Das Einhorn
Als Severus spät in der Nacht vor den Toren des Schlosses apparierte, wartete Remus bereits auf ihn.
Snape sah seltsam entspannt aus. „Wartest du schon lange, Moony?"fragte er Lupin lächelnd mit seinem Spitznamen. Remus schüttelte den Kopf.
„Heute hatten wir nur zu beobachten. Wenn Voldemort wirklich dort zuschlagen will, wo ich war, wird Dumbledore die Möglichkeit haben, viele Leben zu retten, wenn es so weit ist", schloss er mit einem erleichterten Seufzen. Remus lief eine unangenehme Gänsehaut den Rücken hinunter. Es war für Snape ein Glücksgefühl, wenn er zurückkam und niemanden hatte umbringen müssen. Eine bizarre und für ihn nicht nachvollziehbare Vorstellung.
Remus klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Komm, du musst noch etwas schlafen. Der Unterricht beginnt schon in wenigen Stunden."
Severus lief geistesabwesend neben ihm her und murmelte vor sich hin. „Ich muss noch vorsichtiger werden. Voldemort ist misstrauisch. Es sind viele Einsätze schief gegangen in letzter Zeit. Aber die wenigsten davon durch mich. Wir müssen noch einen anderen Maulwurf haben. Das kann für mich hochgefährlich werden. Allerdings lagen die Fehler meist bei der anderen Einheit, die unterwegs war. Ich muss das beobachten, damit nicht mir noch ein Strick daraus gedreht wird ... Lucius würde nämlich gerne auf meinem Grab tanzen."Es schienen ihn viele Eindrücke zu beunruhigen, die Remus zusammenhanglos erschienen. Das letzte Mal, dass sie beide sich ausführlich ausgetauscht hatten, lag auch schon lange Zeit zurück. Im Moment erschien Severus ihm seltsam verwirrt, so, als würde er neben sich stehen. Er würde morgen mit ihm reden. Aber Severus war nicht verwirrt. Sein Instinkt war wach geworden. Irgend etwas stimmte nicht. Er musst herausfinden, wer die Einsätze sabotierte, sonst wäre er als Nummer 2 bald wieder das Ziel von Voldemort.
Im Schloss angekommen, verabschiedete sich Remus von Snape. „Ich habe Cassy versprochen, ihr zu sagen, wenn du gut angekommen bist."Severus zögerte einen Augenblick. „Weiß sie, wo ich war?", fragte er Remus leise. Der schüttelte den Kopf. „Aber du solltest es ihr bald sagen, Sev'. Sie wird es verkraften."Severus nickte. Dann straffte sich seine Haltung und er ging in Richtung Kerker davon.
In seinem Appartement angekommen, klingelte Remus nach Dobby, gab ihm ein kleines Stück Pergament, auf dem nur stand: „Alles in Ordnung"und Cassy fand am nächsten Morgen die erleichternde Nachricht direkt auf dem Nachtisch.
***
In den nächsten Wochen war Severus' Verlangen nach körperlicher Nähe zu vergleichen mit dem Durst der Wüste nach Wasser. Es waren so endlos viele Jahre vergangen, ohne dass jemand seinen Körper berührt, gestreichelt oder gehalten hatte. Er hatte fast vergessen, wie das ist. In seinem Kopf war auf der Lichtung beim Verbotenen Wald der Damm gebrochen, der all die Jahre seine Gefühlswelt nur mit spärlichen Rinnsalen von Emotionen versorgt hatte. Jetzt hatte Severus alle Mühe, die Flut unter Kontrolle zu bringen, die ihn zu ertränken drohte, vor allem, wenn er mit Cassy zusammen war.
Wenn sie zusammen auf der Couch saßen und lasen oder Musik hörten, suchte er immer irgendwie Körperkontakt zu ihr, wenn sie nicht gerade sowieso auf seiner Brust lag und er sie streicheln konnte. Er ließ sich in ihre Wärme sinken und vergaß dabei Raum und Zeit. Alles an ihm gierte nach ihrer Liebe und Nähe. Dabei beobachtete er Cassy jedoch aufmerksam, weil er sie mit seinen Gefühlen nicht ersticken wollte. Moony hatte gesagt, nimm' das Leben an. Er hatte nicht vor, es wieder aus der Hand zu geben.
Es waren diese kleinen Berührungen, die ihm sagten: Du bist nicht allein. Es waren diese kleinen Berührungen, die er am Anfang nicht haben wollte, aus Angst vor den Gefühlen, die sie freisetzen würden. Es waren diese kleinen Berührungen, die er jetzt nicht mehr missen wollte. Bei denen er sich fragte, wie er all die Jahre ohne sie hatte leben können.
Wenn sie sich liebten, war es für Severus, als würde er in eine andere Welt abtauchen. Cassy's sanfte Stimme, ihre weiche Haut, ihre Anschmiegsamkeit, ihre Wärme, aber auch ihre immer wieder überraschenden Ideen und Initiativen machten jede Nacht, die sie gemeinsam verbrachten, zu einem unvergesslichen Erlebnis. Er liebte sie wirklich. Tief. Innig. Verschmelzend. Aufrichtig.
Besiegelnd würde er es ihr auch irgendwann sagen mit den drei kleinen magischen Worten, die es in jeder der beiden Welten gab und die in jeder der beiden Welten den gleichen ganz besonderen Zauber hatten. Aber jetzt noch nicht.
***
Es klopfte. Severus sah kurz von seinem Buch auf und wollte aufstehen. Aber Cassy winkte ab. „Bleib' sitzen. Du musst mit dem Trank für Remus weiterkommen. Ich wimmle denjenigen ab."Dann ging sie zur Tür. Hermine stand davor. Diesmal ohne die beiden Jungs. „Ich muss mit Ihnen reden, Miss Parker", begrüßte sie Cassy mit leiser, eindringlicher Stimme. Cassy trat einen Schritt in den Flur hinaus und schaute, ob doch jemand in der Nähe war. Sicherheitshalber fragte sie noch einmal: „Sind Sie alleine, Miss Granger?"Die Schülerin sah sie ein wenig befremdet an, dann nickte sie. „Es hat mich auch niemand gesehen, als ich hierher geschlichen bin", dann senkte sie schuldbewusst den Kopf und fuhr leise fort „ich weiß nämlich, dass ich nicht mehr in den Gängen unterwegs sein darf, aber es ist wirklich wichtig."Cassy sah Hermine an und sah die Aufrichtigkeit in ihrem Gesicht. Sie mochte das Mädchen sehr. „Kommen Sie rein, Miss Granger. Was kann ich für Sie tun?", lud sie sie schließlich ein.
Sie hatte einen Moment mit sich gehadert, ob sie sie wirklich einlassen sollte, aber Hermine schien etwas zu bedrücken und sie wollte sie nicht im Flur abfertigen. Gerade Hermine war jetzt in einem Alter, wo man besonders aufmerksam und sorgfältig zuhören musste, weil Unsicherheit auf dem Weg zum Erwachsenwerden für die Schüler eines der ausgeprägtesten Gefühle war, das sie ständig begleitete und mit dem sie nur schwer umgehen konnten. Wenn einer ihrer Schüler das Gespräch mit ihr suchte, widmete sie sich ihm immer in einer gemütlichen Umgebung, damit er seine Scheu ablegen konnte. Dafür hatte sie sogar in ihrem Büro noch etwas am Mobiliar ändern lassen. Sie hatte zwar an Dumbledore's Gesicht gesehen, dass er nicht darüber begeistert war, aber er hatte sie dann doch unterstützt, nachdem sie ihm ihre Gründe einleuchtend schildern konnte. Ein Bücherregal wurde entfernt, dafür hatte sie eine gemütliche Sitzecke mit Kissen und einem kleinen Tisch bekommen. Eine solche Atmosphäre machte es ihren Schülern leichter, ihr mitzuteilen, was sie bedrückte oder die Schüler nahmen Anregungen und Kritik von Cassy besser auf. Sie wusste von ihren Kollegen, dass diese ihre Idee für völlig versponnen und verweichlichend hielten. Gespräche führte man seit Jahrhunderten in Hogwarts immer streng am Schreibtisch, wo es überhaupt keine Möglichkeit für die Kinder oder Jugendlichen gab, wirklich frei zu erklären, was sie dachten oder wollten. Der Weg von der Tür zum Tisch war außerdem meist so weit angelegt, dass man unwillkürlich mutlos in die Knie sank, bis man am Schreibtisch angekommen war und sich sein Anliegen unterwegs mindestens hundert Mal anders überlegen konnte. Jetzt allerdings war Cassy's Büro schon abgeschlossen und kalt und sie entschloss sich, in Hermines Fall ihrem Instinkt zu vertrauen und sie einzulassen. Sie konnte Severus kein Handzeichen mehr machen, dass er sich verkrümeln sollte. Sie konnte lediglich kurzen Blickkontakt mit ihm aufnehmen und er zuckte die Schultern und gab ihr zu verstehen, dass sie Hermine reinlassen solle, da er mitbekommen hatte, wer vor der Tür stand.
Hermine trat ein und blieb erstaunt stehen. Professor Snape saß in einem der Sessel. Was Hermine aber wirklich aus der Fassung brachte war, wie er dort saß. Er saß quer in dem riesigen Sessel und hatte die Beine auf der Sitzfläche angezogen. Auf seinen Knien lag ein großes Buch in dem er aufmerksam las und sich Notizen machte. Sein Umhang lag achtlos hingeworfen auf einem Stuhl am Fenster. Sein schwarzes Hemd war bis zur Hälfte aufgeknöpft und seine Schuhe lagen unordentlich übereinander vor dem Sessel. Auf dem Tisch zwischen den beiden Sesseln stand eine Flasche Rotwein mit zwei halb gefüllten Gläsern. Er arbeitete sehr konzentriert und strich sich hin und wieder eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ich komme ungelegen?", stellte Hermine schüchtern fest. Cassy schüttelte den Kopf. „Allerdings, Miss Granger, habe ich Sie nur eingelassen, weil ich weiß, dass Sie diskret und vertrauenswürdig sind."Sie schaute Hermine aufmerksam an. Das Mädchen nickte und errötete. Sie hatte verstanden. Kein Wort - auch nicht zu Ron und Harry.
Severus schaute kurz aus seinem Buch auf. „Hallo Hermine!", sagte er lächelnd und hob grüßend die Hand mit dem Federkiel. Das war für Hermine zuviel. „Das ist doch nicht Professor Snape", flüsterte sie Cassy zu. „Wer steckt hinter dieser Verwandlung?"Cassy lachte. Sie überlegte kurz, ob sie nicht einfach Hermines Idee aufgreifen und die Schülerin belügen sollte, aber sie brachte es nicht fertig. Außerdem: Wer sollte für die Verwandlung herhalten und warum saß er dann in Cassys Appartement? Sie hätte immer noch sagen können, dass beide etwas für den Unterricht vorbereiten würden. Aber ohne Schuhe? Mit Rotwein und vor allen Dingen ohne Robe und mit halb aufgeknöpftem Hemd? Wie man es drehte und wendete. Cassy weihte Hermine unterbewusst willentlich in ihr Geheimnis ein. Sie hatte kein schlechtes Gewissen dabei, weil sie sich zu dem Mädchen von Anfang an hingezogen fühlte. Hermine war in ihrer Entwicklung ihrem Alter um Längen voraus. Das merkte sie auch immer im Unterricht und irgendwie kam in diesem Moment in Cassy das Gefühl hoch, wie sehr sie Ellen vermisste. Sie sehnte sich nach einer Freundin. Denn im Grunde genommen war sie auf Hogwarts immer noch alleine. Remus gab sich zwar alle Mühe, ihr ein Freund zu sein, aber das war einfach nicht das Gleiche. Ob allerdings dafür eine Schülerin geeignet war, hatte Cassy sich lange gefragt. Ausschlaggebend war letzten Endes, dass Hermine nicht an ihrem Alter gemessen werden durfte. Und Freundschaft nicht nach Alter fragte. Genauso wenig wie Liebe.
„Doch. Er ist es wirklich. Kommen Sie. Setzen Sie sich. Also, was kann ich für Sie tun?"Damit führte sie Hermine an den kleinen Esstisch am Fenster und bot ihr einen Stuhl an. Dann nahm sie Severus' Umhang, warf ihn in ihren leeren Sessel und setzte sich auf den anderen Stuhl. Hermine war so überrascht, eigentlich eher schockiert, über Professor Snapes Aufzug, dass sie sich nicht einmal fragte, was er eigentlich hier tat.
Sie war sich nicht sicher, ob sie mit ihrem Anliegen nicht lieber wieder gehen sollte, zumal es nicht ganz legal war, was sie Cassy fragen wollte. Cassy sah ihren Blick auf Severus und sagte: „Ignorieren Sie ihn einfach. Er ist nicht da." In dieser Aussage wurde Hermine instinktiv die Vertraulichkeit zwischen den beiden bewusst, da Severus seelenruhig in seinem Stuhl sitzen blieb und weder sofort vor Wut wie eine Rakete durch die Decke schoss, noch eine bissige, verletzende Bemerkung von sich gab, nicht mal einen tödlichen Blick. Er reagierte überhaupt nicht. Und er musste es gehört haben.
In höchstem Maße verunsichert wegen der seltsamen Situation und mit einem misstrauischen Blick auf Professor Snape begann sie: „Hagrid hat uns erzählt, er hätte ein verletztes Einhorn hinter seiner Hütte. Und da Sie mir mal gesagt hatten, dass Sie gerne eines sehen würden, dachte ich, ob Sie nicht mit Ron, Harry und mir mitkommen wollen und es anschauen?"Damit warf sie wieder einen verstohlenen Blick auf Severus. Aber der war nach wie vor in sein Buch vertieft.
Ein Einhorn! Cassy's größter Traum, was die magischen Geschöpfe anging, würde in Erfüllung gehen. Hermine hatte sie vor einiger Zeit einmal gefragt, welches Fabelwesen sie wirklich gerne einmal sehen würde. Ein Einhorn, war Cassy's spontane Antwort gewesen und Hermine hatte verträumt gelächelt und gesagt: „Ich auch." Cassy sah Hermine an und sagte: „Ja! Ich komme sehr gerne mit. Wann gehen wir los?"
„In einer Stunde treffen wir uns vor der Tür."Hermine schaute noch einmal auf Professor Snape. Der sagte in diesem Moment, ohne von seinem Buch aufzusehen: „Ich komme auch mit, wenn es recht ist."
Hermine blickte bestürzt auf. Was würden Ron und Harry sagen, wenn sie mit Snape im Schlepptau vor der Schule stand. Die würden das überhaupt nicht gut finden.
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Miss Granger", sagte Severus, der Hermines Gesichtsausdruck gesehen hatte. Er legte aufreizend langsam sein Buch weg und nahm den überheblichen Gesichtsausdruck und Ton an, den er immer im Unterricht pflegte. „Ich werde Sie heute Abend nicht bei dem Einhorn sehen und Sie haben mich hier nicht gesehen. Ist das ein Deal?" Dabei hatte er eine so ölige Stimme, dass Cassy ihn spontan hätte heftigst ohrfeigen können. Er zog arrogant eine Augenbraue hoch und sah Hermine mit einem kalten Blick an, der ihr gar keine andere Wahl ließ, als eingeschüchtert zu nicken.
Allerdings sah sie dabei fast erleichtert aus, weil der alte Snape offensichtlich noch existierte. Sie ging schnell zur Tür und machte sich auf den Weg in ihren Turm, um die Jungs zu holen. Was sie gesehen hatte, war für sie so ungeheuerlich, dass sie es ihnen sowieso nicht erzählt hätte. Sie hätten es ihr nämlich nicht geglaubt ... Als Hermine die Tür geschlossen hatte, sahen Cassy und Sev' sich an und fingen an zu lachen. „Severus, das war gemein. Gehst du nachher wirklich mit?"
„Ja. Auch ich habe noch nie ein Einhorn aus der Nähe gesehen. Es müssen wundervolle Tiere sein, wenn Hagrids Erzählungen stimmen. Allerdings wirst du mit dem Kroppzeug vorgehen und ich komme ein paar Minuten später nach. Und jetzt gehe ich in mein Büro und schaue nach, ob ich etwas finde, was Hagrid bei der Behandlung des Einhorns hilft."Er knöpfte sein Hemd zu, zog seine Schuhe an, nahm seinen Umhang und das Buch unter den Arm und sah wieder aus wie – ja – wie Professor Snape eben auf dem Weg zum Unterricht.
Bevor er die Tür öffnete, drehte er sich noch einmal um und sagte zu Cassy mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem fragenden Gesicht: „Was heißt eigentlich ‚ignorieren Sie ihn'?"Cassy lachte und scheuchte ihn mit einer Handbewegung aus dem Raum. „Denk' einfach mal drüber nach!"
***
Fast zeitgleich kam Cassy mit den Schülern vor dem Schloss an. Die drei grüßten schon von weitem und waren genauso aufgeregt wie sie. An Hagrids Hütte angekommen, ging die Diskussion los, wer zuerst in die Hütte gehen sollte. Nicht, weil jeder der Erste sein wollte, sondern weil der Erste auch automatisch derjenige war, der Fang abbekam.
Mit einem berechnenden Grinsen hatte Ron beschlossen, dass Cassy zuerst gehen sollte. Heute wollte er die dreieinhalb Tonnen Hund nicht wieder auf seinen Beinen liegen haben. Von dem literweisen Gesabber direkt in seine Haare und seinen Kragen ganz zu schweigen. Uuääh, dachte Ron und schüttelte sich. Harry und Hermine waren sehr schnell von Ron's Idee zu überzeugen und unterstützten ihn bei seinem Vorhaben tatkräftig und so schoben sie Cassy vor sich her, als sie zu Hagrids Hütte kamen. Cassy klopfte an die Tür und wühlte etwas aus ihrem Umhang, das sie in der verborgenen Hand hielt. Auch sie hatte sofort an Fang gedacht und sich von Dobby etwas für den Hund aus der Küche bringen lassen. In der Hütte schlug Fang wie toll an und sprang krachend von innen gegen die Tür. Die vier gingen sicherheitshalber einen Schritt zurück. Sie hörten Hagrids ärgerliche Stimme und konnten an den Geräuschen hinter der Tür hören, dass er wohl mit dem Hund um die Vorherrschaft an der Türklinke rangelte. Dann öffnete Hagrid. Dass er zerzaust aussah war eigentlich nichts Neues. Aber man konnte ihm tatsächlich noch die Spuren des Kampfes mit Fang ansehen. Er hielt den Hund im Genick fest und bat die vier herein.
Fang wedelte so heftig mit dem Schwanz, dass sein ganzes Hinterteil hin- und herschwenkte. Er hatte einen verführerischen Duft aufgenommen und der kam direkt von Cassy. Der Hund ignorierte entgegen seinem sonstigen Verhalten erst einmal Ron, Harry und Hermine und konzentrierte sich voll auf Cassy. Sie ließ die Schüler vorbei und blieb direkt an der Tür stehen. Dort stellte sie sich in Position und sah Hagrid an. „Lassen Sie ihn ruhig los", forderte sie den Wildhüter auf. Hagrid schaute sie zweifelnd an und fragte: „Sicher?"Cassy nickte. Hoffentlich ging ihre Strategie auf, sonst würde sie in wenigen Sekunden auf dem Rücken liegen, mit einer Sabbermaschine in der Größe und der Gewichtsklasse eines Kalbes auf der Brust. Die drei Schüler hatten sich in ihre Ecke verdrückt, wo sie immer saßen, wenn sie Hagrid besuchten und schauten dem Schauspiel zu. Dann ließ Hagrid den Hund los. Mit einem Satz wollte er sich auf Cassy stürzen. Sie blieb stehen, wie ein Fels in der Brandung und sagte scharf: „Sitz, Fang!"Der Hund bremste quasi im Flug ab und kam vor ihr schlitternd zum Stehen. Er hatte den Befehl natürlich nicht verstanden, aber Cassy's Stimme ließ keinen Zweifel zu, dass sie etwas von ihm wollte und sie hatte irgendwo etwas zu fressen. Wenn er sich jetzt nicht benehmen würde, dann bekäme er es vielleicht nicht, denn er ging fest davon aus, dass es für ihn war. Also setzte er sich lieber wie ein Musterhund auf einer Ausstellung in Positur und rührte sich nicht. Er schaute sie mit schief gelegtem Kopf und treuen Augen an. Langsam drehte Cassy ihre Hand nach vorne und hielt ihm die kleine Kalbfleischpastete hin. Mit der anderen hatte sie den Zeigefinger erhoben, um ihm zu zeigen, dass er sitzen bleiben sollte. Fang kannte auch die Muggel-Hunde-Erziehungs-Zeichensprache nicht. Er gierte ausschließlich auf die Pastete. Und es war ihm eigentlich völlig schnuppe, was Cassy wollte. Er hatte jetzt lange genug gewartet und diesen Unsinn mitgemacht. Mit einem schnellen Schnapp hatte er nicht nur die Pastete in der Schnauze, sondern auch Cassy's gesamte Hand. Die war völlig überrascht und schaute auf ihren Arm, der bis über die Armknöchel in Fang's Maul verschwunden war. Fang hatte die kleine Pastete mit seiner überdimensionalen Zunge einfach aus Cassy's Hand geschabt, ohne Cassy irgendwie zu verletzen und hatte das kleine Gebäck in einem Stück heruntergeschluckt. Eigentlich hatte er fast nichts von dem gemerkt, was gerade durch seinen Hals gefallen war, aber es hatte wirklich gut gerochen. Sie zog ihre Hand aus der Hundeschnauze und betrachtete den Sabber und die restlichen aufgeweichten Pastetenkrümel darauf mit einem tief angeekelten Gesicht. Als die anderen Cassy's Gesichtsausdruck sahen, fingen sie alle laut an zu lachen und Hagrid zeigte ihr grinsend, wo sie die Hände waschen konnte. Fang allerdings blieb brav zu Cassy's Füßen sitzen. Man wusste ja nie, ob es nicht doch noch etwas abzustauben gab.
„Woher wussten Sie das?", fragte Ron erstaunt und in seinem Hinterkopf hatte sich gerade der Gedanke gefestigt, dass er Hagrid's Hütte nur noch mit Fresszeug bewaffnet betreten würde. Cassy musste lachen. „Psychologie. Funktioniert bei Schülern übrigens auch. Zwar nicht mit Pasteten, aber mit Punkten."In diesem Moment klopfte es. Fang hob den Kopf und knurrte. Cassy wusste, dass Severus kam, als sie Fang's drohendes Knurren hörte.
***
„Guten Abend, Professor Snape", hörten sie Hagrid sagen. Fang war aufgestanden und sein Rückenfell sträubte sich. Wieder hatte er die Lefzen hochgezogen und ließ sein Furcht erregendes Gebiss sehen. „Leg dich hin", befahl Cassy dem Hund mit leiser Stimme und ihre Hände griffen erneut in den Umhang. Als Fang diese Geste sah, ließ er sich wieder vorwarnungslos auf ihre Füße fallen, wobei Cassy schmerzhaft das Gesicht verzog. Severus allerdings war auf das Höchste erstaunt, dass er sich einmal nicht mit dem dämlichen Köter von Hagrid herumschlagen musste. Er mochte den Hund nicht und das beruhte auf Gegenseitigkeit.
„Ich habe gehört, sie hätten ein verletztes Tier und wollte Ihnen bei der Behandlung helfen, Hagrid."
„Das muss Gedankenübertragung sein, Professor. Ich hatte nämlich vorhin überlegt, dass ich sie ganz gut dabei brauchen kann. Ich bin echt froh, dass sie da sind. Wir warten jetzt nur noch auf Poppy."In seiner Sorge um das Einhorn fragte Hagrid sich nur kurz, woher Snape von dem Tier wusste, aber da Poppy und Snape sich öfter sahen, nahm er an, dass sie ihn informiert hatte.
„Poppy? Ist das Tier so schwer verletzt?"Mit diesen Worten von Severus waren die beiden in den Raum eingetreten und Cassy sah, wie betrübt Hagrid nickte. Er zog ein tischtuchgroßes Taschentuch aus seiner Hose und schnäuzte sich, dass man den Eindruck haben konnte, in der kleinen Hütte wäre ein Orkan ausgebrochen. Severus hatte eine Ledertasche umhängen, in der Glas klimperte und ging dem schnäuzenden Hagrid sicherheitshalber ein wenig aus der Schusslinie. Dann blieb sein Blick auf Cassy hängen. Seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, als hätte er gerade ein Nest mit besonders widerlichem und hartnäckigem Ungeziefer in Hagrid's Hütte entdeckt.
„Aaah, Miss Parker. Überall dabei, wo es was zu sehen gibt, nicht wahr?" Snapes Ton war schmierig und seine kalten Augen blieben herausfordernd auf ihr ruhen. Hermine fragte sich einen Moment verwirrt, ob das vorhin in Cassy's Appartement nicht doch jemand anderer als Professor Snape war.
„Aaah, Professor Snape. Immer bemüht, dass Ihnen ja nichts entgeht, was auf dem Schlossgelände so passiert, nicht wahr?", gab Cassy zuckersüß lächelnd zurück. Die drei Schüler unterdrückten nur mit Mühe ein Kichern und Severus sah sie mit einem solch' giftigen Blick an, dass Cassy unwillkürlich unwohl wurde. Er beherrschte diese Schauspielkunst meisterhaft.
„Und was habt ihr um diese Uhrzeit hier noch verloren?"raunzte er die drei Schüler an. Die zuckten zusammen und wollten gerade Antwort geben, als Hagrid sich einmischte. „Die drei sin' auf meine Bitte hier. Iss'en Sonderkurs für magische Geschöpfe."Severus konnte nichts mehr sagen und stand mal wieder auf verlorenem Posten. „Gehen wir endlich?", fragte er Hagrid leicht ungeduldig und Fang hob bei seinem unfreundlichen Ton knurrend den Kopf. Da klopfte es wieder und Madam Pomfrey war endlich da.
***
Die Gruppe machte sich auf den Weg. Bevor sie jedoch gehen konnten, hatte Fang überlegt, dass die ganze Aktion auf gar keinen Fall ohne ihn stattfinden würde und stand startbereit an der Tür. Hagrid nahm ihn im Genick und bedeutete den anderen, schon rauszugehen. Dann brach erneut ein unglaublicher Ringkampf zwischen ihm und dem Hund aus, aber zum Schluss war Hagrid vor der Tür und Fang drinnen. Der Hund heulte wie ein Wolf über die Ungerechtigkeit, dass er nicht mitdurfte und sprang noch einmal mit seinem gesamten Gewicht von innen so fest gegen die Tür, dass sie wackelte. Dann hörten sie etwas zu Bruch gehen. „Dieser verdammte Hund", knurrte Hagrid sauer. „Er zerlegt mir garantiert wieder die Einrichtung, weil es nicht nach seinem Kopf geht."Dann seufzte er tief und ging mit der Gruppe um die Hütte.
***
Hagrid hatte einen Holzverschlag gezimmert, in dem das verletzte Einhorn lag. Er und Severus gingen zuerst hinein. Sie hatten die Schüler, Poppy und Cassy gebeten, vor der Tür zu warten, bis das Einhorn beruhigt und behandelt worden war. Diese sehr scheuen, stolzen Geschöpfe ließen sich normalerweise nur von Jungfrauen anfassen und bändigen.
Als Hagrid den Verschlag betrat, hob das Einhorn kurz den Kopf, aber es blieb ruhig liegen. Erst als Severus eintrat, wurde es unruhig. Er kniete sich neben das Tier und sprach beruhigend auf es ein. Das Einhorn versuchte ihn zu attackieren, aber es war zu schwach, als dass es ihn verletzen konnte. Seinem scharfen, spitzen Horn ging Severus jedoch trotzdem sorgfältig aus dem Weg. Dann sah er die Verletzungen. Es waren viele kleine Schnitt- und Schürfwunden am Bauch, die Hagrid alle schon fachkundig versorgt hatte, allerdings war der mit einem Stock fixierte Vorderlauf des Einhorns in Tücher gewickelt, die mit einer silberfarbenen Flüssigkeit durchtränkt waren. Mit Einhornblut.
„Es muss fürchterlich gestürzt sein. Sein Bein ist mehrfach gebrochen und ich habe die Blutung zwar stoppen können, aber sie bricht in regelmäßigen Abständen wieder auf. Ich dachte eigentlich, ich könnte es alleine wieder fit bekommen, aber mit den Blutungen komme ich nicht zurecht, dazu fehlt mir die Medizin."Hagrid hatte sich schwer neben Severus auf die Knie fallen lassen und Severus hätte es nicht gewundert, wenn die Wände des Verschlages kurz gebebt hätten. Er sah den Zaubertränkemeister abwartend an.
„Ich habe eine blutstillende Tinktur mitgebracht. Die können Sie übrigens nachher behalten. Schauen Sie Poppy zu, wie sie angewendet wird. Es ist ganz einfach. Es kann auch bei Menschen angewandt werden", erklärte Severus und öffnete seine Tasche. Einige der Dinge würde Poppy auch dabei haben, aber er hatte einen besonderen Beruhigungstrank dabei, der auch größere Geschöpfe für eine längere Zeit ruhigstellen konnte. Er stellte mehrere kleine Flaschen auf den Boden, und fischte den schwarzen Trank dazwischen heraus. „Halten Sie es ruhig. Ich werde ihm zuerst den Beruhigungstrank einflößen."Hagrid versuchte mit seinen großen Pranken behutsam den Kopf des Tieres zu halten und ihm das Maul zu öffnen, aber das Einhorn wehrte sich verbissen. Man sah ihm an, dass es alle Kräfte mobilisierte, um sich gegen die unerwünschte Berührung zu wehren. Und der gutmütige Hagrid brachte es einfach nicht fertig, das Einhorn richtig fest zu halten. Er hatte Angst, dass er seine Kraft nicht kontrollieren konnte und es verletzen würde. Nach einer Weile sagte Hagrid: „So hat es keinen Zweck."Er seufzte: „Am einfachsten wäre es, wenn wir eine Jungfrau hier hätten. Die könnte mit dem Tier machen, was sie wollte." Severus überlegte nur sehr kurz, stand auf und ging vor die Tür. Die kleine Gruppe sah ihn erwartungsvoll an, aber er ging direkt auf Hermine zu. „Ich brauche Ihre Hilfe, Miss Granger", sagte er, nahm sie bei der Hand und schleppte sie mit in den Verschlag. Die Anderen ignorierte er einfach.
„Was war denn das?", fragte Poppy Cassy. Die zuckte mit den Schultern und meinte: „Wir werden es erfahren, Madam Pomfrey. Sie kennen Professor Snape doch besser als ich."
Hagrid sah erstaunt auf Snape, der mit Hermine im Schlepp wieder in den Verschlag trat. „Ich denke, Miss Granger wird uns versuchen zu helfen", sagte er bestimmt und hoffte inständig, dass er sich in Hermine nicht täuschte. Sie war stehengeblieben und sah das Tier hingerissen an. „Es ist wunderschön", flüsterte sie und hatte ihre Hände auf ihre Brust gelegt.
„Aber es ist krank, Miss Granger und braucht unsere Hilfe", holte Snape's schneidende Stimme sie in die Wirklichkeit zurück. „Sie können es vielleicht dazu bewegen, dass es das Maul öffnet und den Beruhigungstrank schluckt."
„Warum ich, Professor?"Snape schluckte. Wie sollte er jetzt reagieren. Es war ihm peinlich, aber als er gerade zu einer kilometerweit an der Wahrheit vorbeigehenden Antwort ansetzen wollte, holte Hagrid aus der peinlichen Situation heraus, was nur herauszuholen war. Er hatte voll Mitleid das Einhorn angeschaut und sagte jetzt aus tiefstem Herzen überzeugt und ohne nachzudenken: „Weißt du, Hermine, weil nur eine Jungfrau es anfassen und beruhigen kann. Also tu' dein Bestes."Dabei blickte er weiter mit einem Herz zereißenden Ausdruck auf das verletzte Tier.
Hermine sah von Snape zu Hagrid und wieder zu Snape. Sie war tief rot geworden, aber nur für einen kurzen Moment. Dann sah sie Snape mit einem kessen Grinsen an und meinte mit dem gleichen öligen Ton in der Stimme, den Severus normalerweise gepachtet hatte: „Ihr Vertrauen ehrt mich, Professor Snape." Jetzt war es Severus, der eine Gesichtsfarbe hatte, gegen die eine überreife Tomate blass und farblos wirkte. Er konnte jetzt nicht aufbrausen und wütend werden. Erstens wäre das Einhorn wahrscheinlich vor Schreck durch die geschlosse Wand des Verschlages geflohen. Zweitens hatte Hermine ihn bei Cassy gesehen und Severus war nicht so vertrauensseelig wie Cassy. Daher wollte er lieber auf Nummer Sicher gehen und schluckte seine bissige Bemerkung herunter, bevor er daran erstickte. Stattdessen sah er tatsächlich verlegen auf seine Schuhe und Hermine machte keinen Hehl aus ihrer Schadenfreude, dass Professor Severus Snape jetzt einmal am eigenen Leib eine Situation erlebte, in die er sonst seine Schüler mit Freude schickte. Seine Verlegenheit war ihr eine Genugtuung für die ganzen Gemeinheiten, die sie in den letzten fünf Jahren über sich ergehen lassen hatte, ohne sich wehren oder rechtfertigen zu können. Und außerdem hätte sie nicht im Entferntesten daran gedacht, dass der fahlhäutige Professor Snape zu einem solchen Farbenspiel in seinem Gesicht fähig wäre ... Sie kniete sich neben das Einhorn und begann seinen Kopf zu streicheln. Es hielt ganz ruhig und sah Hermine an, dabei schnaubte es leise. Severus hatte sich wieder einigermaßen im Griff – den schadenfrohen Blick von dieser Göre würde er so schnell nicht vergessen.
„Das Einhorn muss diesen Trank schlucken. Wenigstens ein paar Tropfen. Aber geben sie ihm so viel, wie Ihnen möglich ist", sagte er sanft zu Hermine und reichte ihr die Phiole. Sie schaute ihn noch einmal grinsend an, dann hob sie den Kopf des Einhorns und legte ihn auf ihren Schoß, dabei sprach sie ständig beruhigend auf das Tier ein. Sie zog dem Einhorn an der Seite die Oberlippe hoch und begann, die schwarze Flüssigkeit in sein Maul zu tropfen. Als einiges zwischen seine Zähne gesickert war, leckte das Einhorn mit seiner großen Zunge herum und schluckte die Tropfen. Diese Prozedur wiederholte Hermine noch dreimal. Dann nahm Snape ihr den Trank weg und sagte, dass es genug sei. Die Augen des Fabelwesens wurden langsam trübe und fielen zu. Hermine war völlig hingerissen von dem wunderschönen Tier und streichelte es auch jetzt noch beruhigend weiter, wo es bereits schlief. Jetzt konnte Poppy mit ihrer Arbeit beginnen. Hagrid war glücklich, dass Hermine das alles so gut hinbekommen hatte.
„Ich hatte mich noch nie in dir getäuscht, Hermine", polterte er jetzt und war sich der Peinlichkeit immer noch nicht bewusst, die er in den Raum zurückholte. Hermine nickte nur und starrte angestrengt auf den schönen Kopf des Einhorns. Während Severus auffallend schnell zur Tür ging und Poppy reinholte. Cassy und die beiden Jungs mussten sich noch ein bisschen gedulden.
Nach einer Stunde kam Poppy heraus und holte auch die drei Wartenden herein. Als Cassy das Einhorn sah, war sie überwältigt von seiner Schönheit. Es war so rein weiß und silbern, dass man denken konnte, die eigenen Augen hätten die Fähigkeit, Farbe zu sehen verloren. Es lag eine weiß-blaue Korona um den Körper des Tieres, wie der Kranz, der an sehr kalten Wintertagen um den Vollmond lag. Es war überirdisch schön. „Es sieht so unschuldig aus", sagte Cassy leise, Hermine grinste Snape noch einmal spöttisch an und sagte: „Ja, nicht wahr? Und es kann auch nur von Jungfrauen beruhigt werden." Snape warf ihr einen mörderischen Blick zu, aber seit dem Moment, wo er einen roten Kopf bekommen hatte wegen ihr, konnte sie ihn nicht mehr so ernst nehmen. Cassy sah das Blickspiel der beiden nicht, weil sie das Einhorn inständig betrachtete. Auch Harry und Ron waren tief beeindruckt. Alle berührten das schlafende Tier mit äußerstem Respekt. Cassy war in der Zwischenzeit zu Hermine gegangen, die immer noch auf der Erde kniete mit dem Kopf des Tieres auf ihrem Schoß und ging neben ihr in die Knie.
Das Einhorn wurde langsam unruhig, zuckte mit den Läufen und dem Kopf und schnaubte. Der Trank begann nachzulassen und es öffnete die Augen. Hagrid nahm Harry und Ron zur Seite und bat die beiden, schon einmal in die Schule zurückzukehren, da für das Tier jetzt zu viele Leute hier waren. Auch Poppy verabschiedete sich. Sie wollte die Jungs mit ins Schloss nehmen. Die Drei verließen mit Hagrid den Verschlag. Der wollte nachschauen, was Fang von seiner Einrichtung übrig gelassen hatte. Hermine sollte zur Beruhigung des Einhorns noch einen Augenblick bleiben.
Das Einhorn bewegte seinen Kopf auf einmal ruckartig und bevor Cassy reagieren konnte, hatte das scharfe Horn ihren Oberschenkel durch die Robe und die Baumwollhose eine Handbreit aufgeschlitzt. Hermine drückte geistesgegenwärtig ihre Hand auf die klaffende Wunde. Das Horn hatte wohl eine Arterie getroffen, anders war die Menge von Blut nicht zu erklären, die jetzt zwischen Hermines Fingern hervorquoll. Severus war kreidebleich geworden und sofort aufgestanden. Cassy blickte im ersten Moment völlig teilnahmslos auf die Wunde, als würde das Bein gar nicht ihr gehören. Dann wurde sie blass. Hermine schob sie mit sanftem Nachdruck vom Einhorn weg, das jetzt wieder völlig ruhig da lag und legte Cassy hin. Das war innerhalb weniger Sekunden geschehen und Cassy bewunderte das Mädchen insgeheim wegen ihrer Geistesgegenwart.
„Miss Parker, bitte bewegen Sie sich nicht und Sie, Hermine", in seiner Aufregung vergaß er das arrogante ‚Miss Granger' - „pressen weiter die Hand auf die Wunde", sagte Snape mit beruhigender, dunkler Stimme. Dann verließ er sofort den Verschlag, um Poppy zu holen. Sie konnte noch nicht weit sein.
„Halten Sie still, Miss Parker", wiederholte Hermine noch einmal Snape's Worte und nahm eine Hand von Cassy in ihre, um sie zu trösten. „Professor Snape wird sofort mit Hilfe da sein."Dabei drückte sie mit der anderen Hand mit aller Kraft die Wunde zusammen. Cassy hatte nur einen sehr kurzen Schockmoment und wollte Hermine diese Arbeit abnehmen, aber das Mädchen schüttelte den Kopf, drückte sie sanft zurück auf das Stroh und sagte: „Lassen Sie mich. Ich habe die Sache im Griff. Wie fühlen Sie sich?" Cassy lächelte. Hermine war so ruhig und überlegen. „Es geht mir gut."Wie alt war sie? Fünfzehn? Aber nur nach Jahren - nicht nach Reife. Nach einer Weile sagte Cassy: „Ich finde es bewundernswert, wie Sie die Nerven in einer solchen Situation behalten." Hermine lachte und antwortete: „Meine Eltern sind beide Ärzte - Zahnärzte. Da bekommt man doch Einiges mit. Vor allem, wie man Patienten ruhig hält." Cassy schmunzelte, dann begann die Wunde zu brennen und ziehen und sie verzog schmerzlich das Gesicht. „Ich frage mich nur, warum ich nicht einmal etwas anschauen kann, ohne, dass mir irgend etwas Unangenehmes dabei zustößt?" Hermine sah sie fragend an. Sie konnte nicht wissen, dass einige der Ausflüge, die Cassy mit Severus gemacht hatte, auch unangenehme Seiten bereit gehalten hatten.
„Lieben Sie Professor Snape?", fragte Hermine in diesem Moment geradeheraus und schaute sie neugierig an. Irgendwie hatte der heutige Abend ihr einfach keine Ruhe gelassen und jetzt war sie mit Cassy alleine und wollte es wissen. Nur für sich. Zur Befriedigung ihrer Neugier. Cassy schloss kurz die Augen und wollte gerade antworten, als der Verschlag wieder aufging und Severus mit Hagrid und Poppy hereinkam. Hermine hätte die drei am liebsten mit dem Erstarrungsfluch belegt. Es war doch so romantisch und jetzt würde sie wieder nicht erfahren, was wirklich los war.
Poppy nahm Hermines Hand kurz von der Wunde und besah fachmännisch den Riss, aus dem in regelmäßigem Takt das Blut pulsierte. „Ist nicht so schlimm", meinte sie beruhigend zu Cassy. Dann bat sie Hermine, ihre Hand noch einmal so lange draufzudrücken, bis sie sich vorbereitet hatte. Unter Cassy's Bein hatte sich nun doch schon ein mehr als handtellergroßer Blutfleck ausgebreitet. Severus hatte sich in den Halbschatten des Verschlages zurückgezogen und sah alles andere als arrogant oder selbstgefällig aus. Es war ihm nicht möglich, ein teilnahmsloses Gesicht zu machen. Hermine sah ihn kurz an und Cassy musste ihr die Frage nicht mehr beantworten. Sorgenvoll sah er Poppy bei der Behandlung zu. Aber sie hatte das Ganze routiniert im Griff. Sie nahm Cassy den Umhang ab und schnitt ihr kurzerhand das Hosenbein ab, damit sie besser an die Wunde kommen konnte. „Sieht auch als kurze Hose ganz nett aus", kommentierte sie Cassy's Gesichtsausdruck, als sie das Hosenbein in die Ecke warf. Sie nahm die gleiche Phiole aus Severus' Tasche, mit der sie das Einhorn behandelt hatte und erklärte Hermine, dass sie die Wunde kurz loslassen sollte, damit Poppy die Flüssigkeit daraufschütten konnte. Die Blutung stoppte sofort an den Stellen, wo die Flüssigkeit auftraf. Danach murmelte sie etwas und verschweißte mit einem dünnen Strahl aus ihrem Zauberstab, der einem Laser sehr ähnlich war, die Wunde. Cassy hatte keine Schmerzen mehr, als die Tropfen der Flüssigkeit ihre Haut berührten und das Verschweißen der Wunde hatte sie gar nicht gespürt. Nicht erspart blieb ihr allerdings der unangenehme Geruch von verbranntem Fleisch, den diese Zauberaktion hinterließ.
Cassy sah kurz zu Severus. Er verstand ihren Blick und sagte: „Wenn Sie ruhig alle schon vorgehen würden", sagte er zu Poppy, Hermine und Hagrid. „Ich werde auf Miss Parker aufpassen und sie mit ins Schloss nehmen."Dabei sah er Cassy mit einem Ausdruck im Gesicht an, als hätte er große Zweifel, dass sie überhaupt in der Lage war ohne Hilfe freihändig zu laufen. „Wir räumen nur noch ein wenig auf."Poppy nahm die im Moment doch sehr schwerfällige Hermine am Arm und zog sie fast gewaltsam aus dem Verschlag. „Ab jetzt. Ins Schloss. Es reicht für heute", hörten Severus und Cassy die energische Stimme der älteren Frau. In der Tür wandte Hermine sich noch einmal um und grinste Cassy und Severus verschwörerisch an. Dann ging sie. Hagrid war schon vorausgegangen, weil Fang in seinem Zorn Hagrid's halbe Einrichtung in Schutt und Asche gelegt hatte und er mit dem unmöglichen Hund jetzt noch ein ernstes Wörtchen zu reden hatte. Er wusste, dass er sich auf Professor Snape verlassen konnte und dieser den Verschlag sorgfältig verschließen würde.
***
„Bist du in Ordnung?", fragte Severus Cassy noch einmal und hatte sie bei den Schultern genommen. Sie saß noch immer auf dem Boden des Verschlages mit dem Rücken an der Wand gelehnt.
Cassy nickte. „Alles ok." Dann kniete Severus sich noch einmal neben das Einhorn und streichelte es. Auch er war beeindruckt von der Schönheit und Vollkommenheit des Geschöpfes und wollte es noch einen Augenblick in Ruhe ansehen, ohne, dass er sich im Beisein der Anderen verstellen musste, als würde ihn das alles nicht interessieren. Das Tier hatte die ganze Zeit ruhig gelegen und sich nicht mehr bewegt. Es hatte wohl gemerkt, dass ihm niemand Schaden zufügen wollte. Jetzt schnaubte es ein wenig und ließ sich Severus' Streichelei gefallen. „Morgen früh bist du über den Berg", hörte Cassy Severus mit sanfter Stimme auf das Einhorn einreden. Dann stand er auf und half auch Cassy auf. Als sie so dicht vor ihm stand, mit einem langen und einem kurzen Hosenbein, war es ihm egal, ob Hagrid noch einmal kommen würde. Er nahm Cassy in die Arme und küsste sie auf die Stirn. „Ich hatte Angst um dich", flüsterte er ihr zu und drückte sie an sich.
***
Als er mit ihr auf dem Rückweg zum Schloss war, schmerzte plötzlich das Mal. Unwillkürlich griff er an seinen Unterarm. Cassy hatte die Bewegung gesehen und sah ihn nervös an. „Was hast Du?", fragte sie ihn ängstlich. Sie wusste, was er hatte und sie wollte nicht, dass er gehen würde.
„Es ist nichts", gab Severus zur Antwort.
Er war sehr müde von seinem Einsatz bei Hagrid, aber er musste gehen. Als er in Cassy's aufgeregtes Gesicht sah, hob er die Hand und streichelte ihre Wange. „Wir müssen reden, wenn ich wieder zurück bin. Es ist wirklich wichtig. Wartest du auf mich?"Cassy nickte. Dann hörte sie Flügelschlagen über sich und wusste, dass Aratos im Anflug war und Severus begleiten würde. Er übergab ihr seine Tasche mit den Zaubertränken und hetzte im Laufschritt vor die Tore Hogwarts. Sie würde auf ihn warten. Jetzt musste sie aber erst einmal schnellstmöglich Dumbledore und Remus Bescheid geben.
***
In ihrem Appartement ging sie hin und her und war mehr als einmal versucht, vor der Tür auf Severus zu warten, aber das ging nicht. Es war gespenstig ruhig. Es war immer ruhig, wenn man auf etwas wartete. Die Zeit schien mit besonderem Sadismus ihren Takt zu verlangsamen und die Sekunden und Minuten schlichen träge dahin. Nach einer Stunde ruhelosen hin- und hertigerns wurde sie langsam müde. Es war auch schon sehr spät. Mitternacht war längst vorbei. Die Narbe an ihrem Oberschenkel hatte angefangen zu schmerzen und sie kuschelte sich mit einer dicken Decke in ihren Sessel. Diese Warterei machte sie verrückt. Sie versuchte sich mit einem Buch abzulenken, aber es gelang nicht. Severus würde ihr wahrscheinlich heute Abend sagen, wohin er immer verschwand. Wie gerne würde sie ihm das ersparen, aber durch ihre Entscheidung, dass er nicht wissen sollte, wer sie war, musste sie ihn kommen lassen. Viele Male schon hatte sie sich sehr elend gefühlt, weil er ihr mittlerweile vertraute und sie doch mehr wusste, als sie ihm gegenüber zugeben konnte. Belog sie ihn eigentlich dadurch? War das wirklich Lügen? Hintergehen? Sie wusste es nicht. Einerseits ja, andererseits vielleicht. Nein? Nein, konnte man nicht sagen. Aber Cassy konnte nicht mehr zurück. Sie hatte diesen Weg - mit Unterstützung und Einverständnis von Dumbledore - gewählt und sie war sich sicher, dass Severus es ihr zum jetzigen Zeitpunkt nicht verzeihen würde, wenn er die tatsächlichen Umstände ihres Aufenthaltes in Hogwarts erfahren würde und dass sie sie mit voller Absicht so lange vor ihm geheim gehalten hatte. Irgendwann würde sie es ihm aber sagen müssen. Nur jetzt noch nicht, in dieser wundervollen Zeit, in der sie mehr Liebe und Geborgenheit erfahren hatte als jemals zuvor in ihrem Leben. Er war der Mann, nach dem sie sich schon immer mit jeder Faser ihres Herzens gesehnt hatte und sie würde einen Weg finden, ihm auch dieses letzte Geheimnis schonend zu offenbaren. Aber eben jetzt noch nicht. Irgendwann. Vielleicht.
Dann war sie doch eingeschlafen und Severus hatte sich mit einem simplen Öffnungszauber Zutritt verschafft, weil er mit Cassy reden musste. Als er sie schlafend sah, überlegte er kurz, ob er das Gespräch nicht auf morgen verschieben sollte, aber dann weckte er sie sanft auf und setzte sich in den anderen Sessel.
Er schilderte ihr in stockenden Worten und ohne sie anzusehen, was er tat, was er früher einmal war, was er jetzt sein musste und was er nie wieder sein wollte. Cassy war froh, dass Dumbledore sie vorgewarnt hatte und dass sie sein wahres Empfinden im Haus ihrer Freunde hatte sehen können. Sie wusste nicht, ob sie ihn unter anderen Umständen jemals hätte lieben können, ob sie sich jemals die Mühe gemacht hätte, sein wahres Ich erkennen zu wollen. Niemals hätte sie ein einziges Wort seines Bedauerns geglaubt. Und sie schämte sich, als sie merkte, dass sie doch nicht so vorurteilsfrei war, wie sie immer von sich behauptete. Wie sehr ihn seine Aufgabe belastete, hatte sie in den vergangenen Monaten immer und immer wieder gespürt. Als er seinen Bericht geendet hatte, stand er sofort auf und wollte gehen. „Severus, warte."Er blieb mit gesenktem Kopf an der Tür stehen, dann drehte er sich langsam um. Cassy legte eine Hand in seinen Nacken und zog sein Gesicht zu sich herunter. Dann küsste sie ihn und nahm ihn in den Arm. „Du musst da nicht alleine durch. Ich bin immer für dich da."Er umarmte sie kurz und lächelte sie dankbar, aber irgendwie distanziert an. Das Geständnis war ihm nicht leicht gefallen und er wollte jetzt alleine sein.
Was hätte Cassy ihm auch sagen sollen? Dass alles nicht so schlimm war? Das wäre die größte Verhöhnung aller Opfer gewesen, die bis heute durch Voldemort gestorben waren. Dass alles vorbei geht? Das wusste Severus selbst. Dass alles ein gutes Ende nehmen wird? Das wäre reine Selbsttäuschung gewesen.
Cassy blieb nachdenklich zurück, weil der Vorfall bei Ellen und Robert noch einmal in ihr Gedächtnis zurückgekehrt war. Es war aber irgendwie schon so lange her ... Ewigkeiten? In einem anderen Leben? Ganz bestimmt.
Und sie merkte mit leiser Bestürzung, dass der Gedanke der heißen Rache für ihre Freunde abgekühlt war im Laufe der Zeit. Er war zurückgetreten hinter den Gedanken der quälenden Angst und Sorge um den Mann, den sie liebte.
***
Das Wetter wurde kälter und ungemütlicher. Zwischendurch musste Severus immer mal überstürzt weg, kam aber ohne größere äußerliche Blessuren zurück. Die seelischen waren dafür um so schlimmer. Besonders, wenn sogar kleinste Kinder umgebracht wurden.
Von Anfang an war er direkt nach den Einsätzen immer in seine Unterkunft gegangen. In seinem Büro hatte er jedes Mal angefangen, irgendwelche Tränke zu brauen, um seine aufgewühlten Nerven zu beruhigen. Das Geräusch der blubbernden Flüssigkeit hatte dabei eine äußerst entspannende Wirkung auf ihn. Dieses Geräusch war in den vergangenen Jahren sein Inbegriff eines Zuhause geworden. Jetzt war es nicht nur die Gewohnheit, die ihn in sein Büro trieb - er konnte Cassy nicht mit seinem Erlebten belasten.
Er blieb mit seinen niederschmetternden Gefühlen wieder alleine.
***
Cassy sah sich das eine Weile an. Sie war sich im Klaren darüber, dass er, trotz seiner aufflammenden Gefühle und der Liebe, die er ihr entgegenbrachte, noch immer nicht in der Lage war, seine tiefsten Ängste mit ihr zu teilen. Dazu war er einfach viel zu lange alleine gewesen. Wenn er in Gedanken versank, sah sie sein mitgenommenes Gesicht und wusste, dass er wie ein Bessessener daran arbeitete, seine frischen Erlebnisse in den Griff zu bekommen. Wie lange konnte er das noch mit sich selbst ausmachen. Konnte er das überhaupt schon einmal wirklich mit sich selbst ausmachen oder versanken diese Eindrücke gnädig in seinem Unterbewusstsein und er musste sich nicht mehr darum kümmern? Seine Erlebnisse wurden immer grausamer, weil Voldemort immer menschenverachtender agierte. Cassy spürte seinen Konflikt mit der ihr angeborenen Sensibilität und es machte sie rasend, dass einem Menschen so etwas angetan wurde. Vor allen Dingen einem solch wundervollen Menschen, wie Severus. Sie musste mit ihm reden, um ihm zu helfen. Von alleine würde er nicht kommen. So saß sie eines Abends entschlossen in seinem Appartement, als er von einem Einsatz zurückkam. Überrascht, unterschwellig ärgerlich fragte er sie, wie sie hereingekommen war, aber sie gab ihm keine Antwort. Sie konnte auf seinem Gesicht sehen, dass es ihm überhaupt nicht passte, dass sie ohne zu fragen hierher gekommen war.
Sie stand auf und ging auf ihn zu. „Ich bin so froh, dass du wieder da bist", begrüßte sie ihn. Sie nahm seine Hände und blickte ihn eindringlich an. Aber er wich ihrem Blick aus. Er blieb einfach stehen. Er wich ihr vor allen Dingen aus, weil er sich schämte. Weil er sie nach dem heutigen Einsatz, wo wieder ein Mensch getötet wurde und er wieder nichts dagegen tun konnte, einfach noch nicht anschauen konnte. Er fühlte sich schuldig, schuldig, schuldig.
„Du musst da nicht alleine durch", wiederholte sie ihr Angebot leise und sanft und streichelte seine Wange. Als er noch immer nicht reagierte, aber auch nichts sagte, legte sie ihre Arme um seine Taille und zog ihn an sich. Severus verhielt sich völlig steif, fast abwehrend. Er wusste nicht, was er tun sollte. Ihre Anwesenheit empfand er in seinem aufgewühlten Zustand als aufdringlich. Sie war einfach in seine Unterkunft gekommen und hatte ihn überrumpelt. Seine Unterkunft war noch immer seine Trutzburg, in die er sich jederzeit zurückziehen konnte und in der er sich sehr geborgen fühlte, auch wenn es manchmal nach außen einen anderen Eindruck erweckte. Gequält schloss er die Augen. Als Cassy das sah, krampfte sich ihr Herz zusammen. Sie würde ihn jetzt auf keinen Fall alleine lassen, auch wenn seine ganze Körperhaltung diesen Wunsch unmissverständlich ausdrückte. Wenn sie jetzt ging, würde er nicht nur über seinen Einsatz nachdenken. Er hätte auch ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber.
Und sie wusste, dass es an der Zeit war, ihm etwas zu sagen, was sie bis heute nicht über die Lippen gebracht hatte, obwohl sie so oft zusammen waren. Instinktiv spürte sie, dass dies jetzt der richtige Moment dafür war.
Sie trat einen Schritt von ihm zurück. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Mit einer Hand strich sie die schwarzen Haare aus seinem schmalen Gesicht und legte ihre Hände auf seine Wangen. Er hielt die Augen auch weiterhin geschlossen.
„Severus, ich liebe Dich", flüsterte sie mit zitternder Stimme und hatte das Gefühl, dass ihr das Herz jeden Moment aus der Brust springen würde.
Er rührte sich nicht, öffnete die Augen und schaute sie für einen langen Moment mit einem Blick an, der eine Mischung aus Überraschung, Liebe, Angst und Vertrauen ausdrückte. Cassy merkte, wie ihr Mut sie verließ. Doch bevor sie ihre Hände von seinem Gesicht nehmen konnte, kam Bewegung in seine Haltung.
Diese drei kleinen magischen, verzaubernden Worte, die er sich so sehr gewünscht hatte, von ihr zu hören – sie hatte sie gesagt. Jetzt. Jetzt, wo er sie wirklich brauchte.
Seine abwehrende Haltung löste sich auf. Er holte tief Luft, nahm ihre Hände und küsste zärtlich ihre Handflächen. Dann zog er Cassy fest an sich und flüsterte ihr mit rauer Stimme ins Ohr: „Ich liebe dich auch. Mehr als alles, alles andere auf dieser Welt. Das musst du mir glauben."
Cassy nickte ergriffen. Warum mussten diese zukunftsbewegenden Geständnisse bei ihnen beiden immer in solchen extremen Stresssituationen kommen? Sie flüsterte ihm ins Ohr: „Ich möchte bei dir und für dich da sein, wenn du Hilfe brauchst, verstehst du? Dafür hat man jemanden, der einen liebt und dem man vertraut. Man teilt mit ihm Freude und Leid. Es frisst mich innerlich auf, wenn ich sehe, wie sehr du leidest."Severus hatte seinen Umhang mit einer schnellen Bewegung abgelegt und Cassy wortlos auf den Teppich vor dem brennenden Kamin gezogen. Er hatte sich in ihre Arme gekuschelt, wie ein Kind und sie hielt ihn so fest sie konnte. Sein Gesicht hatte er in ihre Halsbeuge gedrückt und er spürte ihren Puls. Sein warmer Atem streifte ihre Haut. Er zitterte erst leicht, dann immer heftiger und Cassy hielt ihn fest an sich gepresst. Das Zittern und sein unregelmäßiger Atem vermittelten ihr schonungslos und grausam, welche Qualen Severus durchstand. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen, weil sie mit ihm litt. Sieh hatte furchtbare Angst, dass er irgendwann daran zerbrechen könnte. Aber sie würde für diesen Mann kämpfen. Um ihn kämpfen. Sie brauchte ihn mehr als alles andere in ihrem Leben und niemand würde ihn ihr nehmen. Severus ließ sich einfach in ihre Wärme und ihre Umarmung fallen. Sie hüllte ihn ein, gab ihm Kraft. Er hörte in ihrer Nähe auf zu denken und konzentrierte sich nur auf den Moment. Er versank in tiefer Geborgenheit. Wieder wurde ihm bewusst, wie sehr sie sich von Lilly unterschied. Wann endlich würde er Lilly vergessen können und keine Vergleiche mehr zwischen ihr und Cassy anstellen? Er schämte sich deshalb ein wenig. Allerdings wusste er nicht, dass auch diese Gefühle normal waren und seine mühsame Arbeit reflektierten, sein Urvertrauen mit Cassy's Hilfe ganz sachte und langsam zurückzugewinnen. Schweigend hatte sie begonnen seinen Rücken zu streicheln, bis sie merkte, dass seine Anspannung langsam nachließ und er leise und stockend zu erzählen begann. Es wurde ein langer Bericht. Sie hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen und musste sich zusammennehmen, weil ihr Hass auf Voldemort sich ins Unermessliche steigerte.
***
Momentan waren es nur kleine Aufträge, die er für Voldemort zu erledigen hatte. Er sollte Pläne besorgen von verschiedenen Burgen und Schlössern rund um Hogwarts und die Flurpläne der Ländereien. Außerdem sollte er sich in den nächsten Wochen unauffällig das eine oder andere Anwesen anschauen und mit den Plänen vergleichen. Welches Ziel Voldemort damit vor Augen hatte, konnte Severus nur schwer einschätzen, aber eines war klar: Hogwarts lag genau im Zentrum zwischen den Anwesen. Gerne hätte er Malfoy die Aufgabe, sich um Abtrünnige zu kümmern, alleine übertragen, aber da die Unberechenbarkeit dieses Mannes immer schlimmer wurde, war das unmöglich. Auch Voldemort war über Malfoy's Benehmen in letzter Zeit beunruhigt. Von den Reisen war er früher zurückgekehrt, weil seine unbeherrschte und arrogante Art beinahe noch einen Konflikt zwischen den Todessern und den Trollen ausgelöst hätte. So hatte Crabbe ihn unter einem Vorwand zurückgeschickt und den Meister unterrichtet. Jeden anderen hätte Voldemort schon durch den Wolf gedreht, aber Lucius' Verbindungen waren einfach zu gut und seine Arbeit, die er sonst leistete, war ohne Beanstandung und für den Meister auch oft sehr unterhaltsam und amüsant – auf seine eigene abstoßende Weise. Lucius war mit dem Töten ein bisschen zu schnell zur Hand. Severus hingegen wog Situationen ab. Er ging mit Hirn an die Sache und hatte dadurch in letzter Zeit mehr als einmal für Voldemort einen wertvollen Verbündeten zurückgewinnen können. Er war um jedes Leben dankbar, das er retten konnte. Egal wie.
Crabbe und Goyle, sowie der Verbindungsmann aus dem Ministerium waren noch immer auf Tour, um neue Verbündete zu rekrutieren. Aber vorerst mussten sie ihre Zeit damit verbringen, die zerstrittenen Parteien wieder an einen Tisch zu bekommen.
***
Wie immer an Halloween stand der Ausflug nach Hogsmeade auf dem Plan. Cassy war nur einmal mit Lupin in dem Ort gewesen und hatte keine besonders guten Erinnerungen an den Tag danach. Als sie in der letzten Unterrichtsstunde vor dem Besuch merkte, dass ihr doch niemand bei den Ausführungen „Besuch von öffentlichen Veranstaltungen"so richtig zuhörte, klappte sie kurzerhand ihr Buch zu und blickte in die Klasse.
„Ich schlage vor, Sie erzählen mir ein bisschen von Hogsmeade. Sie hören mir sowieso nicht zu."
Die ganze Klasse lachte und der Unterricht war gelaufen. Sie hörte viel Interessantes und amüsierte sich wieder, dass hier die gleichen Geschäfte für die Schüler der Renner waren, wie in ihrer Welt. Die Süßigkeiten und die Scherzartikel.
Severus kündigte ihr beim Abendessen laut, deutlich und damit hochoffiziell mit dem üblichen abweisenden Gesichtsausdruck an, dass er mit ihr nach Hogsmeade gehen würde, um ihr den Ort zu zeigen. Höchstens für zwei Stunden. Es hatten genügend Leute zugehört und Cassy's Herz machte einen Sprung. Dann warf er ihr einen Blick zu, als würde er sie neben Pest und Heuschrecken für die größte Plage halten, die über die Menschheit hereinbrechen konnte.
Cassy freute sich. Sie konnten offiziell zusammen etwas unternehmen. Dass Severus wieder einmal die ganze Zeit ein mieses Gesicht machen musste, störte sie nicht im Geringsten. Man gewöhnte sich im Laufe der Zeit an alles ...
***
„Schau dir nur dieses Kleid an, Sev'", flüsterte Cassy ganz begeistert. Das Kleid war wirklich sehr schön. Es war schlicht, rubinrot und je nachdem wie das Licht darauf fiel, bekam es schwarze oder dunkelblaue Schatten. „Schschsch,"machte Severus genervt und drehte sich sicherheitshalber, um sich zu vergewissern, dass niemand sie gehört hatte. Und vor allem dass niemand sie sah, wenn sie jetzt in dieses Geschäft gehen würden. Auf der Treppe hatte er es sich jedoch anders überlegt und Cassy gesagt, dass er lieber draußen warten würde. Das wäre sicherer. In Wahrheit war er sehr verlegen gewesen, mit Cassy in das Geschäft zu gehen und ein Kleid zu kaufen.
Als sie den Verkaufsraum betrat, kam ihr die Besitzerin, eine Hexe, ungefähr in Cassy's Alter entgegen. „Ich möchte gerne das rote Kleid aus dem Fenster probieren", sagte Cassy. Die Hexe nickte und holte es. „Ich denke, es wird Ihnen genau passen", sagte sie, als sie Cassy kurz mit Fachfrauenblick musterte. Cassy ging sich umziehen und die Hexe behielt recht. Es passte ganz genau. Sie stellte sich vor den magischen Spiegel und während sie schaute, drehte sich ihr Spiegelbild langsam in alle Richtungen und bewegte sich, damit sie das Kleid von allen Seiten betrachten und beurteilen konnte, wie es wirkte. Eine tolle Erfindung, fand Cassy. Wenn sie darüber nachdachte, wie sie sich in den Muggel-Kaufhäusern oder Boutiquen selbst mit zwei Spiegeln jedes Mal den Hals verrenkt hatte, um zumindest einen eingeschränkten Blick darauf zu bekommen, wie man mit der Kleidung von hinten aussah, war das eine Revolution. Das bodenlange Kleid war sehr schmal. Der Rock war direkt unter dem Busen angeschnitten und hatte in der Mitte eine versteckte Falte. Von weitem sah es sehr eng aus, fast wie ein Schlauch, kimonoähnlich, aber wenn Cassy sich bewegte, ging diese eine Falte auf und erlaubte seiner Trägerin sich ohne Zwang zu bewegen. „Würden Sie es mir zurücklegen? Ich kann es aber erst nächste Woche abholen", sagte sie der Verkäuferin. Die nickte. Dann verließ Cassy das Geschäft.
„Es hat ganz genau gepasst", erzählte sie Severus leise und begeistert. „Ich habe es mir zurücklegen lassen. Vielleicht können wir es ja irgendwie die nächsten Tage abholen?"Severus brummte ein „Ja, vielleicht"und machte sich mit ihr auf den Rückweg zum Schloss. Er würde das Kleid nicht die nächsten Tage abholen. Er hatte damit spontan eine andere Idee.
In den kommenden Tagen hatten alle so viel mit den Vorbereitungen für Halloween zu tun, dass Cassy das Kleid in Hogsmeade schlichtweg vergaß. Sie war sehr glücklich, dass sie diesmal zum Mithelfen aufgefordert wurde und fühlte sich im Kreise ihrer Kollegen wohl. Naja, bis auf Professor Binns. Der sprechende Nebel machte ihr nach wie vor Angst. Aber durch seine gasförmige Konsistenz konnte er zu den Vorbereitungen nicht viel Hilfreiches beisteuern, außer die Kollegen mit seiner monotonen, einschläfernden Stimme jedes Mal an den Rande eines Komas zu bringen.
Als Severus spät in der Nacht vor den Toren des Schlosses apparierte, wartete Remus bereits auf ihn.
Snape sah seltsam entspannt aus. „Wartest du schon lange, Moony?"fragte er Lupin lächelnd mit seinem Spitznamen. Remus schüttelte den Kopf.
„Heute hatten wir nur zu beobachten. Wenn Voldemort wirklich dort zuschlagen will, wo ich war, wird Dumbledore die Möglichkeit haben, viele Leben zu retten, wenn es so weit ist", schloss er mit einem erleichterten Seufzen. Remus lief eine unangenehme Gänsehaut den Rücken hinunter. Es war für Snape ein Glücksgefühl, wenn er zurückkam und niemanden hatte umbringen müssen. Eine bizarre und für ihn nicht nachvollziehbare Vorstellung.
Remus klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Komm, du musst noch etwas schlafen. Der Unterricht beginnt schon in wenigen Stunden."
Severus lief geistesabwesend neben ihm her und murmelte vor sich hin. „Ich muss noch vorsichtiger werden. Voldemort ist misstrauisch. Es sind viele Einsätze schief gegangen in letzter Zeit. Aber die wenigsten davon durch mich. Wir müssen noch einen anderen Maulwurf haben. Das kann für mich hochgefährlich werden. Allerdings lagen die Fehler meist bei der anderen Einheit, die unterwegs war. Ich muss das beobachten, damit nicht mir noch ein Strick daraus gedreht wird ... Lucius würde nämlich gerne auf meinem Grab tanzen."Es schienen ihn viele Eindrücke zu beunruhigen, die Remus zusammenhanglos erschienen. Das letzte Mal, dass sie beide sich ausführlich ausgetauscht hatten, lag auch schon lange Zeit zurück. Im Moment erschien Severus ihm seltsam verwirrt, so, als würde er neben sich stehen. Er würde morgen mit ihm reden. Aber Severus war nicht verwirrt. Sein Instinkt war wach geworden. Irgend etwas stimmte nicht. Er musst herausfinden, wer die Einsätze sabotierte, sonst wäre er als Nummer 2 bald wieder das Ziel von Voldemort.
Im Schloss angekommen, verabschiedete sich Remus von Snape. „Ich habe Cassy versprochen, ihr zu sagen, wenn du gut angekommen bist."Severus zögerte einen Augenblick. „Weiß sie, wo ich war?", fragte er Remus leise. Der schüttelte den Kopf. „Aber du solltest es ihr bald sagen, Sev'. Sie wird es verkraften."Severus nickte. Dann straffte sich seine Haltung und er ging in Richtung Kerker davon.
In seinem Appartement angekommen, klingelte Remus nach Dobby, gab ihm ein kleines Stück Pergament, auf dem nur stand: „Alles in Ordnung"und Cassy fand am nächsten Morgen die erleichternde Nachricht direkt auf dem Nachtisch.
***
In den nächsten Wochen war Severus' Verlangen nach körperlicher Nähe zu vergleichen mit dem Durst der Wüste nach Wasser. Es waren so endlos viele Jahre vergangen, ohne dass jemand seinen Körper berührt, gestreichelt oder gehalten hatte. Er hatte fast vergessen, wie das ist. In seinem Kopf war auf der Lichtung beim Verbotenen Wald der Damm gebrochen, der all die Jahre seine Gefühlswelt nur mit spärlichen Rinnsalen von Emotionen versorgt hatte. Jetzt hatte Severus alle Mühe, die Flut unter Kontrolle zu bringen, die ihn zu ertränken drohte, vor allem, wenn er mit Cassy zusammen war.
Wenn sie zusammen auf der Couch saßen und lasen oder Musik hörten, suchte er immer irgendwie Körperkontakt zu ihr, wenn sie nicht gerade sowieso auf seiner Brust lag und er sie streicheln konnte. Er ließ sich in ihre Wärme sinken und vergaß dabei Raum und Zeit. Alles an ihm gierte nach ihrer Liebe und Nähe. Dabei beobachtete er Cassy jedoch aufmerksam, weil er sie mit seinen Gefühlen nicht ersticken wollte. Moony hatte gesagt, nimm' das Leben an. Er hatte nicht vor, es wieder aus der Hand zu geben.
Es waren diese kleinen Berührungen, die ihm sagten: Du bist nicht allein. Es waren diese kleinen Berührungen, die er am Anfang nicht haben wollte, aus Angst vor den Gefühlen, die sie freisetzen würden. Es waren diese kleinen Berührungen, die er jetzt nicht mehr missen wollte. Bei denen er sich fragte, wie er all die Jahre ohne sie hatte leben können.
Wenn sie sich liebten, war es für Severus, als würde er in eine andere Welt abtauchen. Cassy's sanfte Stimme, ihre weiche Haut, ihre Anschmiegsamkeit, ihre Wärme, aber auch ihre immer wieder überraschenden Ideen und Initiativen machten jede Nacht, die sie gemeinsam verbrachten, zu einem unvergesslichen Erlebnis. Er liebte sie wirklich. Tief. Innig. Verschmelzend. Aufrichtig.
Besiegelnd würde er es ihr auch irgendwann sagen mit den drei kleinen magischen Worten, die es in jeder der beiden Welten gab und die in jeder der beiden Welten den gleichen ganz besonderen Zauber hatten. Aber jetzt noch nicht.
***
Es klopfte. Severus sah kurz von seinem Buch auf und wollte aufstehen. Aber Cassy winkte ab. „Bleib' sitzen. Du musst mit dem Trank für Remus weiterkommen. Ich wimmle denjenigen ab."Dann ging sie zur Tür. Hermine stand davor. Diesmal ohne die beiden Jungs. „Ich muss mit Ihnen reden, Miss Parker", begrüßte sie Cassy mit leiser, eindringlicher Stimme. Cassy trat einen Schritt in den Flur hinaus und schaute, ob doch jemand in der Nähe war. Sicherheitshalber fragte sie noch einmal: „Sind Sie alleine, Miss Granger?"Die Schülerin sah sie ein wenig befremdet an, dann nickte sie. „Es hat mich auch niemand gesehen, als ich hierher geschlichen bin", dann senkte sie schuldbewusst den Kopf und fuhr leise fort „ich weiß nämlich, dass ich nicht mehr in den Gängen unterwegs sein darf, aber es ist wirklich wichtig."Cassy sah Hermine an und sah die Aufrichtigkeit in ihrem Gesicht. Sie mochte das Mädchen sehr. „Kommen Sie rein, Miss Granger. Was kann ich für Sie tun?", lud sie sie schließlich ein.
Sie hatte einen Moment mit sich gehadert, ob sie sie wirklich einlassen sollte, aber Hermine schien etwas zu bedrücken und sie wollte sie nicht im Flur abfertigen. Gerade Hermine war jetzt in einem Alter, wo man besonders aufmerksam und sorgfältig zuhören musste, weil Unsicherheit auf dem Weg zum Erwachsenwerden für die Schüler eines der ausgeprägtesten Gefühle war, das sie ständig begleitete und mit dem sie nur schwer umgehen konnten. Wenn einer ihrer Schüler das Gespräch mit ihr suchte, widmete sie sich ihm immer in einer gemütlichen Umgebung, damit er seine Scheu ablegen konnte. Dafür hatte sie sogar in ihrem Büro noch etwas am Mobiliar ändern lassen. Sie hatte zwar an Dumbledore's Gesicht gesehen, dass er nicht darüber begeistert war, aber er hatte sie dann doch unterstützt, nachdem sie ihm ihre Gründe einleuchtend schildern konnte. Ein Bücherregal wurde entfernt, dafür hatte sie eine gemütliche Sitzecke mit Kissen und einem kleinen Tisch bekommen. Eine solche Atmosphäre machte es ihren Schülern leichter, ihr mitzuteilen, was sie bedrückte oder die Schüler nahmen Anregungen und Kritik von Cassy besser auf. Sie wusste von ihren Kollegen, dass diese ihre Idee für völlig versponnen und verweichlichend hielten. Gespräche führte man seit Jahrhunderten in Hogwarts immer streng am Schreibtisch, wo es überhaupt keine Möglichkeit für die Kinder oder Jugendlichen gab, wirklich frei zu erklären, was sie dachten oder wollten. Der Weg von der Tür zum Tisch war außerdem meist so weit angelegt, dass man unwillkürlich mutlos in die Knie sank, bis man am Schreibtisch angekommen war und sich sein Anliegen unterwegs mindestens hundert Mal anders überlegen konnte. Jetzt allerdings war Cassy's Büro schon abgeschlossen und kalt und sie entschloss sich, in Hermines Fall ihrem Instinkt zu vertrauen und sie einzulassen. Sie konnte Severus kein Handzeichen mehr machen, dass er sich verkrümeln sollte. Sie konnte lediglich kurzen Blickkontakt mit ihm aufnehmen und er zuckte die Schultern und gab ihr zu verstehen, dass sie Hermine reinlassen solle, da er mitbekommen hatte, wer vor der Tür stand.
Hermine trat ein und blieb erstaunt stehen. Professor Snape saß in einem der Sessel. Was Hermine aber wirklich aus der Fassung brachte war, wie er dort saß. Er saß quer in dem riesigen Sessel und hatte die Beine auf der Sitzfläche angezogen. Auf seinen Knien lag ein großes Buch in dem er aufmerksam las und sich Notizen machte. Sein Umhang lag achtlos hingeworfen auf einem Stuhl am Fenster. Sein schwarzes Hemd war bis zur Hälfte aufgeknöpft und seine Schuhe lagen unordentlich übereinander vor dem Sessel. Auf dem Tisch zwischen den beiden Sesseln stand eine Flasche Rotwein mit zwei halb gefüllten Gläsern. Er arbeitete sehr konzentriert und strich sich hin und wieder eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ich komme ungelegen?", stellte Hermine schüchtern fest. Cassy schüttelte den Kopf. „Allerdings, Miss Granger, habe ich Sie nur eingelassen, weil ich weiß, dass Sie diskret und vertrauenswürdig sind."Sie schaute Hermine aufmerksam an. Das Mädchen nickte und errötete. Sie hatte verstanden. Kein Wort - auch nicht zu Ron und Harry.
Severus schaute kurz aus seinem Buch auf. „Hallo Hermine!", sagte er lächelnd und hob grüßend die Hand mit dem Federkiel. Das war für Hermine zuviel. „Das ist doch nicht Professor Snape", flüsterte sie Cassy zu. „Wer steckt hinter dieser Verwandlung?"Cassy lachte. Sie überlegte kurz, ob sie nicht einfach Hermines Idee aufgreifen und die Schülerin belügen sollte, aber sie brachte es nicht fertig. Außerdem: Wer sollte für die Verwandlung herhalten und warum saß er dann in Cassys Appartement? Sie hätte immer noch sagen können, dass beide etwas für den Unterricht vorbereiten würden. Aber ohne Schuhe? Mit Rotwein und vor allen Dingen ohne Robe und mit halb aufgeknöpftem Hemd? Wie man es drehte und wendete. Cassy weihte Hermine unterbewusst willentlich in ihr Geheimnis ein. Sie hatte kein schlechtes Gewissen dabei, weil sie sich zu dem Mädchen von Anfang an hingezogen fühlte. Hermine war in ihrer Entwicklung ihrem Alter um Längen voraus. Das merkte sie auch immer im Unterricht und irgendwie kam in diesem Moment in Cassy das Gefühl hoch, wie sehr sie Ellen vermisste. Sie sehnte sich nach einer Freundin. Denn im Grunde genommen war sie auf Hogwarts immer noch alleine. Remus gab sich zwar alle Mühe, ihr ein Freund zu sein, aber das war einfach nicht das Gleiche. Ob allerdings dafür eine Schülerin geeignet war, hatte Cassy sich lange gefragt. Ausschlaggebend war letzten Endes, dass Hermine nicht an ihrem Alter gemessen werden durfte. Und Freundschaft nicht nach Alter fragte. Genauso wenig wie Liebe.
„Doch. Er ist es wirklich. Kommen Sie. Setzen Sie sich. Also, was kann ich für Sie tun?"Damit führte sie Hermine an den kleinen Esstisch am Fenster und bot ihr einen Stuhl an. Dann nahm sie Severus' Umhang, warf ihn in ihren leeren Sessel und setzte sich auf den anderen Stuhl. Hermine war so überrascht, eigentlich eher schockiert, über Professor Snapes Aufzug, dass sie sich nicht einmal fragte, was er eigentlich hier tat.
Sie war sich nicht sicher, ob sie mit ihrem Anliegen nicht lieber wieder gehen sollte, zumal es nicht ganz legal war, was sie Cassy fragen wollte. Cassy sah ihren Blick auf Severus und sagte: „Ignorieren Sie ihn einfach. Er ist nicht da." In dieser Aussage wurde Hermine instinktiv die Vertraulichkeit zwischen den beiden bewusst, da Severus seelenruhig in seinem Stuhl sitzen blieb und weder sofort vor Wut wie eine Rakete durch die Decke schoss, noch eine bissige, verletzende Bemerkung von sich gab, nicht mal einen tödlichen Blick. Er reagierte überhaupt nicht. Und er musste es gehört haben.
In höchstem Maße verunsichert wegen der seltsamen Situation und mit einem misstrauischen Blick auf Professor Snape begann sie: „Hagrid hat uns erzählt, er hätte ein verletztes Einhorn hinter seiner Hütte. Und da Sie mir mal gesagt hatten, dass Sie gerne eines sehen würden, dachte ich, ob Sie nicht mit Ron, Harry und mir mitkommen wollen und es anschauen?"Damit warf sie wieder einen verstohlenen Blick auf Severus. Aber der war nach wie vor in sein Buch vertieft.
Ein Einhorn! Cassy's größter Traum, was die magischen Geschöpfe anging, würde in Erfüllung gehen. Hermine hatte sie vor einiger Zeit einmal gefragt, welches Fabelwesen sie wirklich gerne einmal sehen würde. Ein Einhorn, war Cassy's spontane Antwort gewesen und Hermine hatte verträumt gelächelt und gesagt: „Ich auch." Cassy sah Hermine an und sagte: „Ja! Ich komme sehr gerne mit. Wann gehen wir los?"
„In einer Stunde treffen wir uns vor der Tür."Hermine schaute noch einmal auf Professor Snape. Der sagte in diesem Moment, ohne von seinem Buch aufzusehen: „Ich komme auch mit, wenn es recht ist."
Hermine blickte bestürzt auf. Was würden Ron und Harry sagen, wenn sie mit Snape im Schlepptau vor der Schule stand. Die würden das überhaupt nicht gut finden.
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Miss Granger", sagte Severus, der Hermines Gesichtsausdruck gesehen hatte. Er legte aufreizend langsam sein Buch weg und nahm den überheblichen Gesichtsausdruck und Ton an, den er immer im Unterricht pflegte. „Ich werde Sie heute Abend nicht bei dem Einhorn sehen und Sie haben mich hier nicht gesehen. Ist das ein Deal?" Dabei hatte er eine so ölige Stimme, dass Cassy ihn spontan hätte heftigst ohrfeigen können. Er zog arrogant eine Augenbraue hoch und sah Hermine mit einem kalten Blick an, der ihr gar keine andere Wahl ließ, als eingeschüchtert zu nicken.
Allerdings sah sie dabei fast erleichtert aus, weil der alte Snape offensichtlich noch existierte. Sie ging schnell zur Tür und machte sich auf den Weg in ihren Turm, um die Jungs zu holen. Was sie gesehen hatte, war für sie so ungeheuerlich, dass sie es ihnen sowieso nicht erzählt hätte. Sie hätten es ihr nämlich nicht geglaubt ... Als Hermine die Tür geschlossen hatte, sahen Cassy und Sev' sich an und fingen an zu lachen. „Severus, das war gemein. Gehst du nachher wirklich mit?"
„Ja. Auch ich habe noch nie ein Einhorn aus der Nähe gesehen. Es müssen wundervolle Tiere sein, wenn Hagrids Erzählungen stimmen. Allerdings wirst du mit dem Kroppzeug vorgehen und ich komme ein paar Minuten später nach. Und jetzt gehe ich in mein Büro und schaue nach, ob ich etwas finde, was Hagrid bei der Behandlung des Einhorns hilft."Er knöpfte sein Hemd zu, zog seine Schuhe an, nahm seinen Umhang und das Buch unter den Arm und sah wieder aus wie – ja – wie Professor Snape eben auf dem Weg zum Unterricht.
Bevor er die Tür öffnete, drehte er sich noch einmal um und sagte zu Cassy mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem fragenden Gesicht: „Was heißt eigentlich ‚ignorieren Sie ihn'?"Cassy lachte und scheuchte ihn mit einer Handbewegung aus dem Raum. „Denk' einfach mal drüber nach!"
***
Fast zeitgleich kam Cassy mit den Schülern vor dem Schloss an. Die drei grüßten schon von weitem und waren genauso aufgeregt wie sie. An Hagrids Hütte angekommen, ging die Diskussion los, wer zuerst in die Hütte gehen sollte. Nicht, weil jeder der Erste sein wollte, sondern weil der Erste auch automatisch derjenige war, der Fang abbekam.
Mit einem berechnenden Grinsen hatte Ron beschlossen, dass Cassy zuerst gehen sollte. Heute wollte er die dreieinhalb Tonnen Hund nicht wieder auf seinen Beinen liegen haben. Von dem literweisen Gesabber direkt in seine Haare und seinen Kragen ganz zu schweigen. Uuääh, dachte Ron und schüttelte sich. Harry und Hermine waren sehr schnell von Ron's Idee zu überzeugen und unterstützten ihn bei seinem Vorhaben tatkräftig und so schoben sie Cassy vor sich her, als sie zu Hagrids Hütte kamen. Cassy klopfte an die Tür und wühlte etwas aus ihrem Umhang, das sie in der verborgenen Hand hielt. Auch sie hatte sofort an Fang gedacht und sich von Dobby etwas für den Hund aus der Küche bringen lassen. In der Hütte schlug Fang wie toll an und sprang krachend von innen gegen die Tür. Die vier gingen sicherheitshalber einen Schritt zurück. Sie hörten Hagrids ärgerliche Stimme und konnten an den Geräuschen hinter der Tür hören, dass er wohl mit dem Hund um die Vorherrschaft an der Türklinke rangelte. Dann öffnete Hagrid. Dass er zerzaust aussah war eigentlich nichts Neues. Aber man konnte ihm tatsächlich noch die Spuren des Kampfes mit Fang ansehen. Er hielt den Hund im Genick fest und bat die vier herein.
Fang wedelte so heftig mit dem Schwanz, dass sein ganzes Hinterteil hin- und herschwenkte. Er hatte einen verführerischen Duft aufgenommen und der kam direkt von Cassy. Der Hund ignorierte entgegen seinem sonstigen Verhalten erst einmal Ron, Harry und Hermine und konzentrierte sich voll auf Cassy. Sie ließ die Schüler vorbei und blieb direkt an der Tür stehen. Dort stellte sie sich in Position und sah Hagrid an. „Lassen Sie ihn ruhig los", forderte sie den Wildhüter auf. Hagrid schaute sie zweifelnd an und fragte: „Sicher?"Cassy nickte. Hoffentlich ging ihre Strategie auf, sonst würde sie in wenigen Sekunden auf dem Rücken liegen, mit einer Sabbermaschine in der Größe und der Gewichtsklasse eines Kalbes auf der Brust. Die drei Schüler hatten sich in ihre Ecke verdrückt, wo sie immer saßen, wenn sie Hagrid besuchten und schauten dem Schauspiel zu. Dann ließ Hagrid den Hund los. Mit einem Satz wollte er sich auf Cassy stürzen. Sie blieb stehen, wie ein Fels in der Brandung und sagte scharf: „Sitz, Fang!"Der Hund bremste quasi im Flug ab und kam vor ihr schlitternd zum Stehen. Er hatte den Befehl natürlich nicht verstanden, aber Cassy's Stimme ließ keinen Zweifel zu, dass sie etwas von ihm wollte und sie hatte irgendwo etwas zu fressen. Wenn er sich jetzt nicht benehmen würde, dann bekäme er es vielleicht nicht, denn er ging fest davon aus, dass es für ihn war. Also setzte er sich lieber wie ein Musterhund auf einer Ausstellung in Positur und rührte sich nicht. Er schaute sie mit schief gelegtem Kopf und treuen Augen an. Langsam drehte Cassy ihre Hand nach vorne und hielt ihm die kleine Kalbfleischpastete hin. Mit der anderen hatte sie den Zeigefinger erhoben, um ihm zu zeigen, dass er sitzen bleiben sollte. Fang kannte auch die Muggel-Hunde-Erziehungs-Zeichensprache nicht. Er gierte ausschließlich auf die Pastete. Und es war ihm eigentlich völlig schnuppe, was Cassy wollte. Er hatte jetzt lange genug gewartet und diesen Unsinn mitgemacht. Mit einem schnellen Schnapp hatte er nicht nur die Pastete in der Schnauze, sondern auch Cassy's gesamte Hand. Die war völlig überrascht und schaute auf ihren Arm, der bis über die Armknöchel in Fang's Maul verschwunden war. Fang hatte die kleine Pastete mit seiner überdimensionalen Zunge einfach aus Cassy's Hand geschabt, ohne Cassy irgendwie zu verletzen und hatte das kleine Gebäck in einem Stück heruntergeschluckt. Eigentlich hatte er fast nichts von dem gemerkt, was gerade durch seinen Hals gefallen war, aber es hatte wirklich gut gerochen. Sie zog ihre Hand aus der Hundeschnauze und betrachtete den Sabber und die restlichen aufgeweichten Pastetenkrümel darauf mit einem tief angeekelten Gesicht. Als die anderen Cassy's Gesichtsausdruck sahen, fingen sie alle laut an zu lachen und Hagrid zeigte ihr grinsend, wo sie die Hände waschen konnte. Fang allerdings blieb brav zu Cassy's Füßen sitzen. Man wusste ja nie, ob es nicht doch noch etwas abzustauben gab.
„Woher wussten Sie das?", fragte Ron erstaunt und in seinem Hinterkopf hatte sich gerade der Gedanke gefestigt, dass er Hagrid's Hütte nur noch mit Fresszeug bewaffnet betreten würde. Cassy musste lachen. „Psychologie. Funktioniert bei Schülern übrigens auch. Zwar nicht mit Pasteten, aber mit Punkten."In diesem Moment klopfte es. Fang hob den Kopf und knurrte. Cassy wusste, dass Severus kam, als sie Fang's drohendes Knurren hörte.
***
„Guten Abend, Professor Snape", hörten sie Hagrid sagen. Fang war aufgestanden und sein Rückenfell sträubte sich. Wieder hatte er die Lefzen hochgezogen und ließ sein Furcht erregendes Gebiss sehen. „Leg dich hin", befahl Cassy dem Hund mit leiser Stimme und ihre Hände griffen erneut in den Umhang. Als Fang diese Geste sah, ließ er sich wieder vorwarnungslos auf ihre Füße fallen, wobei Cassy schmerzhaft das Gesicht verzog. Severus allerdings war auf das Höchste erstaunt, dass er sich einmal nicht mit dem dämlichen Köter von Hagrid herumschlagen musste. Er mochte den Hund nicht und das beruhte auf Gegenseitigkeit.
„Ich habe gehört, sie hätten ein verletztes Tier und wollte Ihnen bei der Behandlung helfen, Hagrid."
„Das muss Gedankenübertragung sein, Professor. Ich hatte nämlich vorhin überlegt, dass ich sie ganz gut dabei brauchen kann. Ich bin echt froh, dass sie da sind. Wir warten jetzt nur noch auf Poppy."In seiner Sorge um das Einhorn fragte Hagrid sich nur kurz, woher Snape von dem Tier wusste, aber da Poppy und Snape sich öfter sahen, nahm er an, dass sie ihn informiert hatte.
„Poppy? Ist das Tier so schwer verletzt?"Mit diesen Worten von Severus waren die beiden in den Raum eingetreten und Cassy sah, wie betrübt Hagrid nickte. Er zog ein tischtuchgroßes Taschentuch aus seiner Hose und schnäuzte sich, dass man den Eindruck haben konnte, in der kleinen Hütte wäre ein Orkan ausgebrochen. Severus hatte eine Ledertasche umhängen, in der Glas klimperte und ging dem schnäuzenden Hagrid sicherheitshalber ein wenig aus der Schusslinie. Dann blieb sein Blick auf Cassy hängen. Seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, als hätte er gerade ein Nest mit besonders widerlichem und hartnäckigem Ungeziefer in Hagrid's Hütte entdeckt.
„Aaah, Miss Parker. Überall dabei, wo es was zu sehen gibt, nicht wahr?" Snapes Ton war schmierig und seine kalten Augen blieben herausfordernd auf ihr ruhen. Hermine fragte sich einen Moment verwirrt, ob das vorhin in Cassy's Appartement nicht doch jemand anderer als Professor Snape war.
„Aaah, Professor Snape. Immer bemüht, dass Ihnen ja nichts entgeht, was auf dem Schlossgelände so passiert, nicht wahr?", gab Cassy zuckersüß lächelnd zurück. Die drei Schüler unterdrückten nur mit Mühe ein Kichern und Severus sah sie mit einem solch' giftigen Blick an, dass Cassy unwillkürlich unwohl wurde. Er beherrschte diese Schauspielkunst meisterhaft.
„Und was habt ihr um diese Uhrzeit hier noch verloren?"raunzte er die drei Schüler an. Die zuckten zusammen und wollten gerade Antwort geben, als Hagrid sich einmischte. „Die drei sin' auf meine Bitte hier. Iss'en Sonderkurs für magische Geschöpfe."Severus konnte nichts mehr sagen und stand mal wieder auf verlorenem Posten. „Gehen wir endlich?", fragte er Hagrid leicht ungeduldig und Fang hob bei seinem unfreundlichen Ton knurrend den Kopf. Da klopfte es wieder und Madam Pomfrey war endlich da.
***
Die Gruppe machte sich auf den Weg. Bevor sie jedoch gehen konnten, hatte Fang überlegt, dass die ganze Aktion auf gar keinen Fall ohne ihn stattfinden würde und stand startbereit an der Tür. Hagrid nahm ihn im Genick und bedeutete den anderen, schon rauszugehen. Dann brach erneut ein unglaublicher Ringkampf zwischen ihm und dem Hund aus, aber zum Schluss war Hagrid vor der Tür und Fang drinnen. Der Hund heulte wie ein Wolf über die Ungerechtigkeit, dass er nicht mitdurfte und sprang noch einmal mit seinem gesamten Gewicht von innen so fest gegen die Tür, dass sie wackelte. Dann hörten sie etwas zu Bruch gehen. „Dieser verdammte Hund", knurrte Hagrid sauer. „Er zerlegt mir garantiert wieder die Einrichtung, weil es nicht nach seinem Kopf geht."Dann seufzte er tief und ging mit der Gruppe um die Hütte.
***
Hagrid hatte einen Holzverschlag gezimmert, in dem das verletzte Einhorn lag. Er und Severus gingen zuerst hinein. Sie hatten die Schüler, Poppy und Cassy gebeten, vor der Tür zu warten, bis das Einhorn beruhigt und behandelt worden war. Diese sehr scheuen, stolzen Geschöpfe ließen sich normalerweise nur von Jungfrauen anfassen und bändigen.
Als Hagrid den Verschlag betrat, hob das Einhorn kurz den Kopf, aber es blieb ruhig liegen. Erst als Severus eintrat, wurde es unruhig. Er kniete sich neben das Tier und sprach beruhigend auf es ein. Das Einhorn versuchte ihn zu attackieren, aber es war zu schwach, als dass es ihn verletzen konnte. Seinem scharfen, spitzen Horn ging Severus jedoch trotzdem sorgfältig aus dem Weg. Dann sah er die Verletzungen. Es waren viele kleine Schnitt- und Schürfwunden am Bauch, die Hagrid alle schon fachkundig versorgt hatte, allerdings war der mit einem Stock fixierte Vorderlauf des Einhorns in Tücher gewickelt, die mit einer silberfarbenen Flüssigkeit durchtränkt waren. Mit Einhornblut.
„Es muss fürchterlich gestürzt sein. Sein Bein ist mehrfach gebrochen und ich habe die Blutung zwar stoppen können, aber sie bricht in regelmäßigen Abständen wieder auf. Ich dachte eigentlich, ich könnte es alleine wieder fit bekommen, aber mit den Blutungen komme ich nicht zurecht, dazu fehlt mir die Medizin."Hagrid hatte sich schwer neben Severus auf die Knie fallen lassen und Severus hätte es nicht gewundert, wenn die Wände des Verschlages kurz gebebt hätten. Er sah den Zaubertränkemeister abwartend an.
„Ich habe eine blutstillende Tinktur mitgebracht. Die können Sie übrigens nachher behalten. Schauen Sie Poppy zu, wie sie angewendet wird. Es ist ganz einfach. Es kann auch bei Menschen angewandt werden", erklärte Severus und öffnete seine Tasche. Einige der Dinge würde Poppy auch dabei haben, aber er hatte einen besonderen Beruhigungstrank dabei, der auch größere Geschöpfe für eine längere Zeit ruhigstellen konnte. Er stellte mehrere kleine Flaschen auf den Boden, und fischte den schwarzen Trank dazwischen heraus. „Halten Sie es ruhig. Ich werde ihm zuerst den Beruhigungstrank einflößen."Hagrid versuchte mit seinen großen Pranken behutsam den Kopf des Tieres zu halten und ihm das Maul zu öffnen, aber das Einhorn wehrte sich verbissen. Man sah ihm an, dass es alle Kräfte mobilisierte, um sich gegen die unerwünschte Berührung zu wehren. Und der gutmütige Hagrid brachte es einfach nicht fertig, das Einhorn richtig fest zu halten. Er hatte Angst, dass er seine Kraft nicht kontrollieren konnte und es verletzen würde. Nach einer Weile sagte Hagrid: „So hat es keinen Zweck."Er seufzte: „Am einfachsten wäre es, wenn wir eine Jungfrau hier hätten. Die könnte mit dem Tier machen, was sie wollte." Severus überlegte nur sehr kurz, stand auf und ging vor die Tür. Die kleine Gruppe sah ihn erwartungsvoll an, aber er ging direkt auf Hermine zu. „Ich brauche Ihre Hilfe, Miss Granger", sagte er, nahm sie bei der Hand und schleppte sie mit in den Verschlag. Die Anderen ignorierte er einfach.
„Was war denn das?", fragte Poppy Cassy. Die zuckte mit den Schultern und meinte: „Wir werden es erfahren, Madam Pomfrey. Sie kennen Professor Snape doch besser als ich."
Hagrid sah erstaunt auf Snape, der mit Hermine im Schlepp wieder in den Verschlag trat. „Ich denke, Miss Granger wird uns versuchen zu helfen", sagte er bestimmt und hoffte inständig, dass er sich in Hermine nicht täuschte. Sie war stehengeblieben und sah das Tier hingerissen an. „Es ist wunderschön", flüsterte sie und hatte ihre Hände auf ihre Brust gelegt.
„Aber es ist krank, Miss Granger und braucht unsere Hilfe", holte Snape's schneidende Stimme sie in die Wirklichkeit zurück. „Sie können es vielleicht dazu bewegen, dass es das Maul öffnet und den Beruhigungstrank schluckt."
„Warum ich, Professor?"Snape schluckte. Wie sollte er jetzt reagieren. Es war ihm peinlich, aber als er gerade zu einer kilometerweit an der Wahrheit vorbeigehenden Antwort ansetzen wollte, holte Hagrid aus der peinlichen Situation heraus, was nur herauszuholen war. Er hatte voll Mitleid das Einhorn angeschaut und sagte jetzt aus tiefstem Herzen überzeugt und ohne nachzudenken: „Weißt du, Hermine, weil nur eine Jungfrau es anfassen und beruhigen kann. Also tu' dein Bestes."Dabei blickte er weiter mit einem Herz zereißenden Ausdruck auf das verletzte Tier.
Hermine sah von Snape zu Hagrid und wieder zu Snape. Sie war tief rot geworden, aber nur für einen kurzen Moment. Dann sah sie Snape mit einem kessen Grinsen an und meinte mit dem gleichen öligen Ton in der Stimme, den Severus normalerweise gepachtet hatte: „Ihr Vertrauen ehrt mich, Professor Snape." Jetzt war es Severus, der eine Gesichtsfarbe hatte, gegen die eine überreife Tomate blass und farblos wirkte. Er konnte jetzt nicht aufbrausen und wütend werden. Erstens wäre das Einhorn wahrscheinlich vor Schreck durch die geschlosse Wand des Verschlages geflohen. Zweitens hatte Hermine ihn bei Cassy gesehen und Severus war nicht so vertrauensseelig wie Cassy. Daher wollte er lieber auf Nummer Sicher gehen und schluckte seine bissige Bemerkung herunter, bevor er daran erstickte. Stattdessen sah er tatsächlich verlegen auf seine Schuhe und Hermine machte keinen Hehl aus ihrer Schadenfreude, dass Professor Severus Snape jetzt einmal am eigenen Leib eine Situation erlebte, in die er sonst seine Schüler mit Freude schickte. Seine Verlegenheit war ihr eine Genugtuung für die ganzen Gemeinheiten, die sie in den letzten fünf Jahren über sich ergehen lassen hatte, ohne sich wehren oder rechtfertigen zu können. Und außerdem hätte sie nicht im Entferntesten daran gedacht, dass der fahlhäutige Professor Snape zu einem solchen Farbenspiel in seinem Gesicht fähig wäre ... Sie kniete sich neben das Einhorn und begann seinen Kopf zu streicheln. Es hielt ganz ruhig und sah Hermine an, dabei schnaubte es leise. Severus hatte sich wieder einigermaßen im Griff – den schadenfrohen Blick von dieser Göre würde er so schnell nicht vergessen.
„Das Einhorn muss diesen Trank schlucken. Wenigstens ein paar Tropfen. Aber geben sie ihm so viel, wie Ihnen möglich ist", sagte er sanft zu Hermine und reichte ihr die Phiole. Sie schaute ihn noch einmal grinsend an, dann hob sie den Kopf des Einhorns und legte ihn auf ihren Schoß, dabei sprach sie ständig beruhigend auf das Tier ein. Sie zog dem Einhorn an der Seite die Oberlippe hoch und begann, die schwarze Flüssigkeit in sein Maul zu tropfen. Als einiges zwischen seine Zähne gesickert war, leckte das Einhorn mit seiner großen Zunge herum und schluckte die Tropfen. Diese Prozedur wiederholte Hermine noch dreimal. Dann nahm Snape ihr den Trank weg und sagte, dass es genug sei. Die Augen des Fabelwesens wurden langsam trübe und fielen zu. Hermine war völlig hingerissen von dem wunderschönen Tier und streichelte es auch jetzt noch beruhigend weiter, wo es bereits schlief. Jetzt konnte Poppy mit ihrer Arbeit beginnen. Hagrid war glücklich, dass Hermine das alles so gut hinbekommen hatte.
„Ich hatte mich noch nie in dir getäuscht, Hermine", polterte er jetzt und war sich der Peinlichkeit immer noch nicht bewusst, die er in den Raum zurückholte. Hermine nickte nur und starrte angestrengt auf den schönen Kopf des Einhorns. Während Severus auffallend schnell zur Tür ging und Poppy reinholte. Cassy und die beiden Jungs mussten sich noch ein bisschen gedulden.
Nach einer Stunde kam Poppy heraus und holte auch die drei Wartenden herein. Als Cassy das Einhorn sah, war sie überwältigt von seiner Schönheit. Es war so rein weiß und silbern, dass man denken konnte, die eigenen Augen hätten die Fähigkeit, Farbe zu sehen verloren. Es lag eine weiß-blaue Korona um den Körper des Tieres, wie der Kranz, der an sehr kalten Wintertagen um den Vollmond lag. Es war überirdisch schön. „Es sieht so unschuldig aus", sagte Cassy leise, Hermine grinste Snape noch einmal spöttisch an und sagte: „Ja, nicht wahr? Und es kann auch nur von Jungfrauen beruhigt werden." Snape warf ihr einen mörderischen Blick zu, aber seit dem Moment, wo er einen roten Kopf bekommen hatte wegen ihr, konnte sie ihn nicht mehr so ernst nehmen. Cassy sah das Blickspiel der beiden nicht, weil sie das Einhorn inständig betrachtete. Auch Harry und Ron waren tief beeindruckt. Alle berührten das schlafende Tier mit äußerstem Respekt. Cassy war in der Zwischenzeit zu Hermine gegangen, die immer noch auf der Erde kniete mit dem Kopf des Tieres auf ihrem Schoß und ging neben ihr in die Knie.
Das Einhorn wurde langsam unruhig, zuckte mit den Läufen und dem Kopf und schnaubte. Der Trank begann nachzulassen und es öffnete die Augen. Hagrid nahm Harry und Ron zur Seite und bat die beiden, schon einmal in die Schule zurückzukehren, da für das Tier jetzt zu viele Leute hier waren. Auch Poppy verabschiedete sich. Sie wollte die Jungs mit ins Schloss nehmen. Die Drei verließen mit Hagrid den Verschlag. Der wollte nachschauen, was Fang von seiner Einrichtung übrig gelassen hatte. Hermine sollte zur Beruhigung des Einhorns noch einen Augenblick bleiben.
Das Einhorn bewegte seinen Kopf auf einmal ruckartig und bevor Cassy reagieren konnte, hatte das scharfe Horn ihren Oberschenkel durch die Robe und die Baumwollhose eine Handbreit aufgeschlitzt. Hermine drückte geistesgegenwärtig ihre Hand auf die klaffende Wunde. Das Horn hatte wohl eine Arterie getroffen, anders war die Menge von Blut nicht zu erklären, die jetzt zwischen Hermines Fingern hervorquoll. Severus war kreidebleich geworden und sofort aufgestanden. Cassy blickte im ersten Moment völlig teilnahmslos auf die Wunde, als würde das Bein gar nicht ihr gehören. Dann wurde sie blass. Hermine schob sie mit sanftem Nachdruck vom Einhorn weg, das jetzt wieder völlig ruhig da lag und legte Cassy hin. Das war innerhalb weniger Sekunden geschehen und Cassy bewunderte das Mädchen insgeheim wegen ihrer Geistesgegenwart.
„Miss Parker, bitte bewegen Sie sich nicht und Sie, Hermine", in seiner Aufregung vergaß er das arrogante ‚Miss Granger' - „pressen weiter die Hand auf die Wunde", sagte Snape mit beruhigender, dunkler Stimme. Dann verließ er sofort den Verschlag, um Poppy zu holen. Sie konnte noch nicht weit sein.
„Halten Sie still, Miss Parker", wiederholte Hermine noch einmal Snape's Worte und nahm eine Hand von Cassy in ihre, um sie zu trösten. „Professor Snape wird sofort mit Hilfe da sein."Dabei drückte sie mit der anderen Hand mit aller Kraft die Wunde zusammen. Cassy hatte nur einen sehr kurzen Schockmoment und wollte Hermine diese Arbeit abnehmen, aber das Mädchen schüttelte den Kopf, drückte sie sanft zurück auf das Stroh und sagte: „Lassen Sie mich. Ich habe die Sache im Griff. Wie fühlen Sie sich?" Cassy lächelte. Hermine war so ruhig und überlegen. „Es geht mir gut."Wie alt war sie? Fünfzehn? Aber nur nach Jahren - nicht nach Reife. Nach einer Weile sagte Cassy: „Ich finde es bewundernswert, wie Sie die Nerven in einer solchen Situation behalten." Hermine lachte und antwortete: „Meine Eltern sind beide Ärzte - Zahnärzte. Da bekommt man doch Einiges mit. Vor allem, wie man Patienten ruhig hält." Cassy schmunzelte, dann begann die Wunde zu brennen und ziehen und sie verzog schmerzlich das Gesicht. „Ich frage mich nur, warum ich nicht einmal etwas anschauen kann, ohne, dass mir irgend etwas Unangenehmes dabei zustößt?" Hermine sah sie fragend an. Sie konnte nicht wissen, dass einige der Ausflüge, die Cassy mit Severus gemacht hatte, auch unangenehme Seiten bereit gehalten hatten.
„Lieben Sie Professor Snape?", fragte Hermine in diesem Moment geradeheraus und schaute sie neugierig an. Irgendwie hatte der heutige Abend ihr einfach keine Ruhe gelassen und jetzt war sie mit Cassy alleine und wollte es wissen. Nur für sich. Zur Befriedigung ihrer Neugier. Cassy schloss kurz die Augen und wollte gerade antworten, als der Verschlag wieder aufging und Severus mit Hagrid und Poppy hereinkam. Hermine hätte die drei am liebsten mit dem Erstarrungsfluch belegt. Es war doch so romantisch und jetzt würde sie wieder nicht erfahren, was wirklich los war.
Poppy nahm Hermines Hand kurz von der Wunde und besah fachmännisch den Riss, aus dem in regelmäßigem Takt das Blut pulsierte. „Ist nicht so schlimm", meinte sie beruhigend zu Cassy. Dann bat sie Hermine, ihre Hand noch einmal so lange draufzudrücken, bis sie sich vorbereitet hatte. Unter Cassy's Bein hatte sich nun doch schon ein mehr als handtellergroßer Blutfleck ausgebreitet. Severus hatte sich in den Halbschatten des Verschlages zurückgezogen und sah alles andere als arrogant oder selbstgefällig aus. Es war ihm nicht möglich, ein teilnahmsloses Gesicht zu machen. Hermine sah ihn kurz an und Cassy musste ihr die Frage nicht mehr beantworten. Sorgenvoll sah er Poppy bei der Behandlung zu. Aber sie hatte das Ganze routiniert im Griff. Sie nahm Cassy den Umhang ab und schnitt ihr kurzerhand das Hosenbein ab, damit sie besser an die Wunde kommen konnte. „Sieht auch als kurze Hose ganz nett aus", kommentierte sie Cassy's Gesichtsausdruck, als sie das Hosenbein in die Ecke warf. Sie nahm die gleiche Phiole aus Severus' Tasche, mit der sie das Einhorn behandelt hatte und erklärte Hermine, dass sie die Wunde kurz loslassen sollte, damit Poppy die Flüssigkeit daraufschütten konnte. Die Blutung stoppte sofort an den Stellen, wo die Flüssigkeit auftraf. Danach murmelte sie etwas und verschweißte mit einem dünnen Strahl aus ihrem Zauberstab, der einem Laser sehr ähnlich war, die Wunde. Cassy hatte keine Schmerzen mehr, als die Tropfen der Flüssigkeit ihre Haut berührten und das Verschweißen der Wunde hatte sie gar nicht gespürt. Nicht erspart blieb ihr allerdings der unangenehme Geruch von verbranntem Fleisch, den diese Zauberaktion hinterließ.
Cassy sah kurz zu Severus. Er verstand ihren Blick und sagte: „Wenn Sie ruhig alle schon vorgehen würden", sagte er zu Poppy, Hermine und Hagrid. „Ich werde auf Miss Parker aufpassen und sie mit ins Schloss nehmen."Dabei sah er Cassy mit einem Ausdruck im Gesicht an, als hätte er große Zweifel, dass sie überhaupt in der Lage war ohne Hilfe freihändig zu laufen. „Wir räumen nur noch ein wenig auf."Poppy nahm die im Moment doch sehr schwerfällige Hermine am Arm und zog sie fast gewaltsam aus dem Verschlag. „Ab jetzt. Ins Schloss. Es reicht für heute", hörten Severus und Cassy die energische Stimme der älteren Frau. In der Tür wandte Hermine sich noch einmal um und grinste Cassy und Severus verschwörerisch an. Dann ging sie. Hagrid war schon vorausgegangen, weil Fang in seinem Zorn Hagrid's halbe Einrichtung in Schutt und Asche gelegt hatte und er mit dem unmöglichen Hund jetzt noch ein ernstes Wörtchen zu reden hatte. Er wusste, dass er sich auf Professor Snape verlassen konnte und dieser den Verschlag sorgfältig verschließen würde.
***
„Bist du in Ordnung?", fragte Severus Cassy noch einmal und hatte sie bei den Schultern genommen. Sie saß noch immer auf dem Boden des Verschlages mit dem Rücken an der Wand gelehnt.
Cassy nickte. „Alles ok." Dann kniete Severus sich noch einmal neben das Einhorn und streichelte es. Auch er war beeindruckt von der Schönheit und Vollkommenheit des Geschöpfes und wollte es noch einen Augenblick in Ruhe ansehen, ohne, dass er sich im Beisein der Anderen verstellen musste, als würde ihn das alles nicht interessieren. Das Tier hatte die ganze Zeit ruhig gelegen und sich nicht mehr bewegt. Es hatte wohl gemerkt, dass ihm niemand Schaden zufügen wollte. Jetzt schnaubte es ein wenig und ließ sich Severus' Streichelei gefallen. „Morgen früh bist du über den Berg", hörte Cassy Severus mit sanfter Stimme auf das Einhorn einreden. Dann stand er auf und half auch Cassy auf. Als sie so dicht vor ihm stand, mit einem langen und einem kurzen Hosenbein, war es ihm egal, ob Hagrid noch einmal kommen würde. Er nahm Cassy in die Arme und küsste sie auf die Stirn. „Ich hatte Angst um dich", flüsterte er ihr zu und drückte sie an sich.
***
Als er mit ihr auf dem Rückweg zum Schloss war, schmerzte plötzlich das Mal. Unwillkürlich griff er an seinen Unterarm. Cassy hatte die Bewegung gesehen und sah ihn nervös an. „Was hast Du?", fragte sie ihn ängstlich. Sie wusste, was er hatte und sie wollte nicht, dass er gehen würde.
„Es ist nichts", gab Severus zur Antwort.
Er war sehr müde von seinem Einsatz bei Hagrid, aber er musste gehen. Als er in Cassy's aufgeregtes Gesicht sah, hob er die Hand und streichelte ihre Wange. „Wir müssen reden, wenn ich wieder zurück bin. Es ist wirklich wichtig. Wartest du auf mich?"Cassy nickte. Dann hörte sie Flügelschlagen über sich und wusste, dass Aratos im Anflug war und Severus begleiten würde. Er übergab ihr seine Tasche mit den Zaubertränken und hetzte im Laufschritt vor die Tore Hogwarts. Sie würde auf ihn warten. Jetzt musste sie aber erst einmal schnellstmöglich Dumbledore und Remus Bescheid geben.
***
In ihrem Appartement ging sie hin und her und war mehr als einmal versucht, vor der Tür auf Severus zu warten, aber das ging nicht. Es war gespenstig ruhig. Es war immer ruhig, wenn man auf etwas wartete. Die Zeit schien mit besonderem Sadismus ihren Takt zu verlangsamen und die Sekunden und Minuten schlichen träge dahin. Nach einer Stunde ruhelosen hin- und hertigerns wurde sie langsam müde. Es war auch schon sehr spät. Mitternacht war längst vorbei. Die Narbe an ihrem Oberschenkel hatte angefangen zu schmerzen und sie kuschelte sich mit einer dicken Decke in ihren Sessel. Diese Warterei machte sie verrückt. Sie versuchte sich mit einem Buch abzulenken, aber es gelang nicht. Severus würde ihr wahrscheinlich heute Abend sagen, wohin er immer verschwand. Wie gerne würde sie ihm das ersparen, aber durch ihre Entscheidung, dass er nicht wissen sollte, wer sie war, musste sie ihn kommen lassen. Viele Male schon hatte sie sich sehr elend gefühlt, weil er ihr mittlerweile vertraute und sie doch mehr wusste, als sie ihm gegenüber zugeben konnte. Belog sie ihn eigentlich dadurch? War das wirklich Lügen? Hintergehen? Sie wusste es nicht. Einerseits ja, andererseits vielleicht. Nein? Nein, konnte man nicht sagen. Aber Cassy konnte nicht mehr zurück. Sie hatte diesen Weg - mit Unterstützung und Einverständnis von Dumbledore - gewählt und sie war sich sicher, dass Severus es ihr zum jetzigen Zeitpunkt nicht verzeihen würde, wenn er die tatsächlichen Umstände ihres Aufenthaltes in Hogwarts erfahren würde und dass sie sie mit voller Absicht so lange vor ihm geheim gehalten hatte. Irgendwann würde sie es ihm aber sagen müssen. Nur jetzt noch nicht, in dieser wundervollen Zeit, in der sie mehr Liebe und Geborgenheit erfahren hatte als jemals zuvor in ihrem Leben. Er war der Mann, nach dem sie sich schon immer mit jeder Faser ihres Herzens gesehnt hatte und sie würde einen Weg finden, ihm auch dieses letzte Geheimnis schonend zu offenbaren. Aber eben jetzt noch nicht. Irgendwann. Vielleicht.
Dann war sie doch eingeschlafen und Severus hatte sich mit einem simplen Öffnungszauber Zutritt verschafft, weil er mit Cassy reden musste. Als er sie schlafend sah, überlegte er kurz, ob er das Gespräch nicht auf morgen verschieben sollte, aber dann weckte er sie sanft auf und setzte sich in den anderen Sessel.
Er schilderte ihr in stockenden Worten und ohne sie anzusehen, was er tat, was er früher einmal war, was er jetzt sein musste und was er nie wieder sein wollte. Cassy war froh, dass Dumbledore sie vorgewarnt hatte und dass sie sein wahres Empfinden im Haus ihrer Freunde hatte sehen können. Sie wusste nicht, ob sie ihn unter anderen Umständen jemals hätte lieben können, ob sie sich jemals die Mühe gemacht hätte, sein wahres Ich erkennen zu wollen. Niemals hätte sie ein einziges Wort seines Bedauerns geglaubt. Und sie schämte sich, als sie merkte, dass sie doch nicht so vorurteilsfrei war, wie sie immer von sich behauptete. Wie sehr ihn seine Aufgabe belastete, hatte sie in den vergangenen Monaten immer und immer wieder gespürt. Als er seinen Bericht geendet hatte, stand er sofort auf und wollte gehen. „Severus, warte."Er blieb mit gesenktem Kopf an der Tür stehen, dann drehte er sich langsam um. Cassy legte eine Hand in seinen Nacken und zog sein Gesicht zu sich herunter. Dann küsste sie ihn und nahm ihn in den Arm. „Du musst da nicht alleine durch. Ich bin immer für dich da."Er umarmte sie kurz und lächelte sie dankbar, aber irgendwie distanziert an. Das Geständnis war ihm nicht leicht gefallen und er wollte jetzt alleine sein.
Was hätte Cassy ihm auch sagen sollen? Dass alles nicht so schlimm war? Das wäre die größte Verhöhnung aller Opfer gewesen, die bis heute durch Voldemort gestorben waren. Dass alles vorbei geht? Das wusste Severus selbst. Dass alles ein gutes Ende nehmen wird? Das wäre reine Selbsttäuschung gewesen.
Cassy blieb nachdenklich zurück, weil der Vorfall bei Ellen und Robert noch einmal in ihr Gedächtnis zurückgekehrt war. Es war aber irgendwie schon so lange her ... Ewigkeiten? In einem anderen Leben? Ganz bestimmt.
Und sie merkte mit leiser Bestürzung, dass der Gedanke der heißen Rache für ihre Freunde abgekühlt war im Laufe der Zeit. Er war zurückgetreten hinter den Gedanken der quälenden Angst und Sorge um den Mann, den sie liebte.
***
Das Wetter wurde kälter und ungemütlicher. Zwischendurch musste Severus immer mal überstürzt weg, kam aber ohne größere äußerliche Blessuren zurück. Die seelischen waren dafür um so schlimmer. Besonders, wenn sogar kleinste Kinder umgebracht wurden.
Von Anfang an war er direkt nach den Einsätzen immer in seine Unterkunft gegangen. In seinem Büro hatte er jedes Mal angefangen, irgendwelche Tränke zu brauen, um seine aufgewühlten Nerven zu beruhigen. Das Geräusch der blubbernden Flüssigkeit hatte dabei eine äußerst entspannende Wirkung auf ihn. Dieses Geräusch war in den vergangenen Jahren sein Inbegriff eines Zuhause geworden. Jetzt war es nicht nur die Gewohnheit, die ihn in sein Büro trieb - er konnte Cassy nicht mit seinem Erlebten belasten.
Er blieb mit seinen niederschmetternden Gefühlen wieder alleine.
***
Cassy sah sich das eine Weile an. Sie war sich im Klaren darüber, dass er, trotz seiner aufflammenden Gefühle und der Liebe, die er ihr entgegenbrachte, noch immer nicht in der Lage war, seine tiefsten Ängste mit ihr zu teilen. Dazu war er einfach viel zu lange alleine gewesen. Wenn er in Gedanken versank, sah sie sein mitgenommenes Gesicht und wusste, dass er wie ein Bessessener daran arbeitete, seine frischen Erlebnisse in den Griff zu bekommen. Wie lange konnte er das noch mit sich selbst ausmachen. Konnte er das überhaupt schon einmal wirklich mit sich selbst ausmachen oder versanken diese Eindrücke gnädig in seinem Unterbewusstsein und er musste sich nicht mehr darum kümmern? Seine Erlebnisse wurden immer grausamer, weil Voldemort immer menschenverachtender agierte. Cassy spürte seinen Konflikt mit der ihr angeborenen Sensibilität und es machte sie rasend, dass einem Menschen so etwas angetan wurde. Vor allen Dingen einem solch wundervollen Menschen, wie Severus. Sie musste mit ihm reden, um ihm zu helfen. Von alleine würde er nicht kommen. So saß sie eines Abends entschlossen in seinem Appartement, als er von einem Einsatz zurückkam. Überrascht, unterschwellig ärgerlich fragte er sie, wie sie hereingekommen war, aber sie gab ihm keine Antwort. Sie konnte auf seinem Gesicht sehen, dass es ihm überhaupt nicht passte, dass sie ohne zu fragen hierher gekommen war.
Sie stand auf und ging auf ihn zu. „Ich bin so froh, dass du wieder da bist", begrüßte sie ihn. Sie nahm seine Hände und blickte ihn eindringlich an. Aber er wich ihrem Blick aus. Er blieb einfach stehen. Er wich ihr vor allen Dingen aus, weil er sich schämte. Weil er sie nach dem heutigen Einsatz, wo wieder ein Mensch getötet wurde und er wieder nichts dagegen tun konnte, einfach noch nicht anschauen konnte. Er fühlte sich schuldig, schuldig, schuldig.
„Du musst da nicht alleine durch", wiederholte sie ihr Angebot leise und sanft und streichelte seine Wange. Als er noch immer nicht reagierte, aber auch nichts sagte, legte sie ihre Arme um seine Taille und zog ihn an sich. Severus verhielt sich völlig steif, fast abwehrend. Er wusste nicht, was er tun sollte. Ihre Anwesenheit empfand er in seinem aufgewühlten Zustand als aufdringlich. Sie war einfach in seine Unterkunft gekommen und hatte ihn überrumpelt. Seine Unterkunft war noch immer seine Trutzburg, in die er sich jederzeit zurückziehen konnte und in der er sich sehr geborgen fühlte, auch wenn es manchmal nach außen einen anderen Eindruck erweckte. Gequält schloss er die Augen. Als Cassy das sah, krampfte sich ihr Herz zusammen. Sie würde ihn jetzt auf keinen Fall alleine lassen, auch wenn seine ganze Körperhaltung diesen Wunsch unmissverständlich ausdrückte. Wenn sie jetzt ging, würde er nicht nur über seinen Einsatz nachdenken. Er hätte auch ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber.
Und sie wusste, dass es an der Zeit war, ihm etwas zu sagen, was sie bis heute nicht über die Lippen gebracht hatte, obwohl sie so oft zusammen waren. Instinktiv spürte sie, dass dies jetzt der richtige Moment dafür war.
Sie trat einen Schritt von ihm zurück. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Mit einer Hand strich sie die schwarzen Haare aus seinem schmalen Gesicht und legte ihre Hände auf seine Wangen. Er hielt die Augen auch weiterhin geschlossen.
„Severus, ich liebe Dich", flüsterte sie mit zitternder Stimme und hatte das Gefühl, dass ihr das Herz jeden Moment aus der Brust springen würde.
Er rührte sich nicht, öffnete die Augen und schaute sie für einen langen Moment mit einem Blick an, der eine Mischung aus Überraschung, Liebe, Angst und Vertrauen ausdrückte. Cassy merkte, wie ihr Mut sie verließ. Doch bevor sie ihre Hände von seinem Gesicht nehmen konnte, kam Bewegung in seine Haltung.
Diese drei kleinen magischen, verzaubernden Worte, die er sich so sehr gewünscht hatte, von ihr zu hören – sie hatte sie gesagt. Jetzt. Jetzt, wo er sie wirklich brauchte.
Seine abwehrende Haltung löste sich auf. Er holte tief Luft, nahm ihre Hände und küsste zärtlich ihre Handflächen. Dann zog er Cassy fest an sich und flüsterte ihr mit rauer Stimme ins Ohr: „Ich liebe dich auch. Mehr als alles, alles andere auf dieser Welt. Das musst du mir glauben."
Cassy nickte ergriffen. Warum mussten diese zukunftsbewegenden Geständnisse bei ihnen beiden immer in solchen extremen Stresssituationen kommen? Sie flüsterte ihm ins Ohr: „Ich möchte bei dir und für dich da sein, wenn du Hilfe brauchst, verstehst du? Dafür hat man jemanden, der einen liebt und dem man vertraut. Man teilt mit ihm Freude und Leid. Es frisst mich innerlich auf, wenn ich sehe, wie sehr du leidest."Severus hatte seinen Umhang mit einer schnellen Bewegung abgelegt und Cassy wortlos auf den Teppich vor dem brennenden Kamin gezogen. Er hatte sich in ihre Arme gekuschelt, wie ein Kind und sie hielt ihn so fest sie konnte. Sein Gesicht hatte er in ihre Halsbeuge gedrückt und er spürte ihren Puls. Sein warmer Atem streifte ihre Haut. Er zitterte erst leicht, dann immer heftiger und Cassy hielt ihn fest an sich gepresst. Das Zittern und sein unregelmäßiger Atem vermittelten ihr schonungslos und grausam, welche Qualen Severus durchstand. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen, weil sie mit ihm litt. Sieh hatte furchtbare Angst, dass er irgendwann daran zerbrechen könnte. Aber sie würde für diesen Mann kämpfen. Um ihn kämpfen. Sie brauchte ihn mehr als alles andere in ihrem Leben und niemand würde ihn ihr nehmen. Severus ließ sich einfach in ihre Wärme und ihre Umarmung fallen. Sie hüllte ihn ein, gab ihm Kraft. Er hörte in ihrer Nähe auf zu denken und konzentrierte sich nur auf den Moment. Er versank in tiefer Geborgenheit. Wieder wurde ihm bewusst, wie sehr sie sich von Lilly unterschied. Wann endlich würde er Lilly vergessen können und keine Vergleiche mehr zwischen ihr und Cassy anstellen? Er schämte sich deshalb ein wenig. Allerdings wusste er nicht, dass auch diese Gefühle normal waren und seine mühsame Arbeit reflektierten, sein Urvertrauen mit Cassy's Hilfe ganz sachte und langsam zurückzugewinnen. Schweigend hatte sie begonnen seinen Rücken zu streicheln, bis sie merkte, dass seine Anspannung langsam nachließ und er leise und stockend zu erzählen begann. Es wurde ein langer Bericht. Sie hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen und musste sich zusammennehmen, weil ihr Hass auf Voldemort sich ins Unermessliche steigerte.
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Momentan waren es nur kleine Aufträge, die er für Voldemort zu erledigen hatte. Er sollte Pläne besorgen von verschiedenen Burgen und Schlössern rund um Hogwarts und die Flurpläne der Ländereien. Außerdem sollte er sich in den nächsten Wochen unauffällig das eine oder andere Anwesen anschauen und mit den Plänen vergleichen. Welches Ziel Voldemort damit vor Augen hatte, konnte Severus nur schwer einschätzen, aber eines war klar: Hogwarts lag genau im Zentrum zwischen den Anwesen. Gerne hätte er Malfoy die Aufgabe, sich um Abtrünnige zu kümmern, alleine übertragen, aber da die Unberechenbarkeit dieses Mannes immer schlimmer wurde, war das unmöglich. Auch Voldemort war über Malfoy's Benehmen in letzter Zeit beunruhigt. Von den Reisen war er früher zurückgekehrt, weil seine unbeherrschte und arrogante Art beinahe noch einen Konflikt zwischen den Todessern und den Trollen ausgelöst hätte. So hatte Crabbe ihn unter einem Vorwand zurückgeschickt und den Meister unterrichtet. Jeden anderen hätte Voldemort schon durch den Wolf gedreht, aber Lucius' Verbindungen waren einfach zu gut und seine Arbeit, die er sonst leistete, war ohne Beanstandung und für den Meister auch oft sehr unterhaltsam und amüsant – auf seine eigene abstoßende Weise. Lucius war mit dem Töten ein bisschen zu schnell zur Hand. Severus hingegen wog Situationen ab. Er ging mit Hirn an die Sache und hatte dadurch in letzter Zeit mehr als einmal für Voldemort einen wertvollen Verbündeten zurückgewinnen können. Er war um jedes Leben dankbar, das er retten konnte. Egal wie.
Crabbe und Goyle, sowie der Verbindungsmann aus dem Ministerium waren noch immer auf Tour, um neue Verbündete zu rekrutieren. Aber vorerst mussten sie ihre Zeit damit verbringen, die zerstrittenen Parteien wieder an einen Tisch zu bekommen.
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Wie immer an Halloween stand der Ausflug nach Hogsmeade auf dem Plan. Cassy war nur einmal mit Lupin in dem Ort gewesen und hatte keine besonders guten Erinnerungen an den Tag danach. Als sie in der letzten Unterrichtsstunde vor dem Besuch merkte, dass ihr doch niemand bei den Ausführungen „Besuch von öffentlichen Veranstaltungen"so richtig zuhörte, klappte sie kurzerhand ihr Buch zu und blickte in die Klasse.
„Ich schlage vor, Sie erzählen mir ein bisschen von Hogsmeade. Sie hören mir sowieso nicht zu."
Die ganze Klasse lachte und der Unterricht war gelaufen. Sie hörte viel Interessantes und amüsierte sich wieder, dass hier die gleichen Geschäfte für die Schüler der Renner waren, wie in ihrer Welt. Die Süßigkeiten und die Scherzartikel.
Severus kündigte ihr beim Abendessen laut, deutlich und damit hochoffiziell mit dem üblichen abweisenden Gesichtsausdruck an, dass er mit ihr nach Hogsmeade gehen würde, um ihr den Ort zu zeigen. Höchstens für zwei Stunden. Es hatten genügend Leute zugehört und Cassy's Herz machte einen Sprung. Dann warf er ihr einen Blick zu, als würde er sie neben Pest und Heuschrecken für die größte Plage halten, die über die Menschheit hereinbrechen konnte.
Cassy freute sich. Sie konnten offiziell zusammen etwas unternehmen. Dass Severus wieder einmal die ganze Zeit ein mieses Gesicht machen musste, störte sie nicht im Geringsten. Man gewöhnte sich im Laufe der Zeit an alles ...
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„Schau dir nur dieses Kleid an, Sev'", flüsterte Cassy ganz begeistert. Das Kleid war wirklich sehr schön. Es war schlicht, rubinrot und je nachdem wie das Licht darauf fiel, bekam es schwarze oder dunkelblaue Schatten. „Schschsch,"machte Severus genervt und drehte sich sicherheitshalber, um sich zu vergewissern, dass niemand sie gehört hatte. Und vor allem dass niemand sie sah, wenn sie jetzt in dieses Geschäft gehen würden. Auf der Treppe hatte er es sich jedoch anders überlegt und Cassy gesagt, dass er lieber draußen warten würde. Das wäre sicherer. In Wahrheit war er sehr verlegen gewesen, mit Cassy in das Geschäft zu gehen und ein Kleid zu kaufen.
Als sie den Verkaufsraum betrat, kam ihr die Besitzerin, eine Hexe, ungefähr in Cassy's Alter entgegen. „Ich möchte gerne das rote Kleid aus dem Fenster probieren", sagte Cassy. Die Hexe nickte und holte es. „Ich denke, es wird Ihnen genau passen", sagte sie, als sie Cassy kurz mit Fachfrauenblick musterte. Cassy ging sich umziehen und die Hexe behielt recht. Es passte ganz genau. Sie stellte sich vor den magischen Spiegel und während sie schaute, drehte sich ihr Spiegelbild langsam in alle Richtungen und bewegte sich, damit sie das Kleid von allen Seiten betrachten und beurteilen konnte, wie es wirkte. Eine tolle Erfindung, fand Cassy. Wenn sie darüber nachdachte, wie sie sich in den Muggel-Kaufhäusern oder Boutiquen selbst mit zwei Spiegeln jedes Mal den Hals verrenkt hatte, um zumindest einen eingeschränkten Blick darauf zu bekommen, wie man mit der Kleidung von hinten aussah, war das eine Revolution. Das bodenlange Kleid war sehr schmal. Der Rock war direkt unter dem Busen angeschnitten und hatte in der Mitte eine versteckte Falte. Von weitem sah es sehr eng aus, fast wie ein Schlauch, kimonoähnlich, aber wenn Cassy sich bewegte, ging diese eine Falte auf und erlaubte seiner Trägerin sich ohne Zwang zu bewegen. „Würden Sie es mir zurücklegen? Ich kann es aber erst nächste Woche abholen", sagte sie der Verkäuferin. Die nickte. Dann verließ Cassy das Geschäft.
„Es hat ganz genau gepasst", erzählte sie Severus leise und begeistert. „Ich habe es mir zurücklegen lassen. Vielleicht können wir es ja irgendwie die nächsten Tage abholen?"Severus brummte ein „Ja, vielleicht"und machte sich mit ihr auf den Rückweg zum Schloss. Er würde das Kleid nicht die nächsten Tage abholen. Er hatte damit spontan eine andere Idee.
In den kommenden Tagen hatten alle so viel mit den Vorbereitungen für Halloween zu tun, dass Cassy das Kleid in Hogsmeade schlichtweg vergaß. Sie war sehr glücklich, dass sie diesmal zum Mithelfen aufgefordert wurde und fühlte sich im Kreise ihrer Kollegen wohl. Naja, bis auf Professor Binns. Der sprechende Nebel machte ihr nach wie vor Angst. Aber durch seine gasförmige Konsistenz konnte er zu den Vorbereitungen nicht viel Hilfreiches beisteuern, außer die Kollegen mit seiner monotonen, einschläfernden Stimme jedes Mal an den Rande eines Komas zu bringen.
