Rettung in letzter Minute
Als Mrs. Weasley, Ginny und Patrick am Nachmittag aus der Winkelgasse zurück zum Hauptquartier kamen, schien es zunächst als könnte nichts Ginnys Laune trüben. Strahlend hielt sie ihren neuen Nimbus 1500 in der Hand. Natürlich konnte er es nicht mit Harrys Feuerblitz aufnehmen, doch es war ein flinker und zuverlässiger Besen.
Auch Patrick war stolz auf seine neuen Anschaffungen, besonders seinen Zauberstab, acht Zoll, Buche mit einem Kern aus Wolfshaaren.
„Wir haben Neville bei Ollivanders getroffen", plapperte Ginny gut gelaunt, als sie eine Tasche mit Büchern auf ihr Bett legte. „Er hat einen neuen Zauberstab gekauft. Ich soll euch beiden schöne Grüße ausrichten."
Neville hatte bis letztes Jahr immer den Zauberstab seines Vaters benutzt, doch bei der Schlacht im Ministerium am Ende des Schuljahres war er zerbrochen.
„Wer weiß, vielleicht kann Neville dann jetzt besser zaubern, wenn er endlich einen eigenen Zauberstab hat", überlegte Hermine.
„Ja, das muss sich Professor Dumbledore wohl auch gedacht haben. Er hat Neville zum stellvertretenden Vertrauensschüler gemacht bis Ron und du wieder da seid."
Harry und Hermine sahen sich erstaunt an, doch dann zuckten sie mit den Schultern. Neville hatte sich im letzten Schuljahr sehr zum Positiven entwickelt. Er war nicht mehr der kleine ängstliche Junge, der er in ihrem ersten Jahr war.
„Weil wir gerade von Dumbledore sprechen", redete Ginny weiter, „Wie war denn das Treffen?"
Wieder warfen Harry und Hermine sich Blicke zu, doch diesmal eher unbehagliche. „Ähm, Ginny, weißt du", druckste Harry herum. „Wir dürfen nicht wirklich darüber reden, was bei dem Treffen so besprochen wurde."
In Ginnys Augen blitzte es gefährlich auf „Wollt ihr mir damit sagen, dass ich die einzige hier im Haus bin, die über die Ereignisse im Dunkeln bleiben soll", zischte sie
„Ich weiß auch nichts", warf Patrick ein.
Ginny ignorierte ihn. „Wozu hat man denn Freunde, die direkt an der Quelle sitzen? Seid ihr überhaupt meine Freunde? Oder bin ich für euch nur Rons kleine Schwester? Ist ja nicht wichtig, ob Ginny weiß, was mit ihrem Bruder los ist!"
Harry zuckte zusammen. Er wusste genau, wie Ginny sich fühlte. Vor einem Jahr war er in der selben Position, dass er glaubte von allen im Dunkeln gelassen zu sein.
„Ginny", versuchte er sie zu beruhigen, „auch die anderen Mitglieder des Ordens wissen noch nichts über deinen Bruder."
„DIE ANDEREN?", tobte Ginny, „Heißt das, ihr seid jetzt auch Mitglieder?"
Harry biss sich auf die Lippe. „Ginny. Wir würden dir wirklich gerne sagen, was bei dem Treffen besprochen wurde, aber Dumbledore hat uns zur Verschwiegenheit verpflichtet."
Harry wusste wie dünn das klang. Mit diesem Spruch ist er letztes Jahr auch immer abgespeist worden. Ginny sah ihn mit funkelnden Augen an. Er seufzte.
„Hör zu Ginny. Hermine und ich haben den Auftrag bekommen, die DA weiter zu führen. Wenn du möchtest, kannst du uns helfen. Besonders, wenn Hermine sich in Hogwarts nicht blicken lassen darf, bräuchte ich Hilfe bei der Durchführung der Stunden."
Ginny sah ihn weiterhin scharf an doch dann nickte sie. Harry lächelte. „Danke Ginny."
Die folgenden zwei Wochen vergingen mehr oder weniger ereignislos. Harry, Hermine und Ginny hatten sich in die Vorbereitung der DA Stunden gestürzt. Patrick saß meistens mit bei ihnen und las in seinen neuen Schulbüchern.
Wie vermutet, war Amelia Bones zur neuen Zaubereiministerin gewählt worden. Cornelius Fudge, der ehemalige Minister war seit dem Tag seiner Amtsenthebung spurlos verschwunden.
Professor Dumbledore hatte, wie er bereits beim Treffen des Phönixordens angekündigt hatte, die Schüler, deren muggel-geborene Angehörige entführt worden waren, über ihren Unterricht in Hogwarts informiert. Sie sollten in der Heulenden Hütte unterrichtet werden und im Geheimgang zur Hütte sind zwei Schlafräume ausgebaut worden, einer für die Jungen und einer für die Mädchen. Professor Lupin sollte sich um die Schüler kümmern, sollte jedoch von Hagridund Professor Sproutunterstützt werden.
So kam der letzte Ferientag unaufhaltsam näher, und noch immer gab es keine Nachricht von Hermines Eltern oder von Ron. Obwohl ihre Gedanken immer wieder zu den Entführten wanderten, waren Harry, Hermine und Ginny stillschweigend übereingekommen, sie aus ihren Gesprächen zu verbannen.
Was Harry besonders unruhig machte, war dass seine Narbe nicht ein einziges Mal seit Rons Entführung wehgetan hatte und er auch von Albträumen verschont blieb.
Am Abend des vorletzten Ferientages saß Harry auf seinem Bett und spielte gedankenverloren mit dem Medaillon, das er von seinen Eltern geerbt hatte. Ginny, Hermine und Patrick saßen bestimmt noch in der Küche, doch er wollte allein sein.
Plötzlich klopfte es leise an seine Tür und einige Augenblicke später steckte Lupin den Kopf ins Zimmer.
„Darf ich reinkommen, Harry?", fragte er.
„Ja, sicher."
Lupin trat ins Zimmer, zögerte einen Moment und setzte sich dann neben Harry auf das Bett.
„Harry, ich möchte dir etwas mitteilen. Ich bin nicht sicher, ob es klug ist, es dir zu sagen, aber ich meine du hast ein Recht darauf, es zu wissen", sagte Lupin ernst.
Harry rutschte unbehaglich hin und her und schaute Lupin neugierig an. Was immer er ihm zu sagen hatte, es schien keine erfreuliche Nachricht zu sein.
Lupin, der Harrys nervösen Blick bemerkte, lächelte beruhigend.
„Professor Snape hat den Aufenthaltsort von Ron in Erfahrung bringen können", begann Lupin.
Harrys Augen leuchteten auf. „Worauf warten wir dann noch. Wir sollten ein sofort ein Befreiungsteam zusammenstellen", rief er enthusiastisch.
Als er jedoch Lupins Gesicht sah, stockte er. „Da ist noch etwas, oder? Warum sollte es nicht klug sein, mir das zu sagen", fragte er misstrauisch?
Lupin seufzte. „Wir können ihn noch nicht befreien, sonst fliegt Snapes Tarnung bei Voldemort auf. Wir müssen noch mindestens eine Woche warten, ehe wir irgendetwas unternehmen"
Harry starrte ihn an und spürte Zorn in sich aufwallen. Doch noch ehe er anfangen konnte, seiner Wut Luft zu machen, breitete sich von dem Medaillon in seiner Hand eine angenehme Wärme aus, die ihn fast augenblicklich beruhigte.
„Wahrscheinlich ist das ganz vernünftig so", gab er zu. „Der Orden kann es sicher nicht verkraften, Snape als Spion zu verlieren. Und innerhalb dieser Woche kann Rons Befreiung ja dann narrensicher geplant werden."
Lupin, der einen mittelschweren Wutausbruch befürchtet hatte, starrte ihn überrascht an. Dann lächelte er. „Wir werden Ron schon nicht im Stich lassen. Auroren beobachten Voldemorts Festung, um im Notfall schnell eingreifen zu können", versicherte er Harry. „Du solltest jetzt schlafen, Harry. Es ist schon spät", fügte er noch hinzu, bevor er dass Zimmer verließ.
Mit gemischten Gefühlen legte Harry sich schlafen. Es war gut, dass die Unsicherheit der letzten Wochen jetzt nicht mehr auf ihm lastete, doch gleichzeitig fühlte ein unbehagliches Ziehen in der Magengegend. In einer Woche konnte viel passieren.
Harry spürte, wie seine Gedanken davon glitten.
„...Ich dachte, die oberste Priorität bestünde darin, den Jungen zu töten, mein Lord", sagte der blasse Mann mit den langen weißblonden Haaren zu ihm.
„Ich werde ihn töten, aber noch nicht jetzt. Ich will ihn verletzen. Ich will seine Welt zerstören, bis er ganz allein vor mir kniet und um Gnade fleht. Und dann werde ich ihn wie einen Käfer zerquetschen", antwortete er mit einer hohen und grausamen Stimme.
Er wandte sich um und ließ seinen Blick über den Raum schweifen. Die Wände waren aus blanken Fels gehauen und der Boden war mit Stroh bedeckt. Bis auf eine große hölzerne Schüssel an der gegenüberliegenden Wand, war der Raum leer.
In einer Ecke jedoch lag zusammengekrümmt ein Junge mit roten Haaren – Ron!
Harry ging nun auf die Schüssel zu und beugte sich darüber. Aus dem Wasser in der Schüssel starrte ihn sein Spiegelbild an. Ein weißer, kahler Schädel mit glühend roten Augen.
Harry wollte die Augen schließen, wollte schreien, wollte aufwachen, doch er konnte nicht.
„Genießt du die Aussicht, Potter?", hisste Voldemort mit kalter Stimme.
Dann drehte er sich abrupt um und ging auf Ron zu. Langsam zog er seinen Zauberstab und richtete ihn auf den am Boden liegenden Jungen.
„Crucio!"
„NEEEEEIIIIIIN", Harry kämpfte und schrie. Der Schmerz in seiner Narbe war unerträglich. Jemand packte ihn an der Schulter, doch er schlug die Hand weg. Von weit entfernt hörte er jemanden seinen Namen rufen. Dann spürte er einen kurzen brennenden Schmerz auf der Wange.
„Harry, verdammt Harry, wach auf!" rief Ginny und holte zu einer weiteren Ohrfeige aus.
Harry schlug die Augen auf und starrte sie an. „Ron" brachte er heraus. Dann lehnte er sich über die Bettkante und übergab sich.
Ginny wandte sich erschrocken zu Hermine um, die hinter ihr stand und Harry ängstlich anschaute.
Ginny ergriff ihn bei den Schultern und versuchte vergeblich, Ruhe zu bewahren. „Harry, hast du von Ron geträumt"
Harry senkte die Augen und sagte mit kaum vernehmbarer Stimme „Es war kein Traum. Er hat Ron gefoltert. Er hat gewusst, dass ich da war. Er…" Harry brach ab. Tränen traten ihm in die Augen, ob vom Schmerz in seiner Narbe oder von der Erinnerung an die Szene, deren Zeuge er eben geworden war, wusste er nicht.
Hermine setzte sich zu ihm auf das Bett und wollte ihn in den Arm nehmen.
„Nein", sagte Harry und versuchte aufzustehen. „Wir müssen zu Ron. Snape weiß, wo er ist. Ich muss zu Lupin."
Hermine und Ginny sahen sich verständnislos an, doch noch bevor sie entsprechende Fragen stellen konnten, ging die Tür auf und Lupin kam ins Zimmer gestürzt. Patrick stand nervös in der Tür.
„Was ist los, Harry?" fragte Lupin und sah dabei aus, als erwartete er dass Schlimmste.
„Professor, wir können keine Woche mehr warten! Voldemort foltert Ron! Wir müssen ihn sofort befreien!", sprudelte es aus Harry heraus.
Lupin sah ihn ernst an. „Warte hier. Ich hole Professor Dumbledore", sagte Lupin nach einigen Augenblicken. Dann verließ er das Schlafzimmer.
Harry fühlte sich betäubt. Wie automatisch setzte er seine Brille auf. Hermine brachte ihm ein Glas Wasser und Ginny legte ihm einen Umhang um die zitternden Schultern. Harry ließ alles stumm über sich ergehen. Er war unendlich dankbar darüber, dass die beiden Mädchen trotz ihrer nervösen Blicke, die sie ihm zuwarfen, keine Fragen stellten.
Kurze Zeit später betrat Albus Dumbledore das Zimmer. Harry sah auf und ihre Blicke begegneten sich. Das typische Zwinkern in Dumbledores Augen war nicht zu sehen, tiefe Sorge hatte seinen Platz eingenommen und ließ die sonst kristallklaren Augen des Professors dumpf erscheinen.
„Harry", sagte er leise, „Ich möchte, dass du mir alles erzählst."
Harry senkte den Blick. Dann schaute er Ginny und Hermine bittend an. Hermine verstand und seufzte.
„Komm Ginny, wir machen eine Kleinigkeit zu essen", sagte sie widerstrebend und zogGinny aus dem Zimmer.
Harry nickte ihr dankbar zu, bevor er sich an Professor Dumbledore wendete. Der Schulleiter hörte aufmerksam zu, während Harry von den Geschehnissen der Nacht berichtete. Als er fertig war, nickte er traurig.
„Was denken Sie, Professor, ist das heute Nacht echt passiert, oder hat Voldemort mich wieder Dinge sehen lassen?" fragte er zaghaft.
„Ich fürchte fast, von dem ausgehend, was du mir erzählt hast, Harry", sagte er ernst, „dass du Zeuge von tatsächlichen Ereignissen heute Nacht warst."
„Wir müssen doch irgendwas tun", rief Harry verzweifelt aus. „Wir können Ron doch nicht in den Händen dieses Wahnsinnigen lassen. Er hat Ron nur deswegen gekidnappt, um mir damit wehzutun."
Dumbledore sah Harry sehr intensiv an. Dann nickte er entschlossen. „Das Leben eines Schülers ist wichtiger als gewisse Informationen. Und im Moment ist anzunehmen, dass das Leben von Ronald Weasley gefährdet ist. Ich werde den Auroren den Befehl geben, die Befreiungsaktion zu starten."
Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
„Mein Lord, es nähern sich etwa 10 Auroren der Festung."
„Sehr schön. Du weißt, was zu tun ist", kam die kalte, selbstzufriedene Antwort.
„Jawohl, mein Lord."
Es war eine dunkle Nacht und die aus rohem Stein gehauene Festung ragte drohend über ihnen auf. David Winter sah seine Untergebenen, die auf der Lichtung um ihn versammelt waren, noch einmal scharf an, während er letzte Instruktionen gab.
Zwei in schwarz gekleidete Gestalten schlichen lautlos auf ihn zu. „Captain, östlich der Festung ist alles ruhig. Es gibt eine Wache, die im Zwei-Minutentakt patrouilliert. Über dem Eingang liegt ein einfacher magischer Alarm. Es sollte möglich sein, drei bis vier Leute ungesehen in die Festung zu schleusen."
David Winter nickte zufrieden und schaute sich um. „Shacklebolt, Jones, Diggle und ich werden versuchen, uns in die Festung zu schleichen. Doge, Sie übernehmen die Verantwortung hier draußen."
Er winkte die drei Erstangesprochenen zu sich. „Gut, lasst uns gehen."
Sie schlichen sich hinterm Waldrand entlang zur Ostseite der Festung. Zu ihrer Rechten stieg die Festungswand fast bis zum Himmel. David Winter ließ seine Gefährten anhalten. Die Bäume hörten hier auf und nur wenige Meter vor ihnen erstreckte sich ein riesiger Abgrund.
Leise kauerten sie sich ins Gebüsch und warteten die Wache ab. David Winter wollte eben das Zeichen zum Loslaufen geben, als Kingsley Shacklebolt aufgeregt nach oben zeigte. Auf dem Dach der Festung, direkt über dem Abgrund trugen zwei Gestalten einen leblosen Körper und stießen ihn hinab.
„Wingardium Leviosa!"
David Winter war aus seiner Deckung herausgesprungen und ließ den Fallenden vorsichtig zur Erde gleiten. Augenblicklich schossen rote und grüne Lichtstreifen vom Dach und Warnrufe wurden laut.
Winter fluchte und versuchte den Schutz der Bäume zu erreichen, während er den bewusstlosen Jungen trug. Shaklebolt, Jones und Diggle feuerten noch einige Zaubersprüche ab, bevor sie gemeinsam zur Lichtung zurückrannten.
„Wir haben ihn. Rückzug!" keuchte Winter. Die Auroren um ihn herum verschwanden mit einem leisen pop. Winter rannte weiter zu einer großen Fichte, ließ Ron herunter und berührte gleichzeitig mit ihm eine leere Cola Dose. Einen Augenblick später waren auch sie von der Lichtung verschwunden.
