Die Festung des Bösen V – Der Erbprinz
Der Klang von Eisen auf Eisen war das erste, was er wieder bewusst wahrnahm, wenn auch nur gedämpft, wie es die Sinnesempfindungen jener sind, die unverhofft unter Wasser geraten, gefolgt von einem dumpferen Laut und einem rauen Schmerzenschrei, dessen Wahrnehmung aber noch mit keinerlei Verständnis gekoppelt war.
Dann aber kehrten seine Sinne zurück, überwach, als wollten sie für ihre vorherige Fehlleistung kompensieren: Da gab es eine Woge aus Übelkeit und Schwindel, die über ihn hinwegwusch und ihn schwach und beinahe zitternd zurückliess; mit dem bitteren Geschmack von Galle im Mund. Da war das Gefühl von kaltem Schweiss auf der Haut, nass und klamm und bereits gefrierend im eisigen Winterwind - ein schwacher Nachklang der Kälte, die die eben noch empfundene Todesangst mit sich gebracht hatte.
Da war seine Umgebung, auf die er plötzlich wieder fokussieren konnte, die er wahrnahm deutlicher als zuvor, in mehr Details und mehr Farben, als sie die nachtschwarze Umgebung eigentlich aufweisen konnte; und das Pochen seines eigenen Blutes in seinem Kopf, so stark und so laut, dass es beinahe schon den Lärm der verebbenden Schlacht um ihn ausblendete; und den Klang der beruhigenden Stimme, die dicht neben seinem Ohr – wie lange wohl schon? – auf ihn einredete.
Dann, endlich, kehrte auch sein Verstand zurück, und das plötzliche Verstehen, dem Tod (einem hässlichen, unschönen Tod, aber das waren die meisten Tode auf dem Schlachtfeld) nur um eine Haaresbreite entgangen zu sein, ließ seinen Magen erneut revoltieren, und auch die Welt nahm ihren fröhlichen Tanz um ihn herum wieder auf. Wenigstens hörte er jetzt wieder etwas, aber darüber freute er sich nur kurze Zeit.
„Hübscher Trick, mit dem du sie erledigt hast, kleiner Bruder!"sagte die Stimme, die ebenso wie die stützende Hand auf seiner Schulter niemandem anders als Beldáuil gehörte. „Das heißt, er wäre hübsch, wenn du gelernt hättest, dich nach ihm rechtzeitig aus der Gefahrenzone zu bewegen! Wer hat dir das überhaupt beigebracht? Etwa Ferêryn? Tsk, nichts kann man heutzutage einem andern überlassen... Also, wenn..."
Legolas lauschte dem Klang seines Bruders Stimme, und es lag keine Spur des sonst so charakteristischen lässig-gönnerhaften, milde herablassenden Tons darin, der so kennzeichnend für Beldáuil war, wenn er mit seinen jüngeren Brüdern sprach, sondern ernsthafte Besorgnis, Nervosität und...Zuneigung. Ja, das war es. Zuneigung.
Legolas, gegen seinen Willen gerührt, fand von irgendwoher die Kraft, den Brechreiz, der ihn noch immer in seinen Klauen hielt, niederzukämpfen und auf die Füße zu kommen, ohne von einem erneuten Schwindel niedergestreckt zu werden. „Okay..."sagte er und war selbst überrascht, wie gepresst und kurzatmig seine Stimme klang.
Ich muss mich wohl mehr verausgabt haben, als ich gedacht habe...Oder kriege ich keine Luft, weil meine Rippen so scheußlich schmerzen?
„Ich bin okay. Es geht schon wieder. Ich war bloß für einen Augenblick..."Tief atmen. Die Übelkeit geht vorbei. Ganz sicher ist sie gleich vorbei...
Der Druck der Hand auf seiner Schulter verstärkte sich, bevor er verschwand. „Ich weiß."sagte Beldáuil. „Ich habe zugesehen."Das „Gut gemacht, kleiner Bruder"kam nicht über seine Lippen, schwang aber in seinen Worten mit.
„Danke." sagte Legolas, und die Einfachheit dieses simplen Wortes wurde dem nicht gerecht, was er für die Rettung seines Lebens durch seinen Bruder empfand, wohl aber seiner noch immer anhaltenden Kurzatmigkeit, und der Anflug eines Lächelns erschien auf seinen Lippen. „Danke, denke ich."
Sein Bruder grinste, seine Zähne schimmerten weiß in seinem blut- und staubverschmierten Gesicht, ein Grinsen, das jedoch erlosch, als Legolas, sich schützend die Seite haltend, vorsichtig auf die Knie zurücksank und den Boden um sich herum abzutasten begann. Ein Schwert...habe ich da nicht irgendwo ein Schwert blitzen sehen?
„He, was soll denn das werden?"protestierte Beldáuil, gerade in dem Augenblick, in dem sich Legolas' Hand um das Heft der von einem glücklosen Kämpfer aufgegebenen Waffe klammerte. Wusst ich's doch, dass du hier irgendwo steckst...
Wieder zerrte ihn Beldáuils Hand hoch (und er musste zugeben, ohne dessen Hilfe wäre es wohl schweißtreibende Arbeit gewesen, wieder in die Senkrechte zu kommen), und endlich schwang auch wieder die altbekannte gutmütige Überheblichkeit in des Bruders Stimme mit, die Legolas so leicht zur Weißglut brachte.
„Legolas! Lass den Unsinn! Der Schlag, den du abgekriegt hast, war nicht von schlechten Eltern..."
Willkommen zurück, Bruderherz. Ich dachte schon...Gleich wirst du sagen „Etwas mehr Uebungen im Zweikampf, etwas weniger eitles „Ich werde der beste Bogenschütze von allen werden"Training, und so etwas wäre nie passiert...
„Etwas mehr Uebungen im Zweikampf, etwas weniger eitles „Ich werde der beste Bogenschütze von allen werden"Training, und so etwas wäre nie passiert!"
Dabei hast du nur Angst, dass ich beim „eitlen Bogenschiessen"einmal besser werde als du... Seltsamerweise ist mir aber zu übel, und zu kalt, um mich über deine Gönnerhaftigkeit aufzuregen. Schließlich siehst du, Beldáuil, nicht unbedingt besser aus als ich!
„Legolas!" wiederholte Beldáuil jetzt, weicher, seine Worte durch ein ziemlich nachdrückliches Rütteln an des Bruders Schulter unterstreichend. „Legolas! Ferêryn hat es erwischt. Eine dieser hässlichen schwarzen Biester...
Orks, Spinnen oder Wölfe...Du drückst dich ziemlich unklar aus, Bruder!
„Er sitzt..."Beldáuil warf den Kopf herum, um nach seinem Bruder zu sehen und seufzte dann. „...steht da drüben am Waldesrand. Er braucht jemanden, der ihn daran hindert, sich wieder in die Schlacht zu stürzen. Das Gift der Spinnen zirkuliert auch so schon genügend rasch durch seine Adern...Kein einfacher Job, Bruder, aber du wirst es schon schaffen. Notfalls mit dem Einsatz von Brachialgewalt..."
Und weg war er, das Schwert erhoben, bereit, sich erneut in den Kampf zu stürzen, und sein Gang war leicht und tänzerisch wie immer, trotz des jetzt schon lange anhaltenden Kampfes, trotz der schweren Rüstung, die er trug, etwas, das seiner Zähigkeit und Stärke mehr Anerkennung zollte als Worte es je vermocht hätten.
Jetzt war es Legolas, der seufzte. Wie kommt es, dass immer nur ich, Ferêryn und Gailgaloth Spinnenbisse oder Orkblut abkriegen und du nicht?
Er dachte es mit einem Lächeln, während er sich noch einmal seine noch immer brennenden und tränenden Augen rieb, um sich dann, wie ihm geraten worden war, zu Ferêryn zu begeben. Soweit er dies erkennen konnte, schien sich die Schlacht ohnehin dem Ende zuzuneigen! Den Elben hatten die überlebenden Wölfe, Spinnen und Orks eingekesselt und zusammengetrieben und drangen jetzt von zwei Seiten her auf sie ein, die einen geführt von der mächtigen Gestalt seines Vaters, die andern von der schmaleren, aber agileren seines Bruders, und zwischen diesen zwei Felsen würden diese Kreaturen der Nacht so sicher aufgerieben werden wie das Korn zwischen den Steinen des Mühlsteins. Für ihn gab es da nicht mehr viel zu tun...
Damit wären wir dann wohl beide aus der Gefahrenzone, Beldáuil. Das war es doch wohl, was du bezweckt hast, als du mich schicktest, Ferêryn beizustehen!
Wieder lächelte er. Natürlich würde Beldáuil sich lieber die Zunge abbeißen als zuzugeben, dass er sich Sorgen um seine jüngeren Brüder machte, aber durch seine Taten, da hatte er es mehr als genug bewiesen. Noch immer brannte Legolas' Gesicht, aufgrund seiner allergischen Reaktion auf die Spinnenhaare, wie er sich selber versicherte, und nicht etwa, weil seine Wangen glühten vor Beschämung, weil er sich von seinem Bruder hatte retten lassen müssen....
„Offensichtlich hatte retten lassen müssen", präzisierte er sich in Gedanken dann selber, denn während er sich sicher war, dass auch er heute- zumindest einmal – seinem Bruder das Leben gerettet hatte, so schien es doch immer seinem Bruder vorbehalten zu sein, dies so zu tun, dass es jedem augenfällig war, während er, Legolas, jedes Mal dazu an der Reihe war, wenn es keine Lorbeeren zu ernten gab...
Nicht dass ihn so etwas geärgert hätte...höchstens manchmal, ein ganz kleines bisschen, wenn seines Bruders Stimme jenen gönnerhaft-arroganten Tonfall annahm oder er ihm eine –meist tatsächlich vorhandene – Überlegenheit allzu selbstzufrieden unter die Nase rieb. Noch einmal suchte sein Blick die Gestalt seines Bruders, und Legolas lächelte, als er ihn entdeckte, jetzt neben seinem Vater stehend, das Schwert jubelnd in die Luft gestreckt, das Gesicht lachend und voller Begeisterung über ihren jetzt offensichtlichen Sieg gegen das Böse, das ihrer aller Heimat besudelte, und bevor er sich versah, hatte er ebenso in die lauten Freudenrufe der andern siegreichen Elben eingestimmt.
Sein Vater, seine Brüder – und er- hatten eine blutige Schlacht überlebt, und der Düsterwald konnte von nun an wieder besseren Zeiten entgegensehen, vielleicht gar wieder zum Grünwald werden – Gründe zum Jubeln gab es genug, und Legolas' Herz war so leicht wie schon lange nicht mehr.
Hätte ihm jemand damals gesagt, wie sehr er sich irrte im Bezug auf alle Punkte, in denen er jetzt Erleichterung und Freude empfand, in Bezug auf seinen Vater und seinen älteren Brüder, um die er sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen wähnte, Im Bezug auf die helle Zukunft ihres Reiches im Düsterwald und selbst in Bezug auf sein eigenes Leben, er hätte nur gelacht.
Doch die Realität hat eine Art, mit unseren Träumen, Wünschen und Vorstellungen zu kollidieren, die nicht immer angenehm, bisweilen schmerzend oder gar unerträglich ist, und Legolas' Erwachen würde – früh genug – in letztere Kategorie fallen.
Fortsetzung folgt...
Anmerkung der Autorin: Immer noch dieselbe Szene, ich weiss, ich weiss...ich wollte eigentlich weiterkommen, das Kapitel wäre aber so viiiel zu lang geworden!
Wenigstens kann ich so garantiert nächste Woche (trotz Wohnungswechsel und so) updaten...falls jemand überhaupt bis hier gelesen hat! Hallo? Jemand da draussen? Oder hab ich euch alle eingeschläfert? Reviews please?
Für Elanor: Obiger Kommentar gilt natürlich nicht für dich...Es macht mir immer grossen Spass, deine für mich sehr schmeichelhaften Kommentare zu lesen, und wenn einer davon eintrifft, bin ich meist so motiviert, dass ich mich gleich hinsetze und ein, zwei Stunden weiterschreibe, selbst wenn ich Schreibstau habe oder die Ideen nicht gerade so fliessen! Man ist sich ja immer irgendwie im Zweifel, ob jetzt auch alles verständlich/interessant/sprachlich schön geschrieben ist, und deshalb freut man sich sehr über Bestätigung, vor allem, wenn man so lange braucht wie ich, um überhaupt etwas aufs virtuelle Papier zu bringen...
