2. Kapitel Begegnungen

Als Hermione Granger an diesem Morgen erwachte, musste sie sich erst in Erinnerung rufen, dass sie bei ihrer Tante Shania war und nicht Zuhause, bei ihrem Kater Krummbein. Sie hätte Krummbein nur zu gern mitgenommen, aber der Hund ihrer Tante, Delicacy, hatte dies mit seinem Katzenhass unmöglich gemacht. Hermione's Eltern waren bei einer Fortbildung für Zahnärzte (die sie auch beide waren) und aus irgendeinem Grund wollten sie ihre, nun schon fast fünfzehn jährige, Tochter nicht alleine Zuhause lassen. So hatte Hermione sich bereit erklärt, zu ihrer verhassten Tante zu fahren, da sie ihren Eltern diesen kleinen Ausflug nicht verderben wollte. Sie stritt sich zwar ständig mit Shania, aber diesmal konnte sie wenigstens Delicacy nehmen und für eine Weile verschwinden, was letztes mal nicht möglich gewesen war, da der Hund in der Tierklinik gewesen war. Hermione wollte gerade aufstehen, als ihre Tante, ohne zu klopfen, das Zimmer betrat. ,,Steh auf!", rief sie. ,,Es ist zehn Uhr, da kann man doch wohl mal wach sein! Jetzt steh auf und arbeite etwas!" Sie schien anzunehmen, Hermione hätte verstanden, jedenfalls ging sie wieder. Hermione hatte nichts gesagt, aber Shania machte sie so wütend, wie es sonst nicht einmal Draco Malfoy konnte. Erst überlegte sie, noch ein bisschen liegen zu bleiben, um ihre Tante zu ärgern, aber dann stand sie doch lieber auf, um Streit zu vermeiden. Nachdem sie sich fertig gemacht hatte, nahm sie den Hund und sagte Shania, sie wolle spazieren gehen. Shania begann einen Satz, der sicher mit ,,Du putzt jetzt sofort die Fenster!" geendet hätte, aber zu Hermione's Glück klingelte in diesem Moment das Telefon und sie konnte gehen. Sie machte sich auf den Weg zum Stadtpark, aber als sie eine ihr bekannte Stimme hinter einer Ecke hörte, blieb sie wie angewurzelt stehen und lauschte. ,, ... und das ist nicht meine Schuld. Er hat ihn freiwillig genommen!", sagte Draco Malfoy's schuldbewusst klingende Stimme. ,,Du hast ihn ihm angeboten! Er konnte doch nicht wissen, was es ist!", schalt die Stimme seines Vaters. ,,Jetzt komm mit. Du kannst froh sein, wenn es niemand gesehen hat." Dann ertönte ein leises ,,plopp" und Hermione wusste, dass die beiden disappariert waren. Sie ging vorsichtig weiter und lugte hinter die Ecke. Ihr stockte der Atem. Eine gewaltige Blutlache bedeckte den Boden, aber sonst war nichts zu sehen. Hermione ging weiter und wünschte sich, sie wäre niemals stehen geblieben. Sie wollte sich nicht mal ausmalen, was dort wahrscheinlich geschehen war. Aus dem Gehörten wurde sie nicht schlau. Draco Malfoy hatte also irgend jemandem, der jetzt entweder tot oder schwer verwundet war, etwas angeboten, aber was? Auf jedenfall hatte es etwas mit Zauberei zu tun, das stand fest. So in ihre Gedanken versunken, merkte sie nicht, wie sie den falschen Weg einschlug und landete an einem ihr unbekannten Ort. Sie wollte sich schon wieder umdrehen und gehen, aber da hörte sie ein leises Wimmern. Hermione sah sich um und entdeckte in einer dunklen Ecke die zusammengekauerte Figur eines Kindes. Langsam trat sie näher, erkannte, dass es ein Junge von ungefähr fünf Jahren war. ,,Hallo", sagte sie vorsichtig, da sie das Kind nicht erschrecken wollte, allerdings war Delicacy weniger rücksichtsvoll und stürmte dem Jungen entgegen, um ihm das Gesicht zu lecken. Er versuchte, den Hund von sich wegzuschieben und quiekte dabei wie ein kleines Ferkel. Hermione zerrte erschrocken den Hund von ihm weg, aber sie bemerkte, dass er lachte. Auch sie schenkte ihm ein Lächeln und während sie mit einem Taschentuch die Tränenspuren auf seinem Gesicht abwischte, fragte sie: ,,Wie bist du hierher gekommen?" ,,Mein Bruder", antwortete der kleine Junge. ,,sollte auf mich aufpassen, aber plötzlich war er weg und ich war ganz alleine!" Er schniefte laut. Mit seinem hellblonden Haar und den dunklen, grauen Augen erinnerte er Hermione an jemanden, der ihr gerade nicht einfiel. ,,Komm, ich bring dich Nachhause", sagte sie schließlich. ,,Ich bin übrigens Hermione und wie ist dein Name?" ,,Ich heiße Lucas Bartholomew Malfoy und bin fünf Jahre alt!", erzählte er stolz und hob fünf Finger. Hermione war sofort klar, dass sie Draco Malfoy's Bruder vor sich hatte, aber trotzdem wollte sie dem Kind helfen, das hier so alleine herum irrte. ,,Wo wohnst du?", wollte sie also wissen. Er sagte es ihr und Hand in Hand machten die Beiden sich auf den Weg. Eine halbe Stunde später standen sie vor einem gewaltigen Anwesen, in dessen Mitte ein riesiges, typisch englisches Herrenhaus stand. ,,So, Lucas, ab hier kannst du ja alleine weiter gehen", bedeutete Hermione ihm, die lieber nicht weiter gehen wollte, da sie nicht einfach bei Menschen klingeln wollte, die sie hassten. Und bei Malfoy's war das sowieso eine heikle Sache. Lucas wirkte enttäuscht, er hatte Hermione bereits ins Herz geschlossen. ,,Warum kommst du nicht noch mit rein", quengelte er. ,,Dann zeig ich dir meine Schokofroschkartensammlung!" ,,Ich bin sicher, du hast eine ganz tolle Sammlung, aber... ich muss leider gehen!", widersprach sie. ,,Na gut, tschüss", meinte er. ,,Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder." Und er ging durch das große, verzierte Eisengittertor. Sehr viel netter als sein Bruder!, dachte Hermione und machte sich auf den Rückweg.