Die Höhlenfestung im Düsterwald I: Von dunkler werdenden Zeiten
(Einige Jahre sind seit dem bisher Erzählten vergangen)
„Die Grausten der Grauelben", so wurden sie oft genannt, die Elben aus Thranduils Volk, von dem man munkelte, dass ein großer Teil von ihm gar durch Dunkelelben ausgemacht wurde, die nie das Gebirge überschritten hatten, das Bruchtal vom Düsterwald trennt, um die Lichter Beleriands zu sehen (und der Rest von ihnen hatte es wohl vorgezogen, in den weiten Wäldern von Ossiriand, am Rande Beleriands zu bleiben) und man bemitleidete sie vielleicht für ihre Unwissenheit, was die Schönheit dieser sternenbeschienen Welt betraf, ein Mitleid, das aber durchaus fehl am Platz war und umgekehrt vielleicht eher angebracht gewesen wäre.
Denn die Erinnerung an Beleriand - schönes, vielbesungenes Beleriand – war auch heute noch, nach so vielen Jahren, ein Stachel im Herzen jener Teleri, die es gesehen hatten, ein Stachel, der, wie ein Dorn in einer längst geschlossenen Wunde, von Zeit zu Zeit erneut zu schmerzen begann und seinen Träger ruhelos machte, wie es die Raben waren vor einem Sturm. Wie Eiter flossen dann die Erinnerungen, an eine Schönheit, wie sie nicht mehr gefunden werden konnte, und sie schmerzten den Erinnernden, und ließen ihn heimatlos werden selbst inmitten seiner neugefundenen Heimat (wo auch immer sie liegen mochte), weil er eines Paradies gedachte, wie es in Mittelerde jener Tage nicht mehr gefunden werden konnte.
Ja, zu bedauern waren sie, jene, die Beleriand gesehen und seinen Untergang erlebt hatten (ganz zu schweigen von jenen, die einst Amar bevölkerten), hatten sie doch für einige Zeit Anteil am Paradies besessen und es dann verloren; und viel eher ist es der Verlust, der Schmerzen bereitet, als das Nichtbesitzen. In Tat und Wahrheit hätten die Waldelben des dritten Zeitalters auch gelacht, wenn man ihnen erzählt hätte, dass sie Gegenstand von Mitleid (und vielleicht auch jener einer leichten Herablassung) waren, und sie hätten jenes spöttisch zurückgewiesen, hatten sie doch ihr eigenes Paradies gefunden, das sie liebten, und neben dessen atmenden, lebendem Grün schien in ihren Augen gar das Sternenlicht Beleriands matt und glanzlos zu werden.
Ja, der einstige Grünwald und jetzige Düsterwald war es, dem ihr Herz gehörte, dessen Buchen und Eichen sie liebten, der ihnen Schutz, Nahrung und Heimat bot, und kein Paradies begehrten sie neben seinen waldigen Ebenen.
Anders als die Elben Beleriands waren sie also unwissend darüber, was es hieß, die Heimat zu verlieren, und so traf sie der Verlust jener, wie er sich langsam und schleichend, wie das Fieber der Auszehrung, einstellte, unvorbereitet, hilflos und wehrlos, verwundete sie und ließ sie im Ratlosen darüber, wie er auch nur ansatzweise hätte eingedämmt werden können.
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Dabei war sie so groß gewesen damals, die Euphorie der Waldelben über die Wiederherstellung des Grünwaldes, nach der Vertreibung des Nekromanten aus Dol Guldur; und zahlreich ihre Feste (sogar der Weinhandel erlebte einen bis dahin nie da gewesenen Aufschwung), weit war das Gebiet, das sie durchstreiften, und selten hatte man Thranduil (zumindest nach dem Tod seines Vaters und der Abreise seiner Frau) fröhlicher und lebenslustiger erlebt; sein Lachen hallte von den Wänden seines Höhlenpalastes.
Gewichen war die trampelnden Füße herumlungernder Orks dem viel leichteren Tritt des Rotwildes, das Schleichen der Spinnen dem selbstsicheren Schreiten des Ebers und seiner quirligen Familie, und für eine Weile war die Welt der Waldelben in Ordnung, so, wie sie es schon lange nicht mehr gewesen war. Ruhe lag über dem Grünwald (ihn so zu nennen, hatten die Waldelben unter sich seit eher bestanden) sanft und trügerisch wie die stille Oberfläche eines tödlichen Moorlochs.
Doch dann kamen sie zurück, nach und nach, die schwarzen Kreaturen, Orks, Spinnen und Wölfe, und erneut überschwemmten sie das Land der Waldelben, ganz so, wie es Bäche und Flüsse tun, die nach einem plötzlichen, kräftigen Regenguss wieder belebt werden.
Es begann mit ihrem tropfengleichem Eindringen in Thranduils Reich (Hier eine Truppe, dort eine Gruppe marodisierender Orks), kaum substantiell genug, um mehr als ein paar Gerüchte über ihre Sichtung aufkommen zu lassen, doch selbst diese genügten, um Thranduils Lachen verstummen und ihn die Stirn runzeln zu lassen.
Mit jenem Stirnrunzeln schickte er seine ersten Patrouillen aus; Ausschau zu halten nach dem schwarzen Ungeziefer, das er ein- für allemal zu vertrieben haben glaubte. Nicht dass er jenes gefürchtet hätte! Doch hatte ihn Dol Guldur gelehrt, dass ihr Auftauchen bloß der Ankündigung eines größeren, gefährlicheren Übels entsprechen konnte, und einer erneute Einnistung eines solchen im Herzen des Grünwaldes, und das galt es um jeden Preis zu verhindern.
Wenig wusste er damals, dass genau jene böse Macht, die er mit seinen Wachen und Patrouillen zu bannen gedachte, in seinem eigenen Herzen zu wurzeln begonnen hatte, sachte, wie es die Gewächse der Felsen tun, wenn sie sich mit vielen feinen Wurzelhärchen in ihrem kargen Untergrund verankern, um dann, wenn sie sich auf diese Weise einen sicheren Halt verschafft haben, eine starke, weit vordringende Pfahlwurzel in den Boden zu treiben. Keine Wache als Thranduils eigene Standfestigkeit und Charakterstärke hielt jene böse Macht vorerst noch davon ab.
Alles schien sich nun zu spiegeln: Die Zahl der Orks, die sich im Laufe der Jahre stetig vermehrte, die Zahl der Elben in den Patrouillen, die Thranduil ausschickte, und jene wiederum des Elbenkönigs eigene, wachsende Resignation.
Hatte Thranduil anfangs noch mit charakteristischem Zorn reagiert, als im Laufe der Zeit die ersten Patrouillen aus Scharmützeln mit den Orks mit Verwundeten heimkehrten, war dieser nach und nach abgeflacht, stumpf geworden wie eine zu oft benutzte Klinge, und als dann zum ersten Mal eine Patrouille nicht mehr zurückkam, um Meldung zu erstatten, sondern spurlos verschwand, da brütete Thranduil nur mehr vor sich hin, etwas, das jene, die ihn kannten, den Vorfall in einem noch schlimmeren Licht betrachten ließ als sie es ohnehin getan hatten.
Führer der Patrouille war ein alter Freund Thranduils gewesen, ein erfahrener, harter Elb, der, wie er von sich selbst zu sagen pflegte, schon alles gesehen hatte und von nichts wirklich überrascht werden konnte.
Eine Welle der Erregung (und Besorgnis) wusch über den Elben des Düsterwaldes wie Regen über die Butzenscheiben der Häuser der Menschen, sorgte für lange Diskussionen in gedämpftem Tonfall, düstere Blicke und gesenkte Köpfe und flaute nur langsam wieder ab. Ganz verschwand sie nie, da sie oft genug gespeist wurde von weiteren unheilvollen Ereignissen, doch drängte sie sich auch nicht unablässig in die Gedanken, Taten und Worte der Waldelben, die (in einer Zeit, in der die Elben bereits am Schwinden waren), ein tatkräftiges, lebenstüchti ges Volk waren, das gerade in schlimmen Zeiten Stärke, Mut und Ausdauer aufwies, wenn es galt, jene auszuharren.
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Will man als ein Eroberer ein besiegtes Volk in die Knie zwingen, so ist es ratsam, die eigenen Armeen zu heißen, im Laufschritt das besiegte Land zu überrennen, dessen Städte im Vorübergehen zu erobern und dem Volk selbst neue Sitten aufzuzwingen, so rasch es nur irgendwie geht. Derart besiegte Völker, so hat die Geschichte gezeigt, verlieren jegliche Hoffnung, jeglichen Widerstandsgeist, und man ist sich in Zukunft vor ihrem organisierten Widerstand oder auch nur ihrer Rache sicher.
Anders ergeht es einem, wenn man einem Volk Stück für Stück entreißt, was es sein eigen nennt. Wehren wird es sich wie ein verwunderter Keiler, von den Hunden der Jagdmeute gestellt, und gleich diesem ist es oftmals in der Lage, furchtbare Wunden dem zu reißen, der sich ihm zu früh nähert. Ja, auf hartnäckigen Widerstand wird man stoßen, solange man einem Volk etwas lässt, für das es sich zu kämpfen lohnt; und je kleiner der Gegenstand dieses „Lassens"wird, umso erbitterter wird der Kampf darum.
Zudem versäumt man so, die Hoffnung in jenem Volk zu entwurzeln, die ja oft als die langlebigste aller Empfindungen beschrieben wird, und die gerade den Menschen zu heroischen Taten beflügeln kann und als eigentliches Motiv vielen seiner Handlungen unterliegt. Ja, Hoffnung ist es, die ein Volk Widerstand leisten lässt, auch dann, wenn die Vernunft den Sieg der fremden Macht längst hätte akzeptieren müssen, und schwieriger zu ersticken ist sie als das Unkraut an den Rändern der Roggen- und Emmerfeldern.
Nun, die Waldelben war so ein Volk, dessen Untergang ein durch und durch verderbter Eroberer plante; und hätte er es vermocht, er hätte Thranduils Höhlenpalast noch heute stürmen lassen und wäre mordend und brennend unter das Waldelbenvolk eingefallen. Nun, dazu waren aber seine Kräfte noch zu schwach (doch wuchsen sie, rasch und vielästig wie die Erlen an einem Flusssaum), und so begnügte er sich damit, es anzugreifen und ihnen in einem zähen Kleinkrieg Stück für Stück dessen zu entreißen, das sie Heimat nannten.
Dass er damit ihren Zorn und ihre erhöhte Wachsamkeit herausforderte, focht ihn nicht weiter an. Mochte auch der durchschnittliche Waldelb durch die dauernden Attacken der Orks, Spinnen und Wölfe noch aufmerksamer, kampfbereiter, zäher und gefährlicher werden, als er ohnehin schon war, erfüllt von der Hoffnung, alles wieder zum besseren zu wenden – er hatte einen Trumpf im Ärmel, gegen den besagter Waldelb weniger bedeutete als der Staub unter dem Stiefel eines Reisenden. Er war nämlich dabei, eben jene Hoffnung, die zäh und kampfeswillig macht, im höchsten der Waldelben, in ihrem König selbst, zu zerstören; wohl wissend, dass nichts den Niedergang eines Volkes schneller herbeizuführen vermag als ein einstmals starkes, vertrauenswürdiges Königshaus, das morsch geworden ist und bröckelt, und gleich einer im Sturm fallenden alten Eiche alles mit sich zu Boden reißt, wenn die letzten Wurzeln reißen.
Doch da greifen wir voraus auf Ereignisse, die so bedeutend sind, dass sie genauer, und sorgfältiger beschrieben werden müssen – auch die Fäden des Schicksals, von denen sie berichten, sind schließlich mit unendlicher Geduld gewebt worden...
Fortsetzung folgt...
Anmerkung der Autorin: Och, dieses Mal gibt's eigentlich meinerseits nichts zu sagen, ausser der üblichen Review-Bettelei! Kommentare? 3-Buchstaben-Reviews? Ist irgendjemand da draussen? Mein Review-Konto ist mitleiderregend mager...
Für Elanor: Zum Glück ist es dir noch nicht verleidet, Rewievs zu schicken, sonst wäre das schon ein bisschen traurig – so nackte Kapitel, ohne den geringsten Kommentar...Was das Tempo betrifft, glaube ich, weiterhin jede Woche updaten zu können: Die nächsten vier Kapitel sind nämlich schon (fast fertig) geschrieben! Leider kann man das vom ganzen Mittelteil nicht behaupten, deswegen das langsame „Ins-Netz-stellen". Nun ja, Thranduil ist natürlich nicht ganz so ahnungslos, was er sich da ins Haus geholt hat, aber wie später einmal Denethor unterschätzt er seinen Fund etwas – und natürlich habe ich mir auch eine Begründung für sein Verhalten ausgedacht...
Die-Autorin-die-ebenfalls-sehr-geehrt-ist-durch-deine-Kommentare!
