Die Festung des Bösen II: Die Söhne des Königs (I)
Die Nachtschatten verliehen der Lichtung vor ihm einen surrealen, alptraumhaften Charakter; bevölkert von plötzlich auftauchenden zischenden, fauchenden und brüllenden noch dunkleren Schatten, die bissen, vergifteten und töteten. Man erahnte ihre Konturen mehr, als dass man sie deutlich sah – und ebenso diejenigen derer, die sie bekämpften. Das Zielen unter diesen Umständen war wahrlich alles andere als einfach!
Legolas kniff die Augen zusammen. Die kalte Ruhe, die er zu Beginn des Kampfes um verspürt hatte, war nach und nach Nervosität und Unruhe gewichen, die er sich selbst nie eingestanden hätte, die aber seine Schultern sich verspannen und seine Finger den Griff seines Bogens fast schmerzhaft umklammern ließen. Nur noch zwei Pfeile übrig... und noch sah es nicht so aus, als würde die Schlacht rasch zu Ende gehen! Sie waren auf erbitterten Widerstand gestoßen...
Ob es wohl auch den Mitgliedern des Weißen Rates so ergangen war? Seit jene die Mauern von Dol Guldur betreten hatten, war noch keiner von ihnen wieder zum Vorschein gekommen! Nicht dass ihn, Legolas, dies hier und jetzt groß gekümmert hätte! Wie jeder geübte Krieger hielt er all jene Gedanken im Zaum, die nichts mit der unmittelbaren Schlacht und dem eigenem Überleben zu tun hatten; und Sorgen über den Verbleib von Elrond und seinen Begleitern gehörten nun ganz bestimmt in jene Kategorie.
Obwohl er – wie alle Waldelben und ganz bestimmt sein Vater- verstimmt war über die offensichtliche Heimlichtuerei des Bruchtal-Fürsten um etwas, das in ihrer Heimat stattfand und ihr Leben direkt betraf, war er zu pragmatisch veranlagt, sich über Ungewissheiten und Rätsel Sorgen zu machen, in die einzuweihen ihn niemand recht gewillt war. Nein, all sein Denken war darauf ausgerichtet, ganz einfach zu überleben – und jene am Leben zu erhalten, die ihm teuer waren.
Während es deren viele gab (unausgeglichen war der Kampf, hin und her wogend wie das Kriegsglück selbst, und auf beiden Seiten gab es Verluste), so suchten seine Augen doch immer wieder die hohe schlanke Gestalt seines Bruders, über den er schon seit Beginn des Kampfes mit Argusaugen wachte, von dem Augenblick an, in dem sein Vater ihn und Ferêryn angewiesen hatte, bei den Bogenschützen zu bleiben, die als Rückendeckung der Elben, die in Zweikämpfe verwickelt würden, dienen konnten.
Nun, Thranduils Taktik hatte sich bewährt, und die unerschütterlich an ihrem Platz bleibenden Bogenschützen hatten die Reihen der Feinde gelichtet, wie es die Waldtiere mit den Garben eines unbewachten Feldes tun; doch allein zum Sieg verholfen hatten sie ihm nicht, weil die Zahl seiner Gegner größer war als er sich dies in seinen düstersten Berechnungen vorgestellt hatte.
Ferêryn hatte (genau wie Legolas selbst) zuerst nicht allzu glücklich darüber ausgesehen, zurückbleiben zu müssen (an seinem Mut hatte es nie den geringsten Zweifel gegeben, auch wenn er nie ganz so gewandt als Kämpfer geworden war wie seine Brüder), hatte sich dann aber achselzuckend gefügt und zu ihm, Legolas, gewandt, gesagt: „Du Beldáuil, ich Vater."
Legolas hatte nur knapp genickt, weil ihm eine unbestimmte Erregung vor dem Beginn des Kampfes die Kehle zugeschnürt hatte, so dass er sich zu Sprechen außerstande fand. Jene war erst erloschen, als Thranduil den Befehl zum Angriff gegeben hatte, und hatte einer kalten Gelassenheit Platz gemacht. Seither tat er eben, was Ferêryn ihm als Aufgabe zugewiesen hatte: Er wachte über seinen Bruder.
Jener selbst hätte diese Vorsichtsmassnahme für völlig unangebracht gehalten, galt Beldáuil doch als einer der besten Kämpfer im Düsterwald; und seine Kühnheit und sein Mut waren geradezu legendär. Wenn jemand in einer Schlacht auf sich aufpassen konnte, dann Beldáuil!
Diejenigen die Thranduils ältesten Sohn aber näher kannten, wussten es besser. Oh ja, Beldáuil war unbestreitbar ein herausragender Krieger, der zudem nie den Kopf verlor, wenn es brenzlig wurde, herausragend selbst unter den Männern eines Volkes, deren sich zunehmend als gefährlich erweisende Heimat jedem einzelnen Mut, Einfallsreichtum und Geschicklichkeit abverlangte alleine um zu überleben. Es war eher das „Zuviel"an Mut, Beldáuils Tapferkeit, die an Tollkühnheit grenzte, die jenen, die ihn kannten, Sorge bereitete.
Jemand, der in einem Kampf so viel riskierte, tat dies entweder, weil er sich seiner Fähigkeiten allzu sicher war und sich unverwundbar wähnte; oder aber, weil er sein eigenes Leben zu gering einschätzte und bereit war, es für andere bereitwillig, vielleicht zu bereitwillig, in die Waagschale zu werfen. Während beide Haltungen einen guten Soldaten ausmachten und ihren Trägern, vorausgesetzt, dass sie lange genug überlebten, bald einmal den Titel „Held"einbrachten, so gefiel doch Legolas die Vorstellung nicht, dass sein Bruder seine manchmal geradezu selbstmörderischen Heldentaten aus überhaupt einem dieser Motive beging. Ja, eine unbestimmte Furcht hatte ihn schon damals gepackt, als er zum ersten Mal mit eigenen Augen gesehen hatte, was Beldáuil einen schon beinahe legendären Ruf eingebracht hatte, und jene Furcht begleitete auch heute jede seiner Bewegungen.
Noch zwei Pfeile übrig...Oh, er konnte sich nicht sicher sein... Doch der Ork, den er soeben mit einem Pfeil in die Kehle erledigt hatte, die eher kleine Düsterwaldspinne, die hinterrücks aufgetaucht war... wäre Beldáuil mit diesen Gegnern fertig geworden, hätte er nicht eingegriffen? Wahrscheinlich schon, doch ein kleiner Zweifel blieb, nagte an seinem Unterbewusstsein wie Flusswasser an Felsen, die ihm den Weg versperren. Sie Beldáuil gegenüber zu äussern, wäre zwecklos gewesen. Jener hätte sich im günstigsten Falle amüsiert, wahrscheinlich aber gereizt und verständnislos reagiert, und Beldáuils Zorn war nicht etwas, das man leichtfertig auf sich zog...
Aus den Augenwinkeln sah er, dass sein Bruder neben ihm seinen Bogen zu Boden sinken liess, dem sofort der jetzt nutzlose, da leere Köcher folgte.
„Ferêryn!" presste Legolas vorwurfsvoll zwischen den Zähnen hervor, während er mit einem leisen Gefühl des Unbehagens spürte, wie sein letzter Pfeil, der einem grauen, struppigen, abgemagerten Wolf galt, von der Sehne glitt. „Du weißt, was Vater gesagt hat: Außerhalb der Reichweite der Spinnen bleiben und nur Pfeil und Bogen einsetzen, bis wir die Situation unter Kontrolle haben!"
Er nahm sich einen Augenblick Zeit, sowohl den Flug seines Pfeils wie auch dessen durchschlagenden Erfolg zu beobachten; jetzt, da er keine neuen Pfeile mehr zur Verfügung hatte, die er ihrem Vorgänger hätte folgen lassen können, dann schielte er erneut aus den Augenwinkeln heraus nach seinem Bruder. Was er sah, gefiel ihm nicht: Ferêryn hielt bereits abwägend sein Messer in der Hand und blickte suchend auf die Lichtung vor ihm, wohl um festzustellen, welchen kämpfenden Waldelben er sich anschließen sollte. Bei Legolas' Worten sah er hoch und grinste tatsächlich.
„Vater hat uns hier als Rückendeckung für die Kämpfenden positioniert." sagte er. „Demzufolge sind wir nur moralisch verpflichtet, solange hierzubleiben, wie wir diese Aufgabe auch erfüllen können..." Ein Schulterzucken seinerseits, ein langsam erlöschendes Lächeln. „Hier sind wir zu nichts mehr nütze!"
Legolas seufzte, aber auch er überblickte jetzt suchend das Schlachtfeld vor ihnen. Er gab seinem älteren Bruder keine Antwort. Stattdessen umfasste seine Hand ebenfalls den Griff seines Messers. Jetzt sah Ferêryn einen Augenblick bestürzt aus, etwas, das Legolas seinerseits fast ein Lächeln entlockte: Hatte sein Bruder tatsächlich geglaubt, er würde hier zurückbleiben? In relativer Sicherheit, aber völlig nutzlos? Doch wenn Ferêryn irgendwelche Bedenken diesbezüglich hatte, überwand er sie rasch. „Pass auf dich auf, Bruder."sagte er, und dann war er verschwunden.
Legolas folgte ihm einen Augenblick später. Der Aufbruch des Brüderpaars war ein Signal für die andere Handvoll Waldelben, die mit ihnen am Rande der Lichtung als Rückendeckung zurückgelassen worden waren. Auch sie hatten längst ihre Pfeile verschossen, nur Thranduils ausdrücklicher und unmissverständlicher Befehl, am Waldrand zu verharren, hatte sie an Ort und Stelle gehalten. Jetzt, da des Elbenkönigs eigene Söhne dessen Befehle missachteten, konnten sie es mit guten Gewissen ebenfalls tun – er würde Schwierigkeiten haben, sie deshalb zur Rechenschaft zu ziehen!
Abgesehen davon war ihre Präsenz auf dem Schlachtfeld bitter notwendig, denn der Widerstand, auf den sie gestoßen waren, entsprach etwa dem, was Dolondil, Thranduils ständig düster dreinblickender Berater, der besonders in militärischen Dingen einen großen Einfluss auf den Elbenkönig ausübte, vorhergesagt hatte. „Es ist nicht die Präsenz dieses schwarzen Ungeziefers..."hatte Dolondil zu Thranduil gesagt, kurz vor ihrem Aufbruch in winterlicher Kälte. „Es ist lästig, wie es zu viele Flöhe im Fell des Bären auch sind, doch kümmert mich dies wenig. Noch haben wir genügend Bögen und Pfeile, ihnen das Fürchten zu lehren! Was mir aber wirklich Sorgen macht..."
Der Elbenkönig hatte unwillig die Stirn gerunzelt. Wenn Dolondil so etwas wie Befürchtungen äußerte, dann war es in der Regel äußerst angebracht zu hören, was dieser zu sagen hatte!
„...ist ihr Mangel an Respekt. Sie fliehen uns nicht, wie sie das früher getan haben, sondern dringen weiter und weiter in unser Gebiet vor, Spinne, Wolf oder Ork, ganz so, als ob sie uns auf keinen Fall zu fürchten hätten."
Thranduils Stirnrunzeln vertiefte sich.
„Nun, worauf ich hinaus will..."fuhr Dolondil fort, ohne auf die Miene des Elbenkönigs zu achten, „...ist, dass sie sich entweder wie Ratten verhalten, die, wenn sie sich einer stattlichen Anzahl erfreuen, Späher aussenden, die Beute aufstöbern und Futter vorkosten, aber ganz und gar entbehrlich sind, weil sie genügend hungrige Brüder und Schwestern haben, die sie ersetzen können; oder aber wie jemand, dessen Rücken gedeckt ist von einer Macht, die die unsrige übertrifft."Hier flog der Schatten eines Zweifels über sein Gesicht – wenigen Wesen räumte er eine solche Macht ein – doch das änderte nichts an seiner düsteren Ansicht über das Erstarken der dunklen Kreaturen, das der Düsterwald gegenwärtig zu beklagen hatte.
Weiter führte Dolondil seine Ansichten nicht aus (er hatte für seine Verhältnisse ohnehin schon sehr lange geredet), doch Thranduil schien sich bereits ähnliche Überlegungen gemacht zu haben, denn er nickte nur beiläufig, und Dolondil erkannte an dem harten, kalten Licht in des Königs Augen, dass dieser seinen Entschluss, was Dol Guldur und die Orks betraf, bereits gefasst hatte. „Wenn sie wie die Ratten sind..."sagte er, „...dann werden wir sie auch wie Ratten ausräuchern. Und sollten sie einen Rattenkönig gefunden haben, dessen Zähne noch schärfer und dessen Hunger noch größer ist als ihr eigener, dann ist es höchste Zeit, die Knoten, mit denen er sie an sich bindet und sie stärkt, zu zerschlagen. Die Katzen sind es, die sieben Leben haben, nicht die Ratten, und wie Katzen werden wir unsere Zähne in dieses widerliche Getier schlagen, wenn wir ihr Nest einmal aufgespürt haben!"
Dolondil seufzte ob diese Rede, hatte aber nichts anderes erwartet. „Die Männer sind bereit."sagte er. „Dol Guldur wartet."
Dies entlockte Thranduil ein leises Lächeln.
„Auch ich habe nicht vor, leichten Herzens zum Nekromanten zu gehen."sagte er.
„ich danke dir für deine Worte. Ich werde sie nicht vergessen."
Auch Legolas hatte sie nicht vergessen, als er ein leises „Viel Glück!" zu Ferêryns entschwindendem Rücken sagte, und Glück hätten sie auch gebrauchen können.
Doch wie so oft im Leben war jenes eine launische Sache, und rann aus wie ein kleines Bächlein, das sich in eine trockene Ebene ergiesst; und bei Ferêryn, da passierte dies noch früher als bei Legolas.
Fortsetzung folgt...
Anmerkung der Autorin: So, da wären wir schon mal in der Nähe eines Cliffhangers (hihi), deren Schreiben nun einmal unheimlich Spass macht. Es wäre natürlich toll, wenn der einte oder andere Leser auch Spass daran hatte, bis hierhin zu lesen hoff und noch toller, wenn er sogar ein Review/Kommentar dazu abgeben würde nochmehrhoff"...
