Als es dunkel wurde, fanden sich alle Gefährten wieder in den Zelten ein, die die Elben ihnen als Nachtquartier zur Verfügung gestellt hatten. Es war eine klare Nacht. Die Sterne strahlten am Firmament und erinnerten an Diamanten, die sich an das dunkle Samtgewand der Königin der Nacht, schmiegten.

Er wusste nicht, warum er erwachte, aber auf einmal konnte Frodo nicht mehr schlafen. Er richtete sich auf und erblickte die weiße Gestalt Galadriels. Lautlos schritt sie an ihm vorbei. Die Neugier des Hobbits war geweckt. Er erhob sich und folgte der Elbenkönigin. Vorsichtig und bedacht, kein Geräusch zu machen, stieg er über den schlafenden Körper von Sam und ging an Arahiriel vorbei. Die Sina hatte es sich zwischen den Wurzel eines Baumes bequem gemacht. Ihr Körper war in eine grüne Decke eingehüllt. Nur der Schimmer ihres rot-silbernen Haares ließ erkennen, dass sich ein lebendiges Wesen dort befand. Als er an ihr vorbei gegangen war, öffneten sich die Augen der Fürstentochter. Sie richtete sich lautlos auf und folgte ihrem Schützling. Das Misstrauen, dass sie gegenüber Galadriels empfand, verstärkte sich nun.

Die kleine Reise führte Frodo eine lange Treppe hinab. Arahiriel versteckte sich am oberen Ende der Treppe hinter einem Busch. Ihre Augen fixierten die beiden Gestalten am anderen Ende der Stiege. Galadriel schöpfte aus einer Quelle Wasser in einen silbernen Krug. „Möchtest du in den Spiegel sehen?" fragte sie Frodo. „Was werde ich sehen?"Unsicherheit schwang in der Stimme des jungen Hobbits mit. „Selbst der Weiseste vermag das nicht zu sagen. Denn der Spiegel zeigt viele Dinge: Dinge, die waren, Dinge, die sind und Dinge, die vielleicht sein mögen."Sie füllte das klare Wasser, dass sie zuvor geschöpft hatte in eine große flache Silberschüssel, die auf einem steinernen Podest stand. Arahiriels Körper spannte sich unmerklich. Sie wirkte in diesem Moment wie eine Raubkatze, die sich zum Angriff fertig machte. Würde Galadriel auch nur eine falsche Bewegung machen, würde sie bereit sein um Frodo beizustehen. Frodo schritt auf das Steinpodest zu. Er stellte sch auf die Zehenspitzen und betrachtete die Wasseroberfläche. Zuerst sah er nur sein eigenes Spiegelbild. Doch dann löste es sich auf, und vor ihm erschien Beutelsend. Wieder verschwand das Bild und er konnte ein Meer aus Flammen erkennen, dass das Auenland und seine Bewohner verschlang. Wieder verschwand das Bild und er erblickte Arahiriel. Sie lag in einem dunkel Kellergewölbe. Ihre Kleidung bestand nur noch aus zerrissenen Fetzen. Ihre Haut war bleich und von Narben gezeichnet. Das Schlimmste war jedoch der Moment, als sie ihr Haupt hob und ihn anblickte. Ihre blauen Augen waren leer. Keine einzige Regung war in ihnen zu erkennen. Es war, als wäre jegliches Gefühl aus ihrem Herzen entwichen.

Frodo stöhnte innerlich, als er sie so sah. Das Bild verschwand und ein rotes, lidloses Auge, welches von Flammen umrandet war, bohrte seinen Blick in Frodo. Der Ring wurde plötzlich immer schwerer. Frodo spürte, wie sich die Kettenglieder tief in die Haut seines Nacken schnitten. Arahiriel verspürte das selbe. Sie schloss ihre Augen und konzentrierte sich auf die Kraft, die nach dem Ring verlangte. Es war ein lautloser Kampf, den sie mit dem lidlosen Auge austrug und schließlich siegte die Macht der Sina. Frodo wurde nach hinten geschleudert. Über dem Wasser stieg eine Rauchfahne empor. „Ich weiß, was du gesehen hast, denn ich nehme das Gleiche war." begann Galadriel. Die Lippen der Sina verzogen sich zu einem geringschätzenden Lächeln. „Ich weiß auch, was er gesehen hat und binde es trotzdem nicht an die große Glocke."dachte sie. Und dann vernahm Arahiriel wieder die Stimme in ihren Kopf und wusste zugleich, dass sie eigentlich für Frodo bestimmt war. „Du hast gesehen, was geschieht, falls du versagst."sprach die Elbenkönigin. Frodo blickte sie an. „Er wird versuchen den Ring an sich zu nehmen."fuhr sie fort. „Wenn ihr ihn verlangt, so will ich ihn euch geben."sprach der Hobbit. Arahiriel zog hörbar die Luft ein. Dennoch schritt sie nicht ein. Frodo nahm die Kette mit dem Ring ab und hielt sie Galadriel entgegen. „Du gibst ihn mir freiwillig?"fragte Galadriel. Ihre Züge hatten sich verändert, doch Arahiriel vermochte nicht zu sagen, welche neue Regung sich ihnen widerspiegelte.

„Ich leugne nicht, dass mein Herz ihn sehr begehrt."sprach Galadriel. Sie streckte ihre zitternde Hand aus. Wenige Zentimeter vor der Hand Frodos hielt sie an und besann sich. „Das will ich dir auch geraten habe, du Hexe."dachte Arahiriel. Der Blick Galadriels richtete sich auf das Versteck der Sina. Arahiriel lächelte kalt. „Sieh an, du kannst mich hören. Interessant. Vielleicht bist du doch klüger, als ich dachte."Die Elbin schien die Gedanken der Fürstentochter nicht mehr wahr nehmen zu können. Sie tat es als Einbildung ab und wandte sich wieder Frodo zu. „Anstatt eines Dunklen Herrschers hattest du eine Königin – nicht dunkel, aber schön und entsetzlich wie der Morgen."Galadriel begann sich zu verändern. Die Umgebung um sie herum verblasste und sie wirkte plötzlich unerträglich leuchtend, schön und gefährlich. Frodos Hand schloss sich instinktiv um den Ring. „Ich wäre tückisch wie die See und stärker als die Grundfesten der Erde. Alle würden mich leiben und verzweifeln!"Die drohende Gestalt sank in sich zusammen und Galadriel stand wieder vor ihm. Sie keuchte ein wenig. „Ich habe die Prüfung bestanden. Das Schicksal unserer Welt liegt nun in deinen Händen, Frodo Beutlin. Wenn du keinen Weg findest, findet ihn niemand."

Frodo legte den Ring wieder um seinen Hals. „Dann weiß ich, was ich zu tun habe. Es ist nur..."Er stockte und blickte Galadriel an. „...ich habe solche Angst davor."vollendete er schließlich den Satz. Galadriel lächelte ihn sanft an. Dann beugte sie sich vor und sprach mit zärtlicher Stimme: „Selbst der Kleinste vermag den Lauf des Schicksals zu verändern." Arahiriel richtete sich vorsichtig auf und verließ ihr Versteck im Rückwärtsgang. Ihre blauen Augen glitten noch einmal über ihren Schützling und die Elbin. Als sie sich sicher war, dass nichts mehr geschehen konnte, wandte sie sich um und ging zu ihren Schlafplatz zurück. Fast wäre sie dabei über Sam gestolpert. Der Hobbit musste einen aufgeregten Traum gehabt haben. Er war sehr weit von seinem eigentlichen Schlafplatz weggerollt. Arahiriel ergriff ihre Decke und verkroch sich wieder in den Wurzeln des Baumes. Ihre Augen beobachteten noch eine Zeit lang das Lager der Gefährten. Erst nachdem Frodo sich wieder hingelegt hatte und sich der Schlaf über den Hobbit gelegt hatte, schloss sie ihre Augen und trat ihren Weg in das Traumland an.