Kapitel 3: Fürchte deinen Nächsten

Das Zimmer, in das die Mitbewohner gebracht worden waren, war normalerweise ein Konferenzraum, in dem sonst wahrscheinlich Meetings und Besprechungen abgehalten wurden. Die neun Kandidaten und Kandidatinnen saßen um den großen Tisch herum und unterhielten sich kaum. Sie schienen alle sehr mitgenommen zu sein. Einige lagen sich in den Armen, um sich gegenseitig zu trösten, andere saßen einfach nur da und starrten verstört in die Gegend. Es war eine bunte Mischung von Männern und Frauen zwischen zwanzig und vierzig. Ein junger Mann mit einem Kopftuch, welches die US Flagge darstellte, saß als einziger lässig auf seinem Stuhl zurückgelehnt und hatte die Füße auf den Tisch gelegt.Während die zwei Polizisten im Raum gerade mit einem schlacksigen Mann mitte dreißig sprachen, begannen Catherine und Nick mit einer Frau, die am unteren Ende des Tisches Platz genommen hatte und noch ihren Pyjama trug.
„Hallo!", sprach Cath sie vorsichtig an. „Lisa, nicht wahr?"
Die Frau schien überrascht.
„Ja, woher wissen Sie das?"
„Meine Tochter sieht die Show gerne."
„Achso."
„Lisa, ich weiß, dass das alles nicht leicht ist und Sie alle ziemlich durcheinander sind, aber können Sie uns sagen, was sich da drinnen abgespielt hat?"
Lisa faltete die Hände und stützte ihren Kopf darauf ab.
„Nein. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nichts sagen kann. Aber ich lag zu der Zeit bereits im Bett und habe geschlafen. So wie übrigens die meisten von uns."
„Sie haben also auch nichts ungewöhnliches gehört oder sonst etwas bemerkt?", hakte Nick nach.
„Nichts, ich schlafe wie ein Baby. Es könnte ein Hubschrauber auf dem Dach landen und ich würde es nicht mitbekommen. Und als ich aufgewacht bin, waren die Notärzte schon wieder auf dem Weg nach draußen."
Cath und Nick bedankten sich und gingen weiter zum nächsten Mitbewohner. Es war der lässige Typ mit dem Kopftuch.
„Wer seid ihr denn?", wollte er wissen.
„Wir sind vom CSI Las Vegas. Wir stellen Ihnen nur ein paar Fragen."
Diesmal sprach Nick.
„Noch mehr Fragen? Ich habe doch schon deren Fragen beantwortet."
Der Typ zeigte mit dem Finger auf die Polizisten.
„Genau! Und jetzt beantworten Sie unsere."
Der Mann sagte nichts, verschränkte nur missmutig die Arme vor der Brust.
„Also, wo waren Sie, als es passierte?"
„Im Bett. Hab geschlafen."
„Und können Sie uns irgendwas über Melinda erzählen?"
„Zum Beispiel?"
„Gab es vielleicht jemanden, der Sie nicht mochte?"
Er lachte, als hätte der Kriminologe einen schlechten Witz gerissen.
„Keiner von uns konnte Mel leiden. Sie wollte alles bestimmen, zog über jeden her, wusste immer alles besser. Eine fürchterliche Person."
„Aber die Zuschauer mochten sie doch, oder?"
„Die haben sie geliebt, schätze ich. Die konnte machen, was sie wollte, die Zuschauer haben Melinda trotzdem nicht rausgewählt."
Nick runzelte neugierig die Stirn.
„Na das muss Ihnen ja ganz schön gestunken haben."
„Natürlich", antwortete der Lässige. „Ich weiß worauf Sie hinaus wollen. Aber ich habe sie nicht umgebracht. Ich konnte sie zwar nicht leiden, aber das trifft auf alle anderen auch zu. Ich bin wahrscheinlich der einzige hier, der sie nicht geknallt hat. Vielleicht sollten Sie da mal ansetzen."
Nick und Catherine wechselten einen kurzen Blick, dann meinte Nick: „Danke für den Tip. Wir werden sehen, ob das was mit Ihrem Tot zu tun hat. Sagen Sie uns noch Ihren Namen, bitte?"
„Mart."
„Danke Mart."
Damit setzten die beiden ihre Runde fort.

Währenddessen beendeten Sara und Warrick ihre Aufgabe in dem , doch recht geschmackvoll eingerichteten, Real Life Haus.
Sara kam soeben aus einem der Schlafzimmer zurück ins Wohnzimmer, wo ihr Kollege mit dem Einräumen seiner Ausrüstung beschäftigt war.
„Was gefunden?", fragte Warrick beiläufig und schaute auf den Gegenstand in ihrer Hand.
„Gute Frage", kam Grissom, der vom Flur her zu ihnen stieß, Sara zuvor, als die gerade Luft holte, um zu antworten.
Da überdachte Sara ihre Antwort noch mal und setzte dann erneut an.
„Das Messer stammt aus dem Messerblock in der Küche."
Grissom war unbeeindruckt.
„War zu erwarten."
„Ja. Ansonsten haben wir nichts ungewöhnliches gefunden. Ich war gerade in dem Schlafzimmer, in dem auch Melinda geschlafen hat. Das hab ich mal mitgenommen."
Sara hielt eine kleine Holzschatulle hoch.
„Was ist da drin?", fragte Grissom.
„Krimskrams. Ein Ring, eine Kette, Ein paar Zettel, zwei Zigaretten, ein Kugelschreiber..."
„Hm, na gut. Sonst noch was?"
Sara steckte die Schatulle ein und schüttelte den Kopf, woraufhin ihr Boss die Frage an Warrick Brown richtete.
„Hier war ein wenig gelbe Flüssigkeit zwischen den Glasscherben, ich habe eine Probe genommen, es ist glaube ich nur Saft. Wo warst du so lange?"
Grissom lächelte erfreut, als habe er die ganze Zeit auf diese Frage gewartet.
„Ich habe uns ein paar Videos besorgt. Ich habe die Aufzeichnungen von der Stunde vor und der Stunde nach der Kamerafreien Zeit bekommen. Von allen Kameras."
Die Gesichter der anderen beiden waren zwei große Fragezeichen.
„Jede Nacht zwischen drei und vier...", fing Gris an zu erklären, machte dann eine Pause und sagte: „Ich erklär es euch später. Fahren wir erst mal zurück ins Labor."
Damit waren die zwei wohl einverstanden. Sie nahmen ihre Sachen und verließen mit Grissom das Haus.
Sie sagten noch schnell Nick und Catherine bescheid, die ihre Befragung erst beenden und dann nach kommen wollten. Dann begaben sie sich zum CSI.

Cath und Nick hatten inzwischen mit Amber, Iris und Ryan gesprochen und beschäftigten sich nun mit Ben. Die Polizisten waren bereits gegangen.
„Sie sagen also, dass Sie Melinda das letzte mal gesehen haben, als Sie aus dem Pool kamen und ins Haus gegangen sind, um sich zu duschen?", wiederholte Catherine, was Ben gerade ausgesagt hatte.
„Genau das sage ich. Und da war sie noch sehr lebendig. Sie hat mich sogar noch angefratzt."
„Weswegen?"
Ben zuckte die Achseln.
„Ach, wegen gar nichts. Ich hatte nur ganz kurz mit ihr gesprochen. Ich habe mich auch nicht weiter drum gekümmert und bin dann einfach rein gegangen. Das muss ich mir von der ja nicht gefallen lassen."
„Was hat Melinda da so alleine gemacht? Warum war sie nicht bei den anderen? Sie sagten eine Geburtstagsparty war im Gang."
Ben verdrehte genervt die Augen, antwortete dann aber ganz gelassen: „Sie hat auf der Terrasse gesessen und ein Sandwich gegessen. Dazu hat sie außerdem Saft getrunken. Orangensaft, glaube ich. Wollte wohl ihre Ruhe haben. Keine Ahnung, so war sie halt. Einzelgängerin. Ist das ausführlich genug?"
„Ja, vielen Dank."
Es folgte Pierre. Pierre hatte schwarze Haare und unheimlich glänzende Augen. Vom Aussehen her konnte man ihn zwar nicht von einem normalen US Amerikaner unterscheiden, aber sein Akzent entlarvte ihn sofort als gebürtigen Franzosen. Zuerst hatte er den Kopf auf dem Tisch in die Arme gelegt, als die zwei CSI Mitarbeiter auf ihn zukamen, guckte er erwartungsvoll zu ihnen hoch und lächelte sympathisch.
„Ich schätze Sie möchten wissen, ob ich ein Alibi für den Zeitraum von Melinda's Tod habe", bemerkte er.
„Wäre sehr hilfreich, ja.", gestand Nick.
„Tja, ich kann auch nur sagen, dass ich geschlafen habe. Beweisen kann ich das natürlich nicht. Es gibt überall Kameras im Haus und als man sie wirklich braucht, sind die Teile natürlich aus. Ironie des Schicksals, schätze ich."
Pierre grinste gezwungen.
„Wie standen Sie zu Melinda?"
Der Franzose räusperte sich und sagte: „Wie ich den Polizisten bereits gesagt habe, hatte ich mit Melinda, bis auf kleinere Auseinandersetzungen, nicht viel zu tun."
Nick notierte sich das, während Catherine nach hakte: „Welcher Art waren diese Auseinandersetzungen?"
„Es ging um meine Herkunft. Diese Ignorantin hat sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit über mein Land und meinen Akzent lustig gemacht."
Nick sah interessiert von seinem Block auf.
„Ich bin ein friedlicher Mensch, Sir. Ich würde keinen Mord begehen. Schon gar nicht wegen einer solchen Kleinigkeit. Das geht hier rein und da wieder raus. C'est la vie.", erklärte Pierre und zeigte dabei abwechselnd auf seine Ohren.
„In Ordnung. Das ist vorerst alles."
Jetzt waren noch Jack und Sandy übrig, die nebeneinander am oberen Ende des Tisches saßen.
Doch gerade, als Nick Stokes und Catherine Willows von Pierre weiter zu Jack und Sandy gehen wollten, klingelte Nicks Handy.
„Ja", meldete sich Nick und drehte sich zur Wand.
„Hey, hier ist Grissom. Hör mal Nicky, wir sind gerade im Labor angekommen, ihr seid noch bei FTV?"
„Wir sind fast fertig, warum?"
Nicks Gesichtsausdruck spiegelte seine Verwunderung über den Anruf wieder.
„Gut, sehr gut", sagte Grissom. „Könnt ihr bitte von allen Kandidaten Fingerabdrücke nehmen? Das ist auch schon alles."
„Sicher. Machen wir", bestätigte Nick und beendete das Gespräch.
Als er sich wieder umdrehte, bemerkte er, dass Catherine schon mit der Befragung angefangen hatte.
„Wir haben am Swimming Pool gesessen und uns unterhalten. Die Musik lief noch. Wir entschieden uns dann ins Bett zu gehen...", berichtete Sandy
„Wann war das?", fragte Catherine dazwischen.
Sandy musste kurz nachdenken.
„Das muss so kurz nach vier gewesen sein. Jedenfalls, als wir ins Haus kamen..."
Sie hörte abprubt auf zu sprechen und Tränen sammelten sich in ihren Augen.
Der Kerl neben ihr nahm sie beschützend in den Arm und erzählte weiter: „Also im Haus waren bereits Sanitäter damit beschäftigt, Melinda wieder zu beleben. Sie lag regungslos auf dem Boden. Wir konnten sie nicht genau sehen, die Notärzte saßen ja um sie herum. Naja und kurz darauf waren alle im Haus hellwach und es herrschte Chaos. Als die Polizei da war, wurden wir dann hier her gebracht."
Stokes kam mit dem Schreiben kaum hinterher, aber Cath stellte auch schon die nächste Frage.
„Was hielten sie beide von Melinda?"
Jack machte den Anfang.
„Bis auf die Tatsache, dass sie mir den Geburtstag ruiniert hat, bin ich eigentlich immer gut mit ihr ausgekommen."
Nick sah den kahlen Mann mit den dünnen Lippen verwirrt an, während Sandy ihn mit einem bösen Blick strafte und los plapperte: „Eine blöde Kuh war sie. Eigentlich hätte ich..."
„Hey, hey!", stoppte Catherine sie und wendete sich dann Jack zu: „Weil sie auf der Party gestorben ist?"
„Nein", winkte der energisch ab. „Weil sie die ganze Zeit nur rumgenörgelt hat, wie doof der Geburtstag ist und dass es überhaupt keinen Spaß macht. Sie hat eigentlich jeden dumm angesprochen und erzählt, wie langweilig sie die Party findet. Im Fernsehen können wir natürlich nicht literweise Alkohol in uns rein schütten. Das war jedem klar, außer Melinda. Die hat ständig gefragt, warum es keinen Alkohol gibt. Na jedenfalls hat sie sich mal wieder ganz schön daneben benommen. Das Ende vom Lied war, dass sie sich auf die Terrasse zurückgezogen hat."
Als Jack ausgesprochen hatte, richtete Catherine ihre Aufmerksamkeit auf Sandy und sagte: „So, jetzt sind Sie dran."
Die junge Frau begann von neuem: „Was ich sagen wollte war, dass sie bei diesem Lied, was wir eigentlich heute singen sollten, nur deshalb die Lead-Sängerin geworden ist, weil sie besser aussieht, als ich. Das war überhaupt ihr einziger Vorteil und den hat sie ausgenutzt wann immer sie konnte. Aber eigentlich habe ich die schönere Stimme. Möchten Sie mal hören?"
Sandy atmete tief ein, doch bevor sie los legen konnte, fielen die beiden Kriminologen ihr ins Wort.
„Nein, schon gut. Wir brauchen jetzt nur noch ihrer aller Fingerabdrücke, dann müssen wir los. Es gibt viel zu tun."