Weihnachten und andere Überraschungen ...

Diesmal waren nicht so viele Todesser anwesend, wie sonst. Crabbe und Goyle fehlten immer noch. Aber auch Malfoy war nicht gekommen. Der Lord hatte ihn nicht gerufen. Lucius' verändertes Verhalten wurde zu einem Risikofaktor für die ganze Gruppe, für das gesamte Unternehmen. Er wollte sich über ihn Gedanken machen, wenn das hier vorbei war.

Erstaunt sah Severus sich kurz um. Es musste wieder das alte Gemäuer sein, aber diesmal war es ein anderer Raum. Er war groß und düster und roch feucht. In der Mitte stand ein riesiger schwarzer ovaler Tisch, um den genau so riesige schwere Stühle mit teilweise zerschlissenen Polstern angeordnet waren. So musste die Tafelrunde von König Artus ausgesehen haben, dachte Severus kurz. Wobei ihn an der Geschichte eher Merlin interessierte, als die Ritterschaft.

An den Wänden waren verschiedene kunstvoll gearbeitete Schilde in gleichmäßigen Abständen angebracht, die jeweils von genauso kunstvoll geschmiedeten, gekreuzten Schwertern flankiert waren. Jedes war für sich ein Meisterwerk, ein Unikat. An den Griffen der Schwerter hingen unterschiedliche Wappen. Sie waren die letzten Zeugnisse längst vergangener Familien, Traditionen und Konflikte. Die Farben hatten im Laufe der Zeit gelitten und waren verblasst und vergraut. Genau wie die wahrscheinlich ehemals lebendige und aufregende Geschichte, die sie aus dieser bewegten Zeit erzählen könnten. In den freien Räumen zwischen den Waffen waren schmiedeeiserne Fackelhalter angebracht, in denen die schwarzen Pechfackeln im flackernden Schein jetzt vor sich hinrußten und die Wände mit einem senkrechten Streifen, der sich nach oben verjüngte, hässlich Schwarz beschmutzten.

Überall lag der Staub fingerdick und in den Ecken hatten sich die Spinnweben zu dicken, grauen Vorhängen entwickelt. Nur die Tischgruppe in der Mitte war gesäubert. Dennoch machte der gesamte Raum einen sehr ehrwürdigen, Respekt einflößenden Eindruck. Dies war genau der richtige Rahmen für Lord Voldemort.

Voldemort saß bereits auf einem der Stühle und bedeutete Severus mit einer sparsamen Handbewegung, sich neben ihn zu setzen. Er kam der Aufforderung mit einer kurzen Respekt gebietenden Verbeugung nach. Voldemort sah ihn mit zur Seite geneigtem Kopf und aufmerksamen roten Augen an und meinte: „Was ist los, Severus? Langen Tag gehabt?" Snape sah ihn an und nickte. Hatte er da tatsächlich einen Ansatz für eine normale Unterhaltung gehört? Der Lord sah ihn weiterhin an und wartete auf eine Antwort.

„Hatte bei Hagrid wieder krankes Viehzeug zu versorgen", log er müde. Voldemort sah, dass Snape blasser als sonst war. Er entschied, dass er ihn heute Abend nicht länger als nötig hier behalten und ihn lieber später noch einmal rufen würde. Was er ihm mitzuteilen hatte, war so ungeheuerlich, dass er einen aufnahmefähigen Snape brauchte, der seinen Grips und seine Logik zu einhundertfünfzig Prozent verfügbar hatte. Auf ein paar Tage mehr oder weniger kam es da nicht an. Voldemort wusste auch, dass er Severus in den vergangenen Wochen viel zugemutet hatte und er entschloss sich jetzt – aus rein eigennützigen Gründen – ihn bis im neuen Jahr in Ruhe zu lassen. Zum einen hatte er seine Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen. Zum anderen hatte er ja noch William mit seiner Einheit. Die wurden nicht so häufig strapaziert, wie die Truppe um Snape. Zum dritten hatte er sich eine Hexe zur Unterstützung geholt, die ihn behandelte, damit er endlich wieder zu Kräften kam. Und die hatte ihm gesagt, dass es noch ein Weilchen dauern würde, bis er wieder vollumfänglich seine Magie einsetzen konnte. In endlos langen Sitzungen arbeitete sie daran, die Banne von Voldemort zu nehmen, die der Schutzfluch von Lilly Potter über ihn gelegt hatte.

Aber selbst jetzt, geschwächt, wie er war, war er gefährlicher als die meisten anderen Zauberer und das wusste Voldemort auch. Nur, um seinem wirklichen Widersacher gegenüberzutreten reichte das eben nicht ...

Dann stand Voldemort auf und sah in die Runde. Severus war der letzte gewesen.

"Wir haben einen neuen Bruder, den wir in unserer Mitte aufnehmen wollen. Er hat sich als würdig erwiesen, uns beizutreten."

Würdig erwiesen, hieß bei Voldemort, er hatte entweder etwas besonders Sadistisches getan oder er hatte ihm besonders wertvolle Informationen unter Einsatz des eigenen Lebens geliefert oder er hatte jemanden ans Messer geliefert, der dem Lord schon lange ein Dorn im Auge war, an den er aber nicht herankommen konnte.

Voldemort nickte Severus zu. Severus wollte nicht wissen, welche „Verdienste" das neue Mitglied sich erworben hatte. Das war genau das, was er heute Abend noch gebraucht hatte. Er hatte einen schönen Nachmittag bei Remus verbracht und sie hatten sich seit langer Zeit wieder einmal richtig intensiv unterhalten. Dann hatte er sich gefreut, den Abend mit Cassy verbringen zu können. Severus war einfach völlig lustlos, nach diesem ruhigen, perfekten Tag jetzt ein solch' anstrengendes Ritual durchzuführen und er war es müde, für so einen Unsinn gerufen zu werden. Jeder Andere konnte das Ritual auch durchführen. Er musste aufpassen, dass seine Lustlosigkeit sich nicht in seinem Gesicht widerspiegelte.

Also holte er Luft, gab sich innerlich einen Ruck und stand auf. Er begann mit den Vorbereitungen zur Zeremonie. Der Diener von Voldemort wartete bereits mit einem Tablett, auf dem eine Phiole mit einer grünen Flüssigkeit stand, hinter ihm und er trug die neue Todesserrobe für das neue Mitglied zusammengefaltet unter dem Arm. Severus nahm ihm die Sachen ab und der Diener wieselte lautlos und geduckt davon, um schwere Kristallkelche auf dem Tisch zu verteilen und mit einer trägen dunklen Flüssigkeit zu füllen.

Dann kam er mit einer kleinen Trommel zurück. Er stellte sich neben Severus und sah ihn erwartungsvoll an.

Severus blickte sich nach dem neuen Mitglied um. Am anderen Ende des ovalen Tisches war ein Stuhl aus dem Kreis entfernt worden. In dieser Lücke stand der junge Mann und blickte schüchtern über den Tisch. Severus konnte seine Nervosität bis an seinem Platz spüren. Er ging langsam auf ihn zu und musterte ihn. Es war ein ungefähr achtzehnjähriger junger Mann mit roten Haaren und unzähligen Sommersprossen im Gesicht. Im ersten Augenblick dachte er schockiert, er hätte einen Weasley vor sich. Ron's Geschwister, einschließlich Ron, waren allesamt rothaarig und sommersprossig. Aber er erkannte erleichtert, dass der junge Mann niemand aus der Weasley-Familie war. Er kannte ihn auch nicht aus Hogwarts. Dann war er hinter ihm angekommen und der junge Mann drehte sich zu ihm um.

„Wie heißen Sie?", fragte er ihn mit donnernder Stimme.

Der Angesprochene zuckte zusammen und sah Snape ein wenig ängstlich an.

Die anderen Todesser grinsten. Sie kannten das Ritual und niemand führte es so feierlich und würdevoll durch, wie Severus.

„Theodor", gab der junge Mann ihm leise zur Antwort.

Severus drehte sich der Magen um, als er kurz daran dachte, dass er in ungefähr diesem Alter auch vor der damaligen Nummer 2 gestanden und vor Angst gezittert hatte.

„Theodor, du weißt, dass du jetzt einen Schwur ablegen musst und damit das unauslöschbare Zeichen deiner Zugehörigkeit zu uns empfängst?"

Wieder nickte Theodor.

„Dann wollen wir beginnen."

Er bedeutete Theodor, seinen Unterarm frei zu machen. Severus legte ein Stück dunkelgrünen Samt auf einen kleinen Zusatztisch, den Voldemorts Diener schon bereit gestellt hatte und bettete den Unterarm von Theodor auf das Tuch. Er zog seinen Zauberstab. Es war das Ritual, dass Voldemort und alle Todesser sehen konnten, wie das Mal tätowiert wurde. Er sah den Jungen mit einem kalten Gesichtsausdruck an. Was hatte ihn dazu bewogen zu den Todessern zu gehen. Er sollte in seinem Alter eigentlich Recht von Unrecht unterscheiden können. Aber Severus wusste, dass er ihn nicht verurteilen durfte. Er wusste es aus eigener Erfahrung. Trotzdem machte es ihn immer wütend, weil es ihn an seine eigene verblendete Zeit bei Voldemort erinnerte und Voldemort verblendete auch heute noch die Menschen. Und nicht nur die Jugend. Er versprach ihnen einen Sinn in ihrem Leben. Reichtum. Macht. Und das alles innerhalb kürzester Zeit. Wer, der keine Lebensperspektive hatte, war nicht aufnahmebereit für solche Worte und glaubte sie nur allzu gerne?

Severus hob den Zauberstab. Er nickte Voldemorts Diener zu und der begann mit einem leisen Trommelwirbel.

„Schwörst du, unsere Bruderschaft mit deinem Leben zu schützen?",
dabei nickte er ihm zu. Theodor verstand und antwortete.
"Ich schwöre."
Zischen. Verbrannte Haut. Der Totenkopf.
Kleine Dampfwölkchen stiegen auf und es stank Übelkeit erregend nach verbranntem Fleisch. Und er sah im Gesicht des jungen Mannes die Schmerzen, die ihm das Zeremoniell zufügte.
Voldemort hatte ein zufriedenes Grinsen auf gesetzt.
Leiser Trommelwirbel.

"Schwörst du, unseren Meister mit deinem Leben zu schützen?"
"Ich schwöre." Mühsam beherrschter Gesichtsausdruck.
Zischen. Verbrannte Haut. Der Mund im Totenkopf.
Leiser Trommelwirbel.

"Schwörst du, unsere Ziele unbeirrbar zu verfolgen, auch wenn es dich das Leben kostet"?
"Ich schwöre". Offensichtliche Qual in seinen feuchten Augen.
Zischen. Verbrannte Haut. Die Schlange.
Leiser Trommelwirbel.

"Schwörst du, dafür zu sorgen, dass in deiner Familie das Blut rein bleibt, auch wenn du dafür töten musst"?
"Ich schwöre". Gequältes Flüstern.
Zischen. Verbrannte Haut. Die Zunge aus dem Schlangenmaul.
Das Mal war komplett.
Der Trommelwirbel ebbte leise ab und verstummte ganz.

„Sei uns willkommen." Damit gab Severus Theodor einen schweren Kristall-Weinkelch in die gesunde Hand und er selbst hob seinen Kelch, der von Voldemorts Diener vorbereitet auf dem Tisch gestanden hatte, in die Runde. Die anderen Todesser taten es ihm nach. Sie tranken eine Kräutermixtur, die benebelte und schwere Halluzinationen hervorrief. Ausgerechnet heute hatte er kein Gegenmittel dabei. Die Vereidigung war überraschend angesetzt worden. Normalerweise pflegte der Lord dieses Ritual anzukündigen und Severus konnte sich mit entsprechenden Gegenmaßnahmen wappnen.

Es war Sitte, dass die Kelche in einem Zug geleert wurden. Die zähe Flüssigkeit war Übelkeit erregend süß. Die Todesser pflegten nach einer Neuaufnahme noch ausgiebig zu feiern. Das Halluzinogen senkte die Hemmschwelle des Einzelnen auf das unterste Niveau und rief bei jedem eine andere Wirkung hervor. Die einen wurden träge, bewegungslos, versanken in tiefe Apathie und kämpften mit depressiven Träumen. Die anderen wussten vor Kraft und Motivation nicht, was sie mit sich anfangen sollten.

Severus jedenfalls wusste, dass das Gift bei ihm eine tiefe Teilnahmslosigkeit, verbunden mit Halluzinationen und Bewegungsunfähigkeit verursachen würde. Voldemort hatte neuerdings darauf bestanden, dass das Gift in dieser hohen Konzentration in den Trank kam, damit die Todesser wirklich neben sich standen in der Zeit, in der es wirkte und Severus konnte nichts dagegen machen, weil der Lord den Trank oft auch zu sich nahm und sofort merkte, wenn etwas damit nicht stimmte. Er hatte eine ausgesprochen sadistische Freude daran zu sehen, wie aus den ihn umgebenden Menschen durch das Halluzinogen andere Persönlichkeiten wurden. Er nahm es auch in Kauf, dass der eine oder andere von der hohen Dosierung ernsthaft Schaden nahm. Zwei seiner Todesser waren bei den letzten Feiern nicht mehr aus dem Koma erwacht und auch Severus Gegengifte konnten ihnen nicht mehr helfen. Voldemort genoss geradezu, was seine Todesser anstellten, bei denen das Gift einen ungeheuren Kraftschub erzeugte. Sie fühlten sich unbesiegbar und ließen diese Energie dann meist an Wehrlosen aus. Wie die Auswirkungen dieser „Feiern" abliefen, konnte am nächsten Tag in jeder einschlägigen Tageszeitung der Muggel und im Tagespropheten unter den Schlagzeilen nachgelesen werden. Und es waren keine guten Nachrichten.

„Sei uns willkommen", wiederholten die Todesser einstimmig und tranken. Severus stellte den schweren Kristallkelch zurück auf den Tisch. In seinem Magen hatte sich eine tiefe Übelkeit ausgebreitet und er unterdrückte nur mit Mühe ein Würgen. Vor allem, weil er wusste, was heute Nacht noch auf ihn zukam.

Theodor stand die ganze Zeit stumm mit einem vor Schmerz zur Grimasse verzerrten Gesicht vor der Runde der Todesser, aber man hörte keinen Laut von ihm.

Aber das Zeremoniell war noch nicht abgeschlossen.

Voldemort stand auf. Mit einer theatralischen Bewegung begann er mit seinen knochigen, dünnen Fingern den Ärmel seiner Robe hochzukrempeln und legte sein Todessermal frei. Es war, sinnbildlich gesehen, die Mutter aller Dunklen Male und konzentrierte besondere magische Kräfte im Schlangenkopf. Severus ging zu Voldemort und verbeugte sich kurz. Der Lord hielt Severus einen kleinen goldenen Dolch hin. Severus nahm den Dolch und schnitt in Voldemorts Tätowierung direkt im Kopf der Schlange ein Stück Haut auf und ließ das Blut von Voldemort in eine Vertiefung auf der Klinge des Dolches laufen. Mit diesen Tropfen ging er zu Theodor zurück.

Severus sah dem jungen Mann in die Augen und mit einer schnellen Bewegung hatte er das Blut Voldemorts auf Theodors offene Wunde am Arm aufgetragen. Es zischte kurz, ein bisschen Dampf stieg auf und kleine rosa Blasen brodelten an der Stelle auf. Dann war das Blut verschwunden, als wäre es nie da gewesen. Die Reaktion war aus medizinischer Sicht nicht normal und schon gar nicht erklärbar. Voldemort stand unter einem so ungeheuer massiven Magiepotenzial, dass sein Blut auch nicht als normal bezeichnet werden konnte. Severus konnte die Panik im Gesicht von Theodor ausmachen. Der junge Mann fühlte, wie etwas Fremdes sich in seinem Körper ausbreitete und vom ihm Besitz ergriff. Das Blut Voldemorts, das in die offene Wunde eindrang, stellte die mentale Verbindung zum Lord her. Das war der Grund, warum Voldemort seine Todesser an jeden x-beliebigen Platz rufen konnte, ohne dass sie wussten, wo es hinging. Die Herstellung der Verbindung zu Voldemort bedeutete auch gleichzeitig fast das Ende der Zeremonie.

Bei Theodor begann das Halluzinogen bereits zu wirken. Seine Augen wurden unruhig und trübe. Wenn man das Gift öfter zu sich nahm, reagierte der Körper mit einer gewissen Resistenz darauf, die sich von Mal zu Mal steigerte, daher waren die erfahrenen Todesser, einschließlich Severus noch bei vollem Verstand.

Severus wusste, dass die Schmerzen der Verbrennungen im Arm für den Jungen noch immer unerträglich sein mussten und bemerkte insgeheim anerkennend die tadellose Haltung, die er an den Tag legte.

Jetzt gab es nur noch die kleine Phiole auf dem Tisch. Severus nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt sie in die Runde der Todesser.

„Hiermit besiegeln wir den Schwur."

Mit diesen Worten öffnete er die Phiole und goss den Inhalt über die Tätowierung. Theodor zog scharf die Luft durch die Zähne ein, als die Flüssigkeit auf seine verbrannte Haut traf. Die Tinktur hatte mehrere Aufgaben. Sie brachte die Tätowierung in Verbindung mit Voldemorts Blut und einem Zauberspruch zum glühen, wenn der Lord rief, aber sie nahm auch die Schmerzen und desinfizierte und versiegelte die Wunde. Severus konnte den sich entspannenden Gesichtsausdruck des Jungen sehen, als die Flüssigkeit augenblicklich wirkte und ihm Erleichterung brachte. Severus Zauberspruch und die kurze Berührung mit seinem Zauberstab nahm er schon gar nicht mehr wahr. Er hatte einen hochroten Kopf von der Aufregung und den Schmerzen. Allerdings waren seine Bewegungen langsamer und träger geworden und er hatte aufgehört zu zittern.

Dann nahm ihm Severus seinen Umhang ab und kleidete ihn in die Todesserrobe. Als er damit fertig war, drehte er sich um, stellte Theodor vor sich, legte ihm die Hände auf die Schultern und sagte: „Begrüßt unseren neuen Bruder in unserer Mitte."

Die Todesser klopften alle mit den Fingerknöcheln auf den Tisch und Voldemort war aufgestanden.

„Willkommen", sagte er mit glühenden Augen und gab dem jungen Mann mit einem Handzeichen zu verstehen, dass er sich auf einen besonderen Platz neben ihn setzen sollte. Schwankend nahm Theodor seinen Platz ein. „Du wirst Williams Einheit zugeteilt", teilte er ihm noch mit. Dann sah er seine Todesser an.

„Das war es für heute. Ihr könnt schon mal anfangen zu feiern. Severus, komm mit."

Severus folgte Voldemort in den Nachbarraum und sah noch, wie Voldemorts Diener verschiedene Karaffen Wein auf den Tisch stellte und den Todessern einschenkte.

Voldemort wandte sich ohne Umschweife flüsternd an ihn.

„Du weißt, dass wir einen Verräter unter uns haben?"

Severus schluckte leicht und nickte. Nicht nur einen.

„Ja, Meister. Ich recherchiere schon eine Weile, um es herauszubekommen, aber er ist sehr geschickt."

Voldemort sah ihn durchdringend an. Aber Severus direkte Antwort besänftigte ihn, auch, dass er sich bereits um die Angelegenheit kümmerte. Dann fuhr Severus fort: „Meine Einheit ist sauber. Er muss in Williams Einheit sein. Ich werde mit Bill reden, damit er die Augen aufhält."

Voldemort nickte. „Kümmere dich darum. Meine Geduld ist arg strapaziert und du weißt, was das heißt."

Severus nickte und ein unangenehmes Ziehen kroch durch seine Brust.

„Es ist zu viel daneben gegangen in letzter Zeit und hat meine Pläne um Monate zurückgeworfen. Ich hoffe, dass wenigstens Crabbe und Goyle mit ermutigenden Nachrichten zurückkommen." Dabei hatte seine Stimme einen solch unangenehmen Unterton bekommen, dass Severus lieber nicht in der Haut der beiden stecken wollte, wenn sie mit schlechten Botschaften zurückkamen.

Dann gab Voldemort ihm mit einer unwirschen Handbewegung zu verstehen, dass er gehen konnte. „Du bist von der Feier entbunden."

Severus nickte dankbar und desapparierte.

Am Fenster saß Aratos und beobachtete alles ganz genau. Als er Voldemorts Handbewegung gesehen hatte, machte er sich auf den Heimweg. Heute war keine Gefahr mehr zu erwarten.

Als Severus vor Hogwarts rematerialisierte, war er alleine. Es warteten heute weder Remus noch Cassy auf ihn. Warum war ausgerechnet heute niemand da? Er brauchte jetzt dringend Hilfe. Das Halluzinogen begann zu wirken. Und er wusste, dass er sich nicht im Griff haben würde. Er versuchte auf dem schnellsten Wege seine Unterkunft zu erreichen. Er wollte auf keinen Fall von den Schülern morgen früh in der Eingangshalle gefunden werden. Es blieb ihm nur noch wenig Zeit.

Und er musste reden. Ein junger Mensch hatte sich an den Rande des Abgrunds begeben und er hatte nichts dagegen tun können. Mit hastigen Schritten rannte er ins Schloss, seine Umgebung immer weniger real wahrnehmend. Er stolperte mehrmals auf dem Weg, fiel aber nicht hin. In seinem Kopf hatte sich der Wille manifestiert, sein Appartement noch zu erreichen. Auf der Treppe zu seiner Unterkunft war er bereits nicht mehr Herr über seine Motorik und hielt sich krampfhaft am Geländer fest, aber die Treppe schwankte vor seinem geistigen Auge. Sie verzog sich. Er konnte kein klares Ziel ausmachen, wo er seinen Fuß hinsetzen konnte, trat vorbei und fiel schwer die Stufen hinunter. Unten blieb er einen Moment liegen und fixierte die Tür zu seinem Büro. Sie schien kilometerweit entfernt zu sein und veränderte ununterbrochen ihren Standort.

„Cassy, wo bist du heute nur?", flüsterte er verzweifelt, „So hilf mir doch!"

Er robbte weiter auf seine Tür zu.

„Cassy, ich brauche dich."

Seine Gedanken begann abzudriften. Wer war Cassy nochmal? Wo wollte er eigentlich hin?

‚Severus, halt durch. Nur noch wenige Meter!' Er peitschte sich selbst vorwärts und schob sich unbeirrbar auf die Tür zu seinem Appartement zu, und er mobilisierte all seine Willenskraft, um gegen die Wirkung des Giftes anzukämpfen. Er wusste, dass das nahezu sinnlos war und dass er das Unvermeidliche nur noch sehr kurz hinauszögern konnte. Es würden ihm nur noch wenige Augenblicke klaren Verstandes bleiben. Er würde das Gegengift im Schrank nicht mehr rechtzeitig erreichen.

Mit letzter Kraft erreichte er die Tür und zog sich hoch. Schwankend betrat er sein Appartement. Für ihn sah der Raum aus, wie der Eingang zu einer Geisterbahn. Alles war perspektivisch verzogen und schief. Schwarze Schatten mit roten Augen lösten sich aus den Ecken und liefen hämisch lachend und flüsternd auf ihn zu. Sie streckten ihre Finger nach ihm aus und wollten ihn mitzerren. Sein Herz raste. Durch den unnatürlich hohen Puls fühlte er Beklemmungen in der Brust und die grauenhaften Schatten, die er sah, wurden immer realer.

‚Nein. Das ist nicht wirklich! Nimm dich zusammen!' Er rief nach Dobby. Das war das Letzte, das er noch fähig war, zu tun. Dann fiel er zu Boden.

Als der kleine Elf den Professor auf dem Boden liegen sah, schloss er als erstes die Appartementtür. Dann rannte er sofort zu ihm. Severus murmelte mit starren Augen etwas vor sich hin. Dobby beugte sich vor und hörte, dass er ununterbrochen Miss Parkers Namen rief. Der Elf überlegte nicht lange und rannte zu Cassy.

Aratos hatte Snape genau beobachtet. Als er durch die Tür in das Schloss hineingestolpert war, flog die Eule zu einem kaputten Fenster in einem der Türme und gelangte ins Innere des Gebäudes. Im Sturzflug fegte sie rücksichtslos durch die leeren Gänge direkt in die Kerker. Sie kam gerade an, als der kleine Hauself sich misstrauisch im Flur umsah und hastig die Tür von Severus' Unterkunft schloss. Dann flog Aratos einen eleganten Bogen und machte sich auf den Weg in die Eulerei. Snape war versorgt.

„Miss Parker!", rief Dobby. Er stand auf Cassy's Brust und rüttelte mit aller Kraft an ihr herum. „Miss Parker!" Cassy erwachte und Dobby's grüne, tennisballgroße Augen nahmen ihr ganzes Blickfeld ein. Sie zuckte augenblicklich hoch und der kleine Elf purzelte nach hinten über ihre Bettdecke weg. Er stand wieder auf und sprang aus dem Bett.

Dobby ignorierte Cassys Schrecken. „Bitte, kommen Sie! Professor Snape ist krank."

Ihr Verstand war sofort hellwach. „Was ist passiert?", fragte sie Dobby mit vom Schlaf noch rauer Stimme und rieb sich die Augen, da sie noch nicht klar sehen konnte.

„Dobby weiß es nicht, aber der Professor liegt auf dem Boden und sieht sehr krank aus."

Cassy überlegte nicht lange. Sie schickte Dobby weiter zu Madam Pomfrey und rannte, nur mit ihrem Nachthemd und einer im Vorbeirennen hastig gegriffenen Robe bekleidet, und ohne auf die Umgebung zu achten, direkt in die Kerker.

Als sie die Tür öffnete, sah sie Severus auf dem Fußboden auf dem Rücken liegen und kniete sich sofort neben ihn. Seine Augen waren weit geöffnet, aber er nahm sie nicht wahr. Auf seiner Stirn hatte sich Schweiß gesammelt und lief in Tropfen an seinen Schläfen hinunter in seine auf dem Boden ausgebreiteten Haare. Das ganze Gesicht war von einem dünnen Schweißfilm überzogen. Sein Atem ging unnatürlich schnell und unregelmäßig und sein Brustkorb hob und senkte sich bei den tiefen Atemzügen, wie im Fieberwahn. Sie legte ihre Finger auf seine Halsschlagader und fühlte seinen trommelnden Puls. Ab und zu zuckte Severus. Sein starrer Blick machte ihr Angst. Sie hörte ihn ununterbrochen nur ihren Namen flüstern und dass sie ihm helfen solle. Ihr Herz krampfte sich vor Angst zusammen. Sie holte ein Handtuch und einen feuchten Lappen aus seinem Badezimmer und kniete sich neben ihn. Sachte hob sie seinen Kopf auf ihren Schoß und begann, ihm die glühende Stirn und sein Gesicht zu trocknen und mit dem feuchten Tuch zu kühlen. Dabei sprach sie leise auf ihn ein.

Als würde ihre Stimme zu ihm durchdringen, lüftete sich für einen Moment der Schleier in seinen schwarzen Augen und er sah sie bewusst an.

„Cassy, bitte hilf' mir!", flehte er verzweifelt und krallte sich mit einer Hand schmerzhaft in ihren Arm. Dann kehrte die Leere in seine Augen zurück und er starrte wieder stumpf vor sich hin. Seine Hand erschlaffte und fiel zu Boden. Sie streichelte ihn, kühlte seine Stirn weiterhin und redete beruhigend auf ihn ein.

Wo, verdammt noch mal, blieb Madam Pomfrey nur?

Was hatte Voldemort mit ihm gemacht?

In Cassy begann sich wieder ohnmächtiger Zorn wie eine glühende Welle auszubreiten, als sie auf den hilflosen Severus sah, von dem sie nicht wusste, was er hatte und ob er es überleben konnte.

Wenn Voldemort jetzt neben ihr gestanden hätte - beim Leben ihrer Mutter - sie hätte ihn umgebracht!

Endlich ging die Tür auf und Poppy stürzte mit einer großen Tasche herein. „Was ist mit ihm?"

„Ich weiß es nicht. Er redet wirres Zeug und erkennt mich nicht." Cassys Stimme zitterte und sie war vor Angst um ihn den Tränen nah.

Poppy's Gesichtsausdruck entspannte sich jedoch. „Ist er von einem Einsatz zurückgekommen?"

Cassy nickte.

Poppy nickte auch. Wissend und Angst vertreibend. „Machen Sie sich keine Gedanken, Kindchen. Er musste wieder ein Halluzinogen schlucken. Das haben wir gleich." Sie wühlte mit flinken Fingern in ihrer Tasche und holte eine Phiole mit einer lila Flüssigkeit heraus. Die nahezu lakonische Art der Heilerin und ihre Routine, die sie ein ums andere Mal an den Tag legte, beruhigten Cassy sehr und sie entspannte sich ein wenig.

„Halten Sie ihn bitte fest. Er muss einen Teil davon schlucken, um das Gift zu neutralisieren und sein Herz zu beruhigen." Cassy nahm sein schmales, blasses Gesicht in ihre Hände, streichelte mit dem Daumen seine erhitzte Wange und hörte Poppy bei ihrer nicht enden wollenden, wirklich unflätigen Schimpfkanonade über Voldemort und seine Methoden zu.

Die Heilerin schüttete etwas von dem Trank auf ihre Hände und rieb Severus' Schläfen und Stirn damit ein. Dann öffnete sie ihm mit einem geübten Griff den Mund und flößte ihm vorsichtig die Medizin ein. Severus schluckte die Flüssigkeit. Er starrte noch immer mit ausdruckslosen, trüben Augen vor sich hin, allerdings schwieg er jetzt.

Poppy sah ihn aufmerksam an. Sein Brustkorb begann sich zu beruhigen und sein unruhiger, fast hechelnder Atem wurde leiser. Sie nickte zufrieden und instruierte Cassy: „Wenn er jetzt erwacht, geben Sie ihm noch diesen Trank hier und bleiben Sie bei ihm. Das Gift in seinem Körper und die Reaktion mit dem Gegengift wird ihn viel Kraft kosten und ihn sehr hektisch und unruhig machen." Sie verstummte einen Moment und sah Cassy mit einem ermunternden Lächeln an. „Ich habe ihn schon einige Male darauf behandeln müssen. Aber er wird es sicher als angenehmer empfinden, wenn er aufwacht und weiß, dass er von Ihnen betreut wird. Bleiben Sie bei ihm, bis er ganz sicher schläft. Sollte es noch Probleme geben, Krämpfe, Schmerzen oder irgend etwas in diese Richtung, schicken Sie mir sofort Dobby. Gute Nacht." Damit gab sie Cassy eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit und ließ sie alleine bei Severus zurück. Sie wusste, dass die junge Frau mit ihm zurechtkommen würde, und sie könnte noch ein paar Stunden schlafen, um ihn morgen weiter zu behandeln, falls nötig.

Cassy fühlte sich zuerst überfordert mit der Situation. Aber sie wusste auch, dass Poppy Sev niemals ihrer Obhut überlassen hätte, wenn sie nicht sicher wäre, dass Cassy alles im Griff hätte. Und so beruhigte sie sich etwas. Noch immer saß ihr die Angst im Herzen. Sie hatte noch niemals einen Menschen in einer so hilflosen Situation gesehen. Sie sah ihm weiterhin in die Augen, um eine Veränderung festzustellen. Dann sah sie den Glanz und damit seinen Verstand langsam in seine Augen zurückkehren. Er blickte sie an und lächelte verzerrt.

„Cassy! Ich dachte, ich hätte geträumt!", flüsterte er kraftlos und hob eine Hand. Aber bevor er ihr Gesicht berühren konnte, hatte Cassy die Hand genommen und legte seinen Handrücken an ihre Wange. Sie war sehr erleichtert.

Er blieb noch einen Moment mit geschlossenen Augen liegen und Cassy streichelte sein Gesicht, das wieder eine normale Temperatur hatte. Dann half sie ihm langsam aufzustehen. Er war sehr unsicher auf den Beinen. Cassy stützte ihn und brachte ihn ins Schlafzimmer. Sie half ihm, sich auszuziehen. Als sie mit dem Ellbogen an seinen Rücken stieß, stöhnte er gequält auf. „Ich bin die Treppe heruntergefallen", erklärte er ihr auf ihren fragenden Blick, während sie ihm half, seine Schlafkleidung anzuziehen. „Gibt morgen bestimmt ein paar richtig dicke, blaue Flecken." Dann kroch er völlig erschöpft unter seine Bettdecke. Als er sich mit einem Seufzer in die Kissen hatte sinken lassen, sah er sie mit seinen schwarzen, schimmernden Augen an und fragte fast flehend: „Bleibst du?"

Cassy nickte. „Natürlich." Sie zog ihre Robe aus, schlüpfte zu ihm unter die Decke. Er kuschelte sich an sie und bettete seinen Kopf auf ihre Schulter. Eine Weile streichelte sie sachte, wegen des Treppensturzes, beruhigend seinen Rücken. Dann begann er leise und abgehackt zu erzählen. Cassy wollte schon sagen, er solle ruhig sein und sie würden morgen darüber sprechen, aber sie wusste, dass er sein Gewissen erleichtern musste, sonst würde er gar keine Ruhe finden.

„Ich habe heute einen jungen Mann für die Todesser geweiht." Er presste seine Augen zusammen und begann wieder zu zittern. Cassy drückte ihn unwillkürlich noch fester an sich.

„Er war ungefähr so alt, wie ich damals. Und ich bin sicher, er weiß auch nicht, was er da tut." Seine Vergangenheit kochte in ihm hoch und seine Stimme versagte. Die beiden Gifte schienen seinen gesamten Körper in Aufruhr zu versetzen. Ein heftiges Zittern hatte ihn ergriffen. Er rollte sich fast zusammen und machte sich ganz klein, damit er ihre Wärme überall an seinem Körper spüren konnte. In seiner Verzweiflung kroch er fast in Cassy hinein. Dann fiel ihr der Trank ein, den Poppy ihr gegeben hatte und sie löste sich vorsichtig aus seiner Umklammerung. Severus nahm den Trank ohne Widerspruch zu sich. Dann klammerte er sich wieder an Cassy. Während sie über seine Haare streichelte, liefen ihr verstohlen zwei verzweifelte Tränen über die Wangen, weil sie ihn am liebsten aus Hogwarts weggebracht hätte.

Irgendwo hin, wo er wirklich zur Ruhe kommen konnte.

Irgendwo hin, wo sie beide ungestört glücklich sein könnten.

Voldemort, Dumbledore, die dunkle Bedrohung – all' das war ihr im Moment wirklich verdammt egal.

Severus' Leben war das Einzige, was für sie zählte.

Seine Bewegungen und das Zittern beruhigten sich nach und nach. Seine Stimme wurde undeutlicher. Seine Anspannung ließ nach. Seine zusammengekrampfte Körperhaltung entspannte sich und er lag ruhig und beinahe zufrieden in Cassy's Armen mit dem Kopf auf ihrer Schulter und hatte sich in ihre Halsbeuge geschmiegt. Irgendwann war er endlich eingeschlafen, aber bis sie sich aus seiner Unterkunft schleichen konnte, dauerte es noch eine Weile, weil Severus sie auch im Schlaf nicht losließ. Am liebsten hätte sie sich an ihn gekuschelt und wäre geblieben. Warum tat sie es nicht einfach? Es ging nicht. Sie hatte es ihm versprochen.

Dann war sein Atem endlich tief und gleichmäßig. Sie lauschte ihm noch einen Moment, um ihre eigene Ruhe zu finden, dann ging sie.

Völlig erschöpft und frustriert sank sie in ihrem Appartement auf ihr Bett. An Schlaf war nicht zu denken. Wie lange sollte das noch gehen?

Er würde daran zerbrechen.

Früher oder später, würde er es nicht mehr verkraften können.

Dass er ihr vertraute und seine Sorgen mit ihr teilen konnte, schob den seelischen Exitus nur hinaus. Es würde ihn nicht aufhalten. Ob sie mit Dumbledore reden sollte? Aber was brachte das. Sie konnte nicht einfach über Severus' Kopf hinweg irgend etwas tun. Außerdem waren ihre Reaktionen rein emotionaler und egoistischer Natur und würden bei Dumbledore sowieso kein Gehör finden. Das Wohl eines Einzelnen stand für ihn in diesem Kampf nicht zur Debatte, wenn dabei die Menschheit vor der dunklen Bedrohung gerettet werden konnte.

Was Severus tat, war ihm – aus welchen Gründen auch immer – und Lilly konnte nicht der einzige Grund sein – so wichtig, dass er bereit war, dafür zu sterben oder sich in ein seelisches Wrack verstümmeln zu lassen.

Sie war allerdings ganz und gar nicht bereit, das zu akzeptieren.

Und ihr Kampfeswille trat wieder zu Tage.

Dann schlief sie endlich doch noch ein.

Ihr war auch bewusst geworden, dass er heute zum ersten Mal direkt nach ihr gerufen hatte. Er brauchte sie. Ihre Anwesenheit begann für ihn selbstverständlich und sogar notwendig zu werden. Trotz des ganzen Grauens ein Hoffnung gebendes Gefühl.

Als sie erwachte, war es schon Zeit für den Ausflug mit Hermine. Frühstück konnte sie vergessen. Allerdings wollte sie noch schnell nach Severus sehen, bevor sie ging. Sie sah sich sorgfältig um und schlich in das untere Stockwerk.

Er hatte vor einiger Zeit einen Zauber auf seine Appartementtür gelegt, der Cassy den direkten Zutritt ermöglichte, weil sie nicht zaubern konnte. Es war für den Notfall gedacht und hatte heute morgen seinen Zweck mehr als erfüllt. Als sie die Unterkunft betrat, lag Severus noch in seinem Bett und schlief. Er hatte sich tief, wie Schutz suchend, in seine Bettdecke vergraben und lag auf der Seite. Sie ging zu ihm, setzte sich auf die Bettkante und betrachtete liebevoll sein schmales, blasses Gesicht. Gott, wie sehr sie ihn liebte.

Dann streichelte sie ihm zärtlich über die Wange und wollte wieder gehen.

„Danke, dass du da warst", flüsterte eine müde Stimme hinter ihr, als sie gerade aufgestanden war. Sie drehte sich um und Severus schaute sie verschlafen an. Cassy ging noch einmal zurück, setzte sich erneut auf den Bettrand und küsste ihn sanft auf die Stirn.

„Ich wollte dich nicht wecken. Verzeih' mir." Sie sah ihm in die schwarzen Augen und sah seine Erschöpfung. „Ruh' dich aus, Sev", sagte sie mit leiser, sorgenvoller Stimme. „Du bist doch sicher noch sehr müde?"

Severus nickte. Ja, das war er wirklich. Er fühlte sich völlig kaputt. Aber er hatte sich für heute etwas vorgenommen und das würde er auf jeden Fall erledigen. Er schloss die Augen und fühlte ihre warme Hand noch einmal über sein Gesicht streicheln. Sie war heute morgen wieder für ihn da gewesen, ohne zu fragen und ohne zu urteilen. Er konnte nicht in Worte fassen, wie sehr er sie liebte.

Cassy verließ leise das Appartement.

Hermine wartete schon auf sie. Beide hatten sich in dicke Umhänge gemummelt, weil es krachend kalt war. Der Schnee knirschte unter ihren Schritten und vor ihrem Mund bildeten sich dichte weiße Atemwolken. Aber es war ein strahlender Vormittag und Cassy war wieder einmal beeindruckt vom Farbenspiel um das Schloss. Die Hänge waren mit Schnee überzogen und hatten weiche Konturen bekommen. Der Himmel leuchtete in Hellblau, das zum Horizont hin in Azurblau überging. Die Sonne zauberte mit ihren Strahlen ein Glitzern und Funkeln auf den Schnee und die verschneiten, kahlen Bäume, dass Cassy dachte, sie würde in einer Märchenwelt spazieren gehen.

„Es ist aber wirklich saukalt", sagte Hermine gerade neben ihr. In Cassy's Kopf machte es Plopp und ihre fantasievollen Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück. „Haben Sie sich nicht warm genug angezogen?", fragte sie besorgt. „Wollen wir zurückgehen?"

Hermine schüttelte den Kopf. „Im Winter gibt es nicht genügend Kleidung, dass es mir wirklich warm wäre", sagte sie bibbernd. Dann zog sie ihren Zauberstab und richtete ihn auf sich. Sie murmelte „caldus" und ein roter Kreis löste sich aus ihrem Zauberstab, der immer größer wurde, sich einmal um Hermine legte und dann verschwand. „Wärmezauber", erklärte sie grinsend und mit wesentlich entspannterem Gesicht. Dann richtete sie ihren Zauberstab auf Cassy. „Wollen Sie auch?"

Cassy traute den Zauberstäben noch immer nicht, hob abwehrend beide Hände und sagte lächelnd. „Danke, ich friere nicht."

Lieber hätte sie einen zwei Kilogramm schweren Eiszapfen an der Nase mit sich herumgeschleppt, als sich von einem Blitz, der wie ein rotes Ei aussah, einhüllen zu lassen.

Dann waren sie in Hogsmeade angekommen. In dem kleinen Dorf herrschte schon ein reges Treiben. Heute war Markt. Händler hatten ihre Stände am Straßenrand aufgebaut und riefen ihre Waren aus. Cassy betrachtete staunend die Vielfalt an Waren, die sich vor ihr auftat. Sie wunderte sich ein wenig, warum die Händler so dünn angezogen waren und fragte Hermine. Die grinste verschmitzt vor sich hin. „Ich wundere mich, dass Sie immer noch fragen", antwortete sie vorwitzig.

Cassy fing an zu lachen und meinte: „Muggel lernen so etwas wahrscheinlich nie."

Dann betrachteten sie von Stand zu Stand gehend die ausgestellten Waren. Paradiesvogelküken in den schillerndsten Farben, die angeblich neuesten Roben vom berühmten Modeschöpfer Draziw Terces (Cassy hatte natürlich keine Ahnung, wer das sein sollte), Amulette, die alle möglichen schädlichen Einflüsse fernhalten sollten und ihren Trägern ein sorgloses Leben zusicherten, Zutaten für Zaubertränke - und ein Stand mit Büchern.

Als Hermine diesen Stand sah, ging eine sonderbare Veränderung mit ihr vor. Sie hatte auf einmal den Ausdruck eines Geiers im Gesicht, der ein wundervoll verwestes Aas erblickt hatte, das ihm ganz alleine gehörte. Mit leicht nach vorn geneigtem Kopf und einem stieren Blick stapfte sie direkt auf diesen Stand zu. Wenn sich ihr jetzt jemand in den Weg gestellt hätte, hätte sie ihn wahrscheinlich umgewalzt. Cassy lief hinterher, amüsiert über die Veränderung, die mit dem Mädchen vor sich ging. Dann begann Hermine in den Büchern zu wühlen. Der Händler sah sie an und redete auf sie ein. „Würden Sie mich bitte in Ruhe schauen lassen", fuhr sie ihn an. Sie war vollkommen in ihrem Element. Der Händler zog sich zurück und beäugte Hermine misstrauisch, die sehr aufmerksam zwischen den Büchern stöberte und leise vor sich hinmurmelte. Es dauerte eine ganze Weile und Cassy schaute in der Zwischenzeit dem Treiben auf dem Markt interessiert zu.

Dann stieß Hermine einen entzückten Schrei aus und Cassy fuhr zusammen. Sie drehte sich zu Cassy um und sagte: „Das hier ist es. Das wird ihm bestimmt Freude machen." Das Buch hatte den langweiligen Titel ‚Seltene Kräuter und deren Verwendung'. Es war in Leder gebunden und hatte die handliche Größe eines Taschenbuches. Es sah sehr alt aus.

„Meinen Sie nicht, dass es eher etwas für Professor Sprout wäre?", fragte Cassy leicht zweifelnd. Aber Hermine schüttelte den Kopf. „In diesem Buch stehen auch uralte Zaubertränke, die heute gar nicht mehr zu finden sind. Ich habe den Hinweis darauf in einem Zaubertränkebuch in der Bibliothek gefunden. Aber in keinem Buchladen war es zu finden. Es wird nicht mehr gedruckt und es existieren nur noch ein paar Restbestände davon auf der Welt."

Der Händler hatte mitbekommen, dass es sich hierbei ganz offensichtlich um ein sehr seltenes Buch handelte. Als Hermine sich umdrehte und fragte, was es kosten würde, nannte er eine so horrende Summe, dass Hermine ihn ansah und ihn fragte, ob er sich gerne mit der Marktaufsicht auseinandersetzen wollte. Der Händler wurde leicht blass und nannte einen wesentlich niedrigeren Preis. Aber Hermine war auch hier nicht zufrieden und feilschte, was das Zeug hielt. Zweimal warf sie ihm das Buch vor den Bauch und drehte sich zum Gehen, aber der Händler holte sie zurück mit einem kaum spürbar niedrigeren Preis. Cassy war völlig fasziniert. Hermine beschimpfte den Händler und sagte ihm, welchen Schund er ansonsten auf seinem Tisch liegen hätte. Dann wieder drehte sie sich um und rief laut über den Markt, dass er ein Gauner wäre, der armen, harmlosen Hexen das letzte Hemd ausziehen wolle. Dem Händler brach langsam der Schweiß aus und zum Schluss überließ er Hermine das Buch für einen sehr geringen Preis. Cassy hatte den Eindruck, dass er Hermine am liebsten noch Geld auf das Buch draufgeklebt hätte, nur damit sie endlich ging.

Hermine zog mit triumphierendem Gesicht ab und übergab Cassy das Buch. „Wo haben Sie so handeln gelernt?", lachte Cassy und gab Hermine das Geld zurück.

Hermine zuckte mit den Schultern. „Als ich merkte, dass er überhaupt keine Ahnung hatte, welche Schätze er zwischen dem ganzen Schrott auf seinem Tisch vor sich hat, hatte ich auch keine Mühe mehr, ihm einen anderen Preis aus den Rippen zu leiern." Sie grinste wieder verschmitzt. „Der erste Preis, den er nannte, war durchaus angemessen und selbst der war eigentlich noch niedrig. Vielleicht leiht Professor Snape mir das Buch mal aus?"

"Da müssen Sie ihn schon selbst fragen", lachte Cassy.

Es war schon spät geworden. „Ich lade Sie zum Essen ein in die ‚Drei Besen', einverstanden?"

Hermine nickte und sie machten sich auf den Weg. Gerade als sie in die Tür zu den Drei Besen eintraten, entging ihnen der große, schlanke Mann mit den langen, schwarzen Haaren, der sich – nach einem ausgiebigen Frühstück gestärkt - gut gelaunt auf den Weg zu einem Bekleidungsgeschäft machte. Sie hatten sich nur um wenige Sekunden verpasst.

Severus trat in das Geschäft ein und sah sich um. Hoffentlich sah ihn niemand hier. Er hatte in einer Ecke gewartet, bis auch der letzte Kunde das Geschäft verlassen hatte. Jetzt war Mittagszeit und die vom Markt außergewöhnlich belebten Straßen begannen sich zu leeren. Die freundliche Hexe, die schon das letzte Mal da war, lächelte ihn an. „Haben Sie noch das rote Kleid, das im Schaufenster stand? Meine Kollegin hat es vor einiger Zeit hier probiert?" sprach er sie an. Die Hexe überlegte einen Moment, aber dann erinnerte sie sich wieder an den schwarzhaarigen Mann, der vor dem Geschäft stehen geblieben war. Sie ging an das Regal, zog das Kleid heraus und faltete es noch einmal auf, dass Severus es ganz sehen konnte. Er empfand es mit seiner dunkelroten Farbe und der Schlichtheit, die es ausstrahlte umwerfend schön. „Ist das auch noch die gleiche Größe?"

Die Hexe nickte. „Es gibt nicht viele Frauen in Hogsmeade, die in diese kleine Größe hineinpassen", sagte sie anerkennend, als sie sich wieder an Cassy erinnert hatte. Sie war froh, dass das Kleid doch noch geholt wurde. Sie hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, es noch verkaufen zu können.

Er bezahlte das Kleid und wollte gerade gehen, als ihm etwas einfiel. Da war doch noch etwas gewesen ... Richtig! Weihnachten sollte man Geschenke festlich einpacken. Man konnte sie nicht einfach unter den Arm klemmen und dem Beschenkten mit einem beiläufigen, lapidaren ‚Da' oder ‚Hier isses' auf den Tisch werfen. Er hatte keine Ahnung, wie man ein Geschenk einpackte und sah sich schon bis zu den Waden in seinem Büro in Geschenkpapier stehen und völlig entnervt den Zauberstab schwingen, aber das Papier würde tun, was es wollte.

Die Hexe hatte sein Zögern bemerkt. Wenn Männer Frauenkleider kauften gab es dafür meist einleuchtende Gründe. Der Naheliegendste war natürlich, dass es ein Geschenk war. Daher fragte sie freundlich: „Soll ich es Ihnen in Geschenkpapier packen?"

Erleichtert ging er zurück und legte das Kleid auf den Tisch.

Sie zog ihren Zauberstab und murmelte etwas. Daraufhin begann das Kleid sich selbst erneut zusammenzufalten. Dann kam ein Bogen dunkelblaues Geschenkpapier angeflattert, die Papierkanten muteten dabei wie die eleganten Schwimmbewegungen eines Manta an. Das Papier schob sich unter das Kleid und rollte und drehte sich raschelnd. Als es fertig war, lag ein Geschenk mit dem Aussehen eines überdimensionalen Bonbons vor Severus auf dem Tisch. An den beiden Enden war es mit üppigen goldenen Schleifen versehen und auf dem Papier funkelten unzählige Sterne.

Severus schoss augenblicklich beim Anblick der schillernden Punkte eine Idee durch den Kopf. Er zog seinen Zauberstab, tippte das Papier an und die schimmernden Punkte begannen sich zum Sternbild der Cassiopeia zusammenzufügen.

Die Hexe sah ihm interessiert zu. „Es muss eine besondere Frau sein, die ein solches Geschenk bekommt", sagte sie und schaute ihn lächelnd an.

Er verkniff sich gerade noch ‚Das ist sie' zu sagen und sagte: „Keine Ahnung. Ich hole das Geschenk nur für einen Freund ab." Damit verließ er das Geschäft.

Er hätte singen können.

Das erste Mal seit vielen Jahren.

Unterwegs kam er noch an einem anderen Geschäft vorbei. Ein spontaner, sehr zärtlicher Gedanke ließ ihn eintreten und noch etwas Weiteres kaufen. Das würde Cassy sicher gefallen. Und er freute sich wie ein Kind auf den Weihnachtsabend.

In den ‚Drei Besen' hatten Cassy und Hermine einen Platz in einer Ecke gefunden. Dafür, dass es Mittagszeit mitten in der Woche war, war die Kneipe brechend voll. Das hing wohl mit dem Markt zusammen. Einmal im Monat fand er statt und aus der näheren bis weiten Umgebung kamen die Hexen und Zauberer, um hier ihre Einkäufe zu tätigen. Der Markt hatte den Ruf, besonders gut sortiert zu sein. Und wenn man die Händler etwas intensiver fragte, wechselten unter der Hand auch illegale Waren wie Dracheneier oder Ähnliches den Besitzer.

„Hatten Sie eigentlich in der ganzen Zeit nie das Bedürfnis, auch zaubern zu können?", fragte Hermine sie, als sie auf das Essen warteten.

Cassy dachte nach. „Nein. Eigentlich nicht. Ich wünschte nur, ich würde einige Dinge einfach besser verstehen. Zum Beispiel, warum Bärwurz und Drachenhaut ein Medikament ergeben, während Drachenhaut und Ingwerwurzel mit noch einer weiteren Zutat ein tödliches Gift ergibt. Aber zaubern? Nein. Ich habe es nicht vermisst." Sie hatte schon durch ihre abgrundtiefe Angst vor den Zauberstäben nicht näher darüber nachgedacht.

Hermine nickte. „Wenn Sie möchten, bringe ich Ihnen die Grundkenntnisse in den Kräutern bei", bot sie an.

Cassy lächelte dankbar. Was Kräuter anging, hatte sie einen ausgiebigen Intensiv-Kurs in den Gewächshäusern bei Madam Sprout absolviert ...

Dann bekamen sie ihr Essen und unterhielten sich wieder über die Schule. Hermine erzählte Cassy, wie cool und abgefahren Remus seinen Unterricht hielt und Cassy entging nicht der Hauch von Rot, der kurz über Hermines Gesicht flog. Sie lächelte das Mädchen an. Aber Hermine hatte schnell das Thema gewechselt und wollte jetzt unbedingt etwas über Cassy und Severus erfahren. Ihre Neugier war groß, trotzdem traute sie sich nicht, Cassy alles zu fragen, was sie interessierte, da es zum Teil doch recht indiskret war. Dennoch fragte sie für Cassy's Empfinden sehr ausführlich. Dort, wo sie es verantworten konnte, gab sie Hermine bereitwillig Auskunft. Was sie ihr nicht beantworten konnte oder wollte, sagte sie dem Mädchen ganz offen und Hermine akzeptierte das ohne weiteren Kommentar. Sie fühlte sich wohl in Cassys Gesellschaft und war stolz auf das Vertrauen, das sie ihr entgegenbrachte.

In der Zwischenzeit war Severus wieder auf dem Weg ins Schloss. Er hatte kurz überlegt, ob er in die ‚Drei Besen' gehen sollte, aber alleine dort zu sitzen, hatte er keine Lust.

Als sie fertig waren, fiel Cassy ein, dass sie für Remus noch etwas besorgen wollte. Aber was? Hier war es fast noch schwieriger als für Severus. Sie wusste nicht, ob Remus gerne las. Sie wusste auch nicht, welche Hobbys er hatte. Was wusste sie überhaupt von ihm? Sehr wenig, stellte sie leicht erstaunt fest.

Hermine machte sie während der Diskussion auf die völlig zerschlissene Büchertasche von Remus aufmerksam, über die die Slytherins sich, zu Hermines Ärger, ständig lustig machten. Allen voran Draco. Genau eine solche Büchertasche wollte Cassy jetzt für ihn besorgen. Natürlich in neu, versteht sich. Sie überlegte noch kurz, ob das ein zu persönliches Geschenk war. Aber sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Remus war ja auch ein besonderer, persönlicher Freund. Also ging sie mit Hermine noch einmal über den Markt. Als sie an dem Stand mit den Büchern vorbeikamen und Hermine noch einmal verlangend auf die Auslagen sah, entging Cassy nicht das panische Zucken des Verkäufers, als er den Blick des Mädchens sah und das erleichterte Gesicht, als sie dann doch weiterging. Dieser Kelch war an ihm vorübergegangen. Es war heute das erste und wahrscheinlich auch das letzte Mal, dass er seine Waren hier in Hogsmeade feil geboten hatte.

Sie fanden noch eine schöne, glatte Ledertasche, die aus einem Stück genäht war. Dann liefen sie zurück zum Schloss.

Der 1. Weihnachtsfeiertag war angebrochen und Cassy lief aufgeregt in ihrem Appartement hin und her. Dobby hatte für eine zusätzliche Sitzgelegenheit gesorgt, eine kleine Couch für zwei Personen, und er hatte auch einen weiteren Stuhl für das Abendessen in das Appartement gebracht. Cassy hatte Tannenzweige, verziert mit Weihnachtskugeln oder ähnlichem, dekoriert und in einer Ecke stand ein kleiner, üppig geschmückter Weihnachtsbaum. Ihrer Mutter hatte sie aus Hogsmeade drei Flaschen Johannisbeerwein geschickt, mit der dringenden Empfehlung, ihn gut dosiert zu genießen und Aratos hatte das Paket mit zwei weiteren Schuleulen abtransportiert. Zurück bekam sie ein kleines Paket mit einem dunkelblauen schlichten Shiftkleid aus kühler Rohseide und einen endlos langen Brief ihrer Mutter.

Mit den Kollegen, die nicht in Urlaub oder nach Hause gefahren waren, hatten sie gestern Abend in Dumbledores Unterkunft gemeinsam Weihnachten gefeiert. Der Schulleiter meinte, die Froße Halle wäre zu unpersönlich für die wenigen Leute, da die Schüler in ihren Gemeinschaftsräumen eigene Parties veranstaltet hatten. Es gab Eierpunsch nach einem alten Familienrezept der Dumbledores. Cassy vermutete, als sie den ersten Schluck davon getrunken hatte, dass Eier darin die kleinste Rolle spielten. Aber das Getränk war süffig und sie hatten alle reichlich davon genossen.

Flitwick hatte einen richtigen Schwips und wollte Professor McGonagall dauernd zum Tanzen animieren. Die hatte überhaupt keine Lust und sagte Flitwick, dass sie einen Bandscheibenvorfall bekäme, wenn sie mit einem solchen Zwerg Jive tanzen solle. Daraufhin war Flitwick wieder einmal beleidigt und hatte Madam Hooch bekniet. Die schüttelte so heftig und andauernd verneinend den Kopf, dass es Cassy nicht gewundert hätte, wenn sie irgendwann ohnmächtig vom Stuhl gefallen wäre. Flitwick war so klein, wie er penetrant war ...

Sogar Severus lachte und machte seine kleinen, bissigen Scherze. Er war ganz anders, wenn keine Schüler dabei waren. Viel offener, entspannter. Cassy hatte mit Remus getanzt und Severus hatte ein finsteres Gesicht aufgesetzt, das nicht gespielt war. Dann hatte sich Professor Dumbledore angestellt und zwischendurch hatte Flitwick sie dann doch am Wickel. McGonagalls Ahnung mit dem Bandscheibenvorfall war gar nicht so weit hergeholt. Noch ein Tanz und Cassy wäre der Rücken abgebrochen und sie konnte Flitwick ja schlecht auf den Arm nehmen.

Spät am Abend - nach diversen Gläsern Dumbledore'schen Eierpunsches ging sie zu Severus und zog ihn von seinem Platz. Wie schon an Halloween sträubte er sich und wollte nicht tanzen. Aber die leicht angetrunkenen Kollegen hatten schon den ganzen Abend unter seinem Zynismus zu leiden gehabt und zahlten es ihm jetzt heim. Sie feuerten ihn an und er hatte keine andere Wahl, als mit Cassy mitzugehen. ‚Das Leben kann manchmal hart sein', dachte er still vergnügt und ließ sich von Cassy auf den freien Platz zum Tanzen ziehen.

Ausgerechnet jetzt kam natürlich ein langsames Musikstück und Cassy hatte den Verdacht, dass Professor Dumbledore daran nicht ganz unschuldig war. Er saß nämlich mit einem breiten, selbstzufriedenen Grinsen und einer leuchtend roten Nase auf seinem Stuhl, schaute sie einmal kurz über die Ränder seiner Halbmondbrille an und prostete ihr mit dem Eierpunsch so heftig zu, dass die Hälfte des Glasinhaltes im hohen Bogen aus dem Glas schwappte, sich über Professor Flitwicks Glatze ergoss und den Armen beinahe unter der Tür aus Dumbledores Wohnzimmer hinausschwemmte.

Flitwick sah ihn daraufhin unglaublich wütend an, während der Eierpunsch langsam von seinen Augenbrauen und Ohren in seinen Kragen tropfte, und Dumbledore sagte mit todernstem Gesicht: „Uups. Tschuldigung."

Und die ganze Gesellschaft prustete los und kringelte sich vor Lachen.

Severus und Cassy hatten die Szene von der Tanzfläche aus beobachtet und hatten beide ein Lächeln im Gesicht. Es war ein endlos langes Lied und sie mussten sich zusammennehmen, dass sie sich nicht ununterbrochen in die Augen schauten. Allerdings waren die angetrunkenen Kollegen alle sehr ausgelassen und hatten ihr Interesse an den beiden durch Dumbledores Missgeschick sehr schnell verloren. Ziel ihres Spottes war jetzt der kleine Professor.

Man wollte ihm für die nächste Party Muggelschwimmärmel kaufen, damit er nicht ertrank, wenn mal ein Schnapsglas umfiel.

Und so unbeobachtet zog Severus Cassy eng an sich heran und streichelte mit dem Daumen unauffällig über ihren Rücken. Und Cassy schmiegte sich an ihn und genoss das geborgene Gefühl, das sich bei der langsamen Musik, seiner konsequenten Führung und den Bewegungen seines Körpers in ihr ausbreitete. Die Kollegen gröhlten im Hintergrund herum und hatten ihren Spaß mit Flitwick.

Beinahe hätte sie ihren Kopf an seine Schulter gelehnt.

Jetzt suchte Cassy lange in ihrem Kleiderschrank herum, was sie heute anziehen könnte. Dann fiel ihr wieder das dunkelblaue, enge Kleid von ihrer Mutter ein. Das würde sie heute Abend tragen.

Es klopfte an der Tür. Remus kam als erster. „Frohe Weihnachten", sagte er und umarmte Cassy kurz. Dann drückte er ihr drei Flaschen Wein in den Arm. „Die sind für heute Abend und ...", er winkte mit seinem Zauberstab „den hier habe ich auch noch für dich. Du hast mir einmal gesagt, wie gern du diese Blumen an Weihnachten hast." Und ein 1,50 m hoher, dichter Weihnachtsstern rutschte mit einem grässlich schabendend Geräusch über den Steinboden durch die offene Tür in Cassy's Appartement. Er hatte einen solchen Umfang, dass Cassy sich den Impuls verkneifen musste, nach einem Baumhaus und dessen Bewohnern darin zu suchen. Remus dirigierte die Pflanze mit seinem Zauberstab neben den Kamin. Mit diesem Weihnachtsstern war die Dekoration des Zimmers perfekt. Er war das fehlende i-Tüpfelchen. Cassy bedankte sich bei Remus. Dann drückte sie ihm sein Geschenk in die Hand und sah in seinem Gesicht die Freude darüber aufleuchten. Während er es öffnete, klopfte es wieder und Severus trat ein. Er hatte drei Anläufe nehmen müssen bis er hier war, weil ihm jedes Mal Schüler auf dem Gang entgegengekommen waren. Er hatte noch schnell mit keifender Stimme ein paar weihnachtliche Punktabzüge verteilt für ‚rumlungern an Feiertagen in den Gängen' und ‚anwesend sein, wo ein Snape herumlief', aber er war wirklich furchtbar nervös.

Er hatte schon überlegt, ob er dazu verdammt sei, den gesamten Abend immer nur bis kurz vor Cassy's Appartement zu kommen, um sich dann herumzudrehen, ihr Geschenk hinter seinem Rücken oder unter der Robe zu verstecken – dass er aussah von der Seite, als wäre er im achten Monat schwanger oder hätte einen Buckel – und so zu tun, als müsste er in eine völlig andere Richtung gehen. Das Geschenk hatte daher etwas gelitten und war verknautscht.

„Frohe Weihnachten", sagte er leise, als Cassy die Tür geschlossen hatte, und sah sie mit leuchtenden, schwarzen Augen erwartungsvoll an. Sie legte ihm die Arme um den Hals und küsste ihn kurz und zärtlich auf den Mund. „Wünsche ich dir auch." Dann hielt er ihr unsicher das in Mitleidenschaft gezogene Paket hin. Cassy musste lachen, als sie die Cassiopeia auf dem Papier erkannte. Sie nahm es entgegen und begann, es mit einem erwartungsvollen Lächeln auszupacken. Er sah sie aufmerksam an. Keine Regung ihres freudig geröteten Gesichtes wollte er verpassen, wenn sie das Päckchen aufmachte. Wer von beiden in diesem Moment aufgeregter war, konnte man nicht genau sagen.

Cassy hatte die Schleifen gelöst und das dunkelblaue Papier abgewickelt, als sie das Kleid mit einem Handgriff auseinander faltete und rief: „Severus! Dass du daran gedacht hast!" Sie kam auf ihn zu, umarmte ihn mit dem Kleid in der Hand und küsste ihn auf die Wange. Dann sah sie sich das Kleid noch einmal an und freute sich darauf, wenn sie es das erste Mal tragen konnte.

Remus hatte der Szene mit einem bittersüßen Lächeln zugeschaut und fragte jetzt mit einem leicht ironischen Unterton in der Stimme: „Gibt es hier auch etwas zu essen oder soll ich euch gleich alleine lassen?" Severus grinste ihn an, knuffte ihn mit der Faust auf den Oberarm und zog noch etwas aus seiner Robe hervor.

Cassy überlegte kurz, ob Severus in seiner Robe ganze Geheimgänge hätte, denn irgendwo mussten die Pakete ja lagern, die er ständig hervorholte.

Remus grinste, als er die ungelenk in leicht verknittertes Weihnachtspapier eingedrehte Flasche sah und bedankte sich. Es war garantiert eine Flasche von dem Whiskey, den beide gerne tranken. Sein Vorrat neigte sich nämlich dem Ende zu. Vor allen Dingen, da Severus doch öfter bei ihm war. Dann wandte er sich wieder Cassy's Paket zu. Er schnürte es ganz auf und meinte: „Jetzt kann ich endlich meine alte Tasche entsorgen. Herzlichen Dank, Cassy. Sie ist wirklich schön." Und er legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie kurz. Cassy sah in seinen Augen, dass er sich ehrlich freute. Die beiden Männer zogen ihre Roben aus und Cassy musste sich bei Sev's Anblick wieder einmal zusammennehmen. Er hatte eine enge schwarze Hose an und einen schwarzen, ebenso eng anliegenden Pullover mit einer Art Stehkragen.

Und wie er so vor ihr stand mit seinen schmalen Hüften und breiten Schultern und diesem liebevollen, zärtlichen Lächeln im Gesicht, mit dem er sie ansah, hätte sie glatt auf Remus' Angebot zurückkommen können. Nämlich das Essen ausfallen lassen ...

Cassy klingelte nach Dobby, Remus entkorkte die erste Flasche Wein und Severus räumte das Geschenkpapier weg, damit sie mit dem Essen beginnen konnten. Sie hatten unglaublich viel Spaß. Sev' und Remus erzählten Geschichten von Hogwarts von früher und Cassy hörte beiden aufmerksam zu. Ständig hatten sie etwas zu lachen. Wider Erwarten behielt Cassy heute ihr Essen bei sich. Desto mehr war sie davon überzeugt, dass ihre Übelkeit vom Stress kam, denn jetzt waren Ferien und sie mussten nicht ganz so intensiv aufpassen, da Draco Malfoy und seine Schatten nach Hause gefahren waren. Nach dem Essen – keiner von ihnen hätte auch nur noch einen einzigen Löffel Eis oder irgend etwas heruntergebracht, setzten sie sich auf die Sitzgruppe am Kamin. Remus setzte sich auf einen Sessel und Cassy und Severus auf die Couch. Allerdings jeder artig in seine Ecke - Remus sollte sich wohl fühlen.

Da klopfte es an der Tür. Sie sahen sich an und Severus ging sicherheitshalber in ein anderes Zimmer. Hermine stand vor der Tür. Sie war alleine. „Bitte entschuldigen Sie, Miss Parker. Aber ich habe noch eine Kleinigkeit für Sie, die ich abgeben wollte." Damit hielt sie Cassy ein Paket unter die Nase.

Cassy sah über Hermine hinweg den Gang entlang und fragte: „Sind Sie alleine?"

Das Mädchen nickte. „Ich habe aufgepasst, dass mir niemand folgt", sagte sie Cassy in einem verschwörerischen Flüsterton und die musste schmunzeln. Sie gab die Tür frei und bat Hermine hinein. Sie begrüßte Remus mit einem "Frohe Weihnachten, Professor Lupin," und lief leicht rot an, als Remus lächelnd zurückgrüßte. Sie blieb abwartend im Zimmer stehen, bis Cassy ihr den Platz in dem noch freien Sessel anbot. Da Hermine sowieso wusste, dass Severus hier war, kam er aus dem Schlafzimmer zurück. „Hallo Hermine", grinste er sie mit seinem freundlichsten Weihnachtsgesicht an. Sie schaute ihn wieder mit großen Augen an, als hätte sie es mit einem Fabelwesen zu tun und gurgelte irgendeinen nicht verständlichen Gruß. Hermine sah, dass er keine Robe trug und stellte zum ersten Mal fest, dass er mit dem Lächeln und den „engen Klamotten" eigentlich gar nicht so unattraktiv war. Daraufhin bekam sie wieder einen roten Kopf.

Severus hatte einen diebischen Gefallen daran, dass das Mädchen in seiner Gegenwart so verunsichert und verlegen war. Ihre Selbstsicherheit nach dem Erlebnis bei dem Einhorn hatte nicht lange angehalten. Dafür hatte er schon in Zaubertränke gesorgt. Und so ein wenig kam bei ihm instinktiv wieder der Schikanier-Snape hervor. Es machte ihm als Mann einfach Spaß, dass er diese Wirkung auf sie hatte. Es gab biologisch bedingte Eigenschaften, die über die Jahrmillionen wahrscheinlich niemals in der Evolution eine Veränderung erfahren würden ...

„Möchten Sie ein Glas Wein mittrinken?", fragte er Hermine daher mit einem breiten Lächeln.

Sie nickte leicht mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck und schaute ihn unverwandt an. Remus grinste in sich hinein und Cassy hätte die beiden Männer am liebsten mit den Köpfen zusammengeschlagen, weil sie sich auf Kosten von Hermine lustig machten.

Sie machte das Paket auf und war erstaunt. Unzählige verschiedene Sorten von Weihnachtsplätzchen lagen in einem kleinen Teller. „Hermine! Das ist toll. Herzlichen Dank!" Cassy's Mutter buk nämlich keine. Hermine freute sich und trank einen kleinen Schluck Wein. „Meine Großmutter schickt mir jedes Jahr so viele davon, dass ich gar nicht weiß, wohin damit. Sie schmecken wirklich klasse, aber bis Ostern kann ich sie nicht mehr sehen. Ich freue mich, wenn Sie sie mögen." Das Gespräch war mit Hermines Kommen etwas versickert. Sie merkte es und verabschiedete sich sehr bald wieder. Auch Remus ging kurz darauf. Er hatte einen Schwips und meinte, er wolle heute Abend noch ein wenig den Mond anheulen.

Dann waren Cassy und Severus alleine. Dobby hatte längst abgeräumt und war verschwunden. Auch Severus war angetrunken. Sein Gesicht war vom Rotwein leicht gerötet und er schaute sie mit einem ganz eindeutigen, lüsternen Funkeln in seinen schwarzen Augen an. Als sie von der Tür zurückkam, hatte Severus sich bereits in eine Ecke der Couch gelümmelt. Ein Bein auf der Couch, eines unten. Er hatte seine Schuhe ausgezogen und sah sie mit diesem eindeutigen Blick an. Sein einer Arm lag lässig über der Lehne und der andere lag auf seinem Bauch. Cassy kam zur Couch und krabbelte vom anderen Ende auf allen Vieren auf Severus zu. „Ich habe auch ein Geschenk für dich", sagte sie, als sie über ihm ankam. „Ich weiß", gab er leise zur Antwort und streckte seine Arme nach ihr aus.

Blitzschnell hatte sie sich zurück gesetzt und hielt ihm das verpackte Buch hin. „Nicht was du denkst. Das Andere wirst du dir erarbeiten müssen", sagte sie mit einem nicht minder eindeutigen Grinsen.

Er setzte sich ruckartig auf und sah mit ernstem Gesicht abwechselnd Cassy und dann das Geschenk an, aber er rührte sich nicht. Er blieb einfach sitzen.

„Bitte, Severus, es ist für dich", sagte Cassy noch einmal mit leiser, zärtlicher Stimme. Sie forderte ihn mit einer Handbewegung auf, das Geschenk zu nehmen. Er sah das Päckchen wie etwas Gefährliches an, etwas, das sich bestimmt auflösen würde, sobald er es berührte. Sehr zögerlich hob er den Arm und nahm es mit leicht zitternden Fingern entgegen. Es dauerte einen Moment, bis er anfing, es auszupacken. Er hatte es in seinen Schoß gelegt und betrachtete es eine Weile. Cassy sah es in seinem Gesicht arbeiten. Jetzt, beim Auspacken, sah er sie mehrmals unsicher an, fast, als hätte er Angst, sie könnte sich einen Spaß mit ihm machen und dieser für ihn so einmalige Augenblick würde zerplatzen wie eine Seifenblase. Cassy sah diesen Blick und etwas in ihr zog sich schmerzhaft zusammen, weil dieser wundervolle Mensch in einer solchen Situation, die für andere völlig normal war, beinahe hilflos wirkte.

Als er das Buch in der Hand hielt, sah sie die Freude auf seinem Gesicht. Er öffnete zweimal den Mund, um etwas zu sagen.

„Wo hast du das her? Das fehlt mir schon seit Jahren. Nirgends habe ich es bekommen können!"

Cassy grinste frech. „Du weißt, dass es in Hogsmeade einen Markt gibt?", fragte sie ihn leicht provozierend. Er lächelte. „Du brauchst nur mit Hermine über eben diesen Markt zu gehen. Allerdings glaube ich, dass der Stand mit den Büchern nicht mehr so schnell kommt." Dann erzählte sie Severus die Geschichte und er lachte.

Hermine. Er konnte sich das Mädchen tatsächlich lebhaft dabei vorstellen, wie sie den Stand mit den Büchern umgegraben hatte. Vorsichtig legte er das Buch weg, strich noch einmal mit den Fingern gedankenverloren über den ledernen Umschlag und sein Blick verweilte darauf. Sein erstes Geschenk seit unzählbaren Jahren. Er lächelte vor sich hin. Dann kehrten seine Gedanken zu Cassy zurück.

Er legte sich wieder so lasziv auf die Couch und sah sie an. Sie krabbelte erneut über ihn und schaute tief in seine schwarzen, schimmernden Augen. Ein angenehmes Prickeln breitete sich in seinem Nacken aus, als er in ihre jetzt zur Abwechslung tiefblauen Augen über sich sah und für einen Moment verlor er sich wieder in ihnen. Er hob seine Hand und zeichnete mit den Fingerspitzen die Konturen ihrer weichen Lippen nach und Cassy schloss bei dieser Berührung ihre Augen. Dann fuhr er mit den Händen langsam über ihren Rücken und zog sie an sich. Jedes Mal, wenn er seinen Kopf anhob, um sie zu küssen, zog sie ihren Kopf provozierend ein Stück zurück. Er konnte sie nicht erreichen. Es fehlten jedes Mal nur wenige Millimeter. Sie schauten sich lächelnd und lauernd an. Dieser betörende Geruch nach Kräutern und Rauch, der wieder von ihm ausging, und sein verlangendes Funkeln in den Augen, hatten sie so richtig auf Touren gebracht. Dann glitt sie mit ihren Händen unter seinen schwarzen Pullover über seine nackte Haut und streichelte seinen Oberkörper. Mit einer schnellen Handbewegung hatte er den Pullover über seinen Kopf gestreift und mit der anderen Hand Cassy an sich gezogen. Dieses Mal war er es, der Cassy ständig auswich, wenn sie ihn küssen wollte. Es war ein aufreizendes Spiel. Er wollte ihr Kleid öffnen. Aber es gab keinen Reißverschluss. Es hatte auf der Rückseite unzählige Knöpfe, die man alle – aber auch wirklich alle – öffnen musste. Das Kleid saß an Cassy fest als wäre es mit ihr verschweißt. Entnervt ließ er das Kleid erst einmal in Ruhe und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Cassy amüsierte sich im Stillen über seine Ungeduld. Er schaute in ihre tiefblauen Augen und versank darin, wie in einem Ozean. Der kühle, raschelnde Stoff von Cassy's Kleid auf seinem nackten Oberkörper verschaffte ihm einen angenehmen Schauer nach dem anderen. Dann stand er langsam auf und schob sie unter Küssen und Streicheln ins Schlafzimmer.

Unterwegs griff er seinen Zauberstab von der Anrichte neben der Tür zum Schlafzimmer und schaffte das Problem mit den vielen Knöpfen an Cassy's Kleid ein für alle Mal aus der Welt. Sie fielen einer nach dem anderen in kurzem Rhythmus ab, legten eine eindeutige Spur bis ins Schlafzimmer und er hatte keine Probleme mehr mit dem widerspenstigen Stoff.

Cassy war auf seiner Brust eingeschlafen. Sie hatte einen Arm über ihn gelegt und hielt ihn fest. Vorsichtig legte er ihren Arm zurück und zog seinen unter ihr heraus Er flüsterte „Lumos", um ein paar Kerzen im Schlafzimmer anzuzünden, damit er aufstehen konnte. Als er sie so friedlich schlafend auf der Seite liegen sah, beugte er sich noch einmal über sie und küsste sanft ihre Wange. Jede Minute dieses Weihnachtsabends mit ihr hatte er genossen. Er betrachtete Cassy noch eine Weile - sie lächelte im Schlaf - und musste sich dann aufraffen, dass er wieder in sein Appartement ging.

Eine Überraschung hatte er noch für sie. Es war das kleine Geschenk, das er in dem anderen Geschäft in Hogsmeade gekauft hatte. Den ganzen Abend hatte er überlegt, wann er es ihr geben sollte. Irgendwie hatte es nach dem Kleid nicht gepasst und später auch nicht. Jetzt war er froh darum, dass er es noch hatte. Er hoffte, sie würde sich freuen, wenn sie erwachte und es sah. Er ging in Cassy's Büro und holte ein Stückchen Pergament. Dann schrieb er mit seiner akkuraten Handschrift zwei Zeilen darauf und stellte das kleine Präsent auf ihren Nachttisch.

Bevor er ging, sah er Cassy noch einmal liebevoll an und setzte sich auf den Bettrand. Seine Hände fuhren zart über ihren nackten Rücken und er deckte sie fest zu, dass ihr nicht kalt wurde. Cassy seufzte im Schlaf und drehte sich herum. Wie gerne würde er jetzt bleiben und morgen neben ihr aufwachen. Er sah das zufriedene Lächeln auf ihrem Gesicht und mit diesem Eindruck machte er sich auf den Weg in seine Unterkunft.

Als sie am nächsten Morgen erwachte, war sie alleine. Wie immer. Sie räkelte sich im Bett herum. Sie hatte Weihnachten und Ostern an einem Tag gehabt, wenn sie an die letzte Nacht dachte. Aber eigentlich waren alle Nächte mit Severus aufregend. Immer wieder fiel ihm etwas Neues ein, wovon Cassy dachte, dass es sie an den Rande des Wahnsinns bringen würde.

Ihr Blick schweifte gedankenverloren durch ihr Schlafzimmer und blieb an ihrem Nachttisch hängen. Sie richtete sich auf. Dort stand eine kleine Schmuckschatulle auf einem kleinen Pergament. „Ich hoffe, du hast daran genauso viel Freude, wie ich sie beim Kaufen hatte. Frohe Weihnachten. S."

Cassy öffnete die Schmuckschatulle mit klopfendem Herzen. Er hatte ihr Schmuck gekauft. Etwas, was sie nie erwartet hätte. In der Schatulle lag eine filigrane goldene Halskette mit einem fingernagelgroßen, ovalen Anhänger. Sie hob die Kette heraus und fuhr aus einem Impuls heraus mit dem Zeigefinger über die polierte Goldoberfläche des Anhängers. Daraufhin bildeten sich zwei Schlangen aus, die von zwei Seiten in den Anhänger gekrochen kamen, sich dann verspielt ineinander verschlangen und das Siegel von Severus darstellten. Dann öffneten die Schlangen in der Mitte einen freien Raum und ein wunderschön gestaltetes ‚C' erschien. Cassy war hingerissen. Der Wert dieses Geschenkes war für sie unermesslich. Es war der Gedanke, der Severus dazu veranlasst hatte, ihr etwas so Schönes, Persönliches und Liebevolles zu schenken.

Nach einem Moment waren die Schlangen verschwunden. Sie strich wieder über das Oval und das Schauspiel begann von Neuem. Cassy schaute sich die Schlangen noch mindestens sechsmal an. Ihr ‚C' war eingeschlossen in seine beiden ‚S'. Er würde sie beschützen. Cassy war vor Freude so überwältigt, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.

Sie stand auf, ging ins Bad und machte sich fertig. So lange niemand den Anhänger berührte, würde auch niemand erfahren, dass dieses Geschenk von Severus war. Vielleicht funktionierte er sowieso nur bei ihr. Sie musste Severus fragen. Heute Abend. Vielleicht. Dann legte sie die Kette um ihren Hals, prüfte allerdings sicherheitshalber noch einmal mit diversen Berührungen, ob die Schlangen auch wirklich nicht aus Versehen sichtbar werden konnten und bemühte sich, ein normales Gesicht zu machen, wenn sie jetzt zum Frühstück in die Halle ging.

Severus hatte die Kette um Cassy's Hals gesehen und ihr Gesicht sagte ihm alles, als sie ihm einen guten Morgen wünschte. Er war sehr glücklich, dass seine Überraschung so gelungen war.

Und er zeigte ihr das mit einem richtig verbissenen, miesepetrigen Gesichtsausdruck.

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