Oh du fröhliche, oh du selige…
Frankfurt, 24. Dezember 2003
"Last Christmas I gave you my heart But the very next day you gave it away This year to save me from tears I'll give it to someone special..."
Grinsend lauschte Chris dem schiefen Gesang, der aus dem Wohnzimmer kam. Er selbst stand in der Küche und bereitete das Weihnachtsessen vor.
Es war die Ruhe vor dem Sturm. Er hatte Iris mit der Bitte, noch etwas Wein zu besorgen, weggeschickt, damit sie nicht ständig um ihn herumkreiste und mit ihren gut gemeinten, aber lästigen Ratschlägen nervte.
Ob Eddie wusste, was für eine Megaschnulze er da gerade schmetterte? Chris bezweifelte es. Er erinnerte sich noch an die Pur-CD, die er vor einiger Zeit in Eddies Sammlung gefunden hatte, und an dessen Geständnis, dass er die Scheibe mit persönlicher Widmung beim Wichteln bekommen hatte und es einfach nicht geschafft hatte, sich davon zu trennen.
Aber inzwischen hatte die CD dank Ebay ein neues Heim bekommen und Iris konnte sie nicht mehr ‚zufällig' finden.
Die Truthahnbrust war jetzt mit Backpflaumen gefüllt und wartete darauf, in den Backofen geschoben zu werden, das Rindfleisch lag in der Marinade und er musste nur noch die Kartoffeln schälen und die Frühlingszwiebeln klein hacken.
Chris beschloss, dass er eine Belohnung verdient hatte.
Er ging rüber, lehnte sich gegen den Türrahmen und beobachtete, wie Eddie die Silbertanne schmückte.
Sie hatten sich für einen klassischen Baumschmuck entschieden. Äpfel und Zinnfiguren und an der Spitze ein Strohstern. Auf eine Lichterkette verzichteten sie, stattdessen würden sie später Bienenwachskerzen anzünden.
Aber das interessierte Chris im Moment weniger. Er beobachtete jede Bewegung, die Eddie machte. Die schwarze Jeans und der weiße Kaschmirpullover brachten seine Figur vorteilhaft zur Geltung. Da er in der Werkstatt harte körperliche Arbeit leistete, brauchte Eddie keinen Sport, um seine Muskeln zu trainieren.
Einige Minuten vergingen, in denen kein Wort gewechselt wurde. Im Hintergrund kamen aus dem Radio weitere Weihnachtslieder.
Chris fragte sich, ob das letzte halbe Jahr nur ein böser Traum gewesen war. Nach jenem DVD-Abend hatte er versucht, ganz normal weiterzuleben. So als ob er niemals gestorben und in der Leichenhalle aufgewacht wäre. Er hatte keinen Versuch mehr unternommen, Eddie über sein verändertes Wesen aufzuklären.
Er musste ein sehr guter Schauspieler sein, denn niemand schien zu merken, wie depressiv und verzweifelt er manchmal war.
Mit der Zeit ließ dies Gefühl aber nach und inzwischen schaffte er es, fast gar nicht mehr daran zu denken.
Selbst zum Schwerttraining ging er in den letzten zwei Monaten, ohne dass sich die lästige Stimme in seinem Hinterkopf bemerkbar machte.
Dafür lebte Chris jede Stunde, jede Minute, die er mit Eddie verbrachte, besonders intensiv.
Und deswegen stand er jetzt im Türrahmen undsog den Anblick auf, der sich ihm bot.
Er konnte sich einfach nicht an Eddie satt sehen. Es würde nie genug sein.
Wie schön wäre es, zusammen mit seinem Geliebten alt zu werden. Es schmerzte.
An diesem verregneten Weihnachtsabend wollte Chris aber nicht in Depressionen verfallen. Er stieß sich vom Türrahmen ab und ging die wenigen Schritte zu Eddie.
Dieser hatte sich gerade über die Dekokiste gebeugt und holte den Strohstern heraus. Als Eddie sich aufrichtete, schmiegte sich Chris an seinen Rücken und umschlang ihn mit seinen Armen.
Chris spürte, wie Eddie sich entspannte und auf die Umarmung einließ. So standen sie einige Minuten. Schweigend, vereint und doch so weit voneinander entfernt.
Bis Eddie das Schweigen brach.
"Meine Mutter kann sehr anstrengend sein."
"Deswegen stehe ich jetzt aber nicht hier."
"Doch, sie wird dich nachher vereinnahmen, dass wir keine Ruhe mehr dafür haben."
Für Chris war das ein Grund, sich noch fester an Eddie zu kuscheln. Doch nach wenigen Augenblicken löste sich Eddie aus der Umarmung, drehte sich zu Chris und sah ihn liebevoll an.
"Wir können die Feier auch noch absagen. Du rufst Engin, Mike und Carola an und ich laufe nach oben und packe Iris' Koffer. Den stelle ich vor die Tür und dann lege ich die Kette vor, damit sie nicht mehr reinkommt."
Jetzt legte Eddie seine Arme federleicht um Chris' Hüfte.
"Dann musst du auch noch vor jedes Fenster einen Schrank schieben. Denkst du, deine Mutter würde sich von einer verschlossenen Tür abhalten lassen? Notfalls schlägt sie ein Fenster ein, steigt ein und hält uns eine Standpauke."
"Sie könnte auch die Polizei rufen, damit sie uns verhaftet!"
Lächelnd schüttelte Chris den Kopf. So schön die Vorstellung, den Weihnachtsabend mit Eddie allein zu verbringen, auch war, er mochte Iris zu sehr, als dass er ihr das antun würde.
"Sie hat doch nur noch uns. Und da sie uns inzwischen nur noch alle paar Monate heimsucht, werden wir auch dieses Weihnachten überstehen."
Ein wohliges Gefühl breitete sich in Chris aus, als Eddies Finger auf Wanderschaft gingen. Es waren keine erotischen Berührungen, sondern einfach Zärtlichkeiten, wie sie nur von Eddie kamen. Als Eddie mit seinen rauen und doch sanften Fingerspitzen sein Gesicht liebkoste, schloss Chris die Augen.
Doch diese ruhigen Minuten waren viel zu schnell vorbei.
Das Klingeln des Telefons störte sie.
Aber Chris hatte nicht vor, sich stören zu lassen.
Als Eddie sich aus der Umarmung lösen wollte, hielt er ihn fest.
"Lass es bimmeln. Wenn es etwas Wichtiges ist, dann meldet derjenige sich noch einmal."
"Und wenn es Mike oder Engin ist?"
"Dann rufen sie aufs Handy an. Und das steckt in meiner Hosentasche. Kann das verdammte Telefon denn nicht still sein!"
Aber der Anrufer war hartnäckig und ließ durchschellen.
Als der Unbekannte endlich aufgab, war Chris die romantische Stimmung vergangen. Trotzig blieb er in der Umarmung, bis Eddie versuchte, sich loszumachen.
"Komm, Chris, ich muss noch einiges vorbereiten, bis die Bande anrückt. Du bist in der Küche doch auch noch nicht fertig."
"Ich suche noch einen Freiwilligen, der die Frühlingszwiebeln schneidet und die Kartoffeln schält. Selbst der Nachtisch steht schon im Kühlschrank. Was musst du noch machen?"
"Ich muss noch die Kerzen im Baum festmachen. Etwas aufräumen und saubermachen und dann wollte ich noch andere Musik raussuchen. Wenn wir den ganzen Abend nur Weihnachtsmusik hören, dann krieg' ich einen Krampf."
"Du hast eben bei ‚Last Christmas' mitgesungen!"
"Bei dieser Schnulze! Kann doch gar nicht!"
"Hast du aber! Aber was willst du sonst auflegen? Die Musik, die Mike und Engin hören, wird Iris bestimmt nicht gefallen!"
"Wie wär's mit Klassik? Mozart wäre bestimmt nicht schlecht."
Chris dachte daran, bei welcher Gelegenheit sie das letzte Mal Mozart gehört hatten, und wäre beinahe rot geworden.
"Das ist keine gute Idee. Dann komme ich auf ganz andere Gedanken."
Eddies anzügliches Grinsen sagte alles.
"Gut, dann lassen wir es beim Radio. Und jetzt geh wieder in die Küche, sonst überrascht uns Iris wirklich noch bei mehr als einer Umarmung."
Eddie gab Chris noch einen Kuss, drehte ihn um und schob ihn in die Küche.
Die Kartoffeln waren geschält, jetzt musste Chris nur noch die Zwiebeln klein hacken und alle Vorbereitungen fürs Festessen waren getroffen.
Es war erstaunlich, wer Weihnachten zu Besuch kam. Bei Mike und Klaus hatte Chris darauf getippt, dass sie alleine feiern wollten. Aber sie hatten sich doch dafür entschieden, sich von Chris kulinarisch verwöhnen zu lassen.
Engin hatte erst vor zwei Tagen gefragt, ob er nicht doch kommen könnte, da er kurzfristig wieder solo war.
Nur Carola, Mikes Partnerin, hatte sofort zugesagt, als er sie vor zwei Wochen gefragt hatte. Ihr Sohn Thorsten verbrachte den Heiligen Abend bei seinem Vater und sie hatte Angst gehabt, ansonsten Trübsal zu blasen.
Alle anderen Bekannten hatten abgesagt.
Eddie hatte schon gemeckert, dass es ein Teamtreffen samt Anhang sei, und angedroht, dass es Ärger geben würde, wenn sie dienstliche Sachen besprechen würden.
Seine Entgegnung, dass das Team erst mit Deichsel und Kallenbach komplett wäre, und seine Frage, ob er die beiden samt Ehefrauen einladen sollte, hatten Eddie nun doch etwas geschockt.
Es war einer der seltenen Momente gewesen, wo Eddie sprachlos war und Chris hatte ihn genossen.
Dann hatte er sich vorgebeugt, Eddies Kopf runtergezogen und ihm ins Ohr geflüstert, dass die beiden Heilig Abend mit der Observation Bechtholds verbringen würden und sie deswegen vor ihnen sicher waren.
"Huhu, ich bin wieder zurück! Du bist ja schon richtig weit! Kann ich dir noch helfen?"
Wieso er nicht mitbekommen hatte, dass Iris in die Küche gekommen war, war Chris ein Rätsel, aber dass er sich vor Schreck in den Finger schnitt, fand er gar nicht gut.
"Aua! Verdammte Scheiße! Brüll mir doch nicht so ins Ohr! Jetzt habe ich mich in den Finger geschnitten!"
Scheiße, Scheiße, Scheiße! Wie werde ich Iris jetzt wieder los? Sie darf nichts merken!
"Ja, wenn du so in Gedanken bist... Ich habe sogar an die Tür geklopft und du hast nichts gemerkt. Jetzt zeig mir mal deinen Finger. Ich habe Erfahrung damit, so was zu verarzten. Eddie ist als Kind ständig mit solchen Verletzungen angekommen."
Bevor Chris in irgendeiner Art und Weise reagieren konnte, hatte sich Iris schon seine Hand geschnappt und begutachtete die Schnittwunde.
"Das sieht ja übel aus. Es scheint ja bis auf den Knochen durch zu sein. Ich hole dir schnell ein Pflaster und dann fahren wir zum Notdienst. Das muss genäht werden!"
"Iris, du übertreibst. Es reicht, wenn du mir ein Pflaster holst und das Ganze gut zuklebst, damit es aufhört zu bluten."
"Mein lieber Chris, das glaubst du vielleicht. Wenn sich da kein Fachmann drum kümmert, dann holst du dir eine Blutvergiftung. Wir bringen dich zu einem Arzt und der wird das Ganze nähen. Keine Widerrede."
Verdammt, bis wir beim Arzt sind, ist das Ganze doch schon längst wieder verheilt!
"Eddie! Hol mir bitte den Verbandskasten! Chris hat sich geschnitten!"
Chris betete im Stillen, dass sich Eddie auch wirklich beeilen würde. Denn Iris würde ihn vorher nicht aus ihren Klauen lassen. Viel Zeit hatte er nicht mehr und die Wunde würde verheilen.
Aufgeschreckt durch Iris' fast schon panischen Tonfall kam nun auch Eddie in die Küche gestürmt. Mit dem Verbandskasten in der Hand.
Iris übernahm die Verantwortung, nahm das Verbandsmaterial und legte Chris fachmännisch einen kleinen Verband an.
Keine Sekunde zu früh, denn in dem Moment, als der Mullverband über der Wunde lag, fühlte Chris das Kribbeln, das eine Heilung ankündigte. Er wusste nicht, was er getan hätte, wenn das Timing nicht so perfekt gewesen wäre.
Er hielt still. Wartete, bis Iris seinen Finger verarztet hatte. Es sah richtig echt aus. Sogar einige Blutstropfen hatten noch ihren Weg auf den Mull gefunden und dekorierten ihn.
"So, das wäre geschafft. Komm, wir nehmen mein Auto, und dann fahre ich dich zum Notdienst."
"Iris, du hast etwas vergessen."
Etwas irritiert sah Iris Chris an.
"Was soll ich denn vergessen haben?"
"Erstens hast du mich gar nicht gefragt, ob ich überhaupt zum Arzt will. Ich will nicht. Zweitens kommt in spätestens einer Stunde die Horde zu Besuch und bis dahin soll das Essen fertig sein. Drittens kann ich mir viel zu gut vorstellen, wie voll es da ist. Besonders heute. Du kannst gerne zum Arzt fahren. Aber ohne mich."
Iris schien das nicht zu beeindrucken. Sie ging in den Flur, zog sich ihre Jacke an und schien darauf zu warten, dass Chris nachkommen würde.
Aber er dachte gar nicht daran. Er ging wieder zur Arbeitsplatte, nahm sich einen Lappen und wischte das Blut weg, das er dort vergossen hatte.
Er nahm das Messer und begann, die restlichen Zwiebel klein zu hacken, wurde aber durch den Verband etwas daran gehindert.
Dann hinderte ihn noch etwas.
Iris drängte ihn zur Seite und nahm ihm das Messer aus der Hand. So, wie sie mit dem Teil auf ihn zeigte, glaubte Chris, dass es eine Drohung war.
"Du kommst jetzt bitte mit mir zum Arzt. Die Wunde muss genäht werden. Ich möchte nicht, dass du eine Blutvergiftung bekommst."
Es klang so, als ob Iris mit einem unartigen Kind sprechen würde und nicht mit einem Mann, der an den Schläfen schon graue Haare hatte. Jedes Wort wurde extra betont.
"Iris, so wie ich gerade geblutet habe, kann ich keine Blutvergiftung bekommen, und dank deines Verbandes hat es auch schon aufgehört."
Zum Beweis wedelte Chris mit seiner Hand vor ihrem Gesicht rum. Es war kein neues Blut dazu gekommen.
"Und da du es so gut gemacht hast, braucht es auch nicht genäht zu werden. Ich tausche es in einigen Tagen gegen ein Pflaster aus, achte darauf, dass kein Dreck reinkommt und dann ist es gut. Im Gegensatz zu Eddie habe ich im Moment einen gemütlichen Schreibtischjob, wo ich mir die Finger gar nicht dreckig machen kann."
Von Eddie kam beim letzten Kommentar nur ein verächtliches Prusten, sonst hielt er sich aus dem Streit raus.
"Eddie, nun sag doch auch etwas!"
Nachdem er sich bemerkbar gemacht hatte, versuchte Iris, ihren Sohn mit einzubeziehen.
"Ich werde mich hüten. Macht das unter euch aus. Ihr seid alt genug dafür. Denn sonst gerate ich noch zwischen die Fronten. Und außerdem wirst du Chris nur dann zum Arzt bekommen, wenn du ihn vorher bewusstlos schlägst und anschließend dorthin schleifst. Ich habe es auch schon probiert und bin gescheitert."
"Gut, damit wäre das ja geklärt."
Chris nahm Iris behutsam das Messer aus der Hand, schob sie zur Seite und widmete sich wieder seinen Zwiebeln.
Irritierend war nur, dass Eddie im Hintergrund einen Lachkrampf bekam und wohl verzweifelt versuchte, ihn zu unterdrücken.
Dann hörte Chris, wie Iris sich umdrehte und die Küche verließ. Die Türe wurde betont leise zu gemacht.
Jetzt ließ Eddie seinem Lachanfall freien Lauf. Er hockte auf dem Boden, hielt sich den Bauch und lachte, bis ihm die Tränen kamen. Irgendwann ging ihm die Puste aus und er lehnte sich immer noch kichernd an die Wand.
Chris war von seinem Freund zwar schon einiges gewohnt, aber so schlimm hatte es ihn schon lange nicht mehr erwischt. Er hockte sich neben ihn und wartete geduldig, bis Eddie sich soweit erholt hatte, dass er wieder sprechen konnte.
"Muss ich das jetzt verstehen?"
Fragend zog Chris eine Augenbraue hoch. Doch Eddie sah ihn nur kurz an und wälzte sich in seinem nächsten Lachkrampf. Da wurde es Chris zuviel. Er stand auf, beachtete Eddie nicht weiter, und versuchte zum dritten Mal, die Zwiebeln zu hacken. Immer wieder hörte er im Hintergrund Eddies Glucksen.
Dann waren die Biester klein gehackt und wurden zusammen mit dem marinierten Rindfleisch in den Schmortopf gelegt.
Nachdem dieser im Backofen untergebracht war, drehte sich Chris wieder zu Eddie.
Sie hatten jetzt vierzig Minuten Zeit, bis das Essen fertig war, und deswegen mussten sie sich eigentlich beeilen, um der Wohnung den letzten Schliff zu geben und um sich noch umzuziehen.
Wieso musste dieser Mann nur so göttlich aussehen, selbst wenn er vollkommen fertig auf dem Fußboden liegt?
Der Kaschmirpullover war nicht mehr ganz weiß und die Jeans hatte auch einige Flecken abbekommen.
Typisch Eddie.
"Kannst du mir verraten, warum du gerade so einen Lachkrampf bekommen hast? Nein, fang bitte nicht schon wieder an. Ich will doch einfach nur wissen, was los ist."
"Mutter…"
"Deine Mutter ist schrecklich. Ich weiß es. Was willst du mir noch sagen?"
Inzwischen hatte sich Chris neben Eddie gesetzt. Der Zeitdruck war ihm egal. Er nahm Eddies Hand und streichelte sie.
Eddie schloss die Augen und genoss die Liebkosung. Als er sie wieder öffnete, war er wesentlich ernster geworden. Aber in den Augenwinkeln blitzte immer noch der Schalk.
"Nein, das wollte ich nicht sagen. Du hast gerade zwei Dinge geschafft, die noch kein Mann gleichzeitig hinbekommen hat."
"Was denn?"
"Naja, eigentlich sind es sogar drei Sachen. Sie war sprachlos, du hast dich durchgesetzt und du hast sie einfach stehen lassen. Du hast danach nicht ihr Gesicht gesehen. Mutter war einfach nur fassungslos. Weißt du, wie viele Jahre ich schon auf so einen Augenblick gewartet habe?"
Wenn der Streit nicht so einen beängstigenden Hintergrund gehabt hätte, dann hätte Chris mitlachen können.
Aber der Schock über seine BeinaheEntdeckung saß ihm noch in den Gliedern. So beschränkte er sich darauf zu grinsen, Eddies Hand zu seinem Mund zu führen und jede Fingerspitze einzeln zu liebkosen. Dazwischen nuschelte er ein "Wie lange denn?"
Chris hoffte, dass Eddie nicht mehr von ihm verlangen würde. Und es schien auch zu reichen.
"Ich glaube, ich war zehn, als ich zum ersten Mal mitbekam, dass Mutter mit ihrer Art ihre Umgebung und ganz besonders alle Männer terrorisierte. Und es gab keinen Mann, der ihr Paroli bieten konnte. Gott, bin ich stolz auf dich."
Darauf konnte Chris einfach keine Antwort geben.
Wenig später hatte Eddie sich soweit erholt, dass er wieder aufstehen wollte. Chris hatte seine Hand nicht losgelassen und zog ihn daran hoch. Sie küssten sich noch einmal, bevor sie sich daran machten, die allerletzten Vorbereitungen für die Feier zu treffen.
So wie Chris Iris kannte, würde sie eine gute Verliererin sein und ihnen den Abend nicht mit schlechter Laune verderben.
Sie hatte sich jedoch auf ihr Zimmer zurückgezogen und hörte garantiert keine Weihnachtsmusik. Man konnte die dumpfen Bässe noch in der Küche hören.
Während Chris die Spülmaschine füllte und den Esstisch festlich deckte, räumte Eddie das Wohnzimmer auf und saugte noch einmal durch.
Inzwischen waren sie ein eingespieltes Team. Auch wenn Eddie sich Anfangs über ‚den Ordnungsfimmel seines Ordnungshüters' aufgeregt hatte, jetzt wusste er eine saubere und aufgeräumte Wohnung zu schätzen.
Oder lag es daran, dass eine Putzfrau immer schon den gröbsten Dreck beseitigte, so dass sie nur noch die Feinarbeit zu erledigen hatten?
Als auch die letzten Vorbereitungen abgeschlossen waren, ging Chris nach oben, um sich saubere Klamotten anzuziehen.
Er wählte einige Kleidungsstücke aus, die sie in San Francisco gekauft hatten.
Aber vorher duschte er kurz. Natürlich hatte er es geschafft, den Verband um seinen lädierten Finger ziemlich dreckig zu machen. Eddie war auch oben und zwar im Schlafzimmer. Um nicht überrascht zu werden, drehte Chris, gegen jede Gewohnheit, den Schlüssel von der Badezimmertür um und entfernte den Verband.
Die Wunde war, wie erwartet, verheilt. Nichts deutete darauf hin, dass er sich geschnitten hatte. Er nahm aus dem Apothekenschrank eine Pflasterdose und verpasste dem Finger ein schickes Pflaster, um den Schein zu wahren.
Er war noch nicht ganz fertig, als es gegen die Türe rumste. Eddie war recht stürmisch gewesen und war wohl gegen die Türe gerannt.
Da alle verräterischen Spuren beseitigt waren, öffnete Chris.
Eddie stand vor ihm und rieb sich die Stirn.
"Mensch, was soll das? Du schließt doch sonst nicht ab. Was ist los mit dir?"
"Mit mir? Nichts."
"Und warum hast du dann abgeschlossen?"
Chris deutete zum Ende des Flures, wo Iris' Zimmer lag.
"Irgendwie traue ich dem Frieden nicht so ganz. Ich habe es noch nie erlebt, dass Iris so einfach aufgegeben hat. Das ist einfach nicht ihr Stil. Deswegen bin ich gerade auf Nummer sicher gegangen und hab halt abgeschlossen. Ist es schlimm?"
Besorgt wollte sich Chris Eddies Stirn ansehen. Dieser wich aber zurück.
"Dafür haben wir keine Zeit. In spätestens zehn Minuten wird der Besuch da sein. Geh jetzt und lass mich unter die Dusche!"
Aber ein kleiner Teufel ritt Chris.
"Soll ich dich zum Arzt bringen? Du, da muss sich jemand drum kümmern, sonst könnte es böse Folgen haben!"
Das Funkeln in Eddies Augen zeigte, dass dieser sehr amüsiert war.
"Ach, ja? Das musst ausgerechnet du sagen! Was macht denn dein Finger?"
Chris zeigte Eddie, dass der Finger nur noch von einem Pflaster geziert wurde.
"Iris hat mächtig übertrieben. So schlimm war das gar nicht. Das ganze Blut hat es nur so übel aussehen lassen. Wahrscheinlich bleibt noch nicht mal eine Narbe."
"Ja, ja. Nur damit du Recht hast. Aber jetzt mach hinne, sonst klingelt es und wir sind noch nicht mal angezogen."
Bevor Chris noch mehr sagen konnte, wurde er von Eddie mit sanfter Gewalt aus dem Bad geschoben. Dann wurde ihm die Tür vor der Nase zugemacht.
Während Chris sich anzog, fragte er sich, wie lange er mit diesen Lügen und Halbwahrheiten durchkommen würde. Irgendwann musste Eddie doch merken, dass etwas nicht stimmt.
Aber er hatte sich wohl schon an diesen Zustand gewöhnt, denn es konnte seine gute Laune und die Freude auf das Weihnachtsfest nicht trüben.
Drei Stunden später war die Essensschlacht geschlagen und alle Geschenke überreicht worden. Fast alle. Chris hatte ein besonderes Geschenk für Eddie. Und er wollte es ihm alleine überreichen, es sollte sonst niemand dabei sein.
Nach den Blicken zu urteilen, die Eddie ihm zuwarf, hatte dieser auch noch ein besonderes Präsent vorbereitet, das auf Chris wartete.
Jetzt saßen sie aber in gemütlicher Runde vor dem Kamin und tranken von dem Wein, den Iris besorgt hatte.
"Sag mal, Chris, wieso hast du eigentlich Deichsel und Kallenbach mit ins Fahndungsteam aufgenommen?"
Es war schon seltsam, seit zwei Wochen gehörten die beiden jetzt zum Team, aber bisher hatte noch niemand Chris diese Frage gestellt. Und jetzt kam sie weder von Engin noch von Mike.
"Willst du das wirklich wissen, Klaus?"
"Doch, denn Mike kam letztens ziemlich frustriert zu mir, weil er die beiden nun doch nicht los geworden ist. Er liebt sie nun mal heiß und innig."
Dieser Kommentar brachte alle zum Grinsen. Jeder wusste, dass Mike dieses seltsame Duo nicht wirklich mochte.
"Ich weiß, aber ich habe keine andere Möglichkeit gesehen."
"Du willst also wirklich, dass wir dir alle Informationen aus der Nase rausziehen? Komm, stell dich nicht so an, erzähl es uns. Du hattest es ja noch nicht einmal für nötig gehalten, deinen geschätzten Partner einzuweihen!"
Engin hörte sich aber nicht wirklich beleidigt an.
"Okay, alle Anwesenden, die nichts mit dem Polizeidienst zu tun haben, vergessen bitte ganz schnell, was ich jetzt erzähle."
"Ich habe es gewusst! Du schuldest mir etwas, wenn du jetzt mit dem dienstlichen Kram anfängst."
"Eddie, ich werde mich kurz fassen. Aber wenn ich es nicht erzähle, dann werden sie uns keine Ruhe lassen."
Chris nahm Eddies Hand, streichelte sie und widmete sich dann seiner Erzählung.
"Wie ihr wahrscheinlich alle wisst, arbeiten wir zur Zeit an dem Fall Bechthold. Angefangen hat es damit, dass Mike vor etwa zwei Jahren erste Hinweise gesammelt hatte, dass dieser Typ eine ganz große Nummer in der Russenmafia sein könnte."
"Das Märchenerzählen ist mein Part, komm, fass dich kurz, ich habe heute Abend noch etwas vor."
"Ich dachte, du wärst wieder solo? Hast du schon wieder eine Neue?"
Nun mischte sich auch Carola in das Gespräch ein. Obwohl sie schon seit fast einem Jahr Mikes Partnerin war, hielt sie sich zurück und sagte recht wenig.
"Noch nicht, aber ich arbeite daran. Du kannst mich morgen früh noch mal fragen."
"Und so einem Gigolo habe ich meine Wohnung abgetreten. Würdest du noch bei deiner Mutter wohnen, dann wärst du viel ruhiger und zurückhaltender."
"Träum weiter, Chris! Damals habe ich halt bei den Mädels übernachtet. Was kann ich dafür, dass die alle auf mein südländisches Aussehen stehen? Ich brauch' sie ja noch nicht mal groß anzubaggern, die kommen immer freiwillig!"
"Ohhh, und das ist ja so übel für dich."
"Habe ich mich beschwert? Bestimmt nicht. Chris, jetzt fasse dich kurz und erzähl."
"Wie du willst. Fakt ist, dass unsere Abteilung so viel Arbeit hat, dass wir nicht mehr wissen, wo wir anfangen sollen. Außerdem geht in unserem Laden immer dann was schief, wenn es nicht schiefgehen darf. Woran es liegt, weiß ich nicht, aber deswegen wollte ich niemand Internes ins Team nehmen. Da ich Mike und Carola von der Kripo ausleihen konnte, dachte ich, dass das dynamische Duo eine gute Wahl wäre. Sie sind zwar doof wie Brot und manchmal sehr link, was das Persönliche betrifft. Aber sie sind sehr hartnäckig und professionell, was Observationen betrifft. Da gibt es kein besseres Team in Frankfurt. Auch kennen die den Fall, an dem wir arbeiten. Deswegen hatte ich vor einigen Wochen bei Krause nachgefragt, ob wir zusätzlich zu Mike und Carola auch noch die zwei im Rahmen der Amtshilfe bekommen könnten. Ich habe allerdings nicht damit gerechnet, dass die beiden so schnell zu uns stoßen würden. Dass Deichsel und Kallenbach ein Problem mit Schwulen und Ausländern haben, glaube ich nicht. Den Zahn habe ich ihnen schon vor einigen Jahren gezogen. Und Mike hat sie ja auch nicht geschont. Kurz genug?"
Alle, bis auf Iris, die das Dreamteam Deichsel und Kallenbach nicht kannte, mussten lachen. Chris hatte die zwei sehr treffend skizziert.
Nur Carola war noch nicht ganz zufrieden.
"Warte mal, Chris, wie kommt es, dass die beiden heute Bechthold observieren?"
"Das sind sie selbst schuld. Die kamen vor einigen Tagen an und meinten, Bechthold würde für sein nächstes krummes Ding bestimmt die Weihnachtstage nutzen und dass es doch sinnvoller sei, ihn zu beobachten. Ich habe ihnen viel Spaß gewünscht und sie für Heilig Abend eingeteilt."
Jetzt musste auch Iris lachen.
"Mein lieber Chris, du hast es faustdick hinter den Ohren."
Chris verbeugte sich leicht in Iris' Richtung
"Ich habe im letzten Jahr auch eine gute Lehrerin gehabt."
Bevor Iris zu einer Entgegnung ansetzen konnte, klingelte das Telefon.
"Wenn man vom Teufel spricht. Das ist garantiert Kallenbach. Verdammt, gönnt uns Bechthold noch nicht mal einen ruhigen Weihnachtsabend?"
Frustriert sprang Chris auf und ging in den Flur, wo eins der Telefone stand. Die Türe machte er hinter sich zu, damit die anderen ihre Ruhe hatten.
"Schwenk hier! Was gibt es?"
"Hallo Chris! Schön, dass es dich noch gibt! Frohe Weihnachten!"
Diese Stimme mit dem französischen Akzent kannte Chris nur zu gut.
Sie war ein fester Bestandteil seiner Albträume.
"Hallo Amanda."
"Du scheinst nicht besonders erfreut zu sein, meine Stimme zu hören. Was ist los? Hast du Probleme?"
Nein, solange ich den Gedanken an dich verdrängen konnte, hatte ich keine Probleme.
"Wir haben hier eine kleine Weihnachtsfeier und du rufst etwas unpassend an."
"Das tut mir aber leid. Vor einigen Stunden hatte ich es auch schon probiert, aber da ist niemand an den Apparat gegangen. Ich muss mich auch entschuldigen, dass ich mich die letzten Monate nicht bei dir gemeldet habe, aber ich musste aus beruflichen Gründen kurzfristig umdisponieren und bin erst vor einigen Tagen nach Paris gekommen."
Wieso konnte sie ihn nicht in Ruhe lassen?
Chris schwieg. Was sollte er auch sagen?
"Du weißt ja, dass ich dich zum Training erwarte? Und ich werde nicht zulassen, dass du dich davor drückst. Wir sollten direkt einen Termin ausmachen."
"Amanda, es tut mir leid, aber das geht nicht so einfach."
"Ach ja, ‚Das geht nicht so einfach!' Das glaubst du vielleicht. Denn wenn du nicht aufpasst, dann kommt eines Tages ganz einfach ein anderer Unsterblicher und nimmt deinen Kopf. Du musst vorbereitet sein! Ich habe eine Verantwortung übernommen, als ich dich aus der Leichenhalle geholt habe, und so einfach wirst du mich nicht los! Hast du mich verstanden?"
Chris konnte sich gut vorstellen, wie sie auf der anderen Seite wild gestikulierte. Sie hatte wirklich ein ziemliches Temperament. Schlimmer als das von Iris.
"Und was ist, wenn ich das gar nicht will?"
"Glaubst du wirklich, dass ich dich fragen werde? Wenn du nicht zu mir kommst, dann werde ich zu dir kommen."
Alles, bloß das nicht.
Chris überlegte krampfhaft, wie er Amanda abwimmeln konnte, ohne dass sie am nächsten Tag an seiner Haustür schellen würde.
"Okay, ich muss im Januar sowieso beruflich nach Paris. Ich werde dich dann besuchen, und wir werden dann alles Weitere besprechen. Was hältst du davon?"
"Wir werden das Ganze mit einer ersten Trainingseinheit verbinden. Danach wird dir klar sein, wie dringend du den Unterricht brauchst. Mein Gott, ich verhalte mich ja schon genau so wie MacLeod!"
"Wer ist MacLeod?"
"Er ist…. Er ist einfach Duncan MacLeod. Er sorgt sich um alles und jeden und neigt dazu, alle Frischlinge zu bemuttern und ihnen die ersten Schritte zu erleichtern. Ich bin wohl schon zu lange mit ihm zusammen und es färbt ab."
Amandas leises Lachen erreichte Chris durch den Hörer.
"Dann bleibt es bei Anfang Januar? Wenn du nicht kommst, werde ich zu dir kommen!"
"Ich werde dich besuchen, keine Sorge. Aber ob ich auch wirklich dein Schüler werde…"
"Du wirst, du wirst. Denn du hängst zu sehr an deinem Leben, um es einfach wegzuschmeißen. Und wenn du es nicht machst, wirst du all deine Freunde in Gefahr bringen."
Klack.
Chris hasste es, wenn man ihm einfach so den Hörer auflegte.
Wieso glaubte sie, dass er Eddie in Gefahr bringen würde? Es lebte sich doch ganz gut, so wie es war. Wenn da nicht die ganzen Lügen und Halbwahrheiten wären, die er Eddie erzählen musste.
Mit einem leisen Knarren machte sich die Wohnzimmertür bemerkbar, die von Eddie geöffnet wurden.
"War es Kallenbach? Du siehst ziemlich frustriert aus. Müsst ihr noch zum Einsatz?"
"Nein, Kallenbach war es nicht, aber ich glaube nicht, dass du erfreut sein wirst, wenn du erfährst, wer es war."
Eddie kam näher und nahm Chris in den Arm. Chris ließ sich fallen und genoss die starke Schulter, an die er sich anlehnen konnte.
"Wer war es denn?"
"Amanda."
Ein Wort reichte, um Eddie verkrampfen zu lassen. Chris wusste nicht, warum Eddie so eifersüchtig auf Amanda war. Schließlich hatte er sie nur einmal gesehen und er hatte Eddie nie irgendeinen Grund gegeben, eifersüchtig zu sein.
"Was wollte sie?"
Seine Stimme war so heiser, angespannt, voll unterdrückter Aggressivität.
"Sie hat mir Frohe Weihnachten gewünscht und gefragt, ob mein Kopf immer noch auf meinen Schultern sitzt. Nichts, weswegen du dir Sorgen machen solltest."
Aber Eddies Haltung blieb angespannt.
"Selbst wenn du dieser Frau nicht traust, solltest du wenigstens mir trauen. Ich will nichts von ihr und sie kann noch so sehr ihre Fangarme nach mir ausstrecken, sie bekommt mich nicht. Denn ich gehöre zu dir."
Eddie entspannte sich ein wenig.
"Es ist nur diese irrationale Angst. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass du dich seit jener Nacht in San Francisco verändert hast, nur kann ich es nicht greifen. Es ist einfach nicht fassbar. Deswegen habe ich Sorge, dich zu verlieren."
Oh Eddie, du bist so nah dran und doch so fern.
"Ich verspreche dir, dass ich dich niemals wegen einer Frau verlassen werde."
Wie zur Bestätigung küsste Chris ihn noch einmal und dann gingen sie gemeinsam zurück zur Feier.
Es war spät geworden, bis sich auch Iris zurückgezogen hatte. Es war wohl ihre Rache an Chris gewesen.
Die Kerzen am Weihnachtsbaum waren schon lange heruntergebrannt, nur die vierte Kerze des Adventskranzes spendete noch ein wenig Licht. Aber mehr brauchten sie nicht. Chris und Eddie hatten sich aneinandergekuschelt und tranken aus einem Glas noch etwas Wein.
Nicht den Wein, den Iris geholt hatte, sondern Eddie war in den Keller gegangen und hatte aus der hintersten Ecke eine ziemlich verstaubte Flasche rausgeholt.
Sie redeten nicht viel. Hin und wieder ein geflüstertes Kosewort oder die Bitte, doch das Glas rüberzureichen.
Mehr als er es sich selbst eingestehen wollte, war Chris von dem Telefonat mit Amanda aufgewühlt worden. Alles, was er in den letzten Monaten verdrängt hatte, war wieder da. Und doch musste er Eddie gegenüber so tun, als ob alles in Ordnung war.
"Woran denkst du?"
Diese geflüsterten Worte brachten Chris in Verlegenheit. Wieso zur Hölle musste das Leben so kompliziert sein? Warum konnte es nicht einfach nur Eddie und ihn geben?
"Ich frage mich, wann wir endlich unsere ganz private Bescherung machen werden. Ich habe da noch ein kleines Geschenk für dich, das ich dir noch geben möchte."
"Ach, du bist ungeduldig? Glaubst du etwa, dass ich auch noch ein Geschenk für dich habe?"
"Der Gutschein für einen Einkaufsbummel bei Boss halte ich eher für eine Strafe als eine Belohnung, ich erinnere mich noch gut, wie fertig ich war, als du mich das letzte Mal durch die Geschäfte gereicht hast. Aber dieses Mal werden die Verkäufer hoffentlich nicht schwul sein."
Eddies raues Lachen ließ eine wohlige Gänsehaut über Chris' Rücken jagen.
"Bestimmt nicht, aber eigentlich ist der Einkaufsbummel eher eine Belohnung für mich. Und ich habe wirklich noch ein Geschenk für dich."
Eddie löste sich von Chris, beugte sich vor und holte ein unter der Couch deponiertes Geschenk hervor. Es war ein langes und schmales Paket, das einfach nur in braunes Papier eingewickelt war.
"Frohe Weihnachten! Ich hoffe, es gefällte dir!"
Chris gab Eddie einen Kuss und widmete sich dann seinem Geschenk. Er drehte es vorsichtig in seinen Händen, hatte aber keine Idee, was sich hinter der Verpackung verbergen konnte. Schließlich hob er es hoch und schüttelte es ein wenig. Doch es war nichts zu hören.
"Nun pack es schon aus. Sonst geht noch die letzte Kerze aus und ich kann dein Gesicht gar nicht sehen, wenn du siehst, was es ist."
Das Packpapier war schnell heruntergerissen, aber fühlte Chris nur mehrere Lagen Stoff mit einem harten Kern.
Fragend schaute er Eddie an, doch dieser schüttelte nur den Kopf und deutete auf das Geschenk.
Chris wickelte die Stoffbahnen ab und als er sah, was sich darin verbarg, raubte es ihm den Atem. Vor ihm lag ein Schwert. Doch nicht irgendein Schwert. Es war wesentlich leichter als die Klinge, die er normalerweise bei Training benutzte. Als er es in die Hand nahm und hochhob, merkte er sofort, wie ausgewogen das Schwert war. Es fühlte sich wie die Verlängerung seines Armes an und nicht wie ein Werkzeug.
Er wollte es anfassen, aber Eddie hielt ihn zurück.
"Sei vorsichtig, die Klinge ist scharf geschliffen, damit kannst du selbst einen Seidenschal durchtrennen."
Mit noch mehr Respekt berührte Chris jetzt die Klinge und sie war, wie Eddie gesagt hatte, sehr scharf.
Dann bemerkte er die seltsamen Reflexe, die das Kerzenlicht auf dem Metall hinterließ. Chris stand auf und ging mit dem Schwert in der Hand näher an die Kerze. Das, was er sah, entlockte ihm ein anerkennendes Pfeifen.
Es war nicht nur ein leichtes und wunderbar austariertes Schwert, es war sogar damasziert. Die Ätzung zeigte, dass es nicht nur ein einfacher Damast war. Die beiden Stahlsorten waren als Blumendamast miteinander verflochten worden, die an der Klinge in hauchdünnen Bahnen auslief. Es war weder eine Dekowaffe, die man sich an die Wand hängte, noch war es ein Prügel, wie er ihn bei seinem wöchentlichen Training benutzte.
Es war einfach sein Schwert.
Da Chris mit Engin regelmäßig zum Schwertfechten ging, hatte er einen guten Grund gehabt, sich in den letzten Monaten intensiv mit Schwertkampf und den Waffen zu beschäftigen. Er wusste, dass dieses Schwert einzigartig und genau das war, was er brauchte, um die nächsten Jahrhunderte zu überstehen. Der Gedanke, dass er, wenn er Pech hatte, diese Waffe noch Jahrhunderte nach Eddies Tot benutzen würde, trieb ihm fast die Tränen in die Augen.
Doch Eddie erwartete jetzt eine Antwort. Chris riss sich zusammen und schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter.
"Es ist einfach wunderbar! Dafür reicht ein Dankeschön gar nicht aus!"
"Ich wüsste schon, wie du dich diese Nacht dafür bedanken kannst. Ich habe da eine ganz spezielle Phantasie!"
Chris hielt das Schwert noch immer in seiner Hand, als er sich wieder zu Eddie auf die Couch setzte.
"Aber vielleicht bist du der Meinung, dass du dich für mein Geschenk auch bedanken müsstest."
Mit seiner linken Hand griff er hinter ein Kissen und holte dort einen Umschlag heraus, den er dort versteckt hatte, als Eddie den Wein holte. Er überreichte ihn Eddie mit einem Grinsen.
"Frohe Weihnachten, mein Süßer!"
Eddie öffnete den Umschlag und zog den Gutschein heraus. Dann versuchte er, den Text zu entziffern. Aber dafür war es definitiv zu dunkel.
"Mann, ich habe keine Lust, das Licht wieder anzumachen. Kannst du mir nicht sagen, war da drin steht?"
"Wenn du möchtest, dann lese ich dir den Text vor."
"Ich höre dir zu."
Eddie kuschelte sich an Chris und wartete.
"Du bist ja wirklich faul. So kann ich dir doch gar nichts vorlesen."
"Das brauchst du ja auch nicht. Es reicht, wenn du mir sagst, was drin steht. Ich will dich jetzt spüren."
"Hey! Geh mir nicht an die Wäsche. Ich habe keine Schleife im Haar und bin auch nicht dein Weihnachtsgeschenk."
Chris schnappte sich Eddies Hände und hielt sie fest.
"Schade, es würde mir richtig Spaß machen, dich auszupacken."
"Das kannst du später auch machen, aber dich scheint es gar nicht zu interessieren, was auf dem Gutschein steht."
"Schon, aber im Moment bist du wesentlich interessanter. Aber nun sag schon, was werde ich bekommen?"
"Ich erzähl' es dir nur, wenn du mir versprichst, die nächsten Minuten deine Finger bei dir zu behalten."
Eddie grummelte, stimmte aber zu.
"Gut, dann hör gut zu. Ich kann dir auswendig sagen, was drin steht. Gutschein für Edgar Sänger plus einer Person seiner Wahl für ein Drei-Tage-Ticket der Goldklasse am Hockenheimring. Einzulösen ist es vom 23. Juli bis zum 25. Juli 2004 beim Formel Eins Rennen.
Zu diesen Eintrittskarten kommt noch ein VIP-Ausweis, der Ihnen freien Zugang zu den Boxengassen ermöglicht, und bei einer Fahrt im Zweisitzer von Mercedes werden Sie von einem Formel-Eins Piloten über den Hockenheimring chauffiert."
Während Chris den Text aus dem Gedächtnis rezitierte, beobachtete er gespannt die Veränderung, die in Eddie vorging. Erst war er etwas abwesend, dann hörte er gespannt zu und zum Schluss konnte er es gar nicht fassen.
"Das gibt es doch gar nicht! Man kann doch nicht einfach so eine Fahrt mit dem Zweisitzer bekommen. Das machen die doch sonst nur mit irgendwelchen Superstars. Chris, das ist Wahnsinn!"
"Genau so ein Wahnsinn wie das Schwert, das du mir geschenkt hast. Damit sind wir quitt. Was hältst du davon, wenn wir die restliche Weihnachtsfeier ins Bett verlegen?"
"Das wollte ich dir schon lange vorschlagen. Und dann packe ich dich aus!"
