Kapitel11
"Vertrau mir einfach.", hatte Harry gesagt. Vertrau mir einfach? Pah! Was denkt er sich eigentlich? Und was war mit Ron los?
Tausend Gedanken schwirrten durch Hermines Kopf, als sie ziellos durch das Schloss spazierte. Sie hätte sich nicht von Harry überreden lassen sollen. Was kann Harry schon ausrichten, was Hermine nicht könnte? Und seit wann hat Harry Geheimnisse vor ihr?
Sie lehnte sich an ein Fenster und sah sich um. Hermine hatte keine Ahnung , wo sie sich gerade befand. Vielleicht im Nordturm? Ihre Beine hatten sie wohl quer durch das Schloss getragen. Draußen wurden die Ländereien von Hogwarts von der Herbstsonne zum Leben erweckt. Von überall her schwirrten ganze Schwärme wunderschöner Zugvögel, die ihre Reise Richtung Süden fortsetzten. Unten entdeckte Hermine ein knutschendes Pärchen, das wohl versuchte die letzten warmen Strahlen einzufangen. Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. "Er wäre am Boden zerstört, wenn er bemerkt, dass ich ihm in den Rücken falle." Genau das hatte Harry vor ein paar Tagen in ihrer Schiffskabine gesagt. Wie konnte sie nur so blöd sein? "Er findet dich schon interessant." Natürlich. Hermine schlug ihre linke Hand auf ihre Stirn. "Natürlich ist er sauer, wenn er auf mich steht!", sagte Hermine zu einer recht korpulenten Dame in dem Gemälde rechts von ihr.
"Genau deiner Meinung, Schätzchen", antwortete diese und besprühte sich mit einem rosafarbenen Parfumflakon.
Hermine machte sich, nun etwas aufgeklärter, auf den Weg zurück in den Gryffindorturm. Für ein Frühstück war es schon viel zu spät. Doch leider hatte sie sich ja verirrt, so dass etwa 20 Minuten benötigte, um wieder in einen bekannten Teil des Schlosses zu kommen. Genervt ging sie auf das Poträtloch zu, als Harry strahlend aus dem Selbigen hinauskletterte.
"Da bist du ja.", sagte er freudig. "Wir haben dich schon die ganze Zeit gesucht."
Hinter ihm kam Ron zum Vorschein. ALs er Hermine erblickte, ging er mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
"Oh Hermine, es tut mir so leid, dass ich dich angeschrien habe.", sagte er und drückte sie ganz fest. "Magst du mich trotzdem noch?"
"Klar.", presste Hermine hervor, doch es war schwer zu sprechen, wenn Ron sein ganzes Gewicht auf ihre Schultern verlagerte. Hinter Ron formte Harry die Worte "später, allein " und Hermine nickte kaum merklich.
So kam es, dass die Drei wieder versöhnt waren und gemeinsam versuchten sie ihre restlichen Ferien wie gewohnt zu verleben. Hermine konnte es kaum abwarten, mit Harry alleine zu sprechen, doch es war schwerer als gedacht. Erst jetzt wurde Hermine klar, wie oft Ron und Harry eigentlich zusammenklebten. Die Beiden schienen wirklich alles zusammen zu machen. Also gab es Hermine auf und wollte nun einfach auf einen passenden Moment warten.
Die letzten Tage der Sommerferien genossen sie am See oder bei Hagrid, so dass schneller als erwartet der erste Schultag bevorstand. Am Abend davor sind die Erstklässler auf ihre Häuser verteilt worden, jedoch ohne Dumbledore. Wo war er bloß?
Am ersten Morgen zurück im Ernst des Lebens warteten Ron und Hermine auf Harry im Gemeinschaftsraum.
"Mist, wir sind sowieso schon viel zu spät dran!, sagte Ron genervt und stellte sich an den Fuss der Treppe. "Harry, ich hab keine Lust gleich am ersten Tag Ärger mit Snape zu bekommen!"
Ding, Dong..
Harry kam abgehetzt die Treppe hinunter gerannt. "Wieso hast du mich nicht geweckt?", rief er zu Ron, während er versuchte seinen Reißverschluss zu schließen. "Kommt jetzt", bellte Harry, als es ihm gelang und zusammen rannten sie durch das Poträtloch.
Kaum 20Meter weiter schrie Hermine laut auf. Die Nähte ihrer Tasche waren geplatzt und der ganze Inhalt verstreute sich auf dem glänzenden Boden. Ihre Freunde machten kehrt und wollten Hermine helfen, als Harry sagte: "Ron, renn du schon mal vor und entschuldige uns bei Snape, wir kommen gleich nach!" Dieser nickte und verschwand.
Schnell suchten sie alles wieder zusammen und Harry wollte schon zu den Kerkern, als Hermine ihn aufhielt.
"Harry, jetzt könntest du mir ein paar Sachen erklären, findest du nicht?"
"Ich glaube nicht , dass wir Snapes Geduld gleich am ersten Tag strapazieren sollten.", bemerkte er kurz und nahm Hermines Hand. "Komm schon." Hermine war sofort versöhnt und gemeinsam betraten sie den Kerker.
Die ganze Klasse hatte schon ihre Plätze eingenommen, während Snape ein süffisantes Grinsen aufgesetzt hatte.
"Wie nett, dass Mrs.Granger und Mr.Potter sich dazu entschieden haben, meinem Unterricht beizuwohnen,", sagte er sarkastisch, als er von Ron unterbrochen wurde. "Aber, Sir, ich habe ihnen doch gesagt, dass..."
"Sprechen sie nur, wenn sie dazu aufgerufen werden, Mr.Weasley! Das lernen hier schon die Erstklässler!", rief Snape barsch in Rons Richtung. " Ich kann es leider nicht durchgehen lassen, dass meine Schüler sich die Freiheit nehmen, wann immer es ihnen beliebt, meinen Unterricht aufzusuchen. Sie haben sich fast 10Minuten verspätet! Das bedeutet 20Punkte Abzug für Gryffindor und Strafarbeit heute Abend bei mir in den Kerkern. Das soll bewirken, dass sie sich dazu herablassen, öfters einmal einen Wecker zu stellen.", sagte er in aller Seelenruhe, während Harry und Hermine rauchend vor Wut ihre Plätze neben Ron aufsuchten. "Sorry,", flüsterte Ron. "Ich habs versucht." Die beiden zuckten mit den Schultern und versuchten Snapes Gerede über den heutigen Trank zu lauschen.
Malfoy drehte seine Kopf in Hermines Richtung und ließ seine Zunge an seiner Oberlippe entlangfahren und machten dazu ein wiederliches Geräusch. Schnell schaute sie zurück zur Tafel. Lass dich nicht immer von ihm provozieren, dachte sie sich. Lass dich nicht provozieren.
Am Abend verabschiedeten sich Hermine und Harry im Gemeinschaftsraum von Ron, der versuchte die heutigen Verwandlungshausaufgaben mit Hilfe einiger Wälzer zu bewältigen. Gemeinsam stiegen sie aus dem Poträtloch und machten sich missmutig auf den Weg.
"Snape ist so ungerecht. Wenn Malfoy zu spät käme, würde Snape sicherlich so etwas Banales wie "Setzen sie sich" oder so sagen", erklärte Hermine stöhnend.
"Wieso bist du denn zur Zeit so schnell sauer?", wechselte Harry das Thema und steckte seine Hände in die Hosentaschen.
"Ich weiß auch nicht. Bei mir geht im Moment alles drunter und drüber. Erst das mit meinen Eltern -ich hab übrigends einen Brief von ihnen bekommen, es geht ihnen gut- dann ist Dumbledore immer noch nicht da, dann das mit dir und das mit Ron, jetzt diese Strafarbeit und zum Schluss haben wir jetzt auch noch Apparierunterricht, für den ich mich noch gar nicht vorbereiten konnte!!" Hermine Leben war zur Zeit wirklich ein Durcheinander.
"Ich glaube du solltest das alles ein bisschen gelassener sehen. Uns geht es doch allen gut! Außerdem bereitet sich keiner auf diesen Unterricht vor und bei dir mache ich mir wirklich keine Sorgen. Du bist schließlich die Einzige, die jeden ZAG bekommen hat.", sagte Harry seufzend und stupfte sie in die Seite. Hermine sah in seine traumhaft schöne Augen. Er hatte ja recht.
"Wie hast du es eigentlich geschafft dein unbändiges Temperament zu zügeln? Letztes Jahr hat dich noch die Fliege an der Wand aufgeregt.", fragte sie und stupfte zurück. Er lächelte für einen Moment.
"Weißt du, seit Sirius,..." Er holte tief Luft. "Na ja...., da denke ich, dass es Wichtigeres auf der Welt gibt, als sich ständig über alles aufzuregen, oder etwa nicht?", schloss Harry.
"Wow, das ist ja schon fast weise.", sagte sie in einem kichernden Tonfall, um schnell das Thema Sirius zu verdrängen. Grinsend nickte er.
Bei den Kerkern angekommen, klopfte Hermine ein paar Mal kräftig, bis Snape mit seiner wiederlichen Stimme sie herein rufte.
"Nicht zu fassen, sie sind pünktlich.", sagte er mit einem Lächeln, welches sich schnell in eine Grimasse verwandelte. "Sie werden mir meine kompletten benutzten Behältnisse abwaschen, trocknen und in alphabetischier Reihenfolge wieder einordnen. Ohne Zauberei!" Er deutete auf einen riesigen Berg verschmutzer Kessel, Reagenzgläser und leerer Behältnisse verschiedener Zaubertrankzutaten. "Rufen sie mich über den Kamin, wenn sie fertig sind. Accio Zauberstäbe! ", sagte er und Hermines Zauberstab, wie auch Harrys flog direkt in Snapes Hände. Dann ließ er die beiden Freunde einfach stehen und schritt wallenden Umhangs aus dem Zimmer.
"Na toll," begann Hermine genervt." Was solls, Harry, am besten trocknest du ab, während ich versuche das Zeug hier sauber zu kriegen." Harry nickte. Nach einer Weile stummer Schufterei ergriff Harry das Wort.
"Perfekte Gelegenheit um dir zu erzählen, wieso Ron so sauer war, findest du nicht?", fragte Harry zwinkernd. Hermine schaute nur kurz auf. "Ich kann es mir eigentlich schon denken.", sagte sie, während sie mit der rechten Hand einen besonders hartnäckigen Kessel bearbeitete.
"Ach ja?", fragte Harry etwas enttäuscht.
"Ja, ich glaube das er in mich verknallt ist, so etwas ähnliches hast du schon mal durchblicken lassen. Und deshalb war er sauer auf dich." So eine Drecksarbeit, dachte sie sich im Stillen.
"Oh, ja stimmt. Na dann... Bist du denn auch in ihn verknallt?", fragte er wie nebenbei. Hermine musterte ihn eindringlich. "Für wen hältst du mich? Natürlich nicht! Ich werde ihm auch keine Hoffnungen machen, ich war noch nie an ihm interessiert!", rief Hermine etwas zu schroff, doch Harry sah in seltsamer Weiße erleichtert aus. Er lächelte sogar ein wenig in sein Handtuch hinein.
Unzählige Stunden später betrachteten die Beiden zufrieden ihre Arbeit. Snape kam wie auf Bestellung hereingestürmt und musterte seine nun sauberen Utensilien kritisch. Nach ein paar quälenden Minuten nickte er. Harry griff seine müde Freundin am Arm und schlurfte mit ihr in den Gang.
"Ich bin so fertig.", sagte Hermine gähnend. "Und meine Hände sind ganz kalt und trocken vom Spülen." Hermine betrachtete ihre rissigen Hände.
"Kein Poblem!", rief Harry, der nicht auch nur ein bisschen geschafft schien und nahm ihre Hände ihn die Seinen. Sie waren warm und sehr angenehm. "Schon viel besser.", flüsterte sie. Harry rieb ihre Finger ein bisschen, so dass sich schneller erwärmten. Doch Hermine war wie versteinert. Sie bewegte sich keinen Millimeter, sondern betrachtete ihren Freund, als ob sie ihn seit Jahren zum ersten Mal sähe. "Mir ist kalt.", sagte sie mit einer ihr unbekannten Stimme. Im Mondlicht sah er irgendwie schutzlos aus. Was passierte mit ihr?
