6. Es kann immer schlimmer werden
Es war dunkel.
An was das lag konnte Yugi sich nicht erklären. Das Wahrscheinlichste war wohl, daß der Leopard ganze Arbeit geleistet hatte und er nun tot war. Andererseits dürfte er dann wohl kaum den brennenden Schmerz in seiner Brust fühlen, der auf den „Kratzern" beruhte, die er sich beim ersten Angriff des Tieres zugezogen hatte. Angestrengt horchte er ins Dunkel, konnte aber nichts beunruhigendes hören. Nicht einmal den Regen, der ohne Zweifel in diesem Dschungel immer noch fallen musste.
Dann kam er auf die gloriose Idee, die Augen zu öffnen.
Zwar konnte er nicht wirklich viel erkennen, aber allein die Tatsache, daß da keine Großkatze direkt vor seinem Gesicht saß und darauf wartete, daß er sich wieder bewegte, gab ihm genug Hoffnung, um sich auf die Ellenbogen zu stützen.
Irgendwas hier kam ihm verdammt bekannt vor. Der Geruch war nichts dschungelartiges, sondern entsprang seinem Alltag!
„Das ist doch die Schule!"
Überrascht setzte er sich ruckartig auf und wurde gleich im doppelten Sinne bestraft als er sich zunächst den Kopf an etwas Hartem stieß und praktisch zeitgleich seine Wunden eine Schmerzwelle durch den ganzen Körper schickten. Irgendwie war heute alles andere als sein Glückstag...
Diesmal bewegte Yugi sich wesentlich langsamer und umsichtiger als er nun vollends auf die Beine kam und die Umgebung abzutasten begann. Er befand sich eindeutig im Chemieraum und das, woran er sich den Kopf gestoßen hatte, war die spezielle Tischplatte des Lehrertisches gewesen, auf der ihr pyromanisch veranlagter Lehrer in regelmäßigen Abständen irgendwelche Flüssigkeiten und Stoffe abfackeln lies. Leise wimmernd rieb er sich die pochende Stelle am Kopf und fluchte innerlich auf, daß er so ungestüm gewesen war.
Dann lenkte ihn plötzlich ein anderes irritierendes Gefühl von seinen diversen Schmerzen ab. Es lag irgendwo zwischen Zorn, Wut, Verzweiflung, Trauer und einer Prise Hass. Diese Eindrücke schienen ihn wie eine Welle zu überfahren und kamen definitiv nicht von ihm selbst.
Stirnrunzelnd versuchte Yugi, sich zu konzentrieren.
/Yami/
Es fühlte sich an, als hätte er ins Nichts gerufen. Er hatte das Gefühl, als würde ihm das Herz bis hoch zum Hals schlagen, während er auf eine Antwort wartete, die einfach nicht kam.
Das konnte doch nicht angehen! Er spürte so ungefähr hundertprozentig seine Empfindungen, aber allem Anschein nach konnte Yami ihn nicht hören. Diese Empfindungen machten Yugi Angst. So völlig in Raserei kannte er seine andere Hälfte gar nicht. Das schien so überhaupt nicht zu seinem Freund und Schutzgeist zu passen...
Yugi schluckte schwer und tastete sich im Stockfinstren zur Zimmertür hinüber und öffnete sie mit einem Seufzen. Er hoffte nur, daß Yami nicht auf ihn wütend war. Immerhin hatte er das Spiel angeschleppt und sie alle damit in große Gefahr gebracht...
Auf dem Flur horchte er angespannt ins dämmrige Dunkel. Anscheinend hatte er einige Stunden im Dschungel des Spieles verbracht, denn selbst nachdem Bakura den Monsun gewürfelt hatte war es ganz sicher nicht so düster gewesen.
Kopfschüttelnd konzentrierte er sich wieder auf Geräusche, die ihm einen Hinweis auf den Verbleib der Freunde gaben und nahm vom anderen Ende des Ganges ein Kreischen wahr, daß nicht von Mensch oder Tier kam. Es war eher als würden große Kräfte wie beim Bremsen der Eisenbahn aneinander reiben.
Mit einem Stirnrunzeln schlug er diese Richtung ein und ging auf den Lärm zu, während er immer wieder versuchte, mit Yami Kontakt aufzunehmen. Aber die einzige ‚Antwort' war die überwältigende Flut an wirren Gefühlen, die schon fast körperlich weh taten.
Keuchend hielt sich Yugi die eine Hand an seine Wunden, während er sich mit der anderen an der Wand abstützte. Er stand jetzt direkt vor der Tür, die zum Anatomieraum führte, wo all dieser Anschauungskram für den Biologie-Horror-Unterricht lagerten. Und dieser unwirkliche Krach kam von genau dort drinnen und ließ ihn übles ahnen.
Mit zittrigen Fingern griff er nach der Klinke, öffnete die Tür und sah im ersten Moment nichts vor sich. Nicht etwa, weil es eh abends sein musste, denn inzwischen hatten sich seine Augen perfekt an das schummrige Dunkel gewöhnt. Nein, direkt vor ihm im Raum schien eine Art dunkle Wolke vor sich hin zu wabern. Und von eben dort kamen diese unwirklichen Geräusche, die er schon am anderen Ende des Ganges wahrgenommen hatte. Zwei mächtige Gewalten schienen dort aufeinander zu prallen, daß die Luft aufkreischte. Von allen Seiten knisterte die Luft elektrisch geladen und ein eigenartiges Quieken lag in der Luft, als würde noch feuchtes Holz brennen.
Mitten in diesem Chaos von Eindrücken konnte Yugi Bakuras Stimme hören, die mit aller Kraft etwas zu rufen schien, jedoch verschluckte dieses Wogen voll Kraft jeden Sinn der Worte. Alles was er verstand, war ein ‚geh in Deckung' oder etwas in der Art. Es war schon eine Leistung, daß er die Stimme überhaupt erkannt hatte.
Plötzlich traf ihn die Bedeutung dieses infernalischen Chaos wie der berüchtigte ‚Schlag mit dem Zaunpfahl'.
Das war eindeutig Schattenmagie vor ihm. Aber es war anders als sonst. Sicher so unheimlich und beängstigend wie immer, aber im Normalfall hatte sie nicht den selbstzerstörenden Charakter wie diese Wolke jetzt.
War das Yamis Werk? Aber was war geschehen, daß er seine Kräfte so missbrauchte und damit auch Freunde in Gefahr brachte, wo er eben diese Fähigkeiten genau genommen so gut wie nie einsetzte? Was um alles in der Welt war nur passiert?
„YUGI!" Weit aufgerissene, rehbraune Augen sahen ihn überrascht an. Kurz darauf wurde er von Ryou fest gedrückt.
„Gottseidank! Du lebst!" Yugi schob seinen Freund instinktiv ein Stück zurück, sah ihn verständnislos an und überlegte konzentriert, warum er denn bitte nicht mehr leben sollte. Dann fiel sein Blick auf Bakura, der jetzt direkt hinter Ryou stand und Yugi ernst ansah. Sein Gesicht war gezeichnet von großer Anstrengung, die Haare waren um einiges mehr zerzaust als sonst schon und er war am ganzen Körper übersäht mit mehr oder weniger tiefen Schnittwunden. Unter dem linken Arm hielt er das verfluchte Brettspiel mit grimmiger Entschlossenheit.
„Soso... totgeglaubte leben also doch länger", kommentierte der Grabräuber trocken. Allerdings ohne auch nur eine klitzekleine Spur von Sarkasmus. Es klang sogar eher erleichtert als alles andere.
„Yugi du solltest das hier schnell beenden, bevor der Pharao völlig den Verstand verliert und nicht nur sich, sondern uns alle gleich mit ins Schattenreich jagt." Mit ausdrucksloser Miene wandte er sich von Yugi ab und zu Ryou hin.
„Bist du verletzt, Hikari?" Der sonst so unterkühlte Blick war nun voll Sorge. Sie verschwand selbst dann nicht ganz, als Ryou mit einem leichten Lächeln energisch den Kopf schüttelte.
„Aber... was ist denn überhaupt geschehen, daß es so weit gekommen ist?" Verständnislos deutete Yugi auf die Schattenwolke vor sich.
„Was passiert ist!" Bakura starrt ihn fassungslos an. Selbst für ihn leuchtete der Grund in neonfarbenen Lettern über diesem Chaos aus Schattenmagie.
„Spürst du das denn nicht? Der Pharao glaubt, du bist TOT!"
Fassungslos starrte Yugi zu seinem Gegenüber hinauf.
In dem Moment, in dem Bakura es ausgesprochen hatte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Yami schrie praktisch seinen gesamten Schmerz heraus über den Verlust seines Hikaris. Und selbst der erklärte ‚Erzfeind' war von diesen Gefühlen schwer getroffen, das war ihm deutlich vom Gesicht abzulesen.
Ohne weiter nachzudenken stürmte Yugi in den Raum und verschwand direkt in den Wogen der wirkenden Magie. Den entsetzten Aufschrei von Ryou nahm er dabei gar nicht mehr wahr.
Deshalb hatte Yami auf seinen Ruf per Link nicht geantwortet. Er hatte ihn gar nicht mehr wahr genommen, so sehr hatte er sich in seiner Verzweiflung vergraben. Außerdem war er sich sicher, daß diese Wolke zwar alles herausließ jedoch nichts an Lauten hineindringen konnte. Selbst durch diese stürmische Dunkelheit hindurchzugehen war mehr als anstrengend.
Energisch schritt Yugi weiter aus. Die Elektrik in der Luft kribbelte und knisterte auf seiner Haut und in den Haaren, doch er nahm das gar nicht weiter zur Kenntnis, denn alle Sinne konzentrierten sich auf das Zentrum, dort wo sein Yami mit dem Schmerz kämpfte.
Mit aller Kraft stemmte Yugi sich gegen die verschiedenen Kräfte, die immer stärker an seinem schmalen Körper rissen, bis er so plötzlich in das völlig stille ‚Auge des Sturms' stolperte, daß er praktisch vornüber fiel.
Nicht mehr als einen halben Meter vor ihm kauerte Yami völlig reglos am Boden, das Gesicht tief zwischen seinen Armen und Knien vergraben.
Yugi schluckte schwer. Seine Kehle war wie zugeschnürt und die Stimme versagte einfach ihren Dienst. Die gesamte Bedeutungsschwere dieser Aktion um sie herum überwältigte ihn voll und ganz.
„Yami?" Irgendwie brachte er zumindest ein Flüstern zustande. Aber selbst in dieser totalen Stille war es nicht mehr als ein Hauchen. Doch mehr schien auch nicht nötig zu sein, denn in das erstarrte Häufchen Elend kam plötzlich Leben.
Zunächst war es nur ein unmerkliches Zucken bei dem Laut des vertrauten Namens, dann hob sich langsam der Kopf und drehte sich in die Richtung, aus der er den Laut vernommen hatte.
„...Aibou...?"
Seine Stimme klang müde, schwach und gebrochen und die Augen, die sonst so vor Zuversicht, Vertrauen und Selbstsicherheit überquollen, waren jetzt matt und leer. Dieser Anblick stach tief in Yugis Herz und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er vermochte nicht zu sagen, ob Yami ihn wirklich erkannt und wahrgenommen hatte, oder ob er bloß glaubte, nun endgültig dem Wahnsinn verfallen zu sein.
Mit zittrigen Schritten trat Yugi an ihn heran, kniete sich neben seine dunkle Hälfte und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Ich bin hier, Yami. Alles ist okay."
Der Anblick tat Yugi tief in der Seele weh, dennoch schaffte er es irgendwie, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. Ein schwaches, verklärtes Lächeln zeichnete sich als eine Art Spiegelung auf Yamis Gesicht ab.
„Du kommst, um dich zu verabschieden...?" Der leere Blick heftete sich auf das Gesicht seines Hikaris. „Es tut mir Leid... Ich war nicht schnell genug, um dich zu retten..."
Wieder versuchten sich die Tränen ihren Weg zu bahnen. Yugi kniff die Augen zusammen um sie zu vertreiben und schüttelte energisch den Kopf, um die Verärgerung zu vertreiben, die sich durch die Begriffsstutzigkeit seines Gegenübers langsam sammelte.
Dann nahm er Yamis Gesicht in die Hände und blickte ihm fest in die Augen.
„Du verstehst nicht, mein Yami... Ich bin HIER... Ich bin wirklich hier, spürst du das nicht?"
Yami blinzelte ihn verständnislos an. Dann, mit einem Mal fühlte Yugi ein zartes, fast ängstliches Tasten über ihren gemeinsamen Link. Er konnte mit ansehen, wie die Erkenntnis langsam einzusickern begann und sich Hoffnung in dem schönen, magentafarbenen Blick breit machte. Dann schließlich rannten Tränen über die schmalen Wangen.
Das nächste, was Yugi wusste, war, daß er in einer fast schon panischen Umarmung steckte. Yami drückte ihn so fest, als wolle er ihn nie wieder loslassen.
„Aibou...du bist wieder da...", flüsterte er Yugi ins Ohr. /Lass mich nie wieder allein.../
Der Link zwischen ihnen wurde mit Gefühlen praktisch so sehr überflutet, daß beiden nur noch die Tränen flossen.
Keiner von beiden merkte auch nur ansatzweise, daß die Schattenmagie um sie herum völlig verschwunden war.
Und außer Ryou fiel auch niemandem das erleichterte Lächeln auf, daß sich heimlich auf das Gesicht des Grabräubers geschlichen hatte...
So Leute... das war schon kein Musenkuss mehr... Fragt mich nicht, was mich geritten hat...
Falls ich eurer Meinung nach übertrieben habe tuts mir Leid – GOMEN! auf die Knie fall
Aber dank der 4. Staffel bin ich sehr davon überzeugt, daß der Pharao ohne sein „Licht" völlig am Rad dreht...
Ach ja... schreibt mir doch mal, was ihr von der Story mittlerweile haltet würde mich brennend interessieren
Außerdem schreibts sich dann besser ))
