Hi Alex!
Danke für deinen lieben Kommentar-) Du hast ab jetzt noch genau 21 Kapitel bis die Stoy zuende ist. Und Chris wird nicht nur grübeln, sondern auch trainieren und kämpfen. Viel Spaß
Amandas Unterricht
Als Chris sich am nächsten Morgen nach dem Duschen im Spiegel betrachtete, da konnte er keine Veränderung gegenüber dem Mann auf den Fotos erkennen. Nichts, das ihn als Unsterblichen kennzeichnete.
Beim Rasieren schnitt er sich. Gerade genug, um einen Blutstropfen zu verursachen. Gespannt sah Chris zu, wie kleine Lichtzungen über diese Verletzung hinwegzuckten und diese dann verheilte.
Aber noch immer wies nichts auf seine Unsterblichkeit hin. Gar nichts.
Nach kurzem Überlegen ging er ins Schlafzimmer und suchte etwas. Es dauerte länger als er gedacht hatte. Doch dann hatte er es gefunden.
Energisch zog er die Kette über den Kopf.
Dann trat er wieder vor den Spiegel.
Der Kristall war nicht nur Glücksbringer, sondern für Chris war es auch ein Zeichen, das ihn jeden Tag daran erinnern sollte, dass er unsterblich war. Und somit für jeden eine Gefahr.
Wie er die nächsten Arbeitstage überlebte, wusste Chris nicht. Engin schien nicht zu merken, dass Chris keine wirklich persönlichen Gespräche mit ihm führte. Irgendwie schaffte Chris es jedes Mal, davon abzulenken. Dafür wurde er von den anderen Kollegen gehänselt, weil er von Amanda angefordert worden war.
Es war Mittwochmorgen fünf Uhr in der Früh und Chris war klar, dass er eigentlich erst um sieben Uhr los zu fahren brauchte. Aber er hatte bereits zwei Stunden trainiert und wusste nicht, wie er die restliche Zeit verbringen sollte. Er bezweifelte, dass Amanda sauer sein würde, wenn er zu früh da wäre, deswegen packte er seine Sachen und machte sich auf den Weg.
Um die Uhrzeit waren Frankfurts Strassen fast ausgestorben. Die ersten Berufstätigen würden sich wohl gegen halb sechs auf den Weg machen, aber da war Chris schon auf der Autobahn.
Kurz nach zehn stand er dann vor dem Hintereingang des Sanctuary. Im Gegensatz zu seinen letzten Besuchen fühlte er keinen Buzz. Aber er versuchte es trotzdem und klopfte. Vielleicht war Amanda am anderen Ende des Gebäudes. Chris hatte nämlich überhaupt keine Ahnung, bei welcher Entfernung die Alarmsirene in seinem Kopf ansprang.
Als der Hintereingang geöffnet wurde, hatte sich der Buzz immer noch nicht gemeldet und Chris blickte in das Gesicht eines Mannes.
Das ist ein Bulle oder Schlimmeres.
Nach einer kurzen Musterung gab Chris seiner kleinen Stimme recht. Sein Gegenüber war etwas größer, jünger und durchtrainiert. Und in seinen Augen hatte er den gewissen Ausdruck, der so typisch für einen Polizisten war.
Ein Räuspern brachte Chris wieder in die Gegenwart und erinnerte ihn daran, dass er ihn schon viel zu lang anstarrte.
"Guten Tag, ich bin Chris Schwenk und Amanda erwartet mich. Eigentlich jetzt noch nicht. Ich sollte erst um zwölf da sein, aber ich bin wesentlich besser durchgekommen, als ich erwartet hatte."
"Bert Myers, Amandas Partner. Kommen Sie rein. Amanda ist shoppen und ich weiß nicht genau, wann sie zurück kommt."
Myers ließ ihn rein und brachte ihn nach oben, in Amandas Zimmer.
"Ich muss noch einiges erledigen, deswegen müssen Sie alleine auf sie warten. Möchten Sie einen Kaffee?"
"Gerne. Wenn es geht schwarz und stark."
"Ich komm gleich noch mal vorbei. Machen Sie es sich solange bequem."
Damit verschwand er und Chris war alleine. Er hatte jetzt zum ersten Mal die Ruhe, sich in diesem Raum umzuschauen.
Besonders faszinierte ihn das Bücherregal, das eine komplette Wandseite einnahm. Er ging näher und versuchte, die Titel zu identifizieren. Aber es handelte sich hauptsächlich um französischsprachige Publikationen. Bis auf ein Regal. Dort standen sowohl diverse Computerliteratur als auch Bücher über Waffen. Englisch dominierte, aber es gab auch einige italienische, dänische und deutsche Bücher.
Chris blätterte gerade durch Wendelin Boeheims Handbuch der Waffenkunde, als Myers mit einer Thermoskanne zurück kam.
Dieser sah nur, dass Chris in den Büchern blätterte, und zog eine Augenbraue hoch.
"Wie ich sehe, haben Sie meinen Rat befolgt."
"Ja, habe ich, stört es Sie jetzt doch?"
Chris hütete sich, Myers zu zeigen, was er wirklich über ihn dachte. Schließlich würde er demnächst öfters hier sein und musste mit Amandas Partner klar kommen. Er schaffte es auch, seinen Gesichtsausdruck neutral zu halten.
"Solange Sie darauf verzichten, hier alles zu durchwühlen, werde ich der Letzte sein, der etwas sagt. Aber sollte ich Sie beim Schnüffeln erwischen, wird Sie auch Ihr Chef nicht rausholen können. Ich erkenne Bullen. Ich warne nicht zweimal."
"Ich bin nicht dienstlich hier. Also können Sie ganz beruhigt sein. Amanda kann von mir aus machen, was sie will, solange sie es nicht in meinem Revier macht. Für Sie gilt das gleiche."
"Dann sind wir uns einig."
Der Buzz ließ Chris leicht zusammenzucken, Amanda war also im Anmarsch. Myers hatte seine Reaktion mitbekommen, kommentierte diese aber nicht.
Als Amanda jedoch kurz darauf vorsichtig die Türe öffnete und ihre Hand griffbereit an ihrem Schwert im Mantel lag, da runzelte sich Myers Stirn. Er sagte aber nichts. Erst als Amanda ihre sprungbereite Haltung aufgab und Chris mit einer Umarmung begrüßte, da ging er.
Chris war dieses Verhalten nicht entgangen und warf Myers einen nachdenklichen Blick hinterher, begrüßte aber erst Amanda.
Diese schob ihn nach einer kurzen Umarmung wieder von sich und musterte ihn.
"Für einen Unsterblichen siehst du beschissen aus. Du hast mindestens fünf Kilogramm abgenommen. Komm, setz dich hin und erzähl mir alles."
Sie dirigierte ihn zum Sofa und nötigte Chris, sich hinzusetzen. Dann setzte sie sich zu ihm und nahm ihn in den Arm.
Eigentlich wollte Chris keinem erzählen, was wirklich in ihm vorging. Das ging schließlich niemanden etwas an. Und wer würde es schon verstehen?
Als er aber so da saß und von Amanda umarmt wurde, da wurde ihm klar, dass sie die einzige Person war, die ihn vielleicht verstehen könnte.
Amanda merkte wohl, dass er mit sich rang, und wartete einfach ab. Dann sprudelten die Worte aus Chris heraus. Er erzählte ihr alles. Besonders von Eddie. Sie hörte einfach nur zu, stellte ab und zu eine Frage oder gab einen passenden Kommentar ab. Dabei hielt sie ihn immer noch in der tröstenden Umarmung.
Nachdem Chris fertig war, merkte er, wie sehr es ihm geholfen hatte, einfach dadurch, dass sie seine Probleme verstand. Sie saßen noch einige Minuten schweigend zusammen.
Chris war der erste, der sich wieder rührte. Er stand auf und ging zum Tisch, wo die Thermoskanne und eine Tasse standen.
Er schüttete sich die Tasse voll, ging wieder zur Couch.
"Wann fangen wir mit dem Training an?"
Amanda schaute ihn von unten an.
"Du bist nicht leicht klein zu kriegen."
"Tja, wenn ich die nächsten Jahr überleben will, dann darf ich nicht allzu empfindlich sein."
"Willst du?"
"Ja, ich will, aber ob ich das mit dem Kopf abschlagen so hinbekomme…"
Ein Lächeln erschien auf Amandas Gesicht.
"Dafür bist du wirklich in der falschen Zeit geboren. Im Fernsehen ist es euch egal, wie viele getötet werden, aber wenn ihr selbst töten sollt… Bist du als Polizist noch nie in einer Situation gewesen, wo es ‚Er oder ich' gelautet hat?"
Chris setzte sich wieder neben Amanda und schlürfte den Kaffee.
"Doch, ein Mal. Es war eine absolut beschissene Situation. Er war mein Partner, stinkbesoffen und hatte einen Kollegen mit seiner Dienstwaffe bedroht. Als ich ihn mit der Waffe im Anschlag aufgefordert hatte, seine fallen zu lassen, da hat er sich umgedreht…"
Seine Nackenhaare richteten sich alleine bei der Erinnerung an diesen Vorfall auf.
"Und was ist passiert?"
"Engin hat die Situation geklärt und ich frage mich heute noch, ob ich es damals getan hätte."
"Engin ist doch dein Partner?"
"Ja, und er ist der beste Partner, den ich mir wünschen kann. Aber ich glaube, ich habe für heute wirklich schon genug erzählt. Können wir nicht endlich trainieren?"
Unruhig stand Chris auf. Seelenstriptease war wirklich nicht sein Ding. Er hielt Amanda seine Hand hin, damit sie auch aufstand.
Mit einem amüsierten Grinsen ließ sie sich hochziehen.
"Was hältst du davon, wenn ich dich nicht nur im Schwertkampf ausbilde, sondern dir auch noch all das beibringe, was ein Unsterblicher können muss?"
Amanda hatte Chris' Hand nicht losgelassen, als sie mit ihm zum Keller ging.
"Das hört sich nach einer ‚all inclusive'-Ausbildung an. Ich nehme mit, was immer ich kriegen kann. Dann lass uns anfangen, damit wir heute noch weiterkommen. Ich muss morgen früh um neun wieder los. Mein Chef erwartet um zwei einen Bericht. Apropos, hast du eigentlich neue Informationen?"
Sie waren auf der Treppe angelangt. Amanda blieb stehen und drehte sich zu ihm um.
"Das fällt dir aber früh ein. Es wäre interessant zu erfahren, was dein Chef sagen würde, wenn du ohne neues Material zurückkommen würdest."
"Er würde mir den Kopf abreißen."
"Na, dann habe ich noch etwas, nicht viel, aber interessant genug, um deinen Chef zu befriedigen."
"Dann bin ich ja beruhigt."
Wie Chris auf Amanda hinabschaute, die ihn mit diesem ironischen Lächeln musterte, da merkte er wieder einmal, dass sie alles war, nur nicht hässlich.
Noch sitzt der Schmerz zu tief… aber vielleicht in hundert Jahren. Ich habe ja alle Zeit der Welt.
Schweigend gingen sie in die Katakomben.
Das Training gestaltete sich für Chris erfreulicher, als er gedacht hatte, denn er hielt nicht nur wesentlich länger aus und lernte einige äußerst effektive Stiche, sondern auch Amanda zeigte erste Anzeichen von Erschöpfung, als Chris kapitulierte.
Dies bemerkte auch Amanda.
"Alle Achtung, du hast trainiert. Wie viele Stunden täglich?"
"Frag nicht. Immer wenn ich nachts nicht mehr schlafen konnte, habe ich angefangen; dann bin ich vor der Arbeit noch 'ne Stunde joggen gegangen und nach der Arbeit war ich im Kampfsportcenter und habe waffenlosen Kampf trainiert."
"Das kannst du so beibehalten und du bist in einem Jahr soweit fit, dass du reelle Chancen in einem Kampf hast, jedenfalls solange du keinen durchtrainierten Jäger erwischst."
"Für unsere Maßstäbe ist das ja richtig wenig. Kann es sein, dass du mir gerade ein Kompliment gemacht hast?"
"So etwas mache ich nicht, sonst bildest du dir noch was darauf ein. Aber du solltest zusehen, dass du wieder etwas zunimmst, sonst rächt sich dein Körper."
"Ja, ja, du hast ja Recht."
"Gut, Italienisch oder Chinesisch?"
Inzwischen waren sie wieder oben angekommen und Amanda reichte ihm die entsprechenden Werbezettel.
Chris studierte sie einen Moment.
"Kannst du mir das bitte übersetzten? Ich spreche kein Französisch und lesen kann ich es erst recht nicht."
"Was willst du denn?"
"Irgendetwas Italienisches, aber bitte ohne Ananas und auch kein doppelter Käse, dagegen habe ich eine Allergie."
Amanda warf Chris einen fragenden Blick zu, nahm dann aber das Telefon und bestellte. Chris schüttete sich noch einen Kaffee ein und ging zum Bücherregal. Bevor er aber ein weiteres Buch herausnehmen konnte, bekam er von Amanda einen Umschlag unter die Nase gehalten.
"Schau dir das mal an, ich wette, dass du es brauchen kannst. Die Pizza kommt in einer halben Stunde."
Neugierig machte Chris auf, konnte aber zuerst nicht erkennen, worum es sich handelte. Aber dann machte es klack.
"Ist es das, was ich glaube?"
"Keine Ahnung, was glaubst du denn?"
"Okay! Das hat irgend etwas mit der Lufthansa zu tun."
"Stimmt, es ist eine Miles More Kundenkarte, mit der du Flüge von Frankfurt nach Charles de Gaulle online buchen kannst. Die Abrechnung läuft über mein Konto. Es wäre nicht sinnvoll, wenn du mich immer nur aus dienstlichen Gründen besuchst. So viele Informationen, wie wir dann bräuchten, habe ich nicht."
"Und mein Chef wäre wirklich nicht glücklich, wenn ich jede Woche fehlen würde, und Engin wäre sauer auf mich. Da hast du schon Recht. Danke, aber wird das nicht sehr teuer?"
"Ich kann es mir leisten. Bahn fahren wäre teurer. Keine Gegenwehr, du nimmst es. Außerdem steht dann noch auf einem Dauerparkplatz ein kleiner Renault, mit dem du hierher fahren kannst. Und hier habe ich noch eine Kleinigkeit für dich."
Misstrauisch beäugte Chris das kleine weiße Etui, das ihm Amanda in die Finger drückte.
"Was ist das denn?"
"Mach es auf, dann siehst du es."
Chris ging zum Tisch, setzte sich und nestelte umständlich am Reißverschluss. Er kannte solche Dinger. Und wünschte, dass ihn wenigstens dieses eine Mal seine Ahnung trog. Aber sie tat es nicht.
Nageletuis für die modische Tunte von heute. Ich hasse so etwas.
"Und was soll ich damit?"
Der Tonfall war ein kleines Bisschen angesäuert. Amanda ignorierte dies aber.
"Schau es dir etwas genauer an. Es würde mich sehr wundern, wenn du so etwas schon mal gesehen hast. Denn es ist eine Spezialanfertigung."
Mit spitzen Fingern nahm Chris die Nagelschere heraus, dann die Nagelfeile. Und er verstand, was Amanda meinte.
"Amanda! Ich bin kein Dieb. Ich brauche kein Einbruchswerkzeug!"
"Stimmt, aber als Unsterblicher kommst du oft genug in Situationen, in denen du ausbrechen musst. Bis das Essen kommt, zeige ich dir, wie du damit umgehen musst. Selbst Duncan hat es inzwischen eingesehen und beherrscht die Grundlagen. Wir fangen mit einfachen Schlössern an. Und ich erwarte von dir, dass du es, genauso wie dein Schwert, immer bei dir hast."
Amandas Tonfall ließ keinen Widerspruch zu und Chris fügte sich.
tbc
