Kapitel 2: Eine Leiche zur Prime Time
Als das CSI Team um Gil Grissom im FTV Studiogebäude eintraf, herrschte dort reges treiben. Redakteure und andere Mitarbeiter liefen ziellos umher und erzählten sich gegenseitig immer wieder, wie sie selbst den Vorfall erlebt hatten. Je spektakulärer, je besser. Die Kriminologen blieben einen Augenblick im Gang stehen und beobachteten das Gewusel. Schließlich kam jemand zu ihnen, dem wahrscheinlich aufgefallen war, wie verloren die fünf mit ihren Köfferchen und LVPD Westen in dieser Umgebung wirkten.
„Guten Morgen! Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?", empfing er sie.
Grissom musterte den großen schlanken Mann und musste ein wenig zu ihm aufsehen, um mit ihm zu sprechen.
„Wir sind vom CSI Las Vegas. Wir kümmern uns um die Spurensicherung."
„Sehr schön. Es sind schon ein paar Polizisten hier. Zwei verhören gerade die Bewohner in dem Raum dort hinten." Der Mann zeigte den Gang hinunter. „Sie sagten mir, wir sie müssten auf die Spurensicherung warten. Also haben die sich nur ein paar Notizen gemacht und alle Bewohner in den besagten Raum geführt."
Er machte eine kurze Pause. Dann fiel ihm wohl ein, dass er vergessen hatte sich vorzustellen und er fügte hinzu: „Oh entschuldigen Sie bitte. Es geht hier ganz schön drunter und drüber. Ich bin Lester Kingston, der Produktionsleiter der Show."
„Freut mich", sagte Grissom und gab ihm die Hand.
„Eigentlich sollte heute Abend eine Sondersendung laufen, in der die zehn Kandidaten ihre erste Single vorstellen. Melinda sollte die Leadsängerin sein. Sie hatte die beste Stimme."
„Ich verstehe. Können wir uns zuerst den Tatort ansehen?"
„Natürlich. Folgen Sie mir!"
Kingston führte das Team weitere Gänge entlang, an deren Wänden Werbeplakate von allen möglichen Shows des Senders klebten, dann durch einen kleinen Vorhof, bis sie Real Life Haus ankamen. Von außen sah es aus, wie ein weiterer Teil des Studiogebäudes, in dem Shows Aufgenommen und bearbeitet wurden. Aber sobald sie durch die Tür getreten waren, standen sie in einem gemütlichen Hausflur, von dem einige Türen abgingen. Als sie den Flur entlanggingen, kamen sie direkt ins Wohnzimmer, in das die Küche integriert war.
„Sieht größer aus als im Fernsehen", stellte Warrick überrascht fest.
Lester Kingston nickte: „Ja, das behaupten die meisten."
Der Produktionsleiter ging noch ein paar Schritte ins Wohnzimmer hinein und blieb dann stehen.
„Da wären wir", sagte er und wies in Richtung Terrassentür.
Auf dem Boden vor der Tür lag die Leiche des Opfers. Sie lag auf dem Rücken und das Messer steckte noch in ihrem Bauch. Blut befand sich auf den weißen Fliesen um den Körper. Im Raum waren außer ihnen noch ein Polizist, der neben der Leiche kniete und ein Formular oder etwas ähnliches ausfüllte. Grissom ging ebenfalls neben der Leiche der jungen Frau in die Hocke und betrachtete die Blutspuren.
„Wurde sie bewegt?", wollte er von dem Polizisten wissen.
„Naja, sie lag ursprünglich auf dem Bauch. Die Sanitäter mussten sie umdrehen, um sie zu behandeln. Aber die konnten nur noch ihren Tot feststellen."
Grissom warf einen Blick auf den Fußboden. Um die Leiche herum lagen Glassplitter, so wie ein Trinkbecher und ein Brett.
Grissom sah zu Warrick hoch, der mit den anderen noch immer im Flur stand.
„Hey, Warrick. Sammle doch mal die Glassplitter und das Zeug hier auf."
Warrick traf alle für die Spurensicherung notwendigen Vorbereitungen und begann mit der Arbeit. Als erstes suchte er die Glasscherben zusammen, dann packte er das Brett und den Becher jeweils in eine Tüte. Grissom stand auf und wendete sich wieder dem Produktionsleiter zu.
„Aus der Sondersendung wird wohl nichts, heute Abend."
Kingston schüttelte betroffen den Kopf.
„Nein, leider nicht."
„Wer hat Melinda gefunden?"
„Das war einer unserer Redakteure. Gus van Heuser. Er hat sie auf einem Monitor gesehen."
„Okay, ich werde mal mit ihm reden. Wo kann ich diesen van Heuser finden?"
„Videoüberwachung und Aufnahme 004. Kommen Sie, ich bringe Sie hin."
„Grissom nickte und nahm seinen Koffer und instruierte seine Mitarbeiter, bevor er dem Produktionsleiter folgte.
„Sara, hilf Warrick, ja? Seht euch im Haus um, wenn ihr da vorne fertig seid. Nick und Cath, ihr könnt euch ja mal bei den übrigen Kandidaten umhören."
Dann ließ er sich von Kingston zum Raum „VÜ und A 004" führen.
An seiner Arbeitsplatte saß Gus van Heuser, der an den Geräten rumwerkelte.
„Hallo", unterbrach ihn Grissom. „Kriminallabor. Sie haben also Melinda tot aufgefunden?"
„Naja, ich dachte nicht, dass sie tot war. Sie lag nur so da. Man konnte nichts genaues sehen, immerhin war es nur ein Monitor."
Grissom hörte interessiert zu, während Gus weiter sprach: „Hier, ich zeig es Ihnen."
Van Heuser drückte einen Knopf an einem der Geräte und auf dem Monitor erschien das Wohnzimmer des TV Hauses. Vor der Terrassentür lag Melinda. Sonst war niemand zu sehen.
„Da passiert jetzt noch ein paar Minuten gar nichts, dann kommt der Notarzt und dann habe ich es aus gemacht. Es wurden überhaupt alle Aufnahmen abgestellt, da die Sendung ja so nicht weiter geht.
Grissom runzelte nachdenklich die Stirn.
„Logisch. Was ist mit den Aufnahmen davor? Ich meine, dies ist eine Reality Show, da wird doch vierundzwanzig Stunden am Tag aufgenommen, was die Mitspieler machen. Der Mord muss also auf einem der Bänder sein."
Gus seufzte, als hätte er das schon zu oft erklären müssen und sagte: „Nicht direkt. Es gibt jede Nacht von 3.00 Uhr bis 4.00 Uhr eine sogenannte Kamerafreie Stunde. Um die Privatsphäre der Mitspieler zu sichern."
Grissomsah ihn verwirrt an.
„Privatsphäre, ahja."
„Ich weiß, es klingt komisch, aber die Medienwächter wollen das so."
„Gut, gut. Aber Sie haben es doch auf dem Monitor gesehen."
„Ich hab Melinda dort liegen sehen, ja. Die Kameras laufen aus Sicherheitstechnischen Gründen weiter, es wird aber nichts aufgezeichnet. Da normalerweise um die Zeit im Haus geschlafen wird, ist unsere Aufmerksamkeit aber nicht ununterbrochen auf die Bildschirme gerichtet. Außerdem war gerade Schichtwechsel."
„Ich verstehe. Das wusste bestimmt auch Melinda's Mörder."
Van Heuser nickte betroffen.
„Ich schätze schon."
„Nun gut, könnte ich mir dann die Aufzeichnungen von vor und nach der Kamerafreien Stunde ausleihen?", fragte Grissom.
Gus holte die eben abgespielte Videokassette aus einem der Geräte und überreichte sie dem Kriminologen.
„Das ist die Stunde von vier bis fünf Uhr. Darauf müsste dann die aktuelle Stunde folgen, aber da wir natürlich im Moment nichts aufzeichnen, kommt hier nach nichts weiter.
„Und das Material von davor?"
„Das hatte ich bereits in den Schneideraum gebracht. Dort wird alles für die Zusammenfassung am Abend vorbereitet. Das ist dann das, was Sie jeden Tag im Fernsehen sehen. Heute wird bestimmt was anderes gesendet."
„Eine Leiche zur Prime Time. Das hätte bestimmt gute Einschaltquoten gebracht", bemerkte Grissom.
