Von Elben und Menschen II: Von Hinterhalten und abgebrochenen Brücken

Der noch nächtliche Wald lag ruhig da, ruhig wie die Oberfläche eines Sees an einem windstillen Tag, sah man von einem gelegentlichen Knarren oder Ächzen eines altersgebeugten Baumes ab oder dem Vorüberhuschen eines nächtlichen Räubers; und noch war es zu früh für den herbstlichen Blattfall und das das Lauschen erschwerende Rascheln, das jener mit sich brachte.

Eichenblätter fallen fast lautlos, es sind die Buchenblätter , die sich gegen ihren Sturz in den Tod auflehnen, obwohl ihnen auch am Boden noch ein langes Leben beschieden sein wird, bevor sie endgültig verwittern.

Reglos kauerte Legolas in der Astgabel einer Buche, mit dem Rücken an ihren glatten, noch die Wärme des Tages abgebenden Stamm gelehnt, und lauschte in die Dämmerung. In seinen dunklen Kleidern und seiner Reglosigkeit verschmolz er geradezu mit dem Versteck, das er erwählt hatte; und es hätte schon eines aufmerksamen Waldläufers bedurft, ihn zu entdecken.

Nun, anders als aufmerksam konnte man wohl kaum einen Fuss vor den andern setzen im Düsterwald jener Tage, einmal abgesehen von den Waldteilen unmittelbar um Thranduils Höhlenpalast; und doch war Legolas alles andere als aufmerksam, als er in jener Astgabel sass, um Wache über den Weg unter ihm zu halten und auf etwas zu warten, das bald eintreffen mochte oder auch nicht: Seine Gedanken verloren sich, wie es ihm jetzt häufiger geschah, in düstere Betrachtungen der Dinge, wie sie jetzt noch viel mehr im Argen lagen als kaum eineinhalb Jahre zuvor, als die Boten aus Bruchtal Thranduil ihre Aufwartung gemacht hatten.

Dann kamen die ersten Laute, die von Bewegung und der Anwesenheit von Wesen zeugten, die sich plumper, ungeschickter bewegten, als dies Elben tun: Ein Rascheln von am Boden zertretenen frühen Herbstblättern, ein Biegen und Zurückschnellen von herbststarren Zweigen, ein gelegentliches Klirren von Eisen auf Stein.

Legolas richtete sich in seiner Astgabel auf, angespannt lauschend. Jetzt hörte man das Schnauben eines nervösen Pferdes, deutlich vernehmbar durch die Stille des dämmerigen Morgens. "Menschen also." dachte Legolas „Mindestens 20 von ihnen. Wer immer sie auch sind, ihre Pferde sind jedenfalls achtsamer als ihre Herren!"

Zu jenem Zeitpunkt dachte er noch, die Pferde hätten ihn oder einen der andern Elben gewittert, die in den Bäumen verharrten, unsichtbar für den zufällig streifenden Blick wie die gläsigen Moorfische für das Auge des Reihers, doch würde er bald eines besseren belehrt werden.

Nicht, dass ihn die Wachsamkeit der Pferde beunruhigt hätte – Menschen pflegten die subtilen Wahrnehmungen ihrer Tiere zu missachten – dennoch sank er etwas tiefer in sein Versteck zurück.

„Kein Elb…" dachte er, „…würde jetzt weiterreiten, ohne seine Bogen schussbereit zu halten und seine Umgebung gründlichst zu sichern."

Die Menschen jedoch – jetzt waren sie fast in Sichtweite – taten nichts von alledem. Fast hätte Legolas unwillig den Kopf geschüttelt; und er verspürte einen Anflug von Zorn. Wie konnte man nur so unvorsichtig sein in so gefährlichen Zeiten?

Die Ankunft des menschlichen Reitertrupps hatte nicht nur ihn aus seinen Gedanken gerissen. Der Lärm, den dieser machte, störte nun auch einige Buchfinken und andere Waldvögel in ihren morgendlichen Aktivitäten. Einer zeterte verschlafen darüber.

Vorsichtig verlagerte Legolas sein Gewicht und umklammerte seinen Bogen fester. Er hatte zwanzig menschliche Reiter gezählt, einige von ihnen in den Farben der Seestadt (nicht dass er viele Farben der Menschen gekannt hätte), und alle waren sie schwer gewappnet und blickten ernst und grimmig um sich, ohne jedoch wirklich zu sehen.

Wieder spürte Legolas einen Anflug von Zorn, fast Ungeduld. Schwierig war es für ihn sich vorzustellen, dass jemand so viel Lärm unabsichtlich machen konnte – und es seinen Reittieren erlaubte, dasselbe zu tun- und seine Ungeschicklichkeit auch noch für unauffällig hielt!

Wie fast alle Waldelben begegnete er dem, was er für Ungeschicktheit hielt, mit kaum verhülltem Ärger und wenig Geduld, Gefühle, die ihre Wurzeln hatten in einer generellen Unfähigkeit, sich in den Körper und die Gedanken eines Sterblichen hineinzuversetzen, etwas, das er auch selten wirklich versuchte.

Legolas atmete tief durch. Noch, sagte er sich, gab es keinen Grund für Unmut. Noch war es nicht sicher, dass Thranduil recht hatte mit seinen Vermutungen, was der Zug der Menschen (Woher hatten der Elbenkönig und Beldàuil bloss davon erfahren?) mit sich bringen würde. Noch verdienten die Menschen seinen Zorn nicht… doch ein ungutes Gefühl in seinem Magen sagte ihn, dass dies bald der Fall sein würde.

Jetzt waren die Menschen nahe genug; und Legolas erhob sich geschmeidig. Nichts an seinen Bewegungen verriet, dass er bereits die halbe Nacht in einer Stellung auf seinem Baum verbracht hatte, die einem Menschen mehr als unbequem scheinen mochte. Den Bogen hielt er griffbereit, doch gesenkt (er hätte sich geschämt, auf so unvorbereitete und nichts ahnende Gegner zu zielen), und so harrte er gespannt der Entwicklung der Dinge, wie sie das Zusammentreffen von den Menschen aus der Seestadt mit Beldàuil und seinen Begleitern mit sich bringen musste, ein Treffen, dem wohl jeder der Beteiligten – ob Elb oder Mensch – mit im besten Falle nur zwiespältigen Gefühlen entgegensah.

OoO

Er hasste die herbstliche Kälte, die seinen Rücken steif werden liess und die Finger, die die Zügel seines Pferdes hielten. Er hasste die Dunkelheit des Waldes um ihn, die Nebel, die die an sich schon schwache Morgensonne verschluckten wie die Amsel einen unvorsichtigen Wurm, und die Unsicherheit, die ihn befallen hatte in jener Sekunde, in der er Esgaroth verlassen hatte; und ganz besonders hasste er die Mission, auf der er sich jetzt befand, hasste sie inbrünstig und mit jeder Sekunde mehr.

Zum einen sass ihm die Angst um die eigenen Haut im Nacken (oh, er war ein guter, tapferer Streiter, wenn es denn sein musste, doch hatte er noch nie zu jenen gehört, die den Kampf suchten) in diesem verfluchten, dunklen Forst, und zum andern quälte ihn der Gedanke an die seinen, die er zurückgelassen hatte in einer Stadt, die sich weniger und weniger verteidigen konnte gegen das Unheil, das sie heimsuchte wie das Mutterkorn die Felder eines unglücklichen Bauern.

Würden sie wohl sicher sein, bis er heimkehrte, ganz ohne männlichen Schutz? Würde sein Weib gar in seiner Abwesenheit gebären? Sein jugendlicher Sohn zu den Waffen greifen und sich der Stadtwache anschliessen, wie das so viele Kinder taten, in diesen dunklen Zeiten, jetzt, da keine feste Hand da war, um ihn davor abzuhalten?

„Sie haben mich auf eine Bettelmission geschickt." dachte er in plötzlich aufwallendem Zorn. „Auch wenn sie es anders genannt hatten. Bettelmission!" Er spuckte aus.

Jeder wusste, dass er, Simon der Narbige, Führer der Stadtwache, alles andere als geeignet war, eine Bettelmission anzuführen! Die Sprache der Diplomatie, das wusste jeder bis zum letzten Pferdeknecht in Esgaroth, war nicht die seine. Die Sprache der Schwerter, die von Pfeil und Bogen, von Kampf, Gefahr und plötzlichem Tod, das war eher seine Welt! Stolze Worte, ja, mit solchen hätte er zur Not noch dienen können, aber mit Bettelworten? Er seufzte.

Der stolzen Worte waren beileibe genug ausgetauscht worden, damals, als der Sohn des Elbenkönigs bei ihnen erschienen war, um ihnen den Vorschlag zu unterbreiten, die Orks in ihren eigenen Nestern anzugreifen und auszuräuchern, stolze Worte, von denen er jetzt wünschte, sie wären im fetten Hals des Bürgermeisters stecken geblieben, noch bevor er sie gesprochen.

Wären jene Worte damals nicht ertönt, dann hätten sich wohl nicht alle Bauern der Umgebung in die Städte geflüchtet. Dann wären die Augen der Frauen nicht so oft rotgeweint, und die Kinder nicht so hohläugig, verschreckt und still. Dann würde der Strom von Menschen (es war eher ein Tröpfeln als ein Strom, wenn er es genau bedachte, aber das machte die Sache nicht besser) aus den südlichen Gebieten des Düsterwaldes, Menschen, denen ihr Dorf über ihren Köpfen abgebrannt worden war und die nichts als ihr nacktes Leben hatten retten können, und die sich (manchmal begleitet von einem kleinen Trupp Elben) nach Esgaroth flüchteten in der Hoffnung, dort, in einer Menschenstadt, Schutz zu finden, die die karg werdenden Vorräte der Seestadt weiter aufzehrten, endlich versiegen…

Gewaltsam riss er sich zusammen und brachte seine Gedanken zurück in die Gegenwart, obwohl der Gedanke an die Fehler, die sie damals begangen hatten, eingelullt vom scheinbaren Frieden, der um sie herum herrschte, sich in seinem Kopf eingenistet hatte wie der krankheitsbringende Sumpfwurm in die Beine eines Opfers und dort unablässig schmerzte.

Sein Pferd, ein noch junges und etwas nervöses Tier, schnaubte und warf den Kopf, und fast hätte er es ihm gleichgetan. Was mochte das Vieh wohl dieses Mal gehört haben? Über welchen Schatten hatte es sich wohl dieses Mal erschreckt?

Dieser verfluchte Wald war so voller Stimmen, Schemen und lauerndem Bösen! Oh, wie er ihn und diese ganze verdammte Mission hasste!

Als in jener Sekunde eine körperlose Stimme irgendwo aus den Bäumen an sein Ohr drang und ihn bedrohte, da war er nur milde überrascht. Was hätte man an diesem vermaledeiten Ort auch anders erwarten können? „Ich hasse diese Mission!" dachte er noch einmal leidenschaftlich, als er jener körperlosen Stimme lauschte und, etwas verspätet, eine wage Furcht um sein Leben in ihm aufzukeimen begann.

Seine Augen suchten das bereits spärliche werdende Blattwerk vor ihm ab, während er mit einem Handzeichen seinen Männern zu verstehen gab, dass sie sich ruhig verhalten sollten.

„Einen Schritt weiter, und euer Trupp wird von einem reiterlosen Pferd angeführt!" wiederholte die körperlose Stimme vor ihnen, „Ich fragte, was ihr hier wollt!"

„Ein Elb." dachte Simon. „Nur ein Elb bringt es zustande, in nur einem Satz so drohend, arrogant und zeitgleich gestelzt zu klingen!"

„Weshalb bedroht ihr uns, die wir mit friedlichen Absichten kommen, wie hinterhältige Trolle aus dem Hinterhalt?" sagte er auf Geratwohl zu den Bäumen vor sich. „Wir wollen zu König Thranduil!" Hatte er schon angemerkt, wie sehr er jenen überlegenen Tonfall hasste, den die Elben sich anmassten, wenn sie sich im Vorteil wähnten?

Die Zweige einer Buche vor ihm bogen sich, und ein Elb erschien zwischen ihnen, der auf sie niedersah, mit undurchdringlichem, aber durchaus bekanntem Gesicht:

Es war jener Elb, der sich ihnen, vor kaum zwei Jahren noch, als König Thranduils Sohn vorgestellt hatte und seinen verrückten Vorschlag, die Orks in einer Allianz von Elben und Menschen in die höchsten Spitzen des Nebelgebirges zurückzutreiben, unterbreitet hatte – und den ihr Meister, mit höhnisch wabbelnden Wangen, angewiesen hatte, mit den eigenen Schwierigkeiten auch eigenständig fertigzuwerden! Er hielt einen Bogen in den Händen, doch noch hatte er ihn nicht gespannt.

Simon war sich nicht sicher, ob diese Geste einfach bedeutete, dass genügend Bögen – gespannte Bögen! - in den umliegenden Bäumen auf sie gerichtet waren, oder ob sie einen arroganteren Ursprung hatte („Für euch bin ich auch so noch schnell genug!"), doch eines wusste er: Der Elb vor ihnen blickte heute nicht freundlicher drein, als er es getan hatte, als er, von ihnen allen abgewiesen, der Seestadt Esgaroth den Rücken zugewandt hatte.

OoO

Legolas hörte Beldàuils Worte, die er an die Menschen richtete, so deutlich wie alle andern Elben, die ihn und den Bruder begleiteten, und noch deutlicher erkannte er dessen mehr als kalten Tonfall, der selbst ihn für einen Augenblick einzuschüchtern vermochte, wenn er denn an ihn gerichtet war – was selten genug vorkam, denn wenn er etwas in einem bestimmten Tonfall von Beldàuil entgegen nehmen musste, dann war es meist in einer „Ich-weiss-es-besser-denn-ich-bin-dein-älterer-Bruder"-Art gesprochen.

Er hörte jedoch nicht genau hin, auch nicht, als einer der Menschen, die wie Beldàuil in einiger Entfernung in seinem Rücken standen, zu sprechen begann, denn abgelenkt geworden war er von etwas, das er selber nicht genau festlegen konnte, und es bedurfte all seiner Konzentration, diesem Etwas habhaft zu werden und ihm Konturen zu verleihen, bevor er sich wieder anderen Dingen zuwenden konnte.

Es gehört zu den Eigenschaften des menschlichen Wahrnehmungsvermögens, dass es gelangweilt wird durch Routine, und dass es den Dingen, die jene mit sich bringt, wenig Aufmerksamkeit schenkt, da es sie als unwichtig klassifiziert – genau dies bringt es mit sich, dass die Menschen oft nicht in der Lage sind, die Dinge ihres Alltags akkurat zu beschreiben, selbst wenn sie ihnen täglich begegnen.

Aufmerksam und äusserst präzise aber arbeitet ihr Verstand in der Regel, wenn es darum geht, etwas zu bemerken, dass aussergewöhnlich ist und dem widerspricht, was routinemässig zu erwarten wäre – und ähnlich mochte es Legolas an jenem Morgen ergangen sein, als er im Geäst jener Buche verharrte, in der er schon so lange sass, zu einem Zeitpunkt, an dem Beldàuil längst in Gespräch war mit dem Führer der Menschen, ja, selbst dann noch, als jener sich anschickte, mit Beldàuil und den Elben zu Thranduil und dessen Höhlenpalast aufzubrechen, wie es ja seinem Wunsch entsprochen hatte. Zwar hatte er nun die Worte der genauen Verhandlung, die unzweifelhaft stattgefunden haben musste, verpasst, doch empfand er darüber wenig Reue, wusste er doch, dass er eben etwas Aussergewöhnliches gesehen haben musste, etwas, das demzufolge ein Zeichen von Gefahr sein mochte - Aussergewöhnliches, das sich als frohe Überraschung herausstellte, ergab sich im Düsterwald zu selten, als dass Legolas so etwas auch nur in Erwägung gezogen hätte!

Wahrscheinlich hatte er einen oder zwei der Screekers entdeckt (auch wenn er sich darüber noch nicht im klaren war) die nur zu bald schon ganz in seiner Nähe auftauchen würden, grosse, schwarze Rabenvögel, die in kurzen Flügen von Baum zu Baum huschten – kein ungewöhnliches Verhalten für einen Waldvogel, hätte er denn in den Düsterwald gehört, und so verharrte er denn, lauernd wie ein Grauwolf an einem oft begangenen Wildwechsel, ohne wirklich sagen zu können, weshalb er dies tat, während doch die Elben und Menschen in seinem Rücken schon aufgebrochen waren (er hatte nichts gesehen, was sein Zurückbleiben notwendig gemacht hätte), und dennoch tat er es, Instinkten vertrauend, die er, in seinem Leben als Jäger, ununterbrochen erprobt, entwickelt und verfeinert hatte, doch erbrachten sie ihm dieses Mal eine reichere Belohnung als jemals zuvor, weil sie ihm zwar keine gute Jagdbeute bescherten, aber doch verhinderten, dass er (und alle andern Elben) als eine solche endeten.

Der Wald in seinem Blickfeld erwachte plötzlich zum Leben.

Legolas senkte die Lider. Seine Augen glühten in verhaltenem Hass darunter hervor.

Orks! Fünf…zehn…nein, dreiundzwanzig Orks konnte er auf einmal zwischen den Bäumen um ihn ausmachen!

Wie Kröten nach einem heftigen Regenfall kamen sie aus ihren Löchern gekrochen, und dunkel, zielstrebig und geschwollen vor Bosheit, so duckten sie sich und schlichen vorwärts, und so lautlos, wie sie sich vorwärtsbewegten, gemahnten sie selbst an eine jagende Meute, und dieselbe Intensität, selbst dieselbe gelassene Siegesgewissenheit, die man Wölfen nachsagt, die ihre Beute in die Enge getrieben haben, lag in jeder ihrer Bewegungen etwas, das ihnen eine Aura von Gefährlichkeit verlieh, wie sie Legolas so an ihnen noch nie bemerkt hatte.

Die Orks, das waren (so hatte Legolas jedenfalls die Sache immer gesehen, und keiner ausser Ferêryn hatte je ein anderes Bild von ihnen gezeichnet) grausame, blutdürstige und tumbe Wesen, die keinen einzigen Wesenszug teilten mit jenen, die sich die freien Völker nannten, deren Herzen keine Regung kannten, die wärmer war als eine Bauernkate im Winter, und deren Gedanken inkoherent waren und nur auf Tod und Zerstörung beschränkt, die sie nicht nur über andere, sondern auch in ihre eigenen Reihen brachten, wenn sich die Idee dazu in ihrem Hirn festgesetzt hatte.

Der Schock, sie hier zu sehen, in einem offensichtlich wohlüberlegten Hinterhalt, als würden sie sich aufs Planen und Intrigieren verstehen, versetzte ihn in die Rolle eines kühl analysierenden Beobachters und dämpfte für einen Augenblick den Hass, der das Blut schneller und heiss durch die Adern trieb, wann immer er einen Ork erblickte.

So stand er denn und beobachtete seine Gegner, wie sie sich, ihre Waffen angriffsbereit, schleichend vorwärts bewegten, in einer fast morbiden Faszination, wie sie der Anblick einer attackierenden Schlange wohl auf ihre Beute ausüben mag, und obwohl diese seine Erstarrung nur Augenblicke gedauert haben mochte, realisierte Legolas plötzlich, dass die Orks ihm schon zu nahe waren, als dass er noch hätte hoffen können, sich von ihnen unbemerkt aus seinem Beobachtungs-posten zurückzuziehen.

Nicht dass ihn dieser Gedanke sonderlich nervös gemacht hätte! Legolas hatte, wie es bei vielen Waldelben der Fall war, ein ruhiges, auf jahrelange Erfahrung begründetes Vertrauen in seine Fähigkeiten, sich im Wald einem Gegner zu stellen und gegen ihn zu bestehen, ein Vertrauen, dass ihn auch jetzt nicht verliess, als er reglos, die Zähne fest zusammengepresst, beobachtete, wie die Orks sich näherten.

Jetzt waren sie heran, so nahe, dass er jeden einzelnen fauligen Zahn in ihren Fratzen hätte zählen können oder die Anzahl Pfeile, die sie mit sich führten, und noch immer war er ruhig, so ruhig, wie es nur jemand sein konnte, der sich als Jäger verstand, nicht aber als Gejagter – eine Anmassung, wie sie sich im Grunde genommen nur Beldàuil gegenüber einer solchen Übermacht an Orks herausgenommen hätte, aber Legolas war (eine Bemerkung diesbezüglich hätte ihn stolz gemacht) seinem Bruder ähnlicher, als er ahnte, und nicht nur in diesem Moment.

Ja, eine Form der Anmassung mochte es sein, die Legolas so lange auf seinem Ast verharren liess, wartend, abwägend, beobachtend, kalkulierend (Wann mochten sie wohl weit genug entfernt sein, dass er ihnen in den Rücken fallen konnte, ohne sich selbst zu gefährden? Es war nur zu wahrscheinlich, dass sein Bruder und dessen Begleiter diese Schleicher vor sich hertreiben würden wie ein Fuchs einige Kaninchen, falls sie ihnen gewahr wurden – leicht konnte er da selbst zum Gejagten werden, wenn er sich ihrer Flucht in den Weg stellte!), und teuer bezahlte er schliesslich für jene, als nämlich die Screekers, denen er sein ursprüngliches Misstrauen eigentlich verdankte, heranwaren, und sein gedankliches Berechnen des richtigen Zeitpunkts der Warnung an den Bruder und dessen Begleiter und dem Moment, an dem er den Orks in den Rücken fallen würde, wurde zu einer Misskalkulation, deren Kosten er nur zu früh würde tragen müssen.

Jedenfalls fand er sich, kaum waren einige weitere Lidschläge Zeit vergangen, mitten in einem Schwarm Schwierigkeiten, die schwarzglänzend waren wie die Flügel von Laufkäfern im Düsterwald, düstere schwarze Knopfaugen, scharfe Schnäbel und Krallen besassen und auf die kleinste seiner Bewegungen (Ihre Augen waren schärfer als die der Orks) mit heiserem Gekrächze und Geschrei reagierten und die sich auf den Bäumen um ihn, sogar auf seinem Baum niederliessen und nicht den Anschein machten, als würden sie gleich weiterziehen, so, wie sie herangekommen waren.

Legolas wusste nicht, dass die Menschen, die nahe des Nebelgebirges wohnten, jene Vögel fürchteten (dort hatte ihre Art ursprünglich genistet) und sich hinter vorgehaltener Hand zuraunten, dass die Seelen von verstorbenen Mördern und Verbrechern in ihren Leib gefahren waren, deren böse Energien nun in ihnen weiterlebten (er hätte auch gelacht, wenn ihm jemand so etwas erzählt hätte), doch eines wusste er: Diese Vögel, die sich jetzt in einem ganzen Schwarm, scheinbar abwartend, lauernd, um ihn herum niedergelassen hatten, konnten sehr leicht zum Verräter an ihm werden…

Und Legolas, der sein Versteck preisgegeben wusste, unabhängig davon, wie lange er noch mit der Warnung an seinem Bruder zuwartete, blieb nur noch eines zu tun: Sorgfältig hob er seinen Bogen und zielte, das heisere Gekrächz der so plötzlich aufgetauchten Vögel in den Ohren und eine leise Spur von Furcht in seinem Herzen.

OoO

Sein Instinkt, das wusste Beldàuil, war normalerweise etwas, auf das er sich getrost verlassen konnte. Weshalb aber nagte dann dieses subtile Unwohlsein, dieser Hauch einer Warnung vor Gefahr so plötzlich an seinem Unterbewusstsein, jetzt, da die Konfrontation mit den so zielstrebig voranreitenden Menschen vorbei (und gut verlaufen) war? Keine bösen Absichten, das war er sich jetzt sicher, hatten sie hierher geführt, sondern nur die späte Reue über die Ablehnung seines Angebots und die wage Hoffnung, er würde es ihnen noch einmal unterbreiten, wenn sie nur ersterer genügend Ausdruck verliehen…

Beldàuil, der erwartet hatte, etwas wie Triumph zu verspüren, jetzt, da sich all seine prophetischen Warnungen von damals als richtig herausgestellt hatten, spürte nichts dergleichen. Was er verspürte, war dasselbe, das auch die Schultern der Menschen niederdrückte: Eine (wenn auch in seinem Fall nur flüchtige) Traurigkeit darüber, dass jene Einsicht, die der Mensch Simon in seiner kurzen Unterredung mit Beldàuil zum Ausdruck gebracht hatte, erst nach dem Verlust unzähliger Menschenleben zustande gekommen war – und eben jenes instinktive Gefühl drohenden Unheils, das ihn einfach nicht verlassen wollte.

Zu recht, wie er nur Sekunden später erfahren sollte. Sie waren gerade zum Höhlenpalast aufgebrochen, da hielten die Pferde der Elben und der Menschen schon inne, warfen die Köpfe und tänzelten, und wer sie so nervös gemacht hatte, weil er mit einem heiseren Brüllen und ziemlich überraschend hinter ihnen aus dem Gebüsch brach, das war ein ungewöhnlich hochgewachsener Ork, schwer bewaffnet und gut gerüstet und von intelligentem Aussehen (sofern man das bei seiner Rasse beurteilen konnte).

Sie reagierten auf eine Bedrohung, die nicht mehr vorhanden war, war der Ork doch zu nichts mehr fähig ausser einigen fahrigen Bewegungen mit den Füssen im Schnee und einigen gurgelnden Atemzügen, denn ein Pfeil hatte seinen ledernen Brustharnisch auf der Höhe seines Herzens durchschlagen und würde seinem Leben jeden Augenblick ein Ende setzen.

Der Screeker jedoch, den derselbe Pfeil, der dem Ork zum Verhängnis geworden war, auf dessen Brust aufgespiesst hatte, schien, obwohl er schwer verletzt sein musste, sich mit jeder Faser seines Seins gegen den unabwendbaren Tod zu wehren – er schrie in hohen, fast menschenähnlichen Tönen, einem unheimlichen Grabgesang gleich, der nervenzerfetzend wirkte in der Stille des Waldes, die der gewaltsame Tod des Orks mit sich gebracht hatte.

OoO

Irgendwann einmal in seinem langen Leben, da hatte Beldàuil begriffen, dass man Charaktereigenschaften, wenn man auch nur eine Spur davon besitzt, in sich ausfindig machen, trainieren, ausformen und aufbauen kann wie die Muskeln des eigenen Körpers, und ebenso verfeinern wie die eigenen physischen Fähigkeiten.

Diese Erkenntnis hatte ihn in einen fast rauschartigen Zustand versetzt – er, der es in so vielen körperlichen Betätigungen schon zur Meisterschaft gebracht hatte, erkannte plötzlich ein weites Feld an neuen Herausforderungen vor sich… und mit dem ihm eigenen Elan stellte er sich ihnen.

Hatte er früher auch zu Ungeduld geneigt, wenn er zum Beispiel beim Bogenschiessen an etwas kam, das er für einen toten Punkt hielt, war er jetzt einsichtiger (Geduld, so war er selbstkritisch genug zu wissen, war auch etwas, das bei ihm eines gewissen Trainings bedurfte), und was er jetzt übte, war etwas, wonach er mit jeder Faser seines Herzens strebte, nämlich die Verstärkung jener Eigenschaften, derer es bedurfte, um einen guten Anführer abzugeben.

Während ein Bogenschütze seine Bewegungen bis zum Abschuss eines Pfeiles immer wieder übt, bis sich jene tief und unauslöschlich in sein Unterbewusstsein eingraben und reflexartig schnell werden, so hatte er das Verhalten von Anführern (das seines Vaters zum Beispiel, aber auch das von jenen, von denen jetzt nur noch Lieder erzählten) studiert, und im Geiste hatte er sich immer und immer wieder ausgemalt, wie sie vorgegangen waren besonders in einer Krise, wie er vorgehen würde in einer Krise, und das kam ihm jetzt, viel häufiger eigentlich, als ihm lieber sein konnte, zunutze.

„Überblick verschaffen" dachte er automatisch, kaum hatte sein Blick auf dem sterbenden Ork geruht, „ und alle möglichen weiteren Komponenten der Situation abschätzen!"

Nun, dieser Teil ist leicht…Was haben wir denn da? 23 Orks, fast alle mit Armbrüsten bewaffnet, dazu Schwerter, einige Bögen…Sie greifen alle zugleich an, nachdem einer von ihnen schon gefallen ist…ob noch mehr Ungeziefer ihrer Sorte in den Büschen steckt, lässt sich jetzt nicht entscheiden!

„Kommandos geben!" war das zweite, was ein guter Kommandant eben tat, und so rief er: „Auseinander!", und „Verteilt euch!", ein Befehl, der wohl nicht in erster Linie für seine elbischen Begleiter, sondern für den Trupp der Menschen gedacht war, da die Elben nicht erst auf sein Kommando gewartet hatten, genau dies zu tun.

Sie zerstreuten sich, wie es die Wildgänse tun, wenn ein Adler zwischen sie fährt, und schneller hatten sie ihre Bögen gespannt und Pfeile aufgelegt, als dass der Gedanke an einen Hinterhalt überhaupt sich in den Köpfen der mit den Elben zusammen überfallenen Menschen aufdämmern und sich festsetzen konnte, auch wenn Simon, der (für einen Menschen) nicht gerade langsam war, den Bruchteil einer Sekunde später etwas ähnliches brüllte, das aber in den Schreien der ersten Orks, die unter Elbenpfeilen fielen, unterging, und denen von drei Menschen und einem Elben, die zu langsam reagiert hatten, um den Pfeilen der hinterhältigen Orks zu entgehen.

Beldàuil sah es, und auch, dass die Orks, kaum hatten sie ihre Attacke gestartet, ihre Bögen und Armbrüste fallen liessen und sich zur Flucht wandten, da sie auf unerwartete Gegenwehr stiessen, und er dachte: „Kämpfen und den eigenen Teil beitragen!" und auch das war kaum zu Ende gedacht, da fielen schon ein Ork, der sich, mutiger (oder dümmer vielleicht) als die andern, seinen Gegnern noch stellte, und ein weiterer, der den andern schon voraus war und in wilder Flucht, unter seinen Pfeilen.

Weitere Pfeile verschwendete er nicht: Diejenigen, die noch in Reichweite ihrer Bögen waren, hatten dies bereits mit dem Leben bezahlt (die andern Elben standen Beldàuil im Bogenschiessen wenig nach), und dem Rest der Flüchtigen nachzusetzen verbot ihm die Vorsicht: Die Kunst des Köderns kannten nicht nur die Elben, und er würde nicht derjenige sein, der auf eine Kostprobe davon hereinfiel.

Nie konnte man wissen, ob sich nicht noch eine andere Rotte Orks im Düsterwald versteckte, die nur darauf wartete, dass ihnen eine zahlenmässig unterlegene Gruppe Elben in die Fänge lief…

Nun, in jenem Moment des gefühlsmässigen Schwebens zwischen Erleichterung – Der erste Hinterhalt war vereitelt, die Gefahr, so schien es zumindest, vorerst gebannt – und Anspannung – Waren da nicht noch mehr von dem schwarzen Gezücht? Hatten die Menschen wirklich nichts von dem Rattenschwanz geahnt, den sie mit sich brachten? – da hätte die Ermahnung an sich selbst kommen müssen: „Lass dich nicht von Emotionen leiten, bis alles unter Kontrolle ist", und genau jetzt kam Beldàuil, der sich bis jetzt als glänzender Führer erwiesen hatte, an einen Punkt, an dem er versagte, und immer wieder versagte.

Kalte Furcht wallte in seinem Magen auf, und Sorge und Anspannung verengten seine Kehle, erstickten weitere Kommandos und die anerkennenden Worte, die seine Mitstreiter wohl verdient gehabt hätten und die im auf der Zunge lagen, noch bevor er sie aussprechen konnte.

„Lass dich nicht von Emotionen leiten!" befahl er sich noch einmal, doch in jenem resignierendem, fast verzweifelten Tonfall, den jene annehmen, die sich auf verlorenem Posten wissen, und dann schnalzte er mit der Zunge und befahl sein Pferd vorwärts, ohne sich um die andern Elben in seiner Verantwortung zu kümmern.

Wohl hatte er den Pfeil erkannt, der den Screeker an die Brust des Orksanführers (Die Kopflosigkeit des darauf folgenden Angriffs der andern Orks liess jedenfalls darauf schliessen, dass es sich um deren Anführer gehandelt hatte) genagelt und sie so alle noch rechtzeitig vor dem Angriff der schwarzen Ungeheuer gewarnt hatte! Nur zu gut sah er, wie die überlebenden Orks in jene Richtung flüchteten, aus der jener rettende Bogenschuss gekommen war, und nur zu gut hatte er jenen kurzen Ausruf des Schmerzes (Er hatte zwar mehr überrascht oder zornig geklungen als wirklich schmerzerfüllt) gehört, der aus eben besagter Richtung gekommen war!

Wohl anerkannte sein analysierender Verstand noch immer die Möglichkeit, dass weitere Orks im Hinterhalt lauern mochten, bereit, jeden Augenblick über sie herzufallen, und dann würde es schon die schützende Hand aller Valar brauchen, jenen Elben zu retten, der alleine zwischen die Fronten einer verzweifelt flüchtenden und einer blutgierig attackierenden Gruppe Orks geriet…

Er hatte sein „Lass dich nicht von privaten Ängsten leiten!" längst vergessen, als er sein Pferd antrieb, dem Bruder beizustehen, der (Wie, bei allen Dämonen aus der Hexenküche des Nekromanten, brachte er das eigentlich fertig?) es wieder einmal geschafft zu haben schien, sich Hals über Kopf in Schwierigkeiten zu stürzen, und in ihm war ein stummes Gebet an die Valar, dass er auch dieses Mal rechtzeitig sein würde, das schlimmste zu verhindern.

Fortsetzung folgt…

Anmerkung der Autorin: schüttet fleissig Asche über ihr Haupt Sorry für die erneute lange Pause! Dabei hab ich doch so hoch und heilig versprochen, pünktlich upzudaten – wo ich doch so schöne Reviews gekriegt habe! Nun, leider ist mein Schreibtempo noch immer ca. drei Sätze pro halbe Stunde (Wo ist bloss meine Inspiration geblieben?!?), und Schneefall in den Bergen hat mich dazu gebracht, meine Weihnachtsfeiertage etwas zu verlängern… Ich trau mich jetzt nicht mehr, etwas zu versprechen, aber ich geb mir ehr und redlich Mühe, etwas fleissiger weiterzumachen. Ganz ehrlich aber werde ich die Geschichte auf jeden Fall fertig schreiben (der Schluss ist schon geschrieben!), also keine Panik bei einer längeren Pause – falls jemand trotz der langen Pause bei der Stange bleibt!

Für Zarina: Hihi, das hört man natürlich gerne, das der Schreibstil nicht sonderlich gelitten hat – es ist nur so: Ich habe brauche mittlere Ewigkeiten, selbst kleine Passagen zu schreiben, und hege dann immer die Befürchtung, dass sich dieser „Chrampf" auch im Stil niederschlägt…Danke für die Ermunterung – und für die Reviewtreue – die weiss ich schreibende Schnecke sehr zu schätzen!

Für Liderphin: Oh, neue bildliche Vergleiche! Kann ich immer brauchen, da ich sonst wahrscheinlich repetitiv werde wie eine Oma, die von den Tugenden (oder, wahlweise, Untugenden) ihrer Enkel berichtet… Ja, Elrond ist sicher jemand, der Licht bringen könnte in die Vorgänge vom Düsterwald – damit er dabei aber auch genügend herausgefordert ist, machen wir die Schwierigkeiten vorsichtshalber noch etwas grösser! Vielen Dank auch im neuen Jahr für die Reviewtreue!

Für Elanor: Wie schon gesagt, ich verdiene eigentlich deine konstant wohlmeinenden Reviews und netten Kommentare gar nicht (alle zwei Wochen ein update ist schon gar mager, seufz…) und es fällt mir langsam schwer, ein ebenbürtig schönes „Danke schön" dafür aufs virtuelle Papier zu bringen! Also: Auch wenn es an dieser Stelle genau so klingt wie immer: Vielen vielen Dank für die Reviewtreue!