Die Tochter des Elbenkönigs I: Vom Lieben und Geliebtwerden
I.
Zorn hat vieles von dräuenden Gewitterwolken an sich. Er wächst und verdichtet sich, wird düster, drohend und ergiesst sich schliesslich in einem heftigen Ausbruch über jemandem, der sich ihm als Ziel geboten hat – ganz so, wie ein heftiger Regenguss über dem unvorsichtigen Wanderer sich ergiesst.
Dies mag unangenehm, manchmal gar schmerzhaft sein für das Opfer beider Begebenheiten, doch kann ein Zornesausbruch auch seine guten Seiten haben (ganz wie dies bei einem niedergegangenen Gewitter der Fall ist, das die Luft frisch und klar hinterlässt): Dinge aufdecken, die zu lange im Verborgenen lagen, Unbereinigtes bereinigen, und eine elektrisierende, als unangenehm empfundene Atmosphäre sich entspannen lassen.
Wie auch das Gewitter im Freien jedoch, da benötigt ein Zornesausbruch einen Auslöser, einen Berg gewissermassen, an dem er ausregnen kann, und fehlt dieser, dann werden die dunklen Wolken den Himmel länger verdüstern, als es dem Zornigen selbst vielleicht lieb sein mag.
Ist er zudem von einem Zorn geplagt, dessen Ursprung sich ihm verborgen hält, da er aus Quellen genährt wird, die er nicht zu benennen vermag, dann kann es sein, dass er von jener Art Zorn heimgesucht wird, der vor allem unter den Menschen seine Opfer findet und sie zu grossen Taten, sowohl im Guten als auch im Schlechten, führen kann, oder aber zu einer Verfinsterung ihres Gemüts, zu Krankheit und gar Tod, eine Art von Zorn also, die den Elben gemeinhin unbekannt ist.
Thranduil aber, der König des bedrängten Düsterwaldes, war genau jener Art von Zorn anheim gefallen, der nun an seinen Kräften nagte wie eine schleichend fortschreitende, doch umso tückischere Krankheit. Besass der Elbenkönig, dessem aufrichtigen Charakter Hinterlist und Tücke fremd waren1, von Natur aus schon wenig Abwehrkräfte gegen einen solchen schleichenden Zorn – er pflegte jenen jeweils deutlich zum Ausdruck zu bringen, bevor er überhaupt anwachsen konnte – so musste er ihm umso mehr erliegen, als dass er seinen Ursprung sowohl in den Einflüsterungen des Palantirs als auch in der bösen Natur des Ringes hatte, Einflüsse also, denen selbst die Stärksten kaum gewappnet gewesen wären.
War Thranduil sich also des Ursprungs seines quälenden Zorns nicht bewusst, so doch dessen Existenz und dessen Gefahren; und einsichtig genug war er, ihn nicht an anderen auszulassen, auch wenn ihm dies zunehmend schwer fiel. Ja, er kämpfte einen schweren Kampf gegen jenes formlose Ungeheuer, das in ihm heranwuchs, mächtiger und mächtiger wurde; und doch war seine Gegenwehr schon von zu Beginn zum Scheitern verurteilt, der Feind in ihm zu unangreifbar.
Als Thranduil dies zu begreifen begann, da hatte er, fast nach Menschenart, zu einem Verbündeten gegriffen, der seinen Zorn zwar nicht schwinden, aber für eine Weile vergessen liess, dem Wein, und es dauerte nicht lange, so wandte sich jener tückisch gegen ihn, wie es seine Art war, und fügte dem Stachel des Zorns jenen des Selbsthasses hinzu, als der Elbenkönig bemerken musste, dass er diesen bitter schmeckenden Trost zu oft, viel zu oft benötigte; und die Kontrolle über seinen Verbündeten verlor.
So also wurde aus dem tapferen Streiter Thranduil ein Kämpfer, der sich den mächtigen Feinden Zorn und Sucht zugleich stellen musste, ein gefährliches Unterfangen, und Stich um Stich musste er von ihnen entgegennehmen, Hieb um Hieb, und bedenklich war schon der Zustand seiner Rüstung; und seine Flagge längst in den Staub gesunken. Es würde nicht mehr an ihm liegen, sie aufzuheben.
II.
„Glaubt ihr denn, ich sähe es nicht?" dachte Thranduil, der alleine in der Gesellschaft eines Kruges dorwinianischen Weines in seinem Turmzimmer sass, gedanken-verloren, unruhig und wütend.
„Glaubt ihr denn, ich sähe es nicht?" dachte er, und seine Blicke wanderten hin und her zwischen besagtem Weinkrug (dessen Inhalt er schon halb geleert hatte) und dem Tischchen, auf dem der Palantir, unter einem Tuch verborgen, ruhte, flackernd wie die unzähligen Kerzen, die das Zimmer mit ihrem warmen Licht erhellten. Man hatte sie auf sein Geheiss entzündet.
Als wäre der Raum, so behaglich er auch eingerichtet sein mochte, ihm plötzlich zu klein geworden, als würden seine Wände plötzlich drückend auf ihn einstürzen, stand er abrupt auf und begann, die Kammer mit energischen Schritten zu durchschreiten.
Vom Weinkrug zum Palantir. Drei Schritte hin, drei Schritte zurück.
Es war die Wut in ihm, die seine Bewegungen dirigierte, ja seine Schritte überhaupt ins Turmzimmer gelenkt hatte, so sagte er sich, und hierher gekommen war er, um über ihre Ursprünge nachzudenken oder wenigstens zu warten, bis sie etwas verebbt war und er den andern Elben, und ganz besonders seinen Söhnen, gegenübertreten konnte, ohne sich an ihnen auf ungerechtfertigte Weise abzureagieren, nur um dann schuldbewusst in erschreckte und besorgte Gesichter blicken zu müssen.
Vom Weinkrug zum Palantir. Drei Schritte hin, drei Schritte zurück. Sein Zorn versiegte nicht, stattdessen sickerte die Realisation, weshalb er sich eigentlich ins Turmzimmer zurückgezogen hatte, in sein Bewusstsein, und nährte den, den er doch zu besiegen gedachte.
„Wie die Motte vom Kerzenschein." dachte er, mit einem Hauch von Verbitterung und Schuldbewusstsein, „...werde ich von ihnen beiden fast gleichermassen angezogen: Wein und Palantir."
Und der Elbenkönig, der ins Turmzimmer gekommen war, um seine Gedanken zu ordnen, stürzte sich ans Fenster, um beiden Versuchungen, denen er schon viel zu oft erlegen war, den Rücken zu kehren, und sah in den nächtlichen Düsterwald hinaus.
„Glauben sie denn, ich sähe es nicht?" dachte er erneut, und bittere Galle war auf einmal in seiner Kehle. „Ferêryn und Legolas? Glauben sie, mir würden diese kleinen Spielchen, die sie spielen, entgehen?"
Hatte es ihm der Stein nicht vorausgesagt? Hatte er ihm nicht seine Söhne in fremder Umgebung gezeigt, klar beweisend, dass sie sich nicht an seine Befehle hielten, noch immer zu den Menschendörfern ritten, wohl wissend, dass dies nicht in seinem Sinne lag? Hatten sie ihm nicht entfremdete Gesichter zugewandt, und ihn aus kalten Augen angeblickt, kalt wie der Stein, aus dem sie herausschauten?
Thranduil ballte unwillkürlich die Faust. Das Verlangen nach etwas Wein, seinen Magen zu beruhigen, seinen Zorn zu ertränken, wurde fast übermächtig in ihm, doch noch vermochte er sich zu beherrschen. Vielleicht half ihm dabei auch seine Erleichterung darüber, dass Ferêryn sich bereits auf dem Wege zur Gesundung befand, wo ihm doch auch hier der Stein ganz klar Alternativen aufgezeigt hatte, und früher, ja früher, da hätte er über die Absichten seiner Söhne, ihn zu belügen, ihn, der sie kannte wie kein anderer und in ihren Zügen lesen konnte wie in einem offenen Buch, wohl gelacht, früher, in besseren Zeiten.
Nein, heute konnte er über ihr heimliches Verhalten nicht mehr lachen, aber er vermochte auch seinen Zorn auf sie nicht aufrechtzuerhalten, zu gross war seine Freude gewesen, sie gesund (oder fast gesund) zurück zu haben, und jene Erleichterung machte seine Wut kraft- und gegenstandslos und stumpf wie die Zähne eines uralten Hundes.
Mit Gailgaloth verhielt es sich nicht anders. Oh, er hätte allen Grund gehabt, zornig auf sie zu sein, erwog sie doch, ihn zu verlassen, ganz so, wie es ihre Mutter getan hatte! Dem Düsterwald wollte sie den Rücken kehren, um eines Bruchtalelben willen!
Und so strahlend, so glücklich war sie damit vor ihm herausgesprudelt, ganz berauscht von diesem für sie noch nie in dieser Form erfahrenen Gefühl des Verliebt-seins!
Ahnte sie denn nicht, dass sie damit an Wunden in ihres Vaters Herzen rührte, die wohl nie verheilen würden, dass seine Gedanken bei ihren Worten unweigerlich zu einem andern „Verlassenwerden" zurückwandern würden?
Ahnte sie denn nicht, was sie da von ihm verlangte, wenn sie wollte, dass er ihr
das für sie so überwältigende Glück teilte? Ahnte sie denn nicht, dass er, obwohl er sie innig liebte, nicht, und vielleicht nie, die Kraft finden würde, sich mit ihr zu freuen, sollte sie ihn, wie ihre Mutter zuvor, verlassen?
Es war unwahrscheinlich, dass sie dies tat, und doch vermochte er auch ihr nicht wirklich zu zürnen. Er war jenen Gefühlen, wie sie Gailgaloth jetzt empfand, noch nicht zu lange entwachsen, um nicht zu wissen, dass Liebe zu überwältigend ist, um anderen Empfindungen, wie etwa Mitleid, oder Empathie, Raum zu lassen, und etwas ganz und gar Rücksichtsloses an sich hat.
Nein, er zürnte nicht. Stattdessen betrauerte er einen Verlust, den er viel früher erlitten hatte, und einen, der noch nicht einmal stattgefunden hatte und den er doch unausweichlich auf ihn zukommen sah, so unausweichlich, wie die Menschen dem Tod ins Auge zu blicken hatten.
Nicht einmal den Bruchtalelben vermochte er zu zürnen. Oh ja, er hätte wütend sein können, auf Elrond, der über alles Bescheid zu wissen schien, was sich hier, in seinem Reich, im Herzen des Düsterwaldes, tat, und auch auf Gandalf, der in allem, was Elrond tat, seine Finger im Spiel zu haben schien, während ihn sein Weg schon lange nicht mehr in den Düsterwald, zum Höhlenpalast geführt hatte.
Er hätte wütend sein können über die Boten, die sie ihm gesandt hatten, die Dinge in seinem Reich auszuforschen, und über den Brief, den sie ihm geschickt, in dem in all den diplomatisch-höflichen Zeilen, die er enthielt, doch nur eine Forderung zu lesen war: „Gib uns Aufklärung über den Palantir in deinem Besitz!"
Er hätte wütend sein können, war es aber nicht, fühlte er sich Elrond doch noch immer in einer etwas oberflächlichen, aber dennoch tief empfundener Freundschaft verbunden. Bei all seinen Fehlern im Umgang mit den Bruchtalelben (und vielleicht auch jenen im Umgang mit Zauberern), da schätzte er doch Elronds ruhige und überlegte Klugheit und wusste, dass jener nie andere Absichten in seinem Herzen hegte als das Wohlergehen aller Elben, selbst wenn sie Höhlenpaläste und gewöhnliche Buchen und Eichen dem lichten Bruchtal und den fremden Mellyrn vorzogen.
Nein, seine Wut, die konnte er nicht kanalisieren, nicht lenken, höchstens wage in die Vergangenheit richten, gegen die Orks, die schon viele von ihnen getötet hatten, oder gegen den Nekromanten, dessen verderblicher Einfluss trotz seiner Vertreibung aus Dol Guldur er noch immer zu verspüren glaubte (Thranduil war in dieser Hinsicht hellsichtiger, als viele glaubten), doch genügte dies nicht, sie zu lindern.
Tief in seinem Innern wusste Thranduil, dass die Flamme des Zorns, wie sie in ihm loderte, unnatürlichen Ursprungs war, und ganz und gar nicht seinem Wesen entsprach, und er fürchtete sie, spürte er doch, dass sie kräftiger wurde, von zu vielen Dingen genährt jetzt, und vor allem fürchtete er den Tag, an dem es ihm nicht mehr gelingen würde, sie einzudämmen, ein Tag, von dem er wusste, dass er unerbittlich näher rückte.
Und Thranduil sass da, zwischen dem Weinkrug und dem bedeckten Palantir, und hielt den kleinen goldenen Ring in seinen Fingern, dessen Betrachtung das einzige war, das ihm noch Ruhe brachte, drehte ihn hin und her, immer und immer wieder und trank von seinem dorwinianischen Wein.
Der Elbenkönig schlief nicht in dieser Nacht.
III.
Dämonen sind, so wissen viele religiöse Texte zu erzählen (und ebenso die Menschen, die daran glauben) fledermausbeflügelte, schwarze klauen- und zahnbewehrte Unholde, die von ihren Opfern Besitz ergreifen und ihnen Verstand und Seele zugleich rauben.
Doch auch andere Dämonen gibt es, persönlicherer Natur, die niemand noch so genau beschrieben hat, weil sie individuellere Gesichter haben: Es sind dies die Dämonen, wie sie quälende Erinnerungen, Angst, Zorn und Schuldbewusstsein mit sich bringen.
Hatte Thranduil sich während der Nacht noch mit den Dämonen des Zorns (und der Angst, ihnen ungehindert Raum zu geben) herum geschlagen, so wurde in ihm derjenige der Scham sofort geweckt, als er in den frühen Morgenstunden (er hatte die Nacht wachend verbracht, obwohl ihm dies nicht wirklich bewusst war), sich auf ein leises Klopfen an der Türe des Turmzimmers hin umdrehte und eine Elbin erblickte, die, ohne eine Antwort seinerseits abzuwarten, eingetreten war, ohne dass er den Weinkrug, den er in den Händen hielt, hätte vorher senken können.
Haselfarbenes Haar, Augen so grün wie Flusseis im Winter, die Nase mit einem Hauch von Sommersprossen nur gesprenkelt, die Gestalt anmutig und biegsam wie eine wilde Birke – vor ihm stand Gailgaloth, seine einzige Tochter, und doch scheute Thranduil vor ihr zurück, statt sie freudig zu begrüssen; schamerfüllt, weil sie ihn in diesem Zustand sah (Tatsächlich wirkte und war er nicht halb so betrunken, wie er das von sich selbst annahm), und weil er wusste, was sie gleich von ihm verlangen würde: Etwas, das er ihr auf alle Fälle verweigern würde.
„Unsere Reiter werden gleich gegen Bruchtal aufbrechen, wie du ihnen aufgetragen hast." sagte Gailgaloth leise, als hätte sie sein Zurückweichen nicht bemerkt, doch ihre Augen blickten erschreckt, etwas, das Thranduil seinerseits erschreckte und zugleich erzürnte. „Du wirst doch hoffentlich kommen, ihnen Glück für die Reise zu wünschen..." Ihre Worte erstarben, es waren nicht diejenigen, die sie hatte äussern wollen.
Thranduil erwiderte nichts, er sah sie nur an. Er hatte den Weinkrug sinken lassen.
„Ach Vater!" sagte sie, leidenschaftlich jetzt, trotzig, als ahne sie eine weitere Ablehnung seinerseits voraus, „...lass mich mit Beldàuil und Legolas nach Bruchtal reiten! Ich bitte dich, Vater! Ich und Môrglaw..." Sie senkte die Augen unter Thranduils Blick, fuhr aber dennoch fort: „Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen! Vater, bitte!"
„Gailgaloth." sagte Thranduil. Seine Worte klangen schwerfällig, was aber wenig mit dem Wein zu tun hatte, den er die Nacht über getrunken hatte. Er suchte nach den richtigen Worten, und als er sie fand, waren sie nicht unfreundlich. „Ich habe dir schon wiederholt erklärt, dass ich meinen Entschluss, Beldàuil und Legolas als meine Vertreter nach Bruchtal zu schicken, deinetwegen nicht ändern werde. Der Weg nach Bruchtal ist nicht sicher und vermutlich noch nicht schneefrei. Ich würde niemanden hinschicken, wenn Elrond nicht so dringlich eine Unterredung mit mir gefordert hätte, und ich werde erst wieder Ruhe finden, können, wenn deine Brüder sicher zum Höhlenpalast zurückgekehrt sind. Das ist mein letztes Wort zu diesem Thema: Ich werde dich nicht mit ihnen reiten lassen. Es ist zu gefährlich."
Das war es, was Thranduil laut sagte, was er dachte, war: „Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dich zu verlieren, Gailgaloth!" Es war ihm bei ihrer Mutter nicht gelungen, solche Sätze über seine Lippen zu bringen, und es gelang ihm auch bei ihr nicht, und ob er sie nicht an die Orks, oder aber an Môrglaw verlieren mochte, darüber wollte er selbst nicht so genau nachdenken, und so wiederholte er denn, als das Schweigen zwischen ihnen lang und bedrohlich wurde, nur: „Es ist zu gefährlich." und hoffte, dass sie das verstand, was er nicht auszudrücken vermochte.
Sie blickte zu ihm auf, und anscheinend verstand sie, denn etwas von ihrem eben noch zur Schau gestellten Kampfgeist verliess sie, ihre Schultern senkten sich, und sie sagte: „Ja, Vater. „, und dann noch einmal, mit etwas festerer Stimme: „Ja, Vater!" und sie verliess das Turmzimmer und liess die Türe hinter sich zufallen.
Thranduil blickte ihr nach, und fast hätte er Mitleid mit ihr gehabt, weil sie so jung war und vor eine Wahl gestellt war, die zu treffen fast unmöglich für sie war: Diejenige zwischen Liebe und Heimat.
Auf der einen Seite, da war ihre Liebe zu Môrglaw; bei deren Erwachen ihre Schönheit aufgeblüht war wie eine Wildrose, die süsser war als der Duft von Nachtlevkoje, tiefer als das Dunkel des Düsterwald und verzehrender als Kindbettfieber; und auf der andern Seite, da war ihre Liebe zu ihrer Familie, ihrem Volk, tief verankert in ihrem Blut, und die Liebe zu ihrer Heimat Wälder und deren grünes, schirmendes, beschützendes Dunkel: Der Waldelben Segen, weilten sie darin, und ihr Fluch, hielten sie sich anderswo auf, denn die Sehnsucht nach dem Düsterwald umschlang ihre Herzen wie Efeuranken, kaum waren sie eine, zwei Tagesreisen von ihm entfernt; und so tief verwurzelt war diese Heimatliebe, dass er sie daran hinderte, anderswo, in der Fremde, selbst Wurzeln zu schlagen.
Doch dann gewannen andere Gefühle in ihm die Oberhand. "Eigentlich sollte sie mir dankbar sein." dachte Thranduil melancholisch. "Mein Befehl an sie, hier zu bleiben, erspart ihr jene Qual der Entscheidung, die ich für sie voraussehe." Und weil er seine Tochter kannte wie kein zweiter, da erhob er sich schliesslich, um seine Söhne scheiden zu sehen, und um sicherzustellen, dass sie sich nicht gegen sein Verbot ihnen anschliessen würde.
IV.
Wie die andern Waldelben war Nimgael zeitig aufgestanden, um den Aufbruch der sechs Boten nach Bruchtal mitzuerleben und ihnen Glück für ihre nicht gefahrlose Reise zu wünschen. Das war natürlich nur ein Vorwand, gestand er sich wenig später seufzend ein, als er im Gemenge der Elben, die mit Legolas, Beldàuil und ihren Begleitern Scherz- und Abschiedsworte wechselten, Gailgaloth, von der er doch geglaubt hatte, dass sie hier sein würde, nicht zu entdecken vermochte und augenblicklich das Interesse am Aufbruch der andern Elben verlor, wie er sich etwas beschämt eingestehen musste.
Dabei hatte er so gehofft, sie, die sich in letzter Zeit sehr zurückgezogen verhielt, wieder einmal zu sehen! So sicher war er gewesen, dass sie sich wenigstens von ihren Brüdern verabschieden würde, und nun war sie nirgends zu entdecken! War er denn der einzige, dem ihre Abwesenheit auffiel? Auch der Elbenkönig selbst war noch nirgends zu entdecken...
Fast automatisch führten seine Füsse ihn weg vom Ort des Aufbruchs, zum Höhlenpalast zurück, doch hatte er ihn noch nicht erreicht, da sah er sie schon, wie sie das Turmzimmer verliess, und obwohl er ihre hohe, schlanke Gestalt eigentlich nur undeutlich erkennen konnte in der Morgendämmerung, wusste er doch, dass sie weinte, denn sie hielt den Kopf gesenkt, und ihre Schultern zuckten.
So ging sie einige Schritte, blieb dann aber stehen, zögernd, als wäre sie unsicher, was sie jetzt tun, wohin sie sich jetzt wenden sollte; etwas, das schlagartig Mitleid in ihm weckte so stark, dass es ihm die Kehle zuschnürte, und unwillkürlich machte er einen Schritt in ihre Richtung, um gleich darauf, resigniert, wieder stehen zu bleiben.
Es hatte ja doch keinen Zweck. Er würde es nicht wagen, sie an sich zu ziehen, sie zu umarmen, tröstende Worte in ihr Schluchzen zu flüstern. Er würde es nicht wagen, weil er fürchtete, sie dann nie mehr loslassen zu können!
Er hatte sie in den Armen gehalten, oder, besser gesagt, sie ihn, manchmal, wenn sie ihm in überschäumender Freude um den Hals gefallen war, um ihn, gleich einem Füllen im Frühling, das keine Sekunde stillstehen kann, gleich darauf wieder loszulassen, oder manchmal auch, wenn sie gefühlt hatte, dass er traurig war und auf der Suche nach Trost und Verständnis.
Sie taten weh, diese Umarmungen, schmerzten wie eine frische, klaffende Wunde, weil sie bewiesen, dass er von ihr als Freund, vielleicht als Seelenverwandter, doch nicht als Liebender wahrgenommen wurde, und doch freute er sich wie ein Kind darüber, wenn sie es tat, weil sein Herz sich nach ihrer Berührung, und ihrer Gegenwart verzehrte, und diese freundschaftlichen Umarmungen alles bleiben würden, was ihm je in ihrer Nähe vergönnt sein würde.
Vielleicht hatte Gailgaloth ihn gehört, oder vielleicht hatte sie seine Anwesenheit auch nur gespürt – die weinende Elbin richtete sich auf, ihr leises Schluchzen verstummte; ihre Schultern strafften sich, und dann drehte sie sich um; und er sah, dass über ihr Gesicht noch immer Tränen liefen, lautlos jetzt, und dies war schlimmer, als wenn sie richtig geweint hätte, und dann schluchzte sie noch einmal trocken, bevor sie einen, zwei Schritte auf ihn zuflog und sich in seine Arme warf.
Mechanisch legte Nimgael einen Arm um sie, erschrocken über die Trostlosigkeit; mit der ihr Weinen jetzt erklang, und erschüttert über ihren so völligen Zusammenbruch, von ihr, die (darin war sie ganz Thranduils Tochter) doch sonst so stolz war; und deren Augen besser geeignet waren, zornig zu funkeln, anstatt sich mit Tränen zu füllen.
Und doch weinte sie jetzt, haltlos, mit Klagelauten, die an ein ängstliches, verirrtes Kind erinnerten, während er sie hielt, sanft wiegte, ihrer Trauer und dem Grund dafür, den sie ihm bot, lauschte; und seine Augen blieben trocken, obwohl er selbst am liebsten geweint hätte wie ein kleines Kind, weil jeder ihrer Schluchzer wie kleine Glassplitter in sein Herz drangen, da sie nicht um ihn, sondern um einen andern weinte; und weil seine Welt in Scherben ging, (obwohl er sie hielt, was er sich mehr als alles in der Welt gewünscht hatte) und weil er zum ersten Mal nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen begriff, dass er ihr Herz nicht nur verloren; sondern auch nie besessen hatte.
V.
Thranduil kam wenig später, sich von seinen Söhnen zu verabschieden, und die Waldelben, die ihm dabei zusahen, mochten gerührt sein ob der Inbrunst, die er dabei an den Tag legte (als wäre die Reise nach Bruchtal weiter als jene in die Unsterblichen Lande und ebenso wie jene eine ohne Wiederkehr), doch bemerkten einige von ihnen auch, dass Gailgaloth nicht kam, um dasselbe zu tun (Sie blieb unauffindbar, und dies für eine geraume Weile), und viele von ihnen werteten dies heimlich als ein schlechtes Omen für die Reise.
Fortsetzung folgt...
Anmerkung der Autorin: Die lange Pause beim Posten übergehe ich besser ohne Worte... ich kann im Augenblick einfach nicht mehr schreiben, schnüff. Jede Zeile dauert endlos lange... Was ich aber zu fragen getraue: Findet ihr die „So etwas wie eine Liebesgeschichte" von Gailgaloth langweilig, öd, unnötig oder annehmbar? Sie ist problemlos in den Plot ein- und ausbaubar, kann aber auch, mit kleinen Änderungen, weggelassen werden. Das fragt eine (extrem langsame, die Geduld ihrer Leser strapazierende) Autorin, die noch nie so etwas „Romantisches" in ihre Geschichten eingeflochten hat...
Für Liderphin: Nun ja, die „Verkrampfung" scheint sich im Augenblick einfach nicht lösen zu wollen. Ich kann nur, wie immer, versichern, dass ich versuche, schnell zu schreiben, und bestimmt nie eine Geschichte unvollendet lasse! Ich freue mich übrigens sehr, dass du die „weisen Gespräche", wie sie sich bei mir seitenweise hinziehen können, lobst, da ich fürchte, man könne sie für langweilig halten. Danke schön (Autorin reibt sich ermutigt die Hände)!
Für Elanor: Mit „Versprechen halten" scheint es bei mir im Augenblick nicht weit her zu sein, was Schreibtempo/legolaszentrierte Handlung betrifft (Nächster Kapitel: Neuer Versuch, es in dieser Hinsicht besser zu machen!), etwas, das so treu und ermutigende Reviewer wie du ganz und gar nicht verdienen! Deine „Verspätungen" im Reviewen sind zu meinem Glück nicht vergleichbar mit den meiner Updates...
Für Melethil: Es ist natürlich immer schön, von zufriedenen Lesern zu hören (auch wenn sie sich, was das „Legolas-Auftauchen" betrifft, bis nächstes Kapitel gedulden müssen)!
1 Einige Zwerge mögen vielleicht Thranduils Charakter anders beurteilen!
