Methos

Um elf Uhr war Chris wieder auf der Arbeit. Sehr müde mit tausend Gedanken, die durch seinen Kopf schwirrten. Er musste erst einmal alles verdauen. Dabei lag auch noch der neueste Bericht aus Hamburg auf seinem Schreibtisch, den er durchgehen musste, bevor er fürs Wochenende Feierabend machen konnte.

Selbst der Kaffee half nicht viel.

Engin war nicht wirklich eine Hilfe. Sein anzügliches Grinsen und sein Kommentar "Ja, ja, ihr habt da eine Abmachung. Hast du Amandas Gepäck untersucht, bevor sie abgeflogen ist?" hatten Chris' Laune auf den absoluten Nullpunkt sinken lassen.

Er hatte Engin zu verstehen gegeben, dass Amandas kleiner Bruder gestorben war und sie bei ihm Trost gesucht hatte. Das hatte Engins Klappe gestopft und er hatte sich entschuldigt.

Jetzt hatte Chris den Bericht in den Fingern und sah nur einen Buchstabensalat.

Amanda war weg und er musste sich mit einem anderen Unsterblichen arrangieren.

Was empfinde ich eigentlich für Amanda?

Das einzige, was er sicher wusste, war, dass es keine Liebe war. Dieser Platz in seinem Herzen gehörte Eddie.

Aber was denn?

Er hatte in den letzten Monaten ihren Humor und ihre Schlagfertigkeit zu schätzen gelernt. Bei ihrem ersten Zusammentreffen hatte er schon festgestellt, dass sie einen fantastischen Körper hatte. Und dann war da noch die Tatsache, dass sie auch eine Unsterbliche war.

Dass sie miteinander geschlafen hatten, war schön gewesen, aber es würde sich nicht wiederholen.

Warum mache ich mir so viele Gedanken darüber? Das hat mich doch früher nicht interessiert.

Chris gestand sich ein, dass ihn die Zeit mit Eddie und seine eigene Unsterblichkeit mehr verändert hatte, als er gedacht hatte. Es hatte ihn nicht nur härter gemacht, sondern er hatte gelernt, seine Beweggründe zu hinterfragen.

" Was gibt's denn, dass du so grübelst? Bronski ist doch einer der wenigen, der verständliche Berichte schreibt ."

Chris schrak hoch und blickte Engin an. Dann sah er noch einmal auf die Blätter in seinen Händen.

"Tut mir leid, ich war mit meinen Gedanken woanders. Weißt du, ich habe Amanda noch nie so verletzlich gesehen wie gestern. Und ich konnte ihr nicht wirklich helfen."

Was das Manipulieren von Menschen anging, war er auch besser geworden. Inzwischen wusste er fast immer, was er anderen sagen musste, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen und von dem eigentlichen Problem abzulenken.

Auch Engin war jetzt mit dieser Erklärung zufrieden und widmete sich wieder seinen Unterlagen.

Und Chris riss sich zusammen, entschied weiterzuarbeiten und erst im Flugzeug weiterzugrübeln und las den Bericht.

Bronski Bericht war nicht nur in einem vernünftigen und sogar halbwegs verständlichen Deutsch geschrieben, sondern er hatte sogar seine eigenen Vermutungen hinzugefügt.

Diese deckten sich mit Chris' Überlegungen. Eine Dienstreise nach Hamburg wurde wahrscheinlich. Und der Containerterminal immer interessanter.

Als Chris mit dem Bericht durch war und auch sonst alle aktuellen Aufgaben abgearbeitet hatte, war es später Nachmittag. Engin hatte sich schon verabschiedet, da er mal wieder ein Date hatte. Das Thema Claudia war bei ihm seit drei Tagen durch. Dafür saßen Mike und Carola noch vor ihren Berichten und Chris wollte sich ihnen anschließen, wenn sie Feierabend machten. Er wollte immer noch nicht das Risiko eingehen, alleine unterwegs zu sein.

Er hatte Mike gebeten, dass er sich meldete, wenn sie gingen. Bis dahin wollte Chris herausfinden, wie alt Amanda wirklich war. Es hatte zwar einiges an Überzeugungskraft gekostet, aber inzwischen stand bei ihnen im Büro ein Computer, der nicht ans interne Netzwerk angeschlossen war und sogar einen Internetzugang hatte.

Als er bei Google den Namen ‚Ludwig der Fromme' eintippte und das erste Ergebnis las, da glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu können. Fieberhaft suchte er nun nach Papst Georg IV. Aber da wehrte sich Google. Was musste es auch so viele Könige geben, die alle so hießen. Und besonders ein englische König tauchte besonders oft auf. Noch nicht einmal die Seite des Vatikans hatte vernünftige Informationen. Endlich fand er eine Zeitleiste aller Päpste und diese bestätigte sein erstes Ergebnis.

Wenn Amanda ihn nicht angelogen hatte, dann war sie über tausend Jahre alt. Schockiert lehnte Chris sich zurück. Er konnte es nicht begründen, aber in diesem Moment wusste er, dass Amanda die Wahrheit gesagt hatte.

Bisher hatte Chris nicht wirklich darüber nachgedacht, ob es wirklich möglich war, so alt zu werden. Aber dies erklärte auch, warum sie in der letzten Nacht so fertig gewesen war. Amanda sah seit tausend Jahren, wie ihre Freunde starben. Für Chris eine absolut grauenhafte Vorstellung.

"Chris, wir sind fertig. Kommst du?"

Mike steckte seinen Kopf durch die Tür und riss Chris aus seiner Erstarrung.

"Sofort! Ich fahre noch den Computer runter und bin dann bei euch."

"Beeil' dich, wir sind spät dran. Klaus spielt heute Nachmittag für Carolas Kleinen den Babysitter und wenn wir sehr spät dran sind, dann verschwören sie sich gegen uns."

"Ist Thorsten nicht sonst immer bei seiner Großmutter?"

"Doch, aber wenn er nur den Hauch einer Chance sieht, dann muss Klaus dran glauben. Er macht es ja gerne. Sie wollten heute zu einem Abenteuerspielplatz und werden hoffentlich unsere Verspätung nutzen und noch unter die Dusche gehen."

In Chris' Kopf spukte immer noch die Erinnerung an sein erstes Zusammentreffen mit Klaus. Er war damals ein steifer Banker gewesen. Dank Mike hatte Klaus diese Maske inzwischen fallen gelassen und zeigte immer öfter, dass er ein sehr liebenswerter Kerl war. Auch wenn sie keine wirkliche Freundschaft verband, Chris war ihm immer noch sehr dankbar, wie er sich um Eddie gekümmert hatte.

"Da kommt das Kind im Manne wieder raus."

Währenddessen hatte Chris seinen Computer runter gefahren und seinen Kram zusammengepackt.

"So, ich bin startbereit. Wir können. Was habt ihr dieses Wochenende vor?"

"Bei dem Wetter? Wir werden wahrscheinlich mit Carola und dem Lütten ein Spaßbad heimsuchen und braungebrannt zurückkommen. Fliegst du wieder nach Paris?"

"Klar, mein Flieger geht wie üblich um kurz vor zehn."

Inzwischen waren sie im Flur und gingen zusammen mit Carola zum Treppenhaus.

"Sach mal, es gehen Gerüchte rum, dass Amanda gestern hier war. Stimmt das?"

Die Welt ist klein und Engin konnte mal wieder seine Klappe nicht halten.

"Ja, ihr kleiner Bruder ist gestorben und sie brauchte Trost. Gibt es ein Problem damit?"

Mike druckste herum, bis es Carol zu bunt wurde und weiterredete.

"Wir haben kein Problem, aber einige Hamburger Kollegen bestimmt."

"Was soll sie denn angestellt haben?"

"Letzten Winter ist in Tötensen eine Villa ausgeraubt worden. Der Besitzer hatte in seinem Tresor auch wertvollen Schmuck aus dem letzten Jahrhundert aufbewahrt. Und der ist letztens bei einem Hehler in Frankreich aufgetaucht. Einige weitere Spuren führen auch zu deiner Freundin. Eigentlich haben die genügend Beweise für eine Hausdurchsuchung, aber die Franzosen weigern sich. Verschanzen sich hinter zuviel Arbeit und ähnlichem."

Myers ist schon praktisch. Möchte nicht wissen, was der wirklich macht.

"Gibt es denn einen offiziellen Haftbefehl oder steht sie auf irgendeiner Fahndungsliste?"

"Nein!", antworte Carola und Mike ergänzte.

"Aber einer der Jungs hat in seinem Sommerurlaub privat ermittelt. Er hatte die Schnauze voll, dass seine Abteilung durch diese Sache in Deutschland eine so schlechte Presse bekommen hatte. Und letztes Wochenende hat er noch einmal einen Trip nach Paris gemacht. Dort hat er dich dann zusammen mit Amanda beim Verlassen des ‚Sanctuary' gesehen. Wie er deinen Namen rausbekommen hat, ist mir ein Rätsel. Und warum er ausgerechnet mir eine Mail geschickt hat und um nähere Informationen gebeten hat, weiß ich auch nicht. Was soll ich ihm jetzt sagen? Die gute Dame war in Deutschland und keiner hat sich um sie gekümmert."

Im Treppenhaus war es um diese Uhrzeit ziemlich ruhig, so dass niemand ihr Gespräch mitbekam.

"Sag ihnen einfach die Wahrheit. Sie hält mich aus und deswegen kann ich jedes Wochenende nach Paris fliegen. Sie ist wohl der Meinung, dass meine Qualitäten im Bett einfach nur gigantisch sind. Gestern..."

Es war nicht einfach für Chris, eine vernünftige Halbwahrheit zu finden, denn er hatte irgendwie das Gefühl, dass Mike ihm den toten Bruder nicht abnehmen würde. Deswegen entschloss er sich, gar nichts zu sagen.

„Das war eine Ausnahme, sie kommt nicht mehr nach Deutschland. Es wäre nett, wenn du das verschweigen könntest. Denn wenn ich in Frankreich bin, habe ich keine rechtliche Handhabe. Da müssen sich schon die französischen Kollegen um Amanda kümmern und du bist aus dem Schneider."

Carola hatte nach Chris' Kommentar über seine Qualitäten ein dickes Grinsen im Gesicht. Schwungvoll stieß sie die Türe zum Parkhaus auf.

Mike dagegen war mal wieder von seinem Ex-Partner genervt.

"Verdammt, Chris! Immer wenn ich glaube, dich zu kennen, zeigst du wieder eine neue Seite. Wie soll ich dich jemals einschätzen können?"

"Gar nicht, dann bleibt dein Leben auch immer aufregend. Schönes Wochenende und viel Spaß im Freibad!"

Chris war bei seinem Wagen angekommen, winkte den beiden noch einmal zu, stieg ein und fuhr los.

Es tat ihm zwar leid, Mike so stehen zu lassen, aber was sollte er anderes machen? Die Wahrheit konnte er ihm nun mal nicht erzählen. Gedanklich hakte er diesen Vorfall sofort wieder ab. Mike kannte ihn lange genug und würde nicht sauer sein. Hoffentlich. Ihr Verhältnis hatte sich gerade erst wieder einigermaßen eingerenkt.

Auf dem Flug grübelte Chris doch nicht über Amanda, sondern seine Gedanken kreisten nur um eins: seinen geheimnisvollen neuen Lehrer. Das, was Amanda über ihn erzählt hatte, klang nicht wirklich gut. Wenn Amanda schon behauptete, dass er keine Moralvorstellungen hatte, dann musste er mindestens ein Massenmörder sein. Aber Amanda kannte Chris und würde ihm so etwas niemals zumuten.

Verdammt, warum musste sie jetzt verschwinden? Konnte sie sich nicht einen anderen Zeitpunkt aussuchen?

Aber Chris wusste auch, dass es nie einen guten Zeitpunkt geben würde. Und wenn der andere wirklich so gut war, dass er irgendwann eine Chance gegen Bechthold hatte, warum sollte er dann das Training sausen lassen?

Kurz vor der Landung beschloss Chris, das Training auf sich zu kommen zu lassen.

Und Ruhe zu bewahren. Denn wenn er wirklich schlimmer ist als ich…

Chris war selbstkritisch genug, um zu wissen, dass er einen Hang dazu hatte, das Alphamännchen herauszukehren. Aber bei diesem Adam Pierson durfte es nicht passieren. Denn er konnte es sich wirklich nicht leisten, noch einen Lehrer zu verlieren.

21. August 2004, Paris

Samstagnachmittag war ein weit gesteckter Begriff. Nun war es fast sechs und Chris' neuer Lehrer war immer noch nicht da.

Vor lauter Nervosität hatte Chris schon fast den Teppichboden durchgelaufen. Da er weder eine Adresse noch eine Telefonnummer hatte, konnte er sich noch nicht mal bei diesem Adam melden.

Er war schon in Versuchung gewesen, bei Vincent anzurufen und ihm unter der Hand um eine Information zu bitten, hatte aber, nachdem er die ersten Nummern gewählt hatte, wieder aufgelegt. Das konnte er immer noch machen, wenn Mr. Pierson auch am Sonntag nicht auftauchen würde.

Dann fühlte er endlich den Buzz in seinem Kopf. Er lief aber nicht die Treppe runter, um zu öffnen, sondern wartete, bis der Unsterbliche klingelte. Dann ging er zur Hintertür und machte auf.

Sein Schwert hatte er bewusst oben liegen gelassen. Das ‚Sanctuary' war Heiliger Boden und für eine gute Zusammenarbeit war der erste Eindruck sehr wichtig.

"Hallo! Ich bin Chris Schwenk! Wer sind Sie?"

Chris hoffte, dass sich sein deutscher Akzent durch den Kontakt mit Amanda etwas abgeschwächt hatte. Scheinbar nicht, denn der andere schmunzelte.

So schlimm kann er gar nicht sein.

"Adam Pierson. Amanda hat Ihnen keine Beschreibung von mir gegeben?"

Chris trat einen Schritt zur Seite, um Adam reinzulassen, und nutzte den Moment, um ihn zu mustern.

Er war etwas größer als er selbst, hatte dunkle Haare, hellen Teint und wirkte eher unauffällig. Ganz anders als Amanda, nach der sich jeder Mann umdrehte.

"Da kennen Sie Amanda schlecht. Sie hat mir Ihren Namen gegeben, gesagt, dass Sie heute Nachmittag vorbeikommen würden. Dann hat sie winke winke gemacht und ist in ihren Flieger gestiegen."

Adam lachte.

"Ja, das ist typisch für sie. Sie liebt es, anderen Rätsel aufzugeben. Was glauben Sie, was Sie mir erzählt hat?"

"Wenn Sie so darauf anspielen, würde ich wetten, dass Amanda bei Ihnen angerufen hat, gesagt hat, dass Sie ihr noch einen Gefallen schulden und dass Sie deswegen ab sofort mein neuer Lehrer sind."

"Genau so war es. Wenn sie nicht so göttlich im Bett wäre, dann würde ich diese Frau hassen."

Von wegen, so kriegst du mich nicht.

"Gut möglich. Wollen Sie noch einen Kaffee oder sollen wir direkt mit dem Training anfangen?"

"Kaffee ist nicht schlecht. Aber Sie leben doch sonst in Deutschland?"

"Ja, wieso?"

"Dann können Sie mir doch als ‚Bezahlung' fürs Training deutsches Bier mitbringen. So schön Paris auch ist, das Bier ist einfach nur grauenhaft."

Chris schüttelte den Kopf.

Was für einen Vogel hatte Amanda da aufgegabelt?

Aber wenn er etwas lernen konnte, dann würde er es in Kauf nehmen.

Inzwischen waren sie in der Küche angekommen und Chris schüttete den Kaffee auf.

"Ich fliege immer hier hin. Deswegen glaube ich nicht, dass ich viele Flaschen mitnehmen kann, aber ich werde mich erkundigen."

"Es reicht, wenn Sie jedes Wochenende einen Kasten als Handgepäck mitbringen. Ich bevorzuge Pils."

Chris kam gar nicht aus dem Kopfschütteln raus. In der Zwischenzeit stellte er zwei Tassen, Zucker und Milch auf den Tisch. Adam hatte es sich schon auf einem Stuhl bequem gemacht und musterte Chris.

"Da Amanda mir nichts erzählt hat... Wie lange sind Sie bereits unsterblich und seit wann bekommen Sie von Amanda Unterricht?"

Chris setzte sich Adam gegenüber und überlegte, was er antworten sollte.

"Amanda hat mir wärmstens empfohlen, niemandem zu erzählen, dass ich vor etwa einem Jahr gestorben bin und erst seit einem halben Jahr von ihr unterrichtet werde. Aber da ich Ihnen ohnehin vertrauen muss, dass Sie mir nicht beim Training einfach so den Kopf abschlagen, muss ich das Risiko wohl eingehen."

"Ich bringe Amanda um!"

Gleichzeitig krachte Adams Faust auf den Tisch.

Alarmiert sah Chris Adam an. Was hatte er Falsches gesagt?

Adam hatte diesen Blick bemerkt.

"Sie können nichts dafür. Aber Amanda weiß ganz genau, dass ich ungeeignet bin, Frischlinge zu unterrichten. Dafür haben weder Sie noch ich die Nerven. Das geht einfach nur schief! Diese verdammte Hexe! Mann, und ich habe gedacht, dass MacLeod auf sie abgefärbt hätte. Dieses Miststück!"

Verdammt! Das ist gar nicht gut. Ich brauche einen Lehrer.

Da Adam inzwischen aufgestanden war und unruhig hin und her lief, rückte Chris ein Stück zur Seite, um Platz zu machen. Denn inzwischen wirkte Adam nicht mehr halb so harmlos und seltsam wie noch vor wenigen Minuten. Adam erweckte den Eindruck eines sehr gereizten Raubtiers.

Dann sah Chris, dass der Kaffee durch war. Froh, eine Beschäftigung zu haben, stand er auf, holte die Kanne und füllte die Tassen. Eine drückte er Adam in die Hand, der darauf seine Wanderung unterbrach und sich wieder hinsetzte.

Während Adam nach und nach seine Tasse leerte, rührte Chris mit seinem Löffel den Kaffee kalt.

Wie kann ich ihn überzeugen?

Das Schweigen dauerte fast eine Ewigkeit und Chris hatte Angst, seine einzige Chance ungenutzt vergehen zu lassen. Dann schluckte er seinen Stolz runter.

Wenn es sein muss, rutsch' ich auf den Knien und bettele.

"Können wir es nicht so machen, dass wir heute probeweise trainieren? Wenn wir nicht miteinander klar kommen, muss ich eine andere Lösung suchen. Bitte, ich brauche das Training. Anders habe ich doch in dieser Welt keine Chance."

Adams einzige Reaktion war, dass er ihn musterte. Chris hatte unter diesem kalten, abschätzenden Blick das Gefühl, zu Eis zu erstarren. Aber er ließ sich nicht einschüchtern und erwiderte diesen Blick. Dann fällte Adam sein Urteil.

"Mut haben Sie ja. Und da Sie anscheinend nicht der Typ sind, der bei dem ersten Problem aufgibt, werde ich Ihnen eine Chance geben. Aber ich warne Sie. Wenn Sie gedacht haben, dass Amanda eine harte Hand im Unterricht hat, dann werden Sie feststellen, dass mein Stil grausam ist. Genau so wie das Leben. Und jetzt holen Sie Ihr Schwert, damit wir anfangen können. Ich habe nicht viel Geduld."

Oh mein Gott, was hat Amanda mir da aufgehalst?

Allein wie Adam die letzten Sätze sprach, ließ Chris eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Er fragte sich, was Amanda mit der Beschreibung, dass Adam auf seiner eigenen Seite stehen würde und keine Moralvorstellungen hätte, alles verschwiegen hatte. Doch er sah ein, dass er nicht mehr in der Position war, Fragen zu stellen. Sonst würde Adam es sich noch anders überlegen und ihn im Stich lassen.

Während er diese Gedanken verfolgte, hastete Chris die Stufen zu seinem Zimmer hoch und holte das Schwert. Zwei Minuten später stand er wieder vor Adam. Der streckte nur fordernd die Hand aus und Chris reichte ihm kommentarlos seine Waffe.

Adam warf nur einen Blick auf die Klinge und gab sie Chris zurück.

"Ist das dein Schwert?"

"Nein, Amanda hat es mir zur Verfügung gestellt, da es unmöglich ist, mein Schwert ständig durch die Kontrollen zu bekommen. Es ist meinem ähnlich genug, um effektiv zu trainieren."

"Wo übt ihr immer?"

"Es gibt in den Katakomben eine große, gut ausgeleuchtete Halle, wo wir unbeobachtet sind und genügend Platz haben."

"Gut, dann zeig' mir den Weg."

Bei Amanda hatte Chris immer das Gefühl gehabt, bis zu einem gewissen Grad gleichberechtigt zu sein, aber Adam war da ganz anders.

Falls er mich länger trainiert, garantiere ich für nichts. Hoffentlich kann ich mich lange genug zusammenreißen. Verdammt, konnte sie keinen netten Unsterblichen finden, der als Lehrer in Frage kommt? Stattdessen muss ich an so einen Arsch geraten.

Keiner sprach ein Wort, während Chris Adam zu den Katakomben führte.

Im Gewölbe angekommen stieß Adam einen anerkennenden Pfiff aus.

"Nett habt ihr es hier. Dann schauen wir mal, wie gut du bist."

Chris konnte gerade noch einen Schritt zur Seite weichen, sonst wäre er von seinem Lehrer aufgespießt worden.

Die nächsten Minuten verbrachte Chris mehr oder weniger auf der Flucht vor Adams Angriffen. Sie waren präzise und unheimlich schnell, viel schneller und kraftvoller als Amanda jemals war.

Keine Chance, die Stellung zu halten oder gar selbst anzugreifen. Dafür dankte er Gott, dass er waffenlosen Kampf trainierte, denn einem Teil der Angriffe konnte er nur durch Ausweichbewegungen, die er dort gelernt hatte, entgehen.

Hatte Chris bisher gedacht, inzwischen ganz gut zu sein, zerplatzte dieser Gedanke wie eine Seifenblase. Schließlich stand er in einer Ecke mit dem Rücken zur Wand und Adams Klinge war an seiner Kehle.

Dann senkte dieser die Klinge und trat einen Schritt zurück.

"Nicht schlecht fürs Aufwärmtraining. Jetzt schauen wir mal, wie gut du sonst noch bist."

Aufwärmtraining? Ich bin doch jetzt schon fix und fertig.

Aber Adam meinte dies nicht als Scherz, denn er ging wieder in die Mitte und zog dort seinen Pullover aus, den er achtlos in eine Ecke warf.

Gott, ist der Typ heiß! Verdammt, Eddie hat mich endgültig versaut.

Jetzt trug Adam nur noch ein enganliegendes T-Shirt. Es betonte seine durchtrainierte Figur.

Er schien Chris' Starren zu bemerken, denn er warf ihm einen herausfordernden Blick zu.

"Komm her und greif' mich an, wenn du dich traust. Wenn du mich besiegst, gehört alles dir!"

Diese Stimme trieb Chris noch in den Wahnsinn, war sie eben noch hart und bestimmend, so war sie jetzt weich und verlockend, mit einem Timbre, das Chris einen Schauer über den Rücken laufen ließ.

Vergiss es, da spiel' ich nicht mit. Du bist heiß, aber ich will nicht. Das gehört Eddie.

"Und wenn du mich besiegst?"

"Rate mal! Und jetzt greif' mich an!"

Worauf hatte er sich bei diesem Mann bloß eingelassen?

Vorsichtig umkreiste Chris seinen Gegner. Das war definitiv kein Training mehr, denn er war nicht bereit, auf Adams Spiel einzugehen.

"Und wenn ich nicht will?"

Das raue Lachen erzeugte bei Chris wieder einen Schauder, nur war dieser eindeutig nicht angenehm.

"Wenn ich gewinne, dann gehörst du mir. Also kämpfe, damit es nicht passiert. Komm schon. Und sag jetzt nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte."

Jetzt bloß keine Panik. Atme ruhig weiter. Irgendwie kommst du da schon wieder raus.

Aber einfach würde es nicht sein. Denn um zum Ausgang zu gelangen, musste Chris an Adam vorbei. Und dieser erwartete ihn schon.

Er stand dort in lockerer Abwehrhaltung, sein Schwert war gesenkt, sein Blick verhieß, dass er nicht bereit war, auch nur einen Zentimeter zurück zu weichen.

"Verdammt, ich habe keine Lust, um diesen Einsatz zu kämpfen, denn ich weiß, dass du besser bist."

"Dann ändern wir die Regeln. Wenn du es schaffst, mich zu verletzen, dann kannst du entscheiden, was wir die restliche Nacht machen. Ganz egal, in welchem Zustand du bist. Schaffst du es nicht, dann gehörst du diese Nacht mir. Was hältst du davon?"

"Überhaupt nichts. Ich habe keine Lust auf solche Spielchen. Ich will trainieren und sonst nichts."

"Aber ich habe Lust darauf. Und wenn du mich nicht verletzt, dann werde ich meinen Siegespreis einfordern. Ich kenne da einige Sachen, die dir auch gefallen werden. Wart's nur ab. Und falls du noch Jungfrau sein solltest, dann werde ich es um so mehr genießen."

Das ist ein Psychopath! Ich will hier raus!

"Du dreckiger Mistkerl!"

"Tja, ich hatte dich gewarnt! Aber du wolltest ja nicht hören. Jetzt musst du da durch. Aber du kannst sicher sein, dass du es überlebst und morgen weder Narben noch sonst irgendeinen physischen Folgeschaden haben wirst. Unsterblichkeit hat seine Vorteile. Findest du nicht?"

Während dieser kleinen Rede bewegte sich Adam auf Chris zu. Langsam, aber mit der tödlichen Eleganz einer Raubkatze.

Chris' Versuch auszuweichen, war vergeblich, denn Adam schien seine Bewegungen vorherzusehen und kam ihm immer näher. Chris kam der Gedanke, das Schwert einfach fallenzulassen und wegzulaufen. Aber der Ausdruck in Adams Augen warnte ihn davor. Er würde das nicht durchgehen lassen. Und wenn er noch nicht einmal kämpfte… Chris wagte nicht, daran zu denken, was dann in der Nacht auf ihn zukommen würde.

Es gab nur eine Möglichkeit, ihm zu entkommen.

Chris griff an. Mit all seiner Kraft und allen Tricks, die er bei Amanda gelernt hatte. Er verließ sich nicht nur auf das Schwert, sondern versuchte, Adam mit Tritten, die er im Kampfsport gelernt hatte, in Bedrängnis zu bringen.

Und das Wunder geschah...

... beinahe, denn Adam wehrte seine Schläge und Stiche einfach nur ab und wich zurück. Auch einem gemeinen Tritt, der auf seine Weichteile zielte, entging er, indem er mit einer gleitenden Bewegung zur Seite wich. In Adams Abwehr gab es einfach keine Lücke, bot Chris keine Chance, ihn zu verletzen.

Dann hatte Chris ihn mit seinem kraftvollen Angriff schon fast durch den ganzen Raum getrieben. Er machte nur den Fehler, zum Ausgang zu blicken, als er versuchte, Adams Deckung mit einem Angriff auf dessen Beine zu durchbrechen. Und diesen Augenblick nutzte Adam.

Statt zurückzuweichen oder den Schlag mit seinem Schwert zu parieren, sprang er vor. Gleichzeitig ließ er sein Schwert fallen und stützte sich mit seinen Armen auf Chris' Brust ab. Überrascht von dieser Abwehr taumelte Chris einige Schritte zurück. Direkt gegen die Wand. Adam nutzte diese Chance und blockierte ihn, so dass er sich nicht rühren konnte.

"Willst du schon einen Vorgeschmack auf unsere Nacht bekommen?", flüsterte eine Stimme in Chris' Ohr. Dann fühlte er eine tastende Hand an seinem rechten Oberschenkel, die langsam nach oben wanderte.

Nein! Ich will das nicht!

Aber Adam kannte keine Gnade. Die Finger tasteten sich an Chris' Seite nach oben bis zu seinem Hals. Dann wanderte die Hand wieder nach unten. Am Bund angekommen verharrte sie einen Augenblick und dann wurde Chris' Hemd mit einem Ruck aus der Hose gezogen. Und Adam setzte seine Erkundung auf seiner Haut fort.

Chris hatte die Augen geschlossen und die Zähne fest zusammengepresst. Sein linker Arm wurde von Adams rechtem festgehalten und sein Schwertarm war zwischen der Mauer und seinem eigenen Körper eingeklemmt. Und Adam presste ihn mit so viel Kraft gegen die Wand, dass keine Chance bestand, diesen Zustand zu ändern.

Die Demütigung war vollkommen, als Chris spürte, wie Adams Zähne an seinem Hals knabberten. Er fühlte sich wie in einem seiner schlimmsten Albträume, aber hier bestand keine Chance aufzuwachen.

Eine Träne löste sich aus seinem Auge. Und Adam bekam es mit. Seine Hand hörte auf, seinen Oberkörper zu erkunden, dann wischte ein Finger ganz vorsichtig, fast schon zärtlich den Tropfen weg. Doch die Stimme an seinem Ohr sagte etwas ganz anderes.

"Ts, eben hattest du noch so viel Mut. Und jetzt? Ich werde diese Nacht noch viel Freude an dir haben."

Chris bezweifelte, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhen würde. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg. Doch noch gab es keinen. Er konnte nur hoffen, dass Adam irgendwann einen Fehler machen würde. Aber den würde er nicht machen, wenn er sich verhielt wie die Haselmaus im Angesicht der Schlange. Deswegen beschloss er mitzumachen.

Es ist Zeit, den Habicht loszulassen.

"Vielleicht habe ich dich gewinnen lassen, weil ich es wollte?"

Er benutzte genau den Tonfall, der Eddie immer so angemacht hatte. Und auch auf Adam schien er seine Wirkung zu haben. So eng, wie sie aneinandergepresst waren, konnte Chris es ganz genau spüren. Deswegen legte er nach.

"Es hört sich zwar verrückt an, aber ich habe schon einmal von so einer Situation geträumt."

Es war mein schlimmster Albtraum.

"Ich habe nie zu hoffen gewagt, dass mir das wirklich passieren würde."

Versuchsweise bewegte er sein Becken.

Hoffentlich nimmt er mir das ab. Komm schon, Junge, denk an irgendetwas Erotisches! Wenn ich keinen hoch kriege, flieg' ich auf.

Seit Chris beschlossen hatte, nicht mehr das wehrlose Opfer zu sein, hatte er keine Zeit mehr, über seine Ängste nachzudenken. Er wartete nur auf eine falsche Bewegung von Adam, um sich zu befreien.

Aber auf Adams Fehler zu warten und gleichzeitig einen hoch zu kriegen, war für Chris ein fast unmögliches Unterfangen, bis er an jene abgefahrene Szene mit Amanda im Leichenhaus dachte, die seiner jetzigen Situation so ähnlich war. Da klappte es.

Auch Adam blieb es nicht verborgen.

"Hmmm, das fühlt sich gut an. Willst du wissen, was ich nachher mit dir machen werde?"

Ich weiß, was ich nachher mit dir machen werde!

"Nachher? Nein, ich will, dass du es hier und jetzt machst. Ich will dich jetzt spüren."

Um seine Aussage zu bekräftigen, rieb sich Chris an Adam, soweit es seine Position zuließ. Es war eher die Andeutung einer Bewegung, aber sie erreichte ihren Zweck.

"Gott, langsam versteh' ich, was Amanda an dir findet."

Ja, dass ich nicht aufgebe und so ein verdammter Arsch, wie du es bist, mich nicht unterkriegt.

"Morgen früh wirst du es noch viel mehr verstehen."

Chris' Stimme war nur ein Hauch.

"Bist du dir sicher?"

"Sehr sicher."

Dann war sein linker Arm frei. Es reichte noch nicht, um sich zu befreien, aber es war ein Anfang.

Vorsichtig, um Adam nicht auf dumme Gedanken zu bringen, legte er ihn auf dessen Schulter und massierte mit seinen Fingerspitzen den Haaransatz.

Ein wohliges Seufzen war die Antwort. Adams Mund, der sich bisher nur mit seinem Ohr und dem Halsansatz beschäftigt hatte, ging auf Wanderschaft. Mit vielen kleinen Küssen und noch mehr leichten Bissen bahnte er sich seinen Weg zu Chris' Mund.

Auch die Hände waren nicht untätig und stimulierten seinen Oberkörper.

Dann fanden sich ihre Lippen und Chris öffnete bereitwillig den Mund.

Mein Gott, kann der küssen!

Als sich ihre Lippen voneinander lösten, rang Chris nach Luft.

Adam löste sich ein wenig von Chris, so dass er sich bewegen konnte und auch seine eingeklemmte Hand frei bekam. Leider war diese inzwischen eingeschlafen und er hatte kein Gefühl mehr in ihr. Sein Schwert fiel klirrend zu Boden. Adam schien diese Geste anders zu interpretieren und ließ Chris noch mehr Spielraum.

Die Versuchung, jetzt zuzuschlagen, war groß. Aber Chris befürchtete, dass genau das beabsichtigt war. Außerdem musste er erst wieder seine Hand unter Kontrolle bekommen, bevor er eine Chance hatte. Da keine unmittelbare Gefahr bestand, beschloss er, noch einen Moment zu warten.

Er zog Adam an sich und erkundete seinen Mund. So verkorkst die Situation auch war- Chris gestand sich ein, dass es vielleicht genau daran lag - es war unheimlich erregend.

Aber ich will nicht. Du gewinnst nicht.

Chris ließ zu, dass Adam sein Hemd aufknöpfte und es von seinen Schultern schob. Er selbst hatte inzwischen Adams T-Shirt aus der Hose gezogen und erkundete darunter dessen Oberkörper. Dabei merkte er, dass er wieder Gefühl in seiner rechten Hand hatte.

Verlier' bloß nicht die Nerven, warte ab, sonst wird diese Nacht zur Hölle auf Erden.

Komm Junge, lehn dich an mich. Jaa, spreiz' deine Beine, lass zu, dass ich meins in deinen Schritt schiebe und dich mit meinem Reiben anmache. Jaa, küss mich.

Aber DAS gefällt dir garantiert nicht.

Chris rammte mit voller Wucht sein Knie in Adams Genitalien. Doch der erwünschte Effekt war nicht halb so stark, wie Chris erhofft hatte. Zwar krümmte sich Adam, aber mit dieser Bewegung beugte er sich auch zu seinem Schwert und holte es zurück.

Auch Chris hatte sich in der Zwischenzeit seine Waffe aufgehoben und sein Hemd hochgeschoben.

Dann ging er wieder zum Angriff über. Wenn er überhaupt eine Chance haben sollte, dann jetzt, wo Adam noch mit den Auswirkungen seiner Attacke zu kämpfen hatte.

So schnell er sich auch bewegte, der andere war schneller. Chris sah das Schwert, das in seinem Bauch steckte, bevor er den Schmerz spürte. Dann wurde die Klinge zurückgezogen und das Blut sprudelte hervor.

Gott, diese Schmerzen.

Chris presste seine Hände gegen den Bauch, um die Blutung zu stillen. Vergeblich.

"Tja Kleiner. An deiner Stelle würde ich versuchen, mich anzugreifen. Der Stich ist zwar tödlich, nur dauert das noch ein kleines Bisschen, bis du tot bist. Aber wenn du wirklich gut wärst, dann würdest du die Schmerzen ignorieren und mich angreifen. Na komm, mach schon! Das ist eine Lektion, die dir Amanda bestimmt noch nicht beigebracht hat."

"Nein, das hat sie nicht...", presste Chris hervor.

Er überwand sich, nahm seine Hände von der Wunde, griff sich das Schwert und torkelte einige Schritte auf Adam zu. Doch dann verließ ihn seine Kraft und der Schmerz übermannte ihn. Er brach zusammen und krümmte sich auf dem Boden.

Lass mich sterben, damit diese Schmerzen aufhören.

Das Letzte, was er mitbekam, war Adam, der sich zu ihm runterbeugte. Dann hob er seine Hand und Chris sah, dass er eine Pistole hielt. Er hörte noch den dumpfen Widerhall des Schusses und dann wurde es dunkel.

Das Erwachen war schmerzhaft. Am schlimmsten war das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Bei dem Versuch zu atmen bekam Chris einen Hustenanfall und er hustete geronnenes Blut aus seiner Lunge. Er spürte Hände, die ihn abstützten und ihm in eine sitzende Position halfen.

Irgendwann war es vorbei und er konnte ohne Probleme Luft holen. Er spürte nur noch, dass sein ganzer Körper weh tat.

Die Hände ließen ihn los. Chris konnte sich aus eigener Kraft aufrecht halten.

Er zitterte am ganzen Körper. Das war nicht nur eine Folge des Hustenanfalls, sondern ihm war schrecklich kalt. Kälter als jemals zuvor in seinem Leben.

Er bemerkte, dass er nicht mehr im Gewölbe in den Katakomben war, sondern in seinem Bett.

Was ist passiert?

Dann fiel sein Blick auf Adam. Er saß auf einem Stuhl neben seinem Bett und beobachte ihn. Ein Buch lag auf seinem Schoß und auf dem Nachttisch stand eine Flasche Bier. Daneben stand noch ein Glas, das Adam nahm und ihm reichte. Chris setzte sich wieder hoch und trank. Erst in dem Moment merkte er, wie durstig er war. Adam schien es zu ahnen, denn er goss das Glas noch einmal voll. Die Wasserflasche deponierte er wieder neben dem Bett.

Vorsichtig, um keine neuen Schmerzen zu verursachen, legte sich Chris zurück und zog die Decke bis zum Kinn.

Warum ist mir nur so kalt?

"Du warst fast drei Stunden tot und in der Zeit ist dein Körper ausgekühlt. Es dauert noch etwas, bis er sich wieder aufgeheizt hat."

Adam beantwortete seine unausgesprochene Frage.

Chris' Erinnerungen an das vorhergehende Training waren verschwommen. Was war passiert, dass er dabei gestorben war?

"Wie bin ich gestorben?"

"Ich habe dich erschossen."

"Wieso das?"

Chris hatte das dumme Gefühl, dass er etwas sehr Wichtiges vergessen hatte. Nur wusste er im Moment wirklich nicht, was es war.

Adam zuckte mit den Schultern.

"Ich habe es mir abgewöhnt, jemanden länger leiden zu lassen als unbedingt notwendig. Der Stich, den ich dir verpasst habe, war tödlich, aber du hättest noch mehrere Stunden gelebt, bis du an den Folgen gestorben wärst. Das wollte ich dir ersparen."

Wieso nur hatte Chris das seltsame Gefühl, dass dieser nette und fürsorgliche Adam Pierson nur eine Maske war, unter dem sich etwas ganz anderes verbarg?

Und dann kam die Erinnerung. Die Herausforderung, der Kampf und die Art, wie Adam ihn berührt hatte…

Lass dir nichts anmerken. Wenn der merkt, dass ich Muffensausen habe, dann bin ich verloren. Schau'n mer mal, was er jetzt vorhat.

"Und wie geht es jetzt weiter?"

"Du bleibst noch mindestens eine halbe Stunde im Bett, damit sich dein Körper wieder aufheizt, dann nimmst du eine heiße Dusche und dann erwarte ich Vorschläge, was wir mit der angebrochenen Nacht machen."

"Bitte?"

Adam schien ungeduldig zu werden.

"Besser, du erinnerst dich wieder. Wir hatten die Abmachung, dass du den Rest der Nacht mit mir machen kannst, was du willst, solltest du es schaffen, mich zu verletzen."

"Aber das war doch nicht mehr während des Kampfes, ich hab dir doch nur in die Eier getreten."

"Und anschließend hast du dir wieder dein Schwert geschnappt und mich angegriffen. Aber wenn du so denkst, dann kann ich ja über unsere Nacht bestimmen."

DAS wollte Chris nicht, auf gar keinen Fall.

"Nein, du hast schon recht. Ich weiß, dass ich einen Bärenhunger habe und was mit Alkohol brauche. Kennst du da eine Kneipe oder ein Restaurant, wo es gemütlich ist?"

In deiner Gegenwart ist mein Schlafzimmer viel zu klein. Ich bekomme Platzangst.

"Joe's ist eine kleine Bluesbar, mit gutem Bier und einer kleinen, aber sehr guten Küche, die auch noch spät geöffnet hat. Hat dich Amanda nie in das Pariser Nachtleben eingeführt?"

Warum war Adam plötzlich wieder so nett? Chris nahm es ihm einfach nicht ab.

"Sie hätte, wenn ich sie gelassen hätte. Aber ich bin einfach nicht der Typ für so was und war nach dem Training einfach viel zu erledigt, um noch groß auf die Piste zu gehen. Ich habe lieber gekocht und dabei mit Amanda über Gott und die Welt diskutiert. Ich habe in der Zeit sehr viel gelernt."

"Dafür, dass du erst ein halbes Jahr im Training bist, hast du wirklich viel gelernt. Und hinterhältig bist du auch noch. Das hat dir Amanda bestimmt nicht beigebracht. Dabei hätte es gereicht, wenn du mir einfach nur auf die Zunge gebissen hättest. Das wäre auch eine Verletzung gewesen. Dein Tritt war einfach nur übel."

Chris war sich da nicht so sicher. Im Nachhinein konnte Adam viel erzählen.

"Ach ja? So wie du dich verhalten hast, war ich da aber anderer Ansicht."

"Ich wollte wissen, wie du reagieren würdest, wenn man versucht, mit dir zu spielen. Denn das werden andere Unsterbliche tun, wenn sie merken, dass du unerfahren bist. Doch ich musste feststellen, dass du viel zu stolz und dickschädelig bist, als dass man dich so einfach kleinkriegen kann. Ich habe keine Lust, Zeit und Energie in einen jungen Unsterblichen zu investieren, der beim ersten Kampf stirbt, weil er einfach nicht den nötigen Biss hat. Aber die Probe hast du bestanden. Nur wenige versuchen, sich aufzurappeln, wenn sie so behandelt werden und dann noch so einen üblen Stich abbekommen. Wenn's nach mir geht, dann hast du ab sofort einen neuen Lehrer."

Adam trank aus seiner Flasche und sah Chris an.

Jetzt ist der Ball also bei mir.

"Wird jedes Training so wie heute laufen? Muss ich ständig befürchten, dass du mich fertig machst und andere üble Sachen mit mir anstellst?"

"Wenn du auf die sexuelle Komponente anspielst... Das hat nur heute funktioniert. Denn ich stehe nicht mehr auf Bettgefährten, die Angst haben und zu jeder Handlung gezwungen werden müssen. Beim nächsten Mal würdest du es mir einfach nicht mehr abnehmen und deswegen ganz anders reagieren."

Und das soll ich dir glauben?

Chris verkniff sich jedoch einen Kommentar.

"Ansonsten werde ich möglichst realitätsnah unterrichten. Deswegen werde ich dich verletzen, wenn du Fehler machst, und du stirbst, wenn es zu viele sind. Genauso wie in der Wirklichkeit. Nur wenn du lernst, während eines Kampfes deine Verletzungen und die Schmerzen zu ignorieren, hast du eine reelle Chance. Das kann man nicht simulieren. Aber ich werde nicht brutaler sein als unbedingt notwendig. So, und jetzt musst du dich entscheiden."

Adam wirkte aufrichtig und doch konnte Chris das nicht so ganz entscheiden. Dieser Mann hatte in den wenigen Stunden, die sie sich kannten, schon so oft eine andere Maske aufgezogen, dass er nicht abschätzen konnte, wie der Charakter des wahren Adam Pierson war.

Amanda vertraut ihm. Sonst hätte sie es nicht arrangiert. Und sie denkt, dass ich anschließend eine gute Chance gegen Bechthold hätte.

Das war für Chris' Entscheidung ausschlaggebend.

"Gut, lass es uns durchziehen. Aber wenn du einen Fehler machen solltest, dann werde ich genauso zurückschlagen."

"Das ist auch der Sinn der Übung. Aber sag mal…"

Adam leerte seine Flasche und stellte sie wieder auf den Nachttisch.

"Welcher Unsterbliche ist hinter dir her, dass du dir dieses Training antust?"

Der Kerl ist einfach zu intelligent!

Chris dachte einen Moment nach und entschied sich, Adam die Wahrheit zu erzählen.

"Noch ist keiner hinter mir her, aber ich denke, dass Georg Bechthold demnächst auf mich aufmerksam wird, da er auch in Frankfurt lebt."

"Warum ziehst du nicht einfach weg? Die Welt ist groß und es gibt viele schöne Plätze."

Wie sollte er etwas erklären, das er selbst noch nicht ganz erfasst hatte?

"Gott, wie soll ich es sagen? Es ist meine Heimat und ich bin einfach noch nicht bereit, sie zu verlassen. Vielleicht ist es das Gefühl, dass ich endgültig alle Brücken abbreche und es kein Zurück gibt. Außerdem habe ich dort einen Heimvorteil, da ich dort jede Straße kenne. In der Fremde kann ich auch jederzeit auf einen Unsterblichen treffen."

Ein wehmütiges Lächeln huschte über Adams Gesicht.

"Ich kann es verstehen. Solange du noch einen Ort hast, den du Heimat nennen kannst, solltest du dort bleiben. Wenn du lang genug lebst, dann wirst du dich als Heimatloser bezeichnen. Denn wenn selbst der Kulturkreis, in dem du aufgewachsen bist, nicht mehr existiert..."

Adam schien mit seinen Erinnerungen in einer ganz anderen Zeit und an einem weit entfernten Ort zu sein.

Ich hätte mir denken können, dass der Kerl schon älter ist. Aber wie alt ist er wirklich? Er könnte in Amandas Altersklasse liegen.

Doch Adam ließ seine Gedanken nicht lange schweifen.

"Wie sieht er aus? Groß, etwas älter, Glatze und kantige Gesichtszüge?"

"Ja, das trifft es."

"Ich habe ihn Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Moskau kennen gelernt. Damals war er noch ein sehr junger und unerfahrener Unsterblicher. Aber er hatte Talent und war bereit, für sein Überleben über Leichen zu gehen. Mich wundert es nicht, dass er immer noch lebt. Aber mit etwas Training solltest du in der Lage sein, ihn zu besiegen. Du hast mindestens genau soviel Talent und den Rest lernst du auch noch. Woher weißt du eigentlich, dass er in der Stadt ist? Eigentlich sollte er dich doch auch spüren."

"Sollte er, aber ich arbeite bei der Polizei, besser gesagt beim Zoll, im Bereich Drogenfahndung, organisiertes Verbrechen. Und ich leite eine Ermittlungsgruppe, die hinter Bechthold her ist. Er wird von uns rund um die Uhr bewacht und ich bin über jeden seiner Schritte informiert ohne ihm selbst zu nahe zu kommen."

Ein leises Pfeifen kam von Adam.

"Dann wird er ja doppelt überwacht."

"Was meinst du?"

"Nichts, worauf du nicht früher oder später selber kommen wirst. Warte einfach ab und du erfährst es. Aber deine halbe Stunde ist um. Los, ab unter die Dusche"

Adam bückte sich und zog einen Stecker. Das dazugehörige Kabel wickelte er auf und zog die Heizdecke von Chris' Bett.

Dieser wollte sich noch für einen Moment einkuscheln und die Informationen verdauen. Sowenig er seinen neuen Lehrer auch kannte: Dass er jetzt nichts mehr erfahren würde, konnte er klar an seinem Gesichtsausdruck erkennen.

Und Gnade kannte er auch keine. Als Chris sich zusammenrollte, nahm er einfach die Bettdecke und zog sie ihm weg.

Murrend stand Chris auf und ging unter die Dusche.

Die nächsten Stunden waren überraschend angenehm für Chris. Sie gingen in die Bluesbar, aßen etwas, tranken Bier und lauschten der wirklich guten Livemusik.

Nur dass Adam ständig versuchte, mit ihm zu flirten, war sehr irritierend. Obwohl sein Lehrer mehr als nur heiß war, hatte Chris nicht das geringste Interesse, mit ihm etwas anzufangen. Wenn er Eddie manchmal als Vulkan empfunden hatte… Adam konnte er da nur mit einer Sonne kurz vor dem Ausbruch zur Supernova vergleichen. Definitiv zu gefährlich.

Und außerdem war Chris hetero. Nur für Eddie hatte er eine Ausnahme gemacht. Und er hatte nicht vor, noch eine zu machen. Basta.

Dann schob sich das Bild von Eddie, wie er auf der Vernissage den blonden Typen küsste, vor seine Augen. Eifersüchtig durfte er nicht werden, denn er wollte ja, dass Eddie sein eigenes Leben lebte. Statt dessen fragte er sich, ob Eddie jetzt glücklich war. Wenigstens er sollte es sein.

"Tausend Pennies für deine Gedanken!"

Adams sanfte, fast schon einschmeichelnde Stimme ließ Chris zusammenzucken.

Ich traue dir nicht, mein Freund.

Bedauernd schüttelte Chris den Kopf und schaute Adam an.

"Vergiss es, nur lauter alte Erinnerungen. Die wenigsten davon wirklich gut."

"Du traust mir nicht."

"Gib mir einen Grund, warum ich ausgerechnet dir trauen soll. Ich glaube zwar, dass du meinen Kopf auf meinen Schultern lassen wirst, aber ansonsten wirst du versuchen, mich zu manipulieren und mit mir zu spielen. Und das will ich nicht."

"Und was ist, wenn ich nur mit dir ins Bett will?"

Chris hob eine Augenbraue.

"Und das soll ich dir glauben? Außerdem bin ich nicht schwul. Vergiss es also."

Jetzt hob Adam eine Augenbraue. Und Chris sah sich genötigt, noch mehr dazu zu sagen.

"Nicht, dass ich es nicht ausprobiert hätte. Aber die Beziehung hat nicht funktioniert. Und wenn ich jetzt mit dir ins Bett steige und es schief geht… Ich kann es mir nicht leisten, dich als Lehrer zu verlieren."

"Und wenn ich dir sage, dass du mich verlierst, wenn du nicht mit mir ins Bett gehst?"

Er spielt schon wieder mit mir.

"Hattest du mir nicht vorhin erzählt, dass du nicht darauf stehst, deine Bettgefährten mit Gewalt ins Bett zu zerren? Oder war das eine Lüge?"

"Touché!"

Adams Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln.

"Du lernst schnell. Aber ich hatte trotz allem den Eindruck, dass du nicht wirklich abgeneigt warst, sondern nur etwas gegen die Art meiner Werbung hattest."

Auch Chris grinste. Aber es war nicht echt. Jede Minute mit diesem Mann war ein Kampf. Und er wollte einfach nicht der Siegespreis sein.

"Fandest du? Dann sollte ich mich doch mal für den Oscar bewerben. Denn ich war anderer Meinung."

"Sicher?"

"Sehr sicher!"

Chris hatte keine Probleme, Adam in die Augen zu schauen.

Brandender Applaus unterbrach ihr Geplänkel. Der Sänger, der bisher auf einem Barhocker gesessen und sich selbst auf der Gitarre begleitet hatte, machte Feierabend und stand auf, nahm seinen Stock und verließ schwerfällig die Bühne. Chris fragte sich, was für eine Behinderung er wohl hatte. Es erstaunte ihn, dass er direkt auf ihren Tisch zukam und Adam mit einem Nicken begrüßte.

Dann wandte er sich an Chris. Er sprach englisch.

"Hallo! Ich bin Joe Dawson und mir gehört der Laden. Ich hoffe, es gefällt Ihnen hier."

Chris erhob sich halb aus seinem Stuhl und reiche ihm seine Hand. Dabei fiel ihm die Tätowierung auf, die der Barbesitzer auf dem rechten Handgelenk hatte.

"Chris Schwenk. Es ist sehr nett hier. Ihre Songs haben mir sehr gefallen."

"Freut mich. Darf ich mich zu Ihnen setzen?"

"Ich habe nichts dagegen. Adam?"

Auch dieser schüttelte seinen Kopf und Joe setzte sich auf den freien Stuhl.

Der Kellner brachte Joe etwas zu trinken und stellte auch Adam ein neues Glas hin. Chris beantwortete seinen fragenden Blick mit einem Kopfschütteln. Wenn er weiter gegen Adam bestehen wollte, dann musste er nüchtern bleiben.

"Wenn ich Ihren Akzent richtig einordne, dann sind Sie Deutscher. Was hat Sie in die Stadt der Liebe verschlagen und wie sind Sie an Adam geraten?"

Ich hasse Smalltalk!

Doch diesmal half ihm Adam.

"Joe, du bist zu neugierig. Wem willst du von meinem neuen Bekannten erzählen? Selbst wenn Duncan MacLeod wieder in Paris wäre, dann würde es ihn doch eh nicht interessieren."

War da etwa Traurigkeit in seiner Stimme?

"Das glaube ich nicht, Adam. Irgendwann wird Duncan wieder auftauchen. Er braucht noch etwas Zeit, bis seine Wunden verheilt sind. Ich bin ein alter Mann und werde es vielleicht nicht erleben, dass er wieder nach Paris kommt, aber er kann sich nicht ewig abschotten."

War dies der Joe, von dem Amanda ihre Informationen bekam? Chris hatte eine vollkommen andere Vorstellung von ihm gehabt. Härter. Jünger. Und ohne Behinderung.

"Du bist ein Optimist, Joe. Und Duncan irrt sich, wenn er glaubt, dass ich ewig auf ihn warte. Vor über fünf Jahren habe ich ihn zum letzten Mal gesehen. Aber viel schlimmer ist, dass er auch dich im Stich gelassen hat."

Schon wieder dieser MacLeod? Wieso scheint den jeder zu kennen? Und was ist da zwischen ihm und Adam? Interessant.

"Das hat er nicht. Aber wie kommt es, dass du das in der Öffentlichkeit erzählst?"

Mit der Öffentlichkeit meinte Joe wohl Chris, denn sonst hatte niemand die Möglichkeit, ihr Gespräch mitzuhören.

"Chris kann es erfahren. Schließlich ist er mein Schüler."

Adam hatte den Moment sehr gut gewählt, denn Joe hatte gerade an seinem Bier genippt. Bei diesem Kommentar verschluckte er sich, bekam einen Hustenanfall und es dauerte etwas, bis er sich erholt hatte.

Und Chris fragte sich, was es mit diesem Mann auf sich hatte, dass Adam ihm einfach so davon erzählte.

"Du hast einen Schüler?"

"Ja, das habe ich."

Joe nahm sich jetzt die Zeit, Chris ausgiebig zu mustern. Und Chris hielt diesem Blick stand, nahm sich aber vor, nachdem die Begutachtung gut fünf Minuten gedauert hatte, bei seinen französischen Kollegen Erkundigungen über Joe Dawson einzuziehen.

Dann lehnte sich Joe zurück.

"Wie halten Sie es mit diesem Mann als Lehrer aus? Ich kann es mir nicht wirklich vorstellen, wie er Ihnen etwas beibringt."

"Er bringt mir bei, wie ich überlebe. Das ist doch das Wichtigste. Trauen Sie ihm das nicht zu?"

"Doch, aber ich frage mich, wie Sie das durchhalten. Schließlich kenne ich ihn und weiß, dass seine Geduld begrenzt ist."

"Dann muss ich ein sehr guter Schüler sein, denn mit mir hatte er Geduld."

Jedenfalls hat er drei Stunden warten können, bis ich wieder unter den Lebenden wandelte.

"Er hat Ihr Selbstbewusstsein mit seinen sarkastischen Bemerkungen noch nicht untergraben? Wie lange trainieren Sie schon?

Chris war unsicher, wie viel er ihm erzählen konnte. Vielleicht stellte ihn Adam gerade auf die Probe. Zuzutrauen wär's ihm.

"Lange genug, um zu wissen, dass er ein ziemlicher Mistkerl sein kann. Da er mich bisher nicht klein gekriegt hat, glaube ich nicht, dass er es jetzt noch schafft. Reicht Ihnen die Information?"

Joe sah von Chris rüber zu Adam und von diesem wieder zurück zu Chris. Dabei konnte man ihm seine Gedanken fast vom Gesicht ablesen. Und diese sprach Joe dann auch aus.

"Da haben sich ja zwei gesucht und gefunden. Hoffentlich werdet ihr nie zusammen auf die Menschheit losgelassen."

Chris und Adam grinsten nur.

Der Sonntag verlief relativ ereignislos, was nicht bedeutete, dass Chris Langeweile hatte. Zwar forderte Adam Chris nicht zum Kampf, aber er ging mit ihm die Fehler der letzten Nacht durch und zeigte ihm, wie er diese vermeiden konnte. Es waren nicht wenige und Adam ließ Chris nicht ruhen, bis die Bewegungen zu einhundert Prozent stimmten.

Adam hatte nicht übertrieben - war Amanda eine harte Lehrerin, so war er grausam und unnachgiebig. Das Training dauerte trotz mehrer Pausen über sieben Stunden und Chris war anschließend fix und fertig und nicht mehr in der Lage abzuschätzen, ob er Amanda für ihren Ersatzmann küssen oder enthaupten sollte. Während des Flugs nach Deutschland schlief er ein. Zu Hause angekommen, fiel er nur noch ins Bett. Als sein Wecker am Montag um sechs Uhr klingelte, warf er ihn an die Wand und drehte sich noch mal um. Das morgendliche Training ließ er ausfallen, war aber pünktlich auf der Arbeit.

Es bereitete Chris keine Probleme, Engin vorzuspielen, dass alles in Ordnung wäre.

In den nächsten Wochen pendelte sich auch an den Wochenenden wieder eine gewisse Routine ein.

Dafür änderten sich seine Albträume. Der gesichtslose Unsterblich hatte einen Namen bekommen. Es war Adam. Chris träumte auch nicht mehr davon, dass jemand Eddie vor seinen Augen tötete, sondern von seinem Training mit Adam. Und dass dieser ihm an die Wäsche ging. Und er keine Möglichkeit hatte, sich zu wehren. Die Angst, ihm ein zweites Mal hilflos ausgeliefert zu sein, saß tief.

Im Gegensatz zu seinen Träumen hielt Adam sich in der Realität in diesem Punkt zurück. Weder flirtete er mit ihm, noch berührte er ihn in irgendeiner Art und Weise, die Chris als anstößig interpretieren konnte.

Dafür blieb der Unterricht brutal. Samstags kämpften sie. Der Kampf endete immer mit Chris' Tod. Adam war schneller und gerissener und um keinen linken Trick verlegen. Immer wurde Chris zum Schluss durch einen Schuss von seinen Leiden erlöst. Aber dies empfand er als Gnade. Auf der einen Seite hasste er seinen Lehrer für diese Art, ihn umzubringen, auf der anderen Seite war er dankbar, dass die Schmerzen endeten.

Auch wenn Adam ihn nicht mehr in sein Bett transportierte: Er war immer anwesend, wenn Chris von den Toten erwachte. Und irgendwie beruhigte Chris diese seltsame Art der Fürsorge.

Den späten Abend verbrachten sie dann in Joes Bar, aßen etwas und lauschten der Musik, falls sie sich nicht gerade Wortgefechte lieferten, die von Joe aufmerksam beobachtet wurden, doch er mischte sich niemals ein.

Am nächsten Tag wurden im Training seine Fehler vom Vortag analysiert und korrigiert. Es war stundenlange harte Arbeit.

Er musste jedes Mal, wenn er nach Paris unterwegs war, Panikattacken niederkämpfen. Der Drang, einfach vor diesem Horror, den Adam Unterricht nannte, zu fliehen, war groß. Doch traute er Adam soweit, dass er sich immer wieder überwand.

Aber auf dem Rückflug war er stolz, es wieder geschafft zu haben. Zudem machte er enorme Fortschritte. Er war wesentlich schneller und härter geworden und er lernte von Adam einige sehr unfaire Tricks, mit denen er seinen Gegner besiegen konnte.

So steckte er sich jeden Morgen eine nicht registrierte Schusswaffe ein und ein Dolch, der so austariert war, dass er ihn auch werfen konnte, war an seinem linken Unterschenkel befestigt. Jeder Unsterbliche würde eine üble Überraschung erleben, wenn derjenige versuchen sollte, ihn anzugreifen. Und wenn er das Training noch einige Monate durchhalten würde, könnte er Bechthold auch im ehrlichen Kampf besiegen. Und was waren Monate im Vergleich mit der Ewigkeit?