Kapitel 5: Verfasser gesucht
„Was ist das?", fragte Nick und begutachtete neugierig den Zettel, in Grissoms Hand.
„Eine Nachricht."
„Aha und von wem?"
Grissom sah zuerst auf das Papier, dann zu Nick.
„Das sollst du mir sagen."
Nick schaute verwirrt drein.
„Wie meinst du das?"
Gil Grissom steckte den Zettel mit der Pinzette behutsam in ein kleines Plastiktütchen und überreichte es Nick.
„Wo sind die Ex-Bewohner des TV Hauses jetzt?"
„Nun, da die Sendung zur Zeit nicht weiter läuft, das Haus ein Tatort ist und die meisten von ihnen aus anderen Städten, bzw. sogar Nachbarstaaten kommen, hat man sie vorrübergehend in einem Hotel untergebracht."
„Sehr schön. Du weißt wo?"
Ein unsicheres Nicken.
„Dann schnapp dir einen Schriftexperten und lass dir von allen eine Schriftprobe geben, anhand derer man den Urheber dieser Nachricht feststellen kann."
Ein weiteres, diesmal geschäftiges Nicken.
Ein Piepen.
„Oh das ist meiner", erklärte Grissom sofort und sah auf seinen Pieper. „Hm, die Gerichtsmedizin ruft mich."
Dann stand er auf. In der Tür blieb er stehen, um sich an Warrick zu wenden: „Oh und da sind noch ein Haufen Videos, die durchgesehen werden müssen. Warrick, sag Catherine bescheid. Das ist genug zu tun für euch beide."
Brown wollte Widerspruch einlegen, doch sein Boss war schon aus der Tür.
Warrick fand Catherine und Sara im Pausenraum auf einem Sofa. Im dem Zimmer roch es angenehm nach frischen Kaffee.
„Schicke Couch ist die neu?"
Sara sah ihn an, als litt er an totaler Geschmacksverirrung.
„Mein Gott nein. Ich habe mir eine neue gekauft und die alte dem CSI zur Verfügung gestellt."
„Wie außerordentlich gütig von dir. Sehr lobenswert. Besonders bei so einem schönen Stück."
Während Warrick das sagte, verzog er das Gesicht.
„Ok, schon gut. Du musst ja nicht drauf sitzen."
Durch die Glastür konnte man Greg erkennen, wie er auf den Pausenraum zu kam. Aufgeregt trat er ein und plauderte gleich los: „Hey Sara, ich brauch dich da mal bei etwas."
„Hm?", drückte sie ihre Verwunderung aus.
„Du weißt schon. Als Informationsquelle."
Aus heiterem Himmel brach Sara wieder in schallendes Gelächter aus.
„Informationsquelle. Klar, ich komme."
Darauf verschwand sie zusammen mit Greg Sanders in Richtung Labor.
Warrick warf Catherine einen erstaunten Blick zu und wedelte mit der Hand vor dem Gesicht, um ihr zu bedeuten, dass er Sara für durchgeknallt hielt.
„Langsam frag ich mich was das für ein Witz ist, den Greg ihr da erzählt hat."
„Tja, ich schätze Sara ist leicht zu unterhalten."
Warrick grinste zustimmend.
Dann teilte er ihr mit, dass sie zusammen mit dem Auswerten der Videos beauftragt worden waren.
"Mist. So ‚ne scheiß Arbeit!", beschwerte sich Catherine.
Durch eine große weiße Doppeltür betrat Grissom den Autopsieraum. Die Luft war angenehm kühl und die Klimaanlage summte leise vor sich hin. In der Mitte des Raumes stand der typische, glänzende Autopsietisch aus rostfreiem Stahl. Davor stand ein älterer Mann, mit Halbglatze und weißem Vollbart in einem hellen Kittel, dessen Aufdruck ihn als Coroner auswies.
„Sie haben mich angepiept, Dr. Robbins?", wollte Grissom wissen.
Der Mann beugte sich über Melindas Leiche, die auf dem Tisch lag. Ihr Oberkörper war mit dem Y-Schnitt geöffnet worden.
„Hab ich", sagte Robbins und entnahm der Leiche den Darm, welchen er in eine Waagschale legte.
„Wussten Sie, dass der Darm bei einem erwachsenen Menschen fast acht Meter lang ist?"
Grissom trat an den Tisch heran.
„Wusste ich. Was können Sie mir noch sagen?"
Nachdem Robbins das Gewicht des Darms notiert hatte, legte er ihn zurück in den Körper.
„Als Verdauung oder Digestion bezeichnet man bei phagozytierenden Einzellern und höheren Vielzellern den Aufschluss der Nahrung mit Hilfe von Verdauungsenymzen. Wie lange die Verdauung insgesamt dauert, ist individuell sehr unterschiedlich und hängt natürlich auch damit zusammen, wie viel man gegessen hat oder wie ballaststoffreich die Nahrung ist."
Grissom verdrehte die Augen.
„Über das Opfer!"
„Oh, also ich fand Essensreste, die noch nicht ganz verdaut waren. Sie muss kurz vor ihrem Tod etwas gegessen haben."
„Ein Sandwich, wissen wir schon."
„Am wenigsten verdaut sind die Tomaten."
„Deshalb haben Sie mich gerufen?"
„Nein, das ist mir nur so aufgefallen. Ist nicht weiter von Bedeutung."
„Schön, dann erzählen sie mir etwas, das von Bedeutung ist. Was ist mit der Todesursache?"
Der Doc zeigte auf einen Bereich an der rechten Seite des Bauches.
„So ist das Messer eingedrungen."
Flashback beginnt
Melinda geht durch die Terrassentür. Jemand erscheint vor ihr und sticht ihr von vorne das Messer in den Bauch. Die junge Frau lässt Brett und Becher fallen und sinkt zu Boden.
Flashback endet
„Es hat die Leber lebensgefährlich verletzt."
Grissom beugte sich über die Leiche und folgte mit seinem Blick Robbins Finger.
„Sonst noch etwas?", fragte Grissom.
Der Gerichtsmediziner schüttelte träge den Kopf.
„Nein, nichts weiter."
„Vielen Dank Doc!"
Das Hotel, in dem die neun Real Live Kandidaten vorrübergehend wohnten, lag am Rande der Stadt. Offenbar hatte sich die Nachricht von Melindas Tod inzwischen herumgesprochen, denn vor dem Hotel hatten einige Journalisten Stellung bezogen.
Nick und die äußerst attraktive Schriftexpertin erkundigten sich zuerst an der Rezeption nach den einzelnen Zimmernummern. Dann machten sie sich auf den Weg zum ersten Zimmer. Es wurde von einem Polizisten bewacht, vermutlich um die Journalisten davon abzuhalten, sich in die Ermittlungen einzumischen, vielleicht aber auch, um die Kandidaten, die ja allesamt als verdächtig galten, am Verschwinden zu hindern. Der Polizist lies die beiden passieren und so standen sie wenige Augenblicke später Iris gegenüber.
„Sie sind doch der Typ vom CSI", stellte Iris fröhlich fest.
„Der bin ich."
„Setzen Sie sich."
„Oh nein, wir wollen nur...", versuchte Nick das Angebot abzulehnen.
Aber die Frau mit den langen, blonden Haaren und den dunkelrot bemalten Lippen lies nicht nach.
„Nun kommen Sie schon, setzen Sie sich."
„Okay, aber nur kurz."
Nick und seine Begleitung setzten sich an einen Tisch.
Das Zimmer war vornehm, aber nicht übertrieben eingerichtet. Es besaß eine Klimaanlage, wie fast jedes Hotel im Land, einen Fernseher, ein Telefon und einen wunderbaren Ausblick über die Stadt.
„Schön hier", bemerkte Nick.
„Find ich auch." Entgegnete Iris und strich ihre Haare mit der Hand zurück. „Und ich wohne ganz allein hier."
Sie flirtete unübersehbar mit ihm. Doch Nick ging, ganz professionell, nicht darauf ein.
„Weshalb wir hier sind, Mrs..."
„Andrews."
„Mrs. Andrews, ist, weil wir eine Schriftprobe von Ihnen und den anderen Mitspielern benötigen."
Sie setzte sich ihm gegenüber.
„Wenn's sein muss. Wie läuft das ab?"
„Mrs. Goodrich hier", erläuterte Nick und wie auf die Graphologin." Sie wird Ihnen sagen, was Sie schreiben sollen. Das schreiben Sie dann bitte auf und das war auch schon alles. Den Rest erledigen wir."
Er reichte ihr Papier und Stift und Mrs. Goodrich wies sie an.
Am Ende verglich die Expertin dann das Geschriebene mit der Nachricht aus der Holzschatulle, konnte allerdings keine Übereinstimmung feststellen.
Also setzten die beiden ihren Weg fort. Auch die nächsten vier Verdächtigen schieden als Urheber der Nachricht aus. Nun kamen noch Amber, Mart, Ben, und Sandy in Frage.
Ben war gerade mit telefonieren beschäftigt, als die beiden anklopften. Er kam an die Tür und beendete das Gespräch, als er sie sah.
Nick stellte sich und seine Begleiterin einmal mehr vor und bat Ben um eine Schriftprobe.
„Wofür ist das nötig?", fragte der sichtlich überrascht.
„Ich bin leider nicht befugt, Ihnen das zu sagen", kommentierte Nick die Frage. „Aber ich kann Ihnen versichern, dass es sich um reine Routine handelt, der sich auch die anderen unterwerfen müssen."
Ben nahm von der Graphologin Stift und Papier entgegen.
„Na wenn das so ist", sagte er und begann die vorgegebenen Sätze nieder zu schreiben.
Wieder verglich die Expertin und diesmal gab sie grünes Licht.
„Das ist er."
Unsicherheit machte sich auf Bens Gesicht breit.
„Was bin ich?", wollte er wissend und sah zu Nick.
„Sie haben diese Nachricht verfasst", meinte Nick und gab ihm den Zettel.
„Ja", antwortete Ben. „Den habe ich Melinda gegeben. Aber es ist doch kein Geheimnis, dass wir was miteinander hatten."
„Tatsächlich?"
„Ja. Immerhin konnte es ja wohl jeder im Fernsehen verfolgen."
Nick wich Bens Blick aus. Scheinbar war ihm die Angelegenheit unangenehm.
„Ich sehe die Sendung eigentlich nie", entschuldigte er sich.
„Das tut offenbar keiner von ihrer Truppe, was?"
„Offenbar."
Ben zuckte die Achseln.
„Macht nichts. Die Sache mit Melinda war eh seit einigen Tagen vorbei."
Nick sah seinem gegenüber wieder direkt in die Augen.
„Hatten Sie sich gestritten?"
„Nein, Sie hat mich abserviert. Sie wollte nichts mehr von mir wissen."
„Vielleicht wollten Sie sich ja an ihr rächen", versuchte Nick einen Schuss ins Blaue.
„Rächen?", lachte Ben. „Nein, keinesfalls. So super war sie dann doch nicht, dass ich mir für sie das Leben ruiniere."
„Sie haben Melinda als letzter lebend gesehen und haben ausgesagt, sich mit ihr gestritten zu haben."
Ben verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ja, aber mehr ist auch nicht gewesen. Das schwöre ich beim Grab meiner Mutter."
„Nicht nötig, wir werden schon noch herausfinden, was in der Nacht passiert ist."
„Gut, dann brauch ich mir ja keine Sorgen zu machen."
„Wenn Sie unschuldig sind nicht."
Nick und Mrs. Goodrich verabschiedeten sich und wollten gehen, als sie noch mal von Ben aufgehalten wurden.
„Hey, wie lange müssen wir noch hier bleiben?"
Nick drehte sich in der Tür noch einmal um und antwortete: „Bis der Fall geklärt ist, schätze ich. Dann können Sie alle wieder nach Hause."
