenen Augen an und überlegte kurz, ob er eine entsprechende Antwort geben sollte. Statt dessen rutschte er blitzschnell ein Stück höher, stützte seine Arme links und rechts von ihrem Kopf auf und schaute ihr tief in die Augen. Er streichelte ihr Gesicht und ihre Haare und küsste sie noch einmal lange und leidenschaftlich.

„Wir sollten langsam ins Schloss zurückgehen,"keuchte Cassy als er sie losließ und machte ihm durch einen sanften Biss in seine Unterlippe unmissverständlich klar, dass sie jetzt aufstehen wollte.

„Ich bleibe für immer hier,"murmelte Severus und ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf seinen Umhang zurückfallen.

„Ok,"sagte Cassy lachend und zog ihren Umhang von ihm weg.

Severus schaute an sich herunter und entschied, dass er doch mit ins Schloss gehen würde - angezogen.

***

Als sie im Haus waren, wünschte Cassy ihm eine Gute Nacht. Als sie sich jedoch auf die Zehenspitzen stellte, um ihm noch einen Kuss zu geben, wehrte er sie ab und schaute schnell nach links und rechts.

Cassy war so überwältigt von den Gefühlen, die sie empfand, dass sie jede Vorsicht außer Acht ließ.

„Bitte", sagte er. „Es tut mir Leid. Lass' uns morgen miteinander darüber reden. Ich habe dir noch so viel zu sagen.

Cassy nickte und ließ sich von ihm zu ihrem Appartement bringen.

Dann kuschelte sie sich mit einer warmen Decke noch einen Moment in ihren Sessel und dachte an den vergangenen Tag und vor allen Dingen den vergangenen Abend. Aber es gab nichts mehr nachzudenken und zu analysieren. Sie war einfach nur glücklich und müde. Sie lächelte vor sich hin und schlief wieder mit diesem warmen, geborgenen Gefühl ein. In diesem riesigen Sessel.

***

Auch Severus hatte sich auf sein Bett geworfen und blieb noch eine Weile mit seinem Kopfkissen im Rücken sitzen. Wie weich sich ihr Körper angefühlt hatte. Wie zärtlich sie mit ihm umgegangen war. Wie anschmiegsam sie auf seine im ersten Moment unbeholfenen Aktionen eingegangen war. Wie hingebungsvoll sie war, als er seine Sicherheit zurückgefunden und selbstbewusst die Regie übernommen hatte. Er atmete tief durch und schloss die Augen, dann legte er sich das zweite Kissen, das er noch in seinem Bett hatte, auf den Bauch und vergrub sein Gesicht darin. Er war überglücklich.

***

Am nächsten Morgen saß Severus bereits beim Frühstück. Sie begrüßte ihn freundlich und er antwortete mit einem Blick, der einem auch den schönsten Tag vermiesen würde.

Was sollte das? Ein unangenehmer Verdacht kam ihr. War das gestern vielleicht alles nur eine einmalige Angelegenheit? Sie dachte nach. Nein. Das war es ganz bestimmt nicht. Gott, sie war doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Konnte sie denn jetzt nicht einmal die einfachsten Zeichen lesen?

Es war allerdings schwierig, wenn man gerade vor wenigen Stunden die aufregendste, innigste und zärtlichste Liebesnacht seines Lebens verbracht hatte, noch einigermaßen vernünftig zu denken. Vor allen Dingen, wenn der Mann, mit dem man sie verbracht hatte, keinen halben Meter entfernt saß und so tat, als müsste er sein Frühstück neben einem ansteckend Kranken einnehmen. Und so fiel Cassy in ihrer völligen Verwirrung, die naheliegendste Lösung für Snapes Distanz vorerst nicht ein. In ihrem Kopf sang ein Chor von ungefähr sieben Millionen Sängern und Sängerinnen und dieser Chor sang so laut, dass er andere Gedanken einfach übertönte. Cassy war noch immer so gefangen in den Gefühlen der letzten Nacht, dass sie nicht in der Lage war, einen einzigen logischen Gedanken bis zu Ende zu denken. Severus' abweisendes Verhalten hatte einfach keine ernüchternde Wirkung auf sie.

„Bitte kommen Sie heute Nachmittag in mein Büro, Miss Parker. Ich möchte mit Ihnen die nächste Woche besprechen", sagte er so genervt wie immer und nickte ihr zu. Immerhin. Dann ging er zum Unterricht.

Den ganzen Tag verfolgte ihn ihr verängstigtes Gesicht. Es hatte ihn alle Überwindung gekostet, wieder den alten Snape hervorzukehren. Aber er konnte nicht anders reagieren, als er es getan hatte. Er musste sie beschützen und heute Mittag würde er mit ihr ein paar Regeln vereinbaren müssen. Er war unkonzentriert und angespannt und hatte allen Häusern, einschließlich seinem eigenen bis zum Abend insgesamt hundertfünfzig Punkte abgezogen.

Es war wohl auch der längste Tag, den Cassy je in Hogwarts hatte hinter sich bringen müssen. Die Unterrichtsstunden zogen sich wie Kaugummi. In ihrem Gehirn hatten sich anscheinend einige Kilogramm Watte angesiedelt, die sie vom logischen Denken abhielten. Sie war so unkonzentriert, dass Hermine nach dem Unterricht zu ihr kam und sie fragte: „Bitte, Miss Parker, verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich mache mir Sorgen. Geht es Ihnen nicht gut?"Und nach einem Zögern setzte sie hinzu: „Hat Professor Snape Sie wieder fertig gemacht?"

„Vielen Dank", sagte sie lächelnd zu Hermine. „Aber es geht mir gut. Es ist heute einfach nicht mein Tag und ich denke, ich werde früh schlafen gehen." Dabei musste sie sich zusammenreißen, damit sie nicht loslachte, weil Hermine den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Nur nicht so, wie Hermine vielleicht dachte.

Endlich war Nachmittag. Mit klopfendem Herzen und ihrer Aktentasche machte sie sich auf den Weg in Severus' Büro. Die Watte in Cassy's Kopf hatte so langsam nachgelassen. Sie wurde durch bohrende Angst ersetzt und dieses Gefühl machte ihr das normale Denken auch nicht leichter. Die Tür zu seinem Büro war angelehnt und so trat sie nach kurzem Klopfen und Warten ein.

„Hallo?"rief sie.

„Geh' ruhig schon rüber ins Wohnzimmer", rief Severus aus irgendeiner Ecke seines Büros. Sie konnte ihn nicht sehen. Er suchte offensichtlich etwas, denn es rumorte laut.

Sie war noch nie in seinen Privaträumen gewesen, wurde ihr jetzt bewusst. Entweder waren sie in seinem Büro oder, nachdem er damals bei ihr war, hatte sie ihn öfter zu sich eingeladen. Sie hatte immer den Eindruck, dass er froh, war, wenn er die Zeit, bis er in die Kerker musste, rausschieben konnte.

Es war ein gemütlicher und sehr ordentlicher Raum. Die Einrichtung war ähnlich, wie die in Cassy's Appartement. Auch die Anordnung. Ein großer Kamin. Davor zwei Sessel mit einem kleinen Tisch in der Mitte. Hinter den Sesseln stand eine Anrichte. Die Wände waren mit Regalen bis unter die Decke voll gestopft mit Büchern, mit unterschiedlich farbigen Flüssigkeiten gefüllten Flaschen und verschiedenen Skulpturen. Keine eingelegten Hirne, keine ausgestopften kleinen, abartigen Geschöpfe, nichts irgendwie Ekelhaftes oder Schleimiges. Das hatten die Schüler ein ums andere Mal gemunkelt. Noch nie war jemand von ihnen hier gewesen. Die Zusammenstellung der Farben war geschmackvoll. Neben dem Kamin stand statt eines Regales eine kleine Anrichte. Darüber hing ein großes Portrait von einer schwarzhaarigen Frau. Sie schaute Cassy mit dem gleichen abweisenden Gesichtsausdruck an, der Severus so zu eigen war. Insgesamt hatte sie eine erstaunliche Ähnlichkeit mit ihm. Die schwarzen Augen, die hochstehenden Wangenknochen und die kaum wahrnehmbare Abwärtskrümmung im Nasenrücken. Sie ging auf das Bild zu und betrachtete es eingehend. Die schwarzhaarige Frau stemmte die Hände in die Hüften und schaute Cassy genauso aufmerksam an.

Sie hörte Severus hereinkommen, aber sie drehte sich nicht um, denn noch immer hielt der Blick des Portraits sie fest. Er trat hinter sie und legte seine Hände auf ihre Schultern. Sie lehnte sich an ihn und schloss kurz erleichtert die Augen. All' ihre Sorgen waren unbegründet gewesen.

„Das ist meine Mutter", sagte er leise. „Es ist das einzige Bild, das ich von ihr habe."

Die Frau im Bild hob kurz die Hand und ein Lächeln flackerte für den Bruchteil einer Sekunde über ihr Gesicht. Dann sah sie so streng aus, wie vorher.

„Warum spricht das Bild nicht, wie die anderen im Schloss?"fragte Cassy. „Oh", lachte Severus. „Es ist zu einer Zeit gemacht worden, als unsere Fotografie noch nicht so weit war."Und Cassy dachte darüber nach, wie wohl die Stimme von Severus' Mutter geklungen haben musste.

Er drehte Cassy langsam zu sich um, nahm ihren Kopf in seine Hände, schaute ihr lächelnd in die Augen und küsste sie lange, innig und zärtlich. Cassy dachte, ihre Beine würden sie nicht mehr tragen, wenn er nicht sofort aufhörte. Dann zog er sie wieder in seine Arme und legte seinen Kopf auf ihren.

„Das war gestern das Unbeschreiblichste, was mir je passiert ist", flüsterte er mit geschlossenen Augen. Dabei wiegte er sie ganz leicht hin und her. Sie hörte genau, dass das Erlebte ihn bis in sein Innerstes berührt hatte. Cassy konnte nur nicken. Sie war überglücklich, dass sich alles nicht nur als Ausrutscher herausstellte. Seine Nähe war so beruhigend und sie fühlte sich geborgen in seinen Armen.

„Severus. Du hast gesagt, wie müssen miteinander reden. Was ist los?" fragte sie ihn leise.

Er ließ sie los. „Es geht um unser ... Es ist wegen der Kollegen ... Wegen der Schüler ... Verdammt. Wie soll ich es sagen? ... Ich möchte, dass wir nach außen hin einfach Kollegen bleiben. So gehen wir unangenehmen Fragen aus dem Weg. Es wird nicht für immer so sein. Aber wenigstens für die nächste Zeit. Bitte vertrau' mir." Seine Stimme begann gehetzt zu klingen. Ängstlich. Er brachte es einfach nicht fertig, ihr von seiner Aufgabe zu erzählen. Er wollte die Gefühle nicht zerstören, die er so hart erarbeitet hatte. Sie würde ihn vielleicht sofort wieder verlassen, wenn sie die Wahrheit kennen würde. Eigentlich war sie so ganz anders als Lilly, aber wer weiß, wie sie auf Gefahr reagieren würde?

Cassy, die durch das liebevolle Geständnis von Severus endlich wieder voll umfänglich über ihr Gehirn verfügte, wusste sofort, warum er die Kollegen vorgeschoben hatte. Draco unterrichtete seinen Vater von allem, was in Hogwarts geschah. Und wenn er erfuhr, dass Severus und sie ... Voldemort würde es erfahren und Cassy wäre tot und Severus auch. Einfache Schlussfolgerung. Warum war sie heute morgen nur so schwer von Begriff gewesen? Hatte sie ihren Verstand auf der Wiese beim Verbotenen Wald gelassen? Ein bisschen schon, dachte sie und noch einmal flackerte die Erinnerung an diese unglaublichen Gefühle, die sie letzte Nacht überschwemmt hatten, in ihr auf. Auf diese Lösung hätte sie eigentlich heute morgen selbst kommen können.

„Einverstanden", erwiderte Cassy. „Du weißt, dass ich Dir schon immer vertraue", schloss sie lächelnd. Sie konnte seine Angst spüren und entschied sich, dass sie auf sein vorgeschobenes Argument mit den Kollegen eingehen würde.

Severus wollte ihr gerade noch etwas sagen, als sich sein Gesicht schmerzhaft verzog und er sich an seinen rechten Unterarm griff. Er stand auf.

„Du musst gehen, Cassy."Er wurde hektisch. „Bitte sag' Dumbledore, dass ich heute Abend noch einmal weg musste."Damit schob er sie bestimmt und ohne Duldung von Widerspruch zur Tür hinaus.

Sie stand verwirrt im Flur und schaute auf die verschlossene Tür. In diesem Moment hörte sie Schritte den Gang entlang kommen. Es war Lupin.

„Hallo, Cassy. Auch zu Severus?"Sie schüttelte den Kopf, zeigte stumm auf Severus' Tür und schaute Remus fragend mit offenem Mund an. Der bemerkte endlich ihre Verwirrung. Nachdem sie ihm erzählt hatte, was gerade vorgefallen war, ergriff Lupin ihre Hand und zerrte sie die Treppe hoch.

„Komm mit! Wir müssen sofort zu Dumbledore."

Unterwegs erklärte er ihr, was passiert war. Es war das erste Mal für Cassy, dass sie mitbekam, wie dieses Monster - Voldemort - Severus rief. Es erschreckte sie, dass es für ihn so schmerzhaft war.