Die Festung des Bösen II : Der erste Faden webt sich

1.

Wie Wölfe tauchten sie am Rande des Waldes auf, lautlos, sich kaum von dessen Schatten abhebend, und dort verharrten sie, beobachtend und angespannt, genau wie das jagende Pack, während der Anblick, der sich ihnen bot, doch bisweilen den einten oder anderen von ihnen dazu veranlasste, den Griff um seinen Bogen zu verstärken oder die ungehinderte Verfügbarkeit seiner Pfeile zu testen. Nichts hatte ihre Annäherung verraten, kein Brechen von winterstarren Zweigen, kein Knirschen von Schnee unter den Sohlen ihrer Schuhe, kein Vogel, der, gestört in seiner Abendruhe, mit einem schrillen Alarmruf aufgeflattert war, und die Dunkelheit des Düsterwaldes barg noch immer ihre Zahl, und ihre Gesichter, die kalt und vielleicht auch hasserfüllt waren, denn nur wenige Wesen gab es, die die Waldelben mehr hassten als diejenigen, mit denen sie gleich konfrontiert sehen würden.

Verborgen im Dunkel des Waldes blieben sie, bis auf einen von ihnen, der sich von ihnen etwas abhob, sicherlich dadurch, dass er selbst für einen Elben groß war, und vielleicht etwas kräftiger als die meisten seiner Rasse, aber auch dadurch, dass er, und er alleine, aus dem bergenden, schützenden Wald herausgetreten war, und dass der Zorn, der in seinen grauen Augen glimmte, nicht alleine den Spinnen galt, wie es bei ihnen der Fall war.

Dieser Elb war Thranduil, Sohn des Oropher, König der Waldelben im nördlichen Düsterwald, und wenn auch Gandalf erwartet hatte, ihm zu begegnen, ehe der kälteste Wintermonat noch um war, dann war er doch überrascht, ihn schon jetzt zu sehen, kaum waren sie selbst nach Dol Guldur gelangt, und innerlich seufzte er. Es war ihm nicht entgangen, dass sich Galadriel, die neben ihm stand, unmerklich versteifte.

„Es scheint, als wäre unsere Anwesenheit nicht ganz so unbemerkt geblieben, wie uns das lieb gewesen wäre."sagte Elrond lakonisch neben ihm, und Gandalf nickte beiläufig. In Gedanken zollte er dem Elbenkönig aus dem Düsterwald Anerkennung für sein funktionierendes Netzwerk von Informanten (man sagte, dass es die Vögel waren, die den Waldelben in dieser Hinsicht besonders wohlgesinnt waren), das augenscheinlich besser war, als er es noch vermutet hatte, und nicht zuletzt auch dessen Führungsqualitäten, die er allein schon in der Tatsache bewies, dass er eine große Zahl von Waldelben nach Dol Guldur geführt hatte, einen Ort, den sie aus tiefstem Herzen hassten und mieden.

Zumindest nehme ich an, dass da eine große Zahl von ihnen ist.' dachte Gandalf, während seine Augen für einen Augenblick auf dem Waldrand hinter ihm ruhten und nicht auf den Mauern, die IHN beherbergten, ihn, den er jetzt ein- für allemal zu vertreiben gedachte.

Sie sind schwierig auszumachen mit ihren grünen und braunen Kleidern und Mänteln.'

Einige weitere Elben folgten jetzt ihrem Anführer ins nur geringfügig hellere Licht des Abends, während dieser, ohne sich nach ihnen umzusehen, zielstrebig auf die kleine Gruppe zuging, die wartend zwischen ihm und den düsteren Mauern von Dol Guldur stand. Sein etwas zu forscher Gang verriet etwas von dem Zorn, der ihn erfasst hatte in dem Augenblick, in dem er zum ersten Mal etwas von den „Eindringlingen"gehört hatte, die sich, kaum hatten sie den Düsterwald betreten, zielstrebig nach Süden wandten, ohne dass sie ihn, wie es sich gehört hätte, darüber kontaktiert hatten.

Jetzt war der Elbenkönig heran, warf Galadriel nichts als einen kalten Blick zu, der weder ihrer Schönheit noch ihrem messerscharfen Verstand ausreichend Respekt zollte (einfach deswegen, weil sie eine Noldo war, und tief saß noch immer der Stachel der Dagorlad in seinem Herzen) gab Gandalf nichts als ein ebenso kühles Lächeln, eine etwas wärmere Variante davon an Celeborn, um dann seinen Blick unverzüglich auf Elrond zu fixieren. Den Zauberer Saruman beachtete er gar nicht, vielleicht, weil dieser zu den wenigen gehörte, die er, der Elb mit dem Löwenherzen, insgeheim fürchtete.

„Eine seltsame Zeit zur Jagd ist es, Lord Elrond..."sagte er, „...mitten im kältesten Winter, und ein seltsamer Ort dazu ebenfalls, in einem der verfluchtesten Teile des Düsterwaldes, seltsam in der Tat für jemanden, den sie „weise"nennen und „Herrn des letzen sicheren Hafens", „Herrn von Bruchtal"und „Mitglied von geheimen Bündnissen"..."Er ließ den Satz ausklingen, ohne ihn wirklich zu beenden.

Erneut nickte er Galadriel zu, in einer spöttischen Imitation einer höflichen Referenz, etwas, was diese völlig ungerührt ließ, aber Celeborn dazu brachte, unwillig die Augenbrauen zusammenzuziehen.

„Immerhin spricht für Euch, dass ihr euch in guter Gesellschaft befindet." fuhr er fort, und auch dies war in jenem sorgfältig arrogant-gewähltem Tonfall dahingesprochen, von dem es einem schwer fiel zu bestimmen, ob er spöttisch gemeint war oder nicht. Sein Blick ruhte noch immer unverwandt auf Elrond. „Hat eure Jagd schon Erfolg gehabt?"

„Nein." sagte Galadriel ruhig, eine Antwort Elronds vorwegnehmend. „Es ist ein schwieriges Wild, das wir jagen, und mit den gewöhnlichen Ködern eines Jägers, und mit Feuer und Rauch, nicht aus seinem Bau zu locken."Wenn sie durch Thranduils fast unfreundliches Verhalten ihr gegenüber irritiert war, so verbarg sie es gut. Die kühle Höflichkeit, die sie ihm gegenüber an den Tag legte, war nicht von Unfreundlichkeit geprägt, und sie war zu klug, um sich in Feindseligkeiten mit jemandem zu verstricken, der – was für Fehler er auch immer haben mochte – zu ihnen gehörte und ein wertvoller Verbündeter sein konnte, sobald er einmal über seine Vorurteile gegenüber den Noldor hinwegzusehen vermochte.

Zudem wusste sie wahrscheinlich, dass Thranduils Verachtung, die er ihr gegenüber an den Tag legte, nur eine Maske war, mit der er andere Gefühle kaschierte, die von Bewunderung, vielleicht sogar von Respekt geprägt waren, weil er in ihr jemanden erkannte, der ihm eventuell überlegen war an Erfahrung und an Dingen, die er gesehen hatte. Es war ihm dies wahrscheinlich ebenso gut wie ihr bewusst, machte seine Gefühle ihr gegenüber aber nicht unbedingt freundlicher.

Auf ihres Königs Zeichen hin bauten sich diejenigen Elben, die mit ihm aus dem Wald getreten waren und sich bisher noch in höflichem Abstand gehalten hatten, direkt hinter ihm auf. Weitere von ihnen traten aus dem Wald, und sie waren, jetzt, da die Dämmerung endgültig hereingebrochen war, in ihrer dunklen Kleidung nichts weiter als eine Fortsetzung von ihm, kaum unterscheidbar von den kleinen, schlanken Bäumen und Sträuchern, die dessen Rand säumten. Viele waren es, soviel sah Gandalf jetzt bestätigt, und noch immer wusste er noch nicht, wie viele – und ob – weitere von ihnen sich noch immer im schützenden Saum des Waldes verborgen hielten.

Sie gehören nicht hierher.' dachte er, wie es auch Galadriel mit ihren wenigen Worten an Thranduil ausgedrückt hatte, und er dachte es auch noch, als sich die restlichen Waldelben hinter ihrem König aufreihten, Mann für Mann, bewaffnet mit Bögen und Schwertern, Dolchen und Messern, die Gesichter ernst und gespannt; und wohl gerüstet für den Krieg, in den sie gleich geführt werden würden, so schienen sie und waren es doch nicht, wie der Zauberer wusste, und sein Herz krampfte sich vor Besorgnis zusammen.

Oder waren etwa sie, der Weiße Rat, es, die nicht gerüstet genug waren? Lag etwa dieser Gedanke, gar ein Gefühl der BESORGNIS um sie, und nicht nur der verletzte Stolz von jemandem, der nicht als gleichberechtigt betrachtet worden war in einen Kreis von Mächtigen, hinter dem forschen Gehabe von Thranduil? Ein leises Lächeln umspielte plötzlich Gandalfs Lippen, und ein Ausdruck von Belustigung ersetzte für einen Augenblick den angespannten Ernst auf seinen Zügen, als er erkannte, dass Thranduils grimmige Miene nur die seinige widerspiegelte, und dass dessen Gedanken den seinen im Augenblick identisch waren.

Sie gehören nicht hierher! Sehen sie denn nicht, was hier in Dol Guldur vor sich geht?' Oh, er wusste nur zu gut, was Thranduil sah: Die Schatten der Düsterwaldspinnen und ihrer Netze, zahlreich an diesem Ort des Bösen wie die Fliegen auf einer Morchel, die grossen Fledermäuse, die, in der Dämmerung erwachend, sich flatternd in den Himmel erhoben, das lagernde Rudel von Wölfen mit hängenden Zungen, und das Wachfeuer einer Gruppe von Orks – und eine kleine Gruppe von Zauberern und hohen Elben, die augenscheinlich den Verstand verloren hatten und sich imstande wähnten, mit einer solchen Armee von Feinden im Alleingang fertig zu werden! Das war es, was Thranduil sah, nicht mehr und nicht weniger, und hinter seinen wütenden Worten verbarg sich nur seine immense Erleichterung darüber, mit seinem Aufgebot an Elben noch rechtzeitig gekommen zu sein, um diesen Wahnsinn eines Angriff auf Dol Guldur, wenn er ihn schon nicht beenden konnte, dann doch zu unterstützen.

Doch etwas gab es, dass sich den Augen des Elbenkönigs entzog, und, was trauriger war, auch seinen Kräften, und dies war das Böse im Innern der Gemäuer Dol Guldurs, von dem die schwarzen Kräfte, die es bewachten, zwar real und greifbar, aber nur ein Abklatsch von dessen dunkler Macht waren, und genau auf diesen Punkt beruhte seinerseits Gandalfs Zorn über das unvermutete Auftauchen von Thranduil und seinen Kriegern. Sie gehörten nicht hierher... Pfeil und Bogen, Schwert und Messer, Mut, Zähigkeit und Kampfkraft gegen die Kräfte von etwas, das selbst Gandalf als eine Essenz des Bösen einschätzte! Als würde man Kinder in den Kampf schicken...

Sein Blick streifte noch einmal über die Elben, die vor ihm versammelt waren, und er sah ihre kalten Augen, die starren, entschlossenen Gesichter. Ein Lächeln, fast wehmütig, flog über sein Gesicht. ‚Ja, ahnungslos wie Kinder mögen sie sein.' dachte er. ‚Doch zumindest sind sie gefährliche Kinder.'

Thranduils Wut schien mittlerweile erloschen zu sein wie die Glut eines aufgegebenen Herds, und ein fragender Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, derselbe, der sich –mehr oder weniger ausgeprägt- auch in den Mienen seiner Männer spiegelte. „Was geht hier vor sich?"so schienen sie zu fragen. „Wozu all diese heimlichen Vorgänge? Und dies in jenem Land, das wir „Heimat"nennen?"

Gandalf spürte, wie seinerseits sein Unmut über das unverhoffte Auftauchen der Waldelben schmolz wie von der Sonne berührtes Eis im Frühjahr. Ja, berechtigte Fragen waren das, vielleicht genauso berechtigt wie all seine Zweifel, und so nickte er dem stolzen Elbenkönig denn zu.

„Gebt mir einige Minuten, Thranduil."sagte er. „und ich erkläre euch, was wir hinter den Mauern von Dol Guldur vermuten – und wie wir es zu vertreiben gedenken."
Ja, es gab nichts mehr zu zögern – das Heft war ihm und dem Weissen Rat aus der Hand genommen worden zugleich mit dem Auftauchen des ersten Waldelbs! Niemand, der noch recht bei Sinnen war (und der auch nur einen Hauch von Ahnung vom Charakter der Waldelben hatte) würde sich anmaßen, einem verärgerten Thranduil etwas zu befehlen!

Beraten, zum Handeln bewegen, lenken...das waren die Dinge, für die er hier und geeignet war, mit der Last seiner Erfahrungen, seinem Scharfblick und seiner tiefen Kenntnisse der Natur der Dinge! Beraten, zum Handeln bewegen, lenken...wie leicht konnten solche Tätigkeiten korrumpiert werden zu dirigieren, manipulieren und dominieren! Und wie schnell wurde aus jemandem, der nichts weiter tat, als die Figuren eines Puppentheaters auf eine kleine Bühne zusammenbringen, ein wirklicher Puppenspieler, der seine Marionetten ganz nach eigenem Belieben hilflos an ihren Fäden tanzen ließ? Es war dies eine Frage, der sich selbst Gandalf ungern stellte, die ihn aber ebenso unerbittlich verfolgte wie ein Schweißhund ein angeschossenes Wild. Schwierig war es, einen Weg zu finden, diese seine Anforderungen an sich selbst zu erfüllen, der Weg selbst einer Gratwanderung gleich, und unsicher zu begehen in hellem Tageslicht, aber lebensgefährlich, wenn der Sturmwind Gewitterwolken vor sich hertrieb und den Himmel verdunkelte. Es gab wohl nichts, das Gandalf mehr fürchtete, als von diesem seinen Weg abzukommen und zu straucheln, weil er wusste, dass die Abgründe, in die er dann stürzen würde, diejenigen seiner eigenen Seele waren.

Thranduil, etwas überrascht durch Gandalfs bereitwilliges und unerwartetes Entgegenkommen, warf einen kurzen Blick auf den Elben, der wartend neben ihm stand. War ihm irgendetwas entgangen? Auf dessen fast unmerkliches Neigen des Kopfes nickte er dann ebenfalls bejahend zu Gandalfs Vorschlag, der dem Austausch interessiert gefolgt war und erneut ein amüsiertes Lächeln unterdrücken musste. Groß, breitschultrig, kühle wache Intelligenz in den buchengrauen Augen, ein Gesichtsausdruck, der besagte: „Ich bin bereit, es mit der ganzen Welt aufzunehmen!"Die Ähnlichkeit zu Thranduil war unverkennbar! Der Elbenkönig hatte seinen Sohn an seiner Seite... und es war einer, auf den er augenscheinlich hörte! Es würde sich lohnen, sich dessen Gesichtszüge einzuprägen...

Und Gandalf ging und erklärte Thranduil alles, dann machten sich beide daran, die ihrigen in den Kampf zu führen, vielleicht noch ernster, noch grimmiger als zuvor, doch in gegenseitigem Einverständnis jetzt. Die Spieler waren auf der Bühne, und nun warteten sie auf das Erscheinen des Drachens. Obwohl sich Gandalf jetzt sicher war, dass er die richtige Entscheidung gefällt hatte, blieb doch ein nagendes Gefühl des Unbehagens in ihm zurück; die Gewissheit eines Fehlers, der künftiges Unheil heraufbeschwören würde – und den hatte er auch begangen. Indem er selbst nicht hatte zum Puppenspieler werden wollen aus edlen Motiven heraus, erlaubte er es doch einem andern, dessen Stelle einzunehmen; und dieser andere kannte keine Skrupel und zog kräftig an den Fäden.
Fortsetzung folgt...

Anmerkung der Autorin: So, dieses Kapitel sollte in Punkto Länge für die kurze Einführung entschädigen! Wie immer wäre ich über Kommentare und Anmerkungen sehr dankbar! Die brauchen auch das Drei- bis Vierbuchstabenlängenmass nicht zu überschreiten...