I.
Miyako Yakahito fuhr mit ihrem alten klapprigen Fahrrad zur Schule. Natsuki Nagoya lief gerade die selbe Straße entlang. Ein paar Jungs rannten grölend hinter Miyako her. Diese legte nun ein enormes Tempo vor. Doch auch dies wurde ihr zum Verhängnis. Die Müllabfuhr leerte gerade die Mülltonnen und auf dem Gehweg, wo sie fuhr standen die Mülltonnen wie eine Barriere. Sie konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und knallte gegen die Mülltonnen. Natsuki lief zu ihr.
"Ist dir was passiert?" fragte sie besorgt, während sie dem Mädchen auf die Beine half. Miyako klopfte sich den Dreck von den Klamotten. Sie trug einen Knielangen braunen Faltenrock, eine weiße Bluse und einen braunen Pullunder, welcher ihr etwas zu groß zu sein schien. Dann schob sie sich ihre Brille zurecht und starrte das dunkelblonde Mädchen vor ihr an.
"Alles in Ordnung?" fragte Natsuki noch einmal.
"Äh... ja, danke..." stammelte Miyako verwirrt. Sie war es nicht gewohnt, dass ihr jemand half oder mit ihr normal redete. Normalerweise wurde sie immer nur ausgelacht und gehänselt. Freunde hatte sie keine.
"Na da bin ich ja froh!" meinte Natsuki lächelnd. Sie verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken. Miyako hatte inzwischen ihr Rad wieder aufgehoben. Es schien unversehrt zu sein. Sie wollte sich auf ihren Drahtesel schwingen, als sie unschlüssig in der Bewegung inne hielt. Sie sah zu Natsuki.
"Kann ich mich irgendwie revanchieren?" fragte sie unsicher.
"Weißt du wie es zur Schule geht? Ich muss nämlich da hin..."
"Da können wir gern zusammen hin gehen." Meinte Miyako. Natsuki schnallte ihre Tasche auf Miyako's Rad fest und gemeinsam liefen sie zur Schule. Dies war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
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Vor der Schule herrschte ein fröhliches Treiben. Einige hatten sich auf dem Rasen niedergelassen und spielten Musik auf ihrer Gitarre. Ein paar Cheerleaderinnen schienen etwas zu proben. Sie hüpften und grölten wie die Bekloppten. Der größte Teil der Schüler aber war schwatzend auf dem Weg ins Schulgebäude. In den Gängen herrschte ähnliches Gedränge wie draußen. Miyako ging zu ihrem Spind und holte einige Bücher heraus. "Wir haben jetzt Geschichte bei Mr. Hamodo." Meinte sie zu Natsuki während die beiden sich zum Klassenzimmer begaben. Die beiden hatten auf dem Weg zur Schule schon rausgefunden, dass sie in dieselbe Klasse gingen. Welch ein Zufall!
In der Mittagspause musste Miyako noch eine Krankmeldung im Sekretariat abgeben. Natsuki begab sich inzwischen in die Mensa. Sie hatte ihr Tablett recht schnell gefüllt und hielt nun Ausschau nach einem freien Platz. Wie es aussah war alles schon besetzt. Aber nein! Am Tisch einer Mädchengruppe waren noch zwei Plätze frei. Sie steuerte darauf zu.
"Hallo. Ist hier noch frei?" fragte sie die Mädchen. Diese unterbrachen für einen Augenblick ihre Diskussion über irgendwelche Schönheitstipps und musterten das Mädchen vor ihnen eingehend. Natsuki bereute schon, gefragt zu haben, sie fühlte sich sichtlich unwohl.
"Aber sicher." Erwiderte eine von ihnen, die ganz in rosa gekleidet war. Sie klimperte dabei mit ihren Wimpern, dass Natsuki beinah schlecht wurde. Wortlos setzte sie sich und fing an zu essen. Dabei hatte sie stets die Essensausgabe im Blick, damit sie Miyako sehen konnte, wenn diese sich auch etwas zu essen holte. Ein paar Minuten später kam sie auch. Als sie mit ihrem Tablett an der Essensausgabe stand, drängelte sich ein Junge vor und schubste Miyako zur Seite. Dabei kippte ihr Tablett und die Hälfte des Essens landete auf ihrem Pullunder. Natsuki beobachtete dies alles. Die Mädchen am Tisch, welche die Szene auch mitbekommen hatten, lachten und machten sich offensichtlich über die arme Miyako lustig. Natsuki schob ihren Stuhl energisch zurück und war mit schnellen Schritten bei dem Jungen, der Miyako geschubst hatte.
"Hey, man stellt sich gewöhnlich bei einer Schlange hinten an!" Sie deute mit dem Daumen über ihre Schulter zum Ende der Schlange. Der blonde Junge musterte sie.
"Na und?" meinte er mit einem sarkastischen Blick.
"Nichts na und! Du kannst dich hier nicht einfach vordrängeln! Miyako war zuerst da! Hältst du dich für was besseres!"
"Ja, durchaus..." Er grinste in die Runde und kam sich unglaublich toll vor.
"Ich prügel dir gleich dein Grinsen aus deiner Visage!"
"Mach doch!" Der Kerl verschränkte die Arme. Er grinste immer noch. Ihn traf völlig unerwartet und genau gezielt ein Kinnhaken. Er taumelte zurück. Natsuki stand immer noch an der selben Stelle und starrte ungläubig auf ihre Faust, die soeben einen Menschen geschlagen hatte. In diesem Moment tauchte ein Lehrer auf.
"Was ist denn hier für ein Aufruhr?" Alle schwiegen. Der blonde Kerl mit dem Namen Dave wandte sich zerknirscht ab. Es war Schmach genug, dass die Leute in der Mensa mitgekriegt hatten, dass er von einem Mädchen geschlagen worden war. Es musste nicht noch die ganze Schule erfahren. Sein Stolz war nun leicht angekratzt. Irgendwann würde er Rache üben. Aber nicht heute...
"Es ist gar nichts Mr. Sulu. Alles in Ordnung." Wandte er sich noch einmal an den Lehrer, damit dieser wieder beruhigt seiner Wege gehen konnte.
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Die Sonne schien warm ins Zimmer. Access hatte den Kopf tief in die Bücher und Hefte vergraben. Er hatte kein Auge für die schöne Natur vor seinem Fenster. Noch war der Druck, der seit Wochen ihn mit eisernen Folterzangen umklammert hielt, nicht gewichen. Noch stand es vor ihm, das drohende, immer näher kommende Schreckgespenst: Die Grundengelprüfung. Diesmal musste er sie schaffen! Nun stand er unmittelbar bevor, der furchtbare Tag. Morgen - morgen um diese Zeit! Da wurde er entweder in den Grundengelstand gehoben oder - was wahrscheinlicher war - er war wieder mit Pauken und Trompeten durchgerasselt. Wie beneidete er Fynn, dass sie das alles schon hinter sich hatte und auf der Erde war. Er dachte noch oft an sie. Die Tür wurde polternd aufgerissen. Access ließ sich davon nicht stören. Plötzlich wurde das Buch, in dem er gerade studierte mit lautem Knall zugeschlagen.
"Schluss!" sagte eine Stimme hinter Access. "Jetzt hat's ein Ende mit der Büffelei. Zieh dich an, wir gehen raus."
"Nein, Landon ich muss noch wahnsinnig viel wiederholen. Vor Mitternacht bin ich damit nicht fertig."
"Und dann willst du morgen frisch und munter in die Prüfung gehen? Nichts da. Was du heute noch nicht weißt, wirst du in den paar Stunden auch nicht mehr erwischen. Marsch jetzt!" Landon duldete keinen Widerspruch mehr und schleifte Access mit sich fort. Im Cafe "zur Wolke 7" bemühte sich Landon nach Kräften Access von dem morgigen Tag abzulenken. Und siehe da. Es gelang ihm. Nicht ein einziges Wort fiel über die Prüfung. Die beiden jungen Engel scherzten und lachten, als wäre die Prüfung in weite Ferne gerückt.
Als Access am nächsten Morgen in der Prüfung saß, wurde seine Mühe der letzten Wochen belohnt. Er löste die meisten Aufgaben ohne Probleme und erreichte sogar ein Prüfungsergebnis von 85! Dieses Ergebnis hatte er sich nicht mal träumen lassen. Und doch lag ein kleiner Schatten über diesem Tag, denn Access schalt sich selbst, warum er die vorherige Prüfung viel zu leicht genommen hatte. Hätte er beim letzten Mal mehr gelernt, dann wäre jetzt schon auf der Erde - bei Fynn. Wer weiß ob er sie nun wiedersah, wenn er auf die Erde kam. Solche und ähnliche Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als er von Gott in den Stand des Grundengels gehoben wurde.
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"Entschuldigen Sie... Hätten Sie vielleicht ein bisschen Kleingeld? Ich habe nämlich kein Geld mehr um heimzukommen..."
Der braunhaarige Junge mit den dunklen Augen rannte neben einer joggenden jungen Frau her. Die Frau blieb stehen.
"Lass
mich mal sehen, vielleicht habe ich ein bisschen Kleingeld bei mir."
Sie
wühlte in ihrer kleinen Hüfttasche und beförderte 2
Münzen ans Tageslicht.
"Mehr
kann ich dir leider nicht geben..." murmelte sie bedauernd. Die
Augen des Jungen leuchteten. Er verneigte sich leicht.
"Vielen Dank! Sie haben mir schon sehr geholfen!" Damit rannte er von dannen.
Auf
einem kleinen Hinterhof hatten sich 4 Jugendliche versammelt.
"Und
wie ist die Bilanz dieses Tages?"
Alle kramten in ihren Hosentaschen und beförderten mal mehr mal weniger Kleingeld ans Tageslicht.
"Pff...
nich mal die Hälfte von gestern... Wenn das so weitergeht,
können wir uns gleich einäschern lassen." Meinte ein
großer blonder Junge mit Baseballkappe.
"Also
weiter!" rief der braunhaarige Junge von vorhin, der der
Joggerin zwei Münzen abgeluchst hatte. Er lief schon um die
nächste Hausecke. Dort prallte er mit Shinji Minazuki zusammen.
"Tschuldigung..." murmelte Yosuke im Vorbeirennen. Shinji sah ihm kopfschüttelnd hinterher. Dann drehte er sich wieder um und ging weiter. Ein paar Straßen weiter wohnte er. Die Wohnung war zwar klein, sie erfüllte aber ihren Zweck und zudem war sie billig, das war im Moment das wichtigste.
Er legte sich aufs Sofa. Der Tag war anstrengend gewesen. Den ganzen Tag hatte er sich nach einem Job umgesehen. Vor einer Stunde war er endlich in einem Cafe als Bedienung eingestellt worden. Am Nachmittag würde sein Dienst beginnen.
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"Natsuki,
kommst du?" Miyako sah sich noch einmal um, bevor sie die
Schultür zuschlug.
"Ja,
ich komme!" Natsuki knallte die Tür ihres Spinds zu und
rannte ihrer Freundin nach. Am Schultor hatte sie Miyako eingeholt.
"Was machst du heute Nachmittag?" fragte Natsuki.
"Ich werde vielleicht ins Jersey gehen. Dort bin ich gern."
"Ist das ein Cafe?"
Miyako nickte.
"Hast du was dagegen, wenn ich mitkomme?" Natsuki legte fragend den Kopf schief.
"Nein, ich hab nix dagegen. Wollen wir uns um ne bestimmte Uhrzeit treffen?"
"Um drei? Aber wo treffen wir uns?"
"Wo wohnst du?"
"Laviniastraße 4"
Miyako geriet fast aus dem Häuschen.
"Wirklich? Da wohn ich auch!"
"Da können wir uns ja am Eingang treffen, ja?"
"Gute Idee!" rief Miyako begeistert.
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Rill-Sama
beobachtete das Treiben auf der Erde mit Wohlwollen. Fast alle Engel
hatten ihre Aufgabe gefunden oder waren nah dran.
"Es
läuft sehr gut auf der Erde! Noch ein paar Tage und alle
Grundengel haben ihre Aufgabe!" Er wandte sich an die
Himmelsengel, die hinter ihm saßen. Sobald alle Engel ihre
Aufgaben auf der Erde hatten, hatten die Himmelsengel die Aufgabe
über "ihren" Engel zu wachen und Punkte darüber
zu verteilen, wie sie sich verhielten. Oder Punktabzüge, wenn
sie gegen irgendwelche Gesetze verstießen.
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Die
Uhr schlug 3. Natsuki wartete bereits am Eingang, während Miyako
gerade dem Fahrstuhl entstieg.
Nach
einem kurzen Fußmarsch erreichten sie das Jersey.
Das
Cafe war sehr hübsch eingerichtet. Die Wände waren mit Holz
verkleidet. Die Tische hatten Glasplatten. Darunter konnte man
verschiedene Gewürze erkennen. Der Jahreszeit entsprechend
standen auf jedem Tisch Frühlingssträuße. An den
Wänden waren vereinzelt Sonnenblumen angebracht.
Während
Natsuki noch eifrig die Speisekarte las, hatte Miyako schon bestellt.
Sie trank immer einen Latte Machiato mit Kokossirup. Die Bedienung
brauchte schon gar nicht mehr zu fragen.
Natsuki
hatte mehr Lust auf etwas kaltes. Kurzerhand bestellte sie einen
Schokobecher. Wenige Minuten später konnte sie ihr Eis genießen,
während Miyako ihren Latte Machiato schlürfte.
"Hast
du eigentlich einen Freund?" fragte Natsuki zwischen 2 Löffeln
Schokoeis. Miyako schüttelte nur den Kopf.
"Ich
hab auch keinen... Aber..." sie kramte in ihrem kleinen
Handtäschchen. "Ich habe diesen Ohrring. Ich habe ihn seit
meiner Geburt und ich habe das Gefühl er gehört einem
Jungen, vielleicht dem Jungen, der mein Schicksal ist. Klingt
verrückt, ich weiß... Aber irgendwie gefällt mir
diese Vorstellung..." sie lächelte vergnügt. Miyako
musste nun auch grinsen.
"Ist
zwar eine bizarre Vorstellung, aber irgendwie gefällt mir diese
Vorstellung auch..." Sie lachten nun beide.
Währenddessen
betrat ein schwarzhaariger Junge das Cafe. Miyako fiel er gleich ins
Auge.
"Schau
mal, der Typ da am Eingang. Der sieht ja total gut aus! Er wirkt
irgendwie so cool." Natsuki sah den Jungen über den Rand
ihres Eisbechers an und zuckte gelangweilt mit den Schultern.
"Cool
bedeutet "kühl" und kühl ist doof..."
Irgendetwas störte sie an diesem Typen, sie hatte nur noch nicht
rausgefunden was es war. Miyako schaute ganz verträumt zu dem
Jungen, wie er an der Theke lehnte und mit dem Chef des Cafes sprach.
Natsuki winkte ihr mit der Hand vorm Gesicht rum.
"Huhu,
Erde an Miyako!" Miyako reagierte ungefähr mit dem Tempo
einer hundertjährigen Schnecke.
"Was
denn?" sie starrte Natsuki leicht verwirrt an.
"Es
gibt noch andere Kerle, warum gerade der?"
Miyako
zuckte mit den Schultern.
"Mmh...
ich weiß nicht. Er gefällt mir halt... Dein Typ hat ja
noch nich mal en Gesicht..." maulte sie.
"Menno,
ich kann doch auch nix dafür... aber gerade der... Ich weiß
auch nicht wieso, aber ich find ihn halt doof..." damit war für
Natsuki die Sache gegessen und wurde auch nicht weiter
debattiert.
Inzwischen
hatte der schwarzhaarige Kerl ein Tablett mit Gläsern in die
Hand gedrückt bekommen, die er nun verteilte. War wohl so ne Art
Bedienung oder so...
Nach einer Weile kam er auch an Natsuki's und Miyako's Tisch.
"Kann ich euch noch was bringen?" fragte er. Miyako war sofort Feuer und Flamme.
"Ja,
noch einen Latte Machiato bitte!" sie schmachtete ihn geradezu
an. Natsuki verneinte die Frage ohne große Höflichkeit.
Als es ans Bezahlen ging, war Natsuki nicht viel mehr höflich.
Sie wühlte in ihrem Geldbeutel nach ein paar Münzen. Dabei
fiel der kleine schwarze Ohrring heraus. Shinji zuckte leicht
zusammen, als er den Ohrring sah, wusste ihn aber nicht
einzuordnen.
Natsuki
hatte einige Probleme Miyako von ihrem neuen "Schwarm"
loszueisen. Aber sie schaffte es, wäre ja auch schlimm gewesen,
wenn nicht...
Während
sie heimliefen, kam ihnen ein Junge entgegen. Er stürmte auf
Natsuki zu.
"Entschuldige,
weißt du wie spät es ist?"
Natsuki
sah ihn leicht verwirrt an. Dann schaute sie mechanisch auf ihre
Uhr.
"Dreiviertel
acht..." meinte sie leicht gelangweilt. Der Junge war damit aber
noch nicht zufrieden.
"Und
wie heißt du?"
"Natsuki."
"Ich
bin Masanouri." Der fremde Junge reichte Natsuki die Hand.
Miyako schien er völlig zu ignorieren...
Sie
unterhielten sich noch eine ganze Weile, bis Masanouri in eine
Seitenstraße abbiegen musste. Daheim angekommen, lud Natsuki
Miyako noch zu sich ein.
"Duuu,"
Miyako drehte sich schwungvoll zu Natsuki um. "Wie machst du
das, dass dich einfach ein Kerl anspricht?"
Natsuki
zuckte mit den Schultern.
"Weiß
nicht. Ich tue ja in dem Sinne eigentlich nichts..."
"Bestimmt
weil du so hübsch aussiehst." Seufzte Miyako.
"Weißt
du was, wir machen morgen nach der Schule mal ein kleines
Beauty-Programm!" Natsuki grinste bis über beide Ohren.
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Nach
der Schule schleifte Natsuki Miyako in eine "Jugendboutique".
Miyako bekam gleich mehrere neue Outfits, denn die braunen,
hässlichen Röcke und Pullunder waren nun wirklich nicht
gerade vorteilhaft. Als nächstes wühlten sie nach Miyako's
Kontaktlinsen. Sie hatte nämlich welche, sie trug sie nur nicht,
weil ihr das jeden Tag zu umständlich war. Sie hatte nie die
Geduld dafür aufgebracht. Es dauerte zwar wirklich wahnsinnig
lange, bis Miyako die Kontaktlinsen eingesetzt hatte, aber es ging.
Und mit ein bisschen Übung... Miyako ließ alles mit sich
geschehen, ohne zu murren. Irgendwie gefiel ihr das, dass sich mal
jemand professionell um ihr Aussehen kümmerte. Als Natsuki mit
dem Schminken fertig war, wurde Miyako's Haar auf Vordermann
gebracht. Zum Schluss noch ein neues Outfit und Miyako erkannte sich
im Spiegel kaum wieder. Zur Krönung des Tages wollten die beiden
in eine Disco gehen, um die Wirkung von Miyako's neuem Aussehen zu
testen. In der Stadt gab es ein kleines Tanzcafe, welches so ziemlich
die einzige Anlaufstelle für junge Leute war, wenn sie weggehen
wollten, ohne gleich kilometerweit mit dem Auto fahren zu müssen.
Am
Eingang herrschte großes Gedränge. Miyako und Natsuki
mussten lange warten. Die Schlange schien einfach nicht kleiner zu
werden...
"Oh Mann, wie lang dauert das? Mir tun schon die Füße weh..." motzte Natsuki. Miyako's Laune schien nichts zu trüben.
"Man sagt, was lange währt, wird endlich gut..."
"Na hoffentlich währt es nicht so lange, dass ich vorher tot umfalle...
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Endlich
waren sie drin. Das Cafe war brechend voll. Natsuki und Miyako hatten
Glück und fanden noch einen freien Platz. Sie bestellten sich
eine Cola und fingen an, die Kerle zu begutachten.
"Wie
findest du den an der Bar?" fragte Natsuki.
"Welcher?
Der Opa, der grad sein Bier verschüttet hat? Oder der mit dem
Cowboy-Outfit?"
"Nein.
Der in der Ecke, mit dem weißen Hemd. Der so fasziniert sein
Glas beobachtet..." Natsuki musste grinsen.
"Hui,
dem sein Hemd is ja sogar ein bisschen offen."
"Hat
er Haare auf der Brust?" fragte Natsuki neugierig.
"Weiß
ich nicht. Kann ich nicht sehen."
"Was
meinst'n ob er welche hat?"
"Wieso?
Stehst du auf Haare auf der Brust?"
"Nee,
mag ich überhaupt nich. Ich mein ja nur. Intressiert mich
halt..."
"Ich
würd sagen Ja..." meinte Miyako.
"Woll'n
wir ihn mal fragen?" Natsuki war bereits aufgestanden und
steuerte auf den jungen Mann zu. Miyako ging zögerlich
hinterdrein.
Natsuki
pflanzte sich neben den jungen Mann auf einen Barhocker.
"Ihr
beobachtet mich schon die ganze Zeit. Also, was wollt ihr
wissen?"
Natsuki
tat leicht betroffen.
"Das
hast du gemerkt?" Miyako wurde rot.
"Schon."
Er zuckte mit den Schultern.
"Wir
haben uns eigentlich nur gefragt, ob du Haare auf der Brust hast..."
grinste Natsuki.
"Schau
doch nach..." kam die prompte Antwort.
Natsuki
lüftete leicht sein Hemd.
"Oh,
keine Haare. Und was für Muskeln... Darf ich mal?" Ohne
eine Antwort abzuwarten fuhr sie schon mit den Fingern die Linien
seiner Muskeln nach.
"Na,
na du bist ja ganz schön frech!" meinte der Kerl lachend.
Seine blauen Augen blitzten.
"Wie
heißt du?"
"Natsuki"
"Klingt
schön. Ich bin Nick."
"Das
ist kein japanischer Name. Kommst du woanders her?"
"Nee,
ich bin hier geboren. Aber mein Vater ist Amerikaner."
Inzwischen
gesellte sich ein weiterer junger Mann hinzu. Auch er hatte schwarze
Haare und blaue Augen. Man sah gleich, dass Nick und er Brüder
waren. Miyako nahm allen Mut zusammen und sprach ihn an.
"Seid
ihr Brüder?" fragte sie.
"Jep.
Ich bin der jüngere von uns beiden."
"Und
wie alt bist du?"
"19.
Wie heißt du?"
"Miyako.
Und du?"
"Yamato.
Werde aber immer nur Matt genannt. Und wo hast du deinen Freund
gelassen?"
"Ich
hab keinen."
"Echt?
Glaub ich dir nicht."
"Nein
wirklich nicht. Warum glaubst du das nicht?"
"Naja,
es ist selten, dass ein hübsches Mädchen nicht vergeben
ist." Er grinste bis über beide Ohren. Miyako errötete
leicht.
"Es
sieht süß aus, wenn du rot wirst." Er berührte
sie wie zufällig am Arm. Sie schaute ihn mit großen Augen
an. Ihr hatte noch nie jemand ein Kompliment gemacht.
"Und
hast du eine Freundin?" Sie wunderte sich über ihre eigene
Courage.
"Nein.
Ich bin frei wie ein Vogel!" er grinste.
"Ach
so. Du willst keine Freundin..." Miyako wirkte leicht
enttäuscht.
"Nein,
nein, so hab ich das nicht gemeint!"
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Yosuke
stieß kleine Rauchkringel in die Luft. Er und seine Bande
lungerten auf dem Parkplatz vor dem Tanzcafe herum. Geld für den
Eintritt hatten sie keines, also mussten sie sich damit begnügen
die Musik ein wenig von draußen mitzubekommen und die Leute
bzw. die Mädchen zu begutachten.
"Hey,
Yosuke, schau die mal an." Toshi wies zum Eingang des Tanzcafes,
aus der gerade zwei hübsche Mädchen kamen. Yosuke drehte
sich um.
"Welche
meinst du?"
"Die
mit den blonden Haaren, die ist doch süß."
"Also
ich find die mit den braunen Haaren niedlicher." Yosuke zuckte
eher gelangweilt mit den Schultern. Toshi stieß ihn an.
"Wie
wär's mit ner kleinen Wette? Wer sie zuerst rumkriegt?"
"Danke,
ohne mich. Ich will keine rumkriegen. Wenn dann bin ich an einer
ernsthaften Beziehung interessiert."
"Ach
komm, sei kein Langweiler. Wer braucht schon ne Beziehung? Ne
schnelle Nummer kannst du auch so haben... ne Beziehung ist doch nur
Stress..."
"Hörst
du jetzt mal auf damit? Ich bin an sowas nicht interessiert und damit
basta!"
"Mach
was du willst. Ich schnapp mir die Blonde jetzt jedenfalls." Er
grinste in die Runde und ging auf die beiden Mädchen
zu.
"Mensch,
das war doch ein voller Erfolg heute Abend, findest du nicht?"
Natsuki hatte sich bei ihrer Freundin untergehakt.
"Ja,
das könnten wir öfters machen!" Miyako lächelte
vergnügt.
"Hallo,
ihr zwei hübschen." Ein dunkelhaariger Junge in abgewetzten
Jeans und einem weißen T-Shirt kam auf die beiden zu.
"Komm,
Miyako auf so dämliche Anmachen können wir verzichten..."
Natsuki schwenkte nach rechts und zog Miyako mit sich.
"Hey,
wer wird denn gleich so schnell abhauen wollen." Mit wenigen
Schritten war der Junge bei ihnen und fasste Natsuki grob am
Arm.
"Komm,
Süße, du willst es doch auch."
Natsuki
machte sich energisch frei.
"Lass
mich in Ruhe, du Flegel!" schrie sie ihn an.
Jetzt
wurde Yosuke aufmerksam. Er richtete sich von dem Auto auf, an dem er
die ganze Zeit gelehnt hatte.
"Toshi,
lass die beiden in Ruhe!" Doch Toshi zischte nur:
"Misch
dich gefälligst nicht in meine Angelegenheiten!" Er wollte
sich wieder Natsuki zuwenden, doch diese hatte schon zusammen mit
Miyako das weite gesucht.
"Verdammte
Scheiße!" motzte Toshi und schlug mit der Faust gegen die
Wand. Er ging wieder zurück zu der Gruppe. Er funkelte Yosuke
an.
"Danke,
dass du mir die Tour vermasselt hast... irgendwann zahl ich dir's
heim." Er wandte sich um und ging. Yosuke schüttelte nur
den Kopf.
"Tja,
das wird er dir nicht so leicht verzeihen." Meinte der Blonde
mit der Baseballkappe, der Tai genannt wurde.
"Ist
mir egal. Soll er doch schmollen. Ohne uns kommt er sowieso nicht
weit... aber ich kanns nun mal nicht leiden, wie er die Mädchen
nur benutzt..." Tai schlug ihm auf die Schulter.
"Komm,
Alter wir müssen langsam schlafen gehen..."
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"Boah,
also dieser Ekel da auf dem Parkplatz... das war ja widerlich..."
Natsuki schüttelte sich vor Ekel.
"Ja,
fand ich auch... aber der andere war irgendwie niedlich..."
meinte Miyako, während sie ihre Wohnung aufschloss.
"Welcher?"
Natsuki runzelte die Stirn.
"Na
der, der uns geholfen hat..."
"Naja...
so viel konnt ich von ihm nicht erkennen... vielleicht war's ja dein
Schwarm aus'm Jersey." Natsuki grinste.
"Ach
was, er hatte ne ganz andere Stimme. Aber es war doch schon mal nett
von ihm, uns zu verteidigen..."
"Wer
weiß, vielleicht war das ja so abgemacht... schließlich
schienen sich die beiden zu kennen. Ist mir jetzt auch egal...
Schlaf schön, wir sehen uns morgen!" Natsuki ging zu ihrer
eigenen Wohnung.
