Von Elben und Menschen I: Von durchkreuzten Plänen und zerrissenen Banden

Beldàuil war, umgeben von seinen besten Getreuen, schon vorausgeritten, als Legolas noch immer wie verwurzelt auf dem Platz verharrte, an dem er den Bruder begrüßt hatte, sich bemühend, seiner heftigen Bewegung (Die Freude, Beldàuil zurückzuhaben, war noch immer in ihm und mischte sich mit dem Schmerz über dessen mehr als kühle Begrüßung, einen trüben Strudel an Emotionen auslösend, ähnlich dem, der sich ergibt, wenn ein großer Süßwasserfluss sich in die salzigen Fluten des Meeres ergießt), Herr zu werden, und er hätte auch noch weiter dort verharrt, wenn nicht ein Elb aus der Begleitung Beldàuils diesen Augenblick gewählt hätte, sein Pferd an des Elbenprinzen Seite zu treiben.

Dieser Elb war Dolondil, ein alter Haudegen von schon fast legendärem Ruf unter den Waldelben, und Thranduils rechte Hand, und obwohl sein Gesicht den gewohnt verschlossenen Ausdruck zeigte, wusste Legolas, an dem ruhigen Blick, den dieser ihm zuwarf, gefolgt von einem raschen, fast kontrollierenden, nach vorne, dass er die wichtigsten Neuigkeiten und den Grund des seltsamen Verhaltens seines Bruders von dem Freund seines Vaters erfahren würde, sobald dieser die Zeit gekommen sah, zu sprechen.

Noch immer Legolas musternd, schickte Dolondil sich an, dem Trupp der andern, die schon aufgebrochen waren, zu folgen, und etwas beruhigter, jetzt, da er Aussicht auf die Beantwortung einiger seiner Fragen hatte, tat Legolas es ihm gleich.

Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt (Dolondil war nie als redselig bekannt gewesen, aber wenn er etwas sagte, tat man gut daran, ihm zuzuhören), aber endlich sagte dieser beiläufig: „Dein Bruder, Legolas, und die Menschen der jungen Seestadt (es gehörte zu seinen Eigenschaften, so ziemlich alles, sei es Siedlung, Waldabschnitt oder ein nach ihm geborener Elb, als jung zu bezeichnen) sprechen nicht dieselbe Sprache." Als hätte er damit bereits alles erzählt, was Legolas interessieren könnte, verfiel er in ein erneutes Schweigen.

Jedoch der Elbenprinz an seiner Seite hatte den Eindruck, dass er nicht einfach schweigsam war, wie es die Norm mit ihm war, sondern dass er seine Worte hütete wie ein sorgfältiger Schäfer die ihm anvertrauten Tiere - und scharf darüber nachdachte, was er sagen durfte und was nicht – eine Vorstellung, die nicht dazu geneigt war, Legolas' wage Unruhe zu dämpfen, und auch er versank in trübe Gedanken und eine Stille, die er kaum mehr brach, bis sie (der Ritt zurück erschien ihm endlos, und er war sich sicher, dass es zumindest Tatharlin ebenso erging), an einem unfreundlich kalten, nebligen, aber schneelosen Morgen glücklich den Höhlenpalast erreichten.

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Ihre Ankunft war natürlich nicht unbemerkt geblieben (Wenn auch Thranduil die Sicherung der entfernen Gebiete des Waldelbenreiches aufgegeben hätte, sein unmittelbares Zentrum liess er so sehr abschirmen, dass kein Wild mehr im Schnee nach Futter scharren und kein Stein mehr vom Frost gesprengt werden konnte, ohne dass dies von einem Späher beobachtet ward, und so wurden sie denn von einer grösseren Menge Waldelben erwartet, als sie zu den ersten noch übrig gebliebenen Fletts kamen, unter denen sich auch ein Heiler und eine Heilerin befanden, die sich sofort Tatharlins annahmen, der, von ihnen gestützt, steifbeinig vom Pferd rutschte und sich dankbar ihrer Pflege anvertraute.

Seine Gesicht war weiss wie frisch gefallener Schnee und mutete Legolas fast durchscheinend an, wie die Eisschichten über milde bewegten Bächen, und nur seine vor Kälte blauen Lippen verliehen ihm etwas Farbe, eine Farbe jedoch, wie sie Legolas so noch nie gesehen hatte. Es schien, als hätte die Kälte, deren Fingerspitzen ihn auf seiner Reise nur berührt hatten, Tatharlin ganz in ihren klammen Klauen und weigere sich, dessen elbischen Kräften der Selbstheilung Raum zu geben, so, wie es sich gehört hätte…

Nun, hätte Legolas Zeit gehabt, diesem erschreckendem Gedanken weiter Raum zu geben, hätte er vielleicht erahnen können, dass seine Verwundung Tatharlin tatsächlich geradezu menschlich anfällig gemacht hatte für Kälte, wie es für Elben eigentlich undenkbar war – und auf diese Weise beredt Zeugnis ablegte für das, was als „Schwinden" der Elben bezeichnet wurde, die langsame, jetzt eben merkliche Abnahme ihrer Kräfte, ihrer Fähigkeiten, ihrer Vitalität; und im Grunde genommen war es wohl die Erkenntnis jenes Schwindens, das in so vielen Elben jener Zeit die Sehnsucht nach Valinor in ihren Herzen erwachen liess.

Aber Legolas, der, wie die meisten Waldelben, noch wenig anfällig dafür war, was sie im Düsterwald die „Bruchtalsche Melancholie" nannten, hatte keine Gelegenheit, weiter über Tatharlin und dessen fehlende Heilung nachzudenken, denn jetzt hörte er ein atemloses „Legolas!" vor ihm, und Gailgaloth löste sich aus der Gruppe der Elben, die sie erwartet hatten, und trat, die Wangen gerötet, lächelnd auf ihn zu.

Legolas wurde es etwas wärmer, und jetzt lächelte er ebenfalls, und er legte einen Arm um sie, während er in das Meer der Gesichter jener blickte, die gekommen waren, die ihrigen zu begrüssen, und während sein Blick vom einen zum andern wanderte, da dachte er: „Es ist gut, zuhause zu sein.", und das dachte er, obwohl dieses „Zuhause" nun fragiler war als die ersten Knospen der Bäume in Frühling, und da rutschte auch die letzte Fingerspitze der Kälte von ihm ab, wenn auch nur für eine kleine Weile.

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Nicht alle freuten sich jedoch über ihre Rückkehr. Beldàuil hatte sie gefürchtet, wie er sich überhaupt – zähneknirschend – eingestehen musste, dass er immer öfters Furcht empfand, ein Gefühl, das seinem Wesen so entgegengesetzt war und völliges Neuland für ihn, und dementsprechend hilflos waren seine Versuche, dagegen anzukämpfen, ähnlich einem Wanderer, der, in einen Sumpf geraten, darin herumtappt und einen Ausweg daraus sucht, sich dabei aber immer tiefer in dessen tückische Moorlöcher hineinmanövriert.

Beldàuil, konfrontiert mit seiner ständig wachsenden Angst, wie sie ihm der Palantir einflösste, tat das, was er immer tat, wenn er sich mit Angst in irgendeiner Form auseinander setzen musste: Er biss die Zähne zusammen und sah ihr ins Auge, bis er sie schrumpfte und vernachlässigbar wurde, oder aber er arbeitete an sich, bis er die Gründe seiner Angst überwunden hatte, zielgerichtet, bestimmt und sicher darüber, was getan werden musste.

Hart gegenüber sich selber, das war er schon immer gewesen (die Bestleistungen, die er auf nahezu jedem Gebiet erbrachte, mit nur scheinbar schwindelerregender Leichtigkeit, kamen nicht von ungefähr) und so hieß seine Antwort auf die wachsende Furcht in seinem Herzen einfach: Arbeite härter.

Das tat er denn auch, und wurde ein noch besserer Schütze, ein noch umsichtigerer Ratgeber, Thranduil eine noch bessere Stütze – doch so sehr er sich auch anstrengte, dieses eine Mal konnte er der Herausforderung seiner Angst nicht gerecht werden.

Sie blieb, ein flaues Gefühl in seinem Magen, persistent wie Schnee in den Nordflanken der Berge; und so wuchs in ihm (vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben) die Gewissheit, etwas nicht aus eigener Kraft zu schaffen. Da war er, intelligent, berechnend, hart und geschmeidig, ein Elbenkrieger, zu dem jeder aufsah und den jeder bewunderte, und doch zweifelte er an sich wie ein kleiner Junge, dem ein Schwert in die Hand gedrückt wird, das er nicht einmal zu heben vermag.

Du hast versagt! Du hast versagt!" flüsterte die heisere Stimme der Angst in seinem Herzen, und jetzt, da er sicher beim Höhlenpalast angelangt war, da musste Beldàuil sich eingestehen, dass diese Stimme – seine Nemesis – recht hatte, und er tatsächlich versagt hatte. Ein bitteres Lächeln erschien kurz auf seinen Lippen, als er sich die letzten Tage in Erinnerung rief.

Hatte er wirklich geglaubt, die Menschen der Seestadt, deren Frieden nicht wie der der Waldelben gestört wurde von den schwarzen Horden der Orks, dazu aufrütteln zu können, ihre Soldaten gegen eben jene für sie unsichtbare Bedrohung zu schicken? Dass sie sie losschicken würden, die finsteren Gebiete des Düsterwaldes oder gar die Ausläufer des Nebelgebirges nach ihnen zu durchforsten? Hatte er wirklich geglaubt, ein Bündnis von Elben und Menschen zustandezubringen, um die Bedrohungen des Düsterwaldes endgültig auszulöschen – so, wie damals in Dol Guldur die Waldelben und die Bruchtalzauberer den Nekromanten vertrieben hatten?

Nun, vielleicht hatte er tatsächlich daran geglaubt, aber seine Hoffnungen waren rasch zerstört worden, als er dem Bürgermeister von Esgaroth seine Vision vorgetragen hatte, und in sich zusammengesunken wie ein vom Hirschfänger getötetes Wild, auch wenn in seinem Falle die tödliche Waffe nichts als höfliche, aber klar abweisende Worte gewesen waren. Wozu auch hätten die Bewohner der Seestadt das Leben ihrer Männer riskieren sollen? Noch schirmten sie die Waldelben doch von allem Bösen ab!

Sie schieden – obwohl nie ein böses Wort zwischen ihnen gefallen war – in Unfrieden, da der Bürgermeister seine Ansicht, dass der Elbenprinz vor ihm wohl verrückt sein musste, und jener seinen Zorn über die Absage wohl nicht gut genug zu verbergen vermochten, aber die Niederlage, die lag ganz klar auf der Seite Beldàuils, der, nicht wie der Bürgermeister der Menschenstadt, von Visionen gequält wurde, wie sie aus einem schwarzen Stein kamen, von Visionen, die ihm immer wieder, in wechselnden Bildern aufzeigten, wie die Waldelben in einer riesigen Schlacht gegen die Orks untergingen – unter seiner Führung! – und gleichzeitig von der Hoffnung gequält, dass, wenn er eben zum Gil-Galad seines Volkes würde, eben dies würde verhindern können. Sein, Beldàuils, erster Ansatz dazu, war gescheitert, und er war ratlos, wie er weiter hätte vorgehen können. Er fühlte sich müde, beschämt und niedergedrückt von zuviel Verantwortung (die er sich selber aufgeladen hatte), und noch dazu musste er jetzt noch dem Vater seine Niederlage eingestehen – der Wanderer im Sumpf hätte nicht tiefer in ein Moorloch sinken können.

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Auch er wurde von Gailgaloth aus seinen Gedanken gerissen, die mit Legolas, der noch immer den Arm um sie gelegt hatte, zu ihm kam, um auch ihn zu begrüssen. „Beldàuil!" sagte sie, und ihre Augen strahlten, hatte sie doch die Furcht des Vaters um sein Leben angesteckt, und ihre Erleichterung, ihn wieder sicher im Höhlenpalast zu wissen, war warm wie die erwachende Sonne im Frühling. „Ich freue mich, dich zu sehen. Kommt doch, du und Legolas, und alle andern Reiter! Wir haben Essen und Getränke vorbereitet, euch willkommen zu heissen! Kommt und ruht euch etwas aus von den Strapazen, die ihr erlitten habt!"

„Nichts da!" sagte Beldàuil unwirsch und warf die Zügel seines Pferdes einem andern Elben zu, der gerade dabei war, sein eigenes Tier wegzuführen. Seine Lippen kräuselten sich. „Schliesslich hat Vater meinen kleinen Bruder ausgesandt, mich so schnell wie möglich zurückzuholen. Da können wir ihn doch nicht warten lassen!"

Und er schritt davon, ohne auch nur den Schnee aus den Kleidern zu klopfen oder das Eis zu entfernen, das ihrer aller Kleider säumte wie kristallklares glitzerndes Geschmeide, zum Höhlenpalast, und Legolas, der entschuldigend zu Gailgaloth herüberlächelte, blieb nichts anderes übrig, ihm zu folgen.

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Legolas musste sich beeilen, mit seinem Bruder, der energisch auf den Höhlepalast zuging, ohne sich auch nur einmal umzudrehen, Schritt zu halten. Nicht nur ihm war seines Bruders Verhalten ein Rätsel – blickte er über die Schulter zurück, sah er besonders unter Beldàuils Freunden enttäuschte Gesichter: Er hatte sich nicht die Zeit genommen, sie richtig zu begrüssen oder ihnen die wichtigsten Begebenheiten seiner Reise (um die viel gerätselt worden war im Düsterwald) zu erzählen, so sehr schien er darauf zu brennen, Thranduil zu sprechen!

Doch Beldàuils Schritte wurden langsamer, als sie sich erst im Innern des Höhlenpalastes befanden, zögerlicher, wie die eines Wanderers, der abwägt, ob er den Weg verloren hat, und als sie schliesslich vor der hölzernen Doppeltüre zu Thranduils Halle standen, in der er sich nach Aussage einiger Palastwächter aufhielt, da hielt er gar inne und blickte zu Boden, und ein schmerzlicher Zug überflog sein Gesicht so jäh, dass Legolas, der das Tor eben hatte öffnen wollen, besorgt innehielt und sich dem Bruder zuwandte, der, noch immer reglos verharrte, und geistesabwesend und in dunkle Gedanken versunken schien, die er ebenso wenig abzuschütteln vermochte wie ein blutendes Wild ein hungriges Wolfsrudel.

„Beldàuil?" fragte Legolas vorsichtig (seine Stimme schien ihm überlaut in der Stille des Ganges, obwohl durch die Doppeltüre vor ihnen gedämpfte Laute zu hören waren), und, als er keine Antwort erhielt, in einem kläglichen Versuch, den Bruder (und auch sich selbst) etwas aufzuheitern: „Du stehst ja da wie ein Bär im Winter, der ausserhalb seiner Höhle vom Schlaf überrascht wurde!"

Ob seine Worte zu Beldàuil vorgedrungen waren oder nicht, war schwierig zu sagen, denn jener wählte diesen Augenblick, tief einzuatmen, die Schultern zu straffen und die schwere Doppeltüre aufzustossen, nur ein kleines bisschen zu energisch, zu forciert, um nichts von der Unruhe zu verraten, die in seinem Innern herrschen musste, und wie die Türflügel so also gegen die Wand schlugen mit einem dumpfen Geräusch, war sich Beldàuil der Aufmerksamkeit aller, die sich bei dem Elbenkönig in der Halle befanden, sicher – etwas, das er gerne vermieden hätte, aber dafür war es jetzt zu spät.

Nicht nur Thranduil (dessen Wangen rote Flecken aufwiesen, wie sie bei dem Elbenkönig nur der Wein und der Zorn auslöste – oder aber beides, wie Legolas beunruhigt feststellte), sah bei ihrem unerwarteten Eintreten hoch – an die zwanzig Elben waren am Tisch des Elbenkönigs versammelt – deren ernste Gesichter beredte Zeugen davon waren, dass unerfreuliches, oder zumindest keineswegs fröhliche Angelegenheiten diskutiert worden waren, und nicht alle der Augenpaare, die jetzt auf sie gerichtet waren, waren Legolas bekannt. Er kniff die Augen zusammen. Neben ihm versteifte sich Beldàuil. Sein „Bei den Valar!" war fast unhörbar und enthielt eine Nuance Selbstmitleid, mehr aber, das erkannte Legolas sofort, aufflackernder Ärger.

Die fremden Elben (Fünf waren es an der Zahl), waren dunkelhaarig, vielleicht etwas grossgewachsener als es der normale Waldelb war, und die Art ihrer Kleider (kunstvoller gefertigt als diejenigen der Düsterwaldbewohner, was jene dazu veranlasste, sie als „unpraktisch" abzulehnen) wies sie, hätten ihre Gesichter sie nicht schon verraten, als Bruchtalelben aus, und wenn Bruchtalelben ihre Weg über das Nebelgebirge fanden, noch dazu mitten im Winter, dann mussten sie in der Tat etwas Schwerwiegendes zu sagen haben. Und Legolas fühlte, wie etwas von der wohltuenden Wärme, die seinen Körper erfüllte, seit sie zuhause eingetroffen waren, aus ihm rann wie der Saft aus einer überreifen, zerschnittenen Frucht.

Auf ihr unerwartetes Eintreten hin herrschte eine plötzliche Stille, eine Stille , die sich dehnte wie die Zeit, in denen sich der sterbende Winter noch bemerkbar macht für jene, die des Frühlings harren, und die drückend wurde wie die Luft über Sumpfgebieten in heissen Sommern, bis sie eine der Bruchtalelben, der dies ebenfalls zu empfinden schien, sie brach: „Nun haben wir also die Ehre, zwei weitere Söhne Thranduils in unserer Mitte begrüssen zu dürfen…" begann er, und er hätte wohl der artigen Worte mehr gesagt, wäre nicht Thranduil aus seiner Erstarrung erwacht.

„Beldàuil! Legolas!" rief er und liess seinen Becher mit Wein sinken, so abrupt, dass die dunkelrote Flüssigkeit über dessen Rand lief und seine Finger benetzte.

„Legolas! Beldàuil!" rief er aus, und die Erleichterung, seine Söhne wieder um sich zu haben, rief viel von dem alten Thranduil, der nicht von toten Gesichtern noch im Schlaf verfolgt wurde und keine Söhne vom Schnee begraben sah, in ihm wach, und er lachte sein altes schallendes Gelächter, das von den Wänden seiner Halle widerhallte, und umarmte erst den einen, dann den andern Sohn unter den beifälligen Rufen der Waldelben, hiess sie sich neben ihn zu setzen und liess ihnen Wein bringen und allerlei Köstlichkeiten, sie zu stärken.

„Begrüsst jetzt auch unsere Gäste aus Bruchtal!" sagte er, als sich der bei ihrer Ankunft entstandene Tumult etwas verringert hatte (die Waldelben hatten ihren König selten mehr ausgelassen erlebt, und seine gute Laune wirkte mehr als ansteckend auf sie) und stellte sie ihnen vor.

„Sie sind gekommen, uns eine Einladung Elronds – und Gandalfs, nicht zu vergessen - zu übermitteln." Das „Einladung" war so deutlich spöttisch ausgesprochen, wie es gerade noch ging, ohne die Gebote der Höflichkeit zu verletzen, und Legolas war einen registrierenden Blick auf die Bruchtalelben, um zu sehen, wie sie den Spott aufnahmen, doch zeigten ihre Gesichter (wie es sich für gute Diplomaten gehört) keine Regung.

Er war auch, so dachte wenigstens Legolas, ein wenig fehl am Platze, denn der Herr des Bruchtals befahl äusserst selten etwas, aber er hatte den Ruf, Einladungen wie Ratschläge, die den Rahmen des Gewöhnlichen überschritten, nur in äusserst dringenden Fällen zu verteilen, so dass ihr Empfänger gut daran tat, sie anzunehmen. Es war dieses Wissen, das ein Muss daraus machte, Elrond aufzusuchen, wenn dieser den Wunsch nach einem Treffen äusserte, und seine Worte zu einem Befehl werden liessen, doch Elrond selbst masste sich niemals an, Autorität auszuüben an einem Ort, an dem sie nicht erwünscht war.

Nun, offensichtlich wünschte Thranduil sie sich nicht mehr, seltsam genug, wenn man bedachte, wie unwirsch er reagiert hatte, als er sich in jenem Winter der Vertreibung des Nekromanten aus Dol Guldur so übergangen gefühlt hatte, doch viel zu wenig verstand Legolas in jener Zeit von den Dingen, die sein Vater zunehmend vor den Augen anderer zu verbergen suchte, als dass er diesen für ihn unverständlichen Sinneswandel des Elbenkönigs hätte begreifen können!

So suchte er ihn denn auf die Krisensituation im Düsterwald zurückzuführen (konnte denn ein König sein Volk in Nöten verlassen, um auf Reisen zu gehen?) oder auf Thranduils charakteristischen „Die-Waldelben-lösen-ihre-Probleme-alleine" – Stolz, und er öffnete gerade den Mund, um weitere Einzelheiten über Elronds Botschaft, die durch Winter und Kälte und ein feindseliges Gebirge getragen worden war, zu erfragen, als er einen warnenden Blick Ferêryns auffing. „Später!" hiess jener Blick, und „Hier ist nicht der geeignete Ort zum Reden!". Es war dies eine Ansicht, die Thranduil und Beldàuil durchaus teilten, denn der eine wollte nicht, dass die Probleme des Düsterwaldes zur Sprache kamen, und für den anderen war es undenkbar, dass er seine Niederlage, die an sich schon demütigend genug war, auch noch vor den Ohren Fremder eingestehen musste.

So wurde denn jeder Versuch eines ernsthaften Gesprächs (von Ferêryn, Legolas oder den Bruchtalelben ausgehend) von Gelächter, Scherzworten, Wein und Wildbret erstickt, da die Waldelben begierig die Gelegenheit ergriffen, wieder einmal ausgelassen zu feiern, und wenn die Bruchtalelben auch das böse Spiel durchaus zu begreifen schienen, so blieb ihnen doch nichts anderes übrig, als eine gute Miene dazu zu machen, und unverrichteter Dinge trennten sie sich schliesslich von ihren Gastgebern.

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Die Zeit zum Reden für Legolas kam später, als er (die kleine Gesellschaft hatte sich endlich aufgelöst), nach draussen ging, um die durch Wein und gutes Essen ausgelöste Müdigkeit aus seinem Kopf zu vertreiben, denn Ferêryn, der seine Kapuze über den Kopf gezogen hatte als Schutz vor den Schneeflocken, die erneut vom Himmel tanzten, erwartete ihn bereits.

„Nun, Legolas?" fragte er. „Was hältst du von unserem Besuch aus Bruchtal?"

Legolas lachte. „Ich wollte doch die Fragen stellen!" sagte er. „Zum Beispiel diejenige, was das Versteckspiel sollte, das Vater mit den Bruchtalelben betrieb! Er sprach von unseren Gebieten im Düsterwald, als wären sie ein lichter Garten, in dem nichts Schlimmeres je droht als die Fänge eines Baummarders oder die starrenden Dornen der Berberitze! Wie ungeschickt von Tatharlin, sich von ihnen die Schulter derart durchbohren zu lassen!"

Jetzt war es Ferêryn, der spöttisch auflachte. „Was denkst du denn, kleiner Bruder, was Vater vor den Bruchtalelben wirklich zu verbergen vermochte? Wie sie so dasassen in ihren schönen Gewändern und mit ihren ausdruckslosen Gesichtern höflich unseren Worten lauschend! Glaubst du, ihren aufmerksamen Augen ist die geringste Inkonsistenz zwischen dem, was Vater sagte, und dem, was er tat, entgangen? Der Herr des Bruchtals pflegt keine Narren auszusenden…

So werden sie sie hier zwar begrüsst und bewirtet –einen herzlichen Empfang werden sie wohl nicht erwartet haben, nicht bei uns Waldelben! – doch musste ihnen schon bei ihrer Ankunft der dichte Kordon von Wächtern auffallen, der die Umgebung des Höhlenpalastes schützt! Wo doch ich und Vater ihnen aufrichtig versichert haben, dass die seltsamen Gerüchte, die von der Verdüsterung des Düsterwaldes flüstern, völlig aus der Luft gegriffen sind und haltlos wie die Ranken von entwurzeltem Efeu! Die paar Orks – von Horden kann nicht die Rede sein -, und die Warge, die Spinnen, die Fledermäuse…" Er machte eine bedeutungsschwangere Pause, um seine Worte besser einsinken zu lassen. „Warum aber schützen wir das Herz unseres Reiches gegen solch unbedeutende Feinde?"

Legolas nickte unwillkürlich.

„Dann aber kommt euer Auftritt." sagte Ferêryn. „Es hat unseren Ausflüchten und evasiven Antworten auf ihre Fragen den letzten Dolchstoss versetzt. Wie sich Vater gefreut hat, Beldàuil und dich zurückzusehen!" Der beissende Spott in seiner Stimme verlor sich für einen Augenblick, machte einer tief empfunden Wärme Platz. „Als hätte er sich zuvor entsetzlich gefürchtet, euch nie wieder zu sehen! Bloss…warum hat er sich so gefürchtet, euch zu verlieren, wo doch der Düsterwald so sicher ist wie der Schoss der Mutter für einen Säugling?"

Für einen Augenblick herrschte Stille zwischen ihnen, und dann fuhr Ferêryn fort:

„Nun, die Bruchtalelben werden zu Herrn Elrond zurückkehren und ihm berichten, dass ihre Mission gescheitert ist – oder auch nicht, denn dass seltsame Dinge im Düsterwald vor sich gehen, das haben sie zumindest jetzt mit eigenen Augen gesehen!"

Er runzelte die Stirn. „Da ist aber noch etwas, das mich beunruhigt." sagte er. „Wie oft mag es wohl schon vorgekommen sein, dass jemand eine Einladung Elronds ausgeschlagen hat? Selten genug, so würde ich meinen! Doch schienen die Bruchtalelben nicht konsterniert, noch nicht einmal milde überrascht, als Vater genau dies getan hat, ganz so, als wüssten sie bereits zuvor, dass er alle Vorschläge Elronds ablehnen würde…ja, ich bin mir fast sicher, dass sie gar um die Gründe seines für uns so seltsam erscheinenden Verhalten wussten und Licht dort sehen, wo wir, die wir doch Thranduils eigene Söhne sind, ganz und gar im Dunkeln tappen – Bei den Valar, auch wenn Vater ganz und gar anderer Meinung ist: Ich würde liebend gerne mit Elrond sprechen, und wenn ich dafür das Nebelgebirge mitten in einem Schneesturm überqueren müsste – es wäre mir ein kleiner Preis, wenn ich dafür erfahren könnte, was es mit Vaters seltsamem Verhalten auf sich hat!"

Und Beldàuils, lieber Bruder, und Beldàuils!" ergänzte Legolas gedanklich und war überrascht, dass er eine Spur Bitterkeit nicht von seinen Gedanken fernzuhalten vermochte.

Ferêryn hatte mit uncharakteristischer Leidenschaft gesprochen, was seinen Eindruck auf Legolas nicht verfehlte, da dieser den Ruf hatte, niemals seine gelassene Ruhe und Distanz zu verlieren, doch sein Bruder milderte dies ab, indem er leise auflachte.

„Da stehen wir nun und besprechen uns in verschwörerischem Flüsterton, ganz so, als ständen wir in dunklen Diensten und führten Übles im Schilde! Elronds Haus mag nicht so weit von uns entfernt sein, wie wir das jetzt gerade glauben! Wenn der Frühling kommt, wird Vater vielleicht schon anders denken und Elronds Einladung folgen – und wenn er nicht von selber auf diesen Gedanken kommt, wird ihm vielleicht Beldàuil so lange zureden, bis er endlich in die Reise einwilligt – ich hatte nämlich den Eindruck, dass jener begierig darauf ist, Elrond zu sprechen, diesen Wunsch aber – vorläufig noch – verschwieg, um Vater nicht zu brüskieren!"

Legolas lächelte.

Überlass es Ferêryn, aufmunternde und optimistische Worte an jemanden zu finden, der sie nötig hat!

„Ich stimme dir bei, Bruder." sagte er. „Doch lass uns aufmerksam sein. Wenn Elrond die Gründe für Vaters Verhalten selbst hinter dem Nebelgebirge zu durchschauen vermag, so sollte man meinen, dass die Geheimnisse, die er entschlüsselt hat, auch für uns, die wir an Thranduils Seite leben, nicht auf immer verborgen bleiben können!"

Und mit diesen Worten trennten sie sich, sich zur Ruhe zu begeben.

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So also geschah es, dass sowohl Beldàuils Unternehmung als auch Elronds Vorstoss, sich mit Thranduil zu besprechen, mit noch mehr Banden endeten, die zerrissen wurden, wie sie vor allem zwischen Beldàuil und seinen Brüdern bestanden hatten, Banden, die einst als unzerreissbar erachtet worden und doch mürbe geworden waren unter dem verderblichen Einfluss des Palantirs (und, was die Beziehung zwischen Thranduil und seinem ältesten Sohn betraf, auch unter dem noch böseren des Ringes).

Aus den Besprechungen, wie sie hier erzählt wurden, gingen jedenfalls nur Verlierer hervor, Beldàuil, der seine Mission gescheitert wusste (Niedergedrückt war er von diesem Wissen wie die Weiden an den Flüssen unter zuviel Schnee) und dieses Scheitern auch noch hatte zugeben müssen, die Boten, deren Mission glücklos verlaufen war, Thranduil, der sehr wohl wusste, dass er mit seinem Verhalten die ohnehin gespannten Beziehungen zu Elrond weiter belastete, Ferêryn, der sich mit seinen offenen Worten und seiner Herzlichkeit gegenüber den Bruchtalelben wohl den Zorn seines Vaters zugezogen hatte… und nicht zuletzt auch Legolas, weil er ahnte, dass er einmal Position würde ergreifen müssen für den Vater oder einen der Brüder, und dass dies dann bedeuten würde, dass er gleichzeitig Position ergriffen haben würde gegen diejenigen, mit deren Meinung er nicht übereinstimmte.

Und Legolas beschloss, in einer Position des Nicht-Entscheidens zu verharren, weil dies seinem loyalen Herzen, das allen Mitglieder seiner Familie so zugewandt war, am ehesten entsprach, und doch fühlte er sich dabei innerlich zerrissen, wie es die Fäden eines Spinnennetzes sind, vom Alter zerstört.

Weitere Verlierer hatte es gegeben, in diesem Gespräch, etwas, das sich erst später in brutaler Deutlichkeit erweisen würde, wobei es sich hierbei nicht um einzelne Personen, sondern um ganze Völker handelte, und unter diesen würden sich die Waldelben befinden, die Bruchtalelben und auch die Menschen der Seestadt, die sich jetzt noch so sicher wähnten, und Menschen waren auch die ersten, die das Scheitern von Beldàuils Wunsch nach einer Koalition zwischen Elben und Menschen zu spüren bekommen würden, und diese Menschen waren jene, die sich südwestlich des Düsterwaldes angesiedelt hatten.

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In Märchen, Sagen und Mythen geschieht es, dass Redlichkeit, Mut und Tapferkeit, mögen diese Eigenschaften ihrem Träger auch noch so manche Bürde auferlegen, am Ende immer ihre Belohnung in sich tragen, indem das Gute schliesslich über alle Widrigkeiten triumphiert – so war es wenigstens in den Geschichten, die sich die Menschen in den kleinen, zerstreuten Siedlungen des Düsterwaldes in den kalten Winternächten, in denen die Feldarbeit ruhte, sich erzählten!

Da sie mutig und tapfer genug waren, und voller Pioniergeist, ihre Siedlungen mitten in einer ziemlich feindseligen Umwelt zu gründen, und zudem fleissig und hart arbeitend, genug, diese zum Florieren zu bringen, in dem bescheidenen Masse, wie sie es vermochten, hätten diese Menschen in jenen Dörfern wohl das Anrecht gehabt, wie die Helden von Märchen für die zahlreichen Entbehrungen, die sie im Aufbau ihrer Siedlungen zu erdulden hatten, belohnt zu werden – doch hofften und harrten sie vergebens, denn der Lohn, den sie ernteten, wurde ihnen von den dunklen Horden der Orks ausbezahlt, in diesem Winter noch, der sich lange in den Frühling hineinzog, und dieser Lohn bestand aus Feuer, Schmerz und Tod.

Und auch die Waldelben sahen es, dass die Nacht dann und wann rot erglühte (es ist bemerkenswert, wie weit herum ein Feuer in einer klaren Nacht ersichtlich ist), eine lohende Warnung an alle, wie Mut nicht immer eine Belohnung in sich trägt, ebenso wie die rauchenden Trümmer, die der folgende Morgen dann jeweils enthüllte, die von einem zuvor blühenden Dorf übrig geblieben waren; abstrakten Denkmälern gleich, die der Vergänglichkeit gemahnten, und der traurigen Tatsache, dass die Realität nichts Märchenhaftes an sich hat – was uns letztere umso verzweifelter lieben lässt.

Ja, die Waldelben sahen es und fühlten Mitleid mit diesen Unglücklichen, auf die sich die Zerstörungswut der Orks auf einmal zu konzentrieren schien, so sehr, dass selbst Thranduil seine Abneigung gegen das Aussenden von Patrouillen überwand und Jäger losschickte, Hilfe zu bieten jenen, die dem Blutdurst der marodisierenden Orks entgangen waren (wenig genug waren es jeweils, wenn ein Dorf dem Erdboden gleichgemacht worden war!), doch war es ihnen meist nicht einmal vergönnt, die Gefallenen zu rächen, denn ihre Mörder tauchten, kaum hatten sie ihre ruchlosen Taten vollbracht, wieder in den Schatten des Düsterwaldes ein und verschwanden wie ein Spuk, so lautlos und rasch wie sie gekommen waren.

Der Rauch der verbrannten Dörfer aber, der manchmal nicht nur stunden-, sondern gar tagelang beissend und düster in der Luft hing, legte sich nicht nur wie ein barmherziger Schleier über die Bilder des Schreckens, von denen er ausging, sondern er entfaltete auch seine volle Wirkung, wenn es darum ging, die wirklichen Absichten der Orks, die sie zu den Überfällen auf die Menschen bewogen hatten, vor allen zu verbergen – als ein Schleier der Täuschung, dicht genug, dass nicht einmal scharfe Elbenaugen ihn zu durchdringen vermochten.

Fortsetzung folgt…

Anmerkung der Autorin: Arghh! Schon wieder hab ich zwei Wochen gebraucht, upzudaten! Und schon wieder bin ich einfach nicht wirklich in Schreibschwung gekommen, schnüff! Und schon wieder hat die „Action" nicht wirklich angefangen!

Aber ich gelobe in allen drei Punkten Besserung…Grosses Indianerehrenwort!

Das nächste Chapter ist nämlich schon vier Seiten stark, hat etwas „Action" drin (die Bühne ist jetzt gewissermassen vorbereitet) und wird am nächsten Samstag gepostet! Autorin geht und liest ihre alten Reviews zwecks Motivation nochmals durch

Für Elanor: Ich kann mich nur wiederholen: Deine Reviews sind wie Schokolade gegen schlechte Laune, wie eisgekühlter Eistee nach einem Dauerlauf und wie der Anblick einer Berghütte nach einem Sechs-Stunden-Aufstieg! Wie immer hast du alles, was ich aussagen wollte, toll auf den Punkt gebracht, so dass man sich so schön verstanden fühlt  ! Ah, ich vergass zu erwähnen, dass sie auch gut gegen kleinere Schreibstau-Frusts und Minderwertigkeitskomplexe diesbezüglich sind!

Für Zarina: Das war jetzt auch für eine Weile die letzte längere Wartezeit, versprochen! Immerhin stehen fast eine Woche Weihnachtsfreitage am Horizont, so dass ich doch die einte oder andere Zeile zu Papier bringen sollte. Ich bin echt froh, wenn meine „schriftstellerischen Durchhänger" (wie ich sie auch für dieses Kapitel argwöhne) nicht so schlimm empfunden werden! Als Wiedergutmachung für die lange Wartezeit habe ich immerhin dieses Kapitel fast 10 Seiten stark werden lassen!

Nicht alt in menschlichem Sinne natürlich