Die Festung des Bösen VI – Von weissen Rittern und schwarzen Steinen
Das blaugraue Dämmerlicht des erwachenden Morgens begrüsste sie, als sie aus den Mauern von Dol Guldur traten, sowie der ausgelassene – und erleichterte – Jubel der siegreichen Waldelben, ein Jubel, der ein schwaches Lächeln selbst auf die ernsten Gesichter der Mitglieder des Weissen Rats zauberte, nicht aber die Sorge und Unruhe aus ihren Gedanken zu vertreiben vermochte.
Ja, auch Gandalf lächelte, doch fand sein Lächeln kein Echo in seinem Herzen, gleichsam einem Ruf, der ungehört verhallt, da der Wind ihn fast noch von den Lippen des Rufers verweht; und innerlich fühlte er sich müder und leerer, als ihm dies lieb gewesen wäre.
Es war nicht jene lähmende, niederdrückende, hoffnungslose und geistes-zermürbende Müdigkeit eines Kämpfers, der eine Niederlage erlitten hat und nur mit dem nackten Leben davongekommen ist, die ihn überfallen hatte, schlagartig, als ihm klar geworden war, dass der Nekromant, jener böse Geist, den sie hatten konfrontieren wollen, eben jener Konfrontation längst aus dem Weg gegangen war.
Nein, eine solche Müdigkeit war es nicht, die seine Schultern niederdrückte und sein Gesicht etwas grauer scheinen liess, als dies sonst der Fall war – immerhin hatten sie die schwarze Bedrohung im Düsterwald wirksam ausgeräuchert (es war eine Freude gewesen, Galadriel dabei zu beobachten!); so dass es fraglich war, ob Sauron diesen seinen Stützpunkt je wieder aufzusuchen wagte – und doch blieben Zweifel, die nagten und bohrten wie Entenmuscheln an faulendem Schiffsholz.
Es war vielmehr die Müdigkeit eines Liebeskranken, dessen Antrag von der Geliebten nicht angenommen, aber auch nicht abgelehnt worden war, oder die eines tapferen Streiters, der einer Hydra einige ihrer Häupter abgeschlagen hat, ohne jedoch die entstandene Wunde ausbrennen zu können, und mit dem dumpfen Gefühl zurückbleibt, dass ob diesem Versäumnis jenem Ungeheuer noch mehr Köpfe erwachsen werden, als es zuvor besass.
So widersprach er nicht, als Galadriel und Elrond sich für eine baldige Rückkehr in ihre jeweilige Heimat aussprachen und Thranduils Einladung zu einer Siegesfeier in seinem Höhlenpalast freundlich ausschlugen (sie hatten einen weiten Heimweg vor sich, und so viele Dinge lagen in Mittelerde im Argen und bedurften ihrer Aufmerksamkeit); und liess er auch ein Dol Guldur zurück, das durchaus (mehr als ihm lieb war) dem abgeschlagenen Haupt einer Hydra glich, so wusste er doch, dass ihr gleichsam, sollte sie zu früh erstarken, Wächter erwachsen würden, die es nie müde sein würden, sie zu bekämpfen.
Gandalf glaubte nicht an die Märchen von weissen Rittern in strahlenden Rüstungen, die siegreich für das Gute kämpften (seltsam genug für jemanden, der selbst einmal in den Augen vieler ein solch weisser Reiter werden würde), er musste sich jedoch eingestehen: Wenn es denn jemanden gab, der diese Bezeichnung verdient hatte, dann war es Thranduil gewesen im heutigen Kampf um Dol Guldur; als er und seine Krieger daran gingen, diesen Ort des Bösen, der wie eine eiternde Wunde inmitten des Düsterwalds lag und gleich dieser alles vergiftete, mit dem er in Berührung kam, von eben jenem Bösen zu befreien.
Ja, ein weisser Ritter war der Elbenkönig gewesen, oder zumindest jemand, der noch an die Essenz dieser Figur glaubte, denn unbekümmert war er in die Schlacht gezogen, unbekümmert hatte er seine Männer geführt, und in seinem Herzen war Thranduil noch immer jemand, der an den Sieg des Guten, des Gerechten glaubte. Insofern hatte es in ihm keinen Zweifel am Sieger in diesem Streit geben können! Auf dieser dem König im Grunde inhärenten Siegesgewissheit bei allem, in dem es um etwas Edles, Gutes ging, so verstand Gandalf jetzt, beruhte diese Unbekümmertheit, nicht etwa auf fehlender Sorge um sein Volk (dafür hatte Thranduil zu viele seines Volkes an der Seite seines Vaters sterben sehen), und viel davon, was des Elbenkönigs Charakter ausmachte, ebenso.
Obwohl Gandalf den Elbenkönig nicht zu seinen Freunden zählte, da er ihn nicht allzu gut kannte, hatte er doch schon genug von ihm gehört, um sich ein Bild von dessen Persönlichkeit zu machen. Als stolz galt er, verwegen und als jemand, der leicht in Zorn zu versetzen war, für einen Elben jedenfalls. Man hiess ihn störrisch und dem allzu zivilisierten Leben der Stadtelben als ablehnend gegenüberstehend (nun, diese Eigenschaften schrieben die Elben aus dem Bruchtal den Waldelben gemeinhin zu); den einfachen Freuden des Lebens und den Schätzen der Erde mehr als nur ein bisschen zugeneigt.
All diese Eigenschaften ihres Königs bestätigten auch die Düsterwaldelben, wobei ihre Aussagen (im Gegensatz zu jenen der Bruchtalelben) selten mit kritischen Untertönen, meistens aber mit Anerkennung oder gar Stolz durchsetzt waren.
Zudem galt Thranduil unter seinen Leuten als ausgezeichneter Krieger, der die Fähigkeiten des Waffenhandwerks mit dem brillanten Verstand eines Feldstrategen in sich vereinbarte, und die Vergangenheit hatte oft genug bewiesen, dass seine Entscheidungen wohlüberlegt, begründet und instinktsicher waren, so dass man sie im allgemeinen nicht in Frage zu stellen pflegte.
Nun, es war nicht die Aura eines kühl berechnenden Strategen, sondern Siegesgewissheit, die Thranduil im Kampf um Dol Guldur umgeben hatte wie ein schützender Harnisch aus Mithril, und jede seiner Bewegungen hatte sie ausgestrahlt; und etwas von ihrer Essenz hatte sich auch auf die Elben übertragen, die ihm gefolgt waren. Waren deren Mienen anfangs noch düster gewesen wie die filzigen Zweige der Fichten um Dol Guldur, hatten diese sich nach und nach aufgehellt, als sich ihnen die Situation als klar darstellte und die Fronten in ihren Augen abgesteckt waren.
Hier, auf der Lichtung, die die Festung des Nekromanten umgab, da hatte es Wölfe, Spinnen, Orks und einige Wargs gegeben – und alle waren sie Geschöpfe, denen die Waldelben wiederholt begegnet waren, und mit denen sie umzugehen wussten. Anders als der furchterregende Nekromant in ihrer Mitte, der unbesiegbar schien, da nur Gerüchte, flüsternde Worte und Nichtwissen seine Existenz ausmachten, waren sie bezwingbar und fielen unter Pfeilen, Schwerthieben und Messerstichen.
Ja, leichten Herzens waren sie in den Kampf gegangen, ähnlich Jünglingen vor ihrer ersten grossen Schlacht, die ein übermässiges, von Wunden noch ungeschmälertes Vertrauen in ihre eigenen Kräfte mit sich bringen. Es war dies eine Leichtigkeit, die ihren ohnehin schon gedankenschnellen Bewegungen zusätzliche Gewandtheit und Wendigkeit verliehen hatte und einen überlegenen Ausdruck auf ihre Gesichter brachte, der jeden, der Mienen zu lesen verstand, erschreckt hätte.
Wären denn der Waldelben Gegner menschlich gewesen, er hätte ihnen, eingeschüchtert allein durch den Siegesrausch, in den diese beim Gedanken an einen sicheren, von Unheil freien Düsterwald verfielen, wohl nicht lange standgehalten. Nun, niemand wusste sich aber in die Psyche von Orks hineinzuversetzen (niemals hatte natürlich auch jemals einen Gedanken daran verschwendet, so etwas zu tun), und die Spinnen, Wölfe und Orks waren durch Mimik allein nicht zu beeindrucken, und so dauerte die Schlacht lange, weil kein Gegner der Elben sich rechtzeitig zur Flucht wandte, um noch einmal mit abgebrochenen Giftstacheln, versengtem Fell oder zerhackten Gliedern davonzukommen; doch konnte über ihren Ausgang im Grunde genommen kein Zweifel bestehen.
An jenem Tage also setzte Thranduil sich selbst ein –natürlich nur mündlich überliefertes- Denkmal, das dem eines strahlenden weissen Ritters sehr nahe kam.
Und doch war es jener Tag, der einen der verloren geglaubten Palantiri in die Hände des Elbenkönigs brachte und so die Ursache dafür war, dass dieser nach und nach, fast unmerklich, dessen weiße, schimmernde Rüstung in tausend Stücke zerbrach, und, was schlimmer war, auch dessen Mut, und seinen einst so ausgeprägten Sinn für das Gute und Schöne im Leben zerstörte, und dadurch den Weg bahnte für die Einflüsterungen einer Macht, die böser war als alles, mit dem sich der Elbenkönig bisher konfrontiert gesehen hatte.
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Die Mitglieder des Weißen Rates waren schon lange aufgebrochen, als einer der Elben, die die Mauern Dol Guldurs auf Geheiß Thranduils durchsuchte (eher widerwillig, wie es schien, das Gebäude war auch nach der Flucht des Nekromanten furchterregend genug, als ob das Erbe seines Bewohners noch immer in seinen Mauern, seinen Ritzen, seinen Nischen lauerte), auf einen seltsamen Fund stieß.
In einer düsteren Erkerecke, verborgen unter allerlei nur zu gebraucht aussehendem Kriegsgerät, stießen seine suchenden Finger auf einen beachtlich großen, schwarzen, glatt polierten runden Stein aus einem Material, das dem Elben nicht bekannt war, aber ausnehmend gefiel.
Von diesem Punkte an verliert sich der Rest der Geschehnisse in Spekulationen: War es Thranduil, der den Stein schließlich erhielt (Seine Liebe zu Schmuck, Edelsteinen und anderem Zierrat war ja hinreichend bekannt), gleich von Anfang an bewusst, was für einen Schatz er in den Händen hielt? Verschwieg er den Fund des Palantirs den Weisen absichtlich, immer noch aus einem schwelenden Groll heraus, nicht zum Weißen Rat geladen worden zu sein, oder entging eine solche Benachrichtigung einfach seiner Aufmerksamkeit? Ahnte Thranduil auch nur ansatzweise, dass der Nekromant diesen einen seiner wertvollsten Besitztümer niemals unbedacht zurückgelassen hätte, wie man ein ausgenutztes, zerlumptes Kleidungsstück vergisst, sondern dass Berechnung dahinter steckte, die eines Fuchses, der wusste, dass sein Bau bald ausgeräuchert werden würde, und der sich deshalb einen zusätzlichen, heimlichen Ausgang gräbt?
Hatte es der Verschlagene wiederum geahnt, dass es Thranduil, der König der Tawarwaith, sein würde, in dessen (im Vergleich zu Galadriels und Elronds) wenig einflussreiche Hände der Palantir fallen würde? Thranduil, der, anders als die letztgenannten, so wenig von der Natur des Palantirs ahnen mochte wie die Fliegen, die sich auf den glitzernden Tropfen des Sonnentaus niederließen!
Fest stand nach dem fast zufälligen Fund des Palantirs nur eines: Der erste Faden am Bild des Untergangs der Waldelben (und damit auch an Elronds Reich) war mit diesem Fund zu Ende gewebt – in schwarzer Farbe.
Fortsetzung folgt...
Anmerkung der Autorin:
So, das wäre mal der erste (kurz geplante) Teil dieser Geschichte. Ich hoffe, es hat Euch Spaß gemacht, bis hierher zu lesen! Nächsten Freitag/Samstag geht es dann weiter mit dem 2. Teil, der hauptsächlich im und um den Höhlenpalast Thranduils spielt...
Für Elanor: Nein, nein, in Lebensgefahr habe ich mich zum Glück nie befunden. Ich stelle mir halt bloß vor, wie es sein könnte, wenn dies der Fall wäre! Nun ja, wirklich schlimm ist natürlich auch die Länge dieser Szene nicht, sie verleiht jener aber ein Gewicht, wie sie es im Gesamtkontext eigentlich nicht kriegen sollte. Dann muss ich wohl die wirklichen Schlüsselszenen viel länger beschreiben ï
