Vernum
Manolis - Das Ende Der Zeit
Part 3
,,Nergis
Pezifus''
Harry schritt zügigen Schrittes durch den
Eingang.Er beachtete die Drittklässler nicht, die ihn verwundert
und teils schmachtend ansahen und stürmte in seinen
Schlafsaal.
Das wohl bekannte nagende Gefühl in seiner Brust
war nicht verschwunden.Der Druck hinter seinen Lidern wurde stetig
größer und er warf die schwere Holztür hinter sich
zu, bevor er sich auf sein Bett fallen ließ.Er presste sein
Gesicht in das weiche, weiße Kissen und warf es einen Moment
später zur Seite.Hatte er das Recht zu weinen?
HATTE ER
VERDAMMT NOCH MAL ÜBERHAUPT EINEN GRUND DAZU?
Was war nur mit
ihm los?Er war dabei, rumzuflennen, weil ein Todesser, ein Anhänger
seines Größten Feindes, gestorben war und sein Sohn, der
ganz zufällig sein größter Rivale war, traurig
war.
Das war doch nicht normal.
Obwohl der Gedanke an sich
absurd war, verschwand der Druck nicht.Harry hatte lange nicht mehr
geweint.Damals, als Sirius gestorben war hatte er es nicht glauben
wollen.Er hatte seinen Tod verleugnet.Und als er es dann eingesehen
hatte, waren keine Tränen mehr vorhanden.Wieso hätte er
denn weinen sollen?Das hätte doch auch nichts mehr an seiner
Lage geändert.Er war nun mal einsam.Außer zwei Freunden
hatte er niemandem und traute auch niemandem außer ihnen.Aber
Hermine und Ron konnten ihm keine Familie sein.Sie hatten ihr eigenes
Leben und sollten es nicht damit verschwenden, sich um ihn zu
kümmern.
Dumbledore war zweigesichtig.Der Meinung war Harry
nun seit zwei Jahren.
Früher war der alte Mann ein Halt für
ihn gewesen.Er schien immer alles zu wissen und die Wahrheit und das
Gute zu erkennen.
So hatte sich Harry immer Gott vorgestellt, wenn
ihn die Dursleys zwangen, zu eben jenem zu beten.Er war noch nie
gläubig gewesen.Er konnte sich nicht vorstellen, dass Gott das,
was ihm schon alles wiederfahren war zuließ.Aber wenn er von
dem gütigen, vergebenden Gott hörte, hatte er immer
Dumbledores faltiges Gesicht vor sich gesehen.Dieser Eindruck war von
einem Tag auf den anderen verschwunden.Als Dumbledore ihm damals nach
Sirius' Tod erzählt hatte, was er ihm Jahre lang verschwiegen
hatte, hatte Harry erkannt, dass der Schulleiter nicht fehlerlos
war.Er war einfach nur ein alter Mann, vielleicht mächtig, aber
eben nicht fehlerlos.
Im sechsten Jahr hatte Harry lange Zeit
nicht mit Dumbledore geredet, aber irgendwann eingesehen, dass dies
sinnlos war.Jetzt stand er zwar wieder gut mit dem Professor, aber er
würde sich niemals blind in seine Hände begeben, wie er es
früher getan hätte.
Und die anderen.Seamus, Dean,
Neville und vielleicht sogar die Weasley Familie.Sie würden ihm
niemals helfen, geschweige denn eine Familie sein können.
Für
sie war er Harry Potter, der Junge der lebt.Der Junge, der schon viel
durchgemacht, aber immernoch stark geblieben war.Der keine Sorgen
hatte.
Manchmal hatte Harry das Gefühl, sie sahen ihn als
Heiliger.Sie erwarteten Führerqualitäten und richtige
Entscheidungen von ihm, mit denen er oft nicht trumpfen konnte.
Und
doch brachte er es nicht übers Herz, sie aufzuklären, denn
er hätte ihnen damit die Hoffnung genommen.
Harry fragte
sich, ob die Menschen ohne ihn nur noch ein verzweifelter und
resignierter Haufen wären.Nicht in der Lage, irgendjemandem zu
vertrauen.Nicht fähig für ihr Leben, für ihre Zukunft
zu kämpfen.
Sein eigenes Leben war unwiederbringlich
verloren.Er hatte keine Kindheit gehabt und sein Leben an sich
gehörte auch nicht nur ihm.Er hatte viele Jahre gelebt, um
andere leben zu lassen.Und obwohl er sich dafür schämte,
wünschte er sich manchmal, nie nach Hogwarts geholt worden zu
sein.Er wünschte sich, von seinen Verwandten niedergemacht zu
werden.Nie erfahren zu haben, dass seine Eltern nicht bei einem
Autounfall gestorben waren.Sirius nie kennengelernt zu haben, um ihn
dann sterben zu sehen.Ihn zu verlieren.Er wünschte sich, nur für
sich selber zu existieren.
Erst als jemand den Schlafsaal betrat
und Harry aufschrak, bemerkte er, dass ihm Tränen aus den Augen
quollen.Das Kühle und doch versengende Gefühl der
Flüssigkeit auf seinen Wangen kam ihm unwirklich vor und einen
Moment ging er davon aus, in den letzen Minuten oder Stunden
eingeschlafen zu sein.
Während er mit leerem Blick auf seine
zugezogenen roten Vorhänge starrte und ins Zimmer horchte,
weinte er stumme Tränen.Er trauerte aber nicht um Sirius.Oder
gar um Dracos Vater.
Er trauerte um sich selber, der er sein Leben
schon lange verloren hatte und nicht einmal das Glück besaß,
diese Welt verlassen zu dürfen.
Statt dessen musste er weiter
seine Zeit ausfüllen.Um alles und jeden fürchten.
Irgendwann
schmerzte die Leere in seinem Inneren nicht mehr und Harry fiel in
einen unruhigen Schlaf.Das von seinen Tränen nasse Betttuch
unter sich.
Als Harry am nächsten Morgen langsam in die
Welt der Realität fand, fühlte er sich elend.Seine Augen
schmerzten vom vielen Tränenvergießen und sein Mund war
seltsam trocken.Nur ein filziger Geschmack ließ seine Zunge
erahnen.
Mit steifen Beinen die er nur lahm zum Vorankommen
bringen konnte, begab er sich ins Bad, nachdem er sich Sachen zum
Anziehen geholt hatte.
Dort schloss er ab und schälte sich
aus seinen Sachen, die er gestern nicht ausgezogen hatte, weil er
weinend auf seinem Bett zusammengebrochen war.Sein Pullover klebte an
seinem Oberkörper und er konnte sich einen Laut des Ekels nicht
verkneifen, als er sich diesen über den Kopf zog.
Er stellte
sich unter die Dusche und ließ warmes Wasser laufen.Die
willkommene Flüssigkeit lief seinen Körper hinab.Zeichnete
jede Vertiefung nach.Folgte jeder Kurve.Harry währendessen
schloss seine Augen und ließ das Wasser seinen Körper
streicheln, seine Verspannungen lösen und seine Sorgen für
einen Augenblick, auch wenn er noch so kurz war, vergessen.
Leider
war dieser Augenblick schnell vorbei und die Erinnerungen an den
gestrigen Tag, wie auch seine Empfindungen und Gedanken, was das
Geschehene betraf stürzten auf ihn ein.
Und als sei das
wortwörtlich zu nehmen, war eben jenes Einstürzen so
heftig, dass sich der Gryffindor an die beflieste Wand lehnen musste,
um sich im Stehen zu halten, denn seine Beine zitterten und drohten,
zusammenzuklappen.
Harry gab seinen Stand aber bald auf und ließ
sich an der Duschkabinenwand hinuntergleiten.
Er konnte es sich
nicht leisten, derart sentimental und mitfühlend zu sein.Und
erst recht nicht Leuten gegenüber, die kaum etwas mit ihm zu tun
hatten.
Nein, die Malfoys hatten etwas mit ihm zu tun.Aber nichts
Positives, was sie mit unwichtigen, höchstens
misstrauenswürdigen, Menschen gleichsetzte.Vielleicht sollte er
erneut versuchen, die ganze Sache zu ignorieren, ebenso wie Dracos
Trauer.
Aber auch wenn er es versuchen sollte, Harry wusste, dass
da etwas in ihm war, das ihm dies nicht durchgehen lassen würde
und ihm jedesmal einen Strich durch die Rechnung machen
würde.Möglicherweise war er eine Spur zu gut.
Als das
Licht der Sonne heller durch das kleine Fenster im Badezimmer schien,
raffte sich Harry auf.Er seifte sich schnell ein, spülte dann
den Schaum von seinem Körper und zog sich seine Schulsachen
an.
In der großen Halle versuchte er sich so unauffällig
wie möglich an den Gryffindortisch zu setzen, was schwieriger
als gedacht war, denn so früh am Morgen waren nur wenige Schüler
anwesend und beobachteten jeden, der den Saal betrat.
Nachdem er
sich neben Hermine niedergelassen hatte, die gleichzeitig aß
und in einem in dunkelgrünem Samt eingebundenen Buch las,
huschte sein Blick eigenwillig zum Slytherintisch.Er musste sich ein
besorgtes Seufzen aufgrund Dracos Abwesenheit ersparen, wandte sich
dann aber sofort ab, als ihm dies auffiel.
,,Wo warst du gestern
noch, Harry?''
Hermine sah nicht von ihrem Buch auf.Ihre Augen
huschten über die Zeilen und eine nachdenklich konzentrierte
Falte befand sich auf ihrer Stirn.
,,Nach den Hausaufgaben war ich
müde und bin ins Bett gegangen'', seine ausweichende Antwort
schien ihr nicht entgangen zu sein, denn sie sah ihn kurz prüfend
von der Seite an.Obwohl Harry ihren Blick spürte, drehte er sich
nicht zu ihr um.Er suchte einen Punkt zum Anstarren und landete an
Dracos Platz.Als ihm aber bewusst wurde, wie das für Hermine
aussehen musste und dass er dass tat, was er sich vorgenommen hatte,
nicht zu tun, sah er weg.
,,Hast du denn wenigstens die Aufgaben
erledigt?''
,,Ja.''
,,Es war nicht sehr viel,
nicht?''
,,Ja.''
,,Normalerweise ist das ja nicht Professor
McGonnagals Art.''
,,Ja.''
,,Malfoy hat sich gestern seltsam
benommen.''
,,Ja...WAS?!''
Hermine sah ihn prüfend an und
ignorierte die wenigen Köpfe, die sich zu ihnen umgedreht
hatten.
Harry war sich im Klaren darüber, dass er wohl einem
Fisch ähneln musste, mit aufgerissenen Augen, offenem Mund, der
sich immer wieder schloss und öffnete, nicht befähigt,
einen Laut von sich zu geben.
,,Ich..du...ähm...ist mir doch
egal, ob sich Malfoy seltsam benommen hat oder nicht!.....wieso
achtest du überhaupt auf den?''
Hermine verzog keine
Miene.Sie musterte sein Gesicht nur sorgfältig und Harry musste
sich zwingen, ihrem Blick standzuhalten.Er fühlte sich irgendwie
nackt, wenn Hermine ihn so ansah.Als könnte sie seine Gedanken
lesen, seine Gefühle analysieren.
,,Du hast doch auch auf ihn
geachtet.Du hast ihn angestarrt, Harry.''
Sie sprach als hätte
sie ein kleines Kind, und keinen Siebzehnjährigen, vor sich, dem
man erklären musste, was richtig und was falsch war.
Harry
lachte gekünstelt auf.
,,Ich?Malfoy angestarrt?....Wie kommst
du denn darauf?''
Daraufhin sagte das Mädchen nichts mehr,
sondern musterte ihn wieder nachdenklich und als Harry zufällig
Ron die Halle betreten sah, legte sie ihm eine Hand auf die Schulter
und meinte mit fester und entschlossener Stimme:,,Du kannst mit mir
über alles reden, Harry.Ich halte zu dir und respektiere deine
Entscheidungen.''
Dann wandte sie sich wieder ab, nahm ihr Buch
zur Hand und las darin, als hätten die letzten Minuten nie
stattgefunden.
,,Was schaust du so, Kumpel?'', begrüßte
ihn Ron mit einem Schulterklopfen.
,,Ähm...nichts.''
Die
nächsten zehn Minuten, in denen um Harry herum unzählige
Unterhaltungen und Geschirrgeklapper ertönten, sah er immer
wieder flüchtig zu Hermine oder zum Slytherintisch und
überlegte, was Hermine denn gemeint haben könnte.
Dracos
Platz war noch immer leer und Hermine las.Sie sah kein einziges Mal
zu ihm auf.
Die Unterhaltung am Morgen wurde an diesem Tag nicht
mehr aufgegriffen.
Harry dachte viel darüber nach, aber
Hermine zu fragen, was sie gemeint haben könnte, traute er sich
aus irgend einem Grund nicht.Dabei fürchtete er sich mehr vor
der Antwort, als vor der Frage.
Was mochte sie nur denken?Dieses
Mädchen war ihm wirklich ein Rätsel.Aber egal, was sie
dachte, sie war dem wohl wohlgesonnen.Oder akzeptierte er
wenigstens.
Dies widerum verstand er nicht.Wieso hatte sie nicht
nachgefragt?Es war offensichtlich, dass er gelogen hatte.Es war doch
seltsam, wenn man anfing, seinen Rivalen anzustarren.Er selber hätte
es jedenfalls seltsam gefunden, wenn Hermine Pansy Parkinson
anstarren würde.Oder Ron Draco.Wobei er bei diesem Gedanken ein
unangenehmes Gefühl hatte.
Aber das war unwahrscheinlich.Ron
war doch in Hermine verliebt.Und wieso dachte er jetzt an diese Art
von Zuneigung?!
So kam es, dass Harry den ganzen Tag in einer Art
Zwischenwelt verbrachte.Gefangen zwischen Handeln und Nachdenken.Vor
allem letzteres schien ihn ganz und gar einzunehmen.
Mitten in der
Nacht, als ihn seine Grüblereien über das Ereignis beim
Frühstück, sein Verhalten und überhaupt die ganze
Situation, die ihm immer noch irreal vorkam, nicht schlafen ließen,
wünschte er sich plötzlich jemanden zum Reden.Dieses
Bedürfnis war plötzlich und unangekündigt gekommen,
aber verflüchtigte sich nicht.
Harry hörte den Großteil
seiner Zimmergenossen schnarchen und wünschte sich einen ruhigen
Platz und das Alleinsein, das im vollkommenen Gegenteil zur
Einsamkeit stand.
Und genauso unerwartet, wie der Wunsch nach
einem Gesprächspartner oder wenigstens jemandem, der ihm
zuhörte, gekommen war, hallte es 'Eulerei' in seinem Kopf.
Er
stand vorsichtig auf und holte seinen Tarnumhang unter seinem Bett
hervor.Dann machte er sich auf leisen Sohlen auf den Weg zu eben
jener Eulerei.
Hedwig würde ihm bestimmt zuhören.
Die
kühle Nachtluft schlug ihm entgegen und ließ ihn leicht
frösteln, was er kaum wahrnahm.Seine Sinne waren einzig und
allein auf einen blonden Jungen an einem der großen Fenster
fixiert.Dieser sah ihn auch an und brachte ebenso keinen Laut
hervor.Er war genauso überrascht und eingenommen von dieser
Szenerie wie Harry.
Der Gryffindor verfluchte sich dafür,
dass er so unvorsichtig gewesen war, sich den Tarnumhang vom Körper
zu ziehen, bevor er die Eulerei betrat.Was hatte er denn überhaupt
damit bewirken wollen.Jetzt hatte er das Problem, Draco zu erklären,
was er mitten in der Nacht hier tat.Zu dem war der Slytherin auch
noch Schulsprecher.
Aber war tat Draco hier?!
,,Potter'', kam
es ein wenig unkontrolliert von jenem.
Sofort räusperte sich
der Slytherin und sprach mit emotionsloser und irgendwie doch
höhnender Stimme weiter.
,,Was macht denn Gryffindors
Goldjunge um diese Zeit in Teilen des Schlosses, in denen er nicht
sein sollte?''
Harry wusste, Draco könnte ihm jetzt Punkte
abziehen, aber der Slytherin kam ihm seltsam uninteressiert vor.Als
ob er das Alleinsein herbei sehnen würde, nachdem Harry gegangen
war.Aber genau dies wollte Harry auch erreichen und hatte nicht vor
zu gehen.
Er schritt gemählich und gespielt ruhig an das
Fenster, das am nächsten zu Draco war und faltete dabei seinen
Umhang zusammen.Draco hatte ihn schon gesehen, wieso verstecken?
,,Es
ist verboten um diese Zeit im Schloss herumzustreunen!'', sagte Draco
nun, auf eine Reaktion drängend.
,,Was machst du dann hier,
Malfoy?''
Harry ließ seinen Blick über den Wald
schweifen, der sich vor seinen Augen erstreckte und tat so, als ob er
die Natur studieren würde, während er jedem unregelmäßigen
Atemholen Malfoys, jedem Rascheln seiner Kleidung, das seine
Bewegungen andeutete, lauschte.
Sein Inneres war
aufgewühlt.Gerade, als er sich nach ein bisschen Ruhe gesehnt
hatte, traf er auf den Menschen, den er im Moment am wenigsten sehen
wollte.
,,Ich bin Schulsprecher, Potter'', belehrte ihn
Draco.,,Ich darf das.''
Dann war es eine Zeit lang ruhig und Harry
konnte aus den Augenwinkeln sehen, dass Draco ebenfalls aus dem
Fenster sah.Dabei sah er äußerst angespannt aus und Harry
fiel ein Brief auf, den er umklammert hielt.Es war schneeweises und,
allem Anschein nach, teueres Papier und erinnerte Harry an den, in
dem wohl die Todesnachricht Malfoy Seniors gestanden hatte.
Harry
musste wohl ziemlich offensichtlich gestarrt haben, denn Draco ließ
den Ärmel seines schwarzen Umhangs weiter runterrutschen und
pfiff scharf durch die Zähne.Sofort kam eine rabenschwarze Eule
angeflogen und setzte sich auf seine Schulter.Im Mondlicht konnte
Harry ihr Gefieder von Zeit zu Zeit bläulich schimmern sehen und
es beeindruckte ihn.
Draco drehte sich ein wenig weg und band der
Eule den Brief ans Bein, bevor er sie fliegen ließ.
Während
das Tier fast zeitgleich mit seinem ersten Flügelschlag mit der
Dunkelheit verschmolz, war der schneeweise Brief noch lange
sichtbar.Wie ein Lichtblick in der Dunkelheit.
Als keine Spur Weis
mehr am Horizont zu sehen war, sagte Harry:,,Eine schöne Eule'',
und Draco hmmte zustimmend und leicht abwesend.
Danach kroch
wieder die Stille über sie.Es was so still, dass Harry die
Zikaden schrillen hören konnte, die er bisher nie wahrgenommen
hatte.
Der Wind sang und pfiff auf eine unbekannt bezaubernde
Weise und die kühle Luft wirkte reinigend.Wie Wasser.
Harry
wunderte sich, dass ihm das stille Einverständnis zwischen ihnen
gefiel.Wenn er vorhin noch alleine sein wollte, wollte er die
Anwesenheit des Slytherin nun nicht missen.Irgendwie war ihm dieser
eine Moment der gegenseitigen Akzeptanz jahrelange Beleidungen
wert.
Dann schüttelte er über seine verwirrenden
Gedanken den Kopf und lenkte Dracos Aufmerksamkeit auf sich.
,,Wirst
verrückt, was Potter?''
,,Vielleicht'', antwortete Harry
nachdenklich.
Vielleicht war er wirklich auf der Schwelle zum
Wahnsinn.Nach seiner momentanen Auffassung zu urteilen war es gut
möglich.
,,Wer wird das nicht...in solchen Zeiten.''
Harry
blickte verwundert zur Seite.So etwas von Draco zu hören hatte
er nicht erwartet.
Er sah ihn lange an und hoffte insgeheim, dass
Draco zurücksah.Dieser nahm aber keine Notiz von ihm.Dann wandte
er sich ab.
Leichte Anzeichen des nahenden Morgengrauens waren
sichtbar und Harry fragte sich, wie spät es wohl war.Er hatte in
dieser Nacht keinen Schlaf gefunden und würde ihn wohl auch
nicht mehr finden.
Sie standen lange dort.Die Dunkelheit
verabschiedete sich langsam und die Sonne kroch genauso langsam und
schleichend an ihren angestammten Platz.Kein weiteres Mal sahen sich
Harry und Draco an.
Harrys Beine schmerzten, sein Körper
lechzte nach Erholung und seine Arme, die schlaff an seinen Seiten
hinabhingen, spürte er kaum noch.Und trotzdem konnte er nicht
gehen.Nein, er wollte es nicht.Es war die Einbildung, etwas zu
verpassen, wenn er vorzeitig gehen sollte.Er wollte diese Begegnung
mit dem Slytherin im Gedächtnis behalten.Er wollte sich daran
erinnern, wenn er den Namen 'Draco Malfoy' hörte.Er wollte das
Bild eines, sich vor Schmerzen krümmenden, Mannes durch dieses
ersetzen.
Aber er wusste, dass Intensiveres nötig war, um das
zu schaffen.
Als der Blick aus dem Fenster wie ein perfektes
Gemälde erschien, mit all den sanften Sonnenstrahlen, die sich
nicht derart aufdrängten, wie die in den späten
Nachmittagstunden, und dem Rot und Orange und Gelb des Himmels, ging
Draco fort.
,,Vergiss diese Nacht'', sagte er und hinterließ
nur seinen leichten Duft im Raum, den Harry trotz dem beißenden
Geruch von Vogelextrimitäten und Stroh unverkennbar ausmachen
konnte.
Zurück blieb nur das Wissen, dass er an einem Fenster
gestanden und stundenlang daraus hinaus gesehen hatte.Unmittelbar
neben Harry Potter, dem Jungen der lebt.Seinem Erzrivalen Nummer 1
auf Hogwarts.
In dieser Nacht schlief Harry nicht mehr.Er
legte sich nicht einmal eine Zeit lang hin, um seinen schmerzenden
Gliedern Erholung zu gönnen.Erst als ihm seine innere Uhr sagte,
dass seine Zimmergenossen bald erwachen würden, riss er seinen
Blick von der Ferne los und warf sich seinen Umhang über, um
sich noch zu duschen und anzuziehen.
Aber egal, wie oft er sich
mit den Fäusten über die Augen rieb, die dunklen Ringe, die
zeigten, dass er müde war, verschwanden nicht.Genau wie das
Gefühl, mit den wenigen Worten, die er mit Malfoy gewechselt
hatte, sein Schicksal herausgefordert zu haben.
Wenn er genau
darüber nachdachte, waren es nicht einmal die paar Sätze
gewesen.Eher die Anwesenheit des Slyherins hatte sich irgendwie in
sein Inneres eingebrannt und die Stelle lechzte danach, ausgefüllt
zu werden.
Diese sinnlosen und unverständlichen Gedanken
vertrieb Harry aber hastig und machte sich kurz vor
Unterrichtsbeginn, mit Ron an seiner Seite, zum Frühstück
auf.
Der Morgen verlief ereignislos, aber frustrierend für
Harry.Draco saß auf seinem Platz wie eh und je.Er trohnte am
Tisch und erhob sich von all den dunklen und unscheinbaren
Gestalten.Harry wusste, dass Draco wohl kaum oder gar nicht
geschlafen hatte, aber man sah es ihm nicht wirklich an.Nur seine
Augen waren trüb.
Es beunruhigte Harry, dass Draco wieder
normal war.Irgendwie hatte er mehr Trauer von dem Slytherin
erwartet.Schließlich hatte er seinen Vater verloren.
Und
plötzlich fiel ihm der Brief ein und er fragte sich, ob ihn der
Inhalt des Briefes erheitert oder anderweilig beeinflusst haben
könnte.
Als sich Harry in Zaubertränke neben Draco
setzte, verzog dieser keine Miene.Er ignorierte den Gryffindor
gewissentlich und mit Erfolg.
Zwei Stunden lang hatte Harry weder
eine Chance, noch einen Grund sich am Brauen des Trankes zu
beteiligen.Er durfte Draco nur Sachen reichen, die ihm dieser mit
sachlicher und kühler Stimme anordnete und merkte, dass es ihm
mehr ausmachte, von dem Slytherin ignoriert als beleidigt zu
werden.Als Snape sich ihre Tränke durchsah, verfinsterte sich
seine Miene aus mehreren Gründen.Einer davon war, dass der Trank
absolut richtig gebraut war.Ein anderer, dass er Harry keine
schlechte Note geben konnte, ohne das gleiche auch bei Draco zu
tun.So ließ er seinen ganzen Frust an Neville aus und ließ
außer Betracht, dass auch der einen Partner aus Slytherin
hatte.
Harry hatte die ganze Zeit über ein seltsames Gefühl
und irgend etwas in seinem Kopf drängte ihn dazu etwas zu tun,
wovon er keine Ahnung hatte was es war.Er war hellwach und aufgedreht
und sah immer wieder zu Draco an seiner Seite, was diesem wohl
aufgefallen sein musste, aber Draco ließ sich nichts
anmerken.
Während Snape seine Runde machte und immer wieder
ein missbilligendes Schnauben von dem Tränkemeister kam, saß
Draco mit überschlagenen Beinen auf seinem Platz und verkörperte
die Ruhe selbst.Harry aber war völlig durcheinander und schollt
sich innerlich, weil es überhaupt keinen Grund dafür gab,
mit dem Slytherin reden zu wollen, ganz freundschaftlich und
ungezwungen.Wie mit Hermine und Ron.Oder vielleicht ein wenig
vertrauter?
Erst spät merkte Harry, dass Draco
zurückstarrte.
Der Slytherin hatte die Augen zu Schlitzen
verengt und musterte Harry unter gesengten Wimpern.Harry fühlte
sich ähnlich wie bei Hermine, nur dass es ihm weitaus
unangenehmer war.Und er fing an auf seinem Stuhl hin und her zu
rutschen, was Draco mit einer hochgezogenen Augenbraue
quittierte.
,,Was ist dein Problem, Potter?'', sagte er so leise,
dass ihn Harry fast nicht verstanden hätte.
,,Nichts'',
flüsterte Harry zurück und lehnte sich ein wenig näher
an seinen Nebensitzer um seine nächsten Worte besser verstehen
zu können.
,,Dann hör gefälligst auf, so unruhig zu
sein und mich anzustarren!'', zischte Draco.
Harry errötete,
weil Draco gemerkt hatte, dass er ihn angestarrt hatte und weil er
sich freute, dass Draco eine menschliche Gefühlsregung gezeigt
hatte.
Dracos ruhige und distanzierte Stimme ließ ihn sich
nämlich unbehaglich fühlen.
Dann fiel ihm auf, dass er
diese Bemerkung nicht auf sich sitzen lassen konnte.
,,Ich starre
dich nicht an.''
Seine Stimme klang schwach und unsicher in seinen
Ohren.
,,Ach wirklich?'', fragte Draco und sah ihn eine Weile an,
bevor er wieder nach vorne blickte.
Für den Rest der Stunde
ließ Harry seine Scheu vor einer erneuten Blamage nicht mehr zu
Draco sehen und auch der Slytherin vermied es, Harry eines Blickes zu
würdigen.
,,Du bist komisch heute, Harry'', bemerkte Ron,
als sie in der großen Halle saßen und er sich unheimlich
viel Kartoffeln auf den Teller schaufelte.Harry sah ihm mit einer
gewissen Abscheu zu, denn er selber hatte überhaupt keinen
Hunger.Das drückende Gefühl in seinem Magen ließ
keinen Platz für Nahrung.
,,Ich hab nicht gut geschlafen'',
antwortete Harry ausweichend und zwang sich, wegzusehen.Dabei
begegnete er Hermines Blick und suchte sich einen anderen Fleck zum
Fixieren.
,,Albträume?'', fragte Ron alarmiert.
Harry
verneinte langsam.
Ron konzentrierte sich wieder auf seine
Portion.
,,Malfoy war heute auch komisch'', warf Hermine
ein.
,,Genau...''Ron schluckte.,,Er hat uns gar nicht
beleidigt....Ist er krank?!''
,,Er sieht ganz gesund aus'', sagte
Harry und nutzte dies als Vorwand um zum Slytherintisch zu
sehen.
Draco aß ebenfalls nichts.Er wurde von allen Seiten
angesprochen, aber schenkte niemandem Beachtung.
Es schien Harry,
als sei er heute blasser und kränklicher als sonst.
,,Du
starrst ihn wieder an'', flüsterte ihm Hermine grinsend ins Ohr,
was Harry einen eifersüchtigen Blick von Ron einbrachte.
Harry
sah sofort weg.
An diesem Nachmittag hatten sie keinen
Unterricht mehr und nutzten die Zeit, um die Aufgaben zu machen, die
sie für die nächsten Tage aufbekommen hatten.
Harry
musste mehr als üblich von Hermine abschreiben, was davon kam,
dass er sich überhaupt nicht konzentrieren konnte.Er
verwechselte den Stoff für Verwandlungen mit dem für
Zaubertränke und wenn ihn Hermine nicht darauf hingewiesen
hätte, hätte er die Aufsätze wohl abgegeben, ohne sie
noch einmal durchgelesen zu haben.Ron zog ihn den ganzen Tag damit
auf und tat dies auch nicht unauffällig, so dass Harry am Ende
des Tages von vielen Gryffindors gefragt wurde, wieso er so abwesend
sei und ob er denn Probleme habe.
So legte er sich in der Nacht
verwirrt und erschöpft hin und hatte keine Probleme
einzuschlafen.
Was er im Schlaf aber sehen sollte, würde ihm
noch einige Probleme bereiten.
